139. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 24. Januar 2008
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich und wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns gute Beratungen.
Die heutige Sitzung des Bundestages beginnt gleich mit einem ersten Höhepunkt: Der Kollege Dr. Peter Struck feiert heute seinen 65. Geburtstag.
Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu sehr herzlich und wünsche alles Gute. - Lieber Peter, ich empfinde es als Ausdruck des Respekts und der Einsicht, dass die guten Wünsche des ganzen Hauses nicht mit dem Kommentar ?Die können mich mal!? zurückgewiesen werden.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD:
Energie- und Klimapaket der EU-Kommission
(siehe 138. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 24)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Universitäre Exzellenz sichern - Exklusivität des Promotionsrechts wahren
- Drucksache 16/7842 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. Harald Terpe, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Medienabhängigkeit bekämpfen - Medienkompetenz stärken
- Drucksache 16/7836 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:
Aufgaben von Bundeswehrkampftruppen als Quick Reaction Forces in Afghanistan
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Haltung der Bundesregierung zu den Äußerungen des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers Wolfgang Clement zur Energiepolitik
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Die abschließende Beratung des Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes - das ist der Tagesordnungspunkt 4 - wird auf morgen verschoben. Das Thema soll nach dem Tagesordnungspunkt 21 aufgerufen werden. Außerdem wird der Tagesordnungspunkt 11 - dabei handelt es sich um die zweite und dritte Lesung des Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetzes - abgesetzt. Die anderen Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen werden dementsprechend vorgezogen.
Sind Sie mit diesen Änderungen einverstanden? - Das ist der Fall. Damit ist das so beschlossen.
Ich rufe unseren Tagesordnungspunkt 3 auf:
3. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Jahreswirtschaftsbericht 2008 der Bundesregierung -
Kurs halten
- Drucksache 16/7845 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel des Jahreswirtschaftsberichts heißt: ?Kurs halten!? Das ist etwas, was natürlich auch ein Fraktionsvorsitzender tun muss. Deswegen gratuliere ich dem Peter Struck auch von hieraus ganz herzlich zu seinem Geburtstag.
Nun weiß ich aus eigener Erfahrung, dass man in einem wichtigen Führungsamt im Parlament viel mehr Gelegenheit hat, von einem ganz strengen Kurs abzuweichen, und mehr Manövriermasse hat. Wenn man Regierungsmitglied ist, ist das - das weiß auch Peter - anders. Deswegen versuche ich, mich so weit als möglich exakt an den Kurs der Bundesregierung zu halten.
- Soweit das möglich ist.
Kurs halten, das ist ein Appell, der sich, wie ich meine, an uns alle richtet, Herr Westerwelle. Wir sehen natürlich mit Sorge, was an den Börsen der Welt geschieht. Wir können das nicht direkt beeinflussen, sondern wir können nur durch unser eigenes Verhalten ein Stück weit ein Beispiel geben und vor allen Dingen den Menschen ein Stück weit Vertrauen in den Kurs unserer Wirtschaftspolitik geben.
Worauf es ankommt, ist - ich sage es noch einmal - Vertrauen in die Solidität unseres Banken- und Finanzsystems. Trotz der bekannten Einzelfälle kann es daran keinen Zweifel geben. Immer dann, wenn Banken in Deutschland in Krisensituationen geraten sind, haben die Sicherungsinstrumente ausgereicht, um sie zu stützen. Diese werden wir auch weiterhin nutzen. Wir hoffen allerdings, dass keine weiteren Fälle mehr auftreten.
Des Weiteren: Vertrauen in die Wirtschaftspolitik. Wir müssen alles tun, um unsere Wirtschaft zu stärken und sie gegen Konjunkturrisiken zu impfen. Der Titel ?Kurs halten!? ist ein Appell an diejenigen, die in Deutschland wirtschaftspolitische Verantwortung tragen, betrifft also auch das ganze Haus hier. Dies ist aber auch erstens ein Appell an die Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern, und zweitens ein Appell an die Tarifparteien, ihre verantwortungsvolle Lohnpolitik der vergangenen Jahre fortzusetzen. Die Tarifpartner wissen am allerbesten, wo Spielräume sind, wo man aufgrund der Gewinnentwicklung diese Spielräume besser nutzen kann und wo sich Spielräume möglicherweise verengen. Das verstehe ich unter einer verantwortungsvollen Lohnpolitik.
Dies ist drittens ein Appell an die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Auch wenn es uns die Bilder und die Nachrichten aus Bochum schwer machen: Wir müssen den Strukturwandel weiterhin als Chance begreifen und ihn da, wo wir können, aktiv gestalten.
?Kurs halten? ist vor allen Dingen eine Aufforderung an uns selbst in der Koalition, bei unserem erfolgreichen Kurs zu bleiben; denn Deutschland ist insgesamt auf einem guten Kurs.
Die Bilanz der Bundesregierung kann sich sehen lassen. Die Reformen der letzten Jahre zahlen sich aus: für den Staat in Form von gesunden Staatsfinanzen, für die Unternehmungen in Form von höherem Absatz und höheren Gewinnen.
- Ich freue mich sehr, Herr Lafontaine, dass Sie sich darüber freuen.
Denn nur prosperierende Unternehmungen können erfolgreich sein und den Menschen Arbeit und die Sicherheit geben, die sie gerne hätten.
Die Reformen zahlen sich auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Form von zusätzlichen und sichereren Arbeitsplätzen aus,
aber auch in Form von wieder günstigeren Einkommensperspektiven. Mit über 40 Millionen Erwerbstätigen wurde 2007 ein historischer Höchststand erreicht. Insbesondere die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm mit einem Plus von 0,7 Millionen Personen oder 2,6 Prozent außerordentlich kräftig zu. Seit 2005 haben wir zusätzlich über 1 Million Menschen, die wieder in Lohn und Brot stehen.
Nun haben vom Aufschwung auch diejenigen profitiert, die es bisher schwer hatten, einen neuen Job zu finden: die Älteren, die Langzeitarbeitslosen und die Arbeitnehmer mit einfachen Qualifikationen,
aber vor allen Dingen die Jugendlichen, die sehr viel leichter wieder Lehr- und Ausbildungsplätze finden. Auch das ist das Ergebnis der guten Konjunktur und der besseren wirtschaftlichen Lage.
Diesen Erfolg dürfen wir nicht kaputtmachen. Wir dürfen das Erreichte nicht verspielen. So hat es der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten formuliert. Über dieses Gutachten diskutieren wir heute.
Die Ausgangslage ist nach wie vor gut. Das Jahr 2007 war für Deutschland ein hervorragendes Jahr. Das Wachstum war mit 2,5 Prozent besser, als prognostiziert. Der seit fast drei Jahren anhaltende Wachstumsprozess in Deutschland wird sich auch in diesem Jahr fortsetzen. Auch wenn die Risiken gestiegen sind und ein geringeres Tempo prognostiziert wird, geht es weiterhin vorwärts.
Die Immobilienkrise in den USA ist die Korrektur realwirtschaftlicher Entgleisungen. Der Vergleich zur Internetblase am Anfang des Jahrtausends drängt sich auf. Jetzt ist der Gewinn- und Konsumrausch in den USA zunächst einmal vorbei. Wir sehen natürlich die Bemühungen, neues Geld in den dortigen Markt zu pumpen. Wir begrüßen die Maßnahmen, die die Fed dort getroffen hat. Wir Deutsche haben bisher über unseren Export und über die zusätzlichen Wachstumskräfte, die von dort ausgehen, von der Entwicklung in den USA profitiert.
Wer aber in die eine Richtung dabei war, kann nicht ausschließen, dass er auch in die andere Richtung ein Stück dabei ist. Wir wollen alles tun, was sich dagegen machen lässt. Aber Risiken sind einfach vorhanden. Wir kennen die genauen Folgen dieser Bereinigung, die jetzt zwangsläufig geschieht, nicht. Es gibt aber keinen Grund für Panikmache, wie sie von vielen selbsternannten Börsenexperten betrieben wird. Wir wissen, dass es an der Börse immer ein Auf und Ab gibt. Jeder, der sein Geld anlegt, muss wissen: Das ist keine Einbahnstraße. Der Gewinn ist nie garantiert. Es wird nicht geklingelt. Ich sage es noch einmal: Es gibt weder Grund für Panik noch Grund für Ignoranz.
Der Außenhandel verliert etwas von der treibenden Kraft, die er bisher für unseren Aufschwung darstellte. Wir müssen schauen, dass wir die Inlandskonjunktur stärken. Die deutsche Wirtschaft steht, wie gesagt, im Vergleich zu anderen gut da. Es zeigt sich zum Beispiel an der anhaltend guten Investitionstätigkeit, dass immer noch Vertrauen in unser Land besteht. Auch beim Konsum der privaten Haushalte erwarten wir wie auch andere - das ist nicht nur die Erwartung der Bundesregierung, sondern auch die vieler Forschungsinstitute -, dass es in diesem Jahr wieder einen klareren Impuls nach oben gibt.
Wir rechnen mit einem weiteren Arbeitsplatzaufbau in Deutschland. Das halte ich für ganz besonders wichtig. Wir rechnen damit, dass die Arbeitslosenzahlen im Jahresverlauf per saldo um 330 000 sinken werden. Auch das ist eine gute Nachricht.
Alles in allem erwarten wir für das Gesamtjahr einen Zuwachs des realen Bruttoinlandsproduktes von 1,7 Prozent. Das liegt am unteren Ende der Spannbreite der aktuellen Prognosen. Sie wurden nicht unter kurzfristigen Eindrücken gemacht, wie sie zum Beispiel Bilder aus Indien auslösen, wo die Börsen geschlossen werden mussten. Sondern unsere Prognose beruht auf nüchterner, sachlicher Kalkulation und auf vieljähriger Erfahrung derer, die sie erarbeitet haben. Unsere Prognose im Jahreswirtschaftsbericht ist damit vorsichtiger als unsere Prognose im Herbst. Die Risiken sind durchaus mit berücksichtigt worden. Umso wichtiger ist es - das sage ich noch einmal -, dass wir den eingeschlagenen Kurs halten. Deswegen ist ?Kurs halten!? genau der richtige Titel für den Jahreswirtschaftsbericht.
Wir müssen weiter dafür sorgen, dass Beschäftigungschancen entschlossen und flexibel genutzt werden können. Wir haben flexible Elemente im Arbeitsmarkt: Teilzeitarbeit, tarifliche Öffnungsklauseln, befristete Arbeitsverträge, Zeitarbeit, Minijobs und Zeitkonten. Das alles sind Instrumente, die wir weiter nutzen und erhalten müssen.
Ein wichtiges weiteres Reformziel ist es, die Lohnzusatzkosten dauerhaft unter 40 Prozent zu halten. Das ist immer eine anspruchsvolle Daueraufgabe. Je mehr Menschen Arbeit haben und Beiträge in unser Sozialversicherungssystem zahlen, umso leichter lässt sich dieses Ziel erreichen. Deswegen muss die Beschäftigung im Mittelpunkt unserer Maßnahmen stehen.
Wir haben zum 1. Januar 2008 den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung auf 3,3 Prozent senken können. Dies hat noch der Kollege Müntefering ins Werk gesetzt. Dafür bedanken wir uns noch einmal ausdrücklich. Dies entlastet die Wirtschaft und stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig bleibt mehr Netto vom Brutto in den Geldbeuteln der Beschäftigten. Das ist ganz besonders wichtig.
Wo immer Spielraum bleibt, müssen wir ihn für weitere Entlastungen nutzen. Gleichzeitig müssen wir die staatlichen Ausgaben so trimmen, dass mehr für Bildung, Forschung und wachstumsfördernde Infrastrukturen übrig bleibt. Nur so können wir das Erreichte halten und sichern; denn wir wissen, dass sich die Welt täglich ändert.
Also weiter Vorfahrt für Wachstum!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mitarbeiter sind nur stark, wenn auch die Unternehmen stark sind. Das mag bei international tätigen Konzernen, die ausschließlich auf Gewinnmaximierung in der ganzen Welt Wert legen, anders sein.
Aber es ist gottlob so, dass die deutschen Unternehmen bis auf Ausnahmen beherzigen, dass sie nur so stark sind, wie ihre Mitarbeiter stark sind. Die Mitarbeiter wissen ebenfalls, dass sie nur so stark sind, wie ihre Unternehmen stark sind.
Das ist Teil unserer Unternehmenskultur, und das muss auch so bleiben.
Wir haben mit der Unternehmensteuerreform international wettbewerbsfähige Steuersätze geschaffen. Das ist für die Investoren aus dem Ausland ganz besonders wichtig, um die wir ständig werben. Ich habe deswegen Invest in Germany noch einmal gestärkt und unsere Wirtschaftsförderinstrumente stärker unter einem Dach zusammengeschlossen. Wir müssen immer wieder selbst über unsere Stärken reden; andere werden es nicht tun.
Wir brauchen natürlich auch die Umsetzung von Versprochenem. Wenn etwas, was versprochen wurde, nicht eintritt, dann gibt es Enttäuschung. So ist zum Beispiel eine Erbschaftsteuerreform angekündigt, die Unternehmensübergaben erleichtert. Ich bin sehr optimistisch, dass das Parlament dies in die Tat umsetzen und es zu Lösungen kommen wird, die hinterher nicht mehr Enttäuschungen als erfüllte Erwartungen übrig lassen. Es wird auf jeden Fall eine Reform werden, die entlastet. Auch wenn nicht jeder einzelne Wunsch erfüllt wird, muss man das im Mittelpunkt sehen, worum es geht. Wir wollen insbesondere die Unternehmensübergänge erleichtern.
Ein Letztes, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die hohen Energiekosten machen mir Sorge. Der Wirtschaftsstandort Deutschland muss sich im Wettbewerb bewähren. Dafür braucht unser Land eine sichere Energieversorgung und Preise, bei denen auch die energieintensiven Industrien in Deutschland noch eine Chance haben. Dort, wo die Vorschläge der Europäischen Kommission dies nicht entsprechend berücksichtigen, müssen wir dagegen kämpfen.
Wir haben ein integriertes Energie- und Klimaschutzprogramm beschlossen. Es ist die richtige Antwort auf die anstehenden Herausforderungen. Wir müssen uns von importierter und fossiler Energie unabhängiger machen. Das ist gut für den Standort Deutschland und gleichzeitig gut für den Klimaschutz.
Ein Ministeramt zu übernehmen, heißt auch, ein Stück Kontinuität im Hinblick auf das zu übernehmen, was in diesem Haus geschehen ist. Ich kann nur sagen, dass ich mich, was Kontinuität angeht, stärker zu der Energiepolitik bekenne, die Wolfgang Clement gemacht hat, als zu der, die unter seinem Vorgänger Werner Müller gemacht worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, meine maritimen Kenntnisse sind zwar unterentwickelt - ich habe deswegen eigens eine Beauftragte für die maritime Wirtschaft -; aber ich weiß natürlich, dass Kurshalten bei schwerer See schwieriger als bei Sonnenschein ist. Wenn sich jetzt eine schwerere See zeigt, dann müssen wir das Ruder umso kräftiger halten. Dazu gibt es keine Alternative.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
Rainer Brüderle (FDP):
Das ist schon einmal richtig. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Finanzkrise hat die Banken in Deutschland und mittlerweile auch die Börse voll erreicht. Den freien Fall der Börsenkurse rund um die Welt hat die überraschend massive Zinssenkung der amerikanischen Notenbank zunächst gebremst. Die New York Times schreibt dazu, dass es keine Panik der Privatanleger, sondern eine Panik der Profis sei. Bundeskanzlerin und Bundeswirtschaftsminister erklären dazu, es gebe in Deutschland keinen Grund zur Sorge, die Konjunktur sei stabil.
Allerdings haben Befürchtungen Hochkonjunktur, dass der Aufschwung schon bald zu Ende gehen könnte. Die Menschen in Deutschland sorgen sich. Sie haben auch Grund dazu. Noch ist die Lage der Wirtschaft gut. Die Aussichten sind allerdings trüber geworden. Wir haben eine Vertrauenskrise. Die Menschen vertrauen den Banken nicht mehr so recht. Das liegt auch an einer zum Teil miserablen Informationspolitik. Die Banken vertrauen sich untereinander nicht mehr. Der Geldmarkt drohte teilweise zusammenzubrechen.
Die Regierung aber betreibt keine Politik, die das Vertrauen wieder stärken könnte. Vertrauen gewinnt man nur mit Ehrlichkeit zurück. Die Bundesregierung rechnet sich allenfalls die Dinge schön. Das ist auch im Jahr der Mathematik, das gerade begonnen hat, nicht seriös.
In den Vereinigten Staaten geht das Gespenst der Stagflation um. Die Zinssenkung der Notenbank am Dienstag war eine Entscheidung zur Konjunkturstützung, die aber mit dem Risiko der Verstärkung der Inflationsgefahr verbunden ist. Wenn diese Aktion die drohende Rezession nicht auffangen kann, dann gerät Amerika in eine Stagflation.
Schon im letzten Jahr sind die Verbraucherpreise in den Vereinigten Staaten um über 4 Prozent gestiegen. Durch Zinssenkung immer mehr Geld in die Märkte zu pumpen, löst langfristig keine Probleme, sondern schafft neue. Der Druck auf den Dollar wird weiter wachsen. Das verteuert unsere Exporte in den Dollarraum und verstärkt die Tendenzen einer schwächelnden internationalen Wirtschaft. Die Ursache der Misere - die Immobilienkrise - ist noch längst nicht behoben.
Die Rezessionsgefahr in den Vereinigten Staaten ist der größte Risikofaktor für die deutsche Konjunktur. Professor Snower, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, warnt - ich zitiere -:
Wenn es in den USA zu einer Rezession kommt, dann ist davon auch Deutschland mit höchstens einem Jahr Verspätung betroffen.
In Ihrem Jahreswirtschaftsbericht warnen Sie deutlich vor diesen Risiken, Herr Minister Glos. Die Bundesregierung hätte aber schon längst Vorsorge dagegen treffen können, nein: treffen müssen.
Schwarz-Rot hat sich aber lieber darauf verlassen, dass andere Länder die Konjunktur für uns in Schwung bringen.
Ein exportgetriebener Aufschwung ist schön; aber ohne eine dauerhafte und robuste Binnenkonjunktur kann das schnell zu einem Strohfeuer werden.
Die Regierung hat sich zu lange in der guten Konjunktur gesonnt und Zeit verspielt, statt Strukturreformen, die die Abwehrkräfte der Volkswirtschaft - sozusagen ihr Immunsystem - stärken, auf den Weg zu bringen. Selbst als die Gewitterwolken über Amerika schon erkennbar waren, hatte Schwarz-Rot nichts Besseres zu tun, als eine Politik des Abschwungs zu betreiben. Die Steuererhöhungen werden 2009 fortgesetzt, wenn für Millionen Anleger die Besteuerung der Wertsteigerung eingeführt wird. Die geplante Gesundheitsreform mit der Einführung des Gesundheitsfonds treibt die Kassenbeiträge in die Höhe.
Woher nimmt die Regierung die Hoffnung, dass die Bürger trotzdem mehr konsumieren werden? Der Jahreswirtschaftsbericht nennt das Risiko. Aber warum hat die Bundesregierung nicht längst die Einkommen- und Lohnsteuer gesenkt, damit die Menschen netto mehr zur Verfügung haben und deshalb mehr Geld ausgeben und den Konsum fördern können? Nein, Sie haben nichts Besseres zu tun, als die Steuern zu erhöhen.
Die Steuerbelastung ist seit Amtsantritt dieser Bundesregierung 2005 um 23 Prozent gestiegen.
Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage, wie sich die real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte seit Amtsantritt der Regierung geändert haben, lautet: Sie sind um 0,4 Prozent gesunken. Die verfügbaren Einkommen in Deutschland sind nicht gestiegen, sondern gesunken.
All diese Maßnahmen wie die Einführung der Mindestlöhne und die Mehrwertsteuererhöhung sind nicht geeignet, wirtschaftliche Impulse auszulösen. Mindestlöhne bedeuten Arbeitslosigkeit auf Termin.
Damit kann allenfalls das Postmonopol zementiert werden.
Die Bundesregierung ist in vielen Punkten zerstritten. Sie zankt sich öffentlich über den Mindestlohn. Herr Glos warnt zu Recht vor zu kräftigen Lohnerhöhungen in den anstehenden Tarifrunden. Seine SPD-Kollegen fordern landauf, landab, kräftig zuzulangen. Das ist genau das Gegenteil dessen, was der Bundeswirtschaftsminister sagt. Ich sage noch einmal: Wichtig ist, dass die Bürger netto mehr in der Tasche haben und dass der Aufschwung bei ihnen ankommt.
Das, was Sie mit der Einführung von Mindestlöhnen betreiben, ist ein Angriff auf die Tarifautonomie. Wir brauchen mehr Selbstbestimmung in den Betrieben und mehr Lohnflexibilität. Flächendeckende, staatlich sanktionierte Löhne, wie sie der SPD vorschweben, führen zu staatlich festgelegten Preisen auch in anderen Sektoren. Das ist der Weg in Dirigismus und planwirtschaftliche Steuerung.
Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben im vergangenen Jahr an dieser Stelle gesagt, Sie wollten den Aufschwung für Reformen nutzen. Was ist herausgekommen? Eine Unternehmensteuerreform, die es für die Unternehmer noch komplizierter macht und die viele Unsicherheiten birgt, eine Gesundheitsreform, die die Krankenkassenbeiträge nach oben treibt, ein Anschlag auf die Tarifautonomie und auf den Wettbewerb in unserem Land. Sie haben diesen Jahreswirtschaftsbericht mit den Worten überschrieben: ?Kurs halten!? Das klingt nett. Aber welchen Kurs überhaupt? Man kann nur einen Kurs halten, der erkennbar ist. Das Prinzip Hoffnung allein ist kein Konzept und kein Kurs in der Wirtschaftspolitik.
Die Unternehmensnachfolge soll erleichtert werden, aber bei der Erbschaftsteuerreform ist bis zur Stunde nichts klar. Viele Betriebe müssen angesichts dessen, was diskutiert wird, befürchten, dass sie mehr Erbschaftsteuer zahlen.
Geben Sie Kompetenz an die Länder ab. Lassen Sie den Wettbewerb unter den Ländern dafür sorgen, dass die Erbschaftsteuer abgeschafft wird, was am besten wäre, weil sie eine unsinnige Steuer ist.
Der Wirtschaftsminister will ermöglichen, dass dem Mittelstand mehr Wagniskapital für Investitionen zur Verfügung gestellt wird. Gleichzeitig wird aber im Wirtschaftsministerium ein Gesetz vorbereitet, das ausländische Investitionen in Deutschland beschränken soll. Drahtzäune sind kein Weg. Der Weg in Protektionismus, in Kapitalverkehrsbeschränkungen führt zu Gegenreaktionen anderer Länder und nicht zur Stärkung der deutschen Volkswirtschaft. Das ist der falsche Weg.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Ihre Prognose eines Wachstums von 1,7 Prozent 2 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen bedeutet. Die Berechnungen, die Sie hierzu vorgelegt haben, basieren auf einem Wachstum von 2 Prozent und sind somit falsch. Sie hätten den Bundeshaushalt rechtzeitig kräftiger konsolidieren können. Sie hätten den Haushalt ohne Neuverschuldung verabschieden können. Das haben Sie nicht gemacht. Die einzige Vorsorge, die Sie gegen den drohenden Abschwung treffen, besteht darin, die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Das ist aber keine Lösung. Was Sie tun müssten, ist, das Netto der Menschen zu erhöhen, indem Sie sie steuerlich entlasten. Damit stärken Sie die Binnenkonjunktur und die eigenen Abwehrkräfte gegen drohende Gewitterwolken draußen in der Weltwirtschaft.
- Herr Präsident, es gibt etwas zu tun.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Hinsken möchte eine Zwischenfrage stellen, und der Kollege Brüderle will sie offenkundig gerne beantworten. - Bitte schön.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Herr Kollege Brüderle, ich habe aufmerksam gelauscht und gehört, was Sie alles zu Steuererhöhungen und dergleichen mehr gesagt haben. Sie haben aber etwas für die Wirtschaft und die Mitbürger ganz Wichtiges vergessen, nämlich dass wir zum Beispiel den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung halbiert haben und dass wir dadurch in den Taschen der Wirtschaft und der einzelnen Mitbürger jährlich 23 Milliarden Euro mehr lassen. Das sollte doch einer Erwähnung wert sein, wenn Sie einen sach- und fachgerechten Vortrag halten wollen.
Rainer Brüderle (FDP):
Sehr geschätzter Herr Kollege Hinsken, gern gehe ich auf Ihre Zwischenbemerkung ein. Ich hätte noch Vieles sagen müssen, aber das Zeitbudget ist leider begrenzt.
Ich hätte zum Beispiel sagen müssen, dass Sie zum 1. Januar 2007 die größte Steuererhöhung aller Zeiten in dieser Republik durchgeführt und damit bei den Menschen in einem Umfang wie noch nie abkassiert haben.
Ich sagte vorhin, dass wir heute in Deutschland eine um 23 Prozent höhere Steuerbelastung haben als 2005. Das ist fast ein Viertel mehr. Das bedeutet ein kräftiges Zulangen, das nicht ausreichend dadurch gerechtfertigt werden kann, dass Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt haben. Sie haben vielmehr die Balance zwischen der Ermöglichung privater Eigenverantwortung und staatlicher Gestaltung nicht zugunsten der privaten, eigenverantwortlichen Gestaltung verändert. Mein Kernvorwurf ist, dass Sie keine Vorsorge getroffen haben, um die Volkswirtschaft zu stärken und die Menschen in die Lage zu versetzen, etwas aus eigener Kraft konkret für die Alterssicherung, die Gesundheitsvorsorge und die Pflege zu tun. Die Nettoeinkommen, die verfügbaren Einkommen der Menschen in Deutschland, sind - so die Antwort der Bundesregierung auf eine unserer Anfragen - gesunken. Sie haben die Kaufkraft also nicht gestärkt. Sie haben die Wirtschaft nicht stärker gemacht. Sie haben vielmehr den billigsten Weg gewählt. Sie haben nämlich versucht, den Haushalt durch Abkassieren zu konsolidieren. Statt an die Ausgaben heranzugehen, haben Sie den Haushalt kräftig aufgebläht um 13 Milliarden Euro. In Deutschland sparen nur die Bürger. Das ist zu wenig. Der Mittelstand in Deutschland hat eine bessere Politik verdient; denn er ist Träger der Zukunftserwartungen und der Arbeitsplatzchancen für Deutschland.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie beabsichtigen hoffentlich nicht, nach der Beantwortung der Frage jenseits Ihrer Redezeit jetzt noch zu einem Schlusswort anzusetzen, Herr Kollege Brüderle;
das könnte ich nämlich nicht zulassen.
Rainer Brüderle (FDP):
Leider hat sich kein Kollege für eine weitere Frage gefunden. Ich hätte noch viel zu sagen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Vorbereitung war früher auch schon mal besser, Herr Brüderle.
Nächster Redner ist der Kollege Stiegler, SPD-Fraktion.
Ludwig Stiegler (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen des Präsidenten zur Rede des Kollegen Brüderle waren so treffend, dass ich jetzt gar nicht weiter darauf eingehen muss. Der Kollege würde sich wünschen, dass er mit seinem Wunschpartner die Ergebnisse feiern könnte, die die deutsche Wirtschaft rechtzeitig zum 65. Geburtstag von Peter Struck in gemeinsamer Anstrengung mit uns geliefert hat.
Die Hauptaufgabe besteht darin, jetzt zu verhindern, dass die Spekulationskrise und die Folgen der Betrügereien auf den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft durchschlagen. Wir haben es quasi mit zwei Reichen zu tun: der Welt der Spekulation, die nur immer behauptet, sie schaffe Werte, und der Welt der Mittelständler, überhaupt der Unternehmen, bei denen für die Menschen Güter erzeugt und Dienstleistungen erbracht werden. Unsere Aufgabe ist, diese reale Welt der Arbeit vor den Folgen der Spekulationen zu schützen.
Man muss einmal daran denken, was manche dieser großmögenden Bankherren noch vor Jahren dazu gesagt haben, was sie an Werten geschaffen haben - alle diese Werte schmelzen jetzt dahin wie der Schnee in der Sonne -; nun bedrohen sie die Weltwirtschaft. Wer musste sie retten? Die Zentralbanken und letzten Endes die Staatsanleihen! Ohne die sicheren Häfen der Staatsanleihen wären alle diese Spekulanten abgebrannt. So sieht die Realität aus! Das gibt uns das Recht, diesen Herrschaften in Zukunft strenger auf die Finger zu schauen, damit sie die ordentliche Arbeit nicht verderben können.
Aber zum Thema: Der Jahreswirtschaftsbericht ist überschrieben mit ?Kurs halten!? und das Jahresgutachten mit ?Das Erreichte nicht verspielen?. Ich habe wirklich meine hermeneutischen Künste bemüht, um herauszufinden, was uns die Dichter sagen wollen. Im Gutachten des Sachverständigenrats und zwischen den Zeilen des Wirtschaftsministers ist zu lesen, dass man die Sorge hat, man würde vom Kurs abweichen, weil man die Lage der Arbeitslosen verbessert habe. Dazu sage ich den Sachverständigen genauso wie ihren Sekundanten im Bundeswirtschaftsministerium: Wir wollen einen Aufschwung für alle. Dafür halten wir Kurs. Wir wollen mehr Freiheit durch gute Arbeit und nicht durch Hungerlöhne.
Wir wollen mehr Freiheit für die Menschen durch soziale Sicherheit.
Wir haben ein paar gute Jahre hinter uns. Es gibt durchaus Streit über die Ursachen, darüber, was die Henne und was das Ei ist. Die Sachverständigen schreiben: Nur weil viele Instrumente flexibilisiert worden sind, ist der Aufschwung gekommen. - Ich sage umgekehrt: Nur weil wir am Anfang dieser Legislaturperiode eine aktive Politik für mehr Nachfrage betrieben haben, konnte die Nachfrage in Arbeitsplätze umgesetzt werden.
Das ist das Entscheidende, anstatt hier erst alles zu zerbrechen und zu glauben, die Menschen würden schon, wenn man die Sozialleistungen um 30 Prozent und mehr absenken würde, wie Roland Koch und andere das wollen, wie Rebhühner im kalten Winter in die Küche laufen. Nein, meine Damen und Herren, wenn in der Küche nicht gekocht wird, dann haben auch die Rebhühner da nichts zu suchen.
Der Bundeswirtschaftsminister lobt die Anpassungsfähigkeit des flexibilisierten Arbeitsmarktes. So weit, so gut. Wir sehen aber auch die Schattenseiten dieser Flexibilisierung, die wir in der Form, wie sie jetzt existiert, nicht gewollt haben. Bei ?wir? denke ich auch an die früheren Partner von den Grünen; ich sehe hier zum Beispiel Thea Dückert, die ja bei den Verhandlungen mit im Boot war. Wir wollten den Missbrauch bei der Leiharbeit, wie wir ihn heute beobachten können, nicht.
- Hören Sie doch auf! Sie können doch nur motzen. Sie haben doch überhaupt keine Vorstellung von dem, was da läuft.
Wir wollten mehr Flexibilität bei anständigen Tarifverträgen. Das war damals das Angebot. Daraus ist geworden, dass manche Konzerne unter Androhung von Auslagerungen und mithilfe von gelben Gewerkschaften Hungerlöhne vereinbart haben. Das hatten wir mit der Flexibilisierung bei der Leiharbeit nicht beabsichtigt. Das sind keine guten Arbeitsverhältnisse.
Unserem Programm entspricht auch nicht die Ausweitung der Niedriglohnzone. Es gibt ja manche, die sie weiter ausweiten wollen. Sie ist nicht nur groß genug, sondern schon zu groß. Deshalb kämpfen wir gegen Hungerlöhne. Wir wollen die Unsicherheiten, mit denen Arbeitnehmer leben müssen, die in befristeten Beschäftigungsverhältnissen stehen oder zur Generation Praktikum gezählt werden, beseitigen. Diese Aufgaben stehen vor uns. Diese müssen wir lösen und werden wir lösen.
- Sie können nur demonstrieren. Wir können handeln. Wer will, dass es in Deutschland besser wird, der muss auf die Sozialdemokratie und ihre Partner vertrauen.
Darum geht es letzten Endes.
Meine Damen und Herren, wir haben also dafür zu sorgen, dass der Aufschwung alle erreicht, dass Mindestlöhne auch gegen das Geschrei der FDP durchgesetzt werden.
- Ja, das werden wir auch gegen Ihr Geschrei durchsetzen. Mit uns gibt es keine Hungerlöhne.
Wir sehen auch, dass es nicht stimmig ist, wie das Bruttoinlandsprodukt verteilt wird. Der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen stagniert. Hier besteht Entwicklungsbedarf. Wie soll der private Verbrauch zunehmen, wenn die Arbeitnehmereinkommen nicht steigen? Wir erinnern auch an die Ziffern 714 ff. ganz am Ende des Sachverständigengutachtens, wo schüchtern die Einkommensverteilung angesprochen wird. Wir stellen eine unverhältnismäßig hohe Konzentration von Einkommen und Vermögen bei einem ganz kleinen Personenkreis fest. So ist es kein Wunder, dass die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stärker steigen als die der Arbeitnehmer. Dieses Verteilungsverhältnis müssen wir wieder umdrehen: Die Arbeitnehmereinkommen bestimmen den privaten Verbrauch, der zugleich das größte Aggregat für unser Bruttoinlandsprodukt darstellt.
Bei den Tarifrunden im Jahre 2008 muss dafür gesorgt werden - diese Forderung unterstützen wir -, dass die Arbeitnehmereinkommen wieder steigen. Demjenigen, der jetzt sagt, jetzt ziehen aber dunkle Wolken auf, entgegne ich: Die Ergebnisverbesserungen, die 2007 aufgrund der Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer eingefahren werden konnten, müssen nun fair verteilt werden. Dafür ist Platz. Das erfordert auch die soziale Gerechtigkeit.
Ich bin auch froh, dass die Bundesregierung ausdrücklich erklärt, dass sie die Initiative der beiden Koalitionsfraktionen, mehr Arbeitnehmerbeteiligung zu ermöglichen, unterstützt. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, mit der wir dafür sorgen, dass die Verteilungsschieflage unserer Volkswirtschaft begrenzt oder gar beseitigt wird. Wir müssen dafür sorgen, dass der Produktivitätsfortschritt auch bei den Arbeitnehmereinkommen ankommt.
Ich bin ganz froh, dass jetzt sogar Herr Piepenburg von der PIN Group sagt: Jawohl, ich stehe zu den Mindestlöhnen. - Interessant! Noch interessanter ist, dass er auf Folgendes hinweist: Viele Auftraggeber haben gesagt: Du bekommst keine Aufträge mehr, wenn du keine anständigen Löhne zahlst. Das ist die richtige Antwort der deutschen Wirtschaft auf die, die Geschäftsmodelle auf Hungerlöhnen aufbauen wollten. Das wollen wir nicht, und das werden wir verhindern.
Ich finde es zum Beispiel gut, dass die IG Metall bei BMW und Audi dafür gesorgt hat, dass auch die Leiharbeitnehmer anständig bezahlt werden. Früher war es häufig so, dass sich die Gewerkschaften und die Betriebsräte um ihre Kernbelegschaften gekümmert haben. Jetzt haben sie ihre schwächeren Brüder und Schwestern entdeckt und erfolgreich gehandelt. Herzlichen Dank dafür. Das ist ein richtiger Weg; wir kommen auf ihm voran. Die Aufnahme der Leiharbeit in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ist einer der wichtigen nächsten Schritte, damit wir mehr soziale Gerechtigkeit im Aufschwung haben.
- Natürlich ist das Politik für den Abschwung, und zwar bei denen, die meinen, dass die Leute quasi für Hungerlöhne arbeiten müssen und dass der Staat sie am Leben hält. Das ist keine Wirtschaft, wie wir sie wollen.
Sie haben mir das richtige Stichwort gegeben. Ich habe mit meinem Kollegen Laurenz Meyer immer wieder heftige Diskussionen.
Er sagt: Viele Unternehmer sind gegen die Mindestlöhne, weil sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Ich sage Ihnen dagegen: Ein Wettbewerb, der auf die Knochen der Arbeitnehmer geht, ist gegenüber den Arbeitnehmern nicht in Ordnung und ist auch volkswirtschaftlich nicht in Ordnung. Deshalb werden wir diesen Weg nicht mitgehen.
Also werden wir miteinander in den nächsten Wochen an das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und an das ?Franz-Müntefering-Jugendfreundin-Erinnerungsgesetz?, MiA, herangehen und werden die Mindestarbeitsbedingungen verbessern. Das wirkt noch nicht flächendeckend - das wissen wir -; die Union ist nämlich noch nicht so weit. Aber sie ist immerhin in Bewegung. Wir werden hier einen Schritt vorankommen.
Michael Glos hat gesagt: Starke Unternehmen garantieren starke Arbeitsplätze. Ich sage Ihnen daher aus aktuellem Anlass: Große Unternehmen, ob nationale oder internationale, müssen wissen, dass sie hier in Deutschland auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft und des Grundgesetzes agieren; Arbeitnehmer sind nicht irgendwelche Zahlen auf einem Excel-Sheet, sondern Menschen mit Würde und Achtungsanspruch. Wir müssen gerade im Zeitalter der Globalisierung eine Kooperation zwischen Wirtschaft und Staat organisieren, die den Strukturwandel ordentlich begleitet und die Menschen nicht nur nach dem Prinzip ?Heuern und Feuern? behandelt. Das muss der Nokia-Vorstand hier lernen.
Wir müssen den Kurs halten, durch bessere Arbeit, durch einen Aufschwung für alle, mit mehr sozialer Gerechtigkeit, mit einer hohen Teilnahme am Erwerbsleben, mit Qualifikation und Weiterbildung, mit Forschung und Entwicklung. So weit, so gut. Der Blick ist dabei in den Rückspiegel gerichtet, und wenn man den Blick allein in den Rückspiegel richtet, dann fährt man nicht gut vorwärts, weil es vor der Hacke duster ist, wie Peer Steinbrück immer zu sagen pflegt. Wir müssen sehen, dass der Aufschwung schon vor der Subprime-Krise an Kraft verloren hat, weswegen die Kurve in eine andere Richtung ging.
Wir müssen wissen: Nur Nachfrage schafft Arbeitsplätze. Alle, die den Keynesianismus für Teufelszeug halten, sollten sehen: Die Amerikaner sind dabei, wieder Keynesianer zu werden. Lassen Sie uns im Auge behalten: Nur dann, wenn wir die private und die öffentliche Nachfrage steigern, werden wir die notwendigen Arbeitsplätze sichern, nur dann werden wir aus der Staatsverschuldung herauswachsen. Wir können uns nicht heraussparen. Wir sind 2006 und 2007 durch Wachstum zu Ihrer Freude, Herr Kampeter, erfolgreich gewesen. Wenn wir damals Ihrem strengen Haushälterweg gefolgt wären, dann würden wir jetzt tief unten im Keller sitzen. Aber wir wollen mit Ihren Kolleginnen und Kollegen weiter herauswachsen.
Wir haben noch eine Menge Pfeiler im Köcher: private Investitionen, Gebäudesanierung und Klimaschutz, auch in der gewerblichen Wirtschaft. Vor allem müssen wir darauf aufpassen, dass die kleinen und mittleren Unternehmen nicht Opfer der Bankspekulationen werden und Probleme mit der Kreditversorgung bekommen. Wir haben gemeinsam mit den Förderbanken von Bund und Ländern die Aufgabe, das zu verhindern. Gott sei Dank hat die KfW nach wie vor gute Kreditprogramme, mit denen wir arbeiten können. Daher müssen wir nicht heute schon überstürzt Aktionen ankündigen. Wenn die Hurrikanmeldungen kommen, kann ich aber nicht sagen: Er wird schon an uns vorbeigehen. Dann muss ich schauen, wie ich mein Dach dichtmachen kann, wie ich Vorsorge treffen kann. - Wenn der Sturm kommt, sind wir vorbereitet. Das muss in aller Stille geschehen, damit es uns nicht wie den unklugen Jungfrauen geht, sondern wie den klugen Jungfrauen in der Bibel.
Wir haben noch eines gelernt: Es kommt auch auf den Staat an. Die privaten Banken haben sich gegenseitig nicht mehr vertraut. Sie wären an ihrem gegenseitigen Misstrauen kaputtgegangen, wenn die Zentralbanken sie nicht gerettet hätten. Der Staat hat sichere Häfen geboten, ist lender of last resort, wie es in England heißt. Das heißt, wir können mit diesen Herrschaften in Zukunft etwas selbstbewusster umgehen; denn wenn sie sich verspekuliert haben, kommen sie zu uns und laden die Verluste bei Peer Steinbrück ab. Er muss nämlich ein Drittel dieser Spekulationsverluste tragen. Das möchten wir nicht. Herr Kampeter, das Geld soll lieber in die Kasse von Herrn Steinbrück fließen. Dafür zu sorgen, ist unsere Aufgabe. Rainer Wend wird nachher sagen, was wir von den Banken und den Aufsichtsbehörden erwarten, damit nicht private Gier und Spekulationen eine ganze Volkswirtschaft ins Elend stürzen. Im Reich der Realökonomie müssen wir die Lebensverhältnisse der Menschen auch in Zukunft durch gute Arbeit verbessern.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesminister für Wirtschaft, Herr Glos, hat gesagt, dass der Jahreswirtschaftsbericht unter der Überschrift ?Kurs halten!? steht. Für die Fraktion Die Linke möchte ich hier sagen: Wir möchten, dass der nächste Wirtschaftsbericht und Ihr Handeln unter einer ganz anderen Überschrift stehen, nämlich: Kurs wechseln!
Denn wenn Sie den Kurs halten, dann setzen Sie all das fort, was in den letzten Jahren eingetreten ist.
Ich beginne mit Ihrem Jahreswirtschaftsbericht: ?Deutschland ist auf gutem Kurs: mit einem Aufschwung für alle?. Wenn Sie hier feststellen, der Aufschwung sei für alle da, dann ist das eine Verarschung der Bevölkerung.
80 Prozent der Menschen in Deutschland sagen: Der Aufschwung kommt bei uns nicht an. Aber Sie erdreisten sich, hier zu sagen: Aufschwung für alle.
Erklären Sie das Wahlvolk für blöd, oder was ist Ihre Absicht? Wie können Sie so etwas sagen? Es gibt Gründe, warum die Bevölkerung sagt: Der Aufschwung kommt bei uns nicht an.
Im ersten Satz des Jahreswirtschaftsberichtes heißt es weiter, dass wir eine ?Rekord-Beschäftigung? haben. Das ist richtig. Die Frage ist nur: Was für eine Art von Beschäftigung ist das? Weil Sie diese Frage nicht stellen, wissen Sie nicht, dass der Aufschwung nicht bei allen ankommt. Wenn die Menschen nur noch befristete Arbeitsverträge haben, schlechte Löhne erhalten und nur noch Minijobs oder Leiharbeit ausüben können, dann ist das kein Aufschwung für alle. Den Menschen nutzt Ihre Beschäftigungsbilanz überhaupt nichts! Das ist das, was die Menschen denken, die Ihnen draußen zuhören müssen, wie Sie hier solche Sprechblasen in die Welt setzen.
Natürlich gibt es Anzeichen für eine weltweite Krise. Die kann wirklich niemand mehr übersehen. Nun würde man vielleicht erwarten, dass der Bundesminister für Wirtschaft eine Idee hat, was er da machen könnte. Vielleicht hat die Bundeskanzlerin, die gerade in Gespräche vertieft ist, ja eine Idee; man soll die Leute ja nicht unbedingt überfordern. In der Financial Times Deutschland können wir lesen: ?Glos denkt über Notfallplan nach.? Bravo, Herr Bundesminister für Wirtschaft, die Fraktion Die Linke macht Ihnen ein Kompliment: Sie denken nach! Weiter ist aber zu lesen: ?Die Schublade ist noch leer. Aber selbstverständlich muss man sich Gedanken machen.? Bravo, muss man sagen.
Es wäre natürlich nett, wenn die Schublade wenigstens ein bisschen voll wäre.
Sie sollten versuchen, zu erreichen, dass die Schublade ein bisschen voll wird, damit Sie irgendetwas haben, falls die exportgetriebene Konjunktur der letzten Jahren nun durch die weltweite Krise - das wäre logisch - beschädigt wird.
Es ist ja richtig - das hat ein Redner hier gesagt -, dass die Amerikaner wie selbstverständlich keynesianische Rezepte anwenden, wenn die Konjunktur nach unten rasselt. Die keynesianischen Rezepte, die hier immer von allen möglichen Fachleuten - ich will sie gar nicht alle zitieren - in großer Attitüde für falsch und überholt erklärt worden sind, heißen nun einmal: Wenn die Konjunktur schwächelt, setzt man die Geldpolitik ein. - Das ist überall auf der Welt so, nur in Europa ist es nicht so gemacht worden. Das hat dann natürlich Folgen. Der Kommentator, der heute in der Financial Times Deutschland fragt, warum denn die Geldpolitik nicht einsetzt, hat recht. Wir können nachweisen, dass die verfehlte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank über viele Jahre mit dazu beigetragen hat, dass wir in Europa nicht Wachstumspotenziale erschlossen haben wie andere Industriestaaten dieser Welt.
Das Zweite, das man einsetzen kann, ist die Binnennachfrage. Sie haben dafür gesorgt, dass die Binnennachfrage über viele Jahre nur stranguliert und abgewürgt wurde. Ich möchte hier deutlich sagen, dass Steuersenkungen ein Instrument der Binnennachfrage sind. Die Amerikaner setzen dieses Instrument wie selbstverständlich ein, und zwar rechtzeitig. Wenn man wegen der Staatsfinanzen zögerlich ist, dann sollte man zumindest dem Antrag stattgeben, den wir hier schon mehrfach vorgetragen haben: Man sollte den Steuertarif glätten und insbesondere die mittleren Einkommen entlasten, das heißt die Facharbeiter und die Kleinbetriebe. Dann kann man den Steuertarif durchziehen, wenn man aufgrund der Einnahmeausfälle Probleme hat.
Wir haben das hier immer wieder vorgetragen. Es ist ungerecht und wirtschaftlich unvernünftig, Facharbeiter und Kleinbetriebe über Gebühr zu belasten.
Nun greife ich das auf, Herr Kollege Stiegler, was Sie hier gesagt haben. Natürlich geht Binnennachfrage nicht ohne steigende Löhne. Natürlich geht Binnennachfrage nicht ohne wachsende Renten. Natürlich geht Binnennachfrage nicht ohne steigende soziale Leistungen im Rahmen des Möglichen. Wenn man aber alles tut - da sind die meisten hier mitverantwortlich -, dass sowohl die Löhne und die Renten als auch die sozialen Leistungen sinken, dann trägt man die Verantwortung dafür, dass in Deutschland die Binnennachfrage über viele Jahre überhaupt nicht auf die Beine kommt.
Der Bundeswirtschaftsminister hat auf seine liebenswerte Art hier vorgetragen: Die Tarifparteien sollen ihre verantwortungsvolle Lohnpolitik fortsetzen. Mit solchen Sprechblasen kann man über die Wirklichkeit hinwegtäuschen. Auch im letzten Jahr hatten wir stagnierende Reallöhne. Das sieht man, wenn man die Tarifvertragsabschlüsse ansetzt und mit der Inflation verrechnet. Was in Wirklichkeit passiert, ist etwas ganz anderes. Das erfassen wir ja statistisch überhaupt nicht. Das heißt, in Wirklichkeit hatten wir auch im letzten Jahr ein zurückgehendes Volkseinkommen. Ich denke an Arbeitnehmer, an Rentner und an die, die soziale Leistungen empfangen. Sie setzen diese Politik ununterbrochen fort. Kollege Stiegler, wenn Sie das alles beklagen, dann dürfen Sie diesem Bericht nicht zustimmen, dann dürfen Sie die Politik nicht in vollem Umfang mitmachen.
Im Jahreswirtschaftsbericht steht, dass Sie weiterhin ?Teilzeitarbeit und tarifliche Öffnungsklauseln, befristete Arbeitsverträge? und Leiharbeit vorantreiben wollen. Die Leiharbeit nennen Sie im Bericht vornehmerweise ?Zeitarbeit?. Als weitere Beispiele nennen sie ?Minijobs und Zeitkonten?. All dies wollen Sie weiter einsetzen, um Anpassungsflexibilität zu erreichen. Das heißt, Sie wollen das Programm zur Lohnsenkung weiter vorantreiben. Das ist die Botschaft des Jahreswirtschaftsberichtes.
An einer Stelle ist der Bericht dann auch ehrlich. Er zeigt - wie in all den vergangenen Jahren - schlicht und einfach eine unverschämte Bilanz der Umverteilung, an der sich überhaupt niemand mehr stört. In jedem Jahreswirtschaftsbericht steht: Arbeitnehmerentgelte nix, Rentenerhöhungen wird es nicht geben und soziale Transfers sowieso nicht. Die große Mehrheit der Bevölkerung - das steht im Bericht - ist vom wirtschaftlichen Zuwachs ausgeschlossen. Nichts anderes steht hier seit Jahren. Das sieht man, wenn man bereit ist, Zahlen zur Kenntnis zu nehmen.
Im Bericht steht zur Projektion, dass Unternehmens- und Vermögenseinkommen diesmal nur in Höhe von 5,6 Prozent steigen werden. 7 Prozent war die Projektion in den letzten Jahren. Aber das ist ja nur die Hälfte dessen, was passiert. Im letzten Jahr sind allein die Aktienkurse um über 20 Prozent gestiegen. Die Einkommen der Arbeitnehmerschaft sind gesunken. Andere Gewinnspannen möchte ich hier gar nicht vortragen.
Das alles schreiben Sie. Das ist weiterhin Ihre Absicht. Sie sind eine Große Koalition der Umverteilung. Wenn Sie das von den Erträgen der Arbeitnehmerentgelte usw. nicht ableiten wollen, dann schauen Sie nur Ihre Steuerpolitik an: Sie haben auf der einen Seite die große Mehrheit der Bevölkerung mit 20 Milliarden Euro pro Jahr durch die Mehrwertsteuererhöhung belastet und die Unternehmen - ich denke hier an Steuersenkungen und die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages - um 20 Milliarden Euro entlastet. Man muss kein großer Rechenkünstler sein, um zu wissen, dass hier eine reine Umverteilung vorgenommen wurde.
Ich möchte hier nun unsere Vorschläge zur Festigung der Konjunktur in Deutschland vortragen, die dann notwendig ist, wenn der Export nicht mehr läuft. Die Renten und die Löhne können noch so niedrig sein - wir könnten auch Sklavenlöhne einführen -: Der Export läuft trotzdem weiter. Aber die Binnenkonjunktur verkraftet die Philosophie, die in den letzten Jahren dominierte, nicht.
Das Erste, was wir brauchen, ist eine Lohnpolitik, mit der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tatsächlich wieder am Wachstum der Volkswirtschaft beteiligt werden. Das muss als Allererstes geschehen.
Das heißt für uns: Im Gegensatz zur Entwicklung der letzten Jahre müssen die Löhne im Rahmen von Inflation und Produktivität steigen. Was nützt die Beschwörung der Produktivität, wie von Kollege Stiegler vorgetragen, wenn die Löhne in den letzten Jahren im Rahmen der Produktivität überhaupt nicht mehr gewachsen sind? Da muss man sich doch die Frage stellen, warum das der Fall war. Die Erklärung ist ganz simpel: Die Gewerkschaften wurden über Hartz IV, befristete Arbeitsverträge, Minijobs und Leiharbeit so systematisch geschwächt, dass sie nicht mehr auf die Füße kamen. Sie haben mit der fatalen Gesetzgebung, die Sie zu verantworten haben, das Sinken der Löhne programmiert.
Als Zweites müssen die Armutsrenten zurückgenommen werden. Ich rede hier von der unsinnigen Rentenpolitik, die Sie über all die Jahre gemacht haben. Wie wollen Sie denn die Binnenkonjunktur bei sinkenden Realeinkommen und sinkenden Einkommen der Rentnerinnen und Rentner in Gang bringen? Diese hören uns heute zu, und sie wissen genau, dass sie an Kaufkraft verloren haben. Sie wissen auch, dass Sie immer weiter darüber nachdenken, wie Sie die Renten weiter kürzen können. Sie waren schließlich stolz darauf, dass Sie eine Rentenreform verabschiedet haben, mit der die Rente für viele weiter gekürzt wird. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass das Desaster, dass für die jetzt Beschäftigten in Zukunft Armutsrenten programmiert sind, bereits eingetreten ist.
Wenn selbst der Vater dieser Reformen, Herr Rürup, begriffen hat, was er angerichtet hat, und wenn er deshalb vorschlägt, eine steuerfinanzierte Grundrente einzuführen, um dieses Desaster zu vermeiden, dann ist dies ein Ausweis von Ratlosigkeit. Ändern Sie die Rentenformel, damit die Rentnerinnen und Rentner endlich wieder am wachsenden Wohlstand teilnehmen können.
Zum Steuertarif habe ich bereits etwas gesagt. Ich möchte aber einen weiteren Punkt erwähnen. Wir brauchen gerade in der jetzigen Situation im Steuerrecht keine weiteren flächendeckenden Senkungen der Unternehmensteuern. Vielmehr brauchen wir im Unternehmensteuerrecht einen Umbau, der dazu führt, dass der investierende Unternehmer belohnt und der spekulierende Unternehmer nicht belohnt wird. Das heißt, die degressive Abschreibung von Investitionen muss wieder eingeführt werden.
Es war ein großer Fehler, dieses bewährte Instrument, das über viele Jahre Kernelement des Handelns von Wirtschaftsministern war, die die Steuerung der Konjunktur noch im Programm hatten, abzuschaffen.
Was wir auch brauchen, sind Ausgaben in der öffentlichen Infrastruktur, um gegenzusteuern. Man kann es nicht oft genug sagen: Wir können es uns als Industriestaat nicht erlauben, dass die Investitionsquote in unseren öffentlichen Haushalten im Vergleich mit den europäischen Nachbarn nur halb so hoch ist. Das ist eine eindeutige Zahl. Wie lange, glauben Sie, können wir uns Versäumnisse auf einem Gebiet leisten, in dem die Zukunft des Staates definiert wird, nämlich bei den öffentlichen Investitionsausgaben? Die anderen sind nicht dümmer oder klüger als wir, aber sie haben teilweise deutlich bessere Ergebnisse.
Das, was ich gesagt habe, gilt natürlich auch für die Ausgaben in Bildung und Forschung, insbesondere für die Bildung. Das, was teilweise in den Ländern in den letzten Jahren geschehen ist - die Schulzeit wurde verkürzt, um die Menschen möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt zu werfen -, ist ein Wahn. Dahinter steht nicht mehr die Idee, dass Bildung die Entwicklung einer Persönlichkeit ermöglicht und dazu beiträgt, eigene Aktivitäten zu entfalten. Vielmehr geht es darum, die Menschen möglichst schnell für den Arbeitsmarkt auszubilden. Das ist ein Fehler. Das wird noch durch den Abbau von Lehrpersonal ergänzt. Die Lehrpläne sind überfrachtet. Viele Eltern beklagen sich mittlerweile darüber, man raube den jungen Menschen die Kindheit. Deshalb brauchen wir in Deutschland eine andere Schul- und Bildungspolitik.
- Herr Finanzminister, ich hätte gerne die Zeit, mich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Wir müssten eigentlich über all das reden, was Sie so auf den Finanzmärkten treiben. Ich kann Ihnen nur sagen: Was sollte hier eben das Gejammer über die Finanzmärkte, wenn Sie die Geldpolitik nach wie vor so missachten, wie das derzeit geschieht? Solange in Europa die aktuelle Verfassung der Zentralbank gilt, die im krassen Gegensatz zu den Verfassungen der Zentralbanken der übrigen Welt steht, insbesondere der amerikanischen Zentralbank und der britischen Zentralbank, so lange wird die Geldpolitik zur Steuerung der Konjunktur nicht eingesetzt werden können. Das aber geht zulasten der Beschäftigten in Gesamteuropa.
Wenn Ihnen sonst nichts einfällt, dann schreiben Sie einfach die Verfassung der amerikanischen Zentralbank ab.
Ein weiterer Punkt ist die Regulierung der Finanzmärkte. Immer, wenn die Linke gefordert hat, die Finanzmärkte zu regulieren, dann haben Sie hier erklärt, dass das einzig Wichtige die Transparenz sei. Was meinen Sie mit Transparenz? Sie ist weitgehend vorhanden. Wir wissen, wo überall spekuliert wird. Wir wissen doch, wie unsicher die einzelnen Derivate sind. Wir wissen, wo die Risiken liegen. Nein, wir brauchen eine Reregulierung der Finanzmärkte, wenn wir wieder Ordnung in das Chaos der weltweiten Finanzmärkte bekommen wollen.
Mit der Reregulierung der Finanzmärkte müssen wir bei unseren eigenen Gesetzen beginnen. Wenn wir jetzt beklagen, dass Banken, die teilweise sogar in öffentlichem Besitz sind, Nebengeschäfte gemacht haben, dann müssen wir uns doch die Frage stellen, was wir da eigentlich versäumt haben.
Nebenbei möchte ich sagen: Es gibt auch bedeutende Aufsichtsratsvorsitzende, die gepennt haben. Sie haben dort, wo sie verantwortlich waren, nicht erkannt, dass in großem Umfang Nebengeschäfte getätigt und sogar bilanziert wurden. Wenn wir so sehr pennen, dann werden wir keine Ordnung in die internationalen Finanzmärkte bekommen. Wir müssen bei uns selbst anfangen, meine sehr geehrten Damen und Herren;
ich hoffe, dass dieser Wink verstanden worden ist.
Ich fasse zusammen: Natürlich könnte man diese Politik, die dem Export wenig schadet, fortsetzen. Auf den Glanzfeldern unserer Wirtschaft - dem Automobilbau, dem Maschinenbau, der Chemieindustrie, der Elektrotechnik usw. - verfügen wir Gott sei Dank über gute Ingenieure und Konstrukteure, die dafür sorgen, dass unsere Produkte weltweit vermarktet werden können und Absatz finden. Das ginge aber auch bei sehr niedrigen Löhnen, weil diese Ziele dadurch überhaupt nicht gefährdet werden.
Wenn Sie irgendwann einmal zur Kenntnis nehmen, dass der Binnenmarkt für die Volkswirtschaft einer großen Industrienation von Bedeutung ist, dann müssen Sie daraus Konsequenzen ziehen. Vor allen Dingen eines dürfen Sie nicht tun: eine verfehlte Politik, die zu sinkenden Löhnen, sinkenden Renten und sinkenden sozialen Leistungen führt, betreiben und dann noch die Frechheit besitzen, zu behaupten: Der Aufschwung kommt bei allen an.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht, über den wir heute sprechen, hat den Titel ?Kurs halten!?. Ich finde, wenn man Kurs halten will, muss man erst einmal einen Kurs haben.
Wenn ich mir die Debatten über die aktuellen Probleme der Wirtschaftspolitik vor Augen führe, dann kann ich nicht feststellen, dass die Bundesregierung über einen gemeinsamen Kurs verfügt.
Wenn es um die Mindestlöhne geht, verfolgen Sie völlig unterschiedliche Konzepte; das gilt übrigens für Lohnfragen insgesamt. Die Union dilettiert beim Thema Mindestlohn. Zuerst wollte sie überhaupt keinen Mindestlohn. Dann hat sie gesagt: In ein oder zwei Branchen können wir ihn vielleicht einführen. Nun wundert sich die Union, dass auch andere Leute auf die Idee kommen und fragen: Was ist bei uns? - Manche reden schon von einem flächendeckenden Mindestlohn. Es geht ständig hin und her.
Ein anderes Beispiel ist Ihre Gesundheitspolitik. Durch die geplante Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 werden die Beitragssätze zur Krankenversicherung wahrscheinlich um 0,7 Prozentpunkte steigen. Das ist doch einfach Murks, und man kann nicht sagen, das sei ein Kurs. Einerseits senken Sie die Lohnnebenkosten durch eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung. Andererseits machen Sie eine Politik, die dazu führt, dass die Lohnnebenkosten im Gesundheitsbereich, nämlich beim Beitragssatz zur Krankenversicherung, steigen. Das ist kein Kurs, sondern ein unsystematisches Hin und Her, durch das unser Land und unsere Wirtschaft nicht vorangebracht werden.
Im Jahreswirtschaftsbericht von Michel Glos lesen wir: Diesmal soll es der Binnenmarkt richten, und das trotz all der finsteren Wolken, die sich unter anderem über den USA am Horizont zeigen. Im Jahreswirtschaftsbericht ist für den Binnenkonsum von einem Wachstum in Höhe von 3,1 Prozent die Rede; preisbereinigt entspricht das einem Wachstum des Binnenmarktes um 1,4 Prozent. Herr Glos, ich muss Sie fragen: In welcher Welt leben Sie eigentlich?
Die Leute bekommen gerade die Nachricht, dass die Preise in allen möglichen Bereichen steigen: beim Gas, beim Wasser, beim Öl usw. Wenn sie einkaufen gehen, stellen sie fest, dass auch die Preise für Grundnahrungsmittel steigen: bei der Milch, beim Fleisch und bei vielem, was die Familien in unserem Land brauchen. Sie aber sagen: Diesmal wird es der Binnenmarkt richten. Glauben Sie etwa, dass irgendjemand einkaufen geht, weil Sie in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht schreiben ?Wir wollen Kurs halten! Beruhigt euch, Leute!?? Wie stellen Sie sich das eigentlich vor?
Außerdem fordern Sie eine maßvolle Lohnpolitik. Das heißt für die Leute: Es wird nicht mehr Geld geben. Hören Sie auf mit der Märchenstunde, der Binnenmarkt, der private Konsum werde es diesmal richten! Es gibt keine empirische Evidenz, dass das so sein wird.
Auch was jetzt über die Börsenkrise zu lesen ist, wird nicht dazu beitragen, dass die Leute Vertrauen entwickeln.
Wir gehören nicht zu denen, die es als eine Aufgabe der Opposition sehen, die Konjunktur schlechtzureden. Wir können dieser Versuchung widerstehen, Herr Lafontaine. Wir machen dieses Spiel nicht mit. Die kleinen Leute, bei denen der Aufschwung noch nicht ankommt, haben nämlich umso größere Chancen, je besser sich die Konjunktur entwickelt.
Wir bräuchten jetzt eine Bundesregierung, die mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik - das gehört ja zusammen - Vertrauen bei den Leuten schafft, dass der Aufschwung bei allen ankommt, auch bei denen, die sozial nicht so gut dastehen.
Anstatt herumzunölen, will ich Vorschläge machen und Ihnen sagen, wo Sie als Große Koalition agieren müssen und aufhören müssen, ihre Köpfe in den Sand zu stecken, Herr Glos: Das Erste ist die Frage der Lohnentwicklung, insbesondere die Frage, wie es bei den Mindestlöhnen weitergeht. Die Große Koalition kann sich nicht darauf einigen, wie das Prinzip, das ja alle bejahen - dass, wer ganztags arbeitet, von seiner Hände oder seines Kopfes Arbeit leben können muss -, in die Praxis umgesetzt werden soll. Solange Sie sich nicht einigen können, was Sie wollen - Kombilöhne oder Mindestlöhne, flächendeckend oder wie auch immer -, kann es an dieser Stelle nicht aufwärtsgehen. Wir sagen, dass wir Mindestlöhne brauchen - aber branchen- und regionalspezifisch. Der Vorschlag, den Bundesarbeitsminister Scholz gemacht hat, ist nicht schlecht; er geht ja auf unseren Vorschlag, eine Mindestlohnkommission einzurichten, zurück. Aber man muss beides machen: Man muss das Entsendegesetz entsprechend ausweiten, eine Mindestlohnkommission einrichten und, eines Tages, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einführen. Es darf nicht sein, dass jemand trotz Arbeit Aufstocker sein muss.
Die Leute können kein Vertrauen haben, Herr Meyer, wenn sie wissen: Du kannst ganztags arbeiten, aber leben kannst du davon nicht. - Auch wäre es ein falsches Signal an die Wirtschaft, aufzustocken und damit gewissermaßen einen flächendeckenden Kombilohn einzuführen. Es ist Murks und Unsinn, was die Union an der Stelle anbietet.
Das Zweite. Sie müssen sich endlich bemühen, doch mehr für den Mittelstand zu tun. Die Unternehmensteuerreform hat vielen Personengesellschaften, die Einkommensteuer zahlen, nichts gebracht. Im Gegenteil, Herr Steinbrück: Weil die Gewerbesteuer ausgedehnt wurde - es war ja richtig, Zinsen und Pacht einzubeziehen -, sind diejenigen Personengesellschaften, die, weil sie keine Einkommensteuer zahlen, Gewerbesteuer und Einkommensteuer nicht miteinander verrechnen können, sogar zusätzlich belastet worden. Deswegen sagen wir: Die Gewerbesteuer muss in diesem Sinne vorgetragen werden, damit die mittelständischen Betriebe in diesem Bereich tatsächlich entlastet werden.
- Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln! Hören Sie sich einfach einmal an, was die Mittelständler, die in dieser Situation sind, dazu sagen!
Das Dritte ist der Gesundheitsfonds. Es würde schon einen Schub für die Konjunktur bringen, wenn Sie einsehen würden, dass dieser Fonds Murks ist, und darauf verzichten würden, etwas einzuführen, was neun Monate später - wenn wir eine andere Gesundheitspolitik haben werden - ohnehin wieder abgeschafft wird. Auch das wäre gut dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Vertrauen entwickeln.
Es gibt noch ein weiteres Thema, das wir wichtig finden. Darin unterscheiden wir uns massiv von Herrn Lafontaine, den ja das ganze Thema Lohnnebenkosten überhaupt nicht interessiert. Vieles, was er vorgetragen hat, ist schön und wünschenswert; aber es führt zu einer Steigerung der Lohnnebenkosten und damit zu einer Verschlechterung der Bedingungen für das Entstehen neuer Arbeitsplätze. In einem haben Sie allerdings recht, Herr Lafontaine, und da teilen wir Ihre Ansicht: Vor allem den Beziehern kleiner Einkommen bleibt zu wenig netto. Sie haben zwar einen Arbeitsplatz; aber sie verdienen zu wenig. Deswegen will ich unseren Vorschlag erneuern, die Lohnnebenkosten im unteren Bereich zu senken. Nicht überall haben wir hier ein Problem; aber den Geringverdienern bleibt zu wenig netto.
Ich frage mich, wann sich die Bundesregierung hier endlich bewegt. Wir Grünen haben zur Lösung dieses Problems ein Progressivmodell vorgeschlagen.
Herr Glos, an dieser Stelle ist für die Mittelschicht auch die kalte Progression zu nennen. Wir müssen die Steuertarife ändern, weil die Menschen bei einer Lohnerhöhung ansonsten nicht das in der Tasche haben, was sie eigentlich haben sollten, da ihnen die Lohnerhöhung durch die Steuer doppelt wieder weggenommen wird.
Ich nenne ein Thema, das für die CDU/CSU und die SPD ganz unangenehm ist. Es geht nämlich um die Frage, ob sich die Riester-Rente wirklich in allen Fällen lohnt. Selbstverständlich ist hier eine Verunsicherung entstanden. Ich frage mich, ob Sie eine passende Antwort haben. Wir von den Grünen sagen: Es ist richtig, dass die Menschen mit der Riester-Rente zusätzlich etwas ansparen und sich so privat für das Alter stärken. - Aber natürlich sind die Leute verunsichert, weil sowohl beim Arbeitslosengeld II als auch bei der Rente - dann, wenn die Menschen eine Sozialrente erhalten - zu viel auf privat angespartes Geld für das Alter zugegriffen wird. Es ist einfach nicht okay, dass das dann verrechnet wird.
Daraus folgt aber keine pauschale Polemik gegen die Riester-Rente, wie sie Lafontaine gerne verwendet, sondern daraus folgt, dass die Mittel, die die Leute durch ihre Altersvorsorgemaßnahmen privat erwirtschaftet haben, zum Beispiel auf ein Altersvorsorgekonto überwiesen werden sollten und eben nicht angetastet werden dürfen. Wenn Sie das nicht wollen, dann machen Sie das über Freibeträge. Man kann den Leuten doch nicht erzählen - gerade den kleinen Leuten -: ?Spart im Rahmen der Riester-Rente!?, während diese Mittel selbstverständlich verrechnet werden, wenn sie zu wenig Rente erhalten und aufgestockt werden muss.
Mit Ihrer Verweigerung, eine neue Lösung auf den Tisch zu legen, verhindern Sie die Bewältigung des wichtigen Problems der privaten Altersvorsorge. Bei den Verhandlungen damals lagen ja viele Lösungen auf dem Tisch. Ich fordere Sie hier auf, sich an dieser Stelle zu bewegen.
Ich will einen weiteren Punkt nennen, der wichtig ist, wenn man etwas für die Wirtschaft tun will. Uns gehen in Deutschland viele Arbeitsplätze verloren, weil die Große Koalition nicht in der Lage ist, die Einwanderungsbedingungen für gut ausgebildete Arbeitskräfte zu erleichtern. Senken Sie die Grenze von 84 000 Euro, die man als Verdienst nachweisen muss, um hierher zu dürfen, und wir werden hochqualifiziertes Personal bekommen. Selbstverständlich wollen wir deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausbilden, aber wir brauchen sofort Arbeitskräfte. In der Globalisierung kann man nicht sagen, dass man zwar überallhin exportieren, aber lieber keine Leute von woanders haben will, die eine gute Qualifikation haben. Das ist Wirtschaftspolitik von vorgestern, aus Gründen, die vielleicht mit Ihrer Politik im Innern zu tun haben. Wirtschaftspolitisch beweist dies jedenfalls keine Vernunft.
Herr Glos, eines stört mich an Ihrem Bericht und Ihrer Kommentierung noch mehr. Wir haben doch erkannt, dass es in Deutschland ein großes Wachstumsfeld gibt, nämlich die ökologische Modernisierung: Energie einsparen und effizienter mit Energie umgehen. - Sagen Sie doch einmal, dass Sie dies im Binnenmarkt zum Wachstumsfeld machen wollen, treten Sie nicht dauernd auf die Bremse und nölen Sie nicht dauernd gegen mehr Energieeinsparung und eine bessere Energiepolitik!
Mit grünen Ideen kann man schwarze Zahlen schreiben und Arbeitsplätze schaffen. Das muss auch der Wirtschaftsminister dieses Landes endlich kapieren.
Sie würden also Vertrauen schaffen - auch in den Binnenmarkt -, wenn Sie diese Vorschläge beherzigen würden. Ich sage aber noch einmal: Die Große Koalition hat bei keinem dieser Punkte eine gemeinsame Linie. Deswegen ist sie an der entscheidenden Stelle auch nicht handlungsfähig.
Zum Abschluss will ich noch etwas zur Börsenkrise, zur Immobilienkrise in den USA und dazu sagen, was das für uns bedeutet. Erst einmal: Die Entwicklung in den USA ist dramatisch. Das hat verschiedene Gründe. Die Zeit, dass man viel mehr ausgeben kann - auch im privaten Konsum -, als man systematisch einnimmt, ist jetzt endgültig vorbei. So gesehen findet dort auch eine Marktbereinigung statt, auf die man warten konnte, wenn man die Entwicklung in den letzten Jahren beobachtet hat.
Selbstverständlich wird dies Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben. Gott sei Dank werden sie nicht so drastisch und wahrscheinlich auch nicht so schnell eintreten wie in den USA, aber es soll hier doch niemand so tun, als würde dies nicht auch wachstumsdämpfend wirken. Ich sage Ihnen voraus, dass das Wirtschaftswachstum stärker als um die 0,3 Prozent sinken wird, die Sie in Ihrer Prognose heruntergegangen sind. Das kostet uns Milliarden Euro.
Ausgerechnet an einer solchen Stelle fängt die Bundesregierung - von der Bundeskanzlerin bis hin zu SPD - mit der unseligen Debatte über die Staatsfonds an, nach dem Motto: Jetzt bitte nicht ohne Weiteres ausländisches Geld von ausländischen Staatsfonds in die Bundesrepublik Deutschland. Andere Länder, wie die Schweiz, die aufgrund der Immobilienkrise auch Milliardenbeträge abschreiben mussten, werden gerade durch ausländische Staatsfonds gestützt. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum Sie gerade in Zeiten - das ist gegen jede politische Vernunft -, in denen man Geld braucht, sagen: Bitte kein Geld von ausländischen Staatsfonds. - Das ist gegen jede ökonomische Vernunft. Das, was Sie hier veranstalten, ist Unsinn.
Die Zockerökonomie, die wir zum Teil auf der Welt haben, ist zum Vertrauensproblem für die reale Ökonomie geworden. An die Adresse der Herrschaften von der FDP kann ich nur sagen:
Selbstverständlich brauchen wir neue und klare Regeln für die internationalen Finanzmärkte. Sie haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Kredite zu überschaubaren und nachvollziehbaren Risiken an die Stellen kommen, wo Investitionen stattfinden. Dafür sorgen sie aber nicht mehr, wenn wir systematisch das Verstecken, Verbriefen und Auslagern von Risiken bei Banken und Finanzmarktinstitutionen so lange zulassen, bis bei keinem Institut mehr durchblickt wird, wo genau die Risiken liegen. Das muss sich ändern.
Eigentlich haben alle begriffen, dass wir neue Regeln für die internationalen Finanzmärkte brauchen. Auch bei der Weltbank und dem IWF wird über nichts anderes mehr geredet, übrigens, Herr Lafontaine, weit mehr als über Transparenz. Die Einzigen, die es in Deutschland nicht begriffen haben, sind die Liberalen. Meine Damen und Herren von der FDP, ich fordere Sie daher auf, aufzuwachen und Vorschläge zu machen.
Wir müssen selbstverständlich die Finanzmarktaufsicht in Deutschland stärken. Das Aufsichtsstrukturmodernisierungsgesetz muss endlich auf den Weg gebracht werden. Union und SPD blockieren sich aber gegenseitig bei der Bewertung der Kompetenzverteilung zwischen BaFin und Bundesbank. Wir müssen die Risiken im Bankensektor auch in Deutschland besser wahrnehmen. Zweckgesellschaften der Banken müssen im Rahmen von Basel II in die Finanzmarktaufsicht einbezogen werden. Anders geht es nicht.
Dies muss systematisch sowie mit Ruhe und Kraft geschehen. Sonst kommt nur Unsinn dabei heraus. Die Hedgefonds und die Private-Equity-Gesellschaften müssen unter die Finanzaufsicht gestellt werden. Sie müssen weltweit registriert werden. Dabei sind auch viele nationale Fragen zu klären.
Wir müssen die Rolle der öffentlichen Banken in Deutschland überdenken. Ich frage mich schon lange, warum Landesbanken in der Weise spekulative Geschäfte auf internationaler Ebene tätigen müssen, wie es zum Beispiel in Sachsen und bei der West LB geschehen ist.
Das ist nicht die genuine Aufgabe der Landesbanken. Ich erwarte von der Politik Schritte, das zu unterbinden. Vielleicht hilft es, wenn die Aufsichtsgremien nicht nach Parteibuch, sondern nach Sachverstand besetzt werden. Viele Probleme resultieren nämlich daraus, dass die Verwaltungsräte und Aufsichtsgremien nicht entsprechend agieren.
Ich komme zum Schluss. Herr Wirtschaftsminister, es gibt viel mehr zu tun, als zu beschwichtigen. Ich fordere Sie auf, den Schlafmichel aufzugeben und aktiv eine vertrauenschaffende Wirtschaftspolitik in Deutschland zu betreiben. Ihre Abwieglungsreden glaubt Ihnen sowieso niemand mehr.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Michael Meister, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren über den Jahreswirtschaftsbericht 2008 vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der aktuellen Börsenentwicklung. Es gibt aus meiner Sicht zwei wesentliche Punkte, die dazu beigetragen haben, dass diese Entwicklungen so einsetzen. Das eine ist, dass man nach dem 11. September 2001 versucht hat, mit dem süßen Gift billigen Geldes konjunkturell wieder Fahrt aufzunehmen. Das andere ist, dass man auf dieser Grundlage komplexe Finanzprodukte entwickelt hat. Ich möchte massiv davor warnen, die Probleme, die zum Teil auf billiges Geld zurückzuführen sind, erneut mit billigem Geld lösen zu wollen. Das führte nur zu neuen Problemen in der Zukunft. Wir brauchen stabiles Geld. In diesem Zusammenhang möchte ich der Europäischen Zentralbank ein Kompliment machen; denn sie hat im Zeitraum von ihrer Errichtung bis heute einen Stabilitätskurs, einen für die Finanzmärkte stabilisierenden Kurs und einen Kurs für stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen verfolgt.
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Kollege Lafontaine hat ja massive Kritik am Bundesfinanzminister geübt. Ich möchte namens meiner Fraktion erklären: Ich freue mich, dass Herr Steinbrück nach wie vor seine Verantwortung, die sowohl in puncto Haushaltskonsolidierung wie auch in puncto Herausforderungen durch die Finanzmärkte schwierig ist, wahrnimmt. Er ist nicht bei Nacht und Nebel durch die Hintertür vor den Problemen geflüchtet, sondern er versucht gemeinsam mit der Koalition, die sich ergebenden Herausforderungen anzugehen.
Das ist das, was wir von einem verantwortlichen Politiker in diesem Land erwarten: nicht groß reden, sondern Verantwortung wahrnehmen.
Wir haben eine Wachstumsprognose von 1,7 Prozent. In dieser Debatte wurden sehr deutlich die Risiken vorgetragen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Das ist zu Recht geschehen. Ich will allerdings auch darauf hinweisen, dass die Wachstumsprognose auf Annahmen basiert, die schon von einem Ölpreis von 95 Dollar pro Barrel und einem Leitzins von 4 Prozent ausgehen. Was ich mit diesen beiden Beispielen sagen will: Ein Teil der genannten Risiken ist in den Annahmen des Jahreswirtschaftsberichts abgebildet. Deshalb halte ich die Wachstumsprognose, die hier unterstellt wird, für einen vernünftigen und realistischen Wert.
Meine Antwort lautet nicht, dass wir in dieser Situation mehr Verteilungspolitik brauchen, wie das heute Morgen schon verschiedentlich gefordert worden ist. Meine Antwort lautet an dieser Stelle: Wir müssen die Wachstumspolitik der vergangenen drei Jahre weiterführen, indem wir bei einem klaren Reformkurs bleiben, für mehr strukturelles Wachstum in Deutschland sorgen und damit Wohlstand für alle, Wachstum für alle und Arbeit für alle in diesem Land schaffen.
Es gibt auch positive Anzeichen, die man in einer solchen Debatte nicht vergessen sollte: Die Zahl der Auftragseingänge in der Industrie ist im Zweimonatsvergleich um 5 Prozent gewachsen. Wenn man das in Verbindung mit dem Geschäftsklima sieht, das weiterhin auf einem ansprechenden Niveau ist, und wenn man sieht, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt - immerhin war im vergangenen Jahr bei der Beschäftigung ein Zuwachs von 600 000 Menschen zu verzeichnen, und der Ausblick zeigt, dass wir auf dem Arbeitsmarkt auch im laufenden Jahr eine positive Entwicklung haben werden -, dann ist klar: Es gibt durchaus Anlass zu einem optimistischen Blick auch auf die Binnenkonjunktur.
Deshalb sollten wir das nicht herunterreden, Herr Kuhn. Sie haben so getan, als würde die Regierung nichts für die Schaffung von Vertrauen tun. Wir müssen klarmachen, dass wir ein Konzept haben - das haben wir; das kommt auch im Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck -, dass wir uns nicht durch irgendwelche Tagesmeldungen nervös machen lassen und dass wir unser Konzept Schritt für Schritt umsetzen. Wenn Sie sich die Arbeit der Koalition in den letzten beiden Jahren anschauen, dann stellen Sie fest, dass wir unsere Agenda konsequent abgearbeitet haben. Wir haben nicht ständig korrigiert, wie Sie das in Ihrer Regierungszeit getan haben. Das schafft Vertrauen, und auf diesem Weg werden wir weiteres Vertrauen bei den Menschen gewinnen.
Wir haben, Herr Brüderle, durch Haushaltskonsolidierung, Unternehmensteuerreform und sinkende Lohnnebenkosten strukturelle Vorsorge für eine bessere Konditionierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland getroffen. Ich wundere mich, wenn Sie hier gegen diese Punkte polemisieren. Die Unternehmensteuerreform war nicht nur für die Aktiengesellschaften und GmbHs, sondern auch für den deutschen Mittelstand.
Wir haben sowohl bei den Steuersätzen als auch bei den Ansparmöglichkeiten für neue Investitionen entlastet, und wir haben bei der Gewerbesteuer dafür gesorgt, dass die Messzahl sinkt und dass die Anrechenbarkeit auf die Einkommensteuer verbessert wird. Das sind alles Maßnahmen, die im Mittelstand positiv ankommen. Wir sollten diese Ergebnisse nicht zerreden, sondern den Menschen deutlich machen, dass es an dieser Stelle seit 1. Januar wesentlich bessere Konditionen gibt.
Es gibt in diesem Haus Stimmen, die sagen, wir sollten jetzt endlich mit den Reformen innehalten. Es gibt auch Stimmen in diesem Haus, die sagen, wir müssten vielleicht einen Teil der Reformen wieder zurückdrehen. Meine Antwort ist: Wir sollten nicht innehalten und nicht zurückdrehen, sondern wir müssen den Reformweg konsequent weiter vorangehen. Das ist das, was wir jetzt brauchen; ansonsten geraten wir auf einen Irrkurs. Unsere Fraktion steht zu weiteren Reformen, nicht zum Innehalten und nicht zum Zurückdrehen, meine Damen und Herren.
Wir halten an dem Ziel der Haushaltskonsolidierung und des Haushaltsausgleichs im Jahr 2011 fest. Das ist ein sehr anspruchsvolles Ziel, das wir dort formulieren. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Alle Wünsche nach Mehrausgaben, die gegenwärtig vorgetragen werden, müssen sich in den nächsten drei Jahren dem Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushaltes unterordnen.
Wir müssen auch an dieser Stelle Vertrauen in diesem Land schaffen. Das gelingt uns, wenn wir das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes 2011 erreichen.
Durch unsere Entscheidungen, speziell durch die Absenkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages, haben wir die Quote bei den Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent gedrückt. Dieses Ziel, das wir jetzt erreicht haben, haben wir lange mit vielen harten Entscheidungen angesteuert. Ich will an dieser Stelle sagen: Auch bei den Entscheidungen, die in diesem Jahr vor uns liegen, müssen wir darauf achten, dass wir bei den Lohnnebenkosten unter der Grenze von 40 Prozent bleiben. Es steht noch die Entscheidung über den allgemeinen Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung an. Es steht eine Entscheidung über die Pflegeversicherung an. Außerdem steht - hoffentlich - die Entscheidung an, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung weiter zu senken, wenn die Beschäftigungssituation noch besser geworden ist.
In diesem Kontext müssen wir dafür sorgen, dass Arbeit in Deutschland weiterhin günstiger wird und dass die Menschen netto mehr in der Tasche haben. Das ist der Effekt von sinkenden Lohnnebenkosten. Dadurch kommt es zur Teilhabe aller Arbeitnehmer. Das ist eine Politik, bei der alle vom Aufschwung profitieren.
Heute Morgen ist auch das Thema Tarifverhandlungen angesprochen worden. Ich würde mir wünschen, dass wir Tarifautonomie großschreiben würden. Ich wundere mich darüber, dass zwar die Tarifautonomie im Grundgesetz vorkommt, die Politik aber bei vielen Gelegenheiten gute Ratschläge erteilt. Uns würde etwas mehr Zurückhaltung besser anstehen. Trotzdem müssen wir die Verantwortung derjenigen anmahnen, die die Tarifverhandlungen führen. Sie haben in den vergangenen Jahren einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch eine solch tolle Bilanz haben, indem sie vernünftige Tarifergebnisse erzielt haben. Meine Bitte ist, dass sie diesen Weg der Vernunft gemeinsam weitergehen und ihre Verantwortung wahrnehmen. Damit tun sie den Menschen in unserem Lande etwas Gutes.
Es wird suggeriert, dass man für die Sicherheit der Arbeitsplätze etwas tun könnte, wenn man mehr Sicherheitsregeln und mehr Starrheit ins Arbeitsrecht einbaut. Meine These ist: Das ist eine Scheinsicherheit. Wenn wir Arbeitsplätze in Deutschland sicherer machen wollen und wenn wir mehr Arbeit in Deutschland schaffen wollen, brauchen wir mehr Flexibilität. Durch mehr Flexibilität, aber nicht durch mehr Starrheit bekommen die Menschen eine größere Chance auf Arbeit. Wenn wir für die Menschen etwas tun wollen, sollten wir uns darum bemühen, dass wir an dieser Stelle mehr Flexibilität schaffen. Das gibt ihnen eine Zukunftsperspektive.
Ein wesentliches Thema, das heute Morgen am Rande angeklungen ist, ist die Energiepreisentwicklung. Viele Menschen leiden unter dem Anstieg der Lebensmittelpreise und der Energiepreise. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Entwicklung auch etwas mit Angebot und Nachfrage zu tun hat. Die Nachfrage ist über einen gewissen Zeitraum relativ konstant. Aber auf der Angebotsseite wird permanent eingegriffen. Deshalb bin ich nicht der Meinung, dass wir Sozialtarife bei den Energiepreisen brauchen. Wir brauchen vielmehr soziale Energiepreise insgesamt, die wir hinbekommen können, indem wir die Politik der Angebotsverknappung beenden.
Wir brauchen eine Angebotserweiterung; denn die Angebotserweiterung führt zu günstigeren Tarifen für alle.
Ich bin sehr wohl für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Ich halte es für verdienstvoll, dass man nicht nur die Produktion, sondern auch den Grundlastanteil erneuerbarer Energien ausbaut. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir nicht durch Herausnahme der Kernkraft aus dem Strommarkt und der Grundlast zu einer Angebotsverknappung kommen dürfen. Denn dadurch greift man den Menschen in den Geldbeutel. Das kostet die Menschen Wohlstand. Deshalb möchte ich eine solche Politik, die zulasten der Menschen in unserem Land geht, nicht verantworten.
Ich freue mich, dass der Bundeswirtschaftsminister in den vergangenen beiden Jahren eine sehr erfolgreiche Politik gemacht hat und einen realistischen Kurs bei der Energiepolitik in Deutschland eingeschlagen hat. Ich möchte ausdrücklich dafür Danke sagen, dass er nicht mit zu starken ordnungsrechtlichen Eingriffen, sondern mit Förderung und Marktanreizen versucht, die Ziele, die wir uns energiepolitisch und klimapolitisch gesetzt haben, zu erreichen. Das ist der Versuch, politische Ziele mit marktwirtschaftlichen Instrumenten in Deutschland umzusetzen. An dieser Stelle ist er auf dem richtigen Weg.
Meine Damen und Herren, wir alle haben in den vergangenen Tagen mit großem Bedauern die Entwicklung bei Nokia in Nordrhein-Westfalen verfolgt. Ich glaube, unsere Antwort muss sein, zu versuchen, den Mittelstand in Deutschland mit seinen Talenten, seinen Fertigkeiten, seiner Flexibilität zu stärken. Deshalb will ich Ihnen hier sagen: Wir als Union setzen eine Erbschaftsteuerreform um, die verfassungsgemäß ist und dafür sorgt, dass mittelständische Unternehmen günstiger an die nächste Generation weitergegeben werden können; dafür stehen wir. Damit schaffen wir ein Stück Vertrauen in diesem Land, und mittelständische Strukturen werden gestärkt.
Wir sorgen dafür, dass über das Thema Mitarbeiterbeteiligung gesprochen wird. Das stärkt die mittelständischen Unternehmen, das stärkt die Arbeitnehmer. Wir wollen ein mittelstandsfreundliches Vergaberecht, wir wollen den Abbau von Bürokratie, und wir wollen die Erfolgsgeschichte der Zeitarbeit weiterführen, um auch dort für mehr Flexibilität zu sorgen.
Wenn wir das tun, dann werden neue, tragfähige Strukturen errichtet, und dann wird nicht nur über Strukturen gejammert, die leider momentan in Gefahr sind.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir gemeinsam tatkräftig an der Umsetzung arbeiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Martin Zeil ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Martin Zeil (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Jahreswirtschaftsbericht trägt die Überschrift ?Kurs halten!?. Der Sachverständigenrat sagt über die Politik: dieser Regierung:
Es ist keine klare wirtschaftspolitische Strategie und Richtung erkennbar.
Das ist der Grund, warum viele Menschen gerade im Mittelstand das Motto ?Kurs halten? eher als Drohung empfinden.
Haben Sie denn überhaupt einen Kurs und, wenn ja, einen, der gehalten werden sollte?
Ich nenne ein paar Beispiele: Sie machen ein bürokratisches Gesetz über Mindestarbeitsbedingungen, statt endlich Barrieren beim Eintritt in den Arbeitsmarkt abzubauen.
Sie machen ein Steuerrecht, das immer komplizierter statt einfacher und gerechter wird. Sie haben es ja jetzt wieder vom Bundesfinanzhof um die Ohren gehauen bekommen: Was Sie machen, ist zum Teil auch verfassungswidrig. Sie treiben die Abgaben und Lohnnebenkosten in allen Bereichen - Rente, Pflege, Krankenversicherung - per saldo in die Höhe, statt sie wirklich spürbar abzusenken. Sie machen eine Unternehmensteuerreform überwiegend auf Kosten des Mittelstandes, Herr Wirtschaftsminister, statt den Mittelstand so zu entlasten, dass er es auch wirklich merkt.
Sie legen eine Erbschaftsteuerreform vor, mit der Sie nicht nur hinter Ihre eigene Koalitionsvereinbarung zurückfallen, sondern die so bürokratisch, so übergabefeindlich, so arbeitsplatzgefährdend ist, dass sie geradezu ein Schlag in das Gesicht der mittelständischen Familienunternehmen ist.
Ja, wir sind heute alle durch die Entscheidung von Nokia betroffen, vor allen Dingen durch die Art und Weise. Wo aber ist die Glaubwürdigkeit der Regierung bei diesem Thema, wenn sie ein Vielfaches an Arbeitsplätzen durch gesetzlich verordnete Mindestlöhne vernichtet?
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus Ihrem konkreten Regierungshandeln. All das hat mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft, mit dem Mut zu Reformen nicht das Geringste zu tun. Noch schlimmer: Mit diesem Zickzackkurs schaden Sie auch der Glaubwürdigkeit von Politik insgesamt. Nehmen wir nur das Thema Mindestlohn. Ich zitiere den Beschluss des CDU-Parteitages im Dezember letzten Jahres. Die Überschrift heißt:
Was mit uns nicht zu machen ist
Dann kommt:
Wer Unternehmen zwingen will, einen Lohn zu zahlen, der nicht zu erwirtschaften ist, der sorgt dafür, dass viele Menschen gar keinen Lohn mehr bekommen. Deshalb wird es mit der CDU Mindestlöhne, die Arbeitsplätze vernichten und Wettbewerb aushebeln, nicht geben.
Nur eine Woche später hatten wir den ersten Mindestlohn.
Sie brechen Ihr Wort und erwarten, dass die Menschen Ihnen noch glauben. Das kann nicht funktionieren und schafft kein Vertrauen.
Ich möchte noch ein Wort zur aktuellen Diskussion über Subventionen in Deutschland und Europa sagen. Wir sollten über einen grundsätzlichen Politikwechsel nachdenken. Wäre es oft nicht besser, öffentliche Mittel in den Ausbau unserer Infrastruktur zu stecken und unsere Standorte nachhaltig zu stärken, anstatt eine Ansiedlungspolitik zu treiben, die das Risiko des Verfallsdatums schon in sich birgt?
Der Bericht, den wir heute debattieren, soll mit schönen Überschriften verschleiern, dass diese Regierung längst einen Kurswechsel zu mehr Staat und weniger Marktwirtschaft eingeleitet hat. Damit kann man vielleicht vorübergehend Ängste dämpfen, aber man verspielt damit auch die Zukunftschancen der Menschen.
Soziale Marktwirtschaft heißt Verbindung von Freiheit, Wettbewerb und sozialem Ausgleich. Die soziale Marktwirtschaft hat sich als einzigartiges Erfolgsmodell erwiesen. Wir können aber die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nur dann glaubwürdig exportieren und ihre Beachtung auch von anderen erwarten, wenn wir sie im eigenen Land nicht ständig mit Füßen treten, sondern endlich wieder zur Geltung bringen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Spiller hat nun als Nächster für die SPD-Fraktion das Wort.
Jörg-Otto Spiller (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir schauen auf ein wirtschaftlich erfolgreiches Jahr 2007 zurück, das uns die besten Zahlen seit langem gebracht hat: einen kräftigen Rückgang der Arbeitslosigkeit, eine Zunahme der Beschäftigung insbesondere bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, eine sehr mäßige Inflationsrate von um die 2 Prozent und einen brillanten Abschluss unserer Leistungsbilanz im Wirtschaftsverkehr mit dem Rest der Welt. Normalerweise bestünde nur Grund für Zuversicht und für Zufriedenheit über das Erreichte. Die Auftragsbücher der deutschen Unternehmen sind gut gefüllt, und die Wettbewerbsfähigkeit ist ungebrochen.
Aber es gibt weltweit und auch bei uns Krisensorgen. Sie resultieren - Herr Kollege Stiegler hat das am Anfang sehr deutlich dargestellt - aus unverantwortlichem Handeln bei spekulativen Bankgeschäften. Es ist geradezu bedrückend, dass genau in jenen zwei, drei Jahren, in denen wir im Deutschen Bundestag, aber auch in vielen internationalen Gremien darüber gesprochen haben, wie man sicherstellen kann, dass Kreditrisiken besser als bisher erfasst werden und Banken ein saubereres System der Risikoabschätzung und der Risikokontrolle einführen - Stichwort: Basel II; das ist, wie ich finde, nach langen Anstrengungen zu einem sehr eindrucksvollen und guten Ergebnis gebracht worden -, weltweit, aber eben auch in Deutschland bei den Kreditinstituten eine Welle des unverantwortlichen Zockens begonnen hat. Wir stehen jetzt in der wirklich bedrückenden Konstellation, dass die hervorragenden realwirtschaftlichen Grundlagen durch Sorgen in der Finanzwirtschaft gefährdet werden. Dies geht so weit, dass auch die Europäische Zentralbank und die Deutsche Bundesbank abwägen müssen, ob sie ihre Geldpolitik an den primären Belangen von Geldwertstabilität ausrichten oder ob sie wie die amerikanische Notenbank sagen, sie müssten für mehr Liquidität sorgen, um weitere Erschütterungen an den Finanzmärkten zu vermeiden.
Was ist die Antwort? Was muss man in dieser Situation tun? Alles, was in der Vergangenheit über Deregulierung, lieber Herr Kollege Zeil,
und die Freiheit der Marktwirtschaft gesagt worden ist, kann meines Erachtens nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Finanzwirtschaft klare Regelungen geben muss.
Das fängt nicht mit der staatlichen Aufsicht an, sondern mit der Leitung der Institute selbst und der Verantwortung des Vorstandes. Die Vorstände müssen sich der Verantwortung dafür bewusst sein, was sie tun, wenn sie die dritte oder vierte Ableitung von irgendeinem Produkt für eine risikobewusste Anlage halten. Das setzt auch voraus, dass die vorhandenen Gremien - insbesondere der Aufsichtsrat - ihre Verantwortung wahrnehmen. Der Aufsichtsrat hat ein sehr wichtiges Hilfsorgan, nämlich die Wirtschaftsprüfer. Es ist niederschmetternd, dass bei jeder größeren Krise eines Unternehmens - insbesondere bei den Banken - der Prüfungsvermerk des Wirtschaftsprüfers bescheinigt, dass alles in Ordnung ist und die Risiken gut erfasst sind.
Wenn wir zu den Schlussfolgerungen kommen, dann müssen wir uns also nicht nur mit der Organisation der Bankenaufsicht in Deutschland befassen, sondern auch mit den Aufgaben, der Haftung und vielleicht auch den Möglichkeiten von Wirtschaftsprüfern. Wir müssen auch zu einer Verbesserung der Bankenaufsicht in Deutschland kommen. Das ist nicht nur eine nationale Aufgabe, aber jeder muss in dem Bereich anfangen, für den er zuständig ist, und wir sind für die Bankenaufsicht in Deutschland zuständig.
Die Bankenaufsicht in Deutschland wird seit langem von zwei Institutionen getragen. Die laufende Kontrolle ist Aufgabe der Deutschen Bundesbank. Darüber hinaus gibt es die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die aus der Zusammenlegung der drei Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, das Versicherungswesen und den Wertpapierhandel hervorgegangen ist. Die beiden Institutionen, in denen viel Sachkenntnis vorhanden ist, versuchen zu Recht, sich möglichst selbstständig über ihre Richtlinien der konkreten Ausführung der Bankenaufsicht zu verständigen. Aber wir warten jetzt schon eine ganze Weile darauf, dass diese Verständigung zu einem Ergebnis führt.
Ich erinnere daran, dass es nach dem Kreditwesengesetz möglich ist, dass der Bundesfinanzminister Vorgaben macht oder Beschlüsse fasst. Das mag der Bundesbank nicht recht sein, aber in diesem Bereich ist die Bundesbank keine autonome Behörde; sie ist an die Regeln des Kreditwesengesetzes gebunden. Auch das ist zu berücksichtigen, wenn es darum geht, zu einem Ergebnis zu kommen.
Ich bin sicher, dass wir in den nächsten Monaten zu einer umfassenden Neuregelung kommen müssen. Auch der Bundestag wird sich damit befassen müssen; er kann das nicht ausschließlich der Bundesbank und der BaFin überlassen.
Erlauben Sie mir noch eine Schlussbemerkung zu der Eigenverantwortung der Banken. Es gibt die große Sorge, dass sich die Unsicherheit bis in den Frühsommer hinein fortsetzt, weil die Hauptversammlungen zum Teil erst im Mai oder Juni stattfinden. Es wäre angemessen, wenn die Banken, die derzeit einander misstrauen - es ist ein Problem, dass die Banken nicht nur bei dem Rest der Wirtschaft und bei vielen Kunden Vertrauen verloren haben, sondern dass sie auch einander nicht mehr trauen -,
zumindest die Termine ihrer Bilanzpressekonferenzen vorziehen. Es kann nicht sein, dass sich diese Unsicherheit bis in den Frühsommer fortsetzt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Laurenz Meyer ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Debatte heute Morgen anhört, dann stellt man zunächst fest, dass es wohltuend ist, dass der Wirtschaftsminister in einer sehr unaufgeregten Art
die Risiken, die am Horizont sind, behandelt und erklären kann - das unterscheidet uns von Vorgängerregierungen -, dass man sich bei den Prognosen im Jahreswirtschaftsbericht unter Beachtung der Risiken an dem unteren Ende der heute vorhandenen Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung orientiert hat; denn die Verunsicherung in der Bevölkerung, die wir bisher hatten, lag zu guten Teilen darin begründet, dass immer wieder nach unten korrigiert werden musste. Dass die Bundesregierung diesen Weg nicht einschlägt, ist wirklich verdienstvoll. Das schafft Sicherheit über den Kurs und sorgt für Stabilität.
Ich verstehe manche Reaktionen zurzeit überhaupt nicht. Man konnte die Risiken in die Prognosen einbeziehen; denn wer sich als interessierter Laie nur halbwegs mit der Finanzierungssituation am amerikanischen Immobilienmarkt und mit der Verschuldungssituation amerikanischer Privathaushalte beschäftigt hat, der musste wissen, dass das System auf Dauer so nicht funktionieren kann, und der musste froh sein, dass wir in Deutschland ein solches System nicht haben und es deshalb bei uns solche Vorgänge nicht geben wird.
Lassen Sie mich an der Stelle zwei Punkte sagen, in denen ich mich von dem Kollegen Brüderle unterscheide. Er ist gerade nicht da, aber er wird wahrscheinlich noch irgendwo sein.
Ich sage es trotzdem: Wir brauchen mehr Transparenz über die Vorgänge an den Finanzmärkten, und die Absicht der Bundesregierung, diese herzustellen, unterstützen wir als Fraktion nachdrücklich.
Ich sage auch ganz klar zu dem, was er hier etwa zum Thema Staatsfonds vorgetragen hat: Die FDP sollte in sich gehen und ihre Haltung überprüfen. Ich sage Ihnen klipp und klar meine Meinung dazu: Wenn ich will - möglicherweise im Gegensatz zu der einen oder anderen Fraktion hier im Parlament -, dass sich der deutsche Staat aus deutschen Unternehmen zurückzieht und keinen politischen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen ausübt,
dann will ich erst recht nicht, dass ausländische Staaten mit ihren Staatsfonds auf deutsche Unternehmen politischen Einfluss nehmen. Dass wir da Beschränkungen vorsehen, Grenzen setzen und für Transparenz sorgen müssen, müsste, so glaube ich, jedem einleuchten, eigentlich auch der FDP, weil sie die Grundannahme teilt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lieber Herr Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Ja.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kollege Meyer, es ist immer einfach, wenn man sich Vorurteile sucht und darauf die Argumentation aufbaut. Ich glaube, wir sind uns vollkommen darüber einig, dass wir nicht wollen, dass irgendeiner aus der Politik - sei er aus dem Binnenland, sei er aus dem Ausland - politischen Einfluss nimmt. Dazu will ich fragen: Heißt das, Sie wollen grundsätzlich nicht, dass ausländische Fonds, etwa aus Norwegen, sich an deutschen Unternehmen beteiligen, etwa an deutschen Banken, um den Bankenstandort zu sichern? Heißt das, Sie wollen, wenn es keinen politischen Einfluss gibt - den wollen wir beide nicht -, die Beteiligung trotzdem nicht, oder sagen Sie: Wenn es ohne politischen Einfluss geht, dann hätte ich sie gerne? Diese Differenzierung hätte ich recht gerne. Das andere wäre mir doch ein bisschen zu einfach.
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Es ist klar gesagt worden - das haben wir in der bisherigen Diskussion auch zum Ausdruck gebracht, lieber Kollege Fricke -: Es geht darum, ob an irgendeiner Stelle entscheidend Einfluss genommen werden kann.
Wir wollen Transparenz darüber. Die Frage ist nicht, ob sich privatwirtschaftlich organisierte Fonds an deutschen Unternehmen beteiligen - auch da wollen wir Transparenz; wir wollen um die Vorgänge wissen und Kenntnis davon haben, wer dahinter steht -; vielmehr geht es um die Frage, inwieweit zum Beispiel Staatsfonds aus Russland, aus China oder aus anderen Ländern hier entscheidend Einfluss nehmen.
- Norwegen müssen wir nach unserer Rechtslage selbstverständlich genauso behandeln wie andere auch. - Wenn es um Staatsfonds geht, sollten ausländische Staatsfonds, wenn sie denn Anteile in einem Umfang erwerben, dass politischer Einfluss möglich ist, nicht anders behandelt werden als etwa der deutsche Staat und die übrigen EU-Staaten. Anders können wir im Übrigen gar nicht handeln. Wir müssen die Beteiligung aus Drittländern und die Beteiligung aus EU-Ländern gleich behandeln. Wir würden sonst Vertrauen in unsere Kapitalmärkte zerstören.
Der Kollege Stiegler hat vorhin zur Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen und der Kapitaleinkommen vorgetragen. Unter Bezugnahme auf die aktuelle Situation könnte man sagen: Lieber Ludwig Stiegler, alles das ist überholt. Innerhalb von zwei Tagen ist die Statistik, die Sie hier zitiert haben und aus der hergeleitet wird, was wir alles tun sollen, hinfällig geworden. Das hat sich in Wohlgefallen aufgelöst. Innerhalb von zwei Tagen hat sich das völlig geändert.
Manch ein Arbeitnehmer wird sich darüber freuen, dass er ein gesichertes Einkommen hat und nicht von solchen Einnahmen abhängig ist.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde aus dem Parlament hier, wir müssen uns mit der Grundfrage beschäftigen: Was ist die Lösung - das ist auch von Herrn Kuhn angesprochen worden -, wenn man feststellt, dass die Arbeitnehmer netto letztlich zu wenig in der Tasche behalten?
Das ist die Frage, die uns am meisten beschäftigt, wobei ich das eingrenzen will. Ich betone: Wir beschäftigen uns zu viel, in manchen Bereichen ausschließlich mit der Situation von Transferempfängern. Die eigentlich Gekniffenen in unserer Bevölkerung, die unsere höchste Aufmerksamkeit verdienen, sind die Arbeitnehmer, die kein BAföG mehr bekommen, die keine Energiekostenzuschüsse mehr bekommen, die für sich und ihre Familie mit ihrem Einkommen selbst sorgen müssen. Das ist die Gruppe, mit der wir uns beschäftigen müssen.
- Damit sind wir voll beim Thema.
Dazu haben Sie zwei Lösungswege aufgezeigt. Sie haben die Progression bei den Sozialversicherungsbeiträgen angesprochen und haben sich zum Mindestlohn geäußert.
Zunächst zu dem, was Sie zum Mindestlohn gesagt haben - ich hätte Ihnen gar nicht zugetraut, dass Sie das hier wirklich vortragen, weil ich Sie für einen intelligenten Menschen halte -: Niemand soll mehr Aufstocker sein in Deutschland. - Lieber Herr Kuhn, wollen Sie Mindestlöhne von 12 Euro für eine Familie mit zwei Kindern? Sie wissen doch - wenn nicht, dann lesen Sie das bitte in der Studie des IAB über die Zusammensetzung der Gruppe der Aufstocker nach -: Wenn wir von einem Mindestlohn von 7,50 Euro reden, geht es maximal um 60 000 Arbeitnehmer in Deutschland, und zwar alleinstehende Vollzeitbeschäftigte. Alle anderen sind von dieser Diskussion überhaupt nicht betroffen. Der Sozialminister führt immer die Zahl von 1,2 Millionen im Munde. Das ist eine Phantomdiskussion. Hier soll etwas geschürt werden, weil man ein bestimmtes politisches Ziel hat.
Wir müssen den Menschen sagen, dass sich in ihrem Portemonnaie überhaupt nichts ändert, wenn diese Pläne für einen flächendeckenden Mindestlohn umgesetzt werden. Maximal wird ein Teil der sozialen Transferleistungen, die der Bundesfinanzminister zur Verfügung stellen muss, gegen einen Teil, der vom Arbeitgeber kommt, ausgetauscht. Und für dieses Risiko sollen wir den Kollateralschaden von ein paar Hunderttausend wegfallenden Arbeitsplätzen einplanen? Das wird es mit der Unionsfraktion nicht geben.
Zu der Ankündigung, dass nach den Tarifverhandlungen bei der Bahn ein Antrag auf Mindestlohn gestellt werden soll - die Bitte war an Sie, sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, und Ihre Bundesregierung gerichtet; ich habe das heute Morgen im Fernsehen gesehen -, will ich klipp und klar sagen: Es gibt bei der Bahn anders als bei der Post kein Gesetz, das uns zwingt, irgendwelche Bedingungen zu schaffen. Wir werden bei der Bahn nicht bereit sein, die Tarife in einen Mindestlohntarifvertrag zu kleiden; das würde den aufkeimenden Wettbewerb, den es da in Ansätzen gibt, zerstören. Hier soll Wettbewerb stattfinden. Den werden wir nicht kaputtmachen. Das ist die Meinung der Unionsfraktion; da bin ich mir ganz sicher.
Wir müssen hier auch über den zweiten Punkt diskutieren, den Sie, Herr Kuhn, angesprochen haben, nämlich die Sozialversicherungsbeiträge. Da gehen Sie ja einen Schritt weiter als wir. Nach unserer Meinung sollte man die Krankenversicherungsbeiträge teilweise von den Arbeitnehmereinkommen abkoppeln. Deshalb unser Vorschlag zur Einführung einer Gesundheitsprämie. Sozial gestalten könnte man das, indem ein Ausgleich über steuerfinanzierte Leistungen stattfindet, also eine Umschichtung in der Form, dass man die für Sozialversicherungssysteme typische Bindung an die Arbeitnehmereinkommen aufhebt und das stärker über Steuern finanziert. Ich halte das für den richtigen Weg. Wir müssen in diesen Bereichen umschichten, damit insbesondere die, die wenig verdienen, mehr in der Tasche haben. Der Weg über steuerfinanzierte Leistungen ist da der richtigere, weil er der sozial gerechtere ist.
Sie schlagen im Kern nichts anderes vor, als eine neue Steuer für Gesundheit einzuführen; das gilt ja auch für andere Bereiche wie die Pflege, während Sie bei der Rente diesen Weg nicht beschreiten wollen. Indem Sie nun fordern, eine neue Steuer für diesen Bereich einzuführen, gehen Sie noch einen Schritt weiter und treten für eine völlige Abkopplung ein. Man muss sich da über die Frage unterhalten - ich halte das für eine spannende Diskussion -, wie man das machen kann. Sinnvoll erscheint es mir auf alle Fälle, dass der Normalarbeitnehmer nicht mehr alle Rentner und die entsprechenden Ausgaben für Kinder mitfinanzieren muss. Hier hat die Bundesregierung entsprechende Beschlüsse gefasst. Wir werden das nach und nach, Schritt für Schritt umsetzen; denn das ist richtig so.
Meine Damen und Herren, es ist hier vorgetragen worden, welche Folgen die Globalisierung im Moment mit sich bringt. Ich will ganz klar sagen, dass Deutschland zu den Gewinnern der Globalisierung gehört.
600 000 neue Arbeitsplätze im letzten Jahr - das ist ein deutlicher Beweis dafür.
Natürlich müssen wir uns mit dem Problem beschäftigen, dass es die Geringqualifizierten, also diejenigen, die keinen Schulabschluss oder keine Berufsausbildung haben, in Zeiten der Globalisierung schwerer haben als andere. Darauf müssen wir reagieren und uns über die Frage unterhalten, wie wir dafür sorgen können, dass die Arbeitsplätze, die aufgrund der Globalisierung bei uns gefährdet sind, erhalten werden können bzw. die Arbeitnehmer und ihre Familien genügend Einkommen haben. Unsere Antwort darauf ist die Sicherstellung eines Mindesteinkommens für jeden in Deutschland unter sozialen Gesichtspunkten. Ich bitte Sie, lieber Kollege Stiegler, darüber noch einmal nachzudenken. Dies macht mehr Sinn, als sich darüber zu beklagen, dass immer mehr Arbeitsplätze abwandern. Das ist einfach eine Tatsache. Da zieht auch ein Vergleich mit Großbritannien nicht; denn von London aus kann man zum Beispiel Wäsche nicht zum Waschen nach Polen schaffen, von Berlin aus aber jederzeit. Das ist doch der Punkt, auf den wir hinweisen müssen. Wir werden das immer und immer wieder tun.
Ich habe heute Morgen gelesen, dass der Kollege Stiegler gestern Abend einen anderen SPD-Politiker als ?Endmoräne des Montanzeitalters? bezeichnet hat. Dazu sage ich klipp und klar: In Wahlkampfzeiten nehme ich es ja noch hin, dass der Kollege Stiegler so etwas sagt. Aber er ist viel zu intelligent, um nicht zu wissen, dass das Unsinn ist, was er da vorträgt. Wenn wir uns gemeinsam darum bemühen und es schaffen, dass bis 2020 30 Prozent oder gar - Herr Kuhn, lassen Sie uns einmal theoretisieren; das halte ich technisch durchaus für möglich - 40 Prozent des Energiebedarfs aus regenerativen Energien erzeugt werden, dann ist zugleich klar, dass die anderen 60 Prozent auch irgendwie erzeugt werden müssen; denn ohne ausreichende Energie geht unsere Wirtschaft ein. Zur Deckung dieser 60 Prozent bleiben nur Kohle und Kernenergie übrig, weil auf zusätzliches Erdgas aus Russland für Kraftwerke niemand in diesem Saal mehr setzen will. Wer angesichts dieser Situation den Leuten in Hessen weiszumachen versucht, wir bräuchten keine neuen Kohlekraftwerke, um die alten zu ersetzen, und damit eine völlig andere Position als die eigene Partei hier im Bundestag vertritt, der erzählt den Leuten schlicht und ergreifend die Unwahrheit; denn das ist Unsinn.
Wer dann noch hinzufügt, sämtliche Alternativenergien, Wind, Wasser und Sonne, seien umsonst, der soll doch einfach einen Blick in die Haushaltszahlen für das CO2-Programm werfen: Dort sind Milliardenbeträge zur Finanzierung der Umsteuerung unserer Volkswirtschaft eingestellt.
Es kommt noch etwas hinzu - lieber Ludwig Stiegler, ich bitte Sie, ernsthaft darüber nachzudenken -: Technikfeindlichkeit und Angst vor Neuerungen - Chemie, Bio- und Gentechnik, Energietechnik, all diese Bereiche - sind in unserem Land weit verbreitet.
Wir müssen uns aber dazu bekennen, dass Deutschland ein Industrieland ist und bleiben muss, wenn wir hier die Dienstleistungen finanzieren wollen, von denen bei uns in Zukunft immer mehr Menschen leben sollen.
Deshalb müssen wir bereit sein, Neuerungen vorzunehmen. Wir müssen uns darauf einstellen - darauf hat Frau Merkel schon hingewiesen, bevor sie Bundeskanzlerin wurde -: Da die Erzeugung in unserem Land teuer ist, müssen wir immer so viel besser sein, wie wir teurer sind. Das ist ein einfacher Satz; aber er stimmt nach wie vor und ist nicht umzustoßen. Ich halte manche Argumente, die in den jetzt stattfindenden Wahlkämpfen vorgetragen werden, für sehr gefährlich, weil sie Feindlichkeit schüren.
Ich komme zum Schluss. Um die Debatte komplett zu machen, Herr Lafontaine - Sie haben einen Kurswechsel gefordert -: Fragen Sie einmal die 600 000 Menschen, die im letzten Jahr einen neuen Arbeitsplatz bekommen haben - manchmal nach Langzeitarbeitslosigkeit -, ob sie den Kurs wechseln wollen! Ich füge hinzu: Fragen Sie vor allen Dingen die Leute, die in Bundesländern leben, in denen die PDS oder Die Linke jemals mit an der Regierung gewesen ist. Überall dort, wo sie mit an der Regierung war, ging es nach unten und befand man sich am Ende der Skala; nirgendwo gab es Erfolge. Immer dann, wenn die Regierung gewechselt hat und Sie aus der Regierung herausflogen, ist es besser geworden.
Deswegen sind wir nach wie vor der Überzeugung: Mit unserem Kurs geht es den Menschen in Deutschland besser, und deshalb wird er fortgesetzt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin Gudrun Kopp.
Gudrun Kopp (FDP):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Lieber Kollege Meyer, bei Ihnen klaffen Reden und Handeln völlig auseinander.
Sie beklagen die Debatte um den Mindestlohn. Dennoch hat die Union gerade dem Postmindestlohn zugestimmt, und das trotz der Wettbewerbsnachteile, die für alle Wettbewerbsteilnehmer damit verbunden sind. Denken Sie an den Mehrwertsteuervorteil und weitere Vorteile - Stichwort ?Unfallversicherung? -, durch die die Deutsche Post AG privilegiert ist und bleibt.
Sie wundern sich, dass auch an anderen Stellen Debatten aufkommen und Begehrlichkeiten geweckt werden, Stichwort - Sie haben es eben genannt - ?Deutsche Bahn?, das Quasistaatsunternehmen. Schauen Sie doch einmal nach Großbritannien: Die Bahn hat dort gerade eine Regionalbahn im Wert von 200 Millionen Euro gekauft. In Großbritannien wird Offenheit praktiziert. Sie hier in Deutschland denken dagegen darüber nach, das Außenwirtschaftsgesetz dahin gehend zu ändern, dass sensible Infrastruktur künftig durch Staatsfonds und staatliche Beteiligungen vor Einflussnahme geschützt wird. An dieser Stelle haben Sie also einen völlig anderen Weg eingeschlagen.
Wir haben in der Tat eine Vertrauenskrise in verschiedenen Bereichen - der Kollege Brüderle hat es heute Morgen hier sehr deutlich gesagt -: bei den Banken, in der Energiewirtschaft und auch, wie der Fall Nokia zeigt, im Telekommunikationssektor. Ich als Nordrhein-Westfälin möchte ausdrücklich sagen: Wir prangern die mangelnde Kommunikation in dieser Sache an, und wir nehmen die Ängste und Nöte der Menschen sehr ernst. Es ist aber nicht zu akzeptieren, dass hier einige durch Boykottaufrufe Symbolpolitik zu betreiben versuchen. Ich halte das für in größtem Maße unseriös. Wir müssen über politische Handlungen nachdenken und darüber, ob wir an bestimmter Stelle noch richtig aufgestellt sind.
Ich will etwas vertiefen, was auch der Kollege Zeil eben angesprochen hat, nämlich unsere Förderpolitik. Als Beispiel nenne ich die Gemeinschaftsaufgabe ?Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur?, die in den letzten fünf Jahren mit 4,4 Milliarden Euro ausgestattet war. Wir müssen überlegen, ob wir an dieser Stelle richtig handeln. Der Bericht des Bundesrechnungshofs stellt richtigerweise dar, dass erstens der Einsatz dieser Bundesmittel unzureichend kontrolliert wird, zweitens das Parlament über die Wirkung der Fördermittel unvollständig informiert wurde und wird sowie drittens die Angaben der Länder über neugeschaffene Dauerarbeitsplätze überhaupt nicht vorliegen. Für mich ist völlig klar, dass wir uns mit folgenden Fragen auseinandersetzen müssen: Was nützen Förderungen eigentlich? Sind sie nicht eher wettbewerbsfeindlich? Bringen sie die Strukturen nicht eher durcheinander, als dass sie hilfreich sind? Darüber müssen wir natürlich diskutieren. Die GA-Fördermittel werden ohne Prüfung einer wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Empfängers verteilt. Diese Mittel werden ausschließlich eingesetzt, um in strukturschwachen Regionen Unternehmen anzulocken. Wenn das der einzige Grund ist, hat diese Förderung kein tragfähiges Fundament. Ich fordere insbesondere die Große Koalition auf, sich hierüber Gedanken zu machen. Wir jedenfalls tun das und fordern ein entsprechendes Handeln von Ihnen ein.
Lieber Kollege Stiegler, ich möchte auf Sie zu sprechen kommen.
- Ich habe Sie gesehen. - Ich bitte Sie, in Sachen Energiepolitik seriös und wahrheitsgemäß zu argumentieren. 71 Prozent der Stromproduktion werden im Augenblick aus Kernenergie und Kohle gewonnen: 27 Prozent aus Kernenergie und 44 Prozent aus Kohle. Diese Zahl wird nach neuesten Gutachten bis zum Jahr 2020 in etwa bestehen bleiben. Sie haben Herrn Clement angeprangert, weil er darauf hingewiesen hat, dass es eine unseriöse Aussage Ihrer Kollegin in Hessen zum Thema Energiepolitik gibt, weil er darauf hingewiesen hat, dass die Lücke in der Stromproduktion nicht allein durch den Einsatz erneuerbarer Energien zu füllen ist - ganz zu schweigen von den Energiepreisen und der Frage der Versorgungssicherheit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Gudrun Kopp (FDP):
Letzter Satz. - Es ist unseriös, wenn Sie der Bevölkerung weismachen wollen, das sei tatsächlich leistbar. Ich bitte Sie wirklich, in sich zu gehen, seriös zu argumentieren und den Energiestandort Deutschland nicht auf ein unsicheres Fundament zu stellen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat noch einmal der Kollege Ludwig Stiegler das Wort für die SPD-Fraktion.
Ludwig Stiegler (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Laurenz Meyer hat wie in alten Zeiten, als wir noch gegeneinander arbeiten durften, meinen Adrenalinspiegel erhöht.
- Nein, wir arbeiten jetzt gut und freundschaftlich zusammen. Wir kommen zwar von unterschiedlichen Ufern, aber wir finden immer wieder Brücken, und seien es Pontonbrücken.
Da, wo die Liberalen sich scheuen, gehen der Meyer und ich hinüber. Wir kommen schon ans Ufer.
Frau Kopp, Sie verbreiten hier Unwahrheiten über die hessische Energiepolitik. Hier wird unterstellt, Andrea Ypsilanti oder Hermann Scheer hätten gesagt, sie wollten alles mit erneuerbaren Energien machen. Die Wahrheit ist, dass sie auf Kraft-Wärme-Kopplung setzen - auch und gerade aufbauend auf Kohlebasis - und wir als SPD hinterher sind, dass die Unternehmen gerade in einem dicht besiedelten Land wie Hessen, wo es Wärmesenken genug gibt, das Thema Kraft-Wärme-Kopplung angehen. Wir setzen nicht auf Riesenkraftwerke, sondern gehen die Dezentralisierung an. Hessen wird mit dieser Energiepolitik nicht schlechter dastehen, sondern besser. Es wird regionale Arbeitsplätze und regionale Wertschöpfung haben, was es heute so nicht hat. Deshalb sind die Vorwürfe an Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer falsch.
Die hessische SPD steht für Hessen als ein Industrieland.
Der Kollege Meyer hat erklärt, er mache sich wegen der Technologiefeindlichkeit Sorgen. Es gibt keine bessere Hochtechnologie als die erneuerbare Energie.
Die Energie, genauer gesagt, die Primärenergie, ist zwar umsonst. Aber wir wissen natürlich, dass wir Intelligenz und Geld investieren müssen, damit wir die in Überfülle vorhandene erneuerbare Energie nutzen können. Hermann Scheer hat eindrucksvoll nachgewiesen, dass Roland Koch mit seiner Sturheit, etwa gegen die Windenergie, sehr viele Entwicklungschancen für Hessen verpasst hat. Hessen zahlt für Energie von außen, statt die eigenen Kräfte zu nutzen. Deshalb ist die Energiepolitik der hessischen SPD gut aufgestellt.
Herr Riesenhuber, Sie müssen keine Angst haben, dass die von Ihnen kontrollierten Unternehmen ohne Stoff dastehen.
Diese werden weiter - das sieht man schon jetzt in Hessen-Süd - ihre Energie aus Bayern kaufen. Es ist interessant, dass die CSU zwar manchmal von erneuerbarer Energie spricht und sich dabei wie Laurenz Meyer anhört. Aber in der alltäglichen Praxis geht sie den Pakt mit dem Teufel durchaus ein und nutzt die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien. Fliegen Sie einmal über Bayern. Die bayerischen Landwirte sind in Sachen Solarenergie und Biogasanlagen in Deutschland führend.
Ich sage Ihnen: Die Vorwürfe, die Wolfgang Clement, der aufgrund seiner NRW-Vergangenheit an Großkraftwerken hängt - allerdings reden wir über Hessen und nicht über NRW -, gegen die hessische SPD erhoben hat, sind und bleiben unberechtigt. Wir können sie zurückweisen. Der Kurs der SPD in der hessischen Energiepolitik, die ab Sonntag eine Mehrheit vom hessischen Volke haben wird,
sichert Hessen auch in Zukunft eine Energieversorgung ohne Atomkraft und damit in Frieden mit der Natur. Das gönne ich den Hessen; denn Hessen muss vorn bleiben.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer? Sie haben eben so schnell ohne Punkt und Komma geredet, dass ich Sie nicht unterbrechen wollte.
Ludwig Stiegler (SPD):
Das ist zwar gefährlich, aber ich wage es einmal.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Meyer, bitte sehr.
Ludwig Stiegler (SPD):
Technikfeindlichkeit, darüber haben wir gerade geredet!)
Laurenz Meyer (Hamm) (CDU/CSU):
Ich stelle so selten Zwischenfragen. - Herr Kollege Stiegler, wir sind doch über die Ziele beim Ausbau der regenerativen Energien einer Meinung. Darüber gibt es keinen Streit. Habe ich Sie richtig verstanden - so wie Sie das vorgetragen haben, fand ich das sehr amüsant -, dass wir der regenerativen Energie, die eigentlich umsonst ist, mit sehr viel Geld zum Durchbruch verhelfen müssen? Ist es Ihre Diktion, dass diese Energieform eigentlich umsonst ist, wir ihr aber doch mit viel Geld auf die Beine helfen müssen?
Eine zweite Frage: Sind Sie mit mir der Meinung, dass im Vergleich zu den Mitteln, die wir dafür einsetzen müssen, selbst die Subventionen für die deutsche Steinkohle eine relativ wirtschaftliche Angelegenheit waren?
Ludwig Stiegler (SPD):
Die Sonne scheint umsonst. Aber damit wir sie nutzen können, müssen wir Geld und Intelligenz - so habe ich das gesagt - einsetzen. Das schafft Arbeitsplätze in Hessen und sichert auf lange Zeit die Energie, weil die Sonne erst dann versiegt, wenn wir alle schon dahin sind. Diese Energiequelle sollten wir nutzen.
Genau das macht die hessische SPD.
Wer sich anschaut, wie sich die Kosten für die erneuerbaren Energien und wie sich die Energiepreise für die fossilen Energieträger entwickeln, der wird sehen, dass es nicht zu der von Ihnen befürchteten finanziellen Überforderung kommen wird. Das ist immer ein Rechenwerk für sich. Jeder rechnet sich nach Belieben reich oder arm.
Die hessische SPD hat ein Konzept vorgelegt, mit dem der hessischen Industrie Versorgungssicherheit gewährt wird und der hessischen Bevölkerung Arbeitsplätze gesichert werden. Damit wird insgesamt eine nachhaltige Energieversorgung ohne Atomkraft begründet. Das sollte uns alle Anstrengungen wert sein.
Glück auf!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Ludwig Stiegler (SPD):
Ja.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bitte sehr, Frau Kopp.
Gudrun Kopp (FDP):
Danke schön. - Herr Kollege Stiegler, gehen Sie davon aus, dass die gesamte Energieversorgung für Hessen ohne den Einsatz von Großkraftwerken sichergestellt werden kann? Denn darum geht es gerade.
Ludwig Stiegler (SPD):
Es geht um Folgendes: Wir haben in Hessen Großkraftwerke, und es geht um den verstärkten Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Die Kraft-Wärme-Kopplung hat, wie wir wissen, eine hohe Effizienz. Sie kann die notwendigen Bedarfe decken. Es stellt sich die Frage: Will man das? Die Großkraftwerke haben, weil die Wärmesenken nicht in der Nähe sind, in aller Regel nicht diese Effizienz. Deshalb ist der hessische Weg, auf erneuerbare Energien, auf Kraft-Wärme-Kopplung und auf Energieeffizienz zu setzen, auf Dauer effizienter, billiger, wirtschaftlicher und sicherer. Darum haben die Hessen am Sonntag eine gute Wahl.
- Dass Sie das nicht hören wollen, ist klar. Man kann einem Ochsen ins Ohr petzen. Wenn er es nicht hören will, kann auch ich es nicht ändern.
Aber so ist die Situation. Sie sind hier verblendet. Sie werden sehen, dass Sie, wenn Andrea Ypsilanti in den nächsten Jahren ihre Politik entfaltet, sagen werden: Ui, das hätte ich nicht gedacht. Wir sagen: Die, die vom Irrtum zur Wahrheit reisen, das sind die Weisen. Die, die im Irrtum verharren, das sind die Narren.
Danke.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7845 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes
- Drucksachen 16/7077, 16/7485 -
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes
- Drucksache 16/7250 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
- Drucksache 16/7867 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Lydia Westrich
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, Kerstin Andreae, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Steuerberatung zukunftsfähig machen
- Drucksachen 16/1886, 16/7867 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Lydia Westrich
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort für die Bundesregierung der Frau Parlamentarischen Staatssekretärin Nicolette Kressl.
Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Parlament wird heute - die Mehrheit vorausgesetzt - einen Gesetzentwurf verabschieden, der nach langer Diskussion nun doch noch zu einem sehr guten Ergebnis führt. Das Gesetz zum Berufsrecht der steuerberatenden Berufe wird nicht nur europäische Vorgaben umsetzen, sondern zusätzlich ein weiteres Stück frischen Wind - so nenne ich es einmal - in dieses Berufsrecht bringen.
Es ist gelungen, die ursprüngliche Zielsetzung der Bundesregierung, das Berufsrecht der steuerberatenden Berufe zu liberalisieren, erfolgreich umzusetzen. Besonders erfreulich ist dabei, dass wir nach den konstruktiven Beratungen im Finanzausschuss - so habe ich es empfunden; ich darf den Kolleginnen Westrich und Tillmann danken - heute ein Gesetz verabschieden werden, das in wesentlichen Teilen nicht nur die Zustimmung des Deutschen Bundestages, sondern auch der betroffenen Berufsverbände findet. Es ist immer wichtig, dass wir ein Stück Akzeptanz erreichen.
Der Gesetzentwurf hat im Wesentlichen drei Schwerpunkte: die Liberalisierung des Berufsrechts der steuerberatenden Berufe, die Umsetzung der entsprechenden europäischen Richtlinie und die Neuorganisation der Steuerberaterberufe. Lassen Sie mich auf einige Aspekte etwas näher eingehen.
Es ist endlich gelungen - das hat, wie ich finde, die Zustimmung des ganzen Ausschusses gefunden -, die Zulassung des sogenannten Syndikus-Steuerberaters durchzusetzen. Das wird vielen Unternehmen erleichtern, steuerlichen Sachverstand zu rekrutieren. Steuerberater erhalten die Möglichkeit, sich zukünftig auch in der Rechtsform der GmbH und Co. KG zusammenzuschließen, Kooperationen mit partnerschaftsfähigen Berufen einzugehen und Bürogemeinschaften mit Lohnsteuerhilfevereinen zu bilden. Die Steuerberaterkammern erhalten die Möglichkeit, Ausnahmen vom Verbot gewerblicher Tätigkeiten von Steuerberatern zuzulassen, wenn dadurch - das betone ich ausdrücklich - keine Verletzung von Berufspflichten zu befürchten ist. Die bewährte Arbeit der Lohnsteuerhilfevereine wird durch die im Gesetzentwurf enthaltenen Regelungen, insbesondere die Anhebung der Beratungsgrenzen, die im Laufe der Beratungen noch ein Stück höher angesetzt worden sind, auch für die Zukunft gesichert.
Was sicherlich und nicht erst seit dieser Gesetzesberatung heiß umstritten war: Buchhalter, geprüfte Bilanzbuchhalter und Steuerfachwirte erhalten keine weitergehenden Befugnisse als im bisherigen Recht. Immerhin: Es wird zu einer Neufassung ihrer Werbebefugnisse kommen. Wir gehen davon aus, dass es dadurch viel weniger standardisierte Abmahnungen geben wird. Das ist für die Betroffenen sicherlich eine Erleichterung. In Zukunft sollen allein die Grundsätze des für alle Gewerbetreibenden geltenden Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Anwendung finden.
Ich will noch kurz auf den Bundesrat zu sprechen kommen; denn uns ist wichtig, dass wir in dieser Frage zusammenzuarbeiten. Die Fraktionen haben im Finanzausschuss einen Kompromiss zur Durchführung der Steuerberaterprüfung gefunden. Wir sind davon überzeugt, dass er den berechtigten Interessen der Finanzverwaltung, aber auch denen des Berufsstandes Rechnung trägt. Die Qualität der Steuerberaterprüfung bleibt erhalten. Staatlichkeit und Bundeseinheitlichkeit werden gewährleistet. Die Finanzverwaltung wird von ihren Aufgaben bei der Abwicklung der Steuerberaterprüfung entlastet. Die Bundesregierung ist der Meinung: Dieser Kompromiss ist fachlich sinnvoll, und es gibt für uns guten Grund, anzunehmen, dass diese Regelung auch die Zustimmung des Bundesrates finden wird.
Zusammengefasst: Wir beschließen heute einen weiteren sinnvollen Schritt zur Modernisierung des Berufsrechts. Es wäre gut, wenn dieser Schritt anschließend mit so viel parlamentarischer Unterstützung wie möglich beschlossen werden könnte.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion.
Dr. Volker Wissing (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, attestieren: Ihr Gesetzentwurf ist nicht ganz schlecht.
Zumindest ist er nicht so schlecht, dass man ihn durchweg ablehnen müsste. Ich übersehe nicht, dass Sie mit Ihrem Gesetzentwurf einen relevanten Beitrag zur Modernisierung eines wichtigen Berufsstandes leisten wollen. Ja, man findet darin sogar Schritte der Liberalisierung, zum Beispiel die Einführung des Syndikus-Steuerberaters; das begrüße ich ausdrücklich. Sie dürfen auch klatschen, wenn Sie einmal gelobt werden.
Das gilt übrigens auch für die SPD; denn an dieser Stelle lobe ich auch Ihre Staatssekretärin.
Bevor ich auf die Punkte, die kritisch zu bewerten sind, zu sprechen komme, möchte ich auf einige positive Aspekte eingehen. Wir begrüßen die Übertragung der Steuerberaterprüfung auf die Kammern. Auch die gesetzliche Regelung der Fortbildung begrüßen wir. Diese Punkte sind in diesem Hause erfreulicherweise weitgehend Konsens. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen.
Wie gesagt, ist Ihr Gesetzentwurf nicht ganz schlecht. In einem wichtigen Punkt hätte er sich aber noch verbessern lassen: hinsichtlich der Zulassung von Bürogemeinschaften von Steuerberatern und Dritten. Dazu hat die FDP dem Ausschuss einen Änderungsantrag unterbreitet, den Sie leider abgelehnt haben. Ich sage ?leider?, weil es hierbei um einen wirklich wichtigen Bereich geht, nämlich um die datenschutzrechtlichen Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Sie wollen zulassen, dass Vereine, die zum Teil noch nicht einmal einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, künftig eine Bürogemeinschaft mit Steuerberatern eingehen können. Sie wollen, dass die Akten der Steuerzahler künftig in Bürogemeinschaften verwaltet werden, für die nur noch zum Teil das Beschlagnahmeverbot und das Zeugnisverweigerungsrecht gelten. Sie wollen, dass Mitarbeiter von Vereinen der Land- und Forstwirtschaft in einer Bürogemeinschaft mit Steuerberatern arbeiten. Diese Mitarbeiter könnten mit sensiblen Daten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Berührung kommen, obwohl sie nicht einmal einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Die Frage, wie dabei die schutzwürdigen Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gewahrt bleiben sollen, lassen Sie unbeantwortet.
Das bedauert die FDP außerordentlich.
Es wäre konsequent gewesen, wenn Sie zumindest eine Hinweispflicht eingeführt hätten. Sonst sind Sie überall für Hinweispflichten. Auch hier hätten Sie zumindest die Hinweispflicht einführen können, dass der Datenschutz in solchen Bürogemeinschaften künftig nur noch eingeschränkt gewährleistet ist. Dann würde jeder Mandant wissen: Wenn ich zu einem Steuerberater gehe, der in einer Bürogemeinschaft tätig ist, dann muss ich damit rechnen, dass in dieser Bürogemeinschaft auch solche Personen mit meinen Daten in Kontakt kommen können, die keiner gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen und für die Beschlagnahmeverbot und Zeugnisverweigerungsrecht nicht gelten. Das ist für mich ein wichtiger Aspekt des Verbraucherschutzes, den Sie einfach ausgeklammert haben.
Die Grünen halten all das sowieso für überflüssig. Sie beschäftigen sich mit Fragen des Datenschutzes im Bereich des Steuerrechts schon lange nicht mehr.
- Als es um die Abschaffung des Steuergeheimnisses ging, haben Sie kräftig mitgemacht, Frau Scheel.
Wenn man es mit dem Verbraucherschutz ernst meint, hätte man an dieser Stelle etwas tun müssen. Die Große Koalition hat das gläserne Konto, den gläsernen Computer geschaffen. Datenschutz spielt für Sie - was Sie hier zeigen, ist mehr als eine Tendenz - im Steuerrecht bestenfalls die Rolle eines Stiefkindes.
Besonders ärgerlich ist, dass Sie mit zweierlei Maß messen: Bei der Verabschiedung des Rechtsdienstleistungsgesetzes hat die Große Koalition die Möglichkeit der Bildung von Bürogemeinschaften für Rechtsanwälte, Patentanwälte und Notare auf eng begrenzte Berufsgruppen beschränkt. Hier verabschiedet die gleiche Koalition das Gegenteil. Logisch ist das nicht, und es ist auch nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, die ihren Steuerberatern ja Einblick in sehr sensible Daten geben müssen.
Ihr Gesetzentwurf mag gegenüber der bisherigen Rechtslage viele Verbesserungen enthalten; in Sachen Datenschutz hätten Sie besser auf die FDP gehört und unserem Antrag zugestimmt.
Dann wäre der Entwurf an dieser Stelle um einiges besser. Wir machen doch nicht Gesetze für die Verwaltung, wir machen Gesetze für die Bürgerinnen und Bürger. Ich kann verstehen, dass das Steuergeheimnis für den Staat und die Verwaltung immer wieder störend sein mag. So überrascht es nicht, dass wir vom BMF im Ausschuss gehört haben, dass das alles völlig unproblematisch sei und dass man nicht nachvollziehen könne, was die FDP da bemängele. Nicht nachzuvollziehen ist ganz im Gegenteil, dass Sie als Große Koalition in diesem Parlament die Interessen der Bürgerinnen und Bürger nicht verteidigen. Darum ging es bei unserem Änderungsantrag. Für die Menschen sind die datenschutzrechtlichen Belange enorm wichtig, und es ist unsere vornehmste Aufgabe hier im Parlament, diese Dinge zu verteidigen.
Die Große Koalition hat es bisher nicht fertiggebracht, auch nur ein Gesetz zu verabschieden, das die Rechte der Bürgerinnen und Bürger im Bereich des Datenschutzes verbessert. Hier hätten Sie erneut eine Chance gehabt. Sie haben sie vertan. Ich bedauere das, gestehe aber ein, dass das Gesetz unter dem Strich viele Verbesserungen bringt. Ich habe schon eingangs die Liberalisierungsbestrebungen erwähnt. Schade, dass Sie auf unsere Verbesserungsvorschläge nicht eingegangen sind, vielleicht beim nächsten Mal.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin Antje Tillmann das Wort.
Antje Tillmann (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Zuhörer! Nach jahrelangen Bemühungen haben wir heute die Möglichkeit, die Verhandlungen über die Änderung des Steuerberatungsgesetzes zu einem guten Ende zu führen. Wir haben in den Finanzausschussberatungen und in den Anhörungen Kompromisse gefunden, bei denen selbst die Opposition eingesteht, dass das Gesetz, das wir heute vorlegen, ?nicht ganz schlecht ist?. Das spricht für dieses Gesetz. Die Bedenken, die Sie haben, Herr Dr. Wissing, teilen wir nicht; ich werde gleich darauf eingehen.
Es ist uns gelungen, Verbesserungen für alle Berufsverbände durchzusetzen. Wir haben Anliegen aufgegriffen, die von den Einzelverbänden seit Jahren angemahnt wurden. Ich glaube, es liegt ein Gesetz vor, das von einem guten Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen geprägt ist. Insbesondere bringt das Gesetz Verbesserungen für die ratsuchenden Bürgerinnen und Bürger. Der Datenschutz ist natürlich ein wichtiges Anliegen; dem tragen wir aber durchaus Rechnung.
Wir haben die gesetzlichen Vorgaben aus der EU- Berufsqualifizierungsrichtlinie umgesetzt und die Verfahren an den Bologna-Prozess angepasst. Darüber hinaus haben wir Anliegen der Berufsverbände aufgegriffen, so die Einführung des Syndikus-Steuerberaters. Wir alle wissen, dass die Steuerberater seit langem darum bitten, ihren Titel, wenn sie eine Angestelltentätigkeit aufnehmen, weiter führen zu dürfen. Das wird mit diesem Gesetz möglich. Ich bitte Sie dringend, den Weg dafür freizumachen.
Eine Liberalisierung ist insofern durchgesetzt, als Kooperationen mit anderen freien Berufen zulässig werden: Steuerberater dürfen demnächst mit Ärzten, Wirtschaftsprüfern und Architekten zusammenarbeiten. Auch diese Berufe haben kein Zeugnisverweigerungsrecht, zumindest was die Architekten anbetrifft; doch da hat die FDP keine Sorgen gehabt, dass der Schutz der Mandanten nicht gewährleistet sein könnte.
Wir haben andere Rechtsformen für Steuerberatungsgesellschaften zugelassen. Es kann nämlich nicht unsere Aufgabe sein, zu reglementieren. Wir vertrauen darauf, dass die Berufsstände ihre Pflichten so organisieren, dass der Schutz der Mandanten sichergestellt ist.
Wir haben eine Fortbildungspflicht für Steuerberater in das Gesetz aufgenommen. Das ist uns wichtig, weil das zur Qualitätssicherung beiträgt. Und die Qualität ist die Rechtfertigung dafür, dass wir zum Beispiel in der Frage der Erweiterung der Befugnisse der Bilanzbuchhalter zurückhaltend reagiert haben. Wir wollen, dass die Beratung mit einem sehr hohen Qualifizierungsgrad erfolgt. Deswegen haben wir hier auch die gesetzliche Verpflichtung eingeführt.
Erst in den Beratungen nach der Anhörung und mit den Betroffenen ist uns eine Lösung hinsichtlich der Steuerberaterprüfung gelungen. Hier weichen wir sowohl vom Regierungsentwurf als auch vom Bundesratsentwurf ab. Beide Seiten haben aber signalisiert, dass sie mit diesem Kompromiss gut leben können. Uns ist wichtig, dass die Steuerberaterprüfung staatlich bleibt und dass es eine einheitliche schriftliche Prüfung gibt. Selbst die Kammern weisen darauf hin, dass es nötig ist, dass diese Prüfung auch von den Finanzministerien legitimiert wird, weil bei einer hohen Durchfallquote, wie sie bei den Steuerberaterprüfungen üblich ist, natürlich sehr schnell der Verdacht aufkommt, man wolle sich unliebsame Konkurrenz vom Hals halten. Das ist nicht der Fall. Wir werden diese staatliche Prüfung weiter forcieren und den Ländern trotzdem die Möglichkeit geben, sich von unnötigen Verwaltungsaufgaben zu befreien.
So weit zu den Verbesserungen für die Steuerberater.
Auch die Lohnsteuerhilfevereine haben natürlich die Gelegenheit genutzt, uns ihre Sorgen mitzuteilen. Wir haben noch einmal auf die Anhörung reagiert und in vielen Punkten den vorgetragenen Anliegen aus der Anhörung Rechnung getragen.
Schon im Gesetzentwurf war ja eine Befugniserweiterung - Frau Staatssekretärin hat darauf hingewiesen - für Lohnsteuerhilfevereine enthalten, zum Beispiel aufgrund der Veränderung des Gemeinnützigkeitsgesetzes, aber auch der Änderungen bei der Kinderbetreuung. Gleichzeitig haben wir die Beratungsbefugnis für Lohnsteuerhilfevereine hinsichtlich der anderen Einkünfte - außer Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit - erweitert, indem wir die Einnahmegrenze von bisher 9 000 und 18 000 Euro auf 13 000 und 26 000 Euro erhöht haben.
Das war ein wesentliches Anliegen der Lohnsteuerhilfevereine und ist auch im Sinne der Mandanten, weil es immer wieder vorkommt, dass Mandanten aufgrund der Einkommensschwankungen und der entsprechenden Befugnis zwischen Lohnsteuerhilfevereinen und Steuerberatern hin und her gehen müssen. Wir wollten die Möglichkeit geben, sich langfristig nur einer Vertrauensperson zu öffnen.
Herr Dr. Wissing, dem gleichen Ziel, nämlich dem Interesse der Mandanten und nicht dem Interesse von Steuerberatern oder Lohnsteuerhilfevereinen, dient auch die Möglichkeit, Bürogemeinschaften zu bilden. Denn es ist wichtig, dass ein Berater auch die vorangegangene Beratungspraxis kennt. Deshalb lassen wir Bürogemeinschaften zwischen Lohnsteuerhilfevereinen und Steuerberatern zu, aber selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass der Datenschutz gewahrt ist und dass die Mandantenrechte geschützt werden. Das ist möglich. Die Berater können das so organisieren, dass diese Rechte geschützt bleiben.
Damit aber nicht genug: Die Kammern und die Finanzministerien haben eine Aufsichtspflicht.
Das ist für die Berater auch nur ein Angebot. Die Berater, die ihre Meinung teilen und es für schwierig halten, den Mandantenschutz zu sichern, sind ja nicht gezwungen, in einer solchen Bürogemeinschaft aufzugehen. Ich weiß, dass die Kammern eher zurückhaltend darauf reagieren. Sie werden in ihren Berufsordnungen mit Sicherheit sicherstellen, dass der Mandantenschutz gewahrt bleibt.
Bei den Lohnsteuerhilfevereinen haben wir darüber hinaus der Tatsache Rechnung getragen, dass wir mit der Unternehmensteuerreform zum 1. Januar 2009 die Abgeltungsteuer eingeführt haben. Durch die Abgeltungsteuer werden die meisten Kapitaleinkünfte gar nicht mehr erklärungspflichtig. Wir wollen vermeiden, dass Mandanten nur deshalb diese Kapitaleinkünfte erklären müssen, um beim Lohnsteuerhilfeverein beratungsfähig zu sein. Deshalb sagen wir: Solange die Kapitaleinkünfte der Abgeltungsteuer unterliegen, fallen sie nicht unter die Höchstgrenze bei den ?anderen? Einkünften. Erst dann, wenn der Mandant von dem Veranlagungswahlrecht Gebrauch macht, sind die Grenzen einzuhalten, sodass es dann durch eine Beratung des Steuerberaters gegebenenfalls zu einer Veranlagung kommen wird. Auch hier kommen wir Mandanten und Lohnsteuerhilfevereinen entgegen. Wir vereinfachen das Verfahren und ziehen Folgen aus den Gesetzen, die wir im letzten Jahr beschlossen haben.
Die nächsten Berufsgruppen sind die Buchhalter, die geprüften Bilanzbuchhalter und die Steuerfachangestellten. Sie sind mit der Regelung hinsichtlich der Befugniserweiterung auf Umsatzsteuervoranmeldungen natürlich nicht zufrieden. Das war auch die einzige kritische Stimme in den Anhörungen.
Wir haben sehr lange darüber diskutiert. Im Referentenentwurf war ursprünglich eine andere Regelung vorgesehen. Wir haben dieses Thema über Jahre hinweg diskutiert, was immer wieder dazu geführt hat, dass das Steuerberatungsgesetz nicht geändert werden konnte. Jetzt sind wir aber zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Befugniserweiterung nicht sachgerecht ist. Die Stimmen in der Anhörung haben uns recht gegeben. Die überwiegende Mehrheit der Angehörten hat darauf hingewiesen, dass eine Befugniserweiterung zu zusätzlichen Risiken bei der Steuererhebung führen könnte.
Trotzdem haben wir den Berufsangehörigen versprochen, uns der Gruppe der Buchhalter und geprüften Bilanzbuchhalter auch in Zukunft mehr zu widmen, indem wir zum Beispiel ein Berufsbild für einen Buchhalter erstellen. Bisher ist es möglich, sich Buchhalter zu nennen, ohne eine Prüfung abzulegen. Es gibt keinen geschützten Titel Buchhalter und auch keinen Ausbildungsberuf Buchhalter. Wir haben den betreffenden Verbänden direkt nach der Anhörung zugesagt, uns dieses Problems anzunehmen und zu versuchen, Verbesserungen für diesen Berufsstand herbeizuführen.
Wir haben ein weiteres wichtiges Anliegen dieses Berufsstandes aufgegriffen; Frau Staatssekretärin Kressl hat bereits darauf hingewiesen. Neben der Befugniserweiterung sind die Abmahnverfahren bei unlauterer Werbung ein Problem für diesen Berufsstand. Auch hier konnten sich die Koalitionspartner nach der Anhörung auf eine Lösung verständigen. Wir werden darauf verzichten, eine eigene Lösung im Steuerberatungsgesetz zu formulieren. Wir wollen, dass Gesetze übersichtlich bleiben, und wollen nur das regeln, was zwingend erforderlich ist. In diesem Fall ist aus unserer Sicht eine Regelung im Steuerberatungsgesetz nicht erforderlich, weil wir das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb haben. Wir sind optimistisch, dass diese Regelung auch den Bedürfnissen des Berufsstandes der Bilanzbuchhalter, der Steuerfachangestellten und der Buchhalter Rechnung trägt.
Abschließend danke ich allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit, sowohl dem Ministerium und meiner Kollegin Westrich als auch den Vertretern der Oppositionsfraktionen im Finanzausschuss. Ich glaube, es waren gute Beratungen, die heute zu einem guten Abschluss geführt werden. Die Zustimmung zu den Änderungsanträgen im Finanzausschuss hat gezeigt, dass wir - bis auf wenige Einzelpunkte - eine breite Mehrheit für dieses Konzept haben. Das ist gut als Rückendeckung für die Berufsstände und die ratsuchenden Steuerpflichtigen. Wir sollten den Weg heute frei machen. Wir haben für das Gesetz schon viel zu lange gebraucht. Die Betroffenen warten auf uns. Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linke.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger interessiert natürlich, wie es sich zukünftig mit den steuerberatenden Berufen verhält, insbesondere mit dem Steuerberater oder der Steuerberaterin sowie den Lohnsteuerhilfevereinen. Hier ist viel erreicht. Wir werden den Gesetzentwurf heute verabschieden. Aber das Grundübel der Steuergesetzgebung bleibt bestehen. Sie ist in den letzten Jahren nicht einfacher, sondern auch in der Zeit der Großen Koalition immer komplizierter geworden. Sie von der CDU/CSU und der SPD haben mit Ihrer Mehrheit und gegen die Stimmen der Opposition dafür gesorgt, dass die Steuerberaterhonorare nicht mehr als Sonderausgaben im privaten Teil der Einkommensteuererklärung anerkannt werden. Zudem gibt es insbesondere bei den Kosten für die Beratung bei Lohnsteuerhilfevereinen - das sind Pauschalen - weiterhin Schwierigkeiten der Unterscheidung. Das ist noch immer ein Grundärgernis für viele Bürgerinnen und Bürger, die aufgrund der komplizierten Steuergesetzgebung Beratung in Anspruch nehmen müssen.
Wir, die Linke, bemessen den vorliegenden Gesetzentwurf nach drei Kriterien. Erstens. Verbessert sich durch das Gesetz der ordnungsgemäße Vollzug der Steuergesetze? Zweitens. Inwieweit ist eine kompetente Beratung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gewährleistet? Drittens. Inwieweit erfolgte tatsächlich eine Anpassung an veränderte Lebensrealitäten? Es handelt sich sicherlich um ein Spannungsfeld, wenn man für Qualitätssicherung sorgen will, ohne eine Zementierung der ständischen Interessen vorzunehmen. Ich glaube, in dieser Hinsicht ist einiges gelungen. Aus diesem Grund haben wir im Ausschuss unsere Zustimmung zu den Änderungsanträgen der Koalition deutlich gemacht, die sich auf die Staatlichkeit und Bundeseinheitlichkeit der Steuerberaterprüfung beziehen; das ist ein wichtiger Punkt. Aber wir werden darüber nachdenken müssen, wie es sich bei den anderen steuerberatenden Berufen verhält. Was ist zum Beispiel mit den Steuerfachwirtinnen und Steuerfachwirten?
Wir begrüßen ausdrücklich das Eingehen auf die Forderungen der Lohnsteuerhilfevereine: die Erhöhung der Einnahmegrenze für die Beratungsbefugnis und die teilweise Nichtberücksichtigung von Kapitaleinkünften bei der Berechnung hinsichtlich der Einnahmegrenze. Das ist ein wirklicher Beitrag zur Wahrung einer kostengünstigen Steuerberatung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Teil der Beratungskosten nicht mehr absetzbar ist. Wir begrüßen ebenfalls die Möglichkeit zur Bildung von Bürogemeinschaften zwischen Lohnsteuerhilfevereinen sowie Steuerberaterinnen und Steuerberatern. Auch das ist eine Qualitätsverbesserung.
Kritisch bleibt anzumerken, dass es keine Erweiterung der Befugnisse für geprüfte Buchhalterinnen und Buchhalter sowie Steuerfachwirtinnen und Steuerfachwirte gibt, zumindest wenn es um das Anfertigen der Umsatzsteuervoranmeldung geht.
Ich glaube, die damit verbundenen Probleme sind lösbar: bezüglich der Qualifizierung, bezüglich der Haftpflicht, aber auch bezüglich solcher Anforderungen, wie sie Steuerberaterinnen und Steuerberater haben, die selbst ausbilden, was Bilanzbuchhalter bisher noch nicht können und nicht machen.
Man muss sagen, dass diese Nichterweiterung der Befugnisse tendenziell insbesondere Frauen behindert; denn die steuerberatende Tätigkeit ist etwas, was man, zumindest zum Teil, von zu Hause aus erledigen kann. Deshalb ist bei diesem Berufsbild eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben und ein flexibles Reagieren auf sich verändernde Familiensituationen möglich.
Kritisch möchte ich auf alle Fälle noch etwas zu Ihrer Gebührenanpassung bei den Steuerberaterprüfungen sagen. Die Begründung der Kostendeckung für diese Anpassung kann man teilen; aber die Erhöhung ist doch massiv. Für die Zulassungsverfahren wollen Sie die Gebühren von 75 auf 200 Euro erhöhen, für das Prüfungsverfahren von 500 auf 1 000 Euro. Vor dem Hintergrund, dass 55,58 Prozent, also etwas über die Hälfte, der in 2005/2006 zur Prüfung zum Steuerberater Angetretenen diese nicht geschafft haben und vielleicht noch eine zweite Prüfung machen müssen, ist das natürlich eine sehr hohe Hürde. Man könnte die Vermutung haben, dass hier Ständeinteressen gewahrt werden sollen. Aber auch die Steuerberaterinnen und Steuerberater brauchen Nachwuchs. Deshalb können wir dem nicht zustimmen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Insgesamt überwiegt das Negative das Positive. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf enthalten.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Christine Scheel das Wort.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab eine Bemerkung zu den Ausführungen von unserem Kollegen Volker Wissing, der behauptet hat, die Grünen hätten kein Interesse am Thema Datenschutz im Zusammenhang mit dem Steuerrecht. Ich muss das klar zurückweisen und die FDP daran erinnern, dass es in diesem Zusammenhang einen Antrag der Grünen gibt, der Kooperationen von allen freien Berufen, von selbstständigen Buchhaltern bis hin zu den Lohnsteuerhilfevereinen, begrüßt, aber auch verlangt, dass mit Blick auf die Bildung von Bürogemeinschaften ?berufsrechtliche Rechte und Pflichten, vor allem Verschwiegenheitspflicht, Gewissenhaftigkeit, Auskunftsverweigerungsrecht, Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot,? entsprechend angepasst werden. Entweder haben Sie unseren Antrag nicht gelesen, oder es ist eine gemeine Unterstellung.
Ich hätte mir sehr gewünscht - es ist ja anders ausgegangen -, dass wir eine tiefgreifende Novelle des Steuerberatungsgesetzes bekommen. Wir haben jahrelang darüber diskutiert. Wenn ich mir anschaue, was dabei herausgekommen ist, sehe ich, dass es zwar ein bisschen vorangegangen ist; aber ich glaube nicht, dass das mit Blick auf die Existenz von vielen selbstständigen Bilanzbuchhaltern und Bilanzbuchhalterinnen, Steuerfachwirten und Steuerfachwirtinnen ausreicht. Dass wir mit diesem Gesetz die Erhaltung von deren Arbeitsplätzen und einen Ausbau in diesem Bereich erreichen, glaube ich nicht. Das finde ich sehr schade; denn das hätte zu einer Liberalisierung dazugehört.
Hier siegt - das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen - ein Stück weit die Klientelpolitik. Wir hatten ja heute Morgen die Debatte über die Wirtschaftspolitik. Dabei wird immer auf faire Wettbewerbsbedingungen verwiesen. Wenn aber auf der einen Seite faire Wettbewerbsbedingungen gefordert werden, die natürlich volkswirtschaftlich sinnvoller sind als hohe Marktzugangsbarrieren, und auf der anderen Seite, wenn es konkret wird, die Pfründe von bestimmten Berufsgruppen geschützt werden sollen, dann ist das nicht in Ordnung. Wir fordern: Reden Sie nicht nur über faire Wettbewerbsbedingungen, sondern setzen Sie sie für die Berufsgruppen dann auch um! Das ist genau der Punkt, auf den wir hier verwiesen haben. Deswegen sind wir ziemlich enttäuscht, was diese Regierungsvorlage anbelangt.
Gestern haben wir im Finanzausschuss eine Debatte darüber geführt, was denn noch geändert werden könnte. Die grüne Seite hat sich den drei Änderungsanträgen angeschlossen. Ich weiß, dass der grüne Vorschlag mit Blick auf die Beratungsgrenzen bei den Lohnsteuerhilfevereinen nicht eins zu eins umgesetzt worden ist. Aber man muss sagen, es geht in die richtige Richtung. Es bleibt gesichert, dass sich die durchschnittlichen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und auch Rentner und Rentnerinnen weiterhin kostengünstig bei den Lohnsteuerhilfevereinen beraten lassen können. Dies ist gut. Es ist auch gut gewesen, dass die Abgeordneten diese Regelung gemeinsam geändert haben. Ich halte es auch für richtig, dass der Status eines Syndikus-Steuerberaters endlich eingeführt wird. Das bringt mehr Flexibilität; das haben die Grünen schon sehr lange gefordert. Jetzt ist es umgesetzt. Auch das ist positiv.
Letztendlich muss man aber sagen, dass der Gesetzentwurf den Anforderungen an ein modernes und liberales Berufsrecht der Steuerberater bei weitem nicht gerecht wird. Es fehlt der Mut, in diesem Kontext überfällige Reformen anzugehen und alte Zöpfe abzuschneiden. Deswegen lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Wir fordern Sie auf, dem grünen Antrag zuzustimmen. Das richtet sich vor allem an die Adresse der Oppositionsfraktionen. Wir könnten an dieser Stelle einmal zusammenhalten und für ein gutes Recht stimmen.
Ich denke, dass der grüne Antrag allen Selbstständigen im Steuer- und Buchhaltungswesen ausreichende Marktchancen und faire Wettbewerbsbedingungen einräumt, wobei wir den notwendigen Verbraucherschutz im Auge haben.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Lydia Westrich für die SPD-Fraktion.
Lydia Westrich (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von einem Gesetz, das so viele Jahre der Vorbereitung braucht, erwarten wir Bedeutungsvolles. Dass Änderungen im Bereich des Berufsrechts so viel Zeit in Anspruch nehmen, ist eher selten.
Etwa 50 000 Steuerberater - das gilt natürlich auch für die Lohnsteuerhilfevereine und andere - freuen sich, dass ihre teilweise langjährigen Forderungen jetzt endlich bei der achten Änderung des Steuerberatungsgesetzes umgesetzt worden sind.
Die Anforderungen an den Berufsstand sind relativ hoch. Deshalb müssen wir auch die Ausbildungs-, Prüfungs- und Arbeitsbedingungen ständig den wechselnden Bedingungen unserer Volkswirtschaft anpassen.
- Herr Ausschussvorsitzender, Sie stören ein bisschen. - So ist mir die Verankerung der Fortbildungspflicht wichtig, weil sie das Vertrauensverhältnis zu den Klienten weiter stärkt.
Ich freue mich auch, dass wir die Frage der zukünftigen Regelung der Steuerberatungsprüfung so einvernehmlich mit Kammerverband und Bundesrat behandelt haben. Die Länder können ihren Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren, was von ihnen auch immer wieder gefordert wird. Die Prüfung bleibt trotzdem staatlich und vor allem bundeseinheitlich. Das ist, wie wir aus bitterer Erfahrung wissen, längst nicht selbstverständlich. Die hohe Qualität der Prüfung schlägt sich natürlich auch in den Gebühren nieder, Frau Höll. Aber sie bilden beileibe keine unüberwindliche Hürde für diesen Berufsstand, wie Sie das darstellen.
Wir haben mit diesem Gesetz den Berufsstand gestärkt und es tatsächlich geschafft, zumindest einige Liberalisierungen durchzusetzen. Liberalisierungen bei Berufsrechten, um nicht zu sagen: Standesrechten, sind in den freien Berufen immer etwas schwerfällig durchzusetzen. Sie sind im Rahmen früherer Änderungen häufig vom Bundesverfassungsgericht quasi erzwungen worden. Zur Einführung des Syndikus-Steuerberaters habe ich Briefe vorliegen, die viele Jahre alt sind. Es ist für uns alle immer wieder eine Freude, wenn wir alte Vorgänge positiv erledigt zur Seite legen können. Es ist wirklich nicht mehr zeitgemäß, dass man einen durch eine schwere Prüfung erworbenen Titel ablegen muss, wenn man in eine abhängige Beschäftigung tritt.
Wir haben den Steuerberatern die Bildung von GmbH & Co. KGs erlaubt, die Kooperation mit freien Berufen - nicht nur den artverwandten, Herr Wissing - zugelassen. Das unterscheidet dieses Gesetz zum Beispiel vom Berufsrecht der Rechtsanwälte. Wir werden deshalb darüber hinaus auch Bürogemeinschaften mit Lohnsteuerhilfevereinen und mit landwirtschaftlichen Buchstellen zulassen. Ich bin davon überzeugt, dass dies nicht nur zum Vorteil dieser Bürogemeinschaften, sondern auch zum Vorteil aller ratsuchenden Bürgerinnen und Bürger ist. Solche Gemeinschaften existieren ja schon. Der Wunsch kam nicht vom Gesetzgeber, sondern von Betroffenen, die ihre Zusammenarbeit gerne legalisieren wollen. Herr Wissing, Sie können ja einmal herumfragen, wie viele Steuerberater, die landwirtschaftliches Klientel haben, bei ihren speziellen steuerrechtlichen Fragen gerne auf den Sachverstand der landwirtschaftlichen Buchstellen zurückgreifen. Dann würden Sie einsehen, dass die Zulassung dieser Bürogemeinschaften eine sinnvolle Liberalisierung des Berufsstandes darstellt. Das gilt in gleicher Weise natürlich für die Lohnsteuerhilfevereine.
Natürlich gibt es hier eine Verschwiegenheitspflicht. Sie ist nicht strafbewehrt. Aber für Leute, die täglich mit dem Steuergeheimnis umgehen, muss das auch nicht extra sein, sondern das ist selbstverständlich. Sie als FDP-Fraktion messen einfach mit zweierlei Maß, wenn Sie hier Bedenken anmelden.
Was eine drohende Beschlagnahme von Akten betrifft, weiß ich keinen Fall aus den letzten Jahren, der Lohnsteuerhilfevereine betroffen hätte. Aber ich habe allein in meinem Wahlkreis drei Fälle, in denen Lohnsteuerhilfevereine sich bei gegebenen Bürogemeinschaften Sorge um ihr eigenes Renommee machen müssten.
Trotzdem ist es für mich wichtig, dass der Charakter der Lohnsteuerhilfevereine als Selbsthilfeeinrichtungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten bleibt. Wir haben ihre Beratungsbefugnisse deshalb angemessen angepasst, Frau Scheel, zum Beispiel den Grenzbetrag für Einnahmen aus anderen Einkunftsarten um fast 45 Prozent auf jetzt 13 000 Euro angehoben. Das war überfällig. Zudem haben wir eine sinnvolle Regelung zur Beratungsbefugnis bei Kapitaleinkünften ergänzt.
Wie starr das Berufsrecht noch ist, zeigen die Abmahnverfahren gegen Buchhalter. Schon etliche Male haben wir versucht, diese Flut einzudämmen - ohne Erfolg. Sogar Einträge in Gelbe Seiten, die ja kurz sein müssen, ziehen Abmahnverfahren nach sich. Da wir das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb haben, muss eine Werberegelung für Gewerbetreibende nicht noch zusätzlich im Berufsrecht verankert werden. Deswegen hoffen wir, dass diese Maßnahme gegen die Abmahnverfahren hilft. Aber wir werden das weiter überprüfen.
Die SPD-Fraktion stellt sich unter liberalisierten Regelungen eine breitere Öffnungsmöglichkeit vor. Selbst unter Verbraucherschutzaspekten könnten geprüfte Bilanzbuchhalter mehr, als sie dürfen. Die breite Unterstützung des DIHK bei der Forderung nach einer begrenzten Befugniserweiterung für die hochqualifizierten Bilanzbuchhalter zeigt, dass ein Verband, der kleine und mittelständische Unternehmen vertritt, durchaus keine Sorge um die Qualität der Beratung seiner Mitglieder hat. Deswegen hätten wir da durchaus etwas machen können.
Die Finanzverwaltung, die Länder und die Steuergewerkschaft waren da leider anderer Meinung. Wir warten also, bis das Bundesverfassungsgericht oder europäisches Recht eingreift, um da eine weitere Liberalisierung voranzubringen.
Insgesamt gesehen hat sich die lange Beratungszeit für dieses Gesetz gelohnt. So viel Lob hat der Finanzausschuss selten bei einer Anhörung vernommen. Wir bieten den Steuerpflichtigen und dem beratenden Berufsstand eine sichere Basis, weiterhin unser kompliziertes Steuerrecht zu meistern.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu einer Reihe von Abstimmungen.
Zunächst Tagesordnungspunkt 6 a. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7867, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 16/7077 und 16/7485 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Entwurf eines Gesetzes des Bundesrates zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7867, den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 16/7250 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 6 b, Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel ?Steuerberatung zukunftsfähig machen?: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/7867, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/1886 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 139. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 25. Januar 2008,
an dieser Stelle veröffentlicht.]