129. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 28. November 2007
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich.
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt II - fort:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008
(Haushaltsgesetz 2008)
- Drucksachen 16/6000, 16/6002 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011
- Drucksachen 16/6001, 16/6002, 16/6426 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
Dazu rufe ich jetzt den Tagesordnungspunkt II.9 auf:
Einzelplan 04
Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
- Drucksachen 16/6404, 16/6423 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Petra Merkel (Berlin)
Jürgen Koppelin
Roland Claus
Alexander Bonde
Anna Lührmann
Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor. Außerdem liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über die wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Ich mache darauf aufmerksam, dass wir über diesen Einzelplan später namentlich abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache dreieinhalb Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Das ist dann etwa auch die Zeit, zu der mit der namentlichen Abstimmung zu rechnen ist.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dank der Weltkonjunktur ist unser Aufschwung noch stabil. Die Steuereinnahmen sprudeln. Der Bundesfinanzminister kann sich freuen. Nur die Menschen freuen sich nicht; die Deutschen haben das Gefühl, dass der Aufschwung bei ihnen nicht ankommt.
Das heutige Jackpot-Fieber wundert mich nicht. Die Menschen wollen sich ihre Aufschwungsdividende jetzt selbst holen. Sie sagen sich: Beim Lotto gewinnt vielleicht einer, bei Schwarz-Rot gewinnt keiner.
Im Vergleich zu Ihrer Politik sehen die Menschen im Lotto fast schon eine sichere Form der Vermögensbildung.
Die Regierung befindet sich im Dauerstreit. Die CDU/CSU wirft der SPD vor, der Wirtschaft und dem Aufschwung zu schaden. Die SPD wirft der Union Wortbruch und koalitionsuntreues Verhalten vor. Das wird garniert mit Ausdrücken, die der Präsident hier im Parlament nie zulassen würde.
So sieht es in unserer Bundesregierung aus. Nach zwei Jahren ist der Wahlkampf zwischen Schwarz und Rot bereits voll im Gange.
Jetzt streitet sich die Koalition sogar über die Außenpolitik gegenüber China und Russland. Wenn man sich schon außenpolitisch nicht einigen kann, wie soll es dann innenpolitisch weitergehen? Immer öfter fallen die Worte Stillstand und Rückschritt. In den wenigen Punkten, in denen sich die Regierung einigen kann, ist von einer Politik für den Aufschwung nichts zu merken. Im Gegenteil: Überall setzt die Regierung auf mehr Staat. Sie gibt mehr aus, sie betreibt interventionistische Politik und macht Märkte kaputt.
Sie könnten den Haushalt bereits jetzt ausgleichen. Unsere Haushälter haben in mühevoller Arbeit 400 Anträge erarbeitet. Wenn Sie die darin vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen, können Sie fast 12 Milliarden Euro einsparen.
Das wird ignoriert, weil Sie gar nicht sparen wollen. Sie gehen in die Vollen, Sie treiben den Haushalt hoch. Sie haben 47 Milliarden Euro Mehreinnahmen; trotzdem gehen Sie weiter in die Verschuldung hinein. Das ist keine Politik für die Zukunft.
Bei Ihnen macht sich eine Staatsgläubigkeit breit. Die Sozialdemokraten entdecken ihr Programm ?Demokratischer Sozialismus“ neu.
Die Union macht bei einer solchen Politik auch noch mit. Die Bahnreform kommt aufs Abstellgleis, die Regierung denkt nach Medienberichten über eine Verstaatlichung der Bundesdruckerei nach, und bei EADS steht die Bundesregierung mehr als kurz davor, politisch Einfluss zu nehmen.
Es ist zu lesen, dass sich die CDU jetzt klarer positionieren und die Reformpolitik fortsetzen will. Der Generalsekretär der Union wirft der SPD dabei vor, den Staat als gigantische Umverteilungsmaschinerie zu missbrauchen. Das Problem der Union ist aber, dass sie das alles mitmacht.
Wir haben jetzt zwei Parteien, die für einen demokratischen Sozialismus sind. Beim Ausgeben sind sie voll mit dabei, bei der Verkomplizierung sind sie voll mit dabei, und beim Griff in die Kasse der Bundesagentur für Arbeit sind sie voll mit dabei. Sie haben das Antidiskriminierungsgesetz mitbeschlossen, und Sie haben die Zinsschranke und die Funktionsverlagerung als Verkomplizierung des Steuerrechts eingeführt. Das führt zu einem Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte, bringt aber keine Rechtsklarheit für Investitionen und führt nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Das ist Ihre gemeinsame Politik.
Die Bundeskanzlerin hat hier einmal das Lippenbekenntnis abgelegt: weniger Staat, mehr Freiheit. Wir haben mehr Staat. Jedes neue Gesetz, durch das die Handlungsfreiheit der Bürger eingeengt wird, bedeutet mehr Staat und ist ein Schritt in Richtung mehr Reglementierung und weniger Freiheit.
Von Freiheit zu reden und das Gegenteil zu tun, ist kein Fortschritt.
Mit was beschäftigt sich diese Koalition? Sie beschäftigt sich mit Mindestlöhnen und Höchstgehältern von Managern. Sie schwankt zwischen Populismus und Protektionismus. Es geht im Streit zwischen dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium doch nur noch darum, welche Variante des Protektionismus Sie betreiben. Die einen wollen Kapital sammeln, um zu verhindern, dass Ausländer investieren, die anderen wollen das Außenwirtschaftsgesetz manipulieren, um dies zu verhindern. Beides ist falsch. Setzen Sie auf den Markt und nicht auf Reglementierung und Interventionismus! Das ist immer unsere Stärke gewesen.
Die Mietkosten werden jetzt besteuert. Ich frage mich, wann Sie anfangen, auch die Personalkosten zu besteuern.
Sie sind doch falsch programmiert. Sie denken falsch, Sie müssten sich anders orientieren. Ich trage hier einmal ein Zitat aus der Süddeutschen Zeitung zu dem, was Sie machen, vor. In der letzten Woche stand dort wörtlich:
Die Hauptstadt Berlin entwickelt sich mehr und mehr zum Biotop für wirtschaftspolitische Dummheiten.
Genau so ist es.
Sie machen es falsch. Draußen in der Welt gibt es Turbulenzen, Dollarkrise und Finanzmarktkrise. Führt die wirtschaftliche Entwicklung der USA nur zu einer Delle, oder gibt es eine Rezession? Wir betreiben keine Vorsorge dafür. Was wir immer gesagt haben, beweisen Sie erneut: Große Koalitionen sind nur scheinbar große Koalitionen. Sie haben große Mehrheiten, sie sind aber kleinmütig, gehen komische Kompromisse ein und bringen das Land nicht voran. Sie behindern Deutschland. Das ist die Politik, die Sie hier betreiben.
Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und weiter mit aller Klarheit wirken. Es muss in Deutschland noch eine Partei geben, die ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben hat.
Sie folgen dem Mainstream, gehen nach links und laufen Lafontaine nach.
Es muss noch jemanden geben, der Ludwig Erhard kennt und weiß, wie Marktwirtschaft funktioniert.
Wir wollen Arbeitsplätze schaffen, wir wollen Wachstum erzielen, und wir wollen Fortschritt, damit Demagogen und Rattenfänger in der deutschen Politik keinen Boden bereitet bekommen, auf dem sie Resonanz finden. Es geht auch um die demokratische Zukunft Deutschlands.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel.
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende März haben wir hier in Berlin den 50. Jahrestag der Römischen Verträge gefeiert. Dabei ist uns allen noch einmal deutlich geworden, wie lange ein geeintes, in Frieden und Freiheit verbundenes Europa ein bloßer Traum war, ein Traum, der aus schmerzlicher Erfahrung später auf wunderbare Weise Wirklichkeit geworden ist. Heute - so haben wir es dann in der Berliner Erklärung geschrieben - sind wir Europäer zu unserem Glück vereint.
Ich sage das, weil in anderen Regionen der Welt ein friedliches Miteinander der Völker nach wie vor in weiter Ferne liegt. Insbesondere im Nahen Osten sucht die Weltgemeinschaft - und dies jetzt seit Jahrzehnten - nach Möglichkeiten für eine umfassende Friedenslösung. Hierzu einen Beitrag zu leisten, das war ein Schwerpunkt der zurückliegenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands. Das ist und bleibt auch ein Schwerpunkt der gesamten Bundesregierung.
Jetzt scheint es neuen Grund zur Hoffnung zu geben, dass der Traum eines friedlichen Miteinanders von Israel und Palästina doch wahr werden könnte. Auch wenn die Erfahrungen mit früheren Lösungsversuchen einen allzu naiven Optimismus verbieten: Die Friedenskonferenz in Annapolis ist die Chance auf einen neuen Verhandlungsprozess, an dessen Ende die Vision einer Zweistaatenlösung mit Leben gefüllt werden könnte. Das ist ein hoffnungsvolles Signal. Der Bundesaußenminister wird heute noch darüber berichten.
Es kann uns hier in diesem Parlament nicht ruhen lassen, dass Israel und die gesamte Region in einem unsicheren, instabilen Zustand sind. Ich bekenne mich ausdrücklich zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit und Existenz Israels.
Das Eintreten für die Sicherheit Israels ist Teil der Staatsräson Deutschlands und eine Konstante der deutschen Außenpolitik.
Im kommenden Jahr feiert der Staat Israel den 60. Geburtstag seines Bestehens. Noch immer ist die Sicherheit dieses Staates bedroht. Die Führung des Iran stellt das Existenzrecht Israels in unerträglicher Weise infrage. Insbesondere das Nuklearprogramm gibt Anlass zu großer Sorge. Deshalb setzen wir uns mit diplomatischen Mitteln für ein Einlenken des Iran ein. Das heißt: Bei Nichtkooperation des Iran sind weitere und schärfere Sanktionen unausweichlich; bei Kooperation wiederum liegen sehr gute Angebote für den Iran auf dem Tisch. Damit wir Erfolg haben, sind zwei Dinge unabdingbar: Entschlossenheit und Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Entschlossenheit und Geschlossenheit brauchen wir auch bei einem anderen Konflikt, der in ganz besonderer Weise Europa betrifft, nämlich beim Kosovo. Die Europäische Union hat in Bezug auf die Stabilität auf dem westlichen Balkan eine ganz besondere Aufgabe. Die Weltgemeinschaft schaut an dieser Stelle auf uns. Daher war es richtig, dass wir noch einmal Verhandlungsprozesse eingeleitet haben. Herr Ischinger hat nicht nur unseren Dank verdient, sondern auch unsere gesamte Unterstützung, alles zu versuchen, um hier zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Ich möchte von dieser Stelle aus noch einmal an die Vernunft aller Beteiligten appellieren, einen Weg zu gehen, der für die Stabilität in Gesamteuropa verantwortlich ist.
Wir werden uns damit auseinandersetzen müssen, dass wir weiterhin den Einsatz der Bundeswehr innerhalb der NATO-Mission im Kosovo brauchen. Wir werden die rechtlichen Grundlagen dafür immer wieder abchecken, sollten die Verhandlungsprozesse nicht so erfolgreich sein, wie wir es uns erhoffen. Genauso werden wir uns aber an einer zivilen europäischen Sicherheits- und Verteidigungsmission beteiligen, die das Polizei- und Rechtswesen aufbaut.
Das heißt: Deutschland und die Europäische Union haben hier allergrößte Verantwortung. Der Bundesaußenminister und ich werden in den kommenden Räten alles dafür tun, um das, was wir auf dem westlichen Balkan schon geschafft haben, weiterzuentwickeln und zu einem friedlichen Miteinander zu kommen.
Diese drei Beispiele - Naher Osten, Iran und Kosovo - zeigen genauso wie die anderen Aktivitäten unserer Außenpolitik: Die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist immer auf Werten aufgebaut. Sie ist wertebezogen. Deutsche Außenpolitik findet nicht im luftleeren Raum statt. Deshalb gilt: Menschenrechtspolitik und das Vertreten ökonomischer Interessen sind zwei Seiten einer Medaille und dürfen niemals gegeneinander gestellt werden.
Das ist auch und gerade die Grundlage dafür, dass wir uns für faire Handelsbedingungen im Rahmen der Welthandelsorganisation einsetzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir uns für den Schutz geistigen Eigentums einsetzen. Das ist die Grundlage dafür, dass wir auf dem afrikanischen Kontinent insbesondere eine faire Rohstoffpolitik gegenüber den Ländern betreiben wollen, die einen wirtschaftlichen Aufschwung brauchen. Das ist auch die Grundlage, auf der wir eine Novelle zum Außenwirtschaftsgesetz erarbeiten. Denn es heißt heute in einer globalen Welt, sich auch um die Sicherung der eigenen, kritischen Infrastruktur zu kümmern. Das machen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das macht Großbritannien. Das macht Frankreich. Warum soll Deutschland dies nicht tun? Dies hat mit Protektionismus nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Auf dieser Grundlage haben wir durch unser gemeinsames Engagement in der Koalition das Ansehen Deutschlands in der Welt in den letzten zwei Jahren gemehrt. Darauf können wir gemeinsam stolz sein.
Deutschland konnte sein Ansehen und sein Gewicht auch deshalb mehren, weil wir wirtschaftliche Leistungskraft wieder zurückgewonnen haben. Man sollte sich keine Illusionen machen: Unsere internationale Reputation und die wirtschaftliche Lage Deutschlands hängen für viele Menschen auf der Welt auf das Engste zusammen. Das wird jetzt im Inland und im Ausland bestätigt. Die deutsche Wirtschaft zieht die europäische Wirtschaft wieder mit nach vorne. Wir sind aus der Rolle des Letzten herausgekommen. Das Wirtschaftswachstum lag im letzten Jahr bei 2,9 Prozent. Dieses Jahr können wir 2,4 Prozent erwarten, nächstes Jahr um die 2 Prozent. Unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit nimmt zu. Wir sind vom World Economic Forum von Platz sieben auf Platz fünf hochgestuft worden. Das ist das Ergebnis der Reformen. Das sind die Erfolge der Unternehmen. Das sind in ganz besonderer Weise die Ergebnisse der Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.
Nun wissen wir: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit allein sind nicht alles. Es ist etwas anderes ganz wichtig. Aus Wachstum entstehen wieder Arbeitsplätze. 1 Million zusätzliche Arbeitsplätze seit Amtsantritt dieser Regierung! 1 Million weniger Arbeitslose seit Amtsantritt dieser Regierung! Weniger ältere Arbeitslose, weniger Langzeitarbeitslose, mehr junge Menschen, die eine Chance haben! Der Beschäftigungsaufbau geht - das sagen auch die Unternehmen - 2008 weiter. Weniger Menschen müssen Angst um ihren Job haben. Das heißt, es passiert etwas, was wir in diesem Land brauchen, etwas, das man nicht in Euro und Cent berechnen kann: Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen. Das ist eine gute Botschaft für Deutschland.
Die Zuversicht der Menschen ist gewachsen, eine Zuversicht, deren Grundlage natürlich mit jedem neuen Arbeitsplatz, mit jeder geglückten Wiedereingliederung in das Arbeitsleben verbreitert werden kann. Mit anderen Worten: Die Politik dieser Bundesregierung wirkt. Sie wirkt schon im dritten Jahr. Das heißt nicht, dass wir leichtfertig werden dürfen. Das heißt nicht, dass wir uns auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen dürfen. Es gilt für uns nur eine Devise: Wir müssen die Grundlagen des Aufschwungs stärken, um mehr Menschen in diesem Land Chancen zu geben, die sie allemal verdient haben.
Dafür gibt es für uns in dieser Bundesregierung einen zentralen Maßstab: Wir beschließen Maßnahmen, mit denen weitere Arbeitsplätze geschaffen werden, und unterlassen alles, was Arbeitsplätze gefährdet. Das ist der Maßstab unseres Handelns.
Jetzt werden Sie sagen, dass wir darum manchmal in dieser Koalition ringen. Ja, das tun wir - das gebe ich ganz freimütig zu -, aber immer in dem Geist, dass wir Arbeitsplätze schaffen und alles verhindern wollen, was Arbeitsplätze kostet.
Wir werden das fortsetzen, weil wir wissen, dass es Sorgen gibt. Es gibt Fragen, ob die Verwerfungen auf den internationalen Märkten auch unseren Aufschwung in Gefahr bringen könnten. Die amerikanische Immobilienkrise, der hohe Ölpreis, der starke Euro, steigende Lebensmittelpreise - das alles kennen wir. Wir können nicht versprechen, dass durch die Politik der Bundesregierung diese Risiken nicht eintreten werden. Das wäre unredlich. Aber ich bin von einem überzeugt, und das ist die gute Botschaft dieses Jahres: Wir haben genug Stärke wiedergewonnen, um die Herausforderungen, die vor uns liegen, wirklich gut bewältigen zu können. Davon sind wir überzeugt, und in diesem Geist machen wir Politik.
Das bestimmt unsere Arbeit für Deutschland, die sich in fünf Grundsätzen zusammenfassen lässt.
Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Aufschwungs stärken. Das bedeutet: Sanierung der Staatsfinanzen. Was haben wir erreicht? Wir werden erstmals seit der Wiedervereinigung in etwa einen ausgeglichenen Staatshaushalt erreichen.
Das Haushaltsdefizit des Bundes - ob es Ihnen passt oder nicht - ist in den letzten zwei Jahren halbiert worden. Die Maastricht-Kriterien werden seit 2006 wieder eingehalten. An diesen Fakten lässt sich nicht vorbeireden. Sie sind da, sie sind gut, und sie sind richtig.
Nun gibt es Forderungen - die werden auch hier erhoben -, dass jeder zusätzliche Cent aus konjunkturbedingten Mehreinnahmen in den Abbau der Verschuldung gesteckt werden sollte, unabhängig davon, ob das in den kommenden Jahren durchzuhalten ist, unabhängig davon, ob der Staat dann noch Gestaltungsspielraum und Investitionsmöglichkeiten hat. Ich sage freimütig: Genau das machen wir nicht.
Stattdessen haben wir uns für einen langfristigen und verlässlichen Abbaupfad entschieden, der zusätzlichen Haushaltsspielraum lässt und wonach auf der Basis der Steuerschätzungen zwei Drittel der Einnahmen in den Schuldenabbau, aber ein Drittel in Investitionen für die Zukunft gesteckt werden. Wir sind von diesem verlässlichen Abbaupfad überzeugt. Ich danke dem Finanzminister, ich danke den Haushältern, und ich danke den Fraktionen für die Kooperation auf diesem Gebiet.
Wir haben dabei ein ganz klares Ziel vor Augen, nämlich 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen. Diesem Ziel fühlen wir uns verpflichtet.
Wir hören auch die Forderungen aus der Opposition, wir sollten Steuern senken, kostet es, was es wolle. Meistens fordern das die Gleichen, die vorher das Geld schon einmal für die Senkung der Neuverschuldung verplant haben.
Auch hier sagen wir: Wir machen eine verlässliche Steuerpolitik. Das spiegelt sich in zwei Maßnahmen wider, die wir ergriffen haben: An der Erbschaftsteuer arbeiten wir noch, die Unternehmensteuerreform ist verabschiedet. Wenn Sie sich den Haushalt für das Jahr 2008 anschauen, dann wissen Sie natürlich, dass sich die Entlastungen für die Unternehmen in diesem Haushalt widerspiegeln. Wir sind überzeugt davon, dass das richtig ist, weil mehr Investitionen in Deutschland mehr Arbeitsplätze für unser Land schaffen. Deshalb haben wir uns zu diesem Weg entschlossen.
Wir wollen, dass Gewinne wieder stärker in Deutschland versteuert werden, weil es attraktiver ist, sie hier statt im Ausland zu versteuern. Aber was wir nicht versprechen können - auch dazu haben wir uns ganz gewusst entschlossen -, ist, dass wir alle Steuergestaltungs- und Steuervermeidungsmodelle der Vergangenheit überleben lassen. Das ist nicht im Interesse des Gemeinwohls. Deshalb haben wir an einigen Stellen Bremsen eingezogen.
Bei der Erarbeitung der Reform der Erbschaftsteuer - jeder weiß, wie schwierig das nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geworden ist - wollen wir vor allen Dingen die Nachfolge innerhalb eines Familienunternehmens erleichtern. Genau das werden wir in den weiteren Beratungen immer wieder deutlich machen. Wir wollen sicherstellen, dass diejenigen, die das Rückgrat der Wirtschaft in Deutschland sind - die kleineren und mittelständischen Betriebe, die Familienunternehmen, die oft über Jahre und Jahrzehnte in Deutschland ihre Heimat haben -, in einer globalen Welt eine faire, gute Chance in diesem Lande haben und dieses Land nicht verlassen müssen. Das ist unser Ziel, und das werden wir durchsetzen.
Der zweite Grundsatz neben der Sanierung der Finanzen heißt: Grundlagen für mehr Beschäftigung fortentwickeln und dadurch auch mehr Teilhabe für Menschen in diesem Land ermöglichen. Was haben wir erreicht? Mit 40 Millionen Erwerbstätigen, 40 Millionen Menschen, die sich ihr Geld verdienen können, haben wir ein Rekordniveau erreicht. Ich habe es schon gesagt: Die über 55-Jährigen profitieren jetzt davon. Wir haben ein Minus von 20 Prozent bei den älteren Arbeitslosen. Wir kommen endlich wieder in die Situation, zu den Besseren in Europa zu gehören. Es ist bei der Lebenserwartung, die wir heute haben, doch kein Zustand - darüber sind wir uns hier auch alle einig -, dass Menschen über 55 keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Deshalb halte ich diese Botschaft für ganz wichtig.
Was sind die Ratschläge? Es ist, wie es immer ist: Die einen sagen, wir könnten eigentlich alle Arbeitsmarktreformen zurücknehmen; denn die Wirkungen zeigen, dass wir auf dem richtigen Pfad sind. Die anderen sagen, die Arbeitsmarktreformen seien gar keine echten Reformen; es müsste alles viel härter zugehen. Ich glaube, dass beides mit der Stimme der Vernunft wenig zu tun hat. Wir werden deshalb auch nichts von dem machen, sondern auch hier auf unserem Weg weitergehen.
Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge Schritt für Schritt gesenkt haben. Anfang des Jahres 2008 werden sie sich innerhalb von zwei Jahren halbiert haben.
Es ist nicht richtig, dass wir darüber die Solidität der Finanzen der Bundesagentur außer Acht gelassen hätten. Wir haben uns vorgenommen - wir haben das in Meseberg als Bundesregierung beschlossen und dafür in der mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 Vorsorge getroffen -, für die Bundesagentur Rückstellungen für die Alterslasten, die auch für eine Bundesagentur entstehen - davon ist früher nie die Rede gewesen -, zu bilden.
Wir sind froh darüber, dass wir zum ersten Mal sagen können: Es gibt eine Trendwende bei den Lohnzusatzkosten nach unten. Wir schaffen es, unter 40 Prozent zu kommen. Das ist eine gute Botschaft, die im Übrigen zeigt, dass wir erreicht haben, was wir uns in dem Regierungsprogramm vorgenommen haben.
Wir folgen konsequent dem Prinzip von Fördern und Fordern. Es hat eine breite Debatte über die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere gegeben. Wir haben eine Einigung gefunden, die der Tatsache Rechnung trägt, dass Ältere länger brauchen, um auf dem Arbeitsmarkt wieder vermittelt zu werden. Ältere erhalten die Chance, besser vermittelt zu werden, indem wir Eingliederungszuschüsse gewähren, um jedem die Möglichkeit zu eröffnen, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Das, finde ich, ist die gute Botschaft für die Älteren. Deshalb bin ich außerordentlich einverstanden mit der Reform des Arbeitslosengeldes I.
Wir müssen in der Rentenpolitik so vorgehen, dass wir wieder ein Reservepolster anlegen. Die Schwankungsreserve, das heißt die Vorsorge, ist jetzt wieder bei 0,7 Monatsbeiträgen angelangt. Wir wollen sie bis auf eineinhalb Monatsbeiträge aufbauen.
Ich sage ganz eindeutig: Wir stehen zu der Entscheidung bezüglich der Rente mit 67. Allen Experten, die glauben, jeden Tag noch etwas Neues sagen zu müssen, sage ich aber: Die Menschen haben mit uns Verlässlichkeit für die Zukunft bekommen, was die Notwendigkeit der Rente mit 67 anbelangt. Darüber hinaus gibt es keine Verunsicherung durch diese Bundesregierung; auch das ist wichtig.
Wir werden im nächsten Jahr die Aufgabe haben, die beschlossene Gesundheitsreform so umzusetzen, dass die Lohnzusatzkosten auch Ende des Jahres 2008 die 40 Prozent nicht übersteigen.
Ich glaube, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Krankenkassen im Rahmen dieser Gesundheitsreform im Augenblick Schritt für Schritt wächst.
Ich weiß, viele Menschen machen sich Sorgen: über den eigenen Job, ob die Rente ausreicht oder ob wirklich ein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Genau deshalb sagen wir: Arbeit ist die beste Form der Teilhabe; Arbeit ist die beste Form der Chancengerechtigkeit. Die Linie der Bundesregierung ist daher auch für das nächste Jahr und das übernächste Jahr ?Sanieren, Reformieren, Investieren“. Das ist tatsächlich ein Dreiklang, und zwar ein richtiger, mit dem wir voranschreiten werden.
Der Aufschwung wird Schritt für Schritt in der Breite immer mehr spürbar. Das Wachstum des dritten Quartals 2007 ist zunehmend von der Binnennachfrage getragen. Die Lohnzusatzkosten sinken, sodass trotz der Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge der Durchschnittsverdiener im Jahr 2008 netto 270 Euro mehr in der Tasche haben wird. Das sind die ersten Erfolge der Politik der Bundesregierung nach der Sanierung des Bundeshaushalts.
Ich will hier daran erinnern, womit wir begonnen haben: Wir haben mit einem strukturellen Defizit von 50 bis 60 Milliarden Euro begonnen. Faktisch war das Defizit bei über 30 Milliarden Euro. Dass wir bei Wachstum, Beschäftigung und Haushaltssanierung heute so dastehen, wie wir dastehen, ist nur durch den Dreiklang ?Sanieren, Reformieren und Investieren“ möglich gewesen.
Für all die, die dauernd davon reden, wie viel der Staat eingreift, ist die wirklich ?schlechte“ Nachricht die vom Sinken der Staatsquote. Welche Zahl zeigt eigentlich besser als die Staatsquote, wie viel Spielräume die Bürgerinnen und Bürger wieder haben? Im Jahre 2005 lag die Staatsquote bei 46,9 Prozent. Im Jahre 2008 wird sie bei 43,3 Prozent liegen. Wer einen Vergleich zu den Staatsquoten der anderen europäischen Länder zieht, der weiß, dass Deutschland damit gut dasteht und dass wir damit einen guten Platz haben. Das Sinken der Staatsquote bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen mehr Freiräume haben für das, was in sie in ihrem Leben selber gestalten wollen.
Wir werden den Weg für mehr Beschäftigung weitergehen. Wir wollen die Arbeitnehmerbeteiligung in Form des Investivlohns. Wir wollen die Sanierung der öffentlichen Gebäude voranbringen. Wir wollen die Förderung der haushaltsnahen Dienstleistungen vereinfachen und verbessern, weil wir gerade im Bereich der einfachen Tätigkeiten Chancen für Arbeitssuchende sehen.
Wir werden den Bürokratieabbau vorantreiben. Die Bundesregierung ist die erste, die jemals nach den Maßstäben des Normenkontrollrats die Informationspflichten systematisch erfasst hat: Es sind 10 900. Die Bundesregierung hat klar gesagt: Die Bürokratiekosten sollen um 25 Prozent sinken. Sie tritt dafür ein, dass sich derselbe Prozess auf europäischer Ebene wiederholt. Wir, die Bundesregierung, haben uns vorgenommen, die Hälfte der Wegstrecke bis zur Erreichung dieses Ziels bis zum Ende dieser Legislaturperiode zurückzulegen. Das ist nachprüfbar, das ist messbar, das ist systematisch. Eine solche Form des Bürokratieabbaus hat es in Deutschland noch nicht gegeben, und das ist ein Erfolg der Großen Koalition.
Natürlich leitet uns die Frage: Wie bekommen wir mehr Beschäftigung, aber auch Beschäftigung zu fairen Bedingungen bei der Entlohnung? Damit meine ich auch die Frage der Mindestlöhne und alles, was damit zusammenhängt.
Erstens. Bei der Post sehe ich nach wie vor Möglichkeiten, zu einer Einigung zu kommen.
Zweitens. Obwohl wir unterschiedliche Auffassungen haben, haben wir mit der Entscheidung, ein Mindestarbeitsbedingungengesetz zu entwickeln und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz im Frühjahr des nächsten Jahres auszuweiten, die Weichen dahin gehend gestellt, dass mehr faire Löhne gezahlt werden, ohne dass die Tarifautonomie zerstört wird. Mehr Menschen wird die Chance gegeben, eine Arbeit zu finden.
Unser Wohlstand lebt ganz wesentlich von der Innovationskraft. Deshalb lautet unser dritter Grundsatz: Wir wollen den Wohlstand von morgen durch Investitionen in Forschung, in Bildung und in die Familien sichern. Der Etat der Forschungsministerin profitiert von den hohen Wachstumsraten: plus 8 Prozent. Die Mittel für die Projektförderung steigen sogar um 16 Prozent. Wir haben uns nämlich entschlossen, durch den Bundesanteil dazu beizutragen, dass für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben Mittel in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zur Verfügung stehen. Wir geben dabei nicht einfach mehr Geld in das System, sondern haben eine Vielzahl neuer Instrumentarien entwickelt, die wirklich dafür Sorge tragen, dass die Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand, ihrer Verantwortung bei Forschung und Entwicklung besser gerecht werden kann. Deswegen ist die Wissenschaftsunion eine ganz wichtige Initiative.
Meine Damen und Herren, die Exzellenzinitiative hat in Deutschland auch im Hinblick auf den Zusammenschluss von Forschungseinrichtungen eine große Bewegung gebracht. Eine schöne Botschaft, die ich einfach mit einer Gratulation verbinde: Zwei Nobelpreise für Physik und Chemie in diesem Jahr zeigen: In Deutschland kann man Spitzenforschung - -
- Lieber Herr Westerwelle, das war natürlich nicht die Regierung.
Aber es zeigt doch, dass die Bedingungen dafür, in Deutschland zu forschen, so sind, dass man auch als Deutscher in Deutschland und nicht nur als Deutscher in Amerika einen Nobelpreis bekommen kann. Das ist die Wahrheit.
Es ist doch in keinem Interview mit den beiden Nobelpreisträgern versäumt worden, dreimal nachzufragen, wie oft sie schon darüber nachgedacht hätten, nach Amerika oder sonst wohin zu gehen. Sie haben jedes Mal erklärt, die Großforschungseinrichtungen in Deutschland seien gut. Daran müssen Sie doch nicht herummeckern; das haben Sie doch zum Teil mit gestaltet. Meine Güte, wirklich!
Wir sind dabei nicht am Ende. Wir werden den nächsten IT-Gipfel durchführen und für einen Spitzenclusterwettbewerb sorgen. Vor allen Dingen werden wir - das ist für die Akzeptanz von Forschung und Entwicklung wichtig - Leuchttürme aufbauen: Spitzenprojekte in den Bereichen Klimaforschung, Energieeffizienz, Medizin und Medizintechnik sowie Verkehrsleittechnik.
Je besser die Rahmenbedingungen und Strukturen für Beschäftigung werden, umso stärker macht sich ein neues Problem bemerkbar: Wie sieht es aus mit unseren Fachkräften, mit der Bildungssituation und mit der Ausschöpfung dessen, was wir an menschlicher Kraft in unserer Gesellschaft haben? Deshalb wird auch in den Jahren 2008 und 2009 das Thema Bildung von ganz besonderer Bedeutung sein. Der Ausbildungspakt in diesem Jahr hat gewirkt. Ich bin deshalb auch dagegen, dass wir hier Zwangsabgaben miteinander vereinbaren.
- Mein Gott, wir wissen ja Bescheid.
In diesem Jahr sind 60 000 neue Ausbildungsplätze geschaffen worden; die Wirtschaft hat ihre Versprechungen erfüllt. Trotzdem gibt es noch ein riesiges Problem aus den vergangenen Jahren, weil junge Leute in sogenannten Warteschleifen sind.
Deshalb müssen wir uns überlegen - dies tun wir auch in der Bundesregierung -,
wie wir genau diesen jungen Leuten helfen können; denn es darf uns kein junger Mensch in diesem Lande verloren gehen, zumal dann nicht, wenn wir anschließend wieder über Fachkräftemangel sprechen.
Wir wissen auch über den Zusammenhang von Integration und Ausbildung Bescheid. Wir wissen, was es für die Notwendigkeit der Integration und den Fachkräftebedarf bedeutet, wenn heute in Großstädten die Hälfte aller Kinder bei der Einschulung Kinder mit Migrationshintergrund sind. Daher haben wir eine nationale Qualifizierungsoffensive geschaffen, die wir Schritt für Schritt weiter mit Leben erfüllen werden. Wir müssen und werden auch mit den Ländern über die Schnittstellen zwischen Bildungspolitik der Länder und Ausbildung sprechen; denn es kann nicht sein, dass 80 000 junge Menschen in Deutschland aus der Schule herauskommen und nicht in der Lage sind, anschließend eine Ausbildung aufzunehmen, sodass es die erste Aufgabe der Bundesagentur ist, aus Beitragsgeldern diese jungen Menschen zu qualifizieren. Auch hier werden wir für weitere Fortschritte sorgen.
Wir haben in die Familien investiert - das wird niemand bestreiten -: Elterngeld, Erhöhung der Kinderzulage in der Riester-Rente, um hier mehr Generationengerechtigkeit zu verwirklichen, wesentliche Schritte zum Ausbau der Kinderbetreuung, Hilfe an die Bundesländer bei einer Aufgabe, die wir als national wichtige Aufgabe qualifiziert haben. Aber wir wissen auch, dass uns das Thema Kinderarmut nicht ruhen lassen kann. Wir wollen, dass niemand wegen der Kinder in die Bedürftigkeit fällt; deshalb muss der Kinderzuschlag weiterentwickelt werden.
- Ja, wegen der Kinder nicht in die Bedürftigkeit fällt, Frau Künast. So ist es. -Deshalb werden wir den Kinderzuschlag erhöhen und vereinfachen. Das Bundesfinanzministerium wird im Jahre 2008 turnusmäßig den Existenzminimumbericht vorlegen. Wir werden dann aber nicht ein ganzes Jahr warten, um zu überlegen, was wir zusätzlich für Familien tun können, sondern schnell - im Herbst des Jahres 2008 - daraus die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen und handeln.
Meine Damen und Herren, wir haben es trotzdem mit bedrückenden Zuständen zu tun, wenn wir an Kinder in Deutschland denken. Der Todesfall der verhungerten Lea-Sophie war ein letztes aufrüttelndes Beispiel. Ich sage Ihnen an dieser Stelle ehrlich: Ich halte relativ wenig von diesen schnellen Schuldzuweisungen, wer an welcher Stelle die Verantwortung trägt. Wir stehen vor einer Situation, in der wir denen, die ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden können, helfen müssen, ohne gleich die gesamte Gesellschaft für unmündig zu erklären.
Um hier im föderalen System die richtigen Antworten zu finden, bedarf es der Kraftanstrengung aller. Ich bitte darum, keine schnelle, sondern die richtige Antwort zu finden, um den Kindern in Deutschland wirklich zu helfen.
Es gibt neben der mangelnden Fürsorge für jüngere Menschen, für Kinder, noch etwas, das bedrückend ist. Das ist die Vereinsamung und Vernachlässigung älterer Menschen. Die Pflegereform versucht, auf diese Fragen eine bessere Antwort zu geben, indem wir verstärkte Prüfaufträge und Qualitätsberichte über Pflegeheime einführen, die jeder einsehen kann und über die sich jeder ein Urteil bilden kann, und Kontrollen ermöglichen, bei denen nicht alles vorher angekündigt wird. Ich glaube, das ist ein richtiger Schritt. Deshalb ist die Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung richtig, weil die Pflegeversicherung Menschen in Not, Menschen im Alter und Menschen, die diese Republik aufgebaut haben, hilft. Diesen Weg werden wir auch weitergehen. Ob es Alzheimer, Demenzerkrankung oder vieles andere betrifft: Ich glaube, dass wir mit der Pflegeversicherung einen richtigen Schritt gegangen sind.
Unser vierter Grundsatz lautet, die Zukunft nicht zu verbauen. Das hat etwas mit Klimaschutz und Energiepolitik zu tun, die unauflösbar zusammengehören. In wenigen Tagen findet die Bali-Konferenz statt. Selbst bei kritischster Betrachtung müssen, glaube ich, alle in diesem Hause anerkennen, dass Deutschland beim Klimaschutz sowohl seine Hausaufgaben gemacht hat als auch seine internationalen Aufgaben im Rahmen von G 8 und der EU-Präsidentschaft erledigt hat und wir bei diesem Menschheitsthema ein Riesenstück vorangekommen sind.
Der Bundesumweltminister wird mit einem Maßnahmepaket für nationale Vorhaben, das wir nächste Woche im Kabinett beschließen werden, nach Bali reisen. Ich will daran erinnern - man kann das heute nachlesen -, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Kioto-Abkommen nach allen Voraussagen bis 2012 nachkommen wird. Die Europäische Union ist noch weit davon entfernt, das zu tun. Ich kann uns nur alle auffordern, in der Europäischen Union diese Diskussion verstärkt zu führen. Denn unsere Vorreiterrolle europäischerseits wird in vielfacher Weise infrage gestellt werden, wenn wir unsere eigenen Verpflichtungen aus Kioto in Europa nicht erfüllen. Deshalb wird das auch eine schwierige Diskussion innerhalb der Europäischen Union werden.
Wir haben eine Vielzahl von Maßnahmen vor uns, sowohl auf der europäischen als auch auf der deutschen Ebene. Ich glaube, wir müssen es schaffen - auch darum wird die Diskussion gehen -, die Nachhaltigkeit zu unserem Leitprinzip zu erklären, das heißt Wirtschaftlichkeit, soziale Verträglichkeit und Umweltschutz immer wieder in einen vernünftigen Einklang zu bringen. Darüber wird es im Einzelfall sicherlich auch Diskussionen geben; aber diesen Pfad der Nachhaltigkeit als den Grundpfad unserer Politik anzulegen, halte ich für die richtige Weichenstellung für die Zukunft.
Steigende Preise bei Öl, Gas und Strom versprechen, die Klimadebatte wieder lebendiger zu machen. Ich sage an dieser Stelle - weil dazu manches geäußert wird -: Strom und Energie sind nicht zu billig. Die Menschen im Lande leiden zum Teil darunter. Unsere Ansage muss sein: mehr Energieeffizienz, mehr Energiesparen, Verbrauch senken. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir einen vernünftigen Pfad der Energie finden, auch für unsere nationale Energieversorgung. Ich will nicht verhehlen, dass ich mit einer gewissen Sorge verfolge, welche Formen der Energieversorgung jetzt allesamt auf den Prüfstand kommen. Wenn wir keine Kohlekraftwerke mehr wollen und zudem die Kernkraftwerke abschalten wollen, was nicht meine Position ist - das ist bekannt -, dann sehe ich doch erhebliche Probleme für die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mit mir wird es nicht dazu kommen, dass man überall in Europa Kohlekraftwerke baut, in Deutschland die Kernkraftwerke abschaltet und sich anschließend wundert, dass wir kein Energieerzeugerland mehr sind.
Wir müssen also die globale Herausforderung sehen. Das Klimathema ist ein globales Thema. Das entscheidet sich nicht an der Frage, ob in Saarbrücken oder in Lubmin ein Kohlekraftwerk steht oder nicht, sondern daran, dass wir international, global zu Reduktionen kommen, den Verbrauch senken und die Effizienz steigern. Das muss der Maßstab des Handelns sein.
Meine Damen und Herren, am Thema Klima sehen Sie exemplarisch wie wahrscheinlich an keinem anderen Thema, dass große Herausforderungen der Menschheit heute nicht mehr dadurch zu lösen sind, dass wir Innen- und Außenpolitik als zwei völlig getrennte Bereiche der Politik behandeln. Vielmehr gehört beides zusammen. Die Frage, wie das geistige Eigentum international geschützt wird, und die Frage, wie sich auch die Schwellenländer in die Problematik des Klimawandels einklinken und Verantwortung übernehmen, sind genauso wichtig, und an deren Lösung muss genauso viel gearbeitet werden wie für die Frage, wie wir effiziente Autos bauen und vernünftige Gebäudesanierung durchführen.
Dies erleben wir nicht nur bei dem Thema Klima und im gesamten Bereich der klassischen Außenpolitik, sondern natürlich auch bei der gesamten Sicherheitspolitik, bei der Herausforderung des internationalen Terrorismus und bei der Frage, wie wir ihn in unserem Lande bekämpfen. Deshalb kommen auch hier internationale Kooperation mit unseren Partnern in der Welt zum Tragen, die Öffnung Europas - ich erinnere nur daran, dass jetzt die Grenzübergänge im Rahmen des Schengenabkommens auch in Richtung Mittel- und Osteuropa geöffnet werden - und eine vernünftige Terrorismusbekämpfung in Deutschland, zu der natürlich auch das Projekt der Online-Durchsuchung in unserem Regierungsprogramm hinzukommt.
Deshalb heißt der fünfte Grundsatz: Innen- und Außenpolitik sind nicht mehr zu trennen, sondern sie wachsen zusammen, und dies macht unsere Politik aus.
Meine Damen und Herren, nach zwei Jahren können wir sagen: Der Dreiklang von ?Investieren, Sanieren, Reformieren“
hat sich bewährt. Weil er sich bewährt hat, bleibt er auch die Richtschnur der nächsten zwei Jahre unserer Arbeit. Wir wissen: Nichts von dem, was wir erreicht haben, ist selbstverständlich. Millionen Menschen auf der Welt stehen jeden Morgen auf und überlegen für sich und ihre Länder, wie sie ihren Wohlstand verbessern können. Deshalb wäre es die falsche Antwort - wir können auf die entsprechenden Fragen auch gar nicht mehr allein als Deutschland eine Antwort geben -, die Hände in den Schoß zu legen. Dies ist uns bewusst, aber bewusst ist uns vor allen Dingen, dass diese Große Koalition einen Auftrag hat, den Menschen in Deutschland in diesem globalen Wettbewerb eine gute Perspektive zu geben. Deshalb werden wir unsere Arbeit fortsetzen: entschlossen, geschlossen, gemeinsam ringend um die richtigen Antworten, ja, ringend um die richtigen Antworten, aber mit der Entschlossenheit, für dieses Land etwas zu tun.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst durften wir hier Herrn Brüderle hören. Nur mit zwei Sätzen von ihm will ich mich auseinandersetzen. Sie haben zum einen der Union unterstellt, auch demokratisch-sozialistisch zu sein. Ich glaube, es hilft nichts: Ich muss Ihnen irgendwann einmal erklären, was demokratischer Sozialismus ist.
- Nicht heute, Herr Kauder; Sie können ganz beruhigt sein.
Zum anderen haben Sie gesagt, es gebe glücklicherweise eine Partei in diesem Hause, die ihren wirtschaftlichen Sachverstand nicht an der Garderobe abgegeben hat. Das stimmt: Das ist die Linke. Diesem Satz wollte ich ausdrücklich zustimmen.
- Ich wusste, dass Sie sich freuen. Ich wollte Ihnen am Anfang eine kleine Freude machen. Aber jetzt wird es anders.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, jetzt haben Sie zwei Ankündigungen gemacht, die Sie im Rahmen Ihrer Redezeit nicht werden abarbeiten können. Darauf mache ich vorsichtshalber aufmerksam.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Aber ich bitte darum, dass Sie Ihre Zwischenbemerkung nicht auf meine Redezeit anrechnen.
Frau Bundeskanzlerin, kommen wir einmal zur Außenpolitik. Sie stören sich zum Teil daran, wie China versucht, Weltmacht zu werden, und Russland versucht, wieder Weltmacht zu werden. Sie vergessen nur, darauf hinzuweisen, dass der Westen, und zwar in Form der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder, seinen Anteil daran hat. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Debatten, die wir im Bundestag geführt haben, als man meinte, Bomben auf Belgrad werfen zu müssen, um Menschenrechte herzustellen.
- Ich weiß, Sie wollen davon nichts hören.
Herr Scharping sagte, er werde sich davon nicht durch ein Veto Chinas abhalten lassen. Verstehen Sie, was das Problem ist? Jelzin wollte das nicht. Der Premierminister musste mit seinem Flugzeug umkehren, weil ihn keiner zum Gespräch empfing. Was war denn die Schlussfolgerung der beiden Führungen? Die Schlussfolgerung war eben nicht: Wir ziehen uns bescheiden zurück. Die Schlussfolgerung war vielmehr: Unser Nein oder unser Ja hat nur dann eine Relevanz, wenn dahinter auch Macht steht, nämlich Weltmacht. - Mit dieser Politik haben wir es jetzt zu tun.
Daran hat doch Deutschland seinen Anteil; das können wir doch nicht leugnen.
Nehmen wir die Kriegspolitik; Sie haben dazu kaum etwas gesagt. Ich sage es noch einmal: Sie werden Terrorismus nicht wirksam mit Krieg bekämpfen können. Krieg erzeugt immer neuen Hass und damit neue Bereitschaft zum Terrorismus.
Wenn man sich im Übrigen den Irak, Afghanistan und vor allen Dingen die Drohung der USA in Bezug auf den Iran ansieht, dann weiß man: Es geht immer auch um Ressourcen. Es geht um Erdöl und Erdgas. Als ob wir seit Jahrhunderten nichts dazugelernt hätten! Immer wieder Kriege aus wirtschaftlichen Gründen!
Eine weitere Sache. Ich bin wirklich sehr für Frauenrechte und froh darüber, dass sich in Afghanistan etwas verbessert. Aber ich nehme Ihnen Ihre Ehrlichkeit diesbezüglich nicht ab vor dem Hintergrund, dass der König von Saudi-Arabien hier ist und Sie zu den Frauenrechten kein einziges öffentliches Wort sagen.
Dann geht es mir darum, dass die Schweiz jetzt gesagt hat, sie ziehe ihre Soldaten aus Afghanistan ab. Es gibt drei Felder - das muss ich Ihnen einmal sagen -, auf denen wir von der Schweiz lernen können. Erstens müssen dort alle mit einem Erwerbseinkommen Beiträge - dies bezogen auf ihr vollständiges Einkommen - in die Rentenversicherung einzahlen. Zweitens kennt man in der Schweiz Volksentscheide, und drittens zieht sie ihre Soldaten ab, weil sie sagt: ISAF dient nicht mehr der Friedenssicherung. - In dieser Hinsicht könnte Deutschland etwas schweizerischer werden.
Dann zu den Menschenrechten. Frau Bundeskanzlerin, da hatte ich bei Ihnen wirklich auf eine Änderung gehofft. Man kann ja unterschiedliche Wege gehen. Schröder, Schmidt und andere haben immer gesagt: Wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein, vielleicht in internen Gesprächen, aber nicht öffentlich. - Das ist der eine Weg.
Sie haben in Russland etwas anderes gemacht. Sie haben mit China etwas anderes gemacht. Ein anderer Weg ist, dass man sagt: Ich spreche das öffentlich an, auch wenn Putin dabei ist. - Das kann man machen, Frau Bundeskanzlerin. Aber nun hatte ich gehofft, dass Sie nicht einseitig sind, und habe darauf gewartet, was Sie auf der Ranch von Bush sagen. Da haben Sie öffentlich nichts gesagt, kein Wort zu Guantánamo.
Ich bitte Sie, Frau Bundeskanzlerin: Guantánamo ist eine schwere Menschenrechtsverletzung. Da sitzen Menschen seit Jahren. Sie wissen nicht, wie lange noch. Sie haben keine Verteidiger. Es gibt für sie kein Recht. Sie sind rechtlos. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Sie werden weder als Kriegsgefangene noch als Beschuldigte behandelt.
Der Höhepunkt waren - das muss ich Ihnen sagen - Geheimgefängnisse der CIA in Osteuropa. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Da sitzen Menschen, die gar nicht wissen, wo sie sind. Sie können keine Briefe an Angehörige schicken. Es gibt keinen Verteidiger, keinen zuständigen Richter und keinen zuständigen Staatsanwalt. Sie wissen nicht, ob sie dort ihr Leben lang oder nur kurze Zeit einsitzen. Sie wissen gar nichts. Hätte ein untergegangener Staat so etwas gehabt, wir hätten ganze Kommissionen und Komitees gebildet, um das auszuwerten, und Sie sagen dazu auf der Ranch nicht ein Wörtchen. Das ist nicht hinnehmbar.
Das ist die Einseitigkeit, wie ich sie seit Jahrzehnten kenne. Beim Gegenüber stellt man immer Menschenrechtsverletzungen fest, und bei Freunden schweigt man dazu. Das ist keine Lösung des Problems. Das ist ein instrumentelles Verhältnis zu Menschenrechten.
Aber kommen wir zur Innenpolitik. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den schönen Satz gesagt: ?Der Aufschwung kommt bei den Menschen an, bei immer mehr Menschen.“ Offenbar haben Sie nur Kontakt zu 10 Prozent der Menschen
und zu 90 Prozent der Menschen nicht. Was glauben Sie, was die Rentnerinnen und Rentner denken, wenn sie hören, dass der Aufschwung bei ihnen ankommt? Wir hatten gerade eine Rentensteigerung von 0,5 Prozent und eine Inflation von 3 Prozent. Das macht ein Minus von 2,5 Prozent. Da sind die Rentnerinnen und Rentner aber begeistert von dem Aufschwung!
Sie haben auch einen Satz aufgegriffen, den ich schon von Herrn Kauder kannte. Er hat in der Sendung Hart, aber fair gesagt: Sozial ist alles, was Arbeit schafft, und unsozial ist alles, was Arbeit vernichtet. - Sie machen sich das viel zu einfach. Es gibt auch Arbeit in Unwürde.
Die ist nicht sozial. Wir brauchen gute Arbeit, wir brauchen Arbeit in Würde. Das ist ein großer Unterschied.
Ich will Ihnen einmal sagen, bei wem alles der Aufschwung nicht ankommt. Fangen wir einmal mit der Vermögensverteilung in Deutschland an, bei der die Ungleichheit übrigens unter Ihrer Verantwortung, Frau Bundeskanzlerin, noch zugenommen hat. 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzen zwei Drittel des Vermögens, und zwei Drittel der Bevölkerung besitzen kein Vermögen. Das waren einmal weniger. Der Reichtum hat zugenommen, und die Armut hat zugenommen. Wir sind von sozialer Gerechtigkeit weiter entfernt als zu Beginn Ihrer Koalition. Das ist die Wahrheit.
2,6 Millionen Kinder leben in Armut. Sie haben keinen Satz dazu gesagt, was Sie dagegen tun wollen. 7,4 Millionen Menschen in Deutschland leben - entweder ausschließlich oder zusätzlich - von ALG II. Die merken nichts von dem Aufschwung, gar nichts. Darunter sind 1,3 Millionen Aufstocker. Deren Zahl hat zugenommen. Das muss man sich einmal überlegen - Herr Kauder, Sie sagen, das sei sozial -: Aufstocker sind Leute, die einen Vollzeitjob haben, aber von dem Lohn nicht leben können.
Deshalb müssen sie zusätzlich Sozialleistungen beantragen.
Das ist überhaupt der Gipfel. Sie sagen immer: weniger Staat, mehr Markt. Aber die Risiken der Marktwirtschaft soll der Staat tragen.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen Steuern bezahlen, damit wir die Löhne wieder aufstocken. Das wollen Sie auch noch vertiefen; Sie wollen ja den Kombilohn erst richtig einführen. Ich kann nur sagen: Das ist unserer Meinung nach ein völlig falscher Weg.
Den gesetzlichen Mindestlohn lehnen Sie ab. Der würde das beseitigen. Dann wäre klar, was mindestens gezahlt werden muss. Dann gäbe es keine Aufstocker mehr, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssten nicht zusätzlich Mittel zur Verfügung stellen. Aber das machen Sie nicht, obwohl der Mindestlohn so wichtig wäre. Sie führen ihn nicht einmal bei den Briefzustellerinnen und Briefzustellern ein. Wir haben dafür noch eine Woche im Dezember Zeit; ich bin sehr gespannt, ob Sie in dieser Zeit eine Lösung finden.
Sie haben nichts gegen den Verdacht unternommen, Frau Bundeskanzlerin, dass die beiden Konkurrenzkonzerne, die gerne viel Geld verdienen und an denen Springer beteiligt ist, bei Ihnen vorstellig wurden und gesagt haben, sie wollten den Mindestlohn nicht. Nun muss ich Springer einmal verteidigen. Ich verstehe ja, dass sie mit Billiglöhnen eine hohe Rendite erzielen wollen. Ich verstehe sogar, dass sie Sie anrufen und sagen, dass sie das gerne weiterhin verdienen wollen. Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, dass Sie nicht den Mut und die Kraft haben, zu sagen: Das ist ganz nett, aber wir machen das nicht; wir werden den gesetzlichen Mindestlohn für die Briefzustellerinnen und Briefzusteller einführen.
Das ist das Problem, mit dem wir es zu tun haben.
Zum Kombilohn sagt selbst der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, dass er lieber einen gesetzlichen Mindestlohn hätte als die Lohndrückerei über Kombilöhne. Jeder kann sich vorstellen, was in unserer Wirtschaft passiert, wenn Sie per Gesetz regeln, dass Sie den Rest sowieso immer draufzahlen. Dafür haben wir ja die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Auch die 6,6 Millionen Menschen in Minijobs merken übrigens nichts von Ihrem Aufschwung. Deren Zahl hat ebenfalls zugenommen. Außerdem sind inzwischen 800 000 Menschen in Leiharbeit. Ich sage Ihnen noch einmal: Das ist eine moderne Form der Sklaverei.
Es geht nicht an, dass man zwischen einem Drittel und der Hälfte von dem verdient, was andere für dieselbe Arbeit verdienen. Ebenso geht es nicht an, dass die Stammbelegschaften schrittweise ausgewechselt werden, weil sie über die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter unter Druck gesetzt werden.
- Wir können ja gerne zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommen: Für die ALG-II-Empfänger haben wir einen Weihnachtszuschlag beantragt. Aber die christliche Partei sagt natürlich Nein zum Weihnachtszuschlag. Am 24. Dezember werden Sie aber schwülstige Reden halten. Sie hätten Ja sagen müssen zum Weihnachtszuschlag für ALG-II-Empfänger.
Die Regelsatzerhöhung haben Sie abgelehnt. Die Inflationsrate beträgt 3 Prozent, Sie erhöhen aber trotzdem nicht den ALG-II-Regelsatz. Die Kindergelderhöhung haben Sie verschoben. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier die Entscheidung für das Elterngeld und Frau von der Leyen gewürdigt. Ich muss Ihnen einmal sagen, was da Übles passiert ist: Die Ärmeren bekamen zwei Jahre lang 300 Euro Erziehungsgeld pro Monat. Die Bezugsdauer haben Sie jetzt halbiert. Sie haben dafür gesorgt, dass sie nur ein Jahr lang Elterngeld erhalten. Dafür erhalten die Besserverdienenden bis zu 1 800 Euro Elterngeld pro Monat. Ich sage Ihnen: Das ist die direkteste Umverteilung von Arm zu Reich, die hier je beschlossen worden ist.
Über die Hälfte derjenigen, die Elterngeld beziehen, erhalten nur 300 Euro. Die Bezugsdauer ist aber um zwölf Monate verkürzt worden. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit wirklich überhaupt nichts zu tun.
Zu den Rentnerinnen und Rentnern - ich habe sie ja schon angesprochen -: Sie haben die Formel verändert. Es gibt keine Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner an der Produktivitätsentwicklung mehr. Auch an der Lohnentwicklung sind sie kaum noch beteiligt. Wir haben Nullrunde für Nullrunde gehabt. Real sind das immer Minusrunden, weil es immer Beitrags- und Preissteigerungen gab. Auch in diesem Jahr hatten wir letztlich eine Minusrunde, nichts anderes - das ist doch ganz klar -, weil die Preise viel stärker steigen als die Renten. Es geht den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland - das sind Millionen Menschen - wieder schlechter. Das ist die Wahrheit. Und es wird ihnen auch im nächsten Jahr nicht besser gehen.
Dann haben Sie noch beschlossen, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, das ist doch nichts anderes als eine Rentenkürzung. Sie wollen einfach zwei Jahre lang keine Rente zahlen. Das ist alles, was dahintersteckt.
Die SPD hat da mitgemacht.
Kommen wir nun zur Zwangsverrentung. Frau Bundeskanzlerin, ich appelliere noch einmal an Sie: Wir haben in diesem Jahr noch eine Sitzungswoche. Wir können da noch etwas machen. Ich will das so seicht wie möglich machen.
Diese Zwangsverrentung ist wirklich nicht hinnehmbar. Jährlich sollen 120 000 bis 150 000 Menschen zwangsverrentet werden. Diesen Menschen nimmt man die Entscheidungsfreiheit. Einem älteren Menschen von beispielsweise 60 Jahren, der ALG II erhält, sagen Sie: Du darfst nicht länger ALG II beziehen. Du musst in Frührente gehen, und zwar mit Abzügen, die dein Leben lang gelten. - Ich halte das für grundgesetzwidrig.
Ich habe die Auswirkungen an einem Beispiel ausgerechnet: Nehmen wir einen Durchschnittsverdiener, der 40 Berufsjahre hinter sich hat. Er hätte Anspruch auf eine Rente von 1 051 Euro. Wenn Sie ihn, weil er arbeitslos ist, jetzt zu einer Frühverrentung zwingen und der höchste denkbare Abzug von 18 Prozent greift - das entspricht einem Abzug von 190 Euro -, bekommt er statt 1 051 Euro nur 861 Euro Rente, und zwar auch, wenn er 88 oder 89 Jahre alt ist. Wenn Sie mit einer Rente in dieser Größenordnung leben müssten, wüssten Sie, dass das ein Verlust ist, der einfach nicht hinnehmbar ist. Den Menschen jede Entscheidungsfreiheit zu nehmen, halte ich wirklich für indiskutabel.
Ich appelliere noch einmal an Sie: Es gibt noch eine Sitzungswoche in diesem Jahr. Lassen Sie uns hier eine Lösung finden. Wir sind diesbezüglich für eine namentliche Abstimmung. Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können bei diesem Thema nicht mit der Koalitionsdisziplin kommen. Sie müssen dann jährlich 120 000 bis 150 000 Leuten erklären, warum Sie mit dafür gesorgt haben, dass sie zwangsverrentet werden.
Noch eine Anmerkung, die das Thema Rente betrifft: Schröder hat ja noch die Riester-Rente eingeführt. Mit der Riester-Rente hat man der Wirtschaft im Grunde gesagt: Ihr braucht nicht mehr mitzubezahlen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen das alles alleine bezahlen.
- Moment. - Das ist doch ein großes Geschäft für die privaten Versicherungen. Die privaten Versicherungen haben sich doch als dankbar erwiesen.
Die Allianz-Versicherung hat im Juli 2007 an die CSU 60 001 Euro gespendet, an die CDU 60 001 Euro gespendet, an die SPD 60 001 Euro gespendet und - man höre und staune - an die Grünen 60 001 Euro gespendet. Herr Westerwelle, was Sie falsch gemacht haben, weiß ich nicht.
Sie haben nur 50 001 Euro bekommen. Die Strafe von 10 000 Euro habe ich nicht verstanden. Meine Partei hat gar nichts bekommen.
Ich muss Ihnen sagen: Ich bin froh, dass es noch eine nicht von der Allianz gesponserte Partei im Deutschen Bundestag gibt.
Nun kommen wir zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der Aufschwung soll ja so stark sein. Nehmen wir einmal das Pro-Kopf-Einkommen. Ich habe wirklich gestaunt, als ich die neue OECD-Statistik gelesen habe. Es ist interessant, so etwas zu lesen. Nach dieser neuen OECD-Statistik ist es so, dass wir in Deutschland im Vergleich der 15 alten EU-Mitgliedsländer beim Pro-Kopf-Einkommen auf Platz 11 liegen. Die OECD sagt: Im nächsten Jahr überholt uns Spanien; dann liegen wir auf Platz 12. Darauf sind Sie stolz, Frau Bundeskanzlerin? Das ist wirklich kein Grund, stolz zu sein.
Die UNO hat gestern eine neue Statistik herausgebracht, in der sie feststellt: Wir sind hinsichtlich der Lebensqualität um einen Platz nach hinten gerutscht. Wir sind jetzt auf Platz 22. Im Durchschnitt ist die Lebensqualität in Italien, Spanien und den USA höher als in Deutschland. Das hat die UNO festgestellt, nicht die Linke. Verstehen Sie? Sie reden hier, als ob in Deutschland alles blühend sei. Davon kann doch gar keine Rede sein!
Wir hatten in den letzten zehn Jahren - daran waren übrigens auch Sie beteiligt; seien Sie von der FDP einmal nicht so laut - in Deutschland einen Reallohnverlust von 6 Prozent. In denselben Jahren gab es eine Reallohnsteigerung in Frankreich von 10 Prozent, in den USA von 23 Prozent, in Großbritannien von 24 Prozent und in Schweden von 29 Prozent. Daher resultiert doch unser Abstieg im internationalen Vergleich.
Bei uns boomt nur die Exportwirtschaft, nicht die Binnenwirtschaft. Denn die Kaufkraft ist nicht gestiegen. Was passiert jetzt? Jetzt erleben wir den Verfall des Dollars. Damit kommt die Exportwirtschaft wieder ins Schlingern. Sie haben binnenwirtschaftlich nichts vorbereitet, um dafür einen Ausgleich zu haben.
Jetzt sage ich Ihnen - da werden Sie sich wundern -: Nicht nur für die armen Schichten in Deutschland besteht eine große Gefahr, sondern auch für die Mittelschicht. Sie zerstören die Schicht der durchschnittlich Verdienenden, Sie zerstören die Mittelschicht. Ich nenne Ihnen dafür zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist: Sie wissen, Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet uns übrigens jährlich 11 Milliarden Euro. Das sage ich, damit die Leute einmal wissen, auf wie viel Geld Sie da verzichtet haben. Aber okay, das haben Sie gemacht. Sie haben die Steuer beim Einkommen allerdings nicht linear gestaltet, sondern es gibt einen sogenannten Steuerbauch. Das heißt, dass die durchschnittlich Verdienenden stärker in Anspruch genommen werden, weil Sie bei den Bestverdienenden nachgelassen haben. Damit zerstören Sie sozusagen die Schicht der Normalverdienenden, die Mittelschicht.
Ich komme zum zweiten Beispiel. Das betrifft die Beiträge zur Sozialversicherung, und zwar aus folgendem Grund: Sie alle haben eine Beitragsbemessungsgrenze beschlossen und gesagt: Für ein höheres Einkommen muss man nicht mehr einzahlen. Wenn Sie sagen, für ein höheres Einkommen müsse man nicht mehr einzahlen, dann müssen Sie beim Normalverdienst den Prozentsatz erhöhen, damit das Geld reicht. Wieder trifft es die durchschnittlich Verdienenden. Sie müssen auf ihr ganzes Einkommen Beiträge zahlen, während die Best- und Besserverdienenden nur auf einen Teil ihres Einkommens Beiträge zahlen müssen.
Ich kann Ihnen Punkt für Punkt belegen, wie Sie gerade die durchschnittlich Verdienenden in Deutschland immer stärker zur Kasse bitten. Auch das hat nicht nur die Linke festgestellt, sondern die OECD hat jetzt gesagt, dass die niedrigen und die durchschnittlichen Einkommen in Deutschland im internationalen Vergleich übermäßig stark belastet sind, während die hohen Einkommen im internationalen Vergleich stark entlastet sind. Das ist das Ergebnis der Politik von Union und SPD.
Was hat sich für die Ostdeutschen verbessert? Frau Bundeskanzlerin, auch Sie sind Ostdeutsche. Gibt es einen einzigen Schritt zur Angleichung der Renten, einen einzigen Schritt zur Angleichung der Löhne und Gehälter, einen einzigen Schritt zur Angleichung der Arbeitszeiten? Es gibt ihn nicht. Die Transferleistungen sind vereinbart; das ist okay. Aber davon müsste man - das will ich nicht machen; ich will es nur ansprechen - jetzt wieder abrechnen, dass Sie bei den übrigen Fördertöpfen den Osten immer benachteiligen,
zum Beispiel bei Wissenschaft und Forschung und auf anderen Gebieten.
Es gibt noch eine Schwäche. Sie machen nichts für strukturschwache Regionen, ganz egal ob in Ost oder West. Die Kommunen strukturschwacher Regionen brauchen eine Investitionspauschale, damit sie eigene Wirtschaftskreisläufe in Gang setzen können.
Kommen wir einmal zu den Steuern, weil darüber immer diskutiert wird. Uns wird Populismus vorgeworfen. Dazu muss ich Ihnen etwas sagen. Die Körperschaftsteuer haben Sie allesamt von 45 Prozent auf inzwischen ab 1. Januar 2008 15 Prozent gesenkt. Aber Sie vergessen immer, zu erwähnen, dass die Körperschaftsteuer in Großbritannien 30 Prozent, in Frankreich 33,3 Prozent und in den USA 35 Prozent beträgt.
Ich habe schon gesagt: Den Spitzensteuersatz haben Sie von 53 auf 42 Prozent gesenkt.
Ich erwähne noch einmal, dass ein Unternehmen, das etwas verkauft, eigentlich Steuern auf Veräußerungserlöse zahlen muss. Der Bäckermeister muss heute das Doppelte zahlen, die Deutsche Bank aber gar nichts mehr. Diese Steuer haben Sie unter Schröder einfach gestrichen. Damals haben Sie von der Union gemeckert, wieder eingeführt haben Sie diese Steuer aber nicht.
Es gibt in Deutschland keine Vermögensteuer, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Es gibt in Deutschland keine Börsenumsatzsteuer, wie es in anderen Ländern der Fall ist. Die deutsche Erbschaftsteuer ist lächerlich. Da ich Beispiele liebe, habe ich einmal Folgendes berechnen lassen: Auf ein Firmenvermögen von 4 Millionen Euro zahlt man in Deutschland eine Erbschaftsteuer von 168 000 Euro, in der Schweiz zahlt man 262 000 Euro, in Frankreich zahlt man 660 000 Euro, in den Niederlanden zahlt man 1,2 Millionen Euro, und - gleich fallen Sie wahrscheinlich um - in den USA muss man darauf eine Erbschaftsteuer von umgerechnet 1,6 Millionen Euro zahlen. Unsere Erbschaftsteuer ist lächerlich, aber Sie korrigieren daran so gut wie gar nichts!
Eine Steuer haben Sie allerdings erhöht - das muss man Ihnen lassen -: die Mehrwertsteuer.
Die Mehrwertsteuererhöhung trifft wieder die durchschnittlich Verdienenden, sie trifft die Armen, sie trifft die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeitslosen usw., während es die anderen nicht weiter stört.
Nun komme ich auf das Thema Populismus zu sprechen.
- Für Sie ist soziale Gerechtigkeit populär, für mich auch. Sie sollten allerdings einmal versuchen, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist das Problem, über das wir streiten.
Ich möchte etwas zur durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote in der EU sagen; ich beziehe mich also nicht nur auf die Höhe der Steuern. Damit das niemand vergisst: Diese durchschnittliche Quote, die auch die Steuer- und Abgabenquote der Slowakei, Polens, Lettlands, Litauens, Estlands, Bulgariens und Rumäniens berücksichtigt, liegt bei 40,8 Prozent. Das wirtschaftlich stärkste Land der EU, Deutschland, hat eine Steuer- und Abgabenquote von 36,3 Prozent. Es ist also nicht etwa so, dass Deutschland an der Spitze liegt, wie man es erwarten würde, sondern wir liegen sogar unter dem Durchschnitt. Würde Deutschland bei dem, was ich gerade genannt habe, im europäischen Durchschnitt liegen, dann hätten wir jährliche Mehreinnahmen von 120 Milliarden Euro.
Damit ließe sich all das bezahlen, was wir vorgeschlagen haben. Genau das lehnen Sie aber ab.
Wie ich gehört habe, hat die SPD einen Linksruck hinter sich,
weil sie eine geringe Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I beschlossen hat. Ich erinnere daran, dass Union und FDP einmal eine 32-monatige Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I eingeführt haben, nicht bloß eine 24-monatige. Wenn die Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I auf 24 Monate einen Linksruck bedeutet, dann müssen Union und FDP damals wohl linksextremistisch gewesen sein. Vor diesem Ruf will ich Sie aber in Schutz nehmen!
Sie haben den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, und zwar zunächst von 6,5 Prozent auf 4,2 Prozent und jetzt von 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent; damit will ich mich heute allerdings nicht näher auseinandersetzen.
Da nach einem Aufschwung immer ein Abschwung folgt, möchte ich Sie nur fragen: Was machen Sie im Abschwung,
also dann, wenn die Arbeitslosenzahlen wieder steigen? Ich kann mir schon jetzt vorstellen, dass es in den Debatten, die wir dann führen werden, wieder heißen wird: Wir können doch die Beitragssätze nicht erhöhen. Wir müssen also die Leistungen kürzen. - Das, was Sie hier beschlossen haben, wird sich für die Arbeitslosen wieder nachteilig auswirken.
Eine Entwicklung ist mittlerweile allen deutlich geworden - das ist übrigens eine vernünftige Entwicklung -: Je stärker die Linke ist, desto sozialdemokratischer wird die SPD.
Je stärker die Linke ist, desto sozialer und friedenspolitisch engagierter werden die Grünen. Nur bei der Union erleben wir die umgekehrte Entwicklung: Die CDU hat für ihren Parteitag einen Leitantrag beschlossen, in dem gefordert wird: -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, denken Sie bitte an die Redezeit.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
- kein Mindestlohn, keine Einschränkung der Zeitarbeit, keine Einheitsschule! - Frau Bundeskanzlerin, wir beide haben eine Gemeinschaftsschule besucht. So schlecht sind wir doch gar nicht ausgebildet!
Damit haben Sie sich dagegen entschieden, bei der Bildung für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Außerdem haben Sie sich gegen ein Aufweichen der Rente mit 67 gewandt. Mit anderen Worten: Sie wollen die Armut erhöhen und den Reichtum stärken. Genau das ist nicht unsere Linie. Deshalb bin ich froh, dass es in diesem Hause eine linke Opposition gibt.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Peter Struck ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Dr. Peter Struck (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Politik nur so einfach wäre, wie der Kollege Gysi es gerade dargestellt hat: höhere Rente, weniger Steuern, keine weiteren Abgaben. So kann man Politik nicht machen, Herr Kollege Gysi. So kann sich ein Land wie Deutschland nicht verhalten.
Wir haben einmal durchgerechnet, was die Verwirklichung Ihrer Vorstellungen und Ihrer politischen Alternativen zum Haushalt, die Sie auch in den Debatten hier im Bundestag vorgetragen haben, kosten würde.
Ich kann Ihnen nachweisen, Herr Kollege Gysi - und zwar nicht so flach, wie Sie es hier darstellen, sondern fundiert -, dass die Verwirklichung Ihrer Vorschläge 150 Milliarden Euro Mehrausgaben pro Jahr für den Staat bedeuten würde. Das ist nicht finanzierbar; das ist doch völlig klar. Sie versprechen eine Politik nach dem Motto: ?Im Himmel ist Jahrmarkt; ich führe euch alle hin.“ So kann man unser Land doch nicht regieren. Das geht nicht.
Natürlich wären auch wir für eine Rentenerhöhung. Natürlich wären auch wir dafür, vieles anders und besser zu machen. Aber es muss auch finanziell möglich sein; es muss auch darstellbar sein. Das, was Sie hier als Alternative vorlegen, ist keine Alternative.
Zu zwei Punkten, die Sie mit Recht angesprochen haben, will ich ganz konkret etwas sagen, weil wir darüber Gespräche führen. Die Koalitionsfraktionen sind mit der Bundesregierung im Gespräch über eine Neuregelung der Frühverrentung. Sie haben das Thema angesprochen. Gehen Sie davon aus, dass wir noch in der nächsten Sitzungswoche dazu ein Gesetz beschließen werden, das den Menschen, die davon betroffen wären, hilft. Die Koalition ist sich darin einig. Das ist ein großer Erfolg für unsere gemeinsame Arbeit und auch für den neuen Arbeitsminister Olaf Scholz, meine Damen und Herren.
Wir werden Ihnen unsere Entscheidung dazu in der nächsten Woche mitteilen, und wir werden in der nächsten Sitzungswoche im Bundestag auch eine entsprechende Regelung beschließen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten, die mir heute sehr gut gefallen hat. Das ist ja nicht immer so.
- Ich habe es ja gesagt: Es ist nicht immer so. - Trotzdem kann ich es sagen: Ich unterstütze Ihre Politik, so wie Sie sie dargestellt haben, voll und ganz, wenngleich wir natürlich in manchen Fragen schon noch Differenzen haben. Das ist ja auch kein Geheimnis.
Ich will ein Thema offen ansprechen. Wir haben unterschiedliche Auffassungen zum Thema Mindestlohn. Die SPD ist der Meinung, dass es in Deutschland einen Mindestlohn geben muss. Sie ist der Meinung, dass jemand, der den ganzen Tag arbeitet, auch davon leben können muss, ohne Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.
- Die Union klatscht nicht. Sie sieht das anders. Das ist normal in einer Koalition. Wir müssen über bestimmte Dinge reden, um herauszufinden, wo es Möglichkeiten für eine Einigung gibt.
Wir hatten eine schwierige Debatte zum Thema Postmindestlohn, die nach dem jetzigen Stand noch nicht beendet ist. Ich gehe davon aus, dass wir in den anstehenden Gesprächen die große Chance haben, doch noch eine Einigung über einen Postmindestlohn zu erreichen, sodass der Deutsche Bundestag in der nächsten Sitzungswoche beschließen kann, die Briefdienstleister in das Entsendegesetz aufzunehmen. Das wäre ein Erfolg für alle, die in diesen Unternehmen beschäftigt sind. Wir haben einen guten Weg verabredet. Davon können wir ausgehen.
Ich weiß, dass dazu noch Gespräche unter den Beteiligten zu führen sind, aber wir sind auf einem guten Wege.
Die Kanzlerin hat dargestellt, dass eine Reihe von Branchen beim Arbeitsminister Anträge auf Aufnahme in das Entsendegesetz stellen können, zum Beispiel das Bewachungsgewerbe, Zeitarbeitsfirmen, Gartenbaufirmen und viele andere. Ich bin schon der Auffassung, dass wir eine Regelung finden müssen, um diesen Branchen zu helfen. Es geht ja nicht nur darum - das ist mein erster Ansatz -, dass die Menschen für die harte Arbeit, die sie leisten, einen ordentlichen Lohn bekommen, sondern es geht mir auch um die Unternehmen und die Unternehmer, die darunter leiden, dass andere ihnen über Dumpinglöhne die Aufträge wegnehmen. Es gibt also ein beiderseitiges Interesse, einen bestimmten gesetzlichen Mindestlohn zu vereinbaren. Wir lassen von diesem Thema jedenfalls nicht ab, meine Damen und Herren, wenn es sein muss, bis zur Bundestagswahl im Jahre 2009.
Im Bereich des Arbeitsmarktes macht mir ein Problem große Sorgen: die Ausweitung der Leiharbeit in Deutschland. Wenn ich höre, dass in einem großen Automobilwerk in Ostdeutschland inzwischen 40 Prozent der Beschäftigten über Leiharbeitsfirmen in dieses Unternehmen gehen, dann ist in Deutschland etwas nicht in Ordnung.
Leiharbeit war gedacht als Möglichkeit, in bestimmten Sondersituationen zusätzliches Personal zu beschäftigen, mit dem die Firmen nicht dauerhaft belastet sind. Leiharbeit bedeutet aber nicht, dass normale Arbeitsplätze outgesourct werden und die Kollegen die gleiche Arbeit wie vorher zu schlechteren Bedingungen leisten. Das darf nicht sein, das wollen wir ändern.
Wir haben darüber gesprochen, wie lange das Arbeitslosengeld I gezahlt werden soll. Das ist, wie Sie wissen, eine schwierige Debatte, auch in meiner Partei und in meiner Fraktion. Ich will an dieser Stelle ein Wort zu Franz Müntefering sagen, der heute nicht mehr hier ist. Ich danke Franz Müntefering, der als Arbeits- und Sozialminister viel bewegt hat in unserem Land. Ich glaube, da spreche ich nicht nur für meine Fraktion, sondern auch für viele andere in diesem Haus.
Die Kanzlerin hat zum Thema Arbeitslosengeld I das Richtige gesagt. Es ging nach meiner Auffassung auch darum, dass man zum Beispiel den Menschen, die älter als 60 Jahre sind und lange eingezahlt haben, das Gefühl vermitteln muss, dass sie anders behandelt werden als diejenigen, die weniger eingezahlt haben und jünger sind. Das heißt, der Übergang von ALG I zu ALG II sollte nicht so abrupt sein. Wir haben eine Regelung dafür gefunden. Ich hoffe, dass die Menschen das auch in Anspruch nehmen. Wir wissen genau, dass wir im Augenblick die Chance haben, bessere Vermittlungsmöglichkeiten für ältere Arbeitslose zu erreichen. Die Zahlen sind genannt worden. Wir sind auf einem guten Weg. Es war eine schwierige Debatte; aber das Ergebnis, das die Koalition hier erreicht hat, ist ein gutes Ergebnis. Wir haben dazu Arbeitsminister Olaf Scholz den Auftrag gegeben, ein entsprechendes Gesetz vorzubereiten. Die SPD-Fraktion geht davon aus, dass dieses Gesetz eine solche Wirkung entfaltet, auch rückwirkend, dass die, die gemeinhin davon betroffen sind, von dieser Verbesserung beim Arbeitslosengeld I etwas haben.
Es gibt einen Kommunalkombi, es gibt viele Förderungsinstrumente. Ich finde es richtig, dass vereinbart worden ist, dass der Arbeitsminister uns einen Vorschlag macht, wie man die Zahl der vielen Förderinstrumente der Arbeitspolitik komprimieren kann. Das Ministerium ist dabei, und wir werden in Kürze etwas vorlegen. Ein Kommunalkombi für Kommunen, die eine höhere Arbeitslosigkeit als 15 Prozent haben, ist absolut richtig. Das hat eine gute Steuerungswirkung, gerade im Osten, Kollege Gysi. Auch da müssen wir solche Förderungsmaßnahmen ansetzen. Es gibt gar keinen Zweifel, dass wir das tun werden.
Wir - auch die Kanzlerin und andere - haben viel über die Zukunft geredet. Was sind die Zukunftsfragen des Landes? Ich glaube, die Große Koalition hat wegen der breiten Mehrheit, die wir hier haben, und wegen ihrer breiten Mehrheit im Bundesrat eine große Verantwortung. Das kann übrigens nicht heißen, dass wir die nächsten beiden Jahre, weil angeblich alles abgearbeitet sei, nur Wahlkampf machen. Das würden uns die Menschen nicht verzeihen. Wir sind für andere Aufgaben gewählt worden: etwas für die Menschen in Deutschland zu tun.
Ich nehme als Beispiel die Kinder. Wir haben hier eine Menge gemacht, zum Beispiel das Elterngeld eingeführt. Wir diskutieren über den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz
und werden den Gesetzentwurf von Frau von der Leyen, der auf dem Weg ist, in Kürze, denke ich, verabschieden. Es ist ein großer Erfolg, dass wir ab dem Jahr 2011 750 000 Plätze in Krippen haben werden und der Bund dies mitfinanziert. Normalerweise ist das nämlich keine Aufgabe des Bundes.
Wir diskutieren das gerade in der Föderalismuskommission; dazu komme ich noch. Dass wir als Bund bereit sind, Geld zu geben, damit Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für ihre Kinder bekommen, ist ein großer Erfolg.
Wir führen eine Debatte über das Betreuungsgeld. Ein Partner in der Koalition will auf jeden Fall ein Betreuungsgeld festlegen, und zwar schon jetzt. Ich sage dazu:
Es ist völlig klar, dass über die Frage, ob es ein Betreuungsgeld gibt für die Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Krippe geben wollen, im Jahre 2013 entschieden wird - nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten Jahr. Das muss klar sein.
Im Übrigen will ich auch an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass ich Frau von der Leyens Politik in vielen Fällen fast hundertprozentig unterstütze, nämlich weil sie die gleiche Politik macht, wie sie Renate Schmidt gemacht hat.
Das werden Sie nicht bestreiten, Frau von der Leyen. Ich glaube, Sie haben bei uns manchmal mehr Unterstützung als in Ihrer eigenen Fraktion oder in Ihrer eigenen Partei. Aber das ist ja egal, das Ergebnis zählt, und das ist ein gutes.
Wir haben in der letzten Koalitionsrunde über einen Erwerbstätigenzuschuss diskutiert und eine Vereinbarung getroffen, dafür aus den Mitteln der Bundesagentur mehr als 1 Milliarde Euro bereitzustellen sowie 200 Millionen Euro für einen Kinderzuschlag, also besondere Leistungen für besonders förderungsbedürftige Familien.
Wir haben natürlich über die üblichen Punkte zu diskutieren. Die Opposition sagt, wir müssten das Kindergeld erhöhen. Ein entsprechendes Verfahren gibt es schon. Eine Frage dazu möchte ich hier aber doch öffentlich stellen - wir sind hier ja in der Öffentlichkeit -: Ist es sinnvoll, das Kindergeld, wenn es an der Zeit ist, um 6 Euro oder um 10 Euro zu erhöhen, oder ist es nicht besser, dieses Geld für besondere Anforderungen, die im Bereich der Familienförderung entstehen, bereitzustellen? Als Beispiel nenne ich ein Schulpaket. Wir wollen, dass auch die Kinder von Eltern, von denen wir wissen, dass sie das Kindergeld nicht für die Zwecke benutzen, für die es gedacht ist, eine Hilfe erhalten.
Wir wollen zum Beispiel eine Schulspeisung und ein Schulpaket ermöglichen, sodass Kinder beispielsweise auch in die Schule gebracht werden. Darüber werden wir noch debattieren.
Ich sage nicht, dass manche Eltern nicht mit ihren Kindern umgehen können. Wie könnte ich das sagen? Ich weiß aber auch, dass es Situationen gibt, in denen der Staat zum Beispiel auch über eine solche Maßnahme regulierend eingreifen muss. Es ist strittig, und wir werden darüber diskutieren. Ich bin aber optimistisch, dass wir das schaffen.
Zur Nachhaltigkeit und zur Zukunftssicherung gehört natürlich auch die Finanzpolitik. Das ist gar keine Frage. Herr Kollege Gysi, was Sie zu den Finanzen gesagt haben, ist schon sehr absurd. Es ist klar, dass wir beim Abbau der Neuverschuldung auf einem guten Weg sind. Ich möchte wissen, was Sie gesagt hätten - oder was der Kollege Westerwelle sagen würde, der ja noch reden wird -, wenn wir nicht eine so geringe Nettokreditaufnahme hätten. Wir sind stolz darauf, dass es mit Steinbrück und den Haushältern gelungen ist, die Nettokreditaufnahme auf unter 12 Milliarden Euro zu drücken. Das ist ein großer Erfolg. Bis 2011 wollen wir bei null sein.
Dass wir die Schulden abbauen müssen, ist doch völlig klar. Wir haben jetzt eine jährliche Zinslast von 43 Milliarden Euro. Man kann nicht wie Gysi und andere, zum Beispiel die FDP - hier sind Sie sich ja einig -, einfach nur fordern, die Steuern zu senken. Das geht doch gar nicht. Das ist überhaupt nicht möglich.
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Situation auch rechtlich in den Griff bekommen.
Sie alle wissen, dass wir in der Föderalismuskommission II über genau diese Frage diskutieren: Wie können wir eine Schuldengrenze einbauen? - Kollege Burgbacher ist gerade nicht da, aber ich sehe im Augenblick eine breite Übereinstimmung im Parlament, dass wir im Zuge der Neuordnung des Art. 115 Grundgesetz hierzu etwas tun werden. Wir als Bundespolitiker erwarten von den Landespolitikern in dieser Kommission, dass eine Regelung hinsichtlich der Begrenzung der Nettokreditaufnahme, die wir festlegen, möglichst auch auf die Länderhaushalte übertragen wird. Das wäre ein guter Weg. Ob man das schafft, weiß ich nicht. Kollege Günther Oettinger und ich wollen als Vorsitzende dieser Kommission Anfang des Jahres einen Vorschlag dazu vorlegen.
Zu zwei Bereichen will ich noch etwas sagen. Zunächst zum Thema Klimaschutz. Umweltminister Sigmar Gabriel macht eine ordentliche Arbeit. Ich hoffe, dass sich das auch dann auszahlen wird, wenn wir hier im Parlament über die Umsetzung der Gesetze zu diskutieren haben.
Das KWK, das EEG und andere Gesetze sind vorgelegt worden. Es ist ein bisschen schwer, den Menschen zu erklären, was das alles heißt. Man kann es meiner Meinung nach so zusammenfassen: Wenn man eine Veranstaltung zum Thema Klimaschutz durchführt, muss man betonen, dass das das Zukunftsproblem ist.
Ich will hinzufügen: Wenn ich nicht so alt wäre, würde ich mir gerne noch einen Traum verwirklichen.
- Nein, warte einmal ab, was ich sagen will. - Ich würde die Erde gerne einmal vom Weltraum aus sehen.
Das Geld dafür habe ich nicht, und das Alter ist auch schon hoch. Ich kann mich erinnern, dass Gagarin, der erste Mensch, der im Weltraum war, das auch einmal gesagt hat: Wenn man sich die Erde vom Weltraum aus anschaut, dann fragt man sich schon, warum wir die Erde durch Klimaverschmutzung und Kriege kaputtmachen.
Wie gehen wir mit unserem Planeten um?
Deshalb sage ich - das möchte ich deutlich festhalten -: Wir haben gegenüber unseren Enkeln, Urenkeln usw. eine Verantwortung dafür, dass wir ihnen einen ordentlichen Planeten hinterlassen.
Das heißt übrigens auch, dass wir heute damit anfangen müssen, uns einzuschränken. Das ist doch völlig klar. Die Kanzlerin hat es gesagt: Wir müssen Energie sparen. Wir müssen effizienter mit Energie umgehen. Wir müssen alternative Energien nutzen. Das alles geht allerdings auch nicht an dem Geldbeutel der normalen Menschen vorbei; überhaupt nicht.
Wir werden Schwierigkeiten mit der Automobillobby und den Gewerkschaften, die die dort Beschäftigten vertreten, haben, wenn wir jetzt sagen: Ihr müsst andere Autos bauen. - Natürlich müssen wir andere Autos haben. Wir müssen auch über ein Tempolimit diskutieren. Das haben wir ja diskutiert. Irgendwann kommt es auch. Da gebe ich Fritz Kuhn recht: Das kommt irgendwann.
Es stellt ja wirklich eine Möglichkeit dar, Energie einzusparen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es richtig ist, das zu machen.
Frau Kanzlerin, Sie haben dankenswerterweise gesagt - es ist auch gut, dass wir da mit offenen Karten spielen -, dass wir unterschiedliche Auffassungen zum Thema Kernenergie haben. Dabei bleibt es auch. Die SPD wird sich nicht vom Ausstieg aus der Atomenergie abbringen lassen. Er ist unverrückbar. Daran werden wir nicht rütteln.
Sie haben eine andere Auffassung dazu. Man muss sehen, ob Sie dann eine andere Regierung bilden können oder ob wir eine andere Regierung bilden. Auf jeden Fall bleibt es bei dem Ausstieg aus der Kernenergie. Das ist im Übrigen auch ein Hinweis darauf, wie man Energiepolitik in Deutschland machen muss: mit Steigerung der Effizienz, Einsparungen und alternativen Energien.
Zur Außenpolitik nur einige Worte: Weil dieses Thema aktuell ansteht, danke ich zunächst Außenminister Steinmeier für seine Beteiligung an der Annapolis-Konferenz. Ich glaube, es war wichtig, dass auf Anregung von Herrn Steinmeier Syrien beteiligt worden ist. Ohne Syrien passiert in dieser Region nämlich gar nichts; das wissen wir. Das ist ein großer Erfolg, den Sie erreicht haben, Herr Außenminister.
Ich beschäftige mich lange Jahre mit Israel. Ich bin auch Vorsitzender des Gesprächskreises Israel meiner Fraktion und bin oft in diesem Land. Ich glaube, viele Unwägbarkeiten und Gefahren in dieser Region gehen von diesem ungelösten Konflikt aus. Daran hängt dann alles: Iran, Irak - Greater Middle East.
Von Präsident Bush ist wieder ein Versuch unternommen worden. Wir begrüßen das. Was Europa bzw. Deutschland dazu leisten kann, soll es auch leisten, um diesen Prozess mit zu beschleunigen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, das gemeinsam tun werden. Wir, die Koalitionsfraktionen, unterstützen jedenfalls diesen Weg. Dabei ist völlig klar, dass auch für uns das Existenzrecht Israels überhaupt nicht auf dem Spiel steht - überhaupt nicht, meine Damen und Herren.
Ich sage: Große Koalition heißt große Verantwortung. Ja, wofür denn eigentlich? Für die Sicherheit vieler Menschen.
Was erwarten sie? Sie erwarten Sicherheit vor Krankheit. Was also passiert mit ihnen, wenn sie krank werden? Da haben wir mit der Gesundheitsreform einen Versuch gemacht. Er ist nicht ganz gelungen. Ulla Schmidt und ich und andere in meiner Fraktion sagen: Wir wollen eine Bürgerversicherung. - Die Union sagt: Wir wollen eine Kopfpauschale. - Der Streit war nicht zu entscheiden. Trotzdem haben wir mit der Gesundheitsreform einen guten Weg gefunden, die Krankenversicherungsbeiträge zumindest für die nächsten Jahre stabil zu halten.
Was erwarten sie noch? Sie erwarten Sicherheit vor Arbeitslosigkeit. Dazu habe ich einiges gesagt. Die von uns vorgelegten Programme können sich sehen lassen, finde ich. Wir dürfen damit aber nicht aufhören. Natürlich wollen wir um die unter 25-jährigen Arbeitslosen kämpfen. Dafür werden Programme vorgelegt. Die Anzahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss wird ja immer größer. Auch da werden wir Akzente setzen. Ich sage zu diesem Bereich: Es ist gut, dass wir einerseits Geld für die Förderung von Kleinkindern in die Hand nehmen, andererseits aber auch Geld für besondere Programme wie ?U 25“ in die Hand nehmen.
Ich füge gleich an - auch mit einem gewissen Stolz auf die Leistung zunächst der SPD-Fraktion und anschließend von Frau Schavan -: Dass wir das BAföG erhöht haben, ist auch ein großer Erfolg, der zur Verbesserung der Bildungschancen in Deutschland beiträgt.
Die Menschen erwarten auch Sicherheit vor der Situation, dass sie zu einem Pflegefall werden.
Dazu haben wir auch etwas beschlossen. Es wird umgesetzt. Ich habe bei vielen Veranstaltungen zu diesem Thema gelernt, dass die Kinder, die heute geboren werden - mein jüngstes Enkelkind ist ein knappes Jahr alt -, eine Lebenserwartung zwischen 80 und 90 Jahren haben - vielleicht noch mehr.
- Ja, Mädchen von 100 Jahren. - Man muss sich doch auf diese Situation einstellen und darf nicht einfach den folgenden Satz daneben stellen, den ein befreundeter Arzt, auf die Frage, was man gegen Demenz und Alzheimer tun könne, als Antwort gab, nämlich: Früher sterben. - Die Entwicklung, dass die Menschen zunehmend älter werden, fordert die Politik massiv heraus. Wir haben dazu Vorschläge vorgelegt, auch was die Pflegeversicherung angeht. Das können aber nur erste Schritte sein. Hier müssen wir mehr tun.
Letzter Punkt. Die Menschen erwarten äußere und innere Sicherheit vor Terror. Ich glaube, dass das, was die Bundeswehr im Ausland - in Afghanistan, Dschibuti und anderswo - leistet, ein hervorragender Beitrag auch zur Stärkung der Sicherheit in unserem Land ist. Ich bleibe bei meinem Satz: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt. Der Satz ist richtig.
Ich bedauere, dass manche diesen Weg überhaupt nicht mitgehen können. Was wir in Afghanistan machen, ist kein Krieg, absolut nicht, Herr Kollege Gysi. Sie müssen nur mit den Menschen dort reden. Dann wüssten Sie es.
Ihre Bemerkung zu Jugoslawien und Milo¨evic war ja nichts anderes als peinlich. Da haben Sie einen ganz dunklen Fleck auf Ihrer Weste.
Die Menschen erwarten auch Sicherheit im Innern. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Vor Selbstmordanschlägen ist niemand in Deutschland geschützt. Der Staat kann nicht neben jeden Menschen jemanden stellen, der kontrolliert. Das ist völlig ausgeschlossen. Das muss man wissen. Aber wir können natürlich die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, die sicherstellen, dass wir möglichst viel im Griff behalten. Ich habe überhaupt keinen Grund, an der Arbeit der Sicherheitsorgane - Bundeskriminalamt, Bundesamt für Verfassungsschutz, Landeskriminalämter usw. - zu zweifeln. Ich will diesen Organen das Instrument der Onlinedurchsuchung geben, allerdings unter engen rechtsstaatlichen Bedingungen. Die Freiheit der Bürger in Deutschland ist ebenfalls ein hohes Gut, das wir bewahren müssen, wenn es um die innere Sicherheit geht.
Herr Schäuble und ich haben lange Debatten über den Einsatz der Bundeswehr im Innern geführt, auch hier im Plenum. Ich will deutlich festhalten, Herr Kollege Volker Kauder: Sie können die Änderung des Art. 87 a des Grundgesetzes so oft fordern, wie Sie wollen, die SPD wird die Bundeswehr im Innern nicht einsetzen.
Das ist ein Thema, bei dem wir kein Einvernehmen erzielen können. Also müssen wir uns damit befassen, wenn es wieder auf der Agenda steht. Mit uns ist diese Änderung jedenfalls nicht zu machen.
Ein persönlicher Abschluss: Wir haben jetzt zwei Jahre Große Koalition hinter uns. Der Anfang war schwierig, weil die Unterschiede ein bisschen größer waren, als wir alle gedacht haben.
Trotzdem kann sich das, was wir in den zwei Jahren geleistet haben, sehen lassen. Unser Land ist auf einem guten Weg. Auf diesem guten Weg werden wir weitergehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Renate Künast, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Merkel, Herr Struck, das waren zwei bemerkenswerte Reden, die sich durch Selbstbeweihräucherung und ewige Wiederholungen wie bei einer tibetanischen Gebetsmühle ausgezeichnet haben. Sie haben gesagt, wir seien auf einem guten Weg, und uns erklärt, was Sie wollen und tun werden. Aber Sie haben nichts Konkretes gesagt. Sie haben nicht gesagt, wie Sie dieses Land - auch mithilfe des Haushaltes 2008 - weiter umbauen wollen. Ein Totalausfall war das heute Morgen.
Sie haben wiederholt auf den Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren hingewiesen. Darüber muss ich wirklich lachen
angesichts der Tatsachen, dass Sie in zwei Jahren 50 Milliarden Euro mehr Steuern einnehmen, aber die Neuverschuldung gerade einmal um 28 Milliarden Euro senken, oder dass die Einnahmen um 2,7 Prozent steigen, aber die Ausgaben um 4 Prozent steigen. Ich habe zwar keinen Nobelpreis für Mathematik
und viele draußen auch nicht, aber ich weiß, dass das nicht Sanieren ist. Sie leben vielmehr über Ihre Verhältnisse und auf Kosten folgender Generationen.
Das haben Sie, Frau Merkel, dadurch organisiert, dass Sie am Anfang der Legislaturperiode den Bürgerinnen und Bürgern durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ordentlich in die Tasche gegriffen haben. Das verteuerte den Lebensalltag. Wir alle sehen doch, dass im Augenblick die Teuerungsrate steigt und das Geld immer weniger wert ist. Da können Sie doch nicht behaupten, Sie seien auf einem guten Weg, oder von Wohlstand für alle reden. Die Menschen haben faktisch weniger, und Sie helfen ihnen nicht aus ihrer Lage heraus.
Was mich ärgert, wenn ich den Haushalt betrachte, ist, dass man keinen Mut hat, an der einen oder anderen Stelle Subventionen zu streichen.
In diesem Land werden immer noch Dienstwagen in einer Größenordnung von bis zu 50 000 Euro subventioniert, es gibt immer noch Ausnahmen von der Ökosteuer, und es gibt immer noch den faulen Kohlekompromiss. Sie verstecken sich hinter dem Ruhekissen einer noch funktionierenden Konjunktur, aber saniert wird hier gar nichts.
Sie haben - das haben die Reden gezeigt - überhaupt kein gemeinsames Leitbild und gar keine gemeinsamen Werte. Das Wohin ist gar nicht definiert. Es geht schlicht und einfach darum, diese Legislaturperiode bis zum Jahr 2009 irgendwie auszuhalten. Aber in Zeiten der Globalisierung, des demografischen Wandels, des Klimawandels und anderer existenzieller Fragen haben Sie nach zwei Jahren nicht einmal eine Vision, wohin dieses Land soll und wie Sie an das Ziel kommen wollen. Ihr Motto ist: Weiter so und durchwurschteln.
Wer sich um dieses Land Gedanken macht, muss sich die zentrale Frage stellen, wie wir 2010, 2020 oder 2030 leben wollen. Die richtige Antwort darauf gab nicht die Rede von Herrn Struck als Ergänzung zu der der Kanzlerin. Ich habe in diesen Wochen nur eine wirkliche Beschreibung von Frau Merkel gelesen, und das war die in Newsweek. Newsweek hat sie als ?Lost Leader“ betitelt, also als ?verlorene Führerin“. Sie, Frau Merkel, sind keine Reformkanzlerin, auch wenn Sie sich hin und wieder so gerieren. Sie repräsentieren - schade für Herrn Köhler; dieses Amt war ja eigentlich schon vergeben -, ein Foto ist schöner als das andere, Sie sagen die Dinge so schön, Frau Bundeskanzlerin, aber am Ende ist das alles nichts anderes als ganz großes Kino. Dabei bleibt die Reform des Landes auf der Strecke.
Ich will Ihnen auch sagen, warum das so ist. Es gibt immer wieder verbal, in schöne Worte gefasst, eine ganz große und radikale Aufgabendefinition. Dem folgt aber am Ende nie eine radikale Praxis, dem folgt nie der angemessene radikale Wandel, der Umbau der Strukturen. Aber wir wissen: Wenn Sie das Land umbauen und wirklich Klimaschutz betreiben wollen, dann müssen Sie sich an diesen radikalen Wandel machen, dann müssen Sie die Oligopole auflösen, und dann müssen Sie eine dezentrale Energiewirtschaft schaffen, sonst erreichen Sie das propagierte Ziel von minus 40 Prozent nie im Leben.
Sie wissen doch sehr gut, dass Sie mit der Denkweise und den Strukturen von gestern oder heute dieses Land und diese Welt nicht ändern können. Sie müssen den Mut haben, etwas Neues zu denken: Denken Sie die CO2-freie Gesellschaft!
- Dass Sie von der FDP wieder hinter der Zeit sind, weiß auch ich.
Bei Ihnen zählt nicht die Zukunft, sondern es zählen Steuersenkungen für die, die schon haben. - Wir müssen lernen eine CO2-freie Gesellschaft zu denken, um zu wissen, wie die Städte funktionieren sollen, wie wir produzieren und wie wir Mobilität herstellen können.
Frau Merkel hat sich ja mit vielen Beratern umgeben. Einer der Berater für Klimaschutz ist Professor Schellnhuber. Der hat nicht weniger gesagt als:
Es geht um die Neuerfindung der modernen Welt. Der Klimawandel kann nur aufgehalten werden, wenn sich die Gesellschaften weltweit so radikal ändern wie zuletzt im 19. Jahrhundert.
Wenn man Schellnhuber, dem Kanzlerinberater, folgen will, reicht es eben nicht, bei der UN zu sagen, bis 2050 müssen wir die CO2-Emissionen um 50 Prozent reduzieren, sondern dann muss man hier und jetzt anfangen und den Mut haben, den Vorständen bei den Automobilkonzernen und den Vorständen bei den vier Energieversorgern auch einmal reinen Wein einzuschenken und von ihnen zu verlangen, sich zu verändern. Sonst ist Ihre Politik ein Potemkinsches Dorf.
- Wer war denn der Zwischenrufer von der FDP? Wissen Sie was, kleiner Nachhilfeunterricht: Klicken Sie einmal im Internet an, welche Forschungsaufträge die Europäische Union vergibt. Dann kommen auch Sie von der FDP endlich im Jahr 2007 an. Bei allen jetzt ausgelobten Forschungsaufträgen geht es um ?carbon-free society“. - Guten Morgen, FDP!
- Dafür, dass Sie kein Englisch können, kann ich jetzt auch nichts.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Aber Verhandlungssprache im Deutschen Bundestag bleibt Deutsch, Frau Kollegin Künast.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Diese Regierung baut einen - -
- Wissen Sie was, er kann es immer wieder dazwischenquäken und zicken. Aber mehr als fünf Mal kann ich ihm nicht sagen, dass alle Welt Aufträge für eine CO2-freie Gesellschaft ausschreibt. Wenn er dann noch einmal ruft, können Sie ja mit ihm reden. Ich kann doch nichts dafür, dass die FDP selbst dieses nicht merkt.
Diese Kanzlerin geriert sich als Klimaqueen. Aber, Frau Merkel, wir haben uns gefragt, ob das, was Sie in Ihren Reden sagen, auch wirklich in den Papieren steht. In den Papieren vom G-8-Gipfel steht das, was Sie behauptet haben, nicht drin. Die USA haben sich nicht - das sehen wir auch wieder an ihrem derzeitigen Handeln - zu dem bereit erklärt, was Sie behaupten. Es gibt keine Bereitschaft für ein aktives Vorgehen in einem multilateralen Prozess.
Sie haben, Frau Merkel, wenn Sie über Klimaschutz reden und große Worte machen, am Ende nur die aktuelle Kostenfrage für die Wirtschaft im Kopf. Wir sagen aber, in diesem Land muss, wenn es funktionieren soll, die Wirtschaft auch selber ihren Beitrag leisten. Es kann nicht sein, dass man regelmäßig Provisionen bekommt, wenn man Teile der Firma verkauft, wenn man Arbeitsplätze abbaut. Ich meine, ein Vorstandschef sollte nur Provision bekommen, wenn er - das ist heute schon technisch möglich! - den Energieverbrauch seines Unternehmens um mindestens 30 Prozent senkt. Das würde Sinn machen. Das wäre ?Eigentum verpflichtet“ in praktischer Anwendung,
weil es an dieser Stelle die Gemeinwohlbindung gibt. Die Unternehmen sollten meines Erachtens aufhören, Lobbyarbeit zu machen, und stattdessen CO2-Ausstoß und Energieverbrauch senken.
Wenn wir uns jetzt angucken, wie diese Koalition konkret agiert, dann stellen wir fest: Es gibt bei dieser Kanzlerin den sozialen und ökologischen Wortbruch, den sozialen beim Mindestlohn. Ich muss sagen, das, was Sie da jetzt erzählt haben, reicht mir immer noch nicht aus, auch wenn Herr Struck andeutet, man sei auf einem guten Weg.
Aber beim Klimaschutz opfern Sie sich, Ihre Politik und dieses Land den Lobbyinteressen. Es reicht nicht aus, über Klima zu reden und dann nachher einen Deal wie Herr Glos zu machen: Als Dank für die Schaffung von ein bisschen mehr Transparenz kämpft er nun in Brüssel gegen die Trennung von Produktion und Netz bei den großen Energieversorgern. Aber gerade diese Trennung wäre ein zentraler Punkt für eine andere Klimapolitik.
Es geht auch nicht, dass man behauptet, eine Reduktion um 40 Prozent vornehmen zu wollen, aber noch nicht einmal ein Programm dafür vorlegt. Ganz unmöglich ist schließlich, dass der Bundesumweltminister nun seine Agenten losschickt oder selber fährt, um überall in der Republik die Leute von Kohlekraftwerken zu überzeugen. Damit machen Sie keinen Klimaschutz!
Hinzu kommt, dass Frau Merkel Ole von Beust in seinem Bemühen unterstützt, dass von Vattenfall in Hamburg-Moorburg ein neues Kraftwerk gebaut wird, durch das aber die Emissionen in Hamburg um 40 Prozent erhöht und nicht etwa gesenkt werden. Das ist doch kein Klimaschutz. Das ist eher eine Versündigung am Klima.
Wir kennen nur ein klimaschonendes Kohlekraftwerk in dieser Republik, und zwar das in Ensdorf. Dort haben die Bürgerinnen und Bürger durch ein definitives Nein entschieden, dass kein Kraftwerk gebaut wird. Ich kann die Bürgerinnen und Bürger nur auffordern, zum einen das zu tun, was die Bürgerinnen und Bürger in Ensdorf gemacht haben, und zum anderen, den Stromanbieter zu wechseln. Wenn die Regierung bestimmte Änderungen nicht herbeiführt, dann müssen die Bürger das selber tun.
Sie haben in diesen Haushalt trotz vollmundiger Ankündigung keinerlei zusätzliche Mittel für den Klimaschutz eingestellt. Zur Verfügung stehen wie im vorherigen Haushalt nicht mehr als 400 Millionen Euro. 75 Prozent der Mittel sind ohne konkrete Bedingungen gesperrt. Diese Sperre besteht, um die Möglichkeit zu haben, Gabriel am Nasenring durch die Republik zu führen, vorneweg durch Herrn Glos, den kurzfristige Wirtschaftsinteressen leiten. Insgesamt haben Sie weniger als die Hälfte dessen, was man durch die Versteigerung der Zertifikate einnehmen wird, für Klimaschutzmaßnahmen in den Haushalt eingestellt. Das ist zu wenig.
Wir brauchen einen Klimaschutzhaushalt. Unser Vorschlag lautet, dass der entsprechende Haushalt 2,9 Milliarden Euro umfasst. Finanziert werden könnte dies durch die Einstellung aller Erlöse aus der Versteigerung von Zertifikaten, durch Umschichtungen im Gesamthaushalt und durch die Kürzung von umweltschädlichen Subventionen. So macht es Sinn. Wir könnten mit einem solchen Paket ab 2011 weitere 33 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Weder durch Ihre Reden noch durch Ihre Vorschläge - ich habe mich gewundert, dass die Kanzlerin den Klimaschutz so weit hintanstellt -
kommt es zu Änderungen in der Politik.
Jetzt will ich auf das Thema Sozialpolitik zu sprechen kommen.
Auch an dieser Stelle nimmt die Koalition keine gemeinsame Analyse vor und trifft keine Festlegung. Ich habe schon gemerkt, dass die Kanzlerin ein paar Dinge angesprochen hat und dass Herr Struck nachher sagte, man sei sich nicht einmal bei der Frage des kostenlosen Mittagessens einig. Sie analysieren die Situation in den Städten nicht. Das vordringlichste Problem in den Städten dieser Republik sind nicht die ALG-I-Empfänger, sondern die Hartz-IV-Empfänger und deren Kinder, die in Armut leben, die ohne Frühstück in die Schule gehen und dort kein Essen bekommen. Es geht um Familien, in denen Armut Generation für Generation vererbt wird. Denen haben Sie in Ihrem Haushalt 2008 keine Angebote gemacht.
Auch an anderen Stellen - dort, wo es um die finanziell schwachen und die bildungsfernen Schichten geht - machen Sie keine Angebote.
Nehmen wir einmal die Präventionsstiftung: Es ist schon auffallend, über welch lange Zeit sich dieser Prozess hinzieht. Dabei wären wegen der Vielzahl von chronischen Krankheiten gerade die Kinder und die Erwachsenen aus den bildungsfernen Schichten auf eine gute Präventionsarbeit angewiesen. Eine solche Arbeit ist aber gar kein Bestandteil Ihrer Sozialpolitik.
Sie halten Sonntagsreden und haben nicht den Mut, auszurechnen, wie hoch Ihre Investitionen sein müssten.
Wir haben auf unserem letzten Parteitag den Beschluss gefasst - dazu ist schon ein Zwischenruf gemacht worden -, dafür einzutreten, dass 60 Milliarden Euro in den Sozialbereich investiert werden. Wir haben uns die Mühe gemacht, aufzuzeigen, wie für den Bildungsbereich, für die Infrastruktur, für den Bereich ?Kinder und Familien“ 31 Milliarden Euro aufgelegt werden können. Wenn dem Folge geleistet würde, läge Deutschland gerade einmal etwas über dem Durchschnittswert der OECD. Damit wären wir bei den Investitionen für Kinder noch lange nicht so weit wie Dänemark. Wir sagen: Wir brauchen in diesem Land 15 Milliarden Euro für bessere Schulen sowie 16 Milliarden Euro für die Kinder- und Jugendhilfe und für eine bessere Betreuung. Diese Betreuungsangebote brauchen wir so schnell wie möglich, am besten jetzt und nicht erst 2011.
An der Stelle muss ich Ihnen, Frau Merkel, vorhalten, dass Sie sich ein bisschen um das Thema herumgedrückt haben. Wahrscheinlich haben Sie in Anspielung auf aktuelle Todesfälle gesagt, wir brauchten keine vorschnellen Reaktionen. Das ist aber nicht der alleinige Kern dieser Haushaltsfrage. Im Haushalt für das nächste Jahr muss dafür gesorgt werden, dass die armen Kinder eine Chance bekommen. Dies bezieht sich sowohl auf Kinder- und Jugendhilfe als auch auf Bildung, und das Geld muss jetzt her.
Herr Steinbrück muss die Beratungen der Föderalismuskommission für eine Verbesserung der Bildungsfinanzierung nutzen. Unterstützen Sie die Länder, auch wenn es eine Landes- und Kommunalaufgabe ist, zum Beispiel durch frei werdende Mittel aus dem Soli-Zuschlag. Sie könnten dort bis 2019 frei werdende Mittel in Höhe von 30 Milliarden Euro - -
- Sie werden in den nächsten Jahren systematisch frei. Bitte informier dich darüber! - Diese Mittel kann und muss man in diesem Land für die Bildungsfinanzierung nutzen.
Ich bin mir sicher: So wie die Menschen bereit waren, für den Aufbau Ost einen Soli-Zuschlag zu zahlen, so sind sie auch bereit, einen nächsten Schritt für die Bildung in diesem Land zu tun, damit jedes Kind eine Chance hat und wir endlich das realisieren, was wir brauchen: gut ausgebildete, geförderte Kinder.
Führen Sie eine Bundessteuerverwaltung ein. Damit könnten Sie 15 Milliarden Euro einnehmen. Auch dies kann zur Herstellung von Chancengerechtigkeit für alle genutzt werden.
Wir haben auch beschlossen, dass wir nicht auf spätere Erhöhungen warten wollen, sondern wir wollen, dass die Existenzsicherung bei Hartz IV jetzt gegeben sein muss. Deshalb ist es richtig, den Hartz-IV-Satz auf 420 Euro zu erhöhen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als die Summe, die die Wohlfahrtsverbände errechnet haben. Was kann daran falsch sein, meine Damen und Herren? Wir machen auch entsprechende Finanzierungsvorschläge.
Zum Schluss will ich ein Wort zur Außenpolitik sagen. Das Problem unserer Außenpolitik ist, dass es weder ein konzertiertes Vorgehen noch Absprachen zwischen dem Außenminister und der Bundeskanzlerin gibt. Die Konflikte zeigen, dass es kein Konzept gibt: Das Auswärtige Amt geht in die eine Richtung, die Bundeskanzlerin geht, manchmal sogar ganz klandestin, in die andere Richtung, und dann kritisiert man sich dafür. Den Dalai-Lama zu empfangen, es aber nicht abzusprechen und dadurch öffentliche Kritik auszulösen, ist doch ein klassischer Fehler gewesen. So macht man keine Außenpolitik zugunsten Tibets, zumindest wirkt sie nicht so.
Den saudischen Kronprinzen zu hofieren, hinsichtlich der Situation der Frauen zu schweigen und nichts zu den Hinrichtungen zu sagen, Frau Bundeskanzlerin, stellt ebenfalls in Frage, ob Sie es mit Ihrer Menschenrechtspolitik wirklich durchgängig ernst meinen.
Sie sollten hier mit Ihrer Koalitionsnabelschau aufhören und zu konzertierten Aktionen kommen.
Beim Thema Außenpolitik gibt es nur eine Gemeinsamkeit in diesem Haus; sie betrifft Russland. Ich fordere Sie auf, sich gemeinsam mit der EU für die Freilassung von Kasparow und gegen die Verurteilung anderer friedlicher Demonstranten einzusetzen.
Meine Damen und Herren, der letzte Punkt - Frau Merkel hat ihn wirklich nur kurz gestreift - ist die Innenpolitik. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Innenpolitik geht anders, als es Herr Schäuble macht. Ich wäre froh, wenn Frau Merkel an dieser Stelle einmal aktiv würde und Herrn Schäuble auf den Boden des bewährten Grundgesetzes zurückholte. Mittlerweile kritisieren sogar Verfassungsrichter, dass Herr Schäuble eine Art intellektueller Lust am antizipierten Ausnahmezustand habe und den Ausnahmezustand in diesem Land zum Normalzustand machen wolle. Denken Sie nur an das Internet und das Handy! Wenn wir zum Beispiel auf China blicken, sagen wir immer, dies seien Instrumente der Freiheit. Unter Schäuble sind das Internet und das Handy keine Instrumente der Freiheit mehr; vielmehr werden sie im wahrsten Sinne zu Wanzen in unseren Wohnungen. Dies wird so nicht gehen.
Meine Damen und Herren, wir lehnen diesen Haushalt ab. Er ist die Papier gewordene Darstellung, dass diese Große Koalition ihren Aufgaben nicht gerecht wird und keine Ziele hat. Sie doktern ein bisschen herum. Sie ändern nicht die Wirtschaftsweise und die Strukturen. Sie haben nicht den Mut zu Verhaltensänderungen. Frau Merkel, Sie baden in vielen warmen Worten.
Ich glaube, dass man Ihre Politik, auch wenn Sie noch so sehr den Dreiklang beschwören, nur so beschreiben kann: Sie sanieren nicht; Sie reformieren nicht.
Hugo Müller-Vogg, der politische Kommunist
- Entschuldigung, Kolumnist; dieser Versprecher wird ihn hart getroffen haben - der Bild-Zeitung, der in der Newsweek Frau Merkel als Politikerin ohne innenpolitischen Kompass bezeichnet hat, hat recht. Dieser Haushalt macht das Land nicht gerechter, sozialer und ökologischer, und er macht dieses Land auch nicht zu einem Marktplatz für kreative Ideen. Deshalb lehnen wir ihn ab.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Peter Ramsauer für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist besonders erbaulich, den Oppositionsreden zuzuhören. Denn in einigen - nicht wenigen - Fällen hat man den Eindruck, als handele es sich bei den Oppositionsfraktiönchen um Realitätsverweigerer.
Herr Gysi, wenn Sie die Auslandsreisen - insbesondere die USA-Reise - der Bundeskanzlerin kommentieren, dann meint man, Sie wären dabei gewesen.
Lassen Sie sich eines sagen: In Sachen Menschenrechte und Durchsetzung von Menschenrechten brauchen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen in der linken Fraktion als historische Verlängerung der Kommunisten in der ehemaligen DDR unserer heutigen Bundeskanzlerin keinerlei Nachhilfeunterricht zu erteilen.
Man kann mit geschickter Diplomatie, wie Angela Merkel sie betreibt, hinter den Kulissen viel mehr für bedrohte Völker und für die Menschenrechte tun, als wenn man alles gleich an die große Glocke hängt.
Wir sind nicht an Ihrer sachfremden Hetze, sondern an effektiver Menschenrechtspolitik interessiert, die die Kanzlerin und ihr Außenminister betreiben.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen. Ich verstehe nicht - aber vielleicht liegt die Erklärung in Ihrer Ideologie -, dass Sie hier anprangern, dass die Abgabenquote in Deutschland bei 37 Prozent liegt, und eine wesentlich höhere Quote einfordern. Was soll das? Sie wollen den Menschen in die Tasche greifen.
Wir sind stolz darauf, dass wir eine so niedrige Abgabenquote haben, weil wir als Staat den Menschen nur das abverlangen sollten, was wir für die Erfüllung unserer staatlichen Obliegenheiten brauchen, und keinen einzigen Euro mehr. Es offenbart ein ganz besonderes Verständnis vom mündigen Bürger Ihrerseits, wenn Sie dem Bürger an den Geldbeutel wollen.
Lieber Kollege Brüderle, eines habe ich dick, nämlich meine liberalen Freunde zu kritisieren. Ich möchte aber etwas klarstellen. Sie haben nur von der Weltwirtschaft als Lokomotive gesprochen. Es war zwar nicht allein die Politik der Großen Koalition, die zu den heutigen ausgesprochen guten Befunden auf dem Arbeitsmarkt, beim Budget, beim Wirtschaftswachstum und in anderen Bereichen beigetragen hat. Es war aber auch nicht allein die Weltwirtschaft. Die Weltwirtschaft, die Vernunft der Tarifpartner und die Restrukturierungsanstrengungen der Wirtschaft selber, aber auch die Politik der Großen Koalition und manches, was wir als Union über den Vermittlungsausschuss bei der Agenda 2010 mitbewirkt haben, haben zu dem geführt, mit dem wir heute Gott sei Dank aufwarten können.
Sehr geehrte Frau Kollegin Künast, Sie hätten doch gern zumindest ein einziges Mal in Ihrer Regierungszeit eine solche Halbzeitbilanz oder Bilanz vorgelegt, wie wir sie heute vorlegen können.
Sie hätten nichts lieber getan, als einmal eine Zwischenbilanz oder eine Bilanz vorzulegen, nach der Sie die Arbeitslosigkeit innerhalb von zweidreiviertel Jahren um ein Drittel gesenkt hätten,
nämlich von 5,1 Millionen auf 3,4 Millionen. Wie hätte sich Joschka Fischer aufgebläht,
wenn es zu seiner Zeit ein gesamtstaatliches Defizit gleich null, also einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalt, gegeben hätte, wenn in einem wichtigen Bereich der gesetzlichen Sozialversicherung innerhalb von einem Jahr plus einem Tag der Beitragssatz halbiert worden wäre und wenn es über 40 Millionen Erwerbstätige gegeben hätte.
Ich mache, wahrscheinlich genauso wie Sie, die Erfahrung: Wenn man in Gesprächen, bei Versammlungen draußen an der Basis über diese Dinge spricht, dann bekommt man oft die Gegenfrage gestellt: Warum sagt das niemand? Warum sagt ihr das nicht? Man kann doch diese Tatsachen nicht oft genug nennen!
Frau Künast, als Sie in der Regierung waren, waren Sie nicht in der Lage, jemals eine solche Bilanz vorzulegen - eben weil Sie Ihr Gedankengut in die Regierung eingebracht haben.
Sie haben im Zusammenhang mit tariflichen Lohnuntergrenzen - andere nennen es Mindestlöhne - von Wortbruch gesprochen. Ich halte Ihnen entgegen, was während der Klausurtagung des Kabinetts am 23. oder 24. August dieses Jahres beschlossen worden ist. Dort heißt es - ich zitiere -:
Im Zusammenhang mit der Liberalisierung der Postmärkte zum 1.1.2008 wird die Branche der Postdienstleistungen noch in 2007 in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen, wenn die Tarifpartner einen entsprechenden gemeinsamen Antrag stellen.
Dann kommt ein wichtiger zweiter Satz:
Dabei geht die Bundesregierung davon aus, dass über 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Postbranche tarifgebunden sind.
Ich erkläre hiermit auch für meine Fraktion: Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, dann werden wir uns selbstverständlich daran halten. Wo es hier Wortbruch geben soll, das müssen Sie einmal sagen.
Frau Kollegin Künast, was Sie sich auf Ihren Parteitagen alles geleistet haben, ist ja auch höchst bemerkenswert. Vor einigen Wochen auf Ihrem Zerwürfnisparteitag in Göttingen haben Sie sich von der Außenpolitik verabschiedet, die Sie früher betrieben haben und die immer noch einigermaßen vernünftig gewesen ist. Jetzt haben Sie sich auch noch von einer einigermaßen pragmatischen Wirtschafts- und Sozialpolitik verabschiedet. Der Parteiaustritt Ihres Kollegen Metzger spricht Bände; er ist einer der Letzten, die Vernunft bewahrt haben.
Ich rufe all diejenigen in Ihren Reihen, die noch einen Rest von wirtschafts- und sozialpolitischer Vernunft haben, auf, die Grünen nicht zu verlassen. Es wäre schade drum.
Umverteilung ist die Überschrift dessen, was Sie beschlossen haben.
- Das ist zu viel erwartet, Herr Kollege Westerwelle. - Es sind Ladenhüter, die Sie zur Finanzierung vorschlagen, wie der Griff in die Taschen der Menschen. Herr Bütikofer hat gesagt, im Kern gehe es um die Frage, ob man etwas gegen die soziale Verunsicherung unternehme. Wenn es so ist, dann kann ich nur sagen: Das Beste gegen soziale Verunsicherung liegt darin, dass wir Arbeitsplätze sichern und neue schaffen, dass wir für Investitionen in unserem Land sorgen und dass wir solide öffentliche Haushalte vorlegen. Das dient der Bekämpfung sozialer Verunsicherung.
Die Überschrift eines Kommentars einer großen deutschen Boulevardzeitung lautet heute: ?Die Zahl der Arbeitslosen muss weiter sinken!“ Das ist vollkommen richtig.
Bütikofer sagt weiterhin, die Sozialpolitik der Grünen müsse visionär und politisch praxistauglich sein. Dazu kann ich nur sagen, Frau Künast: Sie ist weder praxistauglich noch visionär. Sie wollen die Partei der Vordenker sein. Ich kann nur sagen: Es ist kein Vordenken, sondern schlicht und einfach fantasielos, wenn man nur umverteilen will, was andere erwirtschaften.
Jetzt komme ich auf Franz Müntefering zu sprechen. Dem Spiegel war ein Zitat zu entnehmen, das ich mir gemerkt habe. Müntefering hat gesagt:
Wer glaubt, soziale Gerechtigkeit definiert sich im Wesentlichen durch Verteilung, der irrt.
Ich kann nur sagen: Franz Müntefering hat vollkommen recht.
Man kann bei so vielen sozialen Utopien wie bei den Grünen und den Linken nicht oft genug in Erinnerung rufen, was eigentlich eine Binsenweisheit sein sollte, nämlich dass der Staat, die öffentliche Hand nur so viel umverteilen kann, wie vorher von denjenigen erwirtschaftet wurde, die jeden Tag früh aufstehen, malochen und an der Wertschöpfung in unserem Land mitarbeiten. Deswegen gilt für mich: Wenn umverteilt wird, dann dürfen diejenigen, die dies erwirtschaften, nicht die Dummen sein. Die Leistungsträger dürfen nicht die Dummen in unserem Land sein, weil sie sich sonst verschaukelt vorkommen.
Wenn umverteilt wird, müssen zunächst die Leistungsträger bedient werden und dann die Bedürftigen. Wir brauchen einen sauberen Ausgleich zwischen Leistungsgerechtigkeit einerseits und sozialer Gerechtigkeit andererseits.
Noch etwas anderes: Wir können uns einen sozial und ökologisch starken Staat nur leisten - das haben viel zu viele einfach vergessen -, wenn wir das dafür Notwendige auch tatsächlich vorher erwirtschaften - nichts anderes. Der Sozialstaat ist nur so stark und unsere sozialen und ökologischen Standards können nur so hoch sein wie der Gegenwert, den wir vorher erwirtschaften. Die Kraft, die zur Aufrechterhaltung des Sozialstaates und zur Einhaltung hoher ökologischer Standards nötig ist, dürfen wir nicht andauernd durch Gängelung mit Füßen treten.
Ich frage vor allen Dingen die Linken: Ist es unsozial, wenn nach wie vor jeder dritte Euro des Bruttoinlandsprodukts für soziale Zwecke ausgegeben wird? Ist es ungerecht und unsozial, wenn die oberen 50 Prozent der Einkommensverdiener 92 Prozent des gesamten Steueraufkommens erwirtschaften?
Ich sage: Dies ist nicht ungerecht. Von Ungerechtigkeit kann hier überhaupt keine Rede sein. Wer hier von einer ungerechten Verteilung spricht, ist ein Realitätsverweigerer.
Wir haben in der ersten Halbzeit dieser Legislaturperiode eine große Fülle von Themen abgearbeitet. Wenn man das in der Öffentlichkeit, zum Beispiel auf Versammlungen, anspricht, blickt man oft in erstaunte Gesichter, weil diese Dinge unglaublich schnell vergessen werden. Ich erinnere an die Genshagener Beschlüsse des Kabinetts zu Beginn des letzten Jahres, an deren Zustandekommen Volker Kauder, Peter Struck und ich als Fraktionschefs beteiligt waren. Es war vorbildlich, was hier im Einzelnen umgesetzt worden ist und welche Wachstums- und Arbeitsmarktimpulse davon ausgegangen sind.
Denken Sie an das 25-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, an die energetische Gebäudesanierung, die steuerliche Absetzbarkeit der Beschäftigung in Privathaushalten und der Handwerkerrechnungen. Liebe Frau von der Leyen, wir alle können stolz darauf sein, dass wir mit dem Elterngeld Maßstäbe gesetzt haben. Junge Väter und junge Mütter können sich nun im ersten Lebensjahr eines Kindes zu Hause um ihr Baby kümmern.
Ich wehre mich - ich sage es immer wieder - dagegen, dass dieses Elterngeld und die Basiszahlung, die wir verabredet haben, als ?Herdprämie“ diffamiert oder, noch schlimmer, als, wie es in einer Zeitung geschehen ist, ?Aufzuchtprämie“ gebrandmarkt werden. Das lasse ich mir nicht gefallen, weil es eine Beleidigung der jungen Väter und Mütter in Deutschland ist, die sich um ihre Kinder kümmern.
Wir halten es für eine ganz besonders große gesellschaftliche Errungenschaft, wenn sich Familien zu Hause um die Pflege ihrer alten, pflegebedürftigen Familienmitglieder kümmern. Manche krempeln dafür ihr ganzes Berufsleben um. Wenn aber die Pflege pflegebedürftiger Familienmitglieder gesellschaftlich erstrebenswert ist, dann kann es doch zumindest nicht verwerflich sein, wenn sich junge Väter und Mütter zu Hause um ihre kleinen Kinder im Vorkindergartenalter kümmern.
Wenn das verwerflich sein soll, passen diese beiden Vorstellungen nicht zusammen.
Lieber Peter Struck, ich bin dankbar für eine Bemerkung, die du bzw. die Sie gemacht haben
- das ist mir so herausgerutscht; warum soll man hier anders reden als im sonstigen Umgang miteinander? -, nämlich dass wir nicht in diesem oder im kommenden Jahr ein Betreuungsgeld einführen, dass das also noch nicht kassenwirksam wird, aber dass wir im Koalitionsausschuss die klare Verabredung, die jetzt so auch im Gesetzentwurf steht, getroffen haben, das Betreuungsgeld einzuführen, wenn der Rechtsanspruch in Kraft tritt; das ist im Jahr 2013 der Fall.
Eine Reihe von anderen Reformen haben wir beschlossen: Rentenreform, Gesundheitsreform, Unternehmensteuerreform. Die Beendigung der Kohlesubventionierung gehört auch dazu. Das ist hochinteressant: Jahrzehntelang ist von - das gebe ich zu - revierfernen Ländern, vom Bund der Steuerzahler und von den Wirtschaftsliberalen gefordert worden, dass diese größte Subvention abgeschafft wird. Sang- und klanglos ging das vor wenigen Wochen im Rahmen der Gesetzgebung hier bei uns im Haus über die Bühne. Ich habe darüber noch nicht einmal etwas in den Medien gelesen. Aber auch das ist ein Beispiel - es war zugegebenermaßen schwierig, weil es unterschiedliche Interessenlagen gab - für das, was wir, SPD, CDU und CSU, zusammen fertiggebracht haben. Ich möchte heute solche Leistungen der Großen Koalition in Erinnerung rufen. Ein Dank auch an die Vernunft all derer, die davon vielleicht negativ betroffen sind.
Ob bei der Arbeitslosenversicherung oder in anderen Bereichen: Ich glaube, wir haben überall, lieber Peter Struck, faire Kompromisse gefunden. Eines wussten wir in der Großen Koalition von Anfang an: Wenn wir diese Große Koalition eingehen, dann müssen wir politikfähig sein, sonst brauchen wir es nicht zu tun. Wenn wir politikfähig sein wollen, dann müssen wir auch kompromissfähig und kompromissbereit sein. Wir haben uns da weiß Gott nicht wenig abverlangt; wir haben uns viel abverlangt. Aber es ist ein ständiges Geben und Nehmen. So ist es in der Politik, genauso wie im Wirtschaftsbereich. Wir sind zu diesen fairen Kompromissen gelangt.
Ein Wort noch zur Außenpolitik, die wiederholt angesprochen worden ist, insbesondere von der Kollegin Künast. In dieses Jahr fallen die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und die G-8-Präsidentschaft. Da kann man nur eines sagen: Für die Bewältigung dieser herausfordernden Problemstellungen, die mit beiden Aufgaben verbunden waren - neben all den innenpolitischen Herausforderungen -, eine glatte Eins mit Stern für die Bundeskanzlerin!
Sie hat die Europäische Union aus einer schwierigen Lage herausgeführt mit dem Reformvertrag, der, ungeachtet seiner verbliebenen Mängel, jetzt auf dem Tisch liegt. In der G 8 wurden klare Zeichen gesetzt. Im Grunde genommen war nur mit viel Fantasie zu erwarten, dass Sie, liebe Frau Bundeskanzlerin, in der G 8 plus den fünf Schwellenländern, die dabei waren, das Begehren nach einer weltweiten Klimaschutzpolitik endlich mit auf Rang 1 der weltpolitischen Tagesordnung setzen konnten.
Wenn es die G-8-Gipfel nicht gäbe - das sage ich an die Adresse der Globalisierungsgegner und der Tausenden von gewalttätigen Demonstranten, die unsere Polizisten in Heiligendamm verhauen wollten und verhauen haben, was eine Schande ist; das nur als Nebenbemerkung -,
müsste man diese Gipfel erfinden. Wo sonst, wenn nicht auf solchen weltweiten Foren, sollte man globale Herausforderungen denn besprechen? Wo sonst, wenn nicht unter den 8 plus 5 Staaten, die die Substanz dieser Probleme am ehesten erkennen und erörtern können?
Das gilt zum Beispiel für die Frage weltweiter Mindeststandards hinsichtlich sozialer Normen. Gerade Deutschland als führende Exportnation, die wie kaum ein anderes Land mit dem rauen Wind globaler Auseinandersetzungen in der Weltwirtschaft konfrontiert ist, hat ein Interesse an weltweit gültigen Standards im Umweltbereich, an weltweit gültigen Standards für den Umgang mit Energieressourcen, an weltweit gültigen Fairnessregeln für den Handel. Wir müssen doch das allergrößte Interesse daran haben, dass vernünftige Lösungen gefunden werden. Wir brauchen daher nicht weniger, sondern mehr G 8. Das liegt im ureigenen Interesse Deutschlands.
In den nächsten zwei Jahren liegt noch viel vor uns. Ich will die 20 politischen Teilgebiete jetzt nicht im Einzelnen erörtern; das wäre die reinste Litanei. Unser gemeinsamer großkoalitionärer Freund Hubertus Heil hat die Union ermahnt. Er hat gesagt: ?Wir dürfen nicht zulassen, dass die Union zur Reformbremse wird.“ Ich antworte ihm: Sie aber auch nicht.
Wir müssen miteinander weiter an Reformen arbeiten. Wir dürfen auf keinen Fall das tun, was zwei Oppositionsfraktionen wollen, nämlich den Rückwärtsgang einlegen. Wir stellen uns mit Augenmaß und in verantwortungsvoller Weise den Herausforderungen der nächsten zwei Jahre, damit wir der Erwartung, die die Wählerinnen und Wähler vor zwei Jahren hatten, gerecht werden, nämlich unser Land nach vorne zu bringen.
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, bevor ich Ihre Rede gehört habe, habe ich mir die Freude gemacht, die Rede, die Altbundeskanzler Gerhard Schröder im September des Jahres 2000 gehalten hat, also zwei Jahre nachdem er ins Amt gekommen ist, noch einmal durchzulesen.
Die Lage war der jetzigen sehr ähnlich: gute Konjunktur und ordentliche Staatsfinanzen;
durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen kamen zusätzlich 100 Milliarden DM - damals gab es noch die D-Mark - in die Staatskasse. Herr Schröder hat damals genau so gesprochen, wie Angela Merkel heute im Namen der Regierung spricht und handelt.
Wenn die Opposition irgendetwas kritisiert, dann redet sie, so die Bundeskanzlerin, das Land schlecht. Alles muss zur eigenen Ehre und zum eigenen Lob herhalten. Das Selbstlob dieser Koalition hatte auch heute penetrante Züge.
Es wurde damals so getan, als ginge alles auf ewig so weiter: Die Konsolidierungspolitik hat begonnen! Wir haben sie in die Tat umgesetzt! Das ist eine Politik, die diesen Namen wirklich verdient! - Es wurde aber verschwiegen, welche dunklen Wolken am Horizont aufziehen. Genau das machen Sie heute auch. Sie reden nach zwei Jahren Regierungszeit so, wie Schröder nach zwei Jahren Regierungszeit gesprochen hat. Wenn das Ihr Aufschwung ist, dann - das sage ich Ihnen voraus - werden Sie auch haften müssen, wenn es in den nächsten Monaten oder Jahren abwärtsgeht.
Etwas mehr Bescheidenheit
und vor allen Dingen etwas mehr Anerkennung der Umstände, von denen Ihre Politik derzeit getragen wird, wären richtig und angemessen.
Mindestens genauso spannend ist das, worüber Sie nicht gesprochen haben. Sie haben nicht über die Kinderarmut, die sich in Deutschland verdoppelt hat, gesprochen.
Sie haben nicht über das Handwerk gesprochen, das Umsatzeinbrüche in Höhe von ungefähr 20 Prozent hat. Sie haben nicht über den Rückgang beim Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern um sage und schreibe etwa 43 Prozent gesprochen. Sie haben nicht über die Neuzulassungen im Kfz-Bereich gesprochen, die mittlerweile etwa 8 Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen.
Sie haben auch nicht über das gesprochen, was jeden Deutschen bewegt, nämlich die Tatsache, dass wir im November dieses Jahres eine Preissteigerungsrate in Höhe von 3 Prozent haben. Wenn es eine soziale Politik in diesem Lande gibt, dann ist es die, dafür zu sorgen, dass der Euro auch im Inland etwas wert ist und dass man sich dafür etwas kaufen kann. Inflation ist unsozial. Diese 3 Prozent müssten Sorgenfalten auf Ihrer Stirn hinterlassen.
Stattdessen schmücken Sie sich hier mit allem, zum Beispiel mit der Weltwirtschaft. Sie schmücken sich auch mit Dingen, die wirklich lange vor Ihrer Zeit erreicht worden sind, beispielsweise mit den Nobelpreisen.
Es war für mich tief beeindruckend, dass sogar die Nobelpreise jetzt herhalten müssen. Sie werden nämlich als Zeugnis dafür angegeben, wie toll der Forschungsstandort Deutschland ist. An die Physikerin im Kanzleramt gerichtet, sage ich: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, den einen Nobelpreis gab es für eine Leistung aus dem Jahr 1988, den anderen für eine Leistung aus dem Jahr 1981. Entschuldigung, da waren Sie noch nicht Bundeskanzlerin; man mag es nicht glauben, aber es ist so. Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie sich mit den Nobelpreisen von heute schmücken, dann ist das ungefähr so, als würde sich die spanische Regierung mit der Entdeckung Amerikas von vor 500 Jahren auszeichnen wollen. Das ist wirklich nur noch albern.
Frau Bundeskanzlerin und meine Damen und Herren von der Koalition - es macht ja Freude, Ihre Reaktionen hier zu hören -, ich will nun auf das eingehen, was die Redner der Regierungsfraktionen hier gesagt haben. Herr Kollege Ramsauer, weil Sie von ?Oppositionsfraktiönchen“ gesprochen haben, wollen wir eines festhalten: In diesem Hohen Hause ist keine Partei kleiner als die CSU.
Das wollte ich nur einmal an die Adresse des stellvertretenden Fraktiönchenvorsitzenden sagen.
Ich will an das erinnern, was die Damen und Herren der Regierungskoalition uns hier alles erzählt haben. Das hat ja viel Freude gemacht. Sie haben in den ersten zweieinhalb Stunden der Debatte das Hohelied Ihres Erfolges gesungen. Sie haben gesagt, wie großartig und erfolgreich diese Große Koalition, wie Sie sich selbst nennen, war. Dann stellt sich aber für den unbefangenen Beobachter eine entscheidende Frage: Wenn das alles so toll war, warum lesen wir dann jeden Tag in den Zeitungen, dass Sie da raus wollen? Wenn das alles so toll war, warum bezichtigen Sie sich dann gegenseitig des Wortbruchs und bedenken sich mit allen möglichen weiteren Beschimpfungen, die man als mitteleuropäisch erzogener Mensch hier gar nicht vortragen möchte? Da ist unter der Gürtellinie ausgeteilt worden. So brutal - wie Sie in dieser Regierung - miteinander umzugehen, das würde sich von den Mitgliedern der bescheidenen Opposition niemand wagen. Meine Damen und Herren auf der Regierungsbank, es gibt doch überhaupt gar nichts mehr Gemeinsames.
- Jetzt kommt wieder die Geschichte: Mein Freund Volker.
Leute, Leute! Regierung schlägt sich, Regierung verträgt sich. Mit Verlaub gesagt: Das, was ihr hier abliefert, ist eine völlig unglaubwürdige Nummer. Jeder Zuschauer weiß doch: Ihr hasst euch wie die Pest.
Hier etwas von großem Frieden und großem Erfolg zu erzählen, ist einfach nur noch albern. Früher haben die Kanzler gerufen: Ich will da rein. Sie rufen mittlerweile: Ich will da raus. Mit Verlaub gesagt: Das ist doch nicht ernst zu nehmen; das ist Kulisse.
Wenn diese Reformpolitik für die Menschen in Deutschland wirklich so erfolgreich war, dann stellt sich doch die Frage: Warum wollen Sie Ihre Reformen in diesen Wochen und Monaten rückabwickeln? Denn das ist das Ergebnis des Beschlusses des SPD-Parteitages und Ihrer Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag!
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege Hinsken. Weil Sie gerade dazwischengerufen haben, möchte ich Ihnen ganz offen sagen: Nachdem der sozialdemokratische Bundeskanzler Schröder im Rahmen der Agenda 2010 marktwirtschaftliche Reformen durch den Deutschen Bundestag gebracht hat, hätte ich mir vor zwei Jahren nicht vorstellen können,
dass diese Reformen dann von einer christdemokratisch geführten Bundesregierung
rückabgewickelt werden. Das ist verkehrte Welt!
Herr Hinsken, Ihnen nehme ich ja ab, dass auch Sie das furchtbar finden.
Ihr müsst das aber auch einmal sagen! Mannesmut vor der Königin Throne! Seid ab und zu auch einmal mutig, Jungs!
Das, was ihr macht, ist ein Witz.
Lassen Sie uns jetzt einmal über das Sanieren reden; auch das macht Freude. Ihr Motto lautet ja: Sanieren, Reformieren, Investieren.
Zum Reformieren habe ich bereits gesagt: Die Agenda 2010 wird von Ihnen rückabgewickelt, und das merkt jeder.
Reden wir also über das Sanieren. Sanieren heißt: solide sein. Man saniert etwas, was schlecht läuft. Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Sie haben bei Übernahme der Regierung ein Defizit von 30 Milliarden Euro vorgefunden. Dann haben Sie 50 Milliarden Euro mehr eingenommen als erwartet. Trotzdem haben Sie immer noch 12 Milliarden Euro Schulden gemacht. Sie können nicht mit Geld umgehen! Darüber müssen wir hier sprechen.
Früher musste man das immer der SPD vorwerfen. Mittlerweile muss man diesen Vorwurf aber auch an die Union richten. Wenn es darum geht, mit Geld umzugehen, dann ist Schwarz ein sehr dunkles Rot;
insofern hat Herr Müntefering recht. Die Union macht es nämlich genauso wie die SPD. Sie machen Schulden in Höhe von 12 Milliarden Euro, obwohl Sie lottogewinnähnliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe zu verzeichnen haben, mit denen kein Mensch gerechnet hat, nicht einmal wir als geborene rheinische Optimisten.
Deutschland muss wissen, dass Sie 12 Milliarden Euro Schulden machen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen erfahren: Der Staat hat Geld wie Heu. Aber er verplempert es zu oft in Bereichen, aus denen er sich lieber heraushalten sollte. Wer trotz der größten Steuererhöhung in der Geschichte dieser Republik immer noch solche Schulden macht, der kann nicht mit Geld umgehen. Das trifft nicht mehr nur auf die Genossen zu, sondern längst auch auf die schwarzen Genossen, die in diesem Hohen Hause sitzen.
Sie sagen immer, unser Sparbuch, das 400 Anträge mit Sparvorschlägen enthält, sei nicht solide, und das alles könnten wir nicht leisten. Deswegen sollten wir einmal über ein paar Dinge reden. Reden wir doch einmal darüber, wofür Sie Geld ausgeben; denn das ist erstaunlich. Ich hätte gerne folgende Frage beantwortet: Wenn Sie wirklich sparen wollen - Sie behaupten ja, dass Sie sparen -, warum beschließen Sie dann in einer Sitzung des Haushaltsausschusses mal eben und in der Dunkelheit der Nacht, in den Ministerien 74 neue Planstellen zu schaffen, die mit Personen besetzt werden, die nichts anderes als Wahlkampf machen sollen?
Außerdem soll es einen dritten Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geben. Willy Brandt kam mit zwei Staatssekretären aus, Hans-Dietrich Genscher kam mit zwei Staatssekretären aus, und Joseph Fischer kam mit zwei Staatssekretären aus. Schätzen Sie sich denn um so viel schwächer ein, Herr Außenminister, dass Sie jetzt einen dritten Staatssekretär brauchen? Das ist doch albern!
Dann höre ich immer in Anbetracht dieser ganzen Milliardenbeträge - das macht mich mittlerweile kirre, und darüber ärgere ich mich auch -, das seien ja alles nur kleine Summen. Wenn Sie die Summen mit 400 multiplizieren, kommen Sie auf 12 Milliarden. Eine Summe ergibt sich beispielsweise aus den Kopfstellen. Sie schaffen 74 Stellen neue Stellen. Das kostet die Steuerzahler jedes Jahr 6 Millionen Euro mehr. 6 Millionen Euro jedes Jahr mehr, nur damit Sie sich in den Ministerien mit mehr Personal für den Wahlkampf aufrüsten können.
Wir wollen das einmal übersetzen, meine Damen und Herren. 3 750 Familien müssen ein ganzes Jahr lang arbeiten, um so viel an Einkommensteuer aufzubringen, wie Sie in einer einzigen Haushaltsnacht für Ihre Wahlkämpfe mit der Schaffung von Spitzenstellen in den Ministerien verplempert haben.
3 750 Familien arbeiten in Deutschland ab jetzt für Ihre Verplemperung von Steuermitteln für Wahlkampfzwecke. Als ob die Parteien nicht finanziert würden!
Meine Damen und Herren, wir wollen auch einmal über die größeren Beträge reden, beispielsweise über Ihre Schlacht in Minden, Herr Kollege Kampeter. Jeder meint ja, es ginge um Hermann den Cherusker. Das ist ein Treppenwitz. Da werden mal eben 1,5 Millionen Euro nach Minden mit nach Hause gebracht für eine Schlacht, von der bisher kein Mensch irgendetwas gehört hat.
Auch wenn Sie dafür zuhause gefeiert werden, Steuergeldverschwendung bleibt es trotzdem. Das wollen wir an dieser Stelle festhalten.
- Sie rufen ?Beethoven in Bonn“ dazwischen? Wenn Sie den Unterschied zwischen Ludwig van Beethoven und Ihrer Pipi-Schlacht in Minden nicht kennen, dann gehen Sie bitte noch einmal auf die Schule, Herr Kollege.
Kommen wir zu den größeren Summen, zu den wesentlichen Sachen, weil es ja immer heißt, sie würden sanieren. Nichts sanieren Sie. Ich möchte gerne den Damen und Herren des Deutschen Bundestages und vor allem natürlich auch der geneigten Öffentlichkeit einmal vortragen, wie viel zum Beispiel für einen unserer schärfsten Wettbewerber in der Weltwirtschaft ausgegeben wird.
In der letzten Woche wurde veröffentlicht, dass China uns mittlerweile auf Platz drei der führenden Wirtschaftsnationen in der Welt abgelöst hat. China hat uns als drittstärkste Wirtschaftsnation in der Welt jetzt überholt. China hat Währungsreserven von ungefähr 1 200 Milliarden Euro. Das ist ungefähr so viel wie die gesamten Staatsschulden auf allen Ebenen in Deutschland. Trotzdem zahlen wir jedes Jahr, auch in diesem Jahr wieder, Millionenbeträge an Entwicklungshilfe und weiterer Hilfe nach China. Wir zahlen reine Entwicklungshilfe in Höhe von 67 Millionen Euro, und wenn man alle offiziellen Zahlungen an China zusammenrechnet, zahlen wir insgesamt in diesem Jahr 187 Millionen Euro nur an China.
Meine Damen und Herren, auch das möchte ich einmal übersetzen. Ganz Oldenburg oder ganz Göttingen arbeitet ungefähr ein komplettes Jahr nur dafür, dass wir die Steuermittel bekommen, die wir anschließend nach China schenken. Sie vertreten die Meinung: Das muss so sein. - Das ist Ihr gutes Recht; Sie werden das ja auch so beschließen. Wir sagen Ihnen dazu: Ein Land, das solche Währungsreserven hat, ein Land, das uns auf Platz drei der Wirtschaftsnationen in der Welt ablöst, dann auch noch mit deutschen Hilfsgeldern zu unterstützen, das ist einfach Irrsinn gegenüber dem Steuerzahler.
Ganz Osnabrück arbeitet ein ganzes Jahr nur für die Entwicklungshilfe an China. Darüber müssen wir hier reden, das versteckt sich hinter diesen Zahlen.
Meine Damen und Herren, Frau Bundeskanzlerin, wir und auch Sie in der Koalition sprechen viel über Mindestlöhne und über die Rückabwicklung einiger Teile der Agenda 2010. Zu den Mindestlöhnen möchte ich noch eine Bemerkung machen. Herr Kollege Gysi, ich habe Ihnen mit Interesse zugehört. Es ist immer interessant und auch unterhaltsam, Ihnen zuzuhören; das wollen wir gar nicht bestreiten. Ich persönlich glaube aber, dass Sie in einem Punkt in Ihrer Einschätzung einen wirklich massiven Fehler machen. Sie koppeln jedes Mal die soziale Gerechtigkeit unseres Landes von der Leistungsgerechtigkeit ab. Sie spielen soziale Gerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit gegeneinander aus. Wir sagen Ihnen: Wer die Leistungsgerechtigkeit seines Landes vergisst, der wird die soziale Gerechtigkeit seines Landes verlieren. Das wird zwingend die Folge einer solchen Politik sein.
Ich will Ihnen die Zahlen noch einmal nennen, weil sie auch für unsere Zuschauer wichtig sind: Die oberen 50 Prozent der deutschen Steuerzahler erwirtschaften etwa 94 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens der Republik. Sie belasten diejenigen, die den Karren ziehen, immer mehr. Ich sage Ihnen, wer dabei unter die Räder kommt: die Ärmsten der Armen, die Schwächsten der Schwachen. Die leiden unter Ihrer Politik.
Ich will noch eine Bemerkung zu den Mindestlöhnen machen, weil ich natürlich ahne, Herr Kollege Struck - nicht nur nach Ihrer heutigen Rede, sondern auch nach den Reden von gestern -, dass das Ihr tragendes Thema sein wird. Ich glaube, dass diese Diskussion zu kurz gegriffen ist. Erstens einmal finde ich es nicht in Ordnung, dass man, wenn man das Fehlen von Mindestlöhnen kritisiert, verschweigt, dass die niedrigen Tariflöhne im Osten immer unten rechts die Unterschrift einer Gewerkschaft tragen. Das wollen wir festhalten!
Immer, wenn wir hier über Dumpinglöhne sprechen, hat ein Genosse der Gewerkschaft unten rechts unterschrieben. Bei der Post ist das so, und auch in den anderen Branchen ist das so. Da ist die Frage doch eine ganz andere, eine ordnungspolitisch fundamentale Frage. Jeder hier ist der Meinung: Wer ordentlich arbeitet, muss davon auch leben können. Ich bin mit Ihnen der Meinung: Es kann nicht Aufgabe des Staates sein, nachlässige Unternehmer oder schwarze Schafe in der Unternehmerschaft quasi noch dafür zu bezahlen, dass sie sich so schlecht verhalten; darüber sind wir uns völlig einig.
Nur, wohin führt es, wenn wir als Politiker künftig die Löhne und die Mindestlöhne festsetzen? Ich sage Ihnen voraus: Dann werden wir das erleben, was Sie im Kanzleramt am Montag letzter Woche gemacht haben, nämlich Lohnverhandlungen in der Politik. Die Union sagt: Wir sind bereit, 8 Euro Mindestlohn zuzugestehen. Die SPD sagt: Unter 9,80 Euro ist mit uns nichts zu machen. - Dann sind wir nicht mehr in der sozialen Marktwirtschaft mit Tarifautonomie, wo Vertragsparteien sich einigen müssen, dann machen wir in Wahrheit Lohndiktat. Mindestlöhne? Maximallöhne, Obergrenzen für Managergehälter? Demnächst vielleicht noch Obergrenzen für Energiepreise? Mindestpreise für Agrarprodukte? Das ist mir, offen gestanden, zu viel DDR. Ich bleibe Anhänger der sozialen Marktwirtschaft.
Frau Bundeskanzlerin, Sie sagen, dass Sie die Maastricht-Kriterien einhalten. Das ist in der Sache falsch. Sie halten ein einziges Maastricht-Kriterium ein, nämlich das Staatsdefizit von 3 Prozent. Die Schuldenstandsquote von 60 Prozent wird mit 63 Prozent unverändert überschritten; auch das muss gesagt werden.
Zur Innenpolitik noch eine Bemerkung. Meine Damen und Herren von der Linken in diesem Hause - damit meine ich auch die SPD; das meine ich nicht polemisch, sondern als Beschreibung der Sitze hier in diesem Hause -,
wenn Sie sagen, dass die Leiharbeit besorgniserregend zunimmt, dann haben Sie eine Entwicklung beschrieben, die uns - über die Parteigrenzen in diesem Hohen Hause hinweg - auf Dauer nicht gefallen kann. Nur, wie wir dagegen vorgehen, das unterscheidet uns. Warum nimmt denn die Leiharbeit zu? Weil unser Arbeitsrecht in Wahrheit immer noch zu starr und zu bürokratisch ist.
Flexibilisieren Sie endlich! Dann haben Sie auch entsprechend positive Effekte. Bei den Preisen ist genau dasselbe zu sagen: Es ist wahr, die Preise steigen. Deswegen kommt der Aufschwung bei den Bürgern auch nicht an. Nur, jemand von der Regierung, der die Preissteigerungen beklagt, obwohl er doch mit Steuererhöhungen ebendiese Preissteigerungen bewirkt, hat kein Recht, dies zu beklagen.
Nun sagen Sie, Sie würden den Durchschnittsarbeitnehmer im nächsten Jahr um 240 Euro entlasten. Das mag ja stimmen. Aber Sie verschweigen, dass Sie zu Anfang dieses Jahres die Arbeitnehmer durchschnittlich um weitere 1 600 Euro belastet haben. Das ist doch keine faire Politik.
Sie nehmen den Bürgern das Schwein vom Hof, geben ein Kotelett zurück und sagen ihnen: Jetzt seid mal schön zufrieden! Kein Wunder, dass die Bürger das nicht mit sich machen lassen wollen.
Ich will mit einer Bemerkung zu einem Thema schließen, über das wir heute Nachmittag, soweit ich weiß, und morgen noch lange reden werden, nämlich über die Innen- und Rechtspolitik. Auch das muss an dieser Stelle noch angesprochen werden.
Wir erleben nämlich nicht nur mehr staatliche Bevormundung in der Wirtschaft, sondern wir haben in diesen ersten zwei Jahren der sogenannten Großen Koalition auch einen atemberaubenden Abbau von Bürgerfreiheiten und Bürgerrechten erlebt. Ich habe nicht die Absicht, das hier unerwähnt zu lassen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man die Freiheit unseres Landes nicht schützen kann, indem man die Freiheit unserer Bürger immer mehr aufgibt. Das ist ein schwerer Fehler.
Ich sage an dieser Stelle: Herr Schäuble setzt in Wahrheit geradezu dramatisiert eine Politik fort, die unter Rot-Grün mit Herrn Schily begonnen wurde. Auch das ist ein schwerer Fehler.
Freiheit muss der Maßstab unserer Republik bleiben. Freiheit steht an erster Stelle, und zwar nicht die Freiheit von Verantwortung, sondern die Freiheit zur Verantwortung.
Soziale Marktwirtschaft ist allemal besser als jeder Weg in Richtung Planwirtschaft oder bürokratische Staatswirtschaft. Das ist unser Auftrag, und das ist die geistige Auseinandersetzung, die in diesem Lande überfällig ist.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion.
Joachim Poß (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht, dass Ihnen die günstige wirtschaftliche Entwicklung in unserem Lande missfällt. Ihnen missfallen die Erfolge am Arbeitsmarkt, obwohl Sie sich doch wie wir über jeden freuen müssten, der Arbeit gefunden hat und jetzt in Lohn und Brot steht. Über 1 Million Menschen haben in den letzten Jahren zusätzlich Arbeit gefunden. Was missfällt Ihnen denn daran, Herr Westerwelle?
Was missfällt Ihnen daran, dass wir bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte so erhebliche Fortschritte erzielen konnten? Was missfällt Ihnen daran eigentlich?
Herr Westerwelle, Sie stehen für die ?dunklen Wolken“ - das Wort haben Sie selbst benutzt - in der deutschen Politik. Da sollen Sie auch stehen bleiben.
Der deutschen Bevölkerung ist nicht zuzumuten, dass Sie aus diesem Schatten auf die politische Sonnenseite wechseln. Das werden wir im Jahre 2009 hoffentlich auch verhindern können. Ich werde jedenfalls alles dafür tun, und ich bin mir sicher, die Sozialdemokratie insgesamt auch.
Mit den Beispielen, die Sie gebracht haben - Zahlenbeispiele von China und anderem -, verzerren Sie die Wirklichkeit in grotesker Weise. Wer so redet, der kann nicht verantwortlich Politik gestalten. Das ist die Wahrheit, Herr Westerwelle, und das müssen Sie sich schon ins Stammbuch schreiben lassen.
Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt: Wenn jemand von uns vor zwei Jahren diese günstige Entwicklung vorhergesagt hätte, dann wäre er oder sie als Phantast bezeichnet worden. Das ist die Wahrheit.
Im Verlauf dieser Woche wird man feststellen können: Wir haben den besten Bundeshaushalt seit 1989. Das ist die schlichte Wahrheit und ein Grund zur Freude.
Damit leugnen wir doch vorhandene Probleme nicht. Wir blenden diese Probleme doch nicht aus. Wenn man wie Frau Künast oder Herr Westerwelle Kritik übt, dann sollte man in der Sache aber auch ein bisschen sattelfest sein.
Frau Künast, Sie haben gesagt, wir würden keine Subventionen abbauen. In dieser Legislaturperiode bauen wir 19 Milliarden Euro an Subventionen ab. Herr Westerwelle sagte, wir würden 74 Stellen draufpacken. Dabei verschweigt er, dass wir in 2008 fast 2 000 Stellen im Bundeshaushalt abbauen.
Verschweigen Sie den Menschen das doch nicht! Sie erzählen doch bestenfalls immer nur die halbe Wahrheit.
Frau Künast sagte, es würden beim Soli Mittel freiwerden. - Wo denn? Wollen Sie als Bundespolitikerin den Bund weiter belasten und die Länder weiter aus ihrer Verantwortung entlassen? Beim Soli werden in den nächsten Jahren leider keine Mittel frei. in absehbarer Zeit jedenfalls nicht.
Die Rechnungen, die Sie auf Ihrem Parteitag beschlossen haben, können Sie doch nicht aufstellen. Sie als Milchmädchenrechnungen zu bezeichnen, wäre noch gestrunzt. Wie kann man den Menschen denn solche unseriösen Rechnungen präsentieren?
Und wie kann man kritisieren, wir täten nichts für den Klimaschutz?
Welche Regierung hat denn ein besseres Klimaschutzprogramm beschlossen als die jetzige Regierung? Das muss man doch sagen, auch in kritischer Rückschau auf rot-grüne Zeiten.
Man muss hier doch die Wahrheit aussprechen dürfen, meine Damen und Herren.
Sofern hier von der Opposition Kritik gekommen ist - egal ob von Herrn Westerwelle oder Frau Künast -, war diese Kritik mit politischer Substanz nicht verbunden. Von Herrn Gysi will ich gar nicht erst reden. Er macht jedes Mal dieselben Luftnummern. Ich glaube aber, dass die Menschen das zunehmend auch erkennen werden.
Frau Künast, die Nettokreditaufnahme 2008 beträgt 11,9 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Wert seit 20 Jahren. Das ist der Fakt. Was sagen eigentlich die grünen Haushälter zu ihren eigenen Parteitagsbeschlüssen, Frau Künast?
Auch die Konsolidierungsperspektive bleibt bei uns unverändert. Die Nettokreditaufnahme wird weiter abgesenkt, und zwar bis auf null. Da wird nichts zurückgedreht, Herr Kollege Westerwelle; da wird keine Politik zurückgedreht, so wie Sie es hier dargestellt haben.
Im Jahre 2008 wäre - das ist richtig - eine etwas schnellere Rückführung der Nettokreditaufnahme möglich gewesen. Das ist nicht zu bestreiten. Darauf haben wir aber verzichtet, und zwar aus guten Gründen. Bisher ist nämlich unsere Strategie, auf der einen Seite zu konsolidieren und auf der anderen Seite Geld für Zukunftsinvestitionen in die Hand zu nehmen, aufgegangen. Diese Strategie ist - wenn man ehrlich ist - so gut aufgegangen, wie wir es vielleicht selbst nicht erwartet hätten. Warum sollten wir eine erfolgreiche Strategie in 2008 verändern? Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass.
Wir haben die Steuermehreinnahmen zur Rückführung der Neuverschuldung und in bestimmten Bereichen zur gezielten Erhöhung von Bundesmitteln genutzt. Dahinter steht das gemeinsame Verständnis in der Koalition und - zumindest bei mir und vielen anderen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten - auch die Überzeugung, dass gute und vernünftige Budgetpolitik mehr sein muss als nur die Zurückführung von öffentlichen Aufgaben und Ausgaben. Peer Steinbrück spricht hier von ?Konsolidieren und Gestalten“. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass eine lediglich fiskalistische Budgetpolitik zu falschen Ergebnissen führt.
Budgetpolitik muss angesichts der aufgebauten hohen Verschuldung natürlich die öffentliche Kreditaufnahme abbauen. Sie muss aber auch bestehende Ungerechtigkeiten und große soziale Ungleichheiten verringern. Budgetpolitik muss auch die Wachstumskräfte erhalten und stärken. Sie muss die Mittel für den Kampf gegen die großen Gefahren für unsere Umwelt bereitstellen. Das tun wir mit dem Klimaschutzprogramm.
Frau Kollegin Künast, ich würde mich sehr wundern, wenn sich die Grünen von den von mir gerade dargestellten Zielen distanzieren würden. All das kostet aber Geld, und zwar viel Geld, das nicht an anderer Stelle eingespart werden kann, es sei denn, wir gingen an solche Posten wie die Rente, um es offen zu sagen. Aber offenkundig wollen auch Sie das ja nicht.
Wir sind auf einem guten Wege. Nur wenn wir jetzt in den Klimaschutz investieren, werden wir den nachfolgenden Generationen auch eine lebenswerte Welt überlassen können. Man darf Generationengerechtigkeit und Nachhaltigkeit nicht allein auf die Reduktion der öffentlichen Verschuldung verengen. Das ist zumindest nicht unsere Sichtweise.
Deswegen bekommt der Umweltminister mehr Geld. Deswegen kann Frau Schavan für die Erhöhung des BAföG mehr Geld ausgeben. Deswegen haben wir die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöht. Deswegen verstärken wir die Verkehrsinvestitionen.
Damit reagieren wir auf drängende Probleme, die für unsere Zukunft von großer Bedeutung sind. Wir geben nicht einfach Geld aus. Wir reagieren auf drängende Probleme unserer Gesellschaft, meine Damen und Herren.
Das ist etwas komplizierter als schwarz-weiß. Man nennt das Policy-Mix.
Das ist nicht der Versuch, es allen recht zu machen, sondern die Kunst, verschiedene Politikziele sinnvoll unter einen Hut zu bekommen.
Auch bei der Föderalismusreform II darf es nicht dazu kommen, dass mit der angestrebten Modifikation der Schuldenregel der Verfassung das gerade gefundene erfolgreiche Gleichgewicht von wirtschaftlicher Impulsgebung, Zukunftsgestaltung und Haushaltskonsolidierung möglicherweise wieder infrage gestellt wird. Eine Schuldenbremse muss realitätstüchtig sein; wir werden eine solche bekommen. In diesem Sinne werden wir im nächsten Jahr die Beratungen in der Föderalismuskommission - hoffentlich mit Ihrer Zustimmung - sicherlich zu einem guten Ergebnis führen.
Es ist der klare Ansatz der SPD in der Regierungskoalition, immer darauf zu drängen, dass die soziale und die ökologische Dimension der Politik nicht vergessen werden. Das geht weit über Haushaltspolitik hinaus.
Franz Müntefering hat das immer genau im Blick gehabt. Noch vor Eintritt in die Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU hat er ganz wichtige gesellschaftspolitische und sozialdemokratische Essentials durchgesetzt, unter anderem den Erhalt der Tarifautonomie. Wir sind für die Tarifautonomie, Kollege Westerwelle. Die Mindestlöhne, die uns vorschweben, untergraben die Tarifautonomie nicht.
Sie sind Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Oder wollen Sie etwa behaupten, dass 22 von 27 Staaten in der Europäischen Union, darunter auch England, keine soziale Marktwirtschaft bzw. Marktwirtschaft haben? Was Sie gerade behauptet haben, ist doch abstrus. Nein, wir werden in unserem Bestreben nicht nachlassen, zu verhindern, dass Lohndumping von der Gemeinschaft der Steuerzahler noch honoriert wird. Das kann ja wohl nicht sein.
Franz Müntefering hat, wie gesagt, schon vor Beginn der Koalitionsverhandlungen Wichtiges für die Arbeitnehmerschaft dieses Landes durchgesetzt. Das gilt auch für den Erhalt der Steuerfreiheit von Sonn-, Nacht- und Feiertagszuschlägen. Dafür gebührt ihm der Dank der gesamten Arbeitnehmerschaft bzw. - das hätte ich früher so pathetisch gesagt - der gesamten Arbeiterbewegung.
Vor diesem Hintergrund ist für mich völlig unverständlich, wie Franz Müntefering auf manchem Gewerkschaftskongress behandelt worden ist.
Es besteht kein Zweifel: Ohne die Sozialdemokraten würde die Politik einer anderen von Frau Merkel geführten Bundesregierung sicherlich an vielen Stellen anders aussehen. Das konnte man auch wieder bei der Rede von Herrn Westerwelle feststellen. Lesen Sie auch den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Leitantrag für den CDU-Parteitag in der nächsten Woche!
Wir, die Sozialdemokraten, werden in dieser Koalition nicht zulassen, dass das Thema Mindestlohn auf die rein betriebswirtschaftliche Dimension reduziert wird. Es geht beim Mindestlohn um ein zentrales gesellschaftspolitisches und soziales Problem,
nämlich darum, dass jeder vollzeitarbeitende Mensch von seiner Arbeit leben können muss. Dafür sollten wir alle in diesem Hause arbeiten.
Am anderen Ende der Gehaltsskala sind die Verhältnisse auch nicht in Ordnung. Herr Westerwelle, ich habe bei Ihnen einen Hinweis auf die pervers hohen Managergehälter und -abfindungen vermisst.
Ich bleibe dabei: Die Millionenabfindungen für Konzernmanager sind zu hoch. In die Lohnfindung können wir als Gesetzgeber nicht direkt eingreifen. Es herrscht Vertragsfreiheit. Aber die Aufsichtsräte, in denen auch Gewerkschafter sitzen, sollten ermuntert werden, an die Bemessung der Managergehälter etwas kritischer heranzugehen, als das in den letzten Jahren geschehen ist.
Es müssen auch keine Bonusprogramme aufgelegt werden. Ich stimme dem Kollegen Gerald Weiß oder auch dem saarländischen Ministerpräsidenten zu: Wir sollten die steuerliche Anerkennung viel zu hoher Abfindungen überprüfen.
Das hat mit Neid und Populismus nichts zu tun, sehr wohl aber damit, den Auswüchsen des Raubtierkapitalismus zu begegnen und mehr gesellschaftliches Augenmaß herbeizuführen.
Auch bei der anstehenden Erbschaftsteuerreform ist ganz deutlich, dass die soziale Dimension und die Gerechtigkeitsfrage eine ganz wichtige Rolle spielen. Eine Erbschaft bedeutet ganz ohne Zweifel einen Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit beim Erben. Dies auch steuerlich zu erfassen - natürlich bei gleichzeitiger Gewährung angemessener Freibeträge -, ist ebenso ein Gebot der Gerechtigkeit wie der ökonomischen Vernunft. Völlig zu Recht hat die OECD unsere Nachbarn in Österreich wegen der Abschaffung der Erbschaftsteuer gerügt; denn die Kehrseite dieser Wohltat für die ganz Reichen ist eine übermäßige Belastung des Faktors Arbeit in Österreich, wohlgemerkt: in Österreich.
Kurzum: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen die Zeche. Diesen Irrweg werden wir in Deutschland nicht mitgehen, auch wenn in einigen Köpfen hier im Saal noch entsprechende Gespenster ihr Unwesen zu treiben scheinen. Die Eckpunkte für eine Reform der Erbschaftsteuer, die die Koalition in der Arbeitsgruppe Steinbrück/Koch erarbeitet hat, sind ein ordentlicher Kompromiss. Da gibt es jetzt keinen Grund mehr zur Unruhe, und ich kann nur dringend davor warnen, das geschnürte Paket in seinen tragenden Elementen nachträglich wieder anfassen zu wollen. Dieses Paket bleibt zu, und zwar auch unter dem Weihnachtsbaum.
Die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer werden doch gebraucht. Bildung und Betreuung, um nur zwei Stichworte zu nennen, sind doch wahrlich Zukunftsaufgaben, für die sich in den Ländern und Kommunen in den kommenden Jahren große Anstrengungen lohnen.
Dass wir Sozialdemokraten unseren Blick aber auch auf die ökonomischen Rahmenbedingungen richten, lässt sich vielfach und eindeutig belegen. Ich komme zum Stichwort Unternehmensbesteuerung. Kollege Gysi, da geht es nicht um Geschenke für Konzerne oder für die Wirtschaft, sondern darum, dass wir endlich Schluss mit dem skandalösen Zustand machen, dass Gewinne von bis zu 100 Milliarden Euro in Deutschland erwirtschaftet und im Ausland versteuert werden. Das wollen wir ändern. Das ist die Gerechtigkeitslücke, um die es geht.
Das ist der Kern unserer Unternehmensteuerreform.
Wir Sozialdemokraten haben außerdem mit Unterstützung der kommunalen Spitzenverbände dafür gesorgt, dass in der Unternehmensteuerreform die Gewerbesteuer verbreitert wurde. Und von dem Kompromiss, den die SPD-Bundestagsfraktion 2003 herbeigeführt hat, profitieren die Städte Gott sei Dank bereits seit Jahren. Schauen Sie sich die Entwicklung der Gewerbesteuer an! Wenn Sie das kritisieren, dann werden Sie demnächst etwas präziser! Wir können uns aber auch unter vier Augen darüber unterhalten, damit Sie nicht in jeder Talkshow immer den gleichen Unsinn erzählen.
Wir betreiben mit Augenmaß eine Politik der ökonomischen Vernunft. Ich finde es bemerkenswert, dass der Anteil der Agenda 2010 am aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung von vielen immer öfter und immer stärker gewürdigt wird. Die vorgebrachte Behauptung, wir würden mit den Weichenstellungen von Gerhard Schröder brechen wollen, ist eine bösartige und in der Regel taktisch motivierte Unterstellung. Hier soll die SPD aus der politischen Mitte und in die Nähe der Linkspartei gedrängt werden. Das werden wir aber nicht zulassen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Lieber Kollege Westerwelle, eines vorweg: Wir koppeln soziale Gerechtigkeit keineswegs von der Leistungsgerechtigkeit ab. Sie haben gesagt, Sie hätten Gregor Gysi gut zugehört. Ihnen ist entgangen, dass er ausdrücklich die überdurchschnittliche Belastung der Normalverdiener und der Mittelschicht hier in diesem Hause kritisiert hat.
Es ist ganz klar, dass wir soziale Gerechtigkeit nicht von Leistungsgerechtigkeit abkoppeln.
Jetzt einige Worte zum Kulturhaushalt. Da hat die Opposition durchaus zu loben: Nach bitteren Sparjahren gibt es jetzt endlich mehr Geld für die Kultur. Als thüringische Abgeordnete mit Standort in Weimar freue ich mich besonders über die 45 Millionen Euro, die die Klassik Stiftung Weimar erhält. Damit kann ein bedeutendes Kulturprojekt Wirklichkeit werden, dem ganzen Land nützend. Dies gilt auch für die Mehrzahl der übrigen Investitionen.
Eines aber ist für uns angesichts der Abkehr vom bisherigen Kaputtsparen unverständlich: die Unterfinanzierung der Stiftung für das sorbische Volk.
Deutschland hat sich mit großem Elan für die UNESCO-Konvention zum Schutz der Vielfalt von kulturellen Ausdrucksformen engagiert und sie vor einem halben Jahr ratifiziert. Da ist es wahrhaft kein gutes Beispiel, wenn in der innenpolitischen Realität eine Minderheit finanziell ausgehungert wird. Da geht es um den Erhalt einer uralten, identitätsstiftenden Sprache, es geht um zweisprachige Bildung, den Erhalt eines Theaters, eines Verlags, eines Instituts. Im Prinzip geht es darum, wie die Mehrheit mit einer ihrer autochthonen Minderheiten umgeht. Im Detail geht es um 600 000 Euro. Eine kleine Summe, wenn man an die 400 Millionen Euro denkt, aber viel Geld für die sorbischen Kultureinrichtungen, wenn es ausbleibt. Es gibt nur ein deutsch-sorbisches Theater. Wenn es schließen muss, geht ein kulturelles Unikat verloren. Kulturelle Vielfalt in einem reichen Land sieht anders aus.
Wir fordern also, dass der Bundeszuschuss auf 8,2 Millionen Euro angehoben wird. Das ist die Summe, die die Stiftung zur Fortsetzung ihrer Arbeit als unverzichtbar ansieht.
Da das derzeit geltende Finanzierungsabkommen zum Jahresende abläuft, fordern wir außerdem, dass endlich ein neues Abkommen zustande kommt, mit dessen Hilfe die Kultur der Sorben gepflegt und erhalten werden kann. Alles andere käme einer Assimilierungspolitik gleich.
Eine zweite Position innerhalb des Kulturhaushalts halten wir für unverantwortbar. Schon im vergangenen Jahr wurden die Mittel der Kulturstiftung des Bundes um 3 Millionen Euro verringert. Nun sollen für 2008 nochmals 2 Millionen Euro weniger zugewiesen werden. Als die Stiftung errichtet wurde, wurde ihr zugesichert, sie jährlich mit 38 Millionen Euro auszustatten. Diese Zusicherung sollte unbedingt eingehalten werden. Die Stiftung leistet hervorragende Arbeit, insbesondere da, wo sie in die kulturelle Bildung unserer Kinder investiert. In diesem Bereich ist noch viel zu tun, gerade für den Bund. Das ist seit langem ein Anliegen meiner Fraktion. In diesem Sinne bitte ich Sie, unseren beiden Änderungsanträgen zuzustimmen.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist an der Zeit, zur Halbzeit der Arbeit dieser Koalition Zwischenbilanz zu ziehen. Ich glaube, dass die unionsgeführte Bundesregierung eine erfolgreiche Bilanz vorlegen kann. Mit unserem Land geht es in vielen Bereichen, beispielsweise auch beim Haushalt, voran. Die Vorfahrtsregel, die heute beschrieben worden ist, muss auch für die zweite Hälfte der Legislaturperiode gelten, nämlich das zu tun, was unserem Land nutzt und die Menschen nach vorne bringt, und das zu unterlassen, was den Aufschwung in diesem Land gefährdet. Das, glaube ich, ist ganz wichtig.
Wichtig ist auch, noch einmal deutlich auszusprechen, dass der Aufschwung, über den wir hier schon mehrfach diskutiert haben, bei den Menschen ankommt. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt in die Nähe von 40 Millionen. Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen erwerbstätig. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Wir haben erfreuliche Ergebnisse bei der Erwerbsbeteiligung Älterer am Arbeitsmarkt; diese steigt deutlich an, und die Langzeitarbeitslosigkeit sinkt. Auch der Ausbildungspakt wirkt. Das heißt, wir haben einen sehr soliden Anstieg bei den Ausbildungschancen junger Menschen. Das alles bedeutet viele neue Chancen für viele Menschen in diesem Land. So lautet die Halbzeitbilanz der Großen Koalition. Das ist höchst erfreulich.
In dieser Haushaltsdebatte kann man es, glaube ich, nicht besser ausdrücken, als Uli Schäfer es heute in der Süddeutschen Zeitung getan hat: ?Stabilität lohnt sich.“ Es lohnt sich für die Menschen, dass wir diese Politik in Deutschland betreiben. Es zahlt sich im Inland wie im Ausland aus.
Ich erinnere daran, wo wir vor rund zwei Jahren beim Haushalt standen. Der Staatsbankrott drohte. Das waren damals die Schlagzeilen in den Zeitungen. Ich erinnere mich daran - ich weiß gar nicht, ob es in den Koalitionsverhandlungen oder öffentlich war -, dass Peer Steinbrück gesagt hat, so schlimm, wie es mit den Staatsfinanzen tatsächlich ist, habe er sich das nicht vorstellen können. Damit hat er eine zutreffende Beschreibung der finanzpolitischen Leistungen der Vorgängerregierung abgegeben.
Deutschland saß in der Europäischen Union auf der Anklagebank. Jede Woche wurde aufgrund unserer miesen finanziellen Situation vom Strafverfahren geredet. Heute, nach zwei Jahren, haben wir das strukturelle Defizit von etwa 60 Milliarden Euro halbiert. Noch im Frühjahr dieses Jahres haben wir angenommen, dass wir für den Haushalt 2008 21,5 Milliarden Euro Schulden brauchen. Wir werden ihn Ende dieser Woche mit 11,9 Milliarden Euro neuen Schulden beschließen.
Das sind 11,9 Milliarden Euro zu viel. Aber es sind immerhin 10 Milliarden Euro weniger, als wir im Frühjahr noch gemeinsam zu benötigen glaubten.
Die Staatsquote wird im nächsten Jahr auf das Niveau von vor der Wiedervereinigung sinken. Damals war Gerhard Stoltenberg Finanzminister eines noch nicht wiedervereinigten Deutschlands. Das macht deutlich: Der Staat zieht sich aus dem privaten Bereich zurück. Weniger Staatsquote bedeutet mehr Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne ist es ein weiterer Beleg für den Erfolg der bisherigen Arbeit.
Unser Ziel, 2011 ohne neue Schulden auszukommen, wird kritisiert. Als damals, beim letzten Mal, ein Null-Schulden-Haushalt angekündigt wurde, lautete die Kritik, ein solcher Haushalt sei unrealistisch. Heute ist die Opposition der Auffassung, ein solcher Haushalt sei früher möglich. Das heißt, es wird gar nicht infrage gestellt, dass diese Große Koalition es schaffen kann, ohne neue Schulden auszukommen. Man mäkelt lediglich an der Geschwindigkeit herum. Wer hätte das vor zwei oder drei Jahren angesichts eines drohenden Staatsbankrotts in diesem Hause eigentlich ernsthaft glauben wollen?
Ich will an dieser Stelle auch deutlich machen: Entgegen anderslautenden Behauptungen wird es am Ende des nächsten Jahres 2 400 Stellen weniger in der Verwaltung des Bundes geben, weil wir unseren Kurs des Stellenabbaus in der öffentlichen Verwaltung konsequent fortsetzen. Wir haben ihn gegenüber dem Regierungsvorschlag noch verschärft.
Das bedeutet nicht, dass wir in bestimmten politischen Bereichen keine Schwerpunkte gesetzt haben. Herr Kollege Westerwelle, das ist im Übrigen auch aufgrund von Anregungen der FDP, denen wir folgen konnten - die Koalition hat einen entsprechenden Antrag eingebracht -, geschehen. Deswegen sollten Sie mit Ihren sehr personalisierten Angriffen in der Sache sehr vorsichtig sein. Sie haben ja auf die Schröder-Rede nach zwei Jahren seiner Kanzlerschaft verwiesen. Leider haben Sie bei dieser Debatte nicht geredet. Ich möchte Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben, was der Kollege Brüderle damals gesagt hat: Flegelhaftigkeit ist kein Stil der Politik. - Das will ich hier im Hinblick auf Ihre Rede einmal in aller Deutlichkeit feststellen.
Kollege Brüderle von der FDP hat ausgerechnet, dass vonseiten der Bundesregierung Mehrforderungen in Höhe von 30 Milliarden Euro - ich sage das mit einem leichten Augenzwinkern in Richtung Kabinettsränge - erhoben worden sind. Wir haben in diesen Haushaltsberatungen keinen Cent draufgelegt; das muss man einmal deutlich machen. Natürlich gab es Wünsche; aber die Haushälter dieser Großen Koalition haben Kurs gehalten. Wünsche gibt es immer in dieser Großen Koalition und auch in kleinen Koalitionen. Aber wie man damit umgeht, ob man Kurs hält, das ist entscheidend. Wir haben entschieden: Trotz Mehrforderungen in Höhe von 30 Milliarden Euro - das ist die Rechnung der FDP - wird dieser Haushalt gegenüber dem Regierungsentwurf um keinen einzigen Euro aufgestockt. Das ist eine klare Kante in der Finanzpolitik.
Zusätzlich ist es uns gelungen, 1 Milliarde Euro weniger Schulden, als von Steinbrück vorgeschlagen, zu machen.
Ich möchte auf einen Punkt eingehen, der schon angesprochen worden ist, nämlich auf die Kulturpolitik. Wir sparen nicht um des Sparens willen, sondern wir setzen auch auf diesem Gebiet Akzente. In den beiden Haushalten, die wir in dieser Woche beraten, wird das größte nationale Kulturinvestitionsprogramm mit einem Volumen von 400 Millionen Euro auf Kurs gebracht. Das ist ein wichtiges Signal. Als Beispiel nenne ich die Klassik Stiftung Weimar oder die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Dieses Programm ist ein Angebot an das Land Berlin, nach Abschluss der Bund/Berlin-Verhandlungen Investitionen in Berlin zu tätigen. Außerdem ist es ein Angebot an die Stadt Bonn, für die auch Sie, Herr Kollege Westerwelle, sich eingesetzt haben. Man kann hier nicht einerseits Ausgaben geißeln und andererseits diejenigen loben, für die man selber eingetreten ist. Ich finde, diese Art und Weise des Umgangs miteinander ist einfach unredlich.
Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat 39 Millionen Euro für den Bau des Festspielhauses ?Ludwig van Beethoven“ bewilligt. Selbstverständlich ist Beethoven ein nationales Ereignis. Wenn Sie die Varusschlacht und den Siebenjährigen Krieg durcheinanderwerfen, dann will ich Ihnen das gerne durchgehen lassen. Aber das eine gegen das andere auszuspielen, geht nicht. Früher hatten Sie einmal eine ?18“ unter dem Schuh; heute scheinen mir da kleine Karos zu sein.
So sollte der Umgang zukünftiger Koalitionspartner nicht sein, die in Nordrhein-Westfalen im Übrigen erfolgreich zusammenarbeiten.
Wir haben in diesem Haushalt Vorsorge für das Stadtschloss getroffen.
Wir haben deutlich gemacht: Wir wollen den Wiederaufbau des barocken Stadtschlosses, und wir können dafür einen festen Kostenrahmen ermöglichen. Allerdings schließen sich Kostenmanagement und kulturelles Bewusstsein in diesem Falle überhaupt nicht aus.
Ein Drittes haben wir in diesem Zusammenhang gemacht: Wir haben für eine Investition in mehrere Aspekte der Moderne - auch des 21. Jahrhunderts - gesorgt und die Mittel für die Kulturhauptstadt Europas 2010 verstärkt. Dies ist ein wichtiger Beitrag für die kulturelle Identität unseres Landes im 21. Jahrhundert.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kampeter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Selbstverständlich, Herr Präsident.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Börnsen. - Anschließend bitte ich, zum Schluss zu kommen.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU):
Herr Kollege, ich habe bei Ihrer Rede mit Aufmerksamkeit verfolgt, dass Sie die großartigen finanzpolitischen Leistungen meines schleswig-holsteinischen Landsmanns Gerhard Stoltenberg, die Orientierung auch für diese Regierung gewesen sind, noch einmal erwähnt haben.
Sie haben nun den Gedanken aufgegriffen, dass der Haushaltsausschuss - Sie persönlich, Frau Merkel und alle anderen Mitglieder - gesagt habe, wir müssten verstärkt in den Kulturstandort Deutschland investieren, weil wir wüssten, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch eine stärkere Attraktivität erhält. In diesem Zusammenhang hat Ihre Vorrednerin mitgeteilt - -
- Ist es richtig, dass sie mitgeteilt hat,
dass die autochthone Minderheit der Sorben trotz der Verbesserungen im Kulturbereich schlechter abschneiden? Ist diese Information richtig? Vielleicht können Sie uns auch noch darüber aufklären, dass in alle Bereiche der Kultur sehr wohl gerecht und umsichtig investiert worden ist.
Steffen Kampeter (CDU/CSU):
Herr Kollege Börnsen, erstens stimme ich Ihnen zu, dass die Zusammenarbeit mit der Kollegin Merkel ausgesprochen angenehm ist und in der Sache erfolgreich voranschreitet. Ich bin in einer etwas schwierigen Situation, da ich hier mit zwei Damen Merkel aus unterschiedlichen Fraktionen zurechtkommen muss.
Aber bisher ist dies relativ erfolgreich gelungen.
Was die Sorben angeht, halte ich in Beantwortung Ihrer Frage Folgendes fest:
Erstens. Der Bund hat in den vergangenen Jahren für die sorbische Volksgruppe über seine Verpflichtungen aus dem Finanzierungsabkommen hinaus zusätzliche Leistungen an die Stiftung gezahlt. Wir sind weit über das hinausgegangen, was wir mit den Ländern Brandenburg und Sachsen vereinbart hatten.
Zweitens. Wir haben in einem von allen Fraktionen unterstützten Antrag eine Aufstockung des Zuschusses an die Stiftung für das sorbische Volk in Höhe von - ich habe das jetzt nicht im Kopf -
600 000 Euro beschlossen und dies mit einem klaren Verhandlungsauftrag an den Staatsminister für Kultur und Medien verbunden, der einer der erfolgreichsten Minister dieser Bundesregierung ist, was zu Anfang dieser Legislaturperiode viele gar nicht glauben wollten. Dies wird aber jetzt an Themen wie der Filmförderung oder der Bundeskulturstiftung deutlich. Der klare Verhandlungsauftrag besagt, mit den Ländern Sachsen und Brandenburg ein neues Finanzierungsabkommen auszuhandeln, in ihm die vielen kritischen Anregungen des Bundesrechnungshofes und des Bundesverwaltungsamtes aufzugreifen, die die Zusammenarbeit zwischen Bund, Sachsen, Brandenburg und der Stiftung für das sorbische Volk betreffen, und anschließend dem Deutschen Bundestag dieses Finanzierungsabkommen mit der Perspektive einer fairen Lastenverteilung zwischen den Beteiligten vorzulegen.
Als Union und als Große Koalition stehen wir zu unserer Verantwortung für die autochthone Minderheit der Sorben. Wir haben ein entsprechendes Verhandlungsangebot auch materiell untermauert. Ich halte es für richtig, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zumindest im Haushaltsausschuss diesem Verhandlungsangebot zugestimmt haben, und ich bin zuversichtlich, dass es Bernd Neumann, unserem Staatsminister für Kultur und Medien, mit seinem Verhandlungsgeschick und seinem Charme gelingen wird, die Verhandlungspartner zusammenzuführen und mit ihnen gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit in diesem Bereich der Kulturpolitik, aber auch im Bereich der Haushaltspolitik insgesamt. Das Ergebnis, das am Freitag zur Abstimmung stehen wird, kann sich sehen lassen. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung auf ausgeglichene Haushalte und eine nachhaltige Finanzpolitik. Dies muss ein Markenzeichen nicht nur der Union, sondern auch jeder Regierung sein, an der die Union aktiv beteiligt ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt vom Bündnis 90/Die Grünen.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das ist heute ein schönes Happening.
- Nein, das meine ich ernst. 400 Millionen Euro mehr für die Kultur: Darüber kann man sich wirklich freuen.
Ich gebe allerdings zu: Ich würde mich gerne mitfreuen, ohne dass das Ganze ein Geschmäckle hat. Wenn man nach 24 Uhr im Haushaltsausschuss etwas einbringt, was schon am nächsten Tag in einer Regionalzeitung als beschlossen dargestellt wird - die Zeitung hat also schon gewusst, was beschlossen werden wird, bevor es im Haushaltsausschuss überhaupt auf dem Tisch lag -, dann hat das für mich ein Geschmäckle. Das ist nicht sinnvoll.
Herr Kampeter, ich will Ihnen auch sagen, warum ich das nicht sinnvoll finde. Sie haben eben die Varusschlacht erwähnt und Herrn Westerwelle belehrt - das ist in Ordnung; politische Bildung soll es im Deutschen Bundestag ja auch geben -, aber ich glaube, dass die Klassik Stiftung Weimar und auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten es nicht verdient haben, dass der Eindruck erweckt wird, man schiebe nachts etwas über den Tisch nach dem Motto ?Für mich Varus und für dich Goethe“. Das haben sie nicht verdient. Sie sind mehr wert. Sie sind deutsches Kulturerbe. Das kann man nicht um Mitternacht verhandeln.
- Das ist der entscheidende Punkt. Das eine ist der Haushalt 2008, das andere der Nachtragshaushalt 2007, mal kurz über den Tisch geschoben. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung hat von einer Kriegskasse geredet.
Ich glaube, das ist keine sinnvolle Haushaltspolitik, und es ist der Projekte, um die es geht, und unseres kulturellen Erbes nicht würdig. Wir haben etwas anderes verdient. Sie hätten Ihre Vorschläge eher vorlegen und deutlich machen können, welche Wichtigkeit das hat, statt Deals zu verabschieden.
Ich will an dieser Stelle aber vor allem über einen anderen Punkt reden, den ich noch viel wichtiger finde, wenn wir in diesem Hause über die Kulturpolitik reden, und zwar die Erinnerungskultur. Auch bei diesem Thema sind die Haushaltsberatungen nicht leicht gewesen. Salomon Korn hat während Haushaltsberatungen in der Zeit darauf hinweisen müssen, dass in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald nur 50 Prozent der Führungen stattfinden können. Das halte ich für einen absoluten Skandal, wenn es um Vergangenheitsaufarbeitung und Erinnerungskultur in Deutschland geht.
Auch dabei gab es ein langes Hin und Her, ob man der Gedenkstätte wenigstens 400 000 Euro mehr gewähren sollte. Es hat einer riesigen Anstrengung bedurft, aber es ist jetzt beschlossen worden. Dafür bin ich froh und dankbar.
Was die Erinnerungskultur angeht, will ich mit Blick auf die Zukunft ausdrücklich vorwarnen - in der gleichen Zeit hat nämlich im Kulturausschuss die Anhörung zur Erinnerungskultur stattgefunden -: Wir können uns in der Erinnerungskultur keine Schwerpunktverschiebung weg von der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit leisten. Ich glaube, das gebietet die Verantwortung, die wir in Deutschland für unsere eigene Geschichte haben.
Das hat die Anhörung sehr deutlich gemacht. Wenn man über das Jahrhundert des Totalitarismus und die beiden deutschen Diktaturen redet, dann sind wir auf dem falschen Weg. Das halte ich für sehr gefährlich in einer Zeit, in der Neonazis überall in Deutschland versuchen, sich zu verankern. Ich halte das für gefährlich in einer Zeit, in der wir einen Neuanfang bzw. einen Neuaufbruch brauchen, gerade weil viele überlebende Zeitzeugen bald nicht mehr da sein werden. Wir brauchen einen Neuaufbruch für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, die in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle für unser kritisches Geschichtsbewusstsein spielt.
Es geht nicht an, bei der Zivilgesellschaft zu streichen und nach dem Motto zu verfahren, an ihrer Stelle werden es schon die Institutionen in Deutschland machen. Es geht auch nicht, auf der einen Seite zulasten eines kritischen Geschichtsbewusstseins zu streichen und auf der anderen Seite davon auszugehen, dass sich die Bedeutung der Gedenkstätten danach bemessen wird, wie wirtschaftlich sie sind. Sprich: Eine Gedenkstätte ist umso wichtiger, je mehr Besucherinnen und Besucher sie hat. Auch das hat für mich nichts mit kritischem Geschichtsbewusstsein und mit der Bedeutung zu tun, die wir in Deutschland aus meiner Sicht mit diesen Gedenkstätten verbinden müssen.
Und als Letztes: Wenn es um die Aufarbeitung unserer DDR-Geschichte in Deutschland geht, macht es keinen Sinn, so zu tun, als ob es da nur Repression, Anpassung, Abhängigkeit, Ausgrenzung und Widerstand gegeben hätte.
- Ganz bestimmt nicht. Ich bin bestimmt nicht die Richtige, der Sie das sagen müssen, dass wir nicht verniedlichen wollen, nein.
Aber der Punkt ist genau, dass wir über das andere ebenso reden müssen: über Loyalitäten, über ideologische Überzeugung. Nur dann, wenn wir in Gänze darüber sprechen, werden wir nämlich verhindern, dass die Vergangenheit verniedlicht und bagatellisiert wird. Wem wir damit einen Gefallen täten, das wissen wir hier im Hause ganz genau.
Davor müssen wir auf der Hut sein. Wir haben zwei wichtige Debatten dazu vor uns. Ich will das an dieser Stelle wegen der Zeit nur in Stichworten sagen: Das eine ist die Debatte um das sichtbare Zeichen, das andere die Debatte um das Denkmal für Einheit und Freiheit. Beides gehört auch in diesem Sinne zusammen, und ich hoffe sehr, dass wir mit kritischem Geschichtsbewusstsein dafür sorgen, hier nicht eine Schlagseite zu bekommen, die der Geschichtsaufarbeitung, die wir in der Vergangenheit hatten und die wir so dringend brauchen, zuwiderläuft. Wir stehen hierbei in einer Verantwortung, die mehr ist, als die Debatte hierzu am heutigen Tag gezeigt hat.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel von der SPD-Fraktion.
Petra Merkel (Berlin) (SPD):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, die Haushaltsberatungen in diesem Jahr waren sehr erfreulich.
Was in diesem Jahr erfreulich war, sind die Fakten, die hier schon oft genannt worden sind und die ich auch nicht verschweigen will: Dass die Nettokreditaufnahme erheblich gesenkt werden konnte - von 19,5 Milliarden Euro auf 14,4 Milliarden Euro in diesem Jahr; im nächsten Jahr soll sie auf höchstens 11,9 Milliarden Euro festgeschrieben werden -, ist ein Erfolg. Dass unser Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, näherrückt - spätestens im Jahr 2011 -,
ist ebenfalls ein Erfolg. Dass die Steuereinnahmen höher sind als erwartet, ist auch gut, und dass sich die wirtschaftliche Lage verbessert hat - das Zeichen dafür sind über 1 Million Arbeitsplätze mehr -, ist auch etwas, das als Erfolg bezeichnet werden kann. Das lassen wir auch nicht kleinreden.
Lieber Kollege Kampeter, wer wie Sie nach zwei Jahren Regierungserfahrung glaubt, man müsse nur an einer Stellschraube drehen, um Erfolg zu haben, der greift meines Erachtens zu kurz. Dieser Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass die rot-grüne Koalition - auch zusammen mit der CDU/CSU im Bundesrat - Reformen in Gang gesetzt hat, die jetzt Wirkung zeigen. Rot-Grün hat damit angefangen, die Große Koalition hat dies erfolgreich fortgeführt,
und das ist auch ein Ergebnis von konsequenter Politik, auf deren Kontinuität zumindest die Sozialdemokraten stolz sein können; denn sie war erfolgreich.
Weniger Schulden zu machen, ist ein richtiges und ein wichtiges Ziel, das wir auch weiterhin verfolgen. Wichtig ist aber auch, dass es nicht das einzige und alleinige Ziel ist, sondern ein Mittel, die Notwendigkeit dafür, wieder Luft zu bekommen, Handlungsspielräume zu erschließen und Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. Richtig ist: Haushalts- und Finanzpolitik muss Begehrlichkeiten abwehren können, muss aber auch Impulse geben.
Wir schmeißen kein Geld zum Fenster hinaus, sondern investieren angesichts der stabileren Lage in Bereiche, die die Stabilität sichern und weiter festigen sollen. Umso erfreulicher ist es, wenn die Einnahmen höher sind als erwartet; umso erfreulicher ist, dass wir durch den Nachtragshaushalt 2007 aufgrund höherer Einnahmen nun auch zusätzliche Mittel hatten, die wir gezielt einsetzen konnten.
Durch die Steuermehreinnahmen konnten wir mit dem Nachtragshaushalt wichtige Vorhaben finanzieren und Schwerpunkte setzen. Mit der Einrichtung eines Sondervermögens in Höhe von 2,15 Milliarden Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige konnten wir einen wesentlichen Beitrag für eine zukunftsorientierte Familienpolitik leisten. Das ist ein wesentlicher Schwerpunkt sozialdemokratischer Politik.
Wir investieren in Köpfe und somit in Zukunft. Das tun wir auch mit dem Haushalt 2008 durch die Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze um 10 Prozent und der Freibeträge um 8 Prozent.
Auch das Meister-BAföG steigt. Damit bringen wir spürbare Verbesserungen und sorgen für mehr Chancengleichheit.
Meine Kolleginnen und Kollegen haben schon darauf hingewiesen, welche weiteren Schwerpunkte wir im Bereich Bildung und Forschung setzen konnten. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Wir haben den Etat in den Haushaltsberatungen um 163,3 Millionen Euro erhöht.
Mein Hinweis auf die anderen Einzelpläne ist noch nicht zu Ende. Ein Programm, das mir besonders wichtig ist, weil es auf eine Initiative von uns Haushältern, Steffen Kampeter, zurückgeht, ist: Im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie wird nun ein Programm zur Umsetzung kreativ-wirtschaftlicher Konzepte neu gestartet. Mit insgesamt 5 Millionen Euro sollen so kreativ-wirtschaftliche Projekte aus allen Bundesländern gefördert werden.
Ich komme jetzt zu einem meiner Etats aus dem Bundeskanzleramt, zum Kulturhaushalt. Neben diesen eben genannten Investitionen konnten wir in den Kulturhaushalt weitere Mittel einstellen.
So fließen - das haben Sie von der Opposition schon angemerkt - zusätzliche Mittel in Höhe von 400 Millionen Euro als Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen. Auf eines möchte ich an dieser Stelle ganz besonders hinweisen: Dies geschah im Parlament und durch das Parlament.
Dieses Geld kam nicht durch den von mir durchaus geschätzten Herrn Staatsminister in den Haushalt.
Dass Sie sich, Herr Neumann, über diese Mittel, die Ihrem Etat zugutekommen, freuen, ist verständlich; das tue auch ich. Sie haben einen unverhofften Geldsegen erhalten, für den Sie nichts tun mussten.
Die Bereitstellung dieser zusätzlichen Mittel war ein Wunsch des Parlaments und ist auf eine Initiative des Parlaments zurückzuführen. - Das war zur Klarstellung nötig.
Diese Mittel sind für mich ein gutes Beispiel, wie Gelder gezielt eingesetzt werden können, um Impulse und Prioritäten zu setzen. Zunächst einmal sind diese Zuschüsse für national bedeutsame Kulturinvestitionen an die Kofinanzierung durch Länder und Kommunen sowie Private gekoppelt. Das heißt, es fließen mehr Mittel, als wir einstellen.
Teil dieses Programms sind Mittel für die Sanierung der Staatsoper in Berlin, für die Klassik Stiftung Weimar, die Stiftung Festspielhaus Beethoven in Bonn und die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.
Hier ganz gezielte Investitionen zu leisten, ist uns mit diesem großen Programm gelungen.
Alle Mittel sind gesperrt, weil wir im Haushaltsausschuss die Entsperrung der Mittel für alle diese Projekte erst freigeben werden.
Wir haben auch ein Programm für den Denkmalschutz in Höhe von 40 Millionen Euro aufgelegt.
Dies wird vielen Ländern und Kommunen zugutekommen. Wir haben gemerkt, dass sich die Länder und Private daran beteiligen. Dies sind Investitionen, die in den einzelnen Regionen einen Anker setzen. Das schafft zusätzliche Arbeit und kommt dem Mittelstand zugute. Diese Art der Impulssetzung streben wir an; deswegen stellen wir diese 40 Milliarden zur Verfügung.
- 40 Millionen, richtig.
- Richtig, das kommt vielleicht beim nächsten Mal, wenn es so weitergeht.
Wir begleiten Projekte, auch solche, die eines sehr sensiblen Umgangs bedürfen. Das ?sichtbare Zeichen“ ist für mich so ein Projekt. Es steckt gerade in den Anfängen und benötigt meiner Meinung nach eine sorgsame und sensible Begleitung. Als ?sichtbares Zeichen“ soll auf der Grundlage der vom Bonner Haus der Geschichte konzipierten Ausstellung ?Flucht, Vertreibung, Integration“ eine Dauerausstellung in Berlin eingerichtet werden.
An dieser Stelle erlaube ich mir die persönliche Bemerkung, dass über die derzeit ins Auge gefasste Unterbringung der geplanten Dauerausstellung im Deutschlandhaus noch einmal diskutiert werden muss, und zwar sowohl im Kulturausschuss als auch im Haushaltsausschuss.
Dieser Standort muss meiner Meinung nach überprüft werden. Die SPD-Fraktion war immer der Auffassung, dass diese Dauerausstellung in die bestehende Museumslandschaft eingebettet werden müsse und die europäische Einbindung von zentraler Bedeutung sei.
Ich gebe Folgendes zu bedenken: Eine räumliche Nähe des ?sichtbaren Zeichens“ zum Landesverband der Vertriebenen in Berlin im Deutschlandhaus könnte zu Recht den Verdacht erwecken, dass eine inhaltliche Nähe zu dem vom Bund der Vertriebenen geplanten Zentrum gegen Vertreibung geschaffen werden soll. Das widerspräche nach meiner Auffassung der Koalitionsvereinbarung. Eine deutliche Abgrenzung des ?sichtbaren Zeichens“ von einem Zentrum gegen Vertreibung - sowohl räumlich als auch inhaltlich - ist - da bin ich sicher - für die SPD-Bundestagsfraktion Grundvoraussetzung für die Umsetzung dieses Projekts. Sie sehen: Es besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf.
Ich möchte noch ein Beispiel für den Bereich des Reformierens geben. In diesem Zusammenhang darf ich auf die Föderalismuskommission II eingehen. Dort arbeiten wir daran, neue, wirksamere Grenzen und Begrenzungen der Verschuldung zu definieren und zu vereinbaren. Wir haben uns vorgenommen, die Finanzbeziehungen und Verwaltungsaufgaben zwischen dem Bund und den Ländern neu zu ordnen und dadurch Einsparungen zu erzielen.
Ein Bereich, in dem wir meiner Meinung nach tätig werden können und sollten, ist die Einführung einer Bundessteuerverwaltung.
Während der zweiten Expertenanhörung der Föderalismuskommission II wurde deutlich, dass die Einrichtung einer solchen Bundessteuerverwaltung sehr wohl interessant ist.
Ich halte es für ein gutes und wichtiges Instrument, durch eine Bundesbehörde Steuern einzuziehen. Entscheidend ist, dass sich dann kein Land herausmogeln und auf seinem Gebiet Betriebsprüfungen vernachlässigen kann. Kein Bundesland sollte damit punkten, dass es weniger Mitarbeiter bei der Steuerverwaltung und Steuerprüfung gibt. Sie alle wissen, was das für ein fatales Signal ist. Laxes Auslegen der Steuergesetze darf nicht als Standortfaktor genutzt werden.
Da sage ich als Haushälterin: So nicht!
Neben den gleichen Bedingungen für die Durchführung in den Ländern, die wir durch eine Bundessteuerverwaltung schaffen könnten, gefällt mir besonders ein charmanter Gedanke: nämlich dass die Effektivitätsgewinne, die Mittel, die man durch Bürokratieabbau beim Einziehen von Steuern erhält - das sind ungefähr 10 Milliarden Euro -, sowohl dem überschuldeten Bund als auch den überschuldeten Ländern zugutekommen. Es gab die Überlegung, dabei auch den Abbau von Altschulden einzubeziehen. Alle würden davon profitieren: der Bund, die Länder und die Kommunen. Wir sollten weiterhin darüber nachdenken, ob das nicht ein Weg ist, den wir gemeinsam gehen können.
Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass wir solche Reformen in Angriff nehmen können. Wir haben jetzt aufgrund der Haushaltssituation gute Bedingungen dafür. Wir haben ein Zeitfenster, das wir nutzen sollten. Ich hoffe, dass wir gemeinsam in diese Richtung gehen können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Monika Grütters von der CDU/CSU-Fraktion.
Monika Grütters (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht selbstverständlich, dass beim Kanzleramt die Kultur ressortiert. Aber daran sehen wir: Hier geht es um Grundsätzliches, um die Einsicht nämlich, dass nationale Identität vor allem aus dem Kulturleben eines Landes wächst, aus dem traditionellen Erbe übrigens ebenso wie aus der künstlerischen Avantgarde.
Diese Bundesregierung mit Bernd Neumann als Staatsminister für Kultur und Medien kann eine stolze und auch, wie es in einer Zeitung stand, fröhliche Zwischenbilanz ziehen.
Noch nie stieg der Kulturetat so steil an wie seiner, und noch nie hat eine Bundesregierung die Rolle der Kultur so eindrucksvoll auch im Haushalt gestärkt wie diese, lieber Steffen. Seit der Wende gab es übrigens auch keine Bundesregierung, die die kulturpolitische Rolle der Hauptstadt so souverän anerkannt hat wie die Regierung Merkel.
Der Kulturetat ist 2006 um 2,1 Prozent gestiegen, 2007 um weitere 3,5 Prozent und jetzt zum dritten Mal in Folge um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dass darüber hinaus im zweiten Jahr seiner Amtszeit ein nationaler Kulturinvestitionsplan in Höhe von 400 Millionen Euro gelingen konnte, hat Bernd Neumann zu Recht staunende Bewunderung eingebracht: Vom ?Wunder von Bernd“ ist die Rede,
von Neumanns ?Kampfdiplomatie“ und vom ?Neumann im Glück“. Chapeau, Herr Staatsminister, dass dieses Lob auch noch vom immer nörgelnden Deutschen Kulturrat kommt.
Das ist doch ein wahrer Ritterschlag.
Ein Glück für uns ist ebenso, dass die CDU/CSU in Steffen Kampeter einen wahren Kulturfreund als Chefhaushälter hat.
Das ist auch ein Gewinn für die Kultur in unserem Land, für deren Bedeutung so das Bewusstsein geschärft wird - nicht nur mit der entsprechenden Finanzierung vieler Maßnahmen, aber eben auch nicht ohne sie. Ich darf zum Beispiel daran erinnern, dass nach 30 Jahren Hängepartie endlich die UNESCO-Konvention zum Kulturgüterschutz umgesetzt sowie die Übereinkunft zur kulturellen Vielfalt vom Kabinett verabschiedet wurde. Bernd Neumann hat - das wissen Sie - die Filmförderung und mit der EU-Fernsehrichtlinie auch die Zukunftsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gestärkt sowie die Deutsche Welle nach langen Jahren der Kürzung endlich wieder angemessen finanziert.
Frau Göring-Eckardt, es ist richtig, dass Erinnerungskultur hier eine zentrale Bedeutung hat. Aber ich muss Sie korrigieren: Bei der Anhörung war es die Mehrheit der Anzuhörenden, die das Konzept der Regierung zur Fortschreibung des Gedenkstättenkonzepts unterstützt hat. Es geht darum, die Unterstützung der Bundesregierung für national bedeutsame Gedenkstätten der NS-Terrorherrschaft zu verstetigen, aber gleichzeitig die Aufarbeitung der SED-Diktatur in angemessener Weise zu verstärken.
Das ist von fast allen Anzuhörenden getragen worden.
Hierzu gehört auch - Frau Merkel hat es erwähnt - das sichtbare Zeichen gegen Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung. Jetzt, nachdem das Konzept vorliegt, ist es Sache des Parlaments, dieses wichtige Vorhaben zum Erfolg zu führen. In diesem Zusammenhang sind auch die Anstrengungen des Kulturstaatsministers zu nennen, um in Fragen der Restitution von Kulturgut möglichst zu bundesweit einheitlichen, moralischen Maßstäben entsprechenden und transparenten Lösungen zu kommen. Die Verbesserung der Provenienzrecherche ist Voraussetzung dafür. Dafür liegt ein neues, solide finanziertes Konzept vor.
Außer zur Initiative ?Ein Netz für Kinder“ oder zum NRW-Projekt ?Jedem Kind ein Instrument“ möchte ich als Berliner Abgeordnete - sehen Sie es mir bitte nach - Folgendes sagen: Bernd Neumann hat - dafür danke ich ihm - ein großes Herz für die Hauptstadt. Das Bode-Museum wurde im Oktober 2006 wiedereröffnet. Für die Errichtung des neuen Eingangsgebäudes auf der Museumsinsel sind immerhin zusätzliche Mittel in Höhe von 73 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden.
Was lange währt, wird bekanntlich endlich gut. Daher bin ich zuversichtlich, dass die Verhandlungen des Bundes mit Berlin in Sachen Staatsoper - auch hier geht es immerhin um 200 Millionen Euro - erfolgreich zu Ende gebracht werden.
- Wenn der Senat mitmacht.
Das Bekenntnis zur Kultur ist für uns immer auch ein Bekenntnis zu den Wertegrundlagen unserer Gesellschaft. Kultur ist kein dekorativer Luxus, den sich eine Gesellschaft leistet, sondern eine Vorleistung, die, so meine ich, allen zugute kommt.
Diese Regierung hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie die Bedeutung der Kultur für die Kulturnation Deutschland erkannt hat. Daher darf, wie ich meine, nicht nur die Frankfurter Rundschau unseren Kulturstaatsminister getrost als den ?Herbstmeister der Großen Koalition“ würdigen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzte Rednerin zu diesem Einzelplan hat das Wort die Kollegin Monika Griefahn von der SPD-Fraktion.
Monika Griefahn (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren ist es gute Tradition geworden, dass wir im Rahmen der Debatte über den Kanzlerhaushalt auch eine Kulturdebatte führen. Da der Staatsminister für Kultur und Medien im Kanzleramt residiert, kann der Kulturhaushalt in diesem Zusammenhang besprochen werden.
Der Haushalt des Kulturstaatsministers wurde schon mehrfach erwähnt.
Auch vom ?Wunder von Bernd“ wurde schon gesprochen. Ich möchte meiner Kollegin Merkel ausdrücklich zustimmen. Ohne das Bemühen des Staatsministers zu schmälern zu wollen, muss ich jedoch sagen: Die Erfolge sind eher ein Wunder des Parlamentes. Das ist unser Job, und das ist unsere Rolle.
Deswegen möchte ich mich an dieser Stelle ganz besonders bei den Kollegen im Haushaltsausschuss bedanken, insbesondere bei Petra Merkel. Ohne das Engagement der Haushälter im Ausschuss kann man solche Projekte nicht auf die Beine stellen. Ganz herzlichen Dank allen, die dazu beigetragen haben. Petra, ich danke dir ganz besonders für deinen Einsatz.
Dieser Geldsegen ist gut angelegt. Mit diesen Mitteln werden wichtige Investitionen finanziert, die überfällig sind. Frau Merkel hat die anstehende Sanierung der Staatsoper in Berlin, das Denkmalschutzprogramm und anderes erwähnt. In den Haushaltsberatungen war uns insbesondere die Förderung des Lepsius-Hauses in Potsdam und die Erhöhung der Mittel für das Projekt ?Kulturhauptstadt Essen 2010“ wichtig. Das sind Projekte, die nicht auf der Strecke bleiben sollen.
Der Denkmalschutz ist uns ein besonderes Anliegen, weil er auch aus strukturpolitischer Sicht eine große Bedeutung hat. 2003 endete das sogenannte Dach- und Fachprogramm der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Zwar gab es im Bereich des Denkmalschutzes weiterhin Bundesfördermittel, sie hatten jedoch keine Breitenwirkung und entfalteten keine Strahlkraft. Dabei sind gerade der Denkmalschutz und die Erhaltung des kulturellen Erbes Bereiche, in denen die Länder bei aller Kulturhoheit auf die Unterstützung des Bundes angewiesen sind. Viele Gemeinden können die für die Erhaltung einer Kirche oder eines denkmalgeschützten Fachwerkhauses erforderlichen Mittel nicht aufbringen. Solche Gebäude sind aber neben den großen Leuchttürmen wie den preußischen Schlössern und Gärten wichtig, gerade für die Menschen vor Ort. Deswegen freue ich mich über dieses Programm ganz besonders.
Es ist unser Anliegen, diesen Bereich für ganz Deutschland auszubauen. Dabei sollte man wissen, dass Denkmalpflege und Denkmalerhaltung auch zentrale Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktoren sind. In diesem Bereich sind viele kleine und mittelständische Unternehmen tätig, die oftmals hochgradig spezialisiert sind. Dadurch bleiben zudem Handwerksberufe erhalten, die sonst wahrscheinlich aussterben würden, wie zum Beispiel Stukkateure oder Steinmetze. Wie wichtig diese selten gewordenen Handwerkskünste sind, war bei der Herstellung der Spiegel im Grünen Gewölbe in Dresden zu erleben, das vor einem knappen Jahr von der Bundeskanzlerin wiedereröffnet wurde. Hier wurde eine Technik angewendet, die nur noch ganz wenige Experten beherrschen. Deswegen ist es wichtig, dies weiterhin zu fördern. Wir sind beim Handwerk weltweit Spitze.
Das heißt, wir stützen mit dem kulturellen Erbe nicht nur das materielle Erbe, sondern eben auch das kreative Erbe, das Wissen und die Tradition. Es ist ganz wichtig, das im Rahmen von Kulturpolitik immer wieder deutlich zu machen und Spitzentechnologie und Tradition hier gemeinsam zu verankern. Unsere lebendige Gesellschaft lebt von dem Wissen und den Fähigkeiten. Wir müssen diese weitervermitteln. Kulturpolitik ist eben auch immer Bildungs- und Wirtschaftspolitik.
Kulturpolitik ist gestaltende Politik. Das ist ein wichtiger Punkt.
Stichwort: Grünes Gewölbe und Dresden. In diesem Zusammenhang muss ich leider noch eine Randbemerkung machen. Während Deutschland für seinen Denkmalschutz weltweit gelobt und beneidet wird, verspielen wir gerade beim Streit um die Waldschlösschenbrücke in Dresden diese Anerkennung. Kompromisse zur Lösung des Streits sind möglich. Der Bund würde diese sogar mit zusätzlichen Mitteln unterstützen. Mittlerweise gibt es mehr als 20 000 Unterschriften dafür, mit einem neuen Bürgerentscheid eine Kompromisslösung herbeizuführen und einen Tunnel zu bauen.
Einzig die Landesregierung in Sachsen hat bisher keine ernsthaften Bemühungen um einen Kompromiss unternommen. Das finde ich sehr bedauerlich.
An die Adresse der Bundesregierung möchte ich hinzufügen: Die Bundesrepublik steht hier insgesamt in der Verantwortung. Denn das schlägt auf uns zurück, übrigens auch auf die anderen Bundesländer
und auf die, die weitere Anträge auf Kulturerbestandorte stellen. Mir blutet das Herz, wenn ich sehe, dass durch das Fällen von mehr als hundert Jahre alten Eichen unwiderrufliche Tatsachen geschaffen werden. Das sind übrigens Bäume, die in Sachsen einmalig sind. Hier werden gewachsene Strukturen zerstört. Das ist keine gestaltende, sondern zerstörerische Politik.
Nun wieder zum Erfreulichen, zu den Steigerungen im Haushalt 2008. Hier wurden schon die Mittel für die Gedenkstätten Buchenwald und Dachau erwähnt. Gedenkstätten sind Lernorte und wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Es ist erfreulich, dass die Besucherzahlen in den Gedenkstätten zunehmen und dass wir uns über Geschichte informieren. Das spricht für ihre Arbeit. Jedoch müssen die Gedenkstätten in die Lage versetzt werden, mit den damit verbundenen Anforderungen umzugehen. Sie müssen mehr Führungen anbieten und mehr Personal beschäftigen können.
Auch wenn wir jetzt schon Verbesserungen erreichen konnten, liegen die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Gedenkstättenförderung durch den Bund noch vor uns. Wir diskutieren darüber; das wurde schon erwähnt. Vorgeschlagen wird unter anderem, die Gedenkstätten in den westlichen Bundesländern in die institutionelle Förderung aufzunehmen. Wir als SPD-Fraktion unterstützen dieses Ansinnen sehr.
Wir müssen uns darüber klar sein, dass im nächsten Jahr wahrscheinlich zusätzliche finanzielle Mittel dafür nötig sein werden. Das müssen wir bei den zukünftigen Haushaltsverhandlungen im Auge haben, damit wir genau diese Lernorte für unsere Kinder und auch andere Menschen erhalten. Die Kinder werden heute schon durch entsandte Lehrer unterrichtet. Aber die anderen Menschen, die in diese Lernorte kommen, haben die Schwierigkeit, dort keine Führung zu bekommen. Das müssen wir vorsehen; das ist ganz wichtig.
Es gibt weitere politische Schwerpunktthemen, die uns im nächsten Jahr beschäftigen werden. Die Enquete-Kommission ?Kultur in Deutschland“ wird in der nächsten Sitzungswoche ihren Abschlussbericht vorlegen. Wir werden hier darüber diskutieren. Darin werden viele Bereiche unserer vielfältigen Kulturlandschaft beschrieben, die sonst eher nicht im Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung stehen. Es ist wichtig, dass sich das im Haushalt wiederfindet, zum Beispiel in Form der soziokulturellen Zentren, die oftmals im ländlichen Raum oder in städtischen Schwerpunkten das einzige kulturelle Angebot darstellen. Hier werden mit wenigen finanziellen Mitteln vielfältige kulturelle Angebote ermöglicht, die sich stark an den Interessen und Bedürfnissen sowohl der Bürger als auch der Künstler orientieren.
Diese Arbeit wird an Bedeutung zunehmen. Die Stärkung der kulturellen Bildung findet in den soziokulturellen Zentren statt; dort wird Kultur als Teil von Integration berücksichtigt. Deswegen müssen wir sie unterstützen. Etablierte Kultureinrichtungen haben eine wichtige Vorbildfunktion. Daher müssen Einrichtungen wie Bibliotheken und Musikschulen erhalten werden, gerade im ländlichen Raum. Diesen wichtigen Aspekt müssen wir weiterhin im Blick haben.
Eine grundsätzliche Anmerkung zum Haushalt: Wir freuen uns über die bereitgestellten Mittel. Wir müssen uns aber immer fragen: Geben wir das Geld an der richtigen Stelle aus? Welche Ideen und Vorstellungen verbinden wir damit, dass wir für die Erhaltung des kulturellen Erbes Geld ausgeben? Dabei geht es also um Strukturfragen.
Im Bericht der Enquete-Kommission werden viele Anstöße zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben gegeben. Es stellt sich die Frage, welche Schwerpunkte wir in Zukunft beim Einsatz unseres Geldes setzen. Darüber müssen wir im nächsten Jahr intensiv diskutieren.
Da ich gerade über den richtigen Einsatz des Geldes spreche, möchte ich die ?Initiative Musik“ ansprechen.
Im Jahr 2008 wird hierfür erneut 1 Million Euro zur Verfügung gestellt, obwohl mit den konkreten Förderprojekten noch nicht begonnen wurde. Wir tun das, weil wir überzeugt sind, dass wir der Rock-, Pop- und Jazzszene mit diesem Instrument wichtige Anreize geben können.
Erste Ziele wie der Spielstättenpreis für Jazzmusik oder die Tourbusförderung haben wir in dem Antrag, den wir in den Bundestag eingebracht haben, formuliert. Es wird höchste Zeit, dass diese nun durch den Aufsichtsrat unterstützt durch Fachleute aus den jeweiligen Bereichen umgesetzt werden. Zentral ist: Mit 1 Million Euro wollen wir nicht die bestehende Musikwirtschaft finanzieren, sondern durch Anreize gerade Nachwuchsprojekten, die es sonst nicht geben würde, eine Chance geben. So sind die Mittel richtig eingesetzt.
Ich habe mich persönlich sehr darüber gefreut, dass wir einen Preis für qualitativ hochwertige und kulturell sowie pädagogisch wertvolle Computerspiele initiiert haben;
daran arbeite ich zusammen mit anderen Medien- und Kulturpolitikern der SPD schon seit vielen Jahren. Jetzt stellen wir 300 000 Euro zur Verfügung, und die Branche hat zugesagt, sich in einer ähnlichen Größenordnung zu beteiligen.
An dieser Stelle möchte ich der Kollegin Petra Merkel und dem Kollegen Jörg Tauss, die hier besonders engagiert mitgewirkt haben, ganz herzlich danken.
Schon im nächsten Jahr kann eine unabhängige Jury in verschiedenen Kategorien wie ?Kinder- und Jugendspiel“, ?Nachwuchs“ oder ?Innovation“ Preise für besonders positive Spiele verleihen. Die Preisgelder müssen wieder für die Entwicklung neuer Spiele eingesetzt werden. So unterstützen wir den Bereich der hochwertigen Computerspiele. Es ist Aufgabe der Kulturpolitik, Anreize zu setzen und Neues und Kreatives zu fördern. Das hat auch für die Kulturwirtschaft einen Wert.
Ein Problem haben wir immer noch: die Erforschung der Wirkung von Medien und ihrer Konzentration. Der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung liegt noch immer nicht vor. Wir hoffen, dass wir darüber im nächsten Jahr diskutieren und konkrete Maßnahmen umsetzen können.
Kulturpolitik findet natürlich nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland statt. Ein wichtiger Bereich, der beim Kulturstaatsminister angesiedelt ist, ist die Deutsche Welle. Ich freue mich, dass wir für die Deutsche Welle 4 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen konnten. Nun können das arabische Programm endlich auf acht Stunden pro Tag ausgeweitet und die Verbesserung von Deutsche Welle TV durch die Kooperation mit ARD und ZDF besser finanziert werden. Dass das Instrument des internationalen Dialogs wichtig ist, erlebe ich immer wieder, wenn ich im Ausland bin.
Der einzige Wermutstropfen ist, dass die Abwicklung teurer Altlasten wie des Senders Nauen noch nicht finanziert werden konnte. Diese Belastung hätte ich der Deutschen Welle gern erspart; denn sie muss in die Zukunft und darf nicht in die Vergangenheit investieren.
Die Deutsche Welle ist ein Instrument der Außenpolitik. Gott sei Dank haben wir auch im außenpolitischen Bereich eine Erhöhung der Mittel erzielen können; an dieser Stelle möchte ich dem Kollegen Lothar Mark danken, der sich hier besonders engagiert hat. Wir haben eine Erhöhung der Mittel um 82 Millionen Euro erreicht. Mit über 40 Millionen Euro werden wir eine Schulinitiative durchführen. 20 Millionen Euro stellen wir für die ?Aktion Afrika“ zur Verfügung, in deren Rahmen Schüleraustausche, Medienarbeit, Stipendien und Kulturprojekte finanziert werden. Ich glaube, das ist sehr sinnvoll angelegtes Geld. Denn durch jeden Euro, den man in Bildung, Ausbildung und Dialog investiert, kann man sich Investitionen in Krisenprävention oder militärische Einsätze ersparen. Darauf müssen wir unser Augenmerk viel stärker als bisher richten. Das ist wirklich gut investiertes Geld.
Beim Goethe-Institut wird ab dem nächsten Jahr die komplette Budgetierung eingeführt, für die sich Lothar Mark und ich schon seit zehn Jahren einsetzen. Ich bin froh, dass kein Goethe-Institut geschlossen werden musste, sondern dass, im Gegenteil, in Skopje und in den Golfstaaten sogar zusätzliche Präsenzen eröffnet werden konnten. Bibliotheken in Bangalore und Mumbai werden ausgebaut und die Sprachangebote vor Ort verbessert.
Denn es ist uns nach wie vor ein Anliegen, die deutsche Sprache in anderen Ländern zu vermitteln. Auch das trägt zum Dialog bei.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Monika Griefahn (SPD):
Ich bin beim letzten Satz. - Ich freue mich, dass wir diese Aufwüchse erreicht haben und dass die Kultur auch im Haushaltsausschuss als wichtig erachtet wird. Ich hoffe, dass das nächste Jahr in Deutschland ein Jahr der Kultur und der Kunst und der Kulturschaffenden werden kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04, Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt, in der Ausschussfassung.
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zunächst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7309? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion der FDP bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/7311? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichen Stimmenverhältnissen abgelehnt.
Wir kommen damit zur namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung.
Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir direkt im Anschluss an die namentliche Abstimmung eine Gremienwahl und unmittelbar danach noch eine namentliche Abstimmung durchführen werden. Ich bitte Sie also, hier zu bleiben.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Plätze einzunehmen. - Sind die Urnen besetzt? - Es fehlen noch Schriftführer vonseiten der Koalition. - Ich eröffne die Abstimmung.
Gleichzeitig gebe ich Ihnen bekannt, dass eine schriftliche Erklärung der Kollegin Michalk nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegt, die wir zu Protokoll nehmen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 129. Sitzung - wird morgen,
Donnerstag, den 29. November 2007,
an dieser Stelle veröffentlicht.]