Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen Konvent am 12. September 2002
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der bisherigen Debatte aufmerksam gefolgt ist, könnte man meinen, man braucht gar keine Arbeitsgruppe "Vereinfachung der Instrumente und Verfahren" mehr, weil ein hohes Maß an Übereinstimmung besteht. Es besteht ja offenbar weitgehend Übereinstimmung darin, dass wir nur noch zwei Arten von Gesetzen brauchen: einmal die Gesetze als solche, die unmittelbar gelten, und dann die Rahmengesetze, die der Umsetzung bedürfen. Daneben wird man als dritte Kategorie den beiden künftigen Kammern Empfehlungen offen halten müssen, also unverbindliche Rechtsakte. Auch zum Verfahren besteht ja weitgehend Übereinstimmung dahingehend, dass die Mitentscheidungsverfahren ausgeweitet werden, dass diese mit Mehrheit in beiden Kammern durchgeführt werden können, wobei die doppelte Mehrheit ausreicht und nicht etwa eine dritte Kategorie der Stimmengewichtung im Rat, wie von der Regierungskonferenz vorgesehen, notwendig ist. Aber ich will auf fünf Punkte hinweisen, die doch noch der Debatte bedürfen.
Erstens: Das Haushaltsverfahren, also das Königsrecht des Europäischen Parlaments, ist vordemokratisch, solange die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben bleibt. Bekanntlich sind Agrarausgaben komplett obligatorisch und damit der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Das darf nicht so bleiben.
Zweitens: Das Vermittlungsverfahren, das von einem Vorredner, einem Kollegen aus Finnland, erwähnt worden ist, finde ich ganz wichtig, weil es hier um kontroverse Themen geht, auch aus der Sicht der nationalen Parlamente, gelegentlich um Subsidiaritätsprobleme. Deshalb schlage ich vor, im Vermittlungsverfahren eine Stellungnahme, nicht etwa Mitentscheidung, aber eine Stellungnahme der nationalen Parlamente innerhalb kurzer Frist vorzusehen. Wir sind in der Arbeitsgruppe "Subsidiarität" der Auffassung, dass die nationalen Parlamente in Sachen Subsidiarität ein Klagerecht haben sollten. Da müssten sie eben frühzeitig auch ihre Bedenken in strittigen Fällen im Vermittlungsverfahren geltend machen können.
Drittens: Wenn man an eine Rechtspersönlichkeit EU denkt, dann darf man EURATOM nicht ausklammern. Da geht es um Steuergelder. Die müssen parlamentarisch kontrolliert werden können. Deshalb bin ich entschieden der Auffassung, dass EURATOM auch eine Haushaltskontrolle durch das Europäische Parlament braucht.
Viertens: Man sollte bei der Kategorisierung der Rechtsakte, wie das unter anderem der Kollege Barnier getan hat, zwar versuchen, die einzelnen Säulen nicht zu Modifizierungen heranzuziehen. Wir sollten die Säulenstruktur fallen lassen. Aber da gibt es fünftens ein Problem bei der gemeinsamen Außenpolitik. Da werden in der Regel keine Gesetze gemacht. Deshalb bin ich der Auffassung, dass man hier Empfehlungen beider Kammern vorsehen sollte; ich will aber ausdrücklich dazu sagen, dass diese Empfehlungen von dem künftigen Sprachrohr der Europäischen Union berücksichtigt werden müssen. Das sollte schon ein Gewicht haben. Außenpolitik sollte nicht ausschließlich eine Domäne der Regierungen oder des Rates sein.
Sechstens: Wenn wir von Vereinfachung sprechen, sollte das auch für das geltende europäische Recht gelten, und da sollten wir es zunächst einmal als Aufgabe des Konvents ansehen, eine Verfassung zu entwerfen, die die grundlegenden Fragen regelt, wofür und wie die EU arbeitet. Und in einem zweiten Teil, und das macht das Ganze dann für die Bürgerinnen und Bürger verständlicher, sollten wir das Sekundärrecht regeln, das dann auch einfacher abzuändern ist. Wir sollten also, wenn wir an Vereinfachung denken, gerade auch an den Text denken, den wir selbst verabschieden.