Mit Umzügen kennt sich Michael Sobierajczyk aus: Der gelernte Speditionskaufmann wechselte vor sieben Jahren vom Statistischen Bundesamt zum Bundestag nach Bonn - und kaum hatte er dort Ende 2000 im Magazin der Parlamentsbibliothek angefangen, war der Berliner wieder mit einem Umzug beschäftigt: 2004 wurde das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und mit ihm die Rotunde, in der die neue Berliner Parlamentsbibliothek untergebracht werden sollte, fertig gestellt. Endlich machte sich auch das Bonner Büchermagazin - später als die meisten anderen Bundestagsreferate - auf den Weg in die Hauptstadt: 1,3 Millionen Bücher, insgesamt 35 Kilometer gebundenes Papier, mussten damals aus den sieben Bibliotheksstandorten am Rhein zusammengesammelt, nach Berlin verschickt und in die Alu-Regale des Magazins einsortiert werden. Und das bei laufendem Betrieb.
"Wir haben eigens einen mit Bibliotheksumzügen vertrauten Logistiker eingestellt, damit wir nicht jahrelang unsere Bücher suchen", erzählt Sobierajczyk, der das Magazin seit dem Umzug auch leitet. Hinter ihm an der geweißten Backsteinwand hängen noch immer die vom Logistiker farbig markierten Pläne der alten Bonner Liegenschaften und der letzte Transportzettel. "Zur Erinnerung", sagt der 51-Jährige und schmunzelt in seinen Drei-Tage-Bart.
Heute stehen die Bücher, Chroniken und Aufsätze der nach Washington, Tokio und Rom größten Parlamentsbibliothek der Welt alle an ihrem neuen Platz - auf stolzen 8.500 Quadratmetern Fläche, 12,50 Meter tief unter dem Lüders-Haus. Dutzende Regale reihen sich in den hallenartigen Räumen des Magazins aneinander, mit Platz für die Bücherbestellungen der kommenden 20 Jahre. "Am Anfang", räumt Sobierajczyk ein, "hatten wir hier schon mal Orientierungsprobleme. Aber das hat sich schnell gelegt."
Inzwischen haben die Nutzer - Bundestagsabgeordnete und -angestellte, aber auch Mitarbeiter der Bundesministerien - ihre Bücher innerhalb von 20 Minuten in der Hand. Sie können über den elektronischen Bibliothekskatalog des Hauses bestellt werden. Kommt ein Auftrag rein, flitzen Sobierajczyk und seine sechs Mitarbeiter durch die Hallen, suchen die Bücher heraus und schicken sie über den Bücheraufzug nach oben zu den Kollegen in der Ausleihe. Zu Fuß wohlgemerkt: "Vier bis sieben Kilometer läuft hier jeder am Tag", sagt der Neuköllner mit dem sympathisch-schnoddrigen Berliner Akzent. "Das haben wir mal mit einem Schrittzähler gemessen."
Den passionierten Marathonläufer ficht das nicht an: Er läuft 42 Kilometer locker in dreieinhalb Stunden und joggt regelmäßig durch den Tiergarten. "Um frische Luft zu schnappen und ans Licht zu kommen", erklärt Sobierajczyk, und man versteht sofort, was er meint, wenn man die Katakomben des Magazins betritt: Hier gibt es kein Tageslicht und keine Blumen, nur Neonröhren und kalt glänzende Aluminiumrohre unter tief liegenden Decken. Die Klimaanlage sorgt für konstant kühle 18 Grad und 65 Prozent Luftfeuchtigkeit - optimale Bedingungen für die in hellgraue Schutzhüllen gebundenen Bücher. Sobierajczyk kommentiert seine Arbeitsumgebung nüchtern: "Reine Gewöhnungssache", sagt er, und sitzt ohne Anzeichen eines Fröstelns im Pulli an seinem Schreibtisch.
In einem Punkt allerdings findet auch diese Gelassenheit ein Ende: Der Magazinleiter, der selbst gern in den Buchreihen schmökert, mag es gar nicht, wenn die Nutzer in den ausgeliehenen Exemplaren herummalen. "Manche streichen die Stellen mit bunten Markern an. Dann leuchten die Bücher im Innern Rot, Grün oder Orange." Einer seiner Mitarbeiter ist deshalb nur damit beschäftigt, wenigstens die Bleistiftmarkierungen wieder auszuradieren. "Wenn Sie in Ihrem Artikel erwähnen könnten, wie viel Arbeit das macht, wäre ich Ihnen sehr dankbar", sagt Sobierajczyk, und dann löscht er in den Hallen das Licht, geht im Finstern zum Fahrstuhl und fährt nach einem langen Arbeitstag der Sonne entgegen.