Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 25. April 2003
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte zwei Anregungen vortragen, die dem Präsidium hoffentlich die angenehmsten sind, nämlich Artikel des Entwurfs zu streichen.
Als erstes schlage ich vor, den Art. 43, Kriterien für eine Mitgliedschaft, zu streichen, denn das, was in Satz 1 steht, ist bereits in Art. 1 Abs. 3 der Verfassung formuliert. Satz 2 kann ebenfalls gestrichen werden, denn er enthält eine solche Selbstverständlichkeit, dass man es schon komisch findet zu lesen: "Der Beitritt zur Union setzt die Akzeptierung ihrer Verfassung voraus". Wenn man diesen Satz aber beibehielte, müsste man auch Bezug nehmen auf die Grundrechtecharta und auf Art. 3 der Verfassung, nämlich "Ziele der Union".
Umstritten ist zweitens, wie wir alle wissen, die Austrittsklausel in Art. 46. Auch hier schlage ich Streichung vor. Nach meiner Auffassung, der vermutlich niemand widerspricht, ist tatsächlich jedes Mitglied der Union in der Lage auszutreten. Wie ist es denn rechtlich? Hier gilt das Wiener Vertragsrechtsübereinkommen von 1969, und danach gibt es ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund. Das ist die clausula rebus sic stantibus. Anders wäre es nur, wenn die Europäische Union ein Staat, etwa ein Bundesstaat wäre. Dann würde das Wiener Vertragsrechtsübereinkommen nicht gelten. Das heißt, wir formulieren etwas in die Verfassung, was ohnehin im Völkerrecht gilt. Unsere Verfassung ist aber keine Sammlung von Selbstverständlichkeiten des Völkerrechts. Ich bin der Auffassung, man sollte nicht etwas, was ohnehin tatsächlich und rechtlich möglich ist, gewissermaßen auf silbernem Tablett austrittswilligen Euroskeptikern anbieten, die dann in ihren nationalen Parlamenten und der Öffentlichkeit ständig Unruhe erzeugen, wenn irgendwelche schwierigen Entscheidungen von Brüssel vorgeschlagen werden. Dann sagen sie: "Das lassen wir uns nicht gefallen, treten wir aus!" Also mein Vorschlag ist: Streichung in Kenntnis der Tatsache, dass der Austritt ohnehin tatsächlich und auch rechtlich möglich ist.