Rede von Dr. Jürgen Meyer im Europäischen
Konvent
am 15. Mai 2003
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
diese Debatte bringt uns nach vorn, wenn sie dazu genutzt wird, unterschiedliche Positionen nicht ständig zu wiederholen, sondern anzunähern und durch Kompromisse zusammenzuführen. Olivier Duhamel hat ganz Recht. Der Weg zum Konsens führt über Kompromisse.
Ich will das bei einem Thema versuchen: dem umstrittenen Vollzeit-Präsidenten des Europäischen Rates.
Einige von uns sind für diesen Vollzeit-Präsidenten, weil er Kontinuität gewährleistet. Andere wollen das alte Rotationsprinzip beibehalten, weil man damit gute Erfahrungen gemacht hat und weil dieses System die Mitwirkung aller Regierungen für jeweils 6 Monate in gewissen Abständen gewährleistet. Aber gilt das auch noch nach der Erweiterung der Europäischen Union, wenn jede Regierung nur alle 12 1/2 oder 15 Jahre für sechs Monate die Präsidentschaft hat? Ist das wirklich noch attraktiv?
Ich meine, dass der Präsidiumsvorschlag auf dem richtigen Weg ist und dass er durch bestimmte Ergänzungen so verbessert werden kann, dass er Grundlage für einen möglichen Kompromiss werden kann. Entscheidend ist, dass der künftige Vollzeit-Ratsvorsitzende sich nicht zum Gegenspieler des Kommissionspräsidenten entwickeln oder gar ein Superpräsident werden kann. Wir sollten ihn zunächst einmal schlicht "Vorsitzenden" nennen und nicht Präsident. Und das sollte dreifache praktische Bedeutung haben. Es gibt drei Instrumente, um die Macht des Vorsitzenden einzugrenzen.
Das erste Instrument ist eine genaue Jobbeschreibung: Diese versucht das Präsidium. Ich bin allerdings mit dem Deutschen Bundestag der Auffassung, dass der künftige Ratsvorsitzende nicht die Außenvertretung der Europäischen Union wahrnehmen sollte, dass dieses vielmehr in erster Linie Sache des künftigen Europäischen Außenministers sein sollte.
Zweites Instrument ist die Beibehaltung der Rotation an der Spitze. Und in diese Richtung geht ja der Vorschlag des Präsidiums, wonach man zum Beispiel um diesen Ratsvorsitzenden herum eine Troika bilden könnte mit drei Regierungs- oder Staatschefs, die dann rotierend für jeweils ein Jahr den Vorsitzenden nicht nur beraten, sondern auch kontrollieren. Aber ich hätte gern dieses Kollegium, das ich nicht Präsidium nennen möchte, obligatorisch gemacht. Sonst könnte doch die Regierung des Landes, aus dem der Ratsvorsitzende kommt, sagen: Wir brauchen ein solches Kontrollgremium nicht, unser Mann sollte nicht in dieser Art eingeschränkt werden. Deshalb möchte ich dieses Kollegium obligatorisch vorsehen.
Ein drittes Instrument, um die Bäume des Ratsvorsitzenden nicht in den Himmel wachsen zu lassen, ist, dass er vom Generalsekretariat des Rates unterstützt wird, das es schon gibt, dass er also keine administrative Gegenmacht erhält.
Wenn das Präsidium mit diesen Ergänzungen einen Vorsitzenden des Rates vorschlägt, der für Kontinuität sorgt, ohne zum Superpräsidenten werden zu können, müsste das ein Kompromiss sein, auf den wir uns verständigen können.