RASSISMUS
Die Gewalt in der EU steigt dramatisch. Doch die Union hat nur wenig Kompetenzen.
Gewalt gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, Aufzüge von Neonazis, "Ausländer raus!"-Parolen plus Hakenkreuz an den Wänden und antisemitische Äußerungen sind in Europa nicht außergewöhnlich, sondern alltäglich. Fremdenfeindliche Einstellungen und rassistisch motivierte Straftaten in der EU nehmen zu statt ab. Doch der gemeinsame Kampf gegen den Rassismus fällt den Staaten Europas schwer.
Bestes Beispiel sind Pläne der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, einheitliche Mindeststandards bei der Strafbarkeit des Verbreitens von rassistischen und fremdenfeindlichen Aussagen zu schaffen. Damit soll verhindert werden, dass das öffentliche Aufstacheln zu Hass und Gewalt sowie das Leugnen oder Verharmlosen von gerichtlich anerkanntem Völkermord in einem EU-Land etwa mit mehreren Jahren Gefängnis geahndet wird, in einem anderen dagegen lediglich mit Geldbußen oder sogar ganz straffrei bleibt. Täter können sich so der Strafverfolgung entziehen, indem sie ihre Hetzparolen oder -schriften in einem anderen EU-Land verbreiten.
Doch die EU-Staaten haben mit dem deutschen Vorstoß Probleme. Das liegt zum einen an den unterschiedlichen Rechtstraditionen in den 27 Mitgliedsländern, zum anderen aber auch an der Schwierigkeit die heikle Grenze zur Meinungsfreiheit zu ziehen. Schon seit Jahren blockieren nationale Bedenken über eine mögliche Beschneidung der Meinungsfreiheit die Einigung auf einen entsprechenden Rahmenbeschluss der EU-Länder. Kritiker der geplanten Antirassismus-Richtlinie argumentieren, dass Verbote kontraproduktiv seien. Statt repressiver Gesetze brauche Europa mehr Meinungsfreiheit, um Rassismus zu bekämpfen und Toleranz zu fördern. Das Leugnen des Holocausts müsse an Schulen und in den Medien bekämpft werden, nicht auf Polizeistationen oder in Gerichtssälen.
In einer Reihe von Richtlinien hat die EU den Mitgliedstaaten bereits Vorgaben für den Kampf gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit gemacht. Rechtsverbindlich sind diese jedoch nicht, denn der Justizbereich fällt unter die Kompetenz der EU-Länder. Es liegt daher an den Regierungen, die von der EU geforderten Maßnahmen in nationales Recht umzusetzen, und einige lassen sich damit viel Zeit. Im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben die Mitgliedstaaten keine großen Fortschritte gemacht, lautete Ende 2006 das Fazit der zuständigen EU-Agentur. Vielmehr sei die Zahl entsprechend motivierter Taten in den einzelnen Ländern verglichen mit 2005 um bis zu 45 Prozent gestiegen. Deutschland verzeichnete einen Zuwachs von 20 Prozent. Das wahre Ausmaß und Wesen rechtsextremistisch motivierter Gewalt ist jedoch noch immer schwer zu erfassen, da nur zwei der 27 EU-Länder - Finnland und Großbritannien - umfangreiche Angaben zu rechtsradikalen Straftaten sammeln.
Von der EU unabhängig beobachtet eine im Europarat angesiedelte Expertenkommission, wie es um Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz in den 46 europäischen Mitgliedsländern des Rates bestellt ist. Über die Situation in den einzelnen Staaten wird regelmäßigen berichtet. Das Beobachten von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ist auch zentrale Aufgabe der neuen EU-Grundrechteagentur mit Sitz in Wien. Die im März gegründete Behörde soll Daten und Informationen sammeln, andere EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten beim Umsetzen von Richtlinien zu beraten und das öffentliche Bewusstsein für Grundrechte stärken. Beschwerden der EU-Bürger nimmt die Agentur jedoch nicht entgegen. Darum kümmert sich weiterhin der Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Die Lage der Grundrechte in den einzelnen EU-Ländern hat die neue Behörde ebenfalls nicht zu interessieren. Und auch die zum Großteil zwischenstaatlich organisierte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich Polizei und Justiz bleibt weiterhin tabu.
Die Autorin ist freie Journalistin in Brüssel.