Reicht ein internationaler Vergleich wie die PISA-Studie überhaupt aus, um die Situation in Deutschland differenziert zu bewerten? Unser Schul- und Universitätssystem ist im Gegensatz zu anderen Ländern nicht zentralistisch organisiert. Bildung ist Sache der Länder und nicht des Bundes. Deswegen haben jetzt zwei Wissenschaftler des Instituts der deutschen Wirtschaft im Auftrag der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) erstmals einen Ländervergleich angestellt. Dabei wurde eines ganz klar: Das bildungspolitische Nord-Süd Gefälle vergrößert sich zusehends: "Daher wollen wir jetzt eine Diskussion anstoßen."
"Die Länder sollen sich stärker untereinander vergleichen; mehr positiver Wettbewerb täte allen gut", so die beiden Autoren Oliver Stettes und Axel Plünnecke. Denn Bildungspolitik ist auch immer Standortpolitik. In ihrem Bildungsmonitor haben sie eine Rangfolge vergeben, für die einzelnen Länder insgesamt und noch einmal einzeln unterteilt für die verschiedenen Schulformen. Sachsen-Anhalt, Berlin und Bremen erzielten die schlechtesten Ergebnisse. National und international wurden sie abgehängt.
Die deutschen Spitzenreiter Bayern und Baden-Württemberg hingegen halten auch international Kurs. Sie liegen zwar hinter den Vorzeigenationen Finnland und Kanada, aber nur knapp. Warum? Die süddeutschen Länder haben, ebenso wie die beiden ostdeutschen Länder Thüringen und Sachsen, die ihnen auf Platz drei und vier folgen, mehr Geld als andere in Schulen und Universitäten gesteckt. Sie verstehen Bildung als volkswirtschaftlichen Mehrwert. Doch das ist nicht ihr ausschließliches Erfolgsgeheimnis. Denn die "Top Four" geben nicht einfach nur mehr Geld für Bildung aus, sie investieren auch an den richtigen Stellen. "In keinem anderen Bundesland schaffen so viele Auszubildende neben ihrer Lehre auch noch das Abitur wie in Baden-Württemberg. Die duale Ausbildung wird dort besonders stark gefördert", berichtet Plünnecke. Auch bei den Spitzenakademikern macht das "Musterländle" seinem Ruf alle Ehre. Im Hochschulbereich liegt es auf Platz Eins. Doktoranden und Habilitanden finden ein besonders gutes Forschungsumfeld. Der Grund dafür, so der Bildungsmonitor, sei die clevere Drittmittelpolitik. Die baden-württembergischen Universitäten haben fast 15.000 Euro mehr pro Professor eingeworben als der Bundesdurchschnitt.
Spitzenreiter Bayern landet hingegen bei den Hochschulen nur auf Platz Fünf. Das scheint auf den ersten Blick verwunderlich, bekommt der Freistaat doch bei den allgemein-bildenden Schulen die Note Eins. Letztlich ist dies aber kein Widerspruch, es besteht sogar ein Zusammenhang. Der Freistaat zahlt den Preis für seine hohe Ausbildungsqualität in der Breite mit deutlichen Abstrichen in der Spitze. Nirgendwo sonst müssen mehr Schüler eine Ehrenrunde machen oder das Gymnasium verlassen. Die Folge: Gerade einmal 30,9 Prozent eines Jahrgangs erreichen die Allgemeine Hochschulreife. Das sind sieben Prozent weniger als im Mittel. Doch das wäre gar nicht nötig. Potentieller akademischer Nachwuchs liegt nämlich brach. Eine Verschwendung von Ressourcen: "Viele Realschüler aus Bayern könnten in anderen Bundesländern das Abitur machen", so die Autoren der Studie. Das liegt aber nicht etwa daran, dass das Abitur in anderen Ländern so viel einfacher wäre. Vielmehr werden in Bayern Schüler aus so genannten "bildungsfernen" Schichten nicht ausreichend unterstützt. Plünnecke und Stettes haben dies näher untersucht: "Schon bei der Schulwegsempfehlung, also bei der Auswahl der weiterführenden Schule nach der Grundschule, orientieren sich die Lehrer am sozialen Status der Eltern." Ein Kind aus einer Nicht-Akademiker-Familie hat also schon im Alter von zehn Jahren in Bayern unter Umständen schlechtere Karten als in anderen Bundesländern. Das mag auch erklären, warum Kinder aus ausländischen Familien an bayrischen Hochschulen seltener vertreten sind.
Ganz anders als in Hessen. Es steht zwar im Gesamtvergleich nur auf Platz Sieben. Doch sind dort die Chancen für ausländische Jugendliche, das Abitur zu machen, höher als in jedem anderen Bundesland. Dieser Trend könnte sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Hessen beginnt schon in der Grundschule mit einer Sprachoffensive. Ausländische Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen werden nicht sofort eingeschult. In speziellen Förderkursen bringen ihnen Lehrer zunächst die Sprache bei, erst danach kommen sie auf die Grundschule. So können sie dann dem Unterricht besser folgen und erzielen bessere Noten, was ihnen wiederum einen Übergang zum Gymnasium ermöglicht.
Erhebliche Qualitätsunterschiede gibt es nicht nur zwischen den verschiedenen Ländern, sondern auch innerhalb der Länder. So verdankt Schlusslicht Bremen die rote Laterne seinen Vor- und Grundschulen, den allgemein bildenden Schulen und den Berufsschulen. Hier landet der Stadtstaat auf dem letzten, beziehungsweise vorletzten, Rang. Bei den Hochschulen hingegen erreicht er Platz Zwei. Der Grund dafür liegt darin, dass Bremen einer der stärksten Nettoimporteure von Studierenden ist. Im Studienjahr 2002 haben 2.900 junge Menschen in Bremen ihr Abitur gemacht. Ein Studium an der Weser begannen aber 5.200. Dieser Hochschulstandort scheint für die Studierenden besonders attraktiv zu sein.
Es macht also Sinn, genauer hinzusehen, will man die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der einzelnen Länder erkennen. Unabhängig davon steht für den Bildungsmonitor-Autoren Stettes aber fest: "Die Länder sollten sich auf gemeinsame Mindestanforderungen verständigen und ihre Bildungsstandards stärker angleichen." Möglichst nach oben, versteht sich. Anders als in der Schule, wäre dabei das Abgucken sogar erlaubt.