"Man kann Alkoholiker ja auch nicht mit Freibier behandeln"
Die Abgabe von Heroin auf Krankenschein und die Einrichtung sogenannter Fixerstuben ist heftig umstritten. Die Gesundheits experten von Bündnis 90/Die Grünen und CSU, Monika Knoche und Wolfgang Zöller, diskutieren im Blickpunkt Bundestag über den besten Weg, schwerstabhängigen Drogenkranken zu helfen.
Blickpunkt Bundestag: Frau Knoche, warum halten Sie Fixerräume, in denen sich Drogenabhängige Heroin spritzen können, für unbedingt notwendig?
Knoche: Weil der Konsum illegaler Drogen mit ganz erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden ist. Für Menschen, die von Straßenheroin abhängig sind, können Gesundheitsräume ein niederschwelliges Angebot sein, wenigstens unter hygienischen Bedingungen die Droge zu spritzen. Die Erfahrungen in Frankfurt zeigen, daß solche Gesundheitsräume allein schon durch die hygienischen Bedingungen Todesfälle vermeiden können. Zugleich entstehen Kontakte zu Sozialarbeitern, die die Annahme therapeutischer Angebote und damit letztlich auch den Ausstieg aus der illegalen Droge erleichtern.
Das überzeugt Sie, Herr Zöller, offensichtlich nicht.
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"Wir wollen die
Menschen
aus der Sucht herausholen"
Glauben Sie, daß jemand wegen einer Fixerstube abhängig bleibt statt auszusteigen?
Zöller: Das wird die Folge sein. Wenn ich immer meinen Stoff bekomme, warum soll ich dann den extrem schwierigen Weg der Abstinenz gehen? Knoche: Sie haben offenbar eine falsche Vorstellung von der Aufgabe der Gesundheitsräume. Dort soll unter hygienischen Bedingungen die Droge gespritzt werden können, um die Gefahr von Krankheiten zu verringern. Dort steht für Krisensituationen auch medizinische Hilfe zur Verfügung. Aber der Stoff, der gedrückt wird, ist illegal erworben. Es gehört zum Konzept, daß in den Fixerstuben nicht gedealt werden darf. Da werden doch keine Drogen abgegeben. Das Konzept der Gesundheitsräume hat überhaupt nichts damit zu tun, daß wir uns dafür einsetzen, daß Ärzte Heroin verschreiben dürfen, wenn das medizinisch sinnvoll ist.
Warum will Ihre Partei, Herr Zöller, die öffentlichen Zuschüsse zu solchen Einrichtungen streichen, die Gesundheitsräume anbieten?
Zöller: Weil wir Fixerstuben für den falschen Weg halten und sie ein Herumdoktern an Symptomen sind. Wir sollten das Geld nutzen, um den wirklich Bedürftigen zu helfen. Soziale Hilfsangebote kann man auch über Kontaktadressen machen. Dazu braucht es keine Fixerstuben. Abhängige in der Sucht zu belassen, ist der grundsätzlich falsche Weg. Man muß die Leute aus der Sucht herausbringen. Das geht, so hart es klingt, nur über sinnvolle Therapieplätze, deren Zahl allerdings kräftig erhöht werden muß.
Knoche: Diese Forderung ist allerdings erstaunlich, ist doch gerade unter der Unions-Regierung durch die Kürzung der Reha-Mittel die Zahl der Therapieplätze drastisch gesunken. Hinzu kommt die Verkürzung der Therapiedauer...
Zöller: ... das stimmt nicht. Gerade bei medizinisch verordneten Therapien haben wir die Dauer nicht verkürzt...
Knoche: ... aber Sie haben die Zahl der Plätze entscheidend gesenkt. In der Abstinenztherapie für Drogenabhängige wurden seit 1995 rund 1000 Plätze abgebaut, in der Alkoholtherapie sogar 2500 Plätze. Aber an Ihrer Argumentation gefällt mir noch ein zweiter Punkt nicht. In Schweden, das Sie als Beispiel anführen, werden Abhängige durch die neue Drogenpolitik ihrer Freiheit beraubt und zwangstherapiert. Bei keiner anderen Sucht, etwa der weit häufigeren Alkoholsucht, die zudem weit mehr Todesopfer fordert, wird das Mittel der Freiheitsberaubung und Zwangstherapie angewendet. Das ist grundsätzlich undemokratisch und für eine Drogenpolitik, die auf Respekt vor den Menschen basiert, die einen anderen Lebensweg haben, inakzeptabel.
Zöller: Ganz so ist es doch nicht. Wenn ein Süchtiger in Schweden für sich oder andere eine Gefahr darstellt, kann er von Gesetzes wegen entgiftet werden, wird dann psychosozial ein Vierteljahr lang betreut und kann sich dann entscheiden, ob er eine Abstinenzkur beginnt. Ich halte das wirklich für einen überlegenswerten Weg. Schweden hat einfach festgestellt, daß die Liberalisierung der 70er Jahre nichts gebracht hat, und versucht nun einen neuen Weg. Das Land hat es beispielsweise durch das Verbot des Eigenverbrauchs geschafft, den Anteil der Schüler, die schon einmal illegale Drogen ausprobiert haben, von 15 auf 4 Prozent zu senken. Liberalisierung gibt ein falsches Signal.
Knoche: Sie müssen sich ansehen, wie viele Menschen in Schweden nach den Zwangstherapien wieder in die Sucht zurückfallen. Sie müssen einfach anerkennen, daß Heroinabhängige sehr komplizierte Krankheitsverläufe und auch psychiatrische Krankheitsbilder haben. Wenn Sie diesen Menschen helfen wollen, dann können Sie nicht zum Dogma erheben: Wer von Heroin abhängig ist, muß clean werden.
Zöller: Damit geben Sie aber doch das Ziel Drogenfreiheit auf.
Knoche: Das tun wir eben nicht. Aber wir schauen uns an, welche Wege aus der Sucht herausführen. Es ist doch zum Beispiel erstaunlich, daß eine hohe Zahl von Heroin-Abhängigen nach zehn bis 15 Jahren der Sucht zu Selbstheilern werden. Unsere Aufgabe muß es sein, das Überleben in der Sucht zu ermöglichen, bis die Bereitschaft zum Ausstieg vorhanden ist. Und das kann auch heißen, die gesundheitliche Situation eines Abhängigen durch ärztlich kontrollierte Heroinabgabe erst einmal zu stabilisieren. Diese Überlebenshilfe muß aber wie in Frankfurt durch Fixerstuben ohne Bedingungen und 24 Stunden am Tag angeboten werden, und nicht wie von Ihnen gefordert an die Voraussetzung der sofortigen Abstinenztherapie gekoppelt sein.
Zöller: Das können Suchtberatungsstellen genauso gut...
Knoche: ... und wenn sie gerade den Moment haben: Ich will heute aussteigen? Dann muß derjenige sofort jemanden finden können und nicht auf einen Termin bei der Suchtberatung warten müssen.
Zöller: Dafür könnte ein Nottelefon geschaltet werden...
Knoche: ... Telefonanruf als Beziehungsersatz. Das reicht doch nicht. Man braucht eben den engen Kontakt zu Menschen, wie er in solchen Gesundheitsräumen entstehen kann.
Zöller: Sie suggerieren doch, mit der Heroinabgabe und der Einrichtung sogenannter Gesundheitsräume könnte man das Problem leichter lösen. Wir müssen an die Ursachen ran, zum Beispiel im familiären Bereich. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Eltern bei Streß zu Bier, Zigarette oder Medikamenten greifen. Denn dadurch kommen die Kinder zu der falschen Ansicht, daß man mit Drogen Probleme lösen könnte. Aber Prävention ist doch wirkungsvoller, wenn ich sagen kann: Wenn du später suchtkrank wirst, wird es nur eine Radikalkur geben, um dich wieder gesund zu bekommen. Wenn ich aber sage, wenn du abhängig bist, kannst du dein Heroin auf Krankenschein bekommen, ist doch die Einstiegsschwelle viel niedriger.
Knoche: Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Suchtverhalten wird in der Regel über legale Drogen erlernt, vor allem in der Familie und der Gruppe. Haupteinstiegsdroge auch zu Heroin ist das Kulturphänomen Alkohol...
Zöller: ... weil wir nicht den Mut haben, den Mißbrauch legaler Drogen stärker anzugehen. Aber: Wir können doch nicht zu den jetzt schon legalen Drogen noch zusätzlich illegale Drogen legal machen.
Knoche: Bei der ärztlich kontrollierten Abgabe von Heroin geht es doch überhaupt nicht um die Legalisierung von Heroin. Aber über die Methadonprogramme können Sie eine gewisse Gruppe von Schwerstabhängigen einfach nicht erreichen. Es geht nicht um Legalisierung, sondern um Hilfe.
Zöller: In dem Moment, wo auch die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe zum Regelfall wird, geben Sie das Abstinenzziel auf, Frau Knoche. Zu einem Methadonprogramm sollte immer die Therapie dazugehören mit dem Ziel der Drogenfreiheit.
Knoche: Wir brauchen akzeptierende pragmatische Hilfen von einem angemessen breiten Spektrum. Mit Ihren stationären Zwangstherapien reißen Sie die Menschen aus ihren sozialen Bezügen. Sie werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Was glauben Sie, wie viele unauffällige Bürger in Frankfurt Heroin nehmen, sauberen Stoff ohne die Folgen des körperlichen Verfalls, die sozial völlig integriert leben. Wollen Sie die aus ihrem Umfeld reißen und zwangshospitalisieren?
Zöller: Nein, solche Leute könnten natürlich auch in einer Spezialklinik als Freigänger therapiert werden. Dann können sie ihrem Beruf nachgehen und zu Hause wohnen, bekommen ihren Stoff aber in der Klinik mit dem Ziel der Abstinenz. Und dieses Ziel hat die Abgabe in der Fixerstube nicht. Ich sage es jetzt einmal etwas platt, Frau Knoche: Man kann Alkoholiker auch nicht mit Freibier behandeln.
Knoche: Ich rate Ihnen, sich einmal damit zu beschäftigen, wie hochkompliziert es ist, Alkoholiker zu entziehen...
Zöller: Mit diesem drastischen Beispiel will ich nur den Unterschied deutlich machen: Für mich führt der Weg zum Ausstieg nur über das Ziel der Abstinenz.
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Knoche: Das ist ein gutes Ziel! In unserem Fall steht aber erst einmal die Stabilisierung der Gesundheit von Süchtigen. Sie ist vielmals erst die Voraussetzung, um das Ziel der Abstinenz zu erreichen. Wenn Sucht Krankheit geworden ist, kann man Suchtfreiheit sprich Gesundheit nicht erzwingen. Das tut niemand bei einer anderen Krankheit.
ein Überleben in der Sucht zu ermöglichen,
bis die Bereitschaft zum Ausstieg vorhanden ist"