Nordrhein-Westfalen will als erstes Bundesland einen alten Zopf in der Wahlgesetzgebung abschaffen. Während der jüngsten Plenarsitzung des Landtags Ende November brachten die rot-grünen Regierungsfraktionen einen Entwurf zur Änderung des Landeswahlgesetzes ein. Danach sollen Bürgerinnen und Bürger, die in das bevölkerungsreichste Bundland ziehen, sofort wahlberechtigt sein. Bislang gilt eine dreimonatige Sperrfrist, ehe sich neu Zugezogene an der Landtagswahl beteiligen dürfen. Mit der bislang geltenden, einschränkenden Mindestwohnzeit im Wahlgebiet sollte sichergestellt werden, dass nur diejenigen am politischen Willens- und Meinungsbildungsprozeß mitwirken dürfen, die mit den Verhältnissen im Wahlgebiet ausreichend vertraut sind. Sowohl Dorothee Danner von der SPD-Fraktion als auch ihr grüner Kollege Ewald Groth argumentierten während der Plenardebatte, dass in Zeiten von Funk, Fernsehen und Internet ausreichend sichergestellt sei, dass sich alle Neubürger auch ohne dreimonatige Eingewöhnung rasch informieren könnten. Die Forderung nach Sesshaftigkeit stamme aus dem Wahlgesetz von 1869 für den Reichstag des Norddeutschen Bundes und sei überholt.
NRW-Innenminister Fritz Behrens unterstützte den Gesetzentwurf. "Man kann nicht auf der einen Seite mangelnde Wahlbeteiligung und zunehmende Wahlmüdigkeit beklagen und auf der anderen Seite für diejenigen das Wahlrecht einschränken, die unbedingt wählen wollen", betonte er im Landtag. Gleichzeitig wies auch Behrens auf ausreichende Möglichkeiten hin, sich über Programme und Kandidaten der politischen Parteien zu informieren, ohne "unbedingt drei Monate in einer neuen Wohngemeinde "absitzen" zu müssen. Nach Auffassung des Ministers werden durch die Streichung der Drei-Monats-Frist die demokratischen Freiheitsrechte gestärkt, indem die aktiven Bürgerrechte ein Stück ausgeweitet werden. Behrens: "Nordrhein-Westfalen übernimmt damit eine Vorreiterrolle, auf die das Land stolz sein kann. In keinem anderen Land der Bundesrepublik verzichtet das Wahlrecht bisher auf das in der Rechtsprechung etwas altmodisch bezeichnete "Erfordernis auf Sesshaftigkeit". Diese Wahlrechtseinschränkung erscheine sowohl aus historischer Sicht als auch der Sache nach überholt. "Sie bedarf deshalb einer Korrektur gemäß dem modernen Verständnis von Recht und Gerechtigkeit", sagte Behrens.
Während die FDP den Änderungsantrag unterstützte und deren Parlamentarische Geschäftsführerin Marianne Thomann-Stahl darauf hinwies, dass ihre Partei diese Änderung bereits vor drei Jahren gefordert habe, äußerte die CDU Bedenken. Ihr innenpolitischer Sprecher Manfred Palmen berief sich auf eine "gewisse Vertrautheit" mit den örtlichen Verhältnissen. Vor allem fürchtet er, mehrfache Stimmabgabe bei der Briefwahl und technische Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung. Da das Gesetz mit einfacher Mehrheit geändert wird, wird es aller Voraussicht nach schon zur Landtagswahl im Mai 2005 angewendet werden. Behrens plädierte auch dafür, vor den nächsten Kommunalwahlen im Jahr 2009 die Wahleinschränkung der Dreimonatspflicht im Kommunalwahlrecht zu beseitigen. Das Land Brandenburg habe von Anfang an die Frist nicht in das Kommunalwahlrecht aufgenommen und sei damit gut gefahren.