148. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 06. März 2008
Beginn: 9.02 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf Sie bitten, für einen Augenblick stehen zu bleiben.
Am Montag dieser Woche, am 3. März 2008, verstarb Annemarie Renger im Alter von 88 Jahren. Dr. h. c. Annemarie Renger war von 1953 bis 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1972 bis 1976 dessen erste Präsidentin und zugleich weltweit die erste Frau an der Spitze eines frei gewählten Parlaments.
Am 7. Oktober 1919 in Leipzig als Tochter eines führenden Funktionärs der Arbeitersportbewegung geboren, wuchs Annemarie Renger in einer Familie mit langer sozialdemokratischer Tradition auf. Nach dem Krieg wurde Annemarie Renger, deren Mann in Frankreich gefallen war, engste Mitarbeiterin und Vertraute Kurt Schumachers. Nach seinem Tod 1952 trat sie selbst in die aktive Politik ein und wurde 1953 über die Landesliste Schleswig-Holstein der SPD erstmals in den Bundestag gewählt. Von 1969 bis 1972 war sie eine der vier Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Im Dezember 1972 wurde sie als Nachfolgerin von Kai-Uwe von Hassel zur Bundestagspräsidentin gewählt.
Nur wer sich daran erinnert, welchen Bedenken die erste Bundestagspräsidentin sich innerhalb wie außerhalb des Parlamentes gegenübersah, kann die Genugtuung ermessen, mit der sie vier Jahre später beim Wechsel in das Amt einer Vizepräsidentin feststellen konnte, dass sie bewiesen habe, dass eine Frau das kann. Die Würde ihres Auftretens, ihre Bestimmtheit und ihr energischer Durchsetzungswille wie ihre Fähigkeit zum Kompromiss haben dazu beigetragen.
Annemarie Renger hat wichtige Parlamentsreformen auf den Weg gebracht und sich persönlich stark für die Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn engagiert. So leitete sie die ersten Bundestagsdelegationen auf ihren Reisen nach Polen, nach Rumänien und in die Sowjetunion. Ein besonderes Herzensanliegen von Annemarie Renger waren die Beziehungen zu Israel. Der Deutsche Bundestag wird ihr Andenken in Ehren bewahren. Im Rahmen eines Staatsakts werden wir der Verstorbenen am kommenden Donnerstag hier im Deutschen Bundestag gedenken.
Schon Anfang der vergangenen Woche haben wir mit Betroffenheit erfahren, dass unser Kollege Johann-Henrich Krummacher am Montag, dem 25. Februar 2008, im Alter von erst 61 Jahren nach kurzer und schwerer Krankheit verstorben ist.
Jo Krummacher wurde am 27. Dezember 1946 in Heidelberg geboren und studierte Evangelische Theologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Heidelberg und Tübingen. Nach zwei Jahrzehnten der Tätigkeit im Pfarrdienst der Evangelischen Landeskirche Baden-Württemberg sowie als Lehrer leitete er von 1996 bis 2005 als geschäftsführender Direktor die Evangelische Akademie in Bad Boll. In seinen publizistischen Werken widmete er sich insbesondere Fragen aus dem Bereich der Ethik, der Theologie, der Kunst und der Kultur. Die beiden zuletzt genannten Themen förderte er aktiv als langjähriger Vorsitzender des Vereins für Kirche und Kunst in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg sowie als Gründer und Chefredakteur der Kulturzeitschrift Das Plateau.
Nach Jahrzehnten beruflichen Engagements entschloss sich Johann-Henrich Krummacher, als aktiver Christ auch politisch tätig zu werden. Er trat 2001 in die Christlich Demokratische Union Deutschlands ein und errang bereits bei den Bundestagswahlen 2005 im Wahlkreis Stuttgart I ein Direktmandat. Als Mitglied dieses Hauses engagierte er sich besonders in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Medien. Trotz der Kürze seiner Zugehörigkeit zu unserem Parlament hat er gerade im Bereich der Kulturpolitik, den er als Mitglied der Enquete-Kommission ?Kultur in Deutschland? des Ausschusses für Kultur und Medien sowie des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung bearbeitete, wichtige Akzente setzen und sich über die Fraktionsgrenzen hinweg persönlich hohen Respekt und Anerkennung erwerben können.
Wir alle werden ihn als einen besonders liebenswürdigen Kollegen in Erinnerung behalten. Seiner Familie, seiner Frau und seinen sechs Kindern, sprechen wir unsere Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn unserer heutigen Sitzung müssen wir einige Wahlen durchführen.
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass Professor Richard Schröder und der Kollege Markus Meckel für eine weitere Amtszeit Mitglieder des Beirats nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bleiben sollen. Von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Ulrike Poppe zur Wiederwahl benannt worden. Sind Sie mit diesen Vorschlägen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Herren Schröder und Meckel sowie Frau Poppe erneut in den Beirat nach § 39 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gewählt.
Die SPD-Fraktion schlägt außerdem vor, anstelle der Kollegin Christel Humme die Kollegin Caren Marks zum stellvertretenden Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Kollegin Marks zum stellvertretenden Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt.
Die Kollegin Diana Golze hat aufgrund ihrer Schwangerschaft das Amt als Schriftführerin vorübergehend niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion Die Linke die Kollegin Elke Reinke vor. Sind Sie damit einverstanden? - Auch das ist der Fall. Damit ist die Kollegin Reinke zur Schriftführerin gewählt.
Bei diesem hohen Maß an Einmütigkeit besteht gute Aussicht, dass auch die vereinbarten Veränderungen der Tagesordnung auf Zustimmung stoßen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Tagesordnungspunkt 19 abzusetzen und die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD:
Computermesse CeBIT - IT-Forschung als Wachstumsimpuls für Deutschland
(siehe 147. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 28)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten
- Drucksache 16/8377 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Freiwilligen projektbasierten Klimaschutz auf verbreiteter Grundlage voranbringen
- Drucksache 16/7174 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Unterschiedliche Auffassungen in der Bundesregierung zu den Folgerungen aus der Onlineentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innere Führung stärken und weiterentwickeln
- Drucksache 16/8376 -
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss
ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleichstellung von Frauen und Männern in den Gremien des Bundes tatsächlich durchsetzen
- Drucksachen 16/7739, 16/8412 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eva Möllring
Renate Gradistanac
Ina Lenke
Elke Reinke
Irmingard Schewe-Gerigk
ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE:
Massenentlassungen bei deutschen DAX-Konzernen trotz Gewinnexplosion
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der bisher zur Aussprache vorgesehene Tagesordnungspunkt 16 - hier handelt es sich um die erste Beratung des Gesetzentwurfs zum Straßburger Vertrag - kann ohne Debatte an die Ausschüsse überwiesen werden.
Schließlich mache ich auf mehrere nachträgliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften
- Drucksache 16/8100 -
überwiesen:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Arbeit und
Soziales
Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strombereich und zur Änderung damit zusammenhängender Vorschriften
- Drucksache 16/8148 -
überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Der in der 145. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen von 2001 über die Beschränkung des Einsatzes schädlicher Bewuchsschutzsysteme auf Schiffen (AFS-Gesetz)
- Drucksache 16/8154 -
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Der in der 146. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Potenziale der Tourismusbranche in der Entwicklungszusammenarbeit durch Aufgabenbündelung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie ausschöpfen
- Drucksache 16/8176 -
überwiesen:
Ausschuss für Tourismus (f)
Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? - Widerspruch ist nirgendwo zu erkennen. Dann haben wir auch das einvernehmlich so beschlossen.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gratuliere ich zu einer Reihe von Geburtstagen: Der Kollege Gerd Höfer feierte am 23. Februar seinen 65. Geburtstag, und der Kollege Alfred Hartenbach ist gestern 65 Jahre alt geworden.
Die Kollegen Rainder Steenblock und Thomas Kossendey begingen ihre 60. Geburtstage am 29. Februar und am 4. März. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich allen Jubilaren nachträglich sehr herzlich und wünsche alles Gute.
Auf der Ehrentribüne hat der Parlamentspräsident unseres Nachbarlandes Luxemburg, der Präsident der Abgeordnetenkammer des Großherzogtums, Herr Lucien Weiler, mit seiner Delegation Platz genommen. - Im Namen des ganzen Hauses begrüße ich Sie sehr herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich hatte gestern Abend schon Gelegenheit, Sie nicht nur in aller gebotenen Freundlichkeit zu begrüßen, sondern auch unsere Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass Sie mit Ihrem Besuch und der hochrangigen Besetzung Ihrer Delegation aus allen Fraktionen des luxemburgischen Parlaments das große Interesse an möglichst engen und traditionell freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern deutlich machen. Wir beteiligen uns gern an Ihren Bemühungen, die Beziehungen auch zwischen unseren Parlamenten, soweit es überhaupt noch geht, zu vertiefen. Für Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:
3. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
- Drucksache 16/8305 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb
- Drucksache 16/8306 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb beschleunigen
- Drucksache 16/7872 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Bundesminister Michael Glos.
Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute, wie wir gerade vom Präsidenten gehört haben, den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und den Entwurf eines Gesetzes zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb. Ich meine, das sind zwei wichtige Bausteine unseres Energie- und Klimaschutzpakets. Wir wissen ja: Klimaschutz wollen wir alle. Darüber sind wir uns einig. Ich finde, Klimaschutz muss zu bezahlbaren Preisen möglich sein. Wir meinen, mit den Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele müssen wir einen Weg wählen, der Verbrauchern und Unternehmungen im Land die geringstmöglichen Lasten auferlegt.
Durch zusätzliche Flexibilität bei den Förderbedingungen ist es möglich, mit dem gleichen Geld mehr Investitionen in Kraft-Wärme-Kopplung auszulösen. Der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung soll bis zum Jahr 2020 auf etwa 25 Prozent, also etwa auf das Doppelte, ansteigen.
Stärkung der Verbraucher, mehr Wettbewerb im Energiemarkt und Klimaschutz müssen sich ergänzen. Dies wird gerade im Messwesen bei Strom und Gas deutlich. Bislang gibt es ein Monopol des Netzbetreibers für den Einbau und das Ablesen des Zählers. Damit soll jetzt Schluss sein, nach dem Motto: Es ist aus damit, dass der Gasmann zweimal klingeln muss.
Künftig soll jeder Verbraucher selbst bestimmen können, wer bei ihm den Strom oder das Gas abliest. Mithilfe sogenannter intelligenter Zähler wollen wir den Strom- und Gaskunden die Möglichkeit eröffnen, ihren Energieverbrauch selbst bedarfsgerecht und kostenoptimal zu steuern. Man kann dann gleich ablesen, wie viel Strom gerade gebraucht wird. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen bei der Nutzung der Geräte die günstigsten Tarife wählen und damit leichter sparen können. Das schont den Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher, und es stärkt die Position der Kunden gegenüber den großen Energieversorgern. Auch über die muss ich noch ein paar Worte verlieren.
Wichtigstes Ziel meiner Politik als Bundesminister für Wirtschaft ist, die Verbraucher zu stärken. Ich meine, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher im Mittelpunkt unserer Betrachtungsweise stehen müssen.
Dazu gehört, dass wir den Wettbewerb auf diesem Gebiet mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die ich jetzt nicht alle aufzählen will, gestärkt haben. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die Stromkunden ihre Anbieter jetzt sehr rasch wechseln können. Ich kann nur empfehlen, davon Gebrauch zu machen - das geschieht bereits sehr rege -, dann allerdings immer streng darauf zu achten, dass der neue Lieferant innerhalb eines Jahres seine Bedingungen nicht so ändert, dass man wieder mehr bezahlt. Wir brauchen einfach kostenbewusstere Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die Maßnahmen, die wir zur Stärkung des Wettbewerbs und gegen den Missbrauch von Marktmacht im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht haben, beginnen zu wirken. Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt machen von ihren neuen Instrumenten rege Gebrauch. So hat das Bundeskartellamt in den letzten Tagen ein Preismissbrauchsaufsichtsverfahren gegen 35 Gasversorger eingeleitet.
- Vielen Dank für den Beifall von ganz links.
Ich möchte noch einmal betonen: Für die länderübergreifenden Gasversorger ist das Bundeskartellamt zuständig. Für diejenigen, die sich auf ein Bundesland beschränken, sind es die Landeskartellbehörden. Ich fordere die Landeskartellbehörden noch einmal nachdrücklich auf, von ihren gewachsenen Vollmachten Gebrauch zu machen.
Ich meine, Gewinne, ja, das ist selbstverständlich; aber Übermaßgewinne, die manche auf diesem Gebiet zu vereinnahmen gewohnt sind, sind total falsch.
In diesen Tagen findet auch eine Diskussion statt, in der sich das Bundesumweltamt als Sachverständiger über eine mögliche Stromlücke im Land zu profilieren versucht hat. Das ist etwas, worüber wir uns Gedanken machen müssen. Der Energieminister ist auch für die Sicherheit der Energieversorgung zuständig. Natürlich werden in Deutschland und Europa morgen nicht plötzlich die Lichter ausgehen. Heute wird aber darüber entschieden, wie sicher die Versorgung morgen und übermorgen ist, und vor allen Dingen darüber, wie viel dann für Strom oder für Gas bezahlt werden muss.
Was wir derzeit in der öffentlichen Debatte erleben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Mit Blick in die Zukunft ist es eigentlich ein Stück weit verantwortungslos. Neue Kohlekraftwerke finden dort, wo sie gebaut werden sollen, keine Akzeptanz, obwohl sie unter besseren Bedingungen für die Umwelt produzieren als die jetzt vorhandenen. Die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ist gegenwärtig ein politisches Tabu, weil es nicht gelungen ist, sich in der Großen Koalition zu Beginn entsprechend zu vereinbaren.
- Wir haben uns vereinbart, dass wir nicht einig sind, Herr Kollege. Das war aber alles. Über mehr haben wir uns nicht vereinbart.
Selbst der Ausbau erneuerbarer Energien wie der Windenergie stößt zunehmend auf Widerstände. Der Doppelausstieg aus Kohle und Kernenergie ist für mich undenkbar. Die Folge wäre, dass die Energieversorgung in Deutschland dramatisch in Gefahr geriete. Die erneuerbaren Energien könnten eine solche Lücke nicht rasch genug schließen.
Wir brauchen deshalb eine offene und sachliche Diskussion über die energiepolitische Zukunft unseres Landes; dazu lade ich ein, Herr Kollege Kelber. Mehr Strom in den Netzen ist die Bedingung dafür, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Dauer niedrige Preise bekommen.
Unabhängig davon, wie der Energiemix zukünftig aussieht, führt an einem Ausbau des Leitungsnetzes kein Weg vorbei.
Dazu möchte ich noch ein paar Worte sagen: Wenn man zum Beispiel den Wind aus dem Norden in den Süden bringen will, braucht man neue Leitungen. Der Bau neuer Leitungstrassen ist sehr unbeliebt. Ich kann das sogar nachvollziehen. Wenn wir jedoch alles für teures Geld unter die Erde legen wollen, dann sind die Hochspannungsleitungen unsicherer, und es kostet ein Vielfaches. Dies müsste dann auf die Verbraucher umgelegt werden.
Mein Haus arbeitet deshalb für den zweiten Teil des Energie- und Klimapaketes an einem Netzausbaugesetz. Ziel ist eine Beschleunigung des Netzausbaus, damit in die Netze rasch investiert wird. Wir wollen Planungssicherheit für den Netzausbau. Die Vorstellungen der EU-Kommission zu einer sogenannten eigentumsrechtlichen Entflechtung lehnt die Bundesregierung deshalb ab. Wir wollen nicht, dass das verpflichtend wird.
Wir wollen uns auch nicht von der EU-Kommission vorschreiben lassen, dass wir enteignungsgleiche Eingriffe in das Eigentum an Netzen, aber auch an Gasleitungen vorzunehmen haben. Etwas anderes ist es, wenn ein Unternehmen sein Eigentum freiwillig verkauft, wie das der Eon-Konzern jetzt offensichtlich vorhat. Ich weiß nicht, welche Motive dahinterstehen. Vor kurzem hat dieser Konzern noch eine andere Haltung an den Tag gelegt. Man hört auch davon, dass irgendwelche Deals und der Erlass von Kartellstrafen ihn plötzlich in diese Richtung bewegt haben.
Insofern ist das Handeln der EU-Kommission manchmal etwas mysteriös und nur schwer nachvollziehbar.
Wenn jemand gegen Kartellrecht verstoßen hat, dann muss er dafür zahlen, finde ich; das darf nicht mit anderen Dingen abgefunden werden.
Die faulen Deals, die da offensichtlich gemacht worden sind, und zwar ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der Energierat über die verschiedenen Modelle beraten hat, bedürfen meiner Ansicht nach einer intensiven Überprüfung.
Das kam überraschend. In der Sache bin ich natürlich für so viel Wettbewerb wie möglich. Wenn die Leitungen und die Erzeugung nicht in einer Hand sind - wir haben gesetzliche Einspeiseberechtigungen schon bevorzugt Nichtnetzbesitzern erteilt -, dann ist das im Prinzip zu begrüßen. Aber es ist eine Reihe von Fragen zu beantworten: Wer hält die Netze in Zukunft so intakt, wie das bis jetzt der Fall gewesen ist? Wer will sie überhaupt kaufen? Die öffentliche Hand ist dafür am wenigsten geeignet. Was wird aus den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die dort beschäftigt sind? Dieser Bereich ist ja der beschäftigungsintensivste Bereich der Stromkonzerne. Ich glaube, auf all diese Fragen müssen wir Antworten finden, und uns muss gerade die Sorge um die Beschäftigten umtreiben.
Ich warne deshalb vor Schnellschüssen. Gerade angesichts der Tatsache, dass aus den vorhin genannten Gründen so viel Geld in den Netzausbau investiert werden muss, wäre es sehr problematisch, wenn Teile der Netze - es handelt sich ja zunächst um einen Konzern, der das vorhat, aber andere Konzerne signalisieren ähnliche Absichten - plötzlich den Eigentümer wechseln. Wir werden, wie gesagt, all das sehr sorgfältig betrachten. Es ist meiner Ansicht nach eine vordringliche Aufgabe, das sehr genau zu prüfen.
In dem Zusammenhang möchte ich noch sagen: Wir streben eine Ergänzung des Außenwirtschaftsgesetzes an, gemäß der eine Mitsprachemöglichkeit bzw. ein Einspruchsrecht der Bundesregierung verankert wird, wenn Anlagen, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreffen, den Besitzer wechseln oder mehr als 25 Prozent der Stimmrechte von Betreibern solcher Anlagen erworben werden. Ich appelliere an alle, die noch unentschlossen sind, dieses Gesetz rasch auf den Weg zu bringen. Sonst sieht es hinterher möglicherweise so aus, als ob sich die Gesetzesänderung gegen einen bestimmten Käufer richten würde. Ich fände es gut, wenn es dieses Instrument gäbe; denn dann könnte man es, wenn man es braucht, anwenden.
Ich hoffe, dass Unternehmen sich, falls sie einen Verkauf vornehmen - so etwas können wir ja nicht verhindern -, sehr verantwortungsbewusst bei der Auswahl der Firma, die dann möglicherweise das Netz erwirbt, zeigen und sich nicht rein nach dem Verkaufserlös richten, sondern all die von mir angesprochenen Punkte mitberücksichtigen.
Ansonsten wünsche ich mir eine gute Gesetzesberatung. Wir vom Bundeswirtschaftsministerium sind jederzeit bereit, auftauchende Fragen zu klären.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.
Gudrun Kopp (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Das EU-Kartellrechtsverfahren gegen Eon ist in der Vergangenheit, Herr Minister Glos, in der Tat sehr gespenstig gelaufen. Ich hätte mir gewünscht, dass kein Deal, so wie es geschehen ist, abgeschlossen worden wäre, sondern dieses Kartellrechtsverfahren erst einmal ganz normal durchgeführt worden wäre.
Mich beunruhigt nicht, dass Eon sein Übertragungsnetz verkaufen möchte. Dabei handelt es sich um eine freie unternehmerische Entscheidung. Diesen Schritt würden wir durchaus begrüßen. Es kann aber nicht sein, dass ein Deal geschlossen wird, wobei wir den ?Preis? dafür nicht erfahren. So etwas sollte es nicht geben.
Gerade in der Energiewirtschaft brauchen wir strukturelle Reformen. Wir müssen hier Strukturen aufbrechen. Dabei geht es darum, dass die Stromerzeugung von der Netzverantwortung in gewisser Weise getrennt wird. Wir haben hierzu einen entsprechenden Antrag eingebracht und darin festgehalten: Die eigentumsrechtliche Entflechtung stellt für uns die Ultima Ratio dar. Zugleich haben wir in einem weiteren Antrag die Schaffung einer Netz AG für Deutschland, in die alle Netze von Netzbetreibern eingebracht werden, vorgeschlagen. Eine solche Netz AG sollte unabhängig arbeiten und Investitionsentscheidungen treffen können, also alle Verantwortung für die Netze tragen, damit auf der einen Seite dem Durcheinander und auf der anderen Seite der Marktkonzentration, die wir augenblicklich haben, ein Ende gemacht wird. Außerdem wollen wir eine Entflechtungsnorm aufnehmen. Auch das ist eine wichtige Forderung. Das Kartellamt muss die Möglichkeit haben, bestimmte Strukturen gerade im Erzeugungsbereich aufzubrechen. Dazu braucht man mehr als nur einige wenige Gesetzeskorrekturen, nämlich vielmehr ein Schwert, mit dessen Hilfe entsprechende Maßnahmen tatsächlich durchgesetzt werden können.
Was in die derzeitige politische Landschaft passt, das ist die Frage, wer, wenn jemand die Netze verkauft, sie kaufen soll. Plötzlich kommt die Debatte auf, ob nicht der Staat der Eigentümer der Netze sein sollte. Diese Einstellung aufseiten der Linken wundert mich nicht. Aber in Richtung SPD und Grünen muss ich sagen: Wir haben doch erlebt, dass der Staat eben nicht der bessere Verwalter ist. Als Beispiel nenne ich die Bahn. Hier sind wir derzeit in schwierigsten Privatisierungsberatungen. Dies zeigt, dass es nicht sinnvoll ist, den Staat zum Verwalter zu machen. Die DDR haben wir mit all den wirtschaftspolitischen Dissonanzen, die es dabei gegeben hat, hinter uns gelassen.
Das kann es nicht sein.
Ich hoffe, Herr Minister Glos, dass Sie die Kraft haben, sich hier durchzusetzen, und dass Sie die Marktöffnung an dieser Stelle positiv begleiten und nicht durch mehr Staat intervenieren wollen.
Wir haben heute den Gesetzentwurf zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung vorliegen. Beim Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz, das ja ein weiteres Mal verändert werden soll, gibt es eine Besonderheit. Die Ausgangslage war, dass auf der Basis der Daten von 1998 im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung von 2002 bis 2005 CO2-Einsparungen im Umfang von 10 Millionen Tonnen und bis 2010 im Umfang von mindestens 20 Millionen Tonnen erfolgen sollen. In der Zwischenzeit hat die Bundesregierung einen Bericht, eine Art Zwischenbilanz, vorgelegt. Dieser Bericht gibt sehr klar und deutlich zu erkennen, dass diese Einsparungen nicht annähernd erreicht wurden. Das heißt, das Instrument hat nicht gewirkt. Die Bundesregierung hat jetzt entschieden, einen Turnaround zu machen und zu sagen, wir wollen weiter fördern, weil das Ergebnis nicht gestimmt hat, und zwar so lange, bis ein Ergebnis herauskommt, das uns passt.
Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass durch das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz bis 2010 mit Zusatzkosten, die die Verbraucher zu tragen haben, im Umfang von 5,6 Milliarden Euro zu rechnen ist. Das bedeutet eine Steigerung der Kosten bis 2010 um 1,2 Milliarden Euro. Wer hat diese Zusatzkosten zu tragen? - Natürlich wieder einmal die Energiekunden. Das ist nicht akzeptabel, ganz zu schweigen davon, dass auch diese Änderung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes im Grunde genommen technologieselektiv ist. Hier will Politik eine ganz bestimmte Technologie umsetzen. Auch wenn die Instrumente nicht greifen und das Ergebnis nicht zufriedenstellend ist, soll weitergemacht werden. Nun, so hat Minister Glos ausgeführt, sollen bis 2020 25 Prozent des gesamten Stroms in Deutschland durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt und damit eine Verdoppelung vorgenommen werden.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass mit der Verlängerung der Laufzeit des Gesetzes auch eine Ausweitung des Geltungsbereichs einhergeht. Es sollen jetzt nicht nur kleinere Anlagen Fördermittel beantragen dürfen, sondern auch größere Anlagen.
Das heißt, die Größengrenzen werden gestrichen und die Wärmenetze sollen mit in die Förderung hinein. Die Anzahl der zu fördernden Anlagen und Netze wird also steigen. Es wird ein Finanzvolumen von 750 Millionen Euro pro Jahr aufgesetzt, und zwar gedeckelt. Darüber hinaus soll für diejenigen, die solche Anlagen betreiben, die Möglichkeit bestehen, bis Ende 2014 ihren Dauerbetrieb anzumelden. Die Förderung würde dann bis 2020 laufen. Das bedeutet im Umkehreffekt: Durch die Änderung dieses Gesetzes werden - wiederum zulasten der Verbraucher - bis 2020 weitere 7,5 Milliarden Euro als Fördermittel gebunden. Dieses Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz entwickelt sich zu einem Dauersubventionsinstrument. Wir haben davon ja schon einige andere; das kennen wir aus der Vergangenheit. Das können wir von der FDP-Bundestagsfraktion nicht akzeptieren.
Wir sagen: Die neuen Fördertatbestände bringen neue Informationspflichten, also neue Bürokratie, mit sich. Pro Jahr fallen dadurch Verwaltungskosten von circa 430 000 Euro für die jeweiligen Einheiten an. Diese Belastungen entstehen Wirtschaft und Verwaltung in diesem Bereich zusätzlich.
Wir, die FDP-Bundestagsfraktion, haben schon lange gefordert, dass die Instrumente, die angewandt werden, um Klimaschutz zu realisieren, dringend durchforstet werden müssen. Die Liberalen haben den Entwurf eines Wärmegesetzes eingebracht. Dieses Wärmegesetz sollte in den Emissionshandel integriert werden. Dann gäbe es an dieser Stelle Klimaschutz plus Kosteneffizienz und somit eine ganz andere Bilanz.
Das, was die Bundesregierung jetzt andenkt, also eine Verlängerung der Geltungsdauer des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, mit dem die festgelegten Ziele - ich sage es noch einmal sehr deutlich - nicht erreicht, sondern verfehlt worden sind und das zusätzliche Kosten verursacht, wird die Verbraucher unter dem Strich belasten, ohne dass es zu dem notwendigen Ergebnis und zur Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente kommt. Dies lehnen wir deutlich ab.
Zu dieser Debatte passt eine Umfrage. An diese will ich erinnern, weil natürlich immer wieder die Frage im Raum steht, wie nahe wir in der Energiepolitik an der Realisierung unseres Zielkanons, bestehend aus Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit, sind. In einer aktuellen Umfrage des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung wurden 200 Energieexperten aus Deutschland danach befragt, was nach ihrer Beobachtung Priorität in der Energiepolitik hat, die die Bundesregierung betreibt. Die Forscher sagten: Höchste Priorität hat bei der Bundesregierung mit 61 Prozent die Umweltverträglichkeit, nur noch mit 25 Prozent die Wirtschaftlichkeit und mit mageren 14 Prozent die Versorgungssicherheit.
Herr Minister Glos, das zeigt sehr deutlich: Sie haben bescheinigt bekommen, dass das, was Sie leisten, nicht dazu beiträgt, dass der in der Energiepolitik bestehende Zielkanon, der gerade für die Wirtschaftspolitik, für Sie als Ressortleiter von besonderer Bedeutung wäre, ausgewogen realisiert wird. Sie müssten dafür sorgen, dass Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit eine Einheit mit dem Klimaschutz bilden können. Das tun Sie leider bis heute nicht. Deshalb mahnen wir Liberalen Sie noch einmal: Tun Sie etwas, um diesen Zielkanon endlich in ein Gleichgewicht zu bringen! Sorgen Sie für mehr Wettbewerb und sorgen Sie auch dafür, dass die Privatverbraucher genauso wie die Unternehmen in unserem Land nicht über Gebühr mit Kosten belastet werden, wodurch sie weniger wettbewerbsfähig sind!
Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen heute einen Antrag vor, der sich mit mehr Wettbewerb im Messwesen im Strom- und Gasbereich befasst. Gerade im Messbereich gibt es eine große Chance. In den Haushalten und Unternehmen gibt es 125 Millionen Messgeräte für Wasser, Strom und Gas. Hier Wettbewerb zu schaffen und mit intelligenten Zählern und Messmethoden den Verbrauchern zu verdeutlichen, wann sie wie viel Strom verbrauchen und wie sie ihren Stromverbrauch regulieren können, bietet eine hervorragende Chance, Gebühren zu sparen. Diese Chance gibt es sowohl für die Wirtschaft als auch für die Privatverbraucher.
Herr Minister Glos, zwei Dinge sind nach unserer Ansicht nicht in Ordnung: Sie treten in Ihrem Gesetzentwurf für eine Öffnung des Messwesens innerhalb von sechs Jahren ein. Sie möchten, dass zunächst das Gewerbe und die Industrie davon profitieren und erst dann, zeitversetzt, die Privatkunden, also die Haushalte. Zu dieser Abstufung sagen wir: Sie sind nicht ehrgeizig genug. Gehen Sie schneller voran. Sie brauchen keine sechs Jahre, um die Marktöffnung zustande zu bringen. Sorgen Sie dafür, dass die Marktöffnung schnellstmöglich erfolgt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, bitte.
Gudrun Kopp (FDP):
Legen Sie die notwendige Verordnung vor und sorgen Sie dafür, dass die Privatkunden von der Öffnung genauso profitieren wie die Gewerbe- und Industriekunden.
Das nützt den Verbrauchern und wäre eine konsequente, marktorientierte Energiepolitik.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.
Rolf Hempelmann (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wenn wir gerne über vieles andere reden, beschäftigen wir uns heute vor allen Dingen mit der Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, des KWKG. Für viele von uns ist das ein vertrautes Thema. Spätestens seit den Koalitionsverhandlungen fordern einige Fraktionen, unter anderem die SPD-Fraktion, die Vorlage eines Monitoringberichts. Es war klar, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Mit dem am 5. Dezember im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf wurde eine tragfähige Grundlage für die parlamentarischen Beratungen geschaffen, die von allen an der Kraft-Wärme-Kopplung Interessierten positiv aufgenommen wurde. Vielen Dank dafür.
Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung ist neben der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des EEG, und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes ein Schwerpunktthema des integrierten Energie- und Klimapakets der Bundesregierung. Zu der geplanten Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 soll dieses Paket mit einer Minderung des CO2-Ausstoßes um 36 Prozent beitragen.
Der Ausbau der hocheffizienten KWK - im Jahr 2020 sollen 25 Prozent des Stromverbrauchs durch KWK gedeckt werden - ist ein unverzichtbarer Bestandteil dieser Strategie. Die Verdopplung des KWK-Anteils - heute liegt er bei etwa 12 Prozent - wird zu einer jährlichen Reduktion der CO2-Emissionen um knapp 15 Millionen Tonnen führen; der Minister hat das eben schon erwähnt. Dieses Potenzial - ich denke, darüber sind wir uns in diesem Hause einig - darf nicht ungenutzt bleiben.
Spätestens seit Vorlage des Monitoringberichts zum derzeit geltenden KWKG wissen wir, dass auf diesem Sektor Handlungsbedarf besteht. Der KWK-Anteil konnte in den letzten Jahren gerade einmal stabilisiert werden - insbesondere aufgrund von Investitionen kommunaler Unternehmen. Gleichzeitig hat die Zwischenprüfung, also der Monitoringbericht gezeigt, dass auf der Grundlage des bisherigen Gesetzes das CO2-Minderungsziel für das Jahr 2010 nicht erreicht werden kann. Unter anderem deshalb haben wir frühzeitig zu dieser Novelle gedrängt. Nach dem Motto ?Besser spät als nie? freuen wir uns, dass der Entwurf heute vorliegt.
Die KWK ist die effizienteste Technologie zur Ausnutzung des Energiegehaltes eines Primärenergieträgers. Wir können mit ihr nach dem derzeitigen Stand der Technik Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent erreichen. Sie leistet damit nicht nur einen wesentlichen Beitrag zur Minderung des CO2-Ausstoßes, sondern trägt auch zur Ressourcenschonung bei. Aufgrund dieser Vorteile ist das 25-Prozent-Ziel für 2020 auch kein End-, sondern ein Zwischenziel. Wir können davon ausgehen - das vom BMWi ausgegebene Gutachten macht das deutlich -, dass hier noch weitere Potenziale schlummern, die mittelfristig gehoben werden sollten.
Wir setzen nicht auf ein einzelnes Instrument zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, sondern wir schaffen neben dem KWKG auch an anderen Stellen geeignete Rahmenbedingungen für die KWK, unter anderem im Erneuerbare-Energien-Gesetz. Denn - viele haben das beobachtet - gerade in Regionen, in denen es hohe Anteile sowohl von erneuerbaren Energien als auch von Kraft-Wärme-Kopplung gibt, haben wir es durchaus mit einem Konkurrenzverhältnis zwischen beiden zu tun. Deswegen wird jetzt im KWKG eine Gleichbehandlung von KWK und erneuerbaren Energien eingeführt. Zugleich streben wir in der Novelle des EEG eine verbesserte Netzintegration der erneuerbaren Energien an. Das schafft mehr Planbarkeit in diesem Bereich und entschärft die Binnenkonkurrenz zwischen KWK und erneuerbaren Energien.
Ein zweiter Bereich, in dem wir die Rahmenbedingungen für KWK setzen, ist der Emissionshandel. Hier haben wir eine Doppelbenchmark für den Nationalen Allokationsplan bis zum Jahre 2012 durchgesetzt. Das heißt, es gibt eine Zuteilung sowohl für den Strom- wie für den Wärmeanteil. Wir wollen diese Präferenz der KWK auch weiterhin, also auch nach 2012, erhalten. Wir begrüßen deswegen den Kommissionsvorschlag, für die Wärmeproduktion im Bereich der KWK keine Versteigerung von Zertifikaten vorzusehen.
Dennoch - auch wenn diese Instrumente wichtig sind - ist das KWKG das zentrale Instrument zur Förderung dieser Technologie. Deswegen wollen wir an dieser entscheidenden Baustelle schnell vorankommen. Wir bauen im Gesetzentwurf weiterhin auf eine umlagefinanzierte Förderung der KWK - das ist richtig -, aber wir stehen dazu, dass wir auch neue Fördertatbestände schaffen. Es ist klargeworden, dass wir allein mit den bisherigen Mitteln die ambitionierten Ziele nicht erreichen werden.
Wir setzen die Förderung modernisierter KWK-Anlagen fort. Hinzu kommt aber, dass wir neu errichtete KWK-Anlagen ohne Größenbeschränkungen fördern und die industrielle Eigenerzeugung einbeziehen wollen. All diese Schritte sind notwendig, um die vorgegebenen Mengenziele erreichen zu können. Im Übrigen - das ist jedenfalls ein Petita unserer Fraktion - sollten wir überprüfen, ob wir Eigenerzeugung nur in der Industrie oder auch in anderen Branchen und Sektoren - im Handel, im Gewerbe, im Dienstleistungssektor - einbeziehen. Ich denke, die Trennung, wie wir sie bisher im Entwurf haben, macht relativ wenig Sinn.
Wir haben einige andere Petiten, die wir im Rahmen der parlamentarischen Beratungen ansprechen werden. So ist durchaus darüber zu diskutieren, dass wir zur Zielerreichung mindestens die zugesagten Mittel flexibler über die Jahre verwenden können. Möglicherweise muss man auch über eine Mittelerhöhung nachdenken. Wir brauchen mit Sicherheit eine Verlängerung der Anmeldefristen über den 31. Dezember 2014 hinaus. Ich will nur einen Grund nennen, der für eine solche Fristverlängerung spricht: Wir alle wissen, dass wir im Kraftwerksbereich - das gilt im Übrigen für Anlagen bei erneuerbaren Energien genauso wie in jedem anderen Bereich, also auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung - einen stark überhitzten Kraftwerksbaumarkt haben. Das führt zu Knappheiten und erhöhten Preisen. Dies lässt sich am besten durch eine Streckung des Investitionszeitraums ausgleichen. Insofern ist auch eine entsprechende Verlängerung der Anmeldefristen notwendig.
Ein weiterer uns wichtiger Punkt betrifft die Förderabbrüche, die wir bei den kleinen KWK-Anlagen kommen sehen. Hier gibt es eine sprunghafte Entwicklung. Die Förderung in bestimmtem Umfang bei kleinen und in geringerem bei größeren KWK-Anlagen wollen wir durch gleitendere Regelungen ersetzt sehen. Hier haben wir also - Sie sehen das - noch eine ganze Menge Detailarbeit vor uns.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass in dem vorliegenden Entwurf auch der Aus- und Neubau von Nah- und Fernwärmenetzen vorgesehen ist. Hier sollen Investitionszuschüsse gegeben werden. Ich glaube, das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des Gesetzes insgesamt. Schließlich ist die Erschließung von Wärmesenken notwendig, um die zusätzlichen Wärmepotenziale, die wir durch die Erhöhung des Anteils der KWK schaffen wollen, auch vermarkten zu können.
Meine Damen und Herren, ich denke, dass viele Fragen, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, durch den vorliegenden Gesetzentwurf schon beantwortet sind. Über einige andere Fragen, die ich gerade aufgezählt habe, werden wir in der weiteren Debatte noch zu diskutieren haben.
Klar ist: Die KWK trägt zur weiteren Dezentralisierung unserer Energieversorgungslandschaft bei. Sie führt uns ein Stück weit weg von den großen Kondensationskraftwerken und hin zur Erhaltung lokaler Wertschöpfung und lokaler Arbeitsplätze. Sie stärkt die Stadtwerke, die ihren Strom bereits zu über 80 Prozent durch KWK erzeugen. Damit stärkt sie auch die Anbietervielfalt und den Wettbewerb. Das sind viele zusätzliche Argumente, die dafür sprechen, die Kraft-Wärme-Kopplung weiterzuentwickeln.
Auch wenn wir im Bereich der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2020 sehr erfolgreich sind und es schaffen, ihren Anteil an der Stromerzeugung auf 30 Prozent zu erhöhen, ist für uns klar, dass wir in großem Umfang auch fossile Energieträger verstromen müssen, hier in Deutschland, vor allem aber im Ausland, insbesondere in Schwellenländern wie China und Indien. Wenn wir bei der KWK Fortschritte erzielen, dann können wir national und international einen Beitrag zur klimaverträglichen Nutzung fossiler Energieträger leisten. Das ist gut für das Klima. Das ist aber auch gut für unseren Export. Deswegen glaube ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
In den letzten Monaten haben wir erlebt, dass Neuinvestitionen in Kraftwerke, insbesondere in Kohlekraftwerke, vor Ort auf Widerstände stoßen. Das ist in gewissem Umfang nachvollziehbar, zum Beispiel dann, wenn es um große Kondensationskraftwerke geht. Ich persönlich glaube allerdings, dass wir auch in diesem Bereich nicht ganz ohne neue Kraftwerke auskommen werden. Schließlich sollen sie alte, klimaschädliche Anlagen ersetzen. Jedenfalls ist klar: Wir alle müssen ein großes Interesse daran haben, dass neue Kraftwerke entstehen, die auf der Basis von Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden. Es werden aber auch solche dabei sein, die mit Kohle befeuert werden.
Ich denke, es ist auch die Aufgabe von Politik, hier für Aufklärung und Akzeptanz zu sorgen. Wir brauchen in Deutschland eine Art Arbeitsteilung. Wir müssen eine sichere Energieversorgung, die Schaffung der Rahmenbedingungen für die Erhaltung von Industriearbeitsplätzen in der energieverbrauchenden Industrie und unsere anspruchsvollen Klimaschutzziele miteinander verbinden. Das wird nicht funktionieren, wenn man republikweit überall CO2-freie Zonen einrichtet. Auch die Regionen müssen bereit sein, über neue KWK-betriebene Kraftwerke hinaus einen Beitrag zu leisten.
Ansonsten würden wir von den Realitäten sehr schnell überholt.
Wir müssen an vielen Fronten gleichzeitig erfolgreich sein. Wir brauchen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien; dazu haben wir in der letzten Sitzungswoche die erste Lesung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes durchgeführt. Wir brauchen eine massive Steigerung der Energieeffizienz auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite; dazu werden wir entsprechende Maßnahmenpakete auf der Basis der Beschlüsse von Meseberg vorlegen. Wir brauchen die Modernisierung des fossilen Kraftwerksparks, und zwar möglichst unter Einsatz der umweltfreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung. Wenn wir diese drei Ansätze parallel verfolgen, dann ist das eine gute Voraussetzung sowohl für Fortschritte im Bereich der Ökologie als auch im Bereich der Ökonomie.
Ein weiterer wichtiger Punkt, der heute bereits angesprochen worden ist und den auch ich nicht unerwähnt lassen will, betrifft die Netze. Auch eine wettbewerbsneutrale Organisation des Netzbetriebes muss in unser aller Interesse liegen. Wir brauchen einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen, wir müssen möglichst vielen Anbietern eine faire Chance auf diesem Markt geben, wenn wir den Wettbewerb vorantreiben wollen. Wir brauchen aber auch den Ausbau der Netze. Denn es ist klar, dass unsere Netze, wenn unsere Energieversorgung durch KWK und durch erneuerbare Energien dezentralisiert wird, immer leistungsfähiger werden müssen. Wir brauchen deswegen Rahmenbedingungen, die auf ein angemessenes Netzentgelt abzielen. Es muss am Ende so sein, dass der Verbraucher keinen Euro mehr zahlt als notwendig, zugleich aber Renditen erzielt werden können, die Investitionen in die Netze attraktiv halten. Das ist ein schwieriger Balanceakt, insbesondere für die Bundesnetzagentur. Aber Enteignungsfantasien, Entflechtungsvorschläge, wie sie aus Brüssel kommen, haben nicht den Nachweis gebracht, dass sie zu dem gewünschten Doppelziel - zu sinkenden Preisen und mehr Investitionen - führen; wer sich die Zahlen des United Kingdom anschaut, wird zu diesem Ergebnis kommen.
Meine Redezeit ist abgelaufen, und ich möchte nicht dem nächsten Redner unserer Fraktion Redezeit stehlen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der nächste Redner - dem Sie die Redezeit nicht stehlen können - ist der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion Die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verstehe ja, dass Sie mir gern die Redezeit stehlen würden; aber da steht die parlamentarische Geschäftsordnung davor. Insofern müssen Sie jetzt zuhören.
Es war heute Morgen schon von der sozialen Marktwirtschaft die Rede. Wir definieren soziale Marktwirtschaft als eine wirtschaftliche Ordnung, die Lohndumping und Monopolpreise verhindert. Wenn wir die Situation in unserem Lande betrachten, müssen wir feststellen, dass wir nicht besonders erfolgreich gearbeitet haben: Wir haben derzeit fallende Löhne, also echtes Lohndumping, während die Monopolpreise steigen. Das ist das Gegenteil von dem, was das Ergebnis der Ordnungs- und Wirtschaftspolitik einer sozialen Marktwirtschaft sein müsste.
Es hat keinen Sinn, wenn wir hier - dieser Ansatz ist ja unstreitig - über die energetischen Wirkungsgrade der Kraft-Wärme-Kopplung dozieren. Die Frage ist vielmehr, in welchem politischen Umfeld wir diskutieren: Viele Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland leiden zurzeit darunter, dass sie fallende Löhne, fallende Renten zu verkraften haben, während die Monopolpreise schamlos steigen. Das muss das Thema der heutigen Debatte sein.
Ich widme mich jetzt nicht den fallenden Löhnen, ich widme mich den steigenden Preisen und sage, dass die bisherige Ordnungspolitik der Regierung schlicht und einfach nicht die gewünschten Erfolge hat oder, wenn man so will, dass in den letzten Jahren eine Ordnungspolitik gemacht worden ist, deren Ergebnisse im Gegensatz zu den Zielen stehen, die immer wieder vorgetragen werden. Die Monopolunternehmen kassieren immer noch schamlos ab. Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger, die, ich sage es noch einmal, mit fallenden Löhnen und fallenden Renten konfrontiert sind. Das ist die Lage in Deutschland.
Was kann man machen, um diese Entwicklung zu verhindern? Es gibt einen Ansatz, den die Linke schon mehrfach vorgetragen hat und den auch andere Fraktionen befürworten: Das ist eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung. Eine verschärfte Kartellgesetzgebung ist in einer marktwirtschaftlichen Ordnung die einzige Möglichkeit, Monopole zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass der Wettbewerb seine soziale Funktion erfüllt: zu Preisen zu führen, die akzeptabel sind. Monopole haben die Folgen, die ich angesprochen habe. Die Linke ist für eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung, weil es nicht darum geht - ich zitiere das sehr gerne -, wirtschaftliche Macht zu kontrollieren, sondern darum, wirtschaftliche Macht überhaupt zu verhindern.
Das ist ein Ansatz, für den ich mich immer wieder ausgesprochen habe. Ich berufe mich hier nicht auf Karl Marx, sondern auf Walter Eucken - damit Sie wissen, woher dieser Ansatz kommt.
Es ist nicht gelungen, wirtschaftliche Macht zu kontrollieren. Wir haben in Deutschland Monopolunternehmen, die die Energiepolitik in den letzten Jahren weitgehend bestimmt haben und die teilweise über Lobbyisten die Gesetzgebung beeinflusst haben, was zu den negativen Folgen geführt hat, mit denen wir heute konfrontiert sind.
Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Kartellgesetzgebung verschärft wurde und dass die Verfahren nicht länger auf die Stromerzeuger beschränkt bleiben, sondern auch auf die Gasversorger ausgedehnt werden. Das war notwendig.
Ich stimme der Kritik durchaus zu: Es geht nicht an, dass sich die Monopolunternehmen mit einigen Gesten freikaufen können. Die Kartellverfahren sollten durchgezogen werden, damit Vertrauen in solche Verfahren entsteht und nicht damit gerechnet werden muss, dass der Lobbyismus wieder zu einem Deal führt und die Kartellverfahren zurückgezogen werden.
Erstens ist also - darin besteht offensichtlich Übereinstimmung - eine Verschärfung der Kartellgesetzgebung notwendig, wenn wir Monopolpreise verhindern wollen.
Zweitens stellt sich die Frage - darin gibt es unterschiedliche Auffassungen -, wer für die Netze zuständig sein soll. In der Fachdebatte ist es weitgehend unstreitig, dass man die Netze von den Stromerzeugern trennen sollte. Ich wundere mich, dass die Bundesregierung in dieser Frage den falschen ordnungspolitischen Ansatzpunkt vertritt - damit ist sie innerhalb der Europäischen Union ziemlich isoliert -, Netzbetrieb und Stromerzeugung nicht zu trennen. Das passt ordnungspolitisch wie die Faust aufs Auge. Denn wenn man an dieser Position festhält, dann wird es nicht gelingen, Monopolpreise zu verhindern.
Daher treten wir für die Trennung der Netze von den Stromerzeugern ein.
Daraus ergibt sich die Frage, wem die Netze übertragen werden sollen. Dabei kann ich mich mit einem gewissen Vergnügen auf Hermann Scheer berufen. Denn er hat sich als ein Energiepolitiker ausgewiesen, der tatsächlich die Verbraucher und den Umweltschutz im Blick hat. Er fordert eine öffentliche Netzbetriebsgesellschaft unter gemeinsamer Trägerschaft des Bundes und der Länder, die Eigentümer aller Stromübertragungsnetze werden sollten. Stromnetze seien unverzichtbarer Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur und gehörten zur Daseinsvorsorge ebenso wie Straßen und Schienen. Die Übernahme der Stromnetze durch die öffentliche Hand könnte Scheer zufolge über die Netznutzungsgebühren refinanziert werden. Eine öffentliche Netzgesellschaft sei zudem neutral gegenüber allen Stromproduzenten und könne behördlich zum Netzerhalt und -ausbau verpflichtet werden.
Damit trifft Hermann Scheer den Kern der Sache.
Die private Nutzung der Netze hat nur dazu geführt - das hat das Beispiel Eon gezeigt -, dass man auf der einen Seite überhöhte Preise fordert, aber auf der anderen Seite die notwendigen Netzinvestitionen unterlässt, und wenn man Schwierigkeiten mit der Kartellbehörde bekommt, bietet man das mehr oder weniger marode Netz anderen an. Dass man sich so der Verantwortung entziehen kann, ist die Folge einer falschen wirtschaftlichen Ordnung im Stromsektor.
An dieser Stelle will ich mit besonderem Genuss darauf hinweisen, dass die Kollegen der SPD-Fraktion ihre Vorlagen überarbeiten müssen. Wenn Sie sich mit den vermeintlich völlig unhaltbaren Forderungen der Linken auseinandersetzen, gilt der Vorschlag, die Netze in öffentliche Hand zu übertragen, immer als sehr kostenträchtig. Wir begrüßen es außerordentlich, dass dieser Vorschlag jetzt aus Ihren eigenen Reihen kommt. Das ist durchaus eine Veränderung.
Zur Kostensituation möchte ich Folgendes feststellen - leider ist der Kollege Struck nicht anwesend; vielleicht kann man es ihm ausrichten -: Man muss die Prozentrechnung beherrschen. Die einzige geistige Aufgabe, die man leisten muss, besteht darin, 5 Prozent des Sozialprodukts zu errechnen. Wenn man das ausrechnet, dann erkennt man, dass die gesamte Argumentation gegen die Linke in sich zusammenfällt.
Ich wiederhole mein Angebot: Ich schenke demjenigen eine goldene Uhr, der widerlegt, dass in Deutschland bei der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenquote Europas in den letzten Jahren keine einzige soziale Kürzung notwendig gewesen wäre. All diese Kürzungen waren ein einziger Betrug, weil man nicht in der Lage war, in Deutschland eine durchschnittliche Steuer- und Abgabenquote zu erheben, die dem europäischen Durchschnitt entspricht.
Ich fordere also alle neoliberalen Professoren, Journalisten und Abgeordneten auf, diesen Satz zu widerlegen. Eine goldene Uhr müsste eigentlich ein Anreiz sein.
Aber zurück zum Thema. Wir halten eine öffentliche Netzstruktur für notwendig. Der dritte Vorschlag der Linken, neben der Verschärfung des Kartellrechts und einer öffentlichen Netzstruktur, ist die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Das wird auch durch meinen Vorredner Herrn Hempelmann gestützt. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung gerade im kommunalen Bereich finanziert worden ist. Das hat seine Gründe. Es hängt mit den Auseinandersetzungen zusammen, zu denen es häufig kommt, wenn vor Ort größere Kraftwerksanlagen durchgeboxt werden sollen.
Wir hatten eine ähnliche Situation in einer saarländischen Gemeinde, in der RWE die Leistung eines Kraftwerksblocks von 400 Megawatt auf 600 Megawatt erhöhen wollte. Hätte man dort beispielsweise eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage auf einer vernünftigen Megawattbasis angeboten, dann wäre das sicherlich bei den Bürgerinnen und Bürgern auf große Zustimmung gestoßen. Wenn man aber die bisherige falsche Politik fortsetzt, den Monopolisten große Kraftwerksanlagen zu genehmigen, die keinen vernünftigen Effizienzgrad erreichen, dann ist es richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger eine solche verfehlte Politik ablehnen. Das ist der entscheidende Zusammenhang.
Aus diesen Gründen ist die Linke für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung. Dies ist nach unserer Auffassung ein geeignetes Instrument, um dem jetzigen Trend steigender Monopolpreise entgegenzuwirken und dem Gedanken des Umweltschutzes Rechnung zu tragen. Aufgrund von Naturgesetzen ist es unwiderlegbar, dass eine dezentrale Energieversorgung die umweltgerechteste Energieversorgung ist. Wenn man eine dezentrale Energieversorgung will, dann braucht man ein kartellrechtliches Vorgehen gegen die bisherigen Anbieter, die alles im Sinn haben, aber nicht eine dezentrale kleinräumige Energieversorgung.
Eine dezentrale Energieversorgung ist aber nicht nur ökologisch, sondern auch beschäftigungspolitisch sinnvoll, wie alle Untersuchungen in den letzten Jahren gezeigt haben. Man kann hier tatsächlich vieles zusammenbinden. Wenn man akzeptiert, dass man bei Ökologie nicht nur an Umweltschutz denken darf, sondern diesen Gedanken mit der sozialen Frage verbinden muss, dann muss man alle ordnungspolitischen Weichenstellungen so vornehmen, dass das Soziale mit dem Ökologischen verbunden wird; das heißt, man muss Monopolpreise unterbinden. Das heißt für uns auch eine Verschärfung des Kartellrechts und - das wiederhole ich - eine öffentliche Netzstruktur, damit man wirklich Wettbewerb organisieren kann.
Es bringt nichts - das ist ein großer Irrtum -, den einen privaten Eigentümer zu wechseln und ihn durch einen anderen privaten Eigentümer zu ersetzen. Auch dieser wird im Sinne haben, hohe Erträge und Renditen zu erwirtschaften. Damit wird er genauso preistreibend wie die bisherigen Netzeigentümer wirken. Geben Sie diesen verfehlten ordnungspolitischen Ansatz endlich auf!
Da Sie eben wieder von der DDR angefangen haben, muss ich Ihnen sagen, dass das langsam ein bisschen billig und nervend ist. Im Norden Europas befindet sich nicht die DDR. Wenn Sie beispielsweise in Dänemark oder Schweden Verhältnisse wie in der DDR festgestellt haben, dann haben Sie vielleicht eine falsche Sichtweise. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass man in diesen Staaten sehr gute Erfahrungen mit der öffentlichen Netzstruktur gemacht hat. Ich fahre gerne mit Ihnen dorthin und unterhalte mich vor Ort mit konservativen und auch liberalen Politikerinnen und Politikern. Für die Linke reklamiere ich eine solche Struktur. Sie ist ein besseres Instrument als die bisherige Netzstruktur und wird zu sinkenden Preisen führen.
Ich fasse zusammen. Wir können die Energiedebatte nicht nur auf der Grundlage technischer Daten führen. Wir können die Energiedebatte nicht abgehoben von der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Bundesrepublik führen. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass wir hier ordnungspolitisch versagt haben, weil wir eine wesentliche Zielsetzung der sozialen Marktwirtschaft grob verfehlt haben. Deutschland hat die dritthöchsten Gaspreise und mit die höchsten Strompreise in Europa. Sie liegen um 50 Prozent - man höre! - über dem europäischen Durchschnitt. Wenn noch fallende Löhne hinzukommen, dann zeigt das, dass die bisherige Energiepolitik zu korrigieren ist. Sie muss einer Energiepolitik weichen, die Umweltschutz und Soziales miteinander verbindet. Dazu haben wir Vorschläge gemacht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fand die Rede von Oskar Lafontaine schon spannend; denn eines hat er nicht gemacht: Er hat nicht zum Thema geredet.
Er hat sich gedacht: KWK - das versteht sowieso kein Mensch; die Kraft-Wärme-Kopplung ist so abstrakt. Da trage ich lieber meine bekannten Positionen wieder vor.
Ihre Art, Energiepolitik zu betreiben, Herr Lafontaine, ist sehr widersprüchlich.
Sie haben eben wieder das Kraftwerk Ensdorf im Saarland genannt; da kennen Sie sich ja gut aus. Die Leute haben mir auf einer Veranstaltung in Ensdorf - auch ich bin dort gewesen - gesagt, dass Sie sich gegen das Kraftwerk aussprechen, weil dort keine heimische Kohle verfeuert wird.
Hier gilt offensichtlich das Motto: Wenn saarländische Kohle verfeuert würde, dann würde es kein CO2-Problem geben. - Diese Energiepolitik ist nicht konsistent, Herr Lafontaine.
Sie haben hier zu Recht gesagt: Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sind eine gute Sache. - Darum geht es hier ja eigentlich. Ich frage Sie nun aber: Warum verteidigen Ihre Parteifreunde in den neuen Bundesländern jedes Braunkohlekraftwerk, und zwar große Kohlekraftwerke, die überhaupt keine Wärme auskoppeln können?
Ihre Haltung ist, auf alle Fragen eine einzige Antwort zu geben, egal wie das Thema heißt, nämlich Verstaatlichung. Da muss ich in der Tat sagen: Das ist nicht die richtige Logik, Herr Lafontaine. Verstaatlichung allein ist kein Konzept.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Höhn, darf Ihnen die Kollegin Enkelmann eine Zwischenfrage stellen?
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Frau Kollegin Höhn, Sie haben gerade behauptet, die Linke stimme für weitere Braunkohlekraftwerke. Ist Ihnen bekannt, dass die Linke in Brandenburg eine Volksinitiative gegen den Aufschluss weiterer Braunkohletagebaue und gegen den Bau weiterer Kraftwerke unterstützt? Dann können Sie hier nicht so etwas behaupten.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das ist mir in der Tat bekannt. Auf der einen Seite nehmen Sie in Brandenburg diese Position ein, weil Sie versuchen, die Stimmung in der Bevölkerung zu nutzen;
auf der anderen Seite stellen Sie sich in anderen Bundesländern hin und verteidigen die Braunkohlekraftwerke. Frau Enkelmann, das ist doch widersprüchlich:
Einmal so und einmal so, wie gerade der Volkswille ist. Das geht nicht. Sie müssen schon eine konsistente Politik betreiben und ein klares Konzept haben; sonst funktioniert es nicht. Ich kenne mich in dieser Debatte, gerade in Bezug auf die neuen Bundesländer, ganz gut aus.
Ich habe mich gerade gemeinsam mit Ihren Kollegen vor Ort gegen das Kraftwerk in Lubmin ausgesprochen; es gibt bei Ihnen ein paar Vernünftige. Es gibt aber auch die anderen, die eine vollkommen kontraproduktive Politik betreiben. Wie Sie handeln, hängt davon ab, wie die Stimmung vor Ort ist. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf; denn wer immer nur die Stimmung vor Ort aufgreift, betreibt keine Politik, die durchgehend nachvollziehbar ist.
Wir debattieren hier über Kraft-Wärme-Kopplung; ich möchte darauf zurückkommen. Kraft-Wärme-Kopplung hört sich irgendwie abstrakt an. Ich schätze einmal, 50 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, was Kraft-Wärme-Kopplung ist. - Herr Präsident, Sie haben ein Zeichen gegeben?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, so ist es. Ich bin ganz gerührt; denn es kommt so selten vor, dass Redner prompt auf solche Signale reagieren. - Auch die Kollegin Kurth wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Okay.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich möchte dafür sorgen, dass bei der Debatte hier im Hause kein einseitiges Bild entsteht, und daher meine Fraktionskollegin Bärbel Höhn fragen, ob ihr bekannt ist, dass im Burgenlandkreis - er liegt meines Wissens in den neuen Bundesländern - gerade von SPD, CDU, FDP und der Linken einträchtig ein Beschluss für den Bau eines Kraftwerks in Profen und für die Erschließung eines neuen Braunkohletagebaus gefasst worden ist?
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. Ich bedanke mich bei der Kollegin Kurth, dass sie darauf hingewiesen hat, damit die Widersprüche noch einmal deutlich werden.
Ich möchte zur Kraft-Wärme-Kopplung zurückkommen. Ich sagte bereits: Ich glaube, 50 Prozent der Bevölkerung wissen gar nicht, was das ist. Bei uns gibt es große Kraftwerke, die Strom erzeugen. Die meisten dieser großen Kraftwerke können die Wärme, die dabei produziert wird, überhaupt nicht nutzen. Eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage - das ist entscheidend - koppelt Strom, also Kraft und Wärme. Die großen Anlagen, die bei uns in Deutschland stehen und Strom erzeugen, können die abgegebene Wärme nicht nutzen und sind deshalb absolut ineffizient.
Woran liegt es, dass diese nichteffizienten Kraftwerke so stark verbreitet sind? Würden Sie hier in Berlin ein großes Kraftwerk auf dem Alex bauen? Nein, denn die Leute würden dann natürlich sofort demonstrieren; das würden sie sich nicht gefallen lassen. Also werden die großen Kraftwerke draußen auf dem Land gebaut. Dort gibt es aber niemanden, der die Wärme abnehmen kann. Der Effizienzgrad der alten Kraftwerke liegt bei rund 30 Prozent; die neuen Kraftwerke haben einen Effizienzgrad von 45 Prozent. Das heißt, dass mehr als die Hälfte der Energie ungenutzt bleibt und nicht von der Bevölkerung genutzt werden kann. Diese Art von großen Kraftwerken - die Wärme kann nicht genutzt werden, weil es keinen gibt, der sie abnimmt - können wir uns unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes nicht mehr leisten.
Die kleinen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen - sie sind teilweise so klein, dass man sie in ein Hotel oder in ein Familienhaus einbauen kann - haben einen Effizienzgrad von über 90 Prozent. Das heißt, nur ein kleiner Teil der Energie geht verloren. Wir führen gerade die Diskussion: Können wir uns neue große Kraftwerke in Deutschland noch leisten? Wir, die Grünen, sagen dazu: Wir können uns in Deutschland keine großen Kohlekraftwerke, keine großen Braunkohlekraftwerke und keine großen Steinkohlekraftwerke, mehr leisten; das ist mit dem Klimaschutz nicht vereinbar.
Interessanterweise sagt das Bundesumweltministerium: Wir können noch sechs oder sieben davon bauen, mehr aber nicht. Das finde ich schon spannend. De facto ist es aber so, dass momentan über 20 dieser gro0en Kraftwerke schon im Bau oder im Genehmigungsverfahren, also kurz vor der Realisierung, sind.
Ich will noch einmal an einen Satz von Angela Merkel aus dem letzten Jahr erinnern. Sie hat gesagt, dass jeder Mensch auf dieser Erde das Recht hat, die gleiche Menge CO2 auszustoßen. Wir wissen von den Experten, dass das nicht mehr als 2 Tonnen pro Person und Jahr sein dürfen, eher weniger. - Herr Göppel nickt. - Da wir in Deutschland 80 Millionen Menschen sind, dürfen wir im Jahr 2050, für das dieses Ziel angestrebt wird, also einen CO2-Ausstoß von 160 Millionen Tonnen haben.
Dieselbe Angela Merkel, die diesen Satz zu Recht gesagt hat, legt dann aber zusammen mit dem damaligen RWE-Chef Roels - jetzt heißt der Chef Großmann - den Grundstein für das Braunkohlekraftwerk in Neurath. Und welchen Wirkungsgrad hat dieses Kraftwerk? 43 Prozent. Welchen CO2-Ausstoß hat es? 14 Millionen Tonnen. Allein dieses eine Kraftwerk wird im Jahre 2050 10 Prozent der CO2-Menge ausstoßen, die uns dann noch erlaubt sein wird. Da sieht man, wie absurd es ist, eine solche Politik zu machen. Das geht so nicht!
Man darf nicht auf der einen Seite immer sagen, man sei für den Klimaschutz, sich aber auf der anderen Seite zum Beispiel für das große Kraftwerk in Lubmin oder das Kraftwerk in Neurath aussprechen.
Interessant ist auch die Position der SPD. Ich habe mir genau angeschaut, was die SPD auf ihrem Parteitag im letzten Jahr beschlossen hat. Man hat sich gegen große Kraftwerke ausgesprochen. Wenn es überhaupt noch Steinkohlekraftwerke geben solle, dann nur als kleine Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.
Es ist schon spannend, dass die SPD-Basis weiter ist als der Bundesumweltminister. Denn dieser verteidigt immer noch die großen Kraftwerke.
Das Gesetz, über das wir momentan sprechen, ist absolut notwendig. Wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen, müssen wir es besser machen als bisher. Denn das alte KWK-Gesetz hat nicht das erfüllt, was alle sich davon erwartet hatten. Kraft-Wärme-Kopplung hat momentan einen Anteil von gerade einmal gut 11 Prozent. Wir bräuchten aber viel mehr. Deshalb ist es falsch, wenn jetzt ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorgelegt wird, das eine Ausgabendeckelung bei 750 Millionen Euro vorsieht. Das ist zu wenig Geld, insbesondere wenn 20 Prozent der Mittel für den Netzaufbau eingesetzt werden sollen. Wir brauchen mehr Geld für die Kraft-Wärme-Kopplung; denn wir brauchen mehr Kraft-Wärme-Kopplung in diesem Land.
- Sehr schön, dass Sie mir dieses Stichwort geben, Frau Kopp. Das Bundesumweltministerium hat nämlich ausgerechnet, dass Kraft-Wärme-Kopplung sich sehr wohl rechnet, und zwar in Höhe von 12,90 Euro je eingesparter Tonne CO2.
Schauen Sie sich nur einmal an, wie teuer das - durchaus notwendige - Gebäudesanierungsprogramm ist, das dieselbe Bundesregierung aufgelegt hat, die dieses Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz vorgelegt hat. Verglichen mit den Kosten dafür, ist auch die Reduzierung des CO2-Ausstoßes durch Kraft-Wärme-Kopplung finanziell effizient. Genau das wollen wir, und deshalb müssen wir in diesem Bereich mehr tun.
Schauen wir doch einmal, was andere können. Dänemark liegt mittlerweile bei 53 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung. Die Niederlande liegen bei 38 Prozent. Sie haben in den 90er-Jahren in nur fünf Jahren eine Verdoppelung hinbekommen. Es gibt eine Aussage vom Bremer Energie-Institut, wonach in Deutschland 57 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung wirtschaftlich möglich seien. Diese 57 Prozent sollten wir so schnell wie möglich anstreben. Das muss das Ziel sein.
Ich möchte noch kurz auf die Stromnetze eingehen, über die gerade diskutiert wurde, obwohl sie eigentlich nicht Thema der Debatte sind. Eon hat in der letzten Woche in der Tat einen Coup gelandet, indem es seine Netze einfach zum Verkauf angeboten hat. Herr Glos, ich möchte einmal wissen, wie Sie sich gefühlt haben, als Sie in Brüssel noch über einen dritten Weg verhandelt haben, als Sie als Lobbyist von RWE gekämpft haben und aus der Zeitung erfahren haben, dass Eon schon lange einen Deal mit der EU-Kommission gemacht hat. Das war doch eine Blamage für die Bundesregierung!
Es war auch deshalb eine Blamage, weil Ihr dritter Weg überhaupt nicht tragfähig ist. Das, was Sie wollten, ging zurück auf die Lobbyarbeit der Energiekonzerne, aber noch nicht einmal aller. Eon hat dann gezeigt, dass es, um nicht in dem Kartellverfahren zu unterliegen und hohe Strafen zahlen zu müssen, bereit ist, sich auf einen Deal einzulassen. Ich gebe Ihnen recht, dass das nicht in Ordnung ist.
Aus meiner Sicht ist die Infrastruktur, also die Energienetze und das Schienennetz der Bahn, für die Wirtschaft in diesem Land absolut wichtig und notwendig. Deshalb muss der Staat die Kontrolle über die Infrastruktur haben.
Ob das alles in staatlicher Hand sein muss, ist eine zweitrangige Frage. Entscheidend ist doch, welche Kriterien wir für die Netze festlegen. Wir müssen für einen Ausbau sorgen, sodass der im Norden mit Windkraft erzeugte Strom in das Netz eingespeist werden kann. Es kann nicht sein, dass ein großer Teil dieses Stroms nicht in das Netz eingespeist werden kann. Das müssen wir ändern. Wir müssen des Weiteren die Netzengpässe beseitigen und die Kuppelstellen ausbauen. Wir müssen zudem neuen Stromproduzenten den Zugang zu den Netzen erleichtern. Das sind die entscheidenden Kriterien.
Ob das alles in staatlicher Hand sein muss oder ob das im Rahmen einer privaten Gesellschaft gemacht wird, ist eine zweitrangige Frage. Zuerst geht es um das inhaltliche Ziel, die Gestaltung der Netze. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, es ist total einfach, permanent Verstaatlichung zu fordern. Aber das ist nicht immer das beste Mittel. Gehen Sie ein bisschen differenzierter an die Sache heran!
Lassen Sie uns schauen, was sinnvoll ist: Ist es besser, wenn es in staatlicher, oder ist es besser, wenn es in privater Hand bleibt? Ist zum Beispiel eine Netzgesellschaft besser, die sowohl privat als auch staatlich sein kann? Das sehen wir in Dänemark und in der Schweiz. Das wäre ein viel besseres Vorgehen. Das sollten wir auch tun. Lassen Sie uns lieber inhaltlich diskutieren, anstatt plumpe ideologische Lösungen vorzuschlagen! Das brauchen wir nicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Bundesumweltminister Gabriel.
Sigmar Gabriel (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich nicht in meiner Eigenschaft als Minister, sondern als Abgeordneter des Deutschen Bundestages gemeldet. Ich danke der SPD-Fraktion, dass sie mir Gelegenheit gibt, ihr sozusagen die Redezeit zu stehlen. Es war nicht beabsichtigt, dass ich nach Herrn Lafontaine spreche.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Minister, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie sich mit dieser Klarstellung dem starren Regime unseres Redezeitmanagements unterworfen haben.
Sigmar Gabriel (SPD):
Ich habe mir vorher sagen lassen, dass ich nur fünf Minuten reden darf, und die schlimme Konsequenz erklären lassen, wenn nicht.
Ich finde es gut, dass Herr Lafontaine gesagt hat, welche Richtung er bei der Energiepolitik in Deutschland einschlagen will. Erstens. Frau Höhn hat absolut recht: Es wird in den nächsten Jahren um den Netzausbau gehen. Zweitens. Es ist eine zweitrangige Frage, wer der Träger des Netzausbaus ist. Drittens. Es ist interessant, festzustellen, wie die Realitäten dort aussehen, wo sich die Netze in öffentlichem Eigentum befinden. Herr Lafontaine, Sie haben auf die skandinavischen Länder verwiesen. Wenn man Dänemark dazuzählt, dann muss man feststellen: Dort, wo sich die Netze in öffentlichem Eigentum befinden, gibt es die höchsten Nutzungsentgelte. Herr Lafontaine, auch ich bin mit der Höhe der Strompreise in Deutschland nicht zufrieden. Aber eines ist klar: Deutschland ist netto Stromexporteur. Sie sagen immer, Sie hätten viel Ahnung von Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der Börse. Dann wissen Sie, dass die Preise an den europäischen Strombörsen festgelegt werden. Es fließt nur deshalb Strom von Deutschland in andere europäische Staaten, weil dort die Preise höher sind als in Deutschland. Das ist die Realität der Stromversorgung in Deutschland.
Wenn Sie der geschätzten Öffentlichkeit erklären, wir sollten das alles verstaatlichen bzw. zurückkaufen, dann sollten Sie wenigstens einen Satz dazu sagen, dass die Voraussetzung dafür ist, dass der Staat eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt und einen ausgeglichenen Haushalt hat. Sie können der Öffentlichkeit nicht bei jeder Gelegenheit sagen, der Staat solle es bezahlen, und dabei die Antwort auf die Frage schuldig bleiben, wie wir zu vernünftigen staatlichen Einnahmen kommen sollen.
Was Sie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wollen, führt dazu, dass das, was Sie hier öffentlich erklären, überhaupt nicht möglich ist. Mir geht es auch um die Konsequenzen Ihres Handelns.
Sie fordern die Rekommunalisierung. Sie wollen also den Netzausbau in Deutschland, die Milliardeninvestitionen, die notwendig sind, den Kommunen aufbürden. Ich kann bei dem Vorschlag nur sagen: Gute Besserung. - Das wird dazu führen, dass wir mit dem Netzausbau nicht vorankommen. Das Ergebnis wird sein, dass die erneuerbaren Energien nicht marktfähig werden. Übrigens werden auch die Stadtwerke keine Investitionen in Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung tätigen, wenn Sie ihnen den Netzausbau in Deutschland aufbürden. Was Sie machen, ist blanke Rabulistik und nichts anderes. Das hat mit Energiepolitik und Energieversorgung in Deutschland überhaupt nichts zu tun.
Deutschland hat übrigens die größte Netzstabilität in ganz Europa; Deutschland hat die geringsten Ausfallzeiten in ganz Europa. Es ist nicht ganz ohne, daran weiter zu arbeiten. Das erfordert Investitionen in das Netz. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Netzeigentümer Rendite erwirtschaftet. Tun Sie doch nicht so, als müsste ein Netzeigentümer in Zukunft keine ausreichenden Renditen mehr erwirtschaften! Bei dem, was Sie öffentlich erzählen, kann man den Eindruck gewinnen, dass das ein Nullsummengeschäft ist. Ich sage Ihnen: Da werden Milliardeninvestitionen fällig. Deswegen muss in diesem Bereich auch Geld verdient werden können.
Wir werden über die Eigentümerstruktur zu reden haben. Ich zum Beispiel will nicht, dass ausländische Staatsfonds zu neuen Oligopolisten werden und die alten Oligopolisten ablösen. Ich will nicht, dass Arbeitnehmerinteressen gefährdet werden.
Der Staat muss Rahmenbedingungen schaffen, aber wir sind doch nicht selber Unternehmer in dem Bereich. Wenn dem so wäre, dann hieße das, dass unsere Beamtinnen und Beamten bessere Netzinvestoren wären als diejenigen, die damit Geld verdienen wollen. Ich will den wirtschaftlichen Anreiz, mit dem Netz Geld zu verdienen, nutzen, damit mehr Anbieter in das Netz einspeisen können und damit mehr Wettbewerb entsteht. Es soll am Netz Geld verdient werden und nicht daran, dass man das Netz besitzt und andere, die einspeisen wollen, außen vor lässt. Darum geht es in der öffentlichen Debatte. Das wollen wir durchsetzen.
- Doch, wir tun das in Deutschland über eine Regulierungsbehörde. Wir haben nämlich inzwischen so niedrige Netznutzungsentgelte, weil es eine Regulierungsbehörde gibt, die sich darum kümmert,
und nicht deshalb, weil wir Eigentümer sind. - Wir setzen auf die dezentrale Energieversorgung, Herr Lafontaine redet darüber.
Der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommarkt beträgt inzwischen 14 Prozent. Das ist deutlich mehr, als wir erwartet haben. Wir wollen den Anteil auf bis zu 30 Prozent ausbauen. Es sind nicht nur die Kommunen alleine, sondern Hunderttausende von Menschen in Deutschland, die ihr Geld in erneuerbare Energien investiert haben, in Windenergie, in Solarenergie, in Wärmepumpen und in Holzpelletanlagen.
Das ist dezentrale Energieversorgung. Wir setzen auf das Kartellrecht und verschärfen es. Herr Glos tut das. Wir brauchen Ihre Ratschläge nicht dazu. Wir brauchen auch, Herr Lafontaine, niemanden, der den Eindruck erweckt, es gehe ihm hier im Bundestag um Klimaschutz; denn Mitglieder seiner eigenen Fraktion fordern dort, wo sie betroffen sind, mehr Verschmutzungsrechte für Braunkohlewerke in Deutschland. Das ist die Doppelzüngigkeit in der Energiepolitik, die Sie und Ihre Fraktion permanent an den Tag legen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst Folgendes feststellen: Frau Höhn, wenn Sie mir vor einigen Monaten gesagt hätten, dass ich einmal Ihre Meinung teile und Ihnen voller Überzeugung hier in diesem Hause applaudiere, dann hätte ich das in das Reich der Fabel verwiesen. Aber heute war es so.
Sie hatten im Wesentlichen mit dem, was Sie hier ausgeführt haben, recht.
Auch ich möchte auf die Linken und Meister Lafontaine eingehen; denn das ist in der Tat doppelzüngig und scheinheilig. Es sind schon die richtigen Begriffe genannt worden. Er stellt sich hier hin und sagt, dass die Preise steigen. In der Tat, die Preise steigen,
aber sie steigen auch deshalb, weil 40 Prozent des Preises von Haushaltsstrom staatlich induziert sind, aus Steuern und Abgaben bestehen. Ihre Fraktion hat schon zig Anträge gestellt, aber schauen Sie einmal dorthin, wo Sie in Verantwortung sind wie hier in Berlin. Was passiert dort mit den Abgaben, mit der Konzessionsabgabe und anderen? Sie erhöhen sie. Das heißt, Sie sind der größte Preistreiber.
Sie haben sich als Retter bzw. Hüter des Kartellrechts hingestellt. Ich frage mich, wo Sie waren, als wir darüber im Wirtschaftsausschuss und hier im Plenum diskutiert haben. Sie haben gegen die Novelle des Kartellrechts gestimmt, die wir im letzten Jahr eingebracht haben.
Das ist schon etwas doppelzüngig.
Zum Thema staatliche Netze. Das Netz ist ein natürliches Monopol. Ob das natürliche Monopol in staatlichem oder privatem Eigentum ist - es bleibt ein natürliches Monopol. Deshalb brauchen wir eine Regulierung, die diesem natürlichen Monopol entsprechende Rahmenbedingungen setzt und einen Als-ob-Wettbewerb darstellt. Hier haben wir vor fast drei Jahren gehandelt, und als Folge der seinerzeit eingeführten Regulierung sinken die Netznutzungsentgelte. Noch im vorletzten Jahr betrug der Anteil der Netznutzungsentgelte bei Haushaltsstrom 35 Prozent; im letzten Jahr sind die Entgelte um 1 Cent gesunken. Das heißt, die Regulierung hatte eine preisdämpfende Wirkung; dies werden Sie durch staatliche Reglementierung mit Sicherheit nicht erreichen. Insofern ist es unerträglich, wenn Sie hier den Robin Hood, den Rächer aller Enterbten, geben, in Wirklichkeit aber der Sheriff von Nottingham sind, der die Leute mit Planwirtschaft und Sozialismus entmündigt und auspresst. Das geht so wirklich nicht; das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Jetzt aber zum Thema des heutigen Tages, der KWK-Förderung und der Liberalisierung des Zähl- und Messwesens: Die Große Koalition ist keine innige Liebesbeziehung, wohl aber eine funktionierende Arbeitsbeziehung. Dies zeigt sich auch bei den beiden Themen, die wir jetzt diskutieren. Es ist schon ein bisschen schwierig, zu erklären, was KWK überhaupt bedeutet; Herr Kollege Hempelmann und andere haben es versucht. Wenn man sich mit Leuten, die nicht jeden Tag mit dem Energiebereich zu tun haben, über Kraft-Wärme-Kopplung unterhält, dann gucken sie einen erst einmal etwas komisch an. KWK ist in der Tat keine neue Kraftsportart und auch nichts Unanständiges; es soll niemand verkuppelt werden.
Bei KWK geht es schlicht um die Tatsache, dass bei der Stromerzeugung auch Wärme entsteht und dass diese Prozesswärme für Heiz- oder Kühlzwecke sehr effizient eingesetzt werden kann und muss. Eigentlich brauchte KWK gar nicht gefördert zu werden, weil es jeder von sich aus machen müsste. Leider ist das aber nicht der Fall. Da aus verschiedenen Gründen KWK nicht im notwendigen Umfang stattfindet, müssen wir das KWK-Gesetz erneut revidieren, Frau Kollegin Kopp. Es hat zwar nicht nicht gewirkt, wie Sie gesagt haben, aber es hat nicht in dem Umfang gewirkt, wie wir es uns vorgestellt haben. Deshalb justieren wir jetzt das KWK-Gesetz neu und ergänzen es um die Wärmenetze. Es soll also auch die Möglichkeit geben, über KWK Wärmenetze zu fördern. Ich habe es gerade zu beschreiben versucht: Wenn jemand in einer Anlage durch Stromerzeugung auch Wärme erzeugt, dann braucht er einen Abnehmer - eine Senke -, der diese Wärme kontinuierlich über das ganze Jahr abnimmt.
Bei der Ausstattung mit Netzen gehen wir sehr differenziert vor und fordern keine Wärmenetze und auch keine Nahwärmepflicht. Bei Neubaugebieten brauchen wir heute nämlich keine Wärmenetze und auch keine Kraft-Wärme-Kopplung im großen Stil mehr, weil wir mit dem Passivbaustandard oder gar mit dem Plus-Haus nicht mehr so viel Wärmebedarf - keine so große Wärmesenke - in einem Neubaugebiet haben. Dort brauchen wir Klein-KWK, was wir mit diesem Gesetz jetzt auch fördern wollen. Wir wollen mit diesem KWK-Gesetz neue, innovative Anlagentechniken einsetzen können, die in Deutschland entwickelt wurden und jetzt zum Exportschlager werden.
Was wollen wir damit erreichen? Wir haben das Integrierte Klima- und Energieprogramm und CO2-Reduktionsziele, die wir alle unterstützen und die natürlich nicht nur mit einem Instrument erreicht werden können. Insgesamt wollen wir bis 2020 CO2 um eine Größenordnung von 220 Millionen Tonnen reduzieren. So, wie wir das Gesetz jetzt angelegt haben, können wir mit einem Beitrag von 15 Millionen Tonnen 7 Prozent davon erreichen. Wir machen das aber nicht nur deshalb, sondern auch, weil es effizient ist. Es ist eine Win-win-Situation, die letztlich allen Beteiligten etwas Positives bringt.
Nun gehe ich auf den zweiten Punkt, die Liberalisierung des Mess- und Zählwesens, ein, der etwas technisch daherkommt, aber in seiner Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen ist. Heute bekommt jeder Bürger einmal im Jahr seine Stromrechnung, und während des Jahres leistet er Abschlagszahlungen auf der Basis des Vorjahresverbrauchs. Er weiß also gar nicht, was er monatlich, geschweige denn täglich oder stündlich an Strom verbraucht. Er kann zwar ab und zu einmal in den Keller gehen und den alten analogen Zähler ablesen - da läuft so eine komische Drehscheibe -; aber letztlich hat er keine direkte Beziehung zu dem von ihm verursachten Stromverbrauch. Mit den neuen Techniken - ich bin überzeugt, dass sie eine Revolution auslösen werden - erhält der Verbraucher die Hoheit über seinen Stromverbrauch; denn er kann sich jederzeit am Computer anschauen, wie viel Strom er verbraucht, etwa wenn er fernsieht, seine Geräte im Standby laufen lässt, sich rasiert oder auch nicht rasiert, wie mancher hier im Haus; Herr Thierse ist nicht da. Durch die neuen Techniken entstehen auch neue Geschäftsfelder; es werden neue Produkte und Dienstleistungen angeboten werden. Es wird sogar so weit gehen - dazu gibt es schon erste Überlegungen -, dass man einen Kuchen zwei Stunden später backt, weil nicht nur Großverbraucher, sondern auch Angehörige normaler Haushalte die jeweils aktuellen Strompreise kennen. Das heißt, der vermeintlich kleine Schritt der Liberalisierung des Zähl- und Messwesens wird zu großen Umwälzungen führen und Effizienzvorteile für alle bringen: für den Verbraucher im Haushalt sowie für die Industrie und das Gewerbe. Der Wettbewerb eröffnet neue Geschäftsfelder. Das ist die Energiepolitik, die wir betreiben wollen. Wir setzen auf Wettbewerb und erreichen so das Beste für den Verbraucher und die Wirtschaft.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Dirk Becker, SPD-Fraktion.
Dirk Becker (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir Sozialdemokraten uns die Redezeit solidarisch geteilt haben, möchte ich mich auf einige Eckpunkte zum Thema Kraft-Wärme-Kopplung beschränken. Zu den allgemeinen energiepolitischen Themen ist genug gesagt worden. Die Aussagen zur Kraft-Wärme-Kopplung waren übersichtlich. Ich möchte daher einige Punkte noch einmal betonen.
Frau Höhn und Herr Pfeiffer haben zu Recht von dem Problem berichtet, Kraft-Wärme-Kopplung zu vermitteln. Das ist nicht sexy. Solarenergie, Geothermie, das sind spannende energiepolitische Themen. Kraft-Wärme-Kopplung ist eigentlich viel zu einfach: Es geht darum, einen normalen Verbrennungsprozess, egal mit welchem Brennstoffträger, zu nutzen, um Wärme und Strom auszukoppeln. Das ist eine ganz einfache Sache. Die höchste Effizienz, die es auf dem Energiemarkt gibt, zu nutzen und somit einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ist der Kern der heutigen Diskussion.
Heute Morgen haben beide Energieminister gesprochen - ich sehe gerade keinen von beiden -;
ich will auf den ersten kurz Bezug nehmen. Herr Glos hat natürlich - das ist in Energiedebatten üblich - einen Schwenk auf das Thema Atomenergie gemacht. Dass es darüber in der Großen Koalition unterschiedliche Auffassungen gibt, wissen wir. Eines will ich deutlich sagen: Wenn wir die Energie, die wir verwenden, um das Thema Atomenergie strittig zu diskutieren, nutzen würden, um die KWK auszubauen, würde sich die Diskussion über die Atomenergie erledigen; denn die Potenziale der KWK sind entsprechend groß.
- Frau Kopp, Sie schütteln den Kopf: Das ist nicht Beckers Wunschkonzert. Sie sollten die Gutachten lesen. Sie sollten schauen, was eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ermittelt hat: Die Potenziale sind riesig. - Dass Ihnen das nicht passt, ist klar. Ihre energiepolitische Linie führt in eine Einbahnstraße. KWK ist im Endeffekt ein wichtiger Baustein für den Energiemarkt der Zukunft.
Die SPD-Fraktion hat schon 2005 begonnen, einen Gesetzentwurf vorzubereiten. Wir haben ihn letztes Jahr in die Diskussion eingebracht. Das war aufgrund der Haltung des zuständigen Ministeriums lange Zeit nicht einfach, weil es grundsätzlich andere Ausrichtungen bezüglich der Fragen ?Ist KWK schon eigenwirtschaftlich darstellbar?? und ?Wie sieht es mit der Erreichung des Ziels, den CO2-Ausstoß zu vermindern, aus?? gab. Ich möchte mich beim Wirtschaftsministerium ausdrücklich bedanken - man braucht jetzt nicht zurückzublicken -, dass dort mittlerweile die Einsicht eingetreten ist, dass es weiterhin einer umfassenden Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung bedarf, damit wir unser gemeinsam vereinbartes Ziel erreichen. Dieses Ziel heißt: Der Anteil des KWK-Stroms soll bis 2020 auf 25 Prozent steigen.
Ich sage sehr deutlich: Für die SPD ist dieses Ziel das Kriterium, an dem wir unsere Maßnahmen ausrichten wollen. Wenn wir dieses Ziel verfehlen, ist nicht nur ein Ziel im IKEP verfehlt. Wenn wir mit dieser Technologie die 25 Prozent nicht erreichen, scheitert auch das Ziel der Bundeskanzlerin, bis 2020 die Energieeffizienz in diesem Land zu verdoppeln. Ohne KWK gelingt es nicht. Ohne KWK realisieren wir auch keine 40 Prozent CO2-Minderung. Das heißt: KWK ist ein Schlüsselbaustein in der gesamten Klimastrategie, und so sollten wir sie jetzt auch behandeln.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Wirtschaftsministerium Eckpunkte, die unseren Forderungen entsprechen, gesetzt hat. Dazu gehören Neubau und Modernisierung ohne Größenbegrenzung. Frau Höhn, an dieser Stelle bin ich anderer Auffassung als Sie. Wir können nicht sagen, dass KWK toll und effizient ist, dies aber nur im kleinsten Bereich wollen. Sie sprachen von Hotels, Areal- und Objektversorgung. Wenn wir die Kapazitäten in diesem Land insgesamt erneuern wollen, gehört es zur ehrlichen Diskussion, dass wir auch große Anlagen mit dem Brennstoff Kohle brauchen, die in der Doppelung der Energieauskopplung für Wärme und Strom wesentlich effizienter sind als konventionelle Kondensationskraftwerke. Das müssen wir den Menschen ehrlich sagen, um für Akzeptanz größer Kraftwerke, unabhängig vom Brennstoff, zu werben.
Für uns Sozialdemokraten sind im Endeffekt drei weitere Punkte wichtig. Die industrielle KWK muss in Gänze berücksichtigt werden, nicht nur das produzierende Gewerbe. Wir müssen den Anmeldezeitraum - Rolf Hempelmann hat es gesagt - verlängern. Man müsste eigentlich sagen: bis die 25 Prozent erreicht sind. Das wird aber so nicht möglich sein. Wir werden uns über einen anderen Zeitraum verständigen müssen.
Wir müssen außerdem über die Frage der Finanzen reden. Der Bundesrat hat einen Antrag gestellt, der eigentlich schlüssig ist. Wir Sozialdemokraten hatten ursprünglich 850 Millionen Euro gefordert. Das war die Höchstbelastung im Jahr 2006. Es würde also keine Mehrbelastung der Verbraucher geben, sondern der Höchstbetrag von 2006 würde entsprechend beibehalten. In jedem Fall muss es einen Ausgleich zwischen der Förderhöhe und der Höhe des Deckels geben sowie Flexibilisierung, was Netzausbau und Energieerzeugung angeht. Ansonsten haben wir ein großes Problem, unser Ziel zu erreichen. Noch einmal: Für uns steht die Frage der Zielerreichung im Mittelpunkt. Alle Instrumente müssen darauf ausgerichtet werden.
Eines noch zur Frage der Zielerreichung. Die Große Koalition und die Bundesregierung haben sich ein hohes Ziel gesetzt: 25 Prozent. Das ist ein Ziel, mit dem man auch nach außen entsprechend auftreten sollte. Von daher ist es nach meiner Einschätzung eigentlich selbstverständlich, dass dieses Ziel im Gesetz zu Beginn deutlich benannt wird. Man braucht es nicht ein bisschen verschämt in der Begründung zu verstecken; wir haben keinen Grund dazu. Wir sollten dieses Ziel offensiv im Gesetzestext nennen; das würde ich mir wünschen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Weiter gute Beratungen!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Franz Obermeier ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Franz Obermeier (CDU/CSU):
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist mehrfach gesagt worden: Bis 2020 25 Prozent KWK-Strom, das ist die vorgegebene Zielsetzung. Wir Parlamentarier sollten alles daransetzen, dieses Ziel zu erreichen.
Ich halte das für extrem ambitioniert; denn die KWK-Realisierung war schon in der Vergangenheit - nicht erst, seit es die Gesetze gibt - mit einem großen Problem behaftet. Ich verweise auf die Kombination von Strom und Wärme bzw. Kälte an einer Lokalität - als jemand, der früher Anlagen konzipiert und entwickelt hat, weiß ich sehr genau, wovon ich rede -; genau dieser Umstand ist die Ursache dafür, dass die Regelung, die irgendjemand einmal Schläferprämie genannt hat, nicht den notwendigen Erfolg hatte.
Wir laufen auch mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf Gefahr, die Ziele noch nicht zu erreichen.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Prognos-Gutachten. Es besagt, dass mit den Möglichkeiten, die im Gesetz vorgesehen sind, 77 Terawattstunden Strom durch Kraft-Wärme-Kopplung erzeugt werden können. Das entspricht nicht 25 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland, sondern ist erheblich weniger. Zugleich besagt das Prognos-Gutachten: Die Kosten für die Vermeidung von CO2-Ausstoß über Kraft-Wärme-Kopplung liegen zwischen 33 und 49 Euro je Tonne CO2. - Das ist ein interessanter Wert und gibt mir die Motivation, für die Kraft-Wärme-Kopplung zu kämpfen und alles für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, die anerkanntermaßen eine ganz hervorragende Art der Energieerzeugung bzw. Energienutzung ist, zu tun.
Wir haben nun die Förderung bei 750 Millionen Euro gedeckelt. Es ist schon von einer Kollegin bzw. einem Kollegen gesagt worden, dass man diesen Betrag nicht starr bezogen auf ein Jahr sehen sollte, sondern eine gewisse Flexibilisierung ermöglichen sollte, damit es zu keinem Abbruch bei der Förderung kommt.
Es ist meines Erachtens gerechtfertigt, die Frage zu stellen, wie der zukünftige Kraftwerkspark in Deutschland aussehen soll, ob wir die großen fossilen Kraftwerke in Deutschland überhaupt noch brauchen. Selbst wenn wir es nämlich anlagen- und planungstechnisch darstellen können, dass die Wärme an mindestens 300 Tagen im Jahr vernünftig genutzt wird, stellt sich immer noch die Frage nach der Größenordnung, also wie viel Wärme tatsächlich sinnvoll genutzt werden kann. Deswegen ist es natürlich wichtig, zu überlegen, ob man nicht mit der Schaffung kleinerer Kapazitäten zu einer besseren Ausnutzung kommt. Ich könnte mir vorstellen, dass immer dann, wenn eine größere Fabrik errichtet wird - in meinem Wahlkreis ist das gerade der Fall -, neben der Produktionsstätte auch eine Kraftwerksanlage gebaut wird, die Prozesswärme für diese Anlage und eventuell auch für weitere, in der Umgebung liegende Verbraucher erzeugt. Wenn unsere Gesetzgebung dafür sorgt, dass Betreiber solcher Anlagen einen Anreiz bekommen, in Kraft-Wärme-Kopplung zu investieren, dann haben wir ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht.
In der vergangenen Woche, Herr Bundeswirtschaftsminister, war Ihre Staatssekretärin Dagmar Wöhrl bei der Inbetriebnahme einer Brennstoffzellenanlage in meinem Wahlkreis dabei. Es handelt sich um eine Anlage, die 200 Kilowatt elektrische Leistung und einen erheblichen Anteil an Wärme erzeugt. Diese Wärme wird dann in einer Kläranlage für die Trocknung von Klärschlamm genutzt.
Ich meine, wir sind technologisch auf einem sehr guten Weg. Dieses Gesetz wird die Kraft-Wärme-Kopplung weiter befördern. Wir müssen scharf beobachten, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Wir müssen auch dafür sorgen, dass wir technologisch weiterkommen und dass neben der Doppelnutzung von Primärenergie zugleich auch die Energieeffizienz von Anlagen zunimmt. So könnten wir die Kraft-Wärme-Kopplung zu einem Erfolgsmodell werden lassen und es schaffen, dass bis zum Jahr 2020 ihr Anteil 25 Prozent an der Stromerzeugung beträgt.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Klaus Barthel ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Klaus Barthel (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind ja jetzt endlich wieder bei den Themen angekommen, um die es heute eigentlich geht. Wir sollten dabei die Schlagzeilen, die die Stromzähler derzeit machen, für unsere Zwecke nutzen. Auf der diesjährigen CeBIT konnte man sehen, dass die Stromzähler digital werden; manche Zeitungen schrieben von ?Hightech- Stromzählern?.
Für uns Verbraucher bedeutet dieser Fortschritt, dass wir dann zu Hause am Stromzähler oder am PC sehen können, wenn wir stromfressende Geräte betreiben, und unser Verhalten entsprechend verändern können. Im Kfz ist es ja heute schon zur Normalität geworden, dass man nicht erst an der Tankstelle, sondern schon während des Fahrens darauf aufmerksam gemacht wird, wenn man zum Beispiel aufgrund des Fahrverhaltens zu viel Sprit verbraucht. In Kombination mit den lastabhängigen Stromtarifen kann intelligente Haustechnik Kosten sparen. Zum Beispiel kann sich die Waschmaschine erst dann einschalten, wenn der Strom günstig ist, und eben nicht sofort.
Der bisher durchaus schon vorhandene Wettbewerb beim Einbau und Betrieb von Strom- und Gaszählern hat bisher weder dazu geführt, dass die Preise für die längst abgeschriebenen Zähler gesunken sind, noch dazu, dass innovative Zähler eingeführt wurden. Man muss sich ja auch fragen, welches Interesse der bisherige Zählerbetreiber, nämlich die EVUs, haben sollte, moderne Zählertechnik einzubauen; denn er lebt ja vom Verbrauch und nicht vom Sparen. Die Bundesregierung hat in ihrem Evaluierungsbericht aufgezeigt, dass die fehlende Marktöffnung bei der Messung, also bei dem Ablesen der Messgeräte, ein wesentliches Wettbewerbshindernis beim Betrieb dieser Messstellen ist. Dieses Hindernis wird mit Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung beseitigt.
Auch wenn es in den Berichten wie Science Fiction klingt und die intelligente Waschmaschine noch nicht auf dem Markt ist, haben wir jetzt auf dem Strommarkt die Chance, intelligente Zähler im Wettbewerb zu etablieren und den Verbraucherinnen und Verbrauchern damit eine deutlich erweiterte Kontrolle ihres Stromverbrauchs zu geben. Dahinter steckt die Zielvorstellung, innerhalb der nächsten sechs Jahre zu einem möglichst flächendeckenden Einsatz von solchen Zählern und Steuerungen sowie zu lastvariablen Tarifen zu kommen.
Nach der E-Energy-Studie, die im Auftrag des BMWi erarbeitet worden ist, geht es hier um einen Markt von etwa 49 Millionen Zählstellen mit einem Gesamtvolumen von etwa 5 Milliarden Euro. Das ist eine hohe Investition, aber auf die Dauer sicherlich lohnend für die Verbraucher, die Volkswirtschaft und das Klima.
Gerade im Zusammenhang mit den künftigen lastvariablen Tarifen kann eine Stromkostenkontrolle zur Verschiebung der Nachfrage in Schwachlastzeiten genutzt werden. Das Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie geht von einer Einsparmöglichkeit von 5 bis 10 Prozent des Gesamtstromverbrauchs der Haushalte aus. Das wären etwa 5 bis 10 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das ist doch was! Wenn teure Spitzenlastkraftwerke nicht mehr in gleichem Umfang benötigt werden wie bisher, dann führt das außerdem zu sinkenden Stromerzeugungskosten und zur Entlastung der Netze.
Es geht darum, den Wettbewerb so zu gestalten, dass ein Anreiz für neue Anbieter und für die Nachfrage nach deren Angeboten entsteht. Dazu benötigen wir einfache, schnelle und kostengünstige Geschäftsprozesse. Deswegen brauchen wir eine Standardisierung und Anwendungsmöglichkeit der Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur auf die Beziehung zwischen den Netzbetreibern und den Messstellenbetreibern und hinsichtlich der Wechselmöglichkeit der Endverbraucher gegenüber den Messstellenbetreibern. Das mag sich alles technokratisch anhören, aber bei der Lösung der Energie- und Klimaschutzprobleme führt nur eine Gesamtstrategie mit vielen Elementen zum Erfolg. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb ist ein nicht zu unterschätzendes Element dieser Gesamtstrategie und deswegen hier nicht zu verachten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Als Umweltpolitiker bin ich der festen Überzeugung, dass wir die Verdoppelung des Anteils von Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung an der Gesamtstromerzeugung bis 2020 im Sinne von Ressourcenschonung und Klimaschutz brauchen. Deutschland als führende Wirtschaftsnation hat an dieser Stelle eine nicht zu unterschätzende Vorbildfunktion. Dass wir das im Rahmen der Umlagefinanzierung tun, halte ich für nicht verkehrt. Die Umlagefinanzierung wird nämlich wie beim EEG in ganz besonderer Weise der Verantwortung der Stromverbraucher für eine ressourcen- und klimaschonende Stromversorgung gerecht. Sie ist an dieser Stelle sehr viel zielorientierter und effizienter als beispielsweise die Ökosteuer, mit der wir den Stromverbrauch auch belasten.
Wenn man über das Thema Effizienz redet, dann muss man, wie hier schon mehrfach angeklungen, klipp und klar sagen, dass man, um die Effizienz zu steigern, die bei der Stromproduktion entstehende Wärme nutzen muss. Das geht nur durch Dezentralität. Dezentralität ist unabdingbar. Aus Sicht eines Wirtschaftspolitikers sage ich: Sie bietet natürlich auch Chancen; denn es geht bei diesem Thema auch um den Mittelstand, sowohl was die Produktion als auch den Verbrauch angeht. Für den Mittelstand steht die Union wie kaum eine andere Partei.
Die Netze sind reguliert worden. Den Stadtwerken müssen wir zurufen, dass sie ihr Heil auch in der Stromproduktion suchen müssen, weil dank des Bundeswirtschaftsministers im Bereich der Netze keine Monopolgewinne mehr möglich sind. Das ist auf der einen Seite ein entscheidender Erfolg. Auf der anderen Seite müssen wir aber den Stadtwerken, denjenigen, die auch davon betroffen sind - das sind ja nicht nur die großen Vier -, entsprechende Geschäftsmodelle aufzeigen. In diesem Sinne ist das Einspeiserecht, das wir im KWK-Gesetz genauso verankert haben wie im EEG, ein wichtiges regulatorisches Element, eine Voraussetzung dafür, dass auch kleine Unternehmen, Mittelständler Zugang zu den Netzen haben. Wir tun hier etwas ganz besonders Wichtiges und Richtiges.
Angesichts dessen, was Oskar Lafontaine heute zum Besten gegeben hat, frage ich mich schon, warum er immer dann, wenn unser Wirtschaftsminister handelt, nicht mit dabei ist, zum Beispiel dann, wenn es um eine Verschärfung des Kartellrechts geht. Warum stimmen Sie da nicht zu? Als Vertreter der Union sage ich aber auch: Sehr viel Wert legen wir auf die Stimmen der Linken nicht.
Die Effizienzförderung ist im Übrigen ein industriepolitischer Eingriff, um auch in diesem Bereich die Technik voranzubringen. Es besteht die Frage, wo in Zukunft Klimaschutz gemacht wird und wie über das Thema des Klimaschutzes entschieden wird. Nur dann, wenn es uns gelingt, technisch voranzukommen, werden wir nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit etwas verändern.
Nun ist heute mehrfach über den Strompreis diskutiert worden. Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass wir hier eine Deckelung brauchen, dass wir aber nicht alles, was mit Klimaschutz zu tun hat, sofort deckeln sollten. Das sage ich auch in Richtung der eigenen Reihen. Wir können letztendlich nicht unsere Kanzlerin deckeln. Das sollten wir nicht tun; denn sie ist die Galionsfigur beim Klimaschutz.
Deshalb bitte ich, dies entsprechend zu berücksichtigen.
Wenn man eine solche Deckelung beschließt, wie man sie im Moment vorsieht - eine Deckelung der KWK-Zuschlagssumme bei 750 Millionen Euro pro Jahr und eine Deckelung des Zuschlags für den Neu- und Ausbau von Wärmenetzen bei 150 Millionen Euro pro Jahr -, dann entsteht ein Problem, wenn der Kreis der zuschlagsberechtigten KWK-Anlagen- und Wärmenetzbetreiber sehr weit gefasst wird. Darüber sollten wir im Laufe der Debatte noch einmal nachdenken.
Wir brauchen aus meiner Sicht zum einen Eingrenzungen, was das Thema Netze angeht. Da dürfen wir uns nicht zu stark auf die großen Netze, die Fernwärmenetze im großstädtischen Bereich, versteifen. Die Investitionsvolumina sind hier sehr groß; hier würden wir die Deckelung relativ schnell erreichen. Zum anderen müssen wir beim Thema der Versorgung über die Frage nachdenken, ob industrielle Anlagen zur Eigenversorgung wirklich erkennbar förderbedürftig sind oder ob man da nicht noch etwas nachjustiert, damit wir nicht zu schnell einen zu großen Druck auf diesen Deckel bekommen, was dazu führen würde, dass wir ihn relativ schnell anheben würden. Das bringt letztendlich nicht das gewünschte Ergebnis.
Wir setzen uns für eine zielgerichtete Förderung ein, für eine Förderung, die Investitionssicherheit schafft, insbesondere im Bereich der kleinen Anlagen unterhalb einer Leistung von 10 Megawatt; denn hier geht es wirklich darum, einen Anstoß zu geben, dass dieses Thema vorankommt.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8305, 16/8306 und 16/7872 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Uwe Barth, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Wissenschaftsfreiheitsgesetz einführen - Mehr Freiheit und Verantwortung für das deutsche Wissenschaftssystem
- Drucksache 16/7858 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wissenschaftssystem öffnen - Mehr Qualität durch mehr verantwortliche Selbststeuerung und Kooperation
- Drucksache 16/8221 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE
Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken
- Drucksachen 16/3192, 16/8369 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Grütters
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Uwe Barth
Dr. Petra Sitte
Kai Gehring
Interfraktionell sind für diese Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.
Cornelia Pieper (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der heutige Tag könnte zu einer Sternstunde des deutschen Parlaments werden; denn wir beraten die Initiative der FDP-Bundestagsfraktion für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz.
Der Antrag liegt Ihnen, Herr Tauss, bereits seit Ende Januar vor.
Wollen wir den rasanten Herausforderungen im globalen Wettbewerb standhalten, die Qualität unseres Wissenschaftssystems stetig steigern, vor allem aber internationalen Entwicklungen immer einen Schritt voraus sein und die besten Köpfe nach Deutschland holen, dann brauchen wir eine neue Kultur für Innovationen. Mit einem Wort: Wir müssen in der Wissenschaft mehr Freiheit wagen!
Dazu bedarf es eines mutigen Schrittes hin zu einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das der Wissenschaft wie der Wirtschaft gleichermaßen die notwendige Luft zum Atmen gibt, das Barrieren abbaut und Forschung und Lehre enger zusammenführt, das Eigenverantwortung stärkt und Bürokratie abbaut, das eine bessere Bezahlung der in- und ausländischen Wissenschaftselite ohne Fesselung innerhalb des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes ermöglicht und das Grenzen für Fachkräfte öffnet. Das ist die Wissenschaftspolitik, die wir von der Bundesregierung erwarten.
Ein athenischer Staatsmann, Perikles, hat bereits gesagt: Das Geheimnis der Freiheit ist Mut.
Angst schafft keine Zukunft! Angst vor neuen Forschungsfeldern und Erfindungen würde Deutschland in der Technologieführerschaft um Jahrzehnte zurückwerfen. Schauen wir uns die Politik der Bundesregierung an: Sie setzt in manchen Bereichen mehr auf Risiken denn auf Chancen. Schauen wir uns die grüne Biotechnologie an. Schauen Sie sich die Haltung der Bundesregierung zur kerntechnischen Sicherheitsforschung an. Aber auch die aktuelle Debatte über Stammzellforschung ist nicht das, was der Spitzenstandort Deutschland braucht. Wir brauchen mehr Freiheit für die Forschung in diesem Land.
Im Vergleich der größten Forschungsnationen liegt Deutschland hinter den USA und Japan auf Platz drei. Schwellenländer wie Indien, China und die Länder Südamerikas holen aber in einem rasanten Tempo nach, was sie in den letzten Jahren bei Forschung und Entwicklung versäumt haben. China wird Deutschland nach Einschätzung der Bundesagentur für Außenwirtschaft im kommenden Jahr als Exportweltmeister ablösen. Was heißt das? Wir müssen auf Ideen, auf neue Forschung setzen. Wir müssen auf Innovationen setzen. Die CeBIT ist ein Beispiel dafür, was wir damit weltweit bewirken können.
Deutschland braucht ein positives Forschungsklima - frei von ideologischen Debatten. Die vorherrschende, oft angstbesetzte Kultur des Risikos muss sich in eine zukunftsorientierte Kultur der Chancen wandeln, in der die Herausforderungen tatkräftig angegangen werden.
Deswegen setzt sich die FDP vehement dafür ein, dass der in Art. 5 des Grundgesetzes verankerten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in einem umfassenden Sinne Geltung verschafft wird. Die freie Entfaltung von Wissenschaft und Forschung muss ermöglicht werden. Bürokratische Hürden und ideologisch determinierte Überregulierungen gehören abgebaut, Frau Ministerin.
Eine Hochschule oder eine Forschungseinrichtung muss zukünftig wie ein Unternehmen geführt werden können. Trotz vieler Reformen ist es im außer- und universitären Forschungsbereich in den letzten 20 Jahren nicht gelungen, bestehende Hemmnisse im Haushaltsrecht, im Tarifrecht oder im Vergaberecht zu beseitigen. Das müssen wir jetzt anpacken. Es geht um ein leistungsfähiges deutsches Wissenschaftssystem. Wir müssen große Forschungsverbünde zwischen Wirtschaft, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen ermöglichen. Präsente und hervorragende Beispiele sind die RWTH Aachen, das Forschungszentrum Jülich oder auch das Karlsruhe Institute of Technology. Ausgerechnet dort, wo die FDP mitregiert, findet so etwas statt.
Beteiligungen an Ausgründungen und Unternehmen sind ein wichtiges strategisches Instrument. Globalhaushalte müssen eingeführt und die kameralistische Haushaltsführung muss abgeschafft werden. Das ist die Voraussetzung für die weitgehende Selbstverwaltung der Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland.
Wir fordern die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern zu handeln. Wir wollen insbesondere, dass der Wissenschaftstarifvertrag ein Thema für dieses Haus wird. Frau Ministerin, ich glaube, das ist eine Kernaufgabe für die, die sich für die Freiheit für Wissenschaft begeistern. Denn wir alle wissen: Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ist der größte Hemmschuh für unser Wissenschaftssystem im internationalen Wettbewerb. Er muss abgeschafft werden.
Frau Ministerin, fassen Sie Mut, überzeugen Sie den Innenminister und sorgen Sie dafür, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtungen endlich einen eigenen Wissenschaftstarifvertrag bekommen. Dann wären wir hinsichtlich der attraktiven Arbeitsbedingungen von deutschen, aber auch ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in diesem Land ein großes Stück weiter.
Ich frage Sie: Wann haben wir Ihr Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu erwarten? Für mich heißt der Schlüssel zum Erfolg: Freiheit für die Wissenschaft. Handeln Sie endlich!
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, wenn über die Entscheidungen der Bundesregierung die sie tragenden Fraktionen, Vertreter der Länder - Kollege Pinkwart, herzlich willkommen - und auch die Opposition einer Meinung sind.
- Pardon, Teile der Opposition, die Linke also ausgeschlossen. Das hätte mich auch gewundert.
- Was haben Sie mit den Linken zu tun? Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, Herr Taus.
Ich finde jedenfalls, dass es eine positive Entwicklung ist, wenn immer mehr Vertreter dieses Hohen Hauses die Ideen für mehr Selbstständigkeit, mehr Spielräume und für eigene Verantwortung vor Ort mittragen. Wir reden damit letztlich über den nächsten wichtigen Schritt zur Steigerung der Attraktivität Deutschlands im internationalen Wettbewerb der Wissenschaftssysteme und der Innovationsstandorte. Das ist das Thema.
Was in diesem Wettbewerb wird bedeutsam? Welche Faktoren spielen eine Rolle in diesem internationalen Wettbewerb, der keineswegs nur die Hochschulen, sondern zum Beispiel auch ganz zentral die Möglichkeiten, die Spielräume für die Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft betrifft? Ich rufe in Erinnerung - ich sage das auch, weil es in einem der vorliegenden Anträge steht -: Das ist natürlich nicht der einzige notwendige Schritt. Wir reden über ein ganzes Paket unterschiedlicher Schritte. Viele wurden schon getan. Ich erinnere an die Exzellenzinitiative, die eine wichtige Ausdifferenzierung im Wissenschaftssystem mit einer deutlich höheren Sichtbarkeit von einzelnen Hochschulstandorten geschaffen hat, an die Hightechstrategie und an den Spitzenclusterwettbewerb, der ein Paradebeispiel für die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft darstellt.
Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Internationalisierungsstrategie und auf strukturelle Weiterentwicklungen - ich habe das KIT eben schon genannt - hin. Übrigens ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung und der sie tragenden Regierungsfraktionen zum 3-Prozent-Ziel nicht zu vernachlässigen.
Auch das hat viel Dynamik ins System gebracht. Schließlich geht es um die Stärkung der Forschung an Universitäten durch die Einführung der Programmkostenpauschale. In einem Satz: Die Große Koalition hat bislang schon deutliche Bewegung in den Innovationsstandort Deutschland gebracht.
- Liebe Frau Burchardt, jetzt komme ich zum nächsten Punkt, der in Meseberg beschlossen wurde.
Kurz gesagt geht es dabei um die Spielregeln des Good Governance. Unsere Institute, das Fraunhofer-Institut, das Max-Planck-Institut, die Helmholtz-Gemeinschaft und andere, die in vielen internationalen Netzwerken sind und sich im Wettbewerb befinden, müssen in diesem Wettbewerb in den nächsten Jahren die gleiche Stärke behalten, die sie bislang hatten. Denn gerade unsere außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind im internationalen Wettbewerb stark. Klar ist aber: Das bisherige Regelwerk behindert die weitere Entfaltung und die weitere Internationalisierung. Deshalb muss dieses Regelwerk weiterentwickelt, modernisiert und flexibilisiert werden. Die Spielräume müssen vergrößert werden.
Wie ist im Moment der Stand der Dinge? Die Themen, um die es geht, und die Teile des Regelwerkes, die verändert werden sollen, sind identifiziert. Die Beratungen auf Arbeitsebene haben begonnen. Erste Schritte, die das BMBF ohne die Einbeziehung anderer Ressorts unternehmen kann - sie betreffen verwaltungsinterne Erlasse -, werden oder sind bereits auf den Weg gebracht. Die Eckpunkte für entsprechende Neuregelungen werden dem Kabinett im Sommer vorliegen.
Ich nenne vier Beispiele für das, was geplant ist:
Erstens. Die haushaltsrechtliche Detailsteuerung im Hinblick auf die Forschungseinrichtungen muss zurückgefahren werden. Mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz müssen die haushaltsrechtlichen Rahmenbedingungen flexibilisiert werden: Globalhaushalte, Übertragung der Haushaltsmittel, Ausbau der vorhandenen Deckungsfähigkeiten und Verzicht auf Stellenpläne. Wir brauchen eine aufgaben- und ergebnisbezogene Steuerung - keine Abschaffung der Steuerung, aber eine Modernisierung der Steuerung mit Blick auf Ergebnisse und Aufgaben.
Zweitens. Forschungseinrichtungen müssen ohne umständliche Genehmigungsverfahren Beteiligungen an Unternehmen im In- und Ausland eingehen können, um sich national, aber auch international zu vernetzen. Dadurch werden neue strategische Geschäftsfelder erschlossen und neue Kooperationspartner gefunden. Beteiligungen an Ausgründungen und die Gründung von Joint Ventures mit der Industrie sind die Voraussetzungen für die Verwertung von Spitzentechnologie.
Drittens. Bei Bau- und Vergabeverfahren müssen wir wissenschaftsfreundlicher werden. Aufwendige Verfahren und administrative Hemmnisse schaden der Innovationskraft. Deshalb muss es auch hier größere Spielräume für globale Bewilligungen geben.
Viertens. Wir brauchen die Flexibilisierung des Vergaberahmens. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, bei dem vor allem die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern wichtig sein wird. Es gehört ja zu den Stärken des deutschen Systems, dass Bund und Länder die Forschungsorganisationen gemeinsam tragen. Wenn ich von einer Flexibilisierung des Vergaberahmens spreche, dann meine ich nicht seine Abschaffung. Das dauert länger. Ich vermute, dass das erst der übernächste Schritt sein wird. Der nächste Schritt muss sein, dass wir auch im Hinblick auf die Globalhaushalte für eine Flexibilisierung sorgen, sodass es bei konkreten Verhandlungen deutlich größere Spielräume gibt als jetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, manches ist auch ohne Wissenschaftsfreiheitsgesetz machbar. Mein Haus wird schon jetzt, also im Vorgriff, die bestehenden Möglichkeiten nutzen, um die Beschränkungen der Förderung der Projekte von Forschungseinrichtungen, zu denen es in der Vergangenheit gekommen ist, aufzuheben. Das betrifft insbesondere die Bagatellgrenze für Zuwendungen; ein ganz konkretes Beispiel ist der berühmte Dudenhausen-Erlass.
Wir werden die Bagatellgrenze bzw. den Höchstwert für freihändige Vergaben im Wettbewerb von 8 000 Euro auf 30 000 Euro anheben.
Das heißt, dass die Forschungseinrichtungen bei vielen Beschaffungen von der Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung befreit sein werden.
Wenn wir von mehr Selbstständigkeit und mehr Freiheit reden, geht es nicht um weniger Verantwortung und weniger Rechenschaft. Wir - die Haushälter, die Finanzpolitiker, die Innenpolitiker und diejenigen, die sich in spezieller Weise mit Innovationsfragen beschäftigen - sind dabei, die Weichen zu stellen und neue Schritte zu tun, um die Innovationsbedingungen für die Organisationen zu modernisieren, die in besonderer Weise die Verstetigung der Dynamik, die entstanden ist, leisten sollen. Je größer der Konsens in diesem Hause, je größer der Konsens zwischen Parlament und Regierung, zwischen Ländern und Bund ist, desto umfassender kann das Paket werden. Ich wünsche mir ein Paket - so werden wir mit den Eckpunkten in die Ressortverhandlungen und ins Kabinett gehen -, von dem ein klares Signal und ein Schub für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen ausgeht.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Schneider von der Fraktion Die Linke.
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es durch einen Zwischenruf schon angedeutet: Ganz so breit ist die Übereinstimmung zwischen Opposition und Regierung nun doch nicht.
Worum geht es? Die Bundesregierung hat im August 2007 im Rahmen ihrer Meseberger Beschlüsse erklärt, dass sie, um die Rahmenbedingungen für Experten, Spezialisten und Nachwuchskräfte attraktiv zu machen, mehr Flexibilität für Forschungseinrichtungen und Hochschulen schaffen will. Weil diese Bundesregierung ähnlich wie ihre Vorgängerregierung gerne mit attraktiven Worthülsen arbeitet, hat sie sich nicht gescheut, eine kleine Anleihe in Nordrhein-Westfalen zu nehmen und hat ihr Projekt mit dem Etikett ?Wissenschaftsfreiheitsgesetz? versehen. ?Wissenschaft? ist gut, ?Freiheit? noch besser, ein ?Wissenschaftsfreiheitsgesetz? zu kreieren das Allerbeste.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nicht gerade begeistert darüber waren, wie kess die Große Koalition Ihr Anliegen übernommen hat.
Nun ist die Bundesregierung in Bezug auf Ankündigungen stets mit flotten Schritten unterwegs; bei der Umsetzung präferiert sie bekanntermaßen Trippelschritte. Das wiederum gibt der FDP die Möglichkeit, ihrerseits mit einem Antrag für die Einführung eines Wissenschaftsfreiheitsgesetzes vorzupreschen. Weil Sie von der FDP auf Bundesebene noch keine eigenen Vorschläge erarbeitet haben, schreiben Sie der Einfachheit halber nieder, was der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Kleiner, und seine Generalsekretärin, Frau Dzwonnek, im Bildungsausschuss vorgetragen haben. Das wiederum findet sich im sogenannten Barrierepapier der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren wieder.
Sie haben diese Forderungen eins zu eins übernommen - wahrlich keine große Leistung, eher ein Dokument überzeugender Lobbyarbeit.
Zu den Inhalten Ihres Antrags. Sie gehen in Ihrer Analyse davon aus, dass die Trennung der Aufgaben der Universitäten und der öffentlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen nicht unproblematisch ist und deshalb neue Wege zu einer engen Wissenschafts- und Forschungskooperation aller Akteure zu beschreiten sind.
Aus Sicht der Linken ist dem insoweit zuzustimmen, als die Trennung von außeruniversitärer und universitärer Forschung mittlerweile zu einem Missverhältnis in der Verteilung der Mittel geführt hat. Während die Hochschulen trotz steigender Studierendenzahl und steigenden Qualifikationsanforderungen mit stagnierenden Mitteln zu kämpfen haben, werden die Mittel für die ohnehin gut ausgestatteten außeruniversitären Forschungseinrichtungen durch den Pakt für Forschung und Innovation jedes Jahr um 3 Prozent erhöht. Mittlerweile erhalten die außeruniversitären Institute fast so viel an Mitteln wie die Hochschulen für den Forschungsbereich. Die Linke hält dies nicht für sinnvoll.
Wir vertreten die Auffassung, dass neue Wege einer engeren Kooperation nur ein erster Schritt sein können. Mittelfristig ist die historisch bedingte Versäulung jedoch zu überwinden.
Weiter gehen Sie in Ihrem Antrag - typisch liberal, wie ich meine - davon aus, dass sich die Forschungs- und Entwicklungspolitik auf Felder einer möglichen wirtschaftlichen Verwertung konzentrieren muss. Wir als Linke sagen Ihnen dazu deutlich: Wer die Forschungsförderung nur noch auf verwertungsnahe Bereiche konzentrieren will, der schafft keine Wissenschaftsfreiheit, sondern beerdigt sie.
Hochschulen und Forschungsinstitute haben die Aufgabe, je nach Profil mehr oder weniger zweckfreie wissenschaftliche Erkenntnisse auf allen gesellschaftlich relevanten Gebieten zu erarbeiten, kontrovers zu diskutieren und der Gesellschaft und ihren Mitgliedern zugänglich zu machen. Bereits heute ist der Einfluss wissenschaftsfremder Instanzen über private Drittmittel, Auftragsforschung, Stiftungsprofessuren etc. sehr hoch.
Autonomie wollen Sie stattdessen am liebsten dadurch schaffen, dass Sie nicht unproblematische Forschungsbereiche wie Kerntechnik, Sicherheits- und Endlagerforschung, Biotechnologie und Stammzellforschung jeglicher gesellschaftlichen Kontrolle entziehen wollen. Auch hier sagen wir als Linke deutlich: Die Freiheit der Wissenschaft kann und darf nicht durch unkontrollierte Eingriffe in Grund- und Menschenrechte durchgesetzt werden.
Auch die Wissenschaft muss sich auf dem Boden der Menschenrechte und des Grundgesetzes bewegen. Das nicht im Blick zu behalten wäre nichts anderes als ein unverantwortlicher und ungezügelter Liberalismus.
- Lesen Sie die einleitende Analyse Ihres eigenen Antrages!
Leider kann ich nur auf einige Aspekte Ihres Forderungsteils eingehen. Wie Sie die Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems dadurch steigern wollen, dass Sie die Verwendung öffentlicher Gelder in diesem Bereich einer öffentlichen Kontrolle entziehen wollen, ist schon bemerkenswert. So viel Liberalität würden wir uns auch gegenüber den sozial Schwachen - beispielsweise ALG-II-Beziehern - wünschen.
Wir als Linke sagen an dieser Stelle ganz klar: Die Einbringung solcher Ressourcen in gemeinsame Kooperationen mit anderen Einrichtungen oder gar Wirtschaftsunternehmen bedarf selbstverständlich der öffentlichen Kontrolle.
Im Hinblick auf Firmengründungen sollte Ihnen wenigstens bekannt sein, dass die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an privatwirtschaftlichen Firmen häufig zur Vernachlässigung ihrer Kernaufgaben führt. Sollte nun in großem Maßstab die Unternehmensbeteiligung Aufgabe der gesamten Einrichtung werden, entstünden öffentlich-private Partnerschaften mit den von uns immer wieder kritisierten Folgen wie Intransparenz, ungeklärte Fragen geistiger Eigentumsrechte und daraus resultierend die Sozialisierung anfallender Kosten bei gleichzeitiger Privatisierung anfallender Gewinne.
Ein besonderes Bonbon sind Ihre Ausführungen zu einem Wissenschaftstarifvertrag. Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein, dass solche Tarifverträge im Rahmen der Tarifautonomie mit Gewerkschaften ausgehandelt werden.
Insoweit würde es nicht schaden, einen Blick darauf zu richten, was derzeit von den betroffenen Gewerkschaften Verdi und GEW gefordert wird, bevor Sie exorbitante Gehälter und zusätzliche Sozialleistungen für Spitzenkräfte fordern. Mir scheint, dass Ihnen ein wenig der Blick für die Realitäten der Beschäftigten an Universitäten fehlt.
Werfen Sie einen Blick auf die Exzellenzhochburg Bayern! Die Pressestelle der Universität Bayreuth schreibt - ich zitiere-:
Über 60 Prozent der Forschung und Lehre an den Universitäten werden von wissenschaftlichen Mitarbeitern erbracht, viele von diesen befinden sich in der Qualifikationsphase für die Wissenschaftlerlaufbahn. Ihre Entlohnung aber weist noch schwerwiegendere Defizite als die der Professoren auf. Gegenwärtige Praxis
- in Bayern -
ist, dass Wissenschaftler mit erfolgreich abgeschlossenem Studium weit überwiegend auf halben Stellen promovieren - dabei jedoch mindestens 50 Arbeitsstunden pro Woche tätig sind. Sie erhalten in der Eingangsstufe E13/1 des neuen Tarifsystems der Länder (TVL) brutto 1.450 Euro und somit umgerechnet weniger als der tariflich festgelegte Mindeststundenlohn im westdeutschen Reinigungsgewerbe.
So weit die Universität Bayreuth.
Angesichts solcher Verhältnisse ist es doch nicht mehr als verständlich, dass Gewerkschaften zunächst einmal Lösungen für die breite Masse der Arbeitenehmer anstreben, bevor sie auch nur bereit sind, über die Vergütung von Spitzenkräften zu reden, zumal angesichts gedeckelter Haushalte höhere Verdienste in der Spitze nur durch eine Ausdünnung in der Breite realisiert werden könnten. Bei einem Verdienst von 1 450 Euro sehe ich diesbezüglich keine Einsparmöglichkeiten. Bevor Sie also auch nur auf die Idee kommen könnten, Ihre Spitzenkräfte zu beglücken, müssen Sie deutlich mehr Geld in das System pumpen, um die Defizite in der Breite zu beseitigen.
Ich möchte noch eine weitere Forderung aufgreifen, das Punktesystem für Einwanderer. Die Linke steht Vorschlägen positiv gegenüber, mit denen eine geregelte Zuwanderung ermöglicht werden kann. Ein System, wie es die CDU/CSU bevorzugt, das sich ausschließlich am Einkommen orientiert, lehnen wir ab. Insoweit sind die Vorschläge der FDP durchaus ein Fortschritt, weil hier weitere Kriterien berücksichtigt werden sollen. Dennoch können wir nicht zustimmen, dass Zuwanderung nur unter dem Blickwinkel von nationalstaatlichen und wirtschaftlichen Interessen beurteilt wird. Eine Einwanderungspolitik, die Menschen auf Verwertungsgrößen reduziert, lehnt die Linke ab.
Außerdem muss im Blickfeld bleiben, dass der Import von Fachkräften keinesfalls zulasten der Herkunftsländer gehen darf. Vieles von dem, was sich zwischenzeitlich global abspielt, kann nur noch als Bildungsimperialismus bezeichnet werden.
Fazit: Ich sehe wenig Chancen, dass meine Fraktion diesem FDP-Antrag im weiteren Verfahren wird zustimmen können.
Ich komme zu dem Antrag der Grünen. Die Auffassung, dass Transparenz und Gemeinnutzen ebenso wie die Gleichstellung wichtige Reformziele in der Wissenschaftspolitik sind, teilen wir. Nur ein kleiner Hinweis zum letzten Punkt: Deutschland ist nicht mehr so neoliberal, dass man Gleichstellung nur unter dem Aspekt von Effizienz- und Innovationsgewinn betrachten darf. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, man darf wieder den Aspekt der Gerechtigkeit betonen, und man darf auch auf das Grundgesetz verweisen.
Mit großem Interesse haben wir gelesen, dass die Grünen die Autonomie der Hochschulen mit verstärkter Mitbestimmung einrahmen wollen. Das sieht auch die Linke als sinnvoll an. Leider vermissen wir in Ihrem Antrag jedwede Konkretisierung zu diesem Punkt. Die weiteren Forderungen der Grünen sind im wahrsten Sinne des Wortes durchaus diskussionswürdig, positiv wie negativ. Die Vorstellungen zur Gleichstellungspolitik erscheinen uns noch unausgegoren. Wo gefordert wird, genuine Aufgaben unternehmerischer Forschung und Entwicklung staatlich direkt zu subventionieren, lehnen wir das als Linke entschieden ab. Den Forderungen zum Urheberrecht dagegen können wir uneingeschränkt zustimmen.
Auch die Grünen fordern einen Wissenschaftstarifvertrag. Dabei begrüßen wir als Linke insbesondere, dass die Grünen davon ausgehen, dass im Mittelpunkt des Arbeitsrechts in der Wissenschaft das unbefristete Arbeitsverhältnis stehen muss.
Aber Sie hätten etwas dazu sagen müssen, a) wie Sie das finanzieren wollen und b) dass dann unbedingt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz abgeschafft werden muss.
- Lieber Kollege Gehring, wir sagen an dieser Stelle, dass man Geld in das System pumpen muss. Sie aber verschweigen das. Daher frage ich mich, wie Sie das umsetzen wollen.
Ich wiederhole, dass ein Wissenschaftstarifvertrag bzw. wissenschaftsspezifische Regelungen im TVöD aus Sicht der Linken in erster Linie zur sozialen Absicherung der zunehmend prekär Beschäftigten, besonders der Lehrbeauftragten, Postdoktoranden, studentischen Beschäftigten, Promovierenden und des sonstigen Mittelbaus, führen müssen und nicht zur Zahlung exorbitanter Prämien an wenige. Dieser Wissenschaftstarifvertrag muss bundesweit einheitlich sein, damit die Zersplitterung im Tarifrecht für die Wissenschaft überwunden werden kann und Mobilität möglich ist.
Ein letzter Punkt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nein, Herr Kollege Schneider, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Ein allerletzter Satz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, nur auf einer breiten Basis werden Sie Spitzenkräfte bekommen. Wenn schon die jungen Wissenschaftler abwandern, dann haben Sie ein Problem.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion.
René Röspel (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute unter anderem über den FDP-Antrag, ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz einzuführen. Frau Ministerin Schavan hat deutlich gemacht, dass die Forderung nach einem solchen Gesetz und die Vorbereitung dazu auf die Initiative der Bundesregierung nach der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg im Sommer des letzten Jahres zurückgeht.
Erlauben Sie mir zu Beginn die grundsätzliche Bemerkung, dass Wissenschafts- und Forschungsfreiheit in Deutschland ein sehr hohes Gut sind und durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt sind. Wir haben über Forschungsfreiheit und ihre Grenzen sehr häufig diskutiert. Zuletzt ging es am Montag in einer fünfstündigen Anhörung um die Frage, inwieweit man in Deutschland mit embryonalen Stammzelllinien forschen darf. Forschungsfreiheitsbeschränkungen gibt es aber auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Diskussion um Tierversuche. Heute geht es also gar nicht um Forschungsfreiheit im eigentlichen Sinne, sondern um eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wissenschaft.
Man kann die Forschungsfreiheit positiv - durch Förderung - und negativ - durch Nichtförderung - beeinflussen. Erlauben Sie mir, dass ich kurz auf die ständig wiederkehrende Kritik am Atomausstieg in FDP-Anträgen eingehe; vielleicht können Sie das bei den nächsten Anträgen endlich einmal aussparen.
Ich bin ausdrücklich der Auffassung, dass die Politik im Sinne der Verantwortung für die ganze Gesellschaft und für künftige Generationen
die Möglichkeit haben muss, über die Forschungsförderung steuernd in die Forschung einzugreifen. Sie sollten es akzeptieren, dass eine durch Wahlen legitimierte Bundestagsmehrheit von SPD und Grünen vor einigen Jahren den Ausstieg aus der Kernenergie und den Einstieg in die alternativen Energien beschlossen hat. Sie irren, wenn Sie, liebe Kollegen von der FDP, in Ihrem Antrag behaupten, der Einstieg in die alternativen Energien stelle ein Problem in Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dar. Solar- und Windenergie sind mittlerweile Spitzentechnologien; wir sind in dem Bereich Weltmeister.
Sie wollen wieder in die Kernenergie - ein Auslaufmodell - einsteigen. Die Uranvorräte sind aber begrenzt. Die radioaktiven Abfälle sind nicht beherrschbar. Uran 238 hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Davon produzieren wir jeden Tag ungeahnte Mengen. Wenn Sie wieder in die Kernenergie einsteigen wollen, dann suchen Sie sich endlich eine parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheit dafür; Sie werden sie nicht finden. Akzeptieren Sie das! Schreiben Sie aber doch nicht in jeden Antrag, dass Sie den Ausstieg kritisieren!
Wir wollen heute nicht über das Grundrecht der Forschungsfreiheit und der Wissenschaftsfreiheit reden, sondern über die Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Im Groben gibt es zweierlei Rahmenbedingungen: finanzielle und strukturelle. Über die finanziellen Rahmenbedingungen brauchen wir nicht lange zu reden; die Vorgängerregierung und die jetzige Regierung haben eine Menge getan und erhebliche Mittel in die Forschungsförderung gesteckt. Heute wollen wir über die strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen reden. Es ist gut, wenn wir die Wissenschaftsorganisation stärken. Ich finde den Titel des Antrags der Grünen übrigens deutlich gelungener und abwägender als den Titel des FDP-Antrags.
Wir haben nichts dagegen - das hat auch die Ministerin gesagt -, im Bereich der Forschungsförderung Vorschriften zu entrümpeln, auf bürokratische Eingriffe zu verzichten und mehr Flexibilität in den Bereichen Haushaltsführung, Vergabe- und Baurecht für die Forschungseinrichtungen zu schaffen. Der Teufel steckt aber im Detail: Was heißt das konkret?
Ich möchte nur ein Beispiel herausgreifen - Sie erwähnen es in Ihrem Antrag -: die Forderung nach attraktiveren Vergütungskonditionen für exzellente Wissenschaftler. Auch in diesem Bereich hat die Vorgängerregierung schon eine Menge erreicht, etwa die leistungsorientierte W-Besoldung. Wir sind dort sicherlich noch nicht am Ende der Möglichkeiten. Wir hören alle naselang von Forschungsorganisationen: Wir können wieder einen Forscher nicht halten, weil ihm in anderen Ländern ein höheres Gehalt geboten wird. Das ist sicherlich so. Man muss sich überlegen, was die Forderung nach besserer Vergütung bedeutet - unabhängig davon, dass in vielen Bereichen eine flexible Handhabung schon möglich ist -: Legen wir bei den exzellenten Forschern eine Schippe drauf, führt das möglicherweise zu Disparitäten im Tarifvertragssystem. Bieten wir nur Wissenschaftlern, die ins Ausland gehen wollen oder die wir aus dem Ausland holen wollen, eine höhere Vergütung? Führt das möglicherweise zu einem Wettbewerb zwischen den Forschungseinrichtungen, der nicht wünschenswert sein kann, weil die finanziell bessergestellte Forschungseinrichtung aus der A-Stadt dann den Spitzenwissenschaftler aus B-Dorf abwerben würde? Für das System ist damit überhaupt nichts gewonnen; es geht nur Geld verloren. Möglicherweise würde man für einen Spitzenforscher so viel Geld verbrauchen, dass man damit drei Nachwuchskräfte über längere Zeit fördern könnte. Erfordert die demografische Entwicklung nicht eher - dazu haben wir vor kurzem etwas bei der Anhörung zu den Zukunftsperspektiven von Frauen im Wissenschaftssystem gehört -, dass wir allen jungen ausgebildeten Wissenschaftlern den Zugang zum Forschungssystem ermöglichen und wir sie nicht herausdrängen? Wenn es eine freie Wissenschaftlerstelle gibt, können wir es uns noch leisten, dass wir den Wettbewerb so ausgestalten, dass nur der bessere von den zwei Bewerbern genommen wird und der etwas schlechtere als Taxifahrer durch Berlin fahren muss und der Wissenschaft verlorengeht?
Wir können es uns auch nicht mehr leisten - auch das erfahre ich häufig -, dass bei einem jungen Wissenschaftlerehepaar nur der Mann als Forscher angestellt wird - so ist es üblich - und die hochqualifizierte Frau für die Kinderbetreuung nach Hause geschickt wird. Da gibt es viele Beispiele, die man täglich erleben kann. Besser ist es sicherlich, wenn beide am Institut arbeiten können und die Kinder im Institutskindergarten betreut werden; das ist sicherlich unstrittig. Das ist eine strukturelle Rahmenbedingung, die in einigen Forschungseinrichtungen mittlerweile auch umgesetzt wird.
Wenn Flexibilität bei der Bezahlung auch zu einer Verbreiterung und Verbesserung der Basis des wissenschaftlichen Personals führt, dann bin ich dabei. Übrigens ist das, was ich gerade erläutert habe, nicht frei erfunden, sondern beruht auf Erfahrungen. Im Dezember waren wir mit dem Forschungsausschuss - die Kollegen Gehring und Schneider waren dabei - am weltweit höchst renommierten Weizmann-Institut in Israel. Dort gibt es hervorragende junge und ältere Wissenschaftler. Ich habe Herrn Professor Zajfman, den Direktor des Instituts, gefragt, wo er diese guten Leute herbekommt, ob er sie etwa mit viel Geld aus dem Ausland holt. Als ich ihn gefragt habe, wie diese Leute bezahlt werden, hat er geantwortet, die Bezahlung sei mit der in den USA nicht vergleichbar und ?very far away from German scale?, also weit unter den deutschen Maßstäben. Sie verdienen lange nicht so viel wie deutsche Wissenschaftler. Das zeigt, dass es nicht allein um Geld, sondern auch um andere Rahmenbedingungen geht. Wir haben sehr gut lernen können, wie wichtig es ist, vor Ort ein vernünftiges Angebot für die Ehepartner und Familien der Wissenschaftler zu schaffen und vor allen Dingen jungen Wissenschaftlern eine Perspektive aufzuzeigen, die darüber hinausgeht, für zwei oder fünf Jahre am Institut zu arbeiten, ohne zu wissen, wie es danach weitergeht.
Am Weizmann-Institut kann jeder, der gut ist, entweder wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Professor auf Lebenszeit werden und erhält damit eine Perspektive, die man in Deutschland häufig nicht findet.
Zwei Stichworte will ich noch aufgreifen. Sie, die FDP, fordern in Ihrem Antrag, die Altersgrenze für herausragende Wissenschaftler aufzuheben. Wir als SPD halten die Überlegungen zu einer Seniorprofessur seit Längerem für richtig. Allerdings darf das nicht dazu führen, dass Nachwuchskräfte verdrängt werden, sondern es muss dafür eigene Stellen geben, möglichst auch eigenständig finanziert.
Außerdem schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass Sie ausländerrechtliche Hürden beseitigen wollen. Unser Vorschlag dazu lautet: Starten Sie über Nordrhein-Westfalen eine Bundesratsinitiative.
Holen Sie sich Herrn Koch dazu, solange er noch Ministerpräsident in Hessen ist. Dann kann er zeigen, dass er auch für eine andere Ausländerpolitik steht. Wir sind bei diesem Thema sicherlich diskussionsbereit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Röspel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sitte?
René Röspel (SPD):
Gerne.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
Herr Kollege, die SPD hat in der letzten Legislaturperiode das Juniorprofessurenprogramm aufgelegt. Wir haben heute auch unseren Antrag mit dem Titel ?Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken? zu diskutieren. Sie haben vorhin selber erwähnt, wie wichtig es ist, die Förderung von Spitzenkräften und die Förderung von Nachwuchskräften in das richtige Verhältnis zu setzen. Ich möchte einfach die Gelegenheit nutzen, Ihre Position zur Fortsetzung des Programms zu Juniorprofessuren zu erfragen.
René Röspel (SPD):
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie eine Initiative der SPD - nämlich die zur Juniorprofessur - loben und für sinnvoll halten. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, weil es eine gute Maßnahme ist.
Das sollte in der Kürze der Zeit genügen.
Ich würde gerne den Bogen zur Wissenschaftsfreiheit schließen. An zwei Punkten habe ich große Sorge, was die Zukunft der Wissenschaftsfreiheit in unserem Lande anbelangt. Erstens ist mein Eindruck, dass es früher im Interesse von Wissenschaftlern lag, ihre Ergebnisse möglichst schnell auf Konferenzen oder in Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Ich habe den Eindruck, dass sich das Interesse jetzt dahin verschiebt, Patente zu erarbeiten und anzumelden. Das allerdings setzt voraus, dass man möglichst lange geheim, nicht mehr transparent und kooperativ arbeitet. Deswegen appelliere ich an das Ministerium: Wir brauchen eine Neuheitsschonfrist, die es ermöglicht, seine Ergebnisse zu veröffentlichen und der Wissenschaft zur Diskussion zur Verfügung zu stellen, ohne sich der Möglichkeit zu berauben, ein Patent anzumelden.
Wir haben heute darüber geredet und wir werden sicherlich noch länger darüber reden, dass Wissenschaftler frei arbeiten können müssen. Der zweite Punkt, um den es mir geht, ist aber die Freiheit junger Menschen - es sitzen heute viele unter den Zuschauern -, Wissenschaftler werden zu können.
Ich mache mir zunehmend Sorgen darüber, dass jungen Menschen in gewissen Bundesländern - der entsprechende NRW-Minister sitzt ja hier - durch die von der FDP mitverantworteten Studiengebühren zunehmend die Möglichkeit genommen wird, ein Studium aufzunehmen.
Das hat nicht intellektuelle, sondern rein finanzielle Gründe; das ist eine Tatsache. Das betrifft die Fachkräfte und geht bis in die Mittelschicht. In der letzten Bürgersprechstunde habe ich erlebt, dass eine Lehrerin gesagt hat: Mein zweiter Sohn will jetzt beginnen, zu studieren. Das macht 2 000 Euro im Jahr. Ich komme langsam an meine finanziellen Grenzen. - Diese Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und der Möglichkeit, Wissenschaftler zu gewinnen, werden wir Sozialdemokraten nicht hinnehmen. Das halten wir für grundlegend falsch.
Bei allen anderen Punkten, die zur Diskussion stehen, sind wir gerne gesprächsbereit.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Kai Gehring von Bündnis 90/Die Grünen.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr hat die Bundesregierung in Meseberg ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz versprochen. Bis jetzt ist es ein Yeti geblieben. Vielleicht gibt es irgendwann ein solches Gesetz. Aber gesehen hat es bisher noch niemand. Nach der Rede von Ministerin Schavan ist mir leider unklar geblieben, was tatsächlich drinstehen soll. Mal gucken, ob es irgendwann schriftlich vorliegt.
Plötzlich, Monate später nach der Ankündigung der Bundesregierung, rufen auch Sie von der FDP nach einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Sie wollen Freiheit per Gesetz, obwohl das im Grundgesetz klar verankert ist. Das klingt so, als glaubten Sie wirklich, dass Sie mit einem einzigen Bundesgesetz die Grundlagen für mehr Selbstbestimmung in der Wissenschaft legen könnten und dass es bei den notwendigen Verbesserungen im Wissenschaftssystem einzig und allein um mehr Freiheit gehe. Dabei ist das überragende Ziel moderner Forschungspolitik vor allem mehr Qualität. Aber davon haben Sie heute gar nicht gesprochen.
Wir dürfen dabei nicht eindimensional auf den Faktor Freiheit schauen, sondern müssen an einer Reihe von Rädchen drehen. Dazu gehören eine gute Forschungsinfrastruktur, attraktivere Arbeitsbedingungen für Forscherinnen und Forscher, mehr Eigenverantwortung und Transparenz, mehr Kooperation und eine bessere Gleichstellungs- und Nachwuchsförderungspolitik. Darum geht es, wenn wir die Forschung und Wissenschaft in Deutschland wirklich stärken wollen.
Natürlich geht es auch um mehr Freiheit, wenn wir Neugier und Verantwortung in Forschung und Wissenschaft ermöglichen wollen. Aber Freiheit ist kein Selbstzweck à la FDP. Was helfen der Wissenschaft zusätzliche Freiräume, wenn ihr keine Mittel zur Verfügung gestellt werden, diese auszufüllen? Ein Lehrstück - oder vielmehr ein Bad-Practice-Beispiel dafür - bietet das Land Nordrhein-Westfalen mit seinem Hochschulfreiheitsgesetz, das Schwarz-Gelb auf den Weg gebracht hat. Die NRW-Landesregierung selbst räumt mittlerweile in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit ein, die Hochschulen hätten nun mehr Freiheiten, nutzten diese aber gar nicht, und die Politik könne nun gar nichts mehr machen. Ist das die Politik, die Ihnen vorschwebt? Ich hoffe nicht.
Frau Ministerin Schavan, wenn Sie mit Ihrem Wissenschaftsfreiheitsgesetz klammheimlich eine schwarz-gelbe Bildungskoalition schmieden wollen, um Herrn Westerwelle wieder einmal zu beruhigen, dann überlegen Sie sich das besser zweimal; denn das sogenannte Hochschulfreiheitsgesetz in NRW setzt den Wissenschaftlern externe Hochschulräte quasi als Dienstvorgesetzte vor die Nase. Da wird demokratische Kontrolle durch marktwirtschaftliche Gängelung ersetzt. Ist das die Freiheit, die Sie meinen? Ich hoffe, nicht.
Eine Hochschule ist nicht dasselbe wie ein Unternehmen. So muss es auch bleiben.
Natürlich wollen auch wir Grüne mehr Selbstbestimmung in Wissenschaft und Forschung. Aber Autonomie bedeutet für uns nie die Abwesenheit von Spielregeln. Das ist ein zentraler Unterschied zu Ihnen.
Mehr Autonomie bedeutet auch mehr Eigenverantwortung. Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen gewährleisten, dass sich die Forschung qualitativ verbessert. Es geht um Transparenz, demokratische Rückbindung und Mitbestimmung. Finanzmittel müssen effizienter eingesetzt werden, um genau dort anzukommen, wo sie gebraucht werden. Deshalb schafft die Einführung von Globalhaushalten eine gute Grundlage für die Selbststeuerung. Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen müssen selbst darüber entscheiden können, wie die vorgesehenen Mittel zwischen Sach- und Personalhaushalt aufgeteilt werden. Aber Autonomie darf nicht dazu führen, dass zum Beispiel kleine Fächer aussortiert werden, weil sie nach FDP-Logik womöglich zu wenig Leistung im Verhältnis zu den Investitionen bringen. Hier gibt es weiterhin eine wichtige Steuerungsaufgabe von Politik, und hier wird deutlich, dass ein simples Wissenschaftsfreiheitsgesetz nicht alle Probleme der Wissenschaft löst, sondern sogar neue Probleme schaffen kann.
Das betrifft auch das Thema Wissenschaft als Beruf. Seitdem die Große Koalition das Wissenschaftszeitvertragsgesetz eingeführt hat, gilt für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland die unbefristete Befristung. Viele Nachwuchstalente gehen daher der Wissenschaft verloren oder wandern gleich ins Ausland ab, weil es dort verlässlichere Karrierewege gibt. Was wir brauchen, ist eine Angleichung an das normale Arbeitsrecht, wo Befristung die Ausnahme und nicht die Regel für alle ist. Ihre Vorschläge für mehr Flexibilität bei der Bezahlung von exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Sie, Frau Ministerin, gemacht haben, greifen hier eindeutig zu kurz. Was wir brauchen, ist ein Wissenschaftstarifvertrag, der Wissenschaft in Deutschland international wettbewerbsfähiger macht. Das ist unser Ziel.
- Dann haben wir ausnahmsweise einmal etwas gemeinsam, Frau Pieper. -
Der Wissenschaftstarifvertrag, zu dem wir schon Vorschläge gemacht haben, ist eine gute Sache. Aber an dieser Stelle gibt die Große Koalition plötzlich ihren eigenen Wahlspruch ?Mehr Freiheit wagen? offensichtlich auf.
Denn mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz haben Sie eine Tarifsperre eingeführt. Hier wird dirigistische Zentralsteuerung vor das freiheitliche Vertrauen auf die Forschungsorganisation und die Tarifvertragsparteien gestellt. Deshalb ist das der falsche Weg.
Auch in der Doktorandenausbildung gilt zu wenig normales Arbeitsrecht. Das deutsche Stipendiensystem reicht bei weitem nicht aus, um die Förderung von hervorragenden Nachwuchswissenschaftlern zu gewährleisten. Wir brauchen deutlich mehr reguläre Stellen für Doktorandinnen und Doktoranden. Gerade Nachwuchswissenschaftler müssen ihre Karriere planen können; die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft muss endlich gewährleistet werden.
Die von Rot-Grün eingeführte Juniorprofessur hat erste wichtige Grundsteine für die Stärkung der wissenschaftlichen Karriere junger Wissenschaftler gelegt. Mich würde schon interessieren, ob das künftig weitergeht, ob man diese Stärkung im Rahmen des Hochschulpaktes als qualitatives Ziel vorgibt, also ob Bund und Länder die Juniorprofessur ausbauen und dabei die Tenure-Track-Option stärken. Das wäre ein wichtiges Ziel, um jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern Zukunftsperspektiven zu geben.
Frauen sind immer noch weit von gleichen Karriereperspektiven in der Wissenschaft entfernt. Das hat die von uns Grünen angeregte Anhörung zu Frauen in der Wissenschaft vor zwei Wochen im Forschungsausschuss mehr als deutlich gezeigt. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass eine grenzenlose Autonomie à la FDP nicht weiterhilft. Ob wir Gleichstellung in der Wissenschaft erreichen, darf der Politik nicht egal sein.
Die Wissenschaft braucht klare politische Zielvorgaben auf dem Weg zu Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. Ansonsten warten wir darauf noch 200 Jahre oder länger. So kann es nicht laufen. Es geht darum, den Anteil von Frauen auf allen Qualifikations- und Karrierestufen in Forschung und Wissenschaft deutlich zu steigern. Wie die Wissenschaft dieses Ziel erreicht, soll sie autonom entscheiden. Ob sie es erreicht, muss jedoch Konsequenzen bei der Mittelvergabe nach sich ziehen. Nur so schaffen wir eine Verbindlichkeit dafür, dass Frauen endlich die gleichen Karriereperspektiven in der Wissenschaft haben.
Eine Reform des deutschen Wissenschaftssystems muss auch den europäischen und globalen Forschungsraum einbeziehen. Wissenschaft lebt schließlich von Internationalität, Mobilität, Kreativität und Austausch. Wir wollen, dass Wissenschaftler durch Auslandsaufenthalte ihre Forschungs- und Lehrkompetenzen erweitern und stärken können. Genauso wollen wir aber auch ausländische Wissenschaftler, die in Deutschland arbeiten wollen, willkommen heißen. Dazu müssen wir allerdings die völlig bürokratischen Zuwanderungshürden dringend senken.
Dazu gehört eine erleichterte Visumvergabe. Wir brauchen auch Dual-Career-Couple-Programme, die Arbeitsangebote für Ehe- und Lebenspartner und Kitaplätze für die Kinder. Schließlich brauchen wir international konkurrenzfähige Gehälter; denn nur so schaffen wir eine ständige Brain-Circulation, den beständigen Austausch, den wir dringend brauchen.
- Ja, es geht nicht nur um Braindrain, sondern auch darum, dass man sich international austauscht. Weil uns dies in der globalen Wissensgesellschaft stärkt und bereichert, ist das ein wichtiger Punkt.
Autonomie der Wissenschaft bedeutet auch, dass Forschungsergebnisse stärker zugänglich gemacht werden. Es muss endlich ein wissenschaftsfreundliches Urheberrecht geben. Es kann nicht sein, dass öffentlich geförderte Forschungsprojekte ihre Ergebnisse der Öffentlichkeit nicht kostenlos zur Verfügung stellen dürfen. Das kann doch nicht wahr sein.
Dem Prinzip des Open Access entsprechend sollten daher wissenschaftliche Erkenntnisse nach Ablauf einer ganz bestimmten Frist frei verfügbar sein.
Unsere Vorschläge sind im Übrigen von der maßgeblichen EU-Richtlinie gedeckt und sollten umgehend in einem Dritten Korb zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft umgesetzt werden.
Dann könnten Sie gleich in einem Aufwasch die wissenschaftsfeindlichen Änderungen im Zweiten Korb rückgängig machen; denn bei diesem Gesetz waren der Großen Koalition die Lobbyinteressen offensichtlich wichtiger als die Freiheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Stärkere Selbstbestimmung der Wissenschaft heißt für uns nicht zuletzt, dass die Versäulung der deutschen Forschungslandschaft zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen aufgebrochen wird. Die gemeinsame Berufung von Professorinnen und Professoren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist ein wichtiger Anfang. Wir haben zudem vorgeschlagen, einen Teil der Mittel des Paktes für Forschung und Innovation für gemeinsame Projekte universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen zur Verfügung zu stellen. Auch das gäbe sicherlich einen ganz wichtigen Impuls. Des Weiteren schlagen wir zur bundesweiten Koordination ein Forum für Forschungsförderung vor, wie es der Wissenschaftsrat schon 2003 gefordert hat. Dieses Forum kann ebenso wie der gemeinsame Austausch die Versäulung verringern und die Kooperation der Forschungsakteure tatsächlich verbessern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wenn Sie Forschung und Lehre in Deutschland wirklich umfassend fördern wollen, ist es mit einem schlichten Ruf nach einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz nicht getan. Stattdessen brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern, um die Qualität der Wissenschaft und die Attraktivität des Wissenschaftsstandortes weiter zu stärken. Hier sollten wir endlich anpacken.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer von der CDU/CSU-Fraktion.
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das deutsche Wissenschaftssystem befindet sich - dies wurde bereits gesagt - in einem immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb um Forschungsmittel, um exzellente Projekte und natürlich um die besten Köpfe. Unter der Regierung Merkel sind bereits große Erfolge in diesem Bereich erzielt worden. Mit dem Sechsmilliardenprogramm haben wir ganz klar gezeigt, wo wir Schwerpunkte setzen. Keine Bundesregierung in der Geschichte der Bundesrepublik hat so viel Geld auf einmal in die Hand genommen und in Forschung und Entwicklung investiert. Das ist ein wirklich gutes Signal.
Doch Geld und eine starke Fokussierung auf Exzellenz allein reichen nicht aus, um Deutschland in diesem Wettbewerb ganz vorn zu halten. Um dort zu bleiben, bedarf es eines Abbaus bürokratischer Hemmnisse in der deutschen Forschung. Es bedarf einer Flexibilisierung des Gesamtsystems und einer Stärkung der Eigenverantwortung der Wissenschaftseinrichtungen und der Wissenschaftler. Wir können stolz auf das sein, was wir in den vergangenen Jahren in diesem Bereich erreicht haben.
Hervorgehoben werden sollte auch, dass Frau Bundesministerin Schavan die Strukturen in der deutschen Wissenschaft in einem enormen Umfang und in einer wirklich beeindruckend geräuschlosen Weise verändert hat. Ich nenne nur beispielhaft das Karlsruher Institut für Technologie und JARA, die Jülich-Aachen Research Alliance. Es wären noch viele andere Bereiche zu nennen; gerade angesprochen wurde die Versäulung im deutschen Wissenschaftssystem. In den vergangenen Jahren ist in diesem Bereich so viel verändert worden wie in vielen Jahrzehnten zuvor nicht.
Das ist ein Erfolg dieser Regierung, dieser Koalition und natürlich auch dieser Bundesministerin. Wir können ihr dafür dankbar sein, und wir können ihr auch dazu gratulieren, weil es für uns alle gut ist.
Wir wollen den Wettbewerb, und wir wollen ihn auch gewinnen. Ein wichtiger Schritt dazu ist die Einführung der Overhead-Finanzierung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ich denke, wir sind uns einig, dass es uns damit gelungen ist, die in der Wissenschaft Erfolgreichen zu belohnen und etwas zu beenden, was dort über Jahre behindert hat, nämlich dass diejenigen, die wirklich viele Drittmittel eingeworben haben, am Ende von ihren Kollegen behindert wurden, weil auch von ihnen Ressourcen abgegriffen worden sind. Jetzt kann man sagen: Diejenigen, die Forschungsgeld einwerben und erfolgreich sind, nutzen auch der Gesamtinstitution, in der sie arbeiten. Die Overhead-Finanzierung ist eine ganz wichtige Maßnahme gewesen.
Wir wollen die rechtlichen Rahmenbedingungen noch attraktiver, noch forschungsfreundlicher und international noch konkurrenzfähiger machen. Aus diesem Grund begrüßt die CDU/CSU-Fraktion, dass die Bundesregierung sich aufgemacht hat, ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz zu erarbeiten, um die derzeit bestehenden Hemmnisse im Haushaltsrecht, im Tarifrecht, im Ausländer- und Aufenthaltsrecht sowie im Vergaberecht zu beseitigen. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesministerin heute hier schon angekündigt hat, dass die Bagatellgrenze von 8 000 Euro auf 30 000 Euro angehoben wird. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt.
Wir müssen eines sagen - in dieser Debatte ist es deutlich geworden -: Das, was die Grünen und die PDS hier vorgetragen haben, zeigt, dass sie keine Parteien sind, die mehr Freiheit und mehr Wettbewerb im Wissenschaftssystem wollen. Das, was wir wollen, ist in der Tat eine Veränderung der Philosophie. Vieles geht dann eben so nicht mehr. Es geht dann nicht mehr, dass Landeswissenschaftsminister und -ministerien der Bürokratie vorgeben, was passiert. Es bedeutet, dass es zu größerer Ungleichheit kommen wird, dass diejenigen, die erfolgreich sind und für viel Qualität sorgen - wir brauchen sie; das Thema Qualität ist angesprochen worden -, belohnt werden und dass diejenigen, die nicht so gut, besser gesagt: schlecht sind, im Zweifel nicht mehr mitspielen können. Das ist die Voraussetzung für Exzellenz, die zumindest wir als Union wollen.
Ein Wissenschaftstarifvertrag ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Forderung, einen solchen Vertrag einzuführen, wird seit vielen Jahren erhoben. Wir sollten ehrlich sein und versuchen, praktisch vorzugehen. Ich kann den Ländern nur dazu raten, den Hochschulen die Tariffähigkeit zu geben. Die Hochschulen sollten beginnen, mit den Gewerkschaften einen Wissenschaftstarifvertrag, einen Spartentarifvertrag, auszuhandeln. Dieser Tarifvertrag sollte dann von anderen übernommen werden. Der Bund kann mit der Helmholtz-Gemeinschaft ähnlich vorgehen.
Ich glaube, es bringt nichts, wenn die Bundesebene versucht, mit der Gewerkschaft übereinzukommen. Hier müssen Tatsachen geschaffen werden, und das nach Möglichkeit schnell und von unten. Die Forderung, einen Wissenschaftstarifvertrag zu schaffen, ist wichtig. Wenn wir tatsächlich wollen, dass es durch Wettbewerb zu Exzellenz kommt, dann müssen wir erkennen, dass das nicht durch das öffentliche Dienstrecht erreicht werden kann.
Wir müssen über weitere Punkte reden. Deutschland ist ein Land, in dem in enormem Maße ausgebildet wird, und zwar im Bereich der wissenschaftlichen Exzellenz, sei es im Studium, sei es in der Doktorandenausbildung. Wir müssen dafür sorgen, dass die Personen, die hier - auch mit deutschem Steuergeld - ausgebildet werden, in diesem Land arbeiten können. Aus diesem Grund müssen wir mit den Innenpolitikern jetzt diesen Streit ausfechten. Wir müssen das Ausländerrecht so ändern, dass diejenigen, die wir brauchen, in diesem Land arbeiten können und dass wir attraktiv für sie sind.
Im Zusammenhang mit den Fragen der Finanzen, der Globalhaushalte, der Übertragbarkeit der Mittel und des Ausländerrechts gilt das, was die Ministerin schon angesprochen hat: Die Forschungspolitiker im Deutschen Bundestag sind sich - bis auf diese beiden Ausnahmen - bezüglich der Zielrichtung im Wesentlichen einig. Die Konfliktlinien sind eher in anderen Bereichen zu suchen, nämlich zu den Innenpolitikern und den Finanzpolitikern. Wir sollten hier gemeinsam vorgehen. Das ist auch eine Einladung an diejenigen in der Opposition, die tatsächlich etwas erreichen wollen. XXXXX
Wenn wir Deutschland in diesem Bereich attraktiv machen wollen, brauchen wir Veränderung. Sie vonseiten der FDP können gerne daran mitwirken,
da es im gesamtstaatlichen Interesse liegt.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Es geht jetzt um die Ausgestaltung und um die Entwicklung von Ideen. Die Bundesrepublik hat sich mit dem 6-Milliarden-Programm und der Hightech-Strategie im internationalen Wettbewerb zurückgemeldet. Wir sagen ganz klar: Ja, wir wollen den Wettbewerb! Wir wollen ihn gewinnen! - Mit der Diskussion über bessere Rahmenbedingungen, die wir hier heute führen, untermauern wir diese Zielsetzung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Minister für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Professor Andreas Pinkwart.
Dr. Andreas Pinkwart, Minister (Nordrhein-Westfalen):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Exzellenzinitiative und der Pakt für Forschung und Innovation haben Schwung in die deutsche Wissenschafts- und Forschungslandschaft gebracht. Es gilt jetzt, diesen Schwung mutig zu verstärken und in den nächsten Jahren zu verstetigen. Dafür brauchen wir zweierlei: mehr Gestaltungsfreiheit und mehr Gestaltungskraft für unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland.
Zur Gestaltungsfreiheit: Hier muss es unser Ziel sein, Wissenschaft und Hochschulen endlich von unnötigen Fesseln des Staates und der Bürokratie zu befreien. Wir begrüßen daher die von der Bundesministerin Annette Schavan angekündigte Wissenschaftsfreiheitsinitiative nachdrücklich. Wir wollen, dass die von Bund und Ländern gemeinsam getragenen außeruniversitären Forschungseinrichtungen die gleichen Gestaltungsfreiheiten erlangen können, wie wir sie unseren Hochschulen in Nordrhein-Westfalen mit dem Hochschulfreiheitsgesetz bereits gegeben haben.
Sie alle haben sich sehr darüber gefreut, und der zweite Durchlauf der Exzellenzinitiative Nordrhein-Westfalen hat gezeigt, dass es den Hochschulen offensichtlich gut bekommen ist, denn sie haben ihre Wettbewerbsposition in der Exzellenzinitiative deutlich steigern können.
Einen besseren Beleg dafür, dass das Hochschulfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen sehr gut ist, kann es gar nicht geben.
- Der Realitätsverlust spiegelt sich eher anderenorts wider. Offensichtlich - darauf möchte ich hinweisen - gibt es gerade bei den Grünen Widersprüche zwischen Anträgen und Wortbeiträgen.
Ich habe Ihren Antrag, der unseren Gedanken des Hochschulfreiheitsgesetzes aufnimmt,
eigentlich mit großer Freude gelesen. Ich habe mir gesagt: Menschenskinder, das ist eine tolle Initiative. Vielleicht gibt es tatsächlich eine breite parlamentarische Mehrheit für mehr Freiheit in Wissenschaft und Forschung.
In dem Antrag der Grünen steht unter anderem - mit Genehmigung des Präsidenten darf ich zitieren -:
Die Einführung von Globalhaushalten ist eine Grundlage für die notwendige Selbststeuerung der Forschungseinrichtungen.
- Ich zitiere nicht aus dem Antrag der FDP, sondern aus dem Antrag der Grünen. - Weiter heißt es da:
Um unternehmerisches Denken, Eigenverantwortung und Managementfähigkeiten zu stärken, muss die Entscheidungsgewalt darüber, wie die vorgesehenen Mittel zwischen Sach- und Personalkosten aufgeteilt werden, in der Einrichtung selbst liegen.
?Prima!?, kann ich dazu nur sagen. Genau das wollen wir auch.
Bekennen Sie sich doch bitte auch in Ihren Wortbeiträgen dazu!
Wir brauchen endlich ein leistungsbezogenes Vergütungssystem und ein international konkurrenzfähiges Dienst-, Arbeits- und Zuwanderungsrecht, das Deutschland für die besten Köpfe attraktiv macht.
Hierzu ist eine Überwindung der Hemmnisse durch das Besserstellungsverbot und den Vergaberahmen notwendig. Frau Bundesministerin Schavan hat das vorhin vorsichtig angedeutet. Es ist nicht einfach - das verstehe ich -, aber wir sollten versuchen, das zu erreichen.
In der Debatte habe ich von Herrn Röspel gehört, dass man vielleicht lieber auf ein paar Spitzenleute verzichten sollte, um in der Breite wirksamer zu sein. Dazu muss ich Ihnen sagen: Sie haben die Gesamtzusammenhänge offensichtlich immer noch nicht richtig erkannt. Wer Spitze will, muss auch Breite fördern.
- Einen Moment! Deswegen versuchen wir in Nordrhein-Westfalen, wo Sie sehr lange Regierungsverantwortung getragen haben, die Hochschulen finanziell endlich so auszustatten, dass sie in der Breite wie in der Spitze konkurrenzfähig werden können.
Wir brauchen beides, und dafür brauchen wir auch die richtigen Rahmenbedingungen.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben zum Thema Flexibilisierung der Altersgrenzen - das fiel auch in Ihre Verantwortung -: Als wir uns im vergangenen Jahr über die Verleihung des Nobelpreises an Peter Grünberg freuten, wurde uns noch einmal vor Augen geführt, wie zu Zeiten, als Sie Regierungsverantwortung im Bund wie im Land Nordrhein-Westfalen innehatten, mit Spitzenwissenschaftlern umgegangen worden ist. Peter Grünberg war ja immer schon ein ganz herausragender Wissenschaftler. Er erhielt den Zukunftspreis und andere Preise. Als er mit 65 Jahren unter Ihrer Verantwortung zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde, hat man ihm noch einen 400-Euro-Job angeboten.
Wir müssen solchen Spitzenleuten unabhängig von Altersgrenzen endlich die Anerkennung geben, die sie im Ausland längst erhalten. Wir müssen verhindern, dass sie abwandern. Wir müssen dafür sorgen, dass sie hier bleiben und gezielt gefördert werden.
Meine Damen und Herren - ich bekomme ja jetzt viel Zustimmung von Ihnen -, wir brauchen neben Gestaltungsfreiheit auch Gestaltungskraft. Das heißt, wir müssen mehr für die Hochschulen und die Forschungseinrichtungen tun. Deswegen möchte ich Ihnen zurufen und hoffe auf tatkräftige Unterstützung durch die Mehrheit des Hauses und insbesondere durch die Kolleginnen und Kollegen, die zur Regierungskoalition gehören: Lassen Sie uns zusehen, dass Bund und Länder sehr schnell zusammenkommen, um den Hochschulpakt fortzuschreiben. Wir erwarten im kommenden Jahrzehnt Gott sei Dank weiter steigende Studierendenzahlen. So geht es jetzt in diesem Jahr auch darum, dass Bund und Länder den Hochschulpakt I fortschreiben. Insgesamt gilt es, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, damit jeder, der im kommenden Jahrzehnt studieren möchte, in Deutschland einen qualitätsvollen Studienplatz antrifft.
Außerdem muss die Exzellenzinitiative fortgeschrieben werden. Es ist ganz wichtig, dass Sie jetzt die Mittel bereitstellen und das Programm verlängern, damit wir auch über den Fünfjahreszeitraum hinaus im Rahmen der Exzellenzinitiative die dritte Ebene fördern können. Wir sind dazu bereit.
Schließlich rufe ich Sie dazu auf, uns auch bei der Einführung eines leistungsfördernden Stipendiensystems in Deutschland zu helfen. Bisher erhalten nur 2 Prozent der Studierenden in Deutschland ein Stipendium. Andere Länder haben viel höhere Quoten. Wir würden gerne mit den anderen Ländern und dem Bund zusammen diese Quote in den nächsten Jahren auf 10 Prozent erhöhen. Das wäre ein Beitrag dazu, neben der Verbesserung der Situation in der Breit auch Spitzenleute in Deutschland zu halten.
Gestatten Sie mir einen letzten Gedanken zum Thema Forschungsfreiheit. Das, was Herr Röspel zur Kernenergieforschung gesagt hat, fand ich doch schon erstaunlich. Wenn wir von der Freiheit der Forschung reden, müssen wir Freiheit auch da zulassen, wo sie uns vielleicht aus allgemeinpolitischen Opportunitäten nicht so passt.
Die Vorgängerregierungen, sowohl im Bund als auch im Land Nordrhein-Westfalen, haben die Kernenergiesicherheits- und -entsorgungsforschung in Nordrhein-Westfalen, also in Jülich und Aachen, bewusst auslaufen lassen. Wir haben das wieder rückgängig gemacht: Aus einer moralischen Verpflichtung und unbeschadet der Frage, ob wir dauerhaft Kernenergie einsetzen, tragen wir Verantwortung dafür, dass Spitzenforschung in Deutschland auf diesen Gebieten genauso wie bei der Erforschung einer vierten Generation von Reaktoren möglich ist.
Denn wenn wir die Herausforderungen durch den Klimawandel wirklich ernst nehmen, müssen wir alle Optionen für die Zukunft, also auch dieses Gebiet, in den Blick nehmen.
Herzlichen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Swen Schulz von der SPD-Fraktion.
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben nun in dieser Debatte schon einige Beiträge gehört. Ich habe meine Schwierigkeiten damit, mit welchem Pathos hier für ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz eingetreten wird.
Unbestritten gibt es einige Stellen, an denen der Wissenschaft mehr Eigenständigkeit eingeräumt werden sollte. Dazu ist ja heute einiges gesagt worden.
Die Freiheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist aber nicht das einzige Kriterium für ein gutes Wissenschaftssystem. Das haben dankenswerterweise auch die Grünen in der Einleitung Ihres Antrages festgestellt. Man erhält immer viel Applaus, wenn man mehr Freiheit fordert. Doch zur Freiheit gehört auch die Verantwortung.
Gerade in der für die Gesellschaft so wichtigen Wissenschaft müssen wir eine klare Vorstellung davon haben, wer was tun darf und soll und wer welche Verantwortung übernehmen kann und muss. Wir könnten natürlich sagen: Bitte schön, die Wissenschaft ist vollkommen frei und kann machen, was sie will. Dann muss sie aber selber zusehen, wie sie sich finanziert. Aber diese Art von Freiheit vom Staat will natürlich niemand. Die Steuergelder sollen weiterhin fließen. Wenn jedoch öffentliche Mittel verwendet werden, dann müssen diese auch im öffentlichen Interesse eingesetzt und das muss entsprechend nachgewiesen werden.
Darüber müssen wir in Parlament und Regierung wachen.
Unsere Aufgaben gehen aber noch über die Kontrolle der Verwendung von Steuergeldern hinaus. Die Wissenschaft in Deutschland - das ist Verfassungsrecht - ist frei. Doch Freiheit hat immer auch Grenzen. Darum finde ich es kritisch, dass die FDP in ihrem Antrag Forschungsverbote und bürokratische Eingriffe geißelt und dafür die kerntechnische Forschung sowie die Stammzellforschung als Beispiele benennt. Es gibt so grundsätzliche Fragen der Ethik und der Sicherheit, da können wir nicht einfach sagen, das geht uns nichts an.
Das ist nicht nur eine Sache der Wissenschaftler, sondern Thema öffentlichen Interesses.
Das muss immer im Einzelfall diskutiert und gegebenenfalls kontrovers abgestimmt werden. Aber die Möglichkeit des Einschreitens des Gesetzgebers dürfen wir uns nicht nehmen. Wir als Vertreterinnen und Vertreter des Volkes sind in der Pflicht und dürfen uns darum nicht drücken.
Im Übrigen würden wir die Wissenschaft mit dieser Aufgabe auch überfordern.
Wie die SPD insgesamt hänge ich nicht irgendwelchen staatlichen Steuerungsphantasien nach. Vielmehr weise ich auf das diffizile Verhältnis von Staat und Wissenschaft hin, bei dem wir es in die eine wie auch in die andere Richtung übertreiben können. Der Staat soll nicht Einzelheiten vorschreiben. Globalhaushalte und Zielvereinbarungen sind sinnvollere Instrumente als eine Detailsteuerung. Es geht zum einen darum, staatliche Schwerpunktsetzungen zu ermöglichen, etwa durch die Auflage von thematischen Forschungsprogrammen, die im öffentlichen Interesse sind, zum Beispiel zur Sicherheit, Bildung oder Gesundheit. Zum anderen muss die Wissenschaft Freiräume haben, auf eigene Faust zu forschen, jenseits von öffentlichen Debatten. Die Politik ist eben nicht immer mit größerer Weisheit gesegnet als die der Wissenschaft innewohnende Bewegung. Dafür gibt es viele Beispiele. So hat sich bis PISA kaum jemand für die Bildungsforschung interessiert. Mit den Islamwissenschaften war es bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 ganz ähnlich. Jetzt sind wir froh, dass wir die kompetenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben. Darum müssen wir auch die so genannten kleinen oder Orchideenfächer schützen.
Wir haben in der Debatte über die Geistes- und Sozialwissenschaften darüber gesprochen. Auch das ist eine Verantwortung von Wissenschaft und Politik.
Es wäre falsch, der Wissenschaft die Freiheit zu geben, sozusagen ganze Wissenschaftszweige absterben zu lassen. Aber die Wissenschaft muss so frei sein, auch gegen einen aktuellen politischen Trend die Orchideen pflegen zu können.
Sie sehen also, es geht uns Sozialdemokraten um ein vernünftiges Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik, von Freiheit und Verantwortung.
Das ist ein Verhältnis, das natürlich nicht immer spannungsfrei ist, das jeweils ausdiskutiert werden muss, zu dem es aber keine gute Alternative gibt.
Ich weise auf einen weiteren Punkt hin: Für die Sozialdemokratie hat der Freiheitsbegriff immer noch eine andere Dimension als für die Liberalen. Für uns geht es nicht nur um die Freiheit vom Staat. Wir verstehen Freiheit immer auch als die Ermöglichung, die Befähigung, sich zu entfalten. Der Staat muss dafür die Bedingungen schaffen.
Sonst setzen sich immer nur die Starken und die Reichen durch.
Wir wollen die Freiheit der Wissenschaft, sich Themen annehmen zu können, die nicht privat finanziert werden. Das betrifft die bereits angesprochenen Orchideenfächer, die Grundlagenforschung, auch gesellschaftskritische Wissenschaft.
Eine Wissenschaft, die sich nur dem Geld verschreibt, macht die Gesellschaft arm, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wir müssen natürlich immer auch die Lehre mit bedenken, denn sie ist für die weitere Entwicklung der Wissenschaft von elementarer Bedeutung und darüber hinaus ein ganz wichtiges Thema für die Chancengleichheit.
Zu den Studiengebühren hat bereits der Kollege Röspel das Notwendige gesagt.
Ein weiteres Problem der Lehre an Deutschlands Hochschulen ist, dass sie nicht so recht belohnt wird. Sie wird als Last wahrgenommen. Der einzelne Wissenschaftler und die Hochschule erhalten Geld und Renommee über Forschung, aber nicht für die Lehre. Dazu haben auch wir mit den Programmen der Forschungsförderung beigetragen. Es liegt auf der Hand, dass wir nun endlich auch einen Schwerpunkt auf die Unterstützung und Prämierung von guter Lehre, und zwar für alle Studierenden, legen müssen.
Es gibt ein wunderbares Konzept für ein staatlich organisiertes Anreizsystem, das der Wissenschaft viel Freiheit lässt: das Prinzip ?Geld folgt Studierenden?.
Danach erhalten die Hochschulen Geld, wenn sie Studierende anlocken.
Dadurch entsteht ein toller und konstruktiver Wettbewerb um die beste Lehre, Frau Flach. Die Studierenden sind dann nicht mehr eine Last, sondern werden zur Lust der Hochschulen.
Bei aller Unterstützung, die ich einzelnen Aspekten des vorgelegten FDP-Antrages gebe, ist mir der Antrag der Grünen von der ganzen Philosophie her sympathischer.
Ich habe jetzt nicht die Zeit, das im Einzelnen auszuführen;
ich denke, das glauben Sie mir auch so.
Ich will nur noch die Gelegenheit nutzen, um kurz auf das von den Grünen erwähnte und sehr wichtige Thema Föderalismusreform II einzugehen. Tatsächlich haben wir im Rahmen dieser Debatte die Chance, endlich den verstaubten Investitionsbegriff der Nachkriegszeit wegzubekommen.
Er bevorzugt Ausgaben für Beton und benachteiligt Investitionen in die Köpfe; das gehört endlich geändert.
Wenn wir in diesem Zusammenhang aber über eine neue Schuldenregel sprechen, dann dürfen wir eines nicht zulassen, nämlich ein Schuldenverbot.
Bei aller Sympathie für das Ziel, Schulden zu reduzieren: Es muss auch in schwierigen Zeiten Spielraum für Investitionen geben; sonst besteht die große Gefahr, dass die Mittel für die Wissenschaft reduziert werden.
Denn den Menschen liegt - das will ich ihnen gar nicht vorwerfen - die Finanzierung ihres aktuellen Lebens näher als die Ausgaben für die Zukunft. Zur Wissenschaftsfreiheit gehört aber auch eine verlässliche öffentliche Finanzierung. Diese dürfen wir nicht aufs Spiel setzen. Darum kommt ein Schuldenverbot überhaupt nicht infrage.
Die Freiheit der Wissenschaft ist wichtig. Sie muss gestärkt werden. Gleichzeitig muss die öffentliche Verantwortung wahrgenommen werden. Das können letztendlich nur wir Volksvertreter. Das ist unsere Pflicht. Das dürfen wir nicht vernachlässigen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Marion Seib von der CDU/CSU-Fraktion.
Marion Seib (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine gestrigen Einlassungen in diesem Hohen Hause zur unkompliziert gewordenen Förderung der Forscher und Entwickler im IKT-Forschungsbereich sowie meine Forderung nach mehr internationaler Vernetzung und internationaler Kooperation kann ich heute wiederholen, diesmal nicht nur für den IKT-Bereich, sondern für die gesamte Wissenschaftsszene.
In Gesprächen mit Wissenschaftlern, Forschern und Entwicklern vor Ort erntet man bei einer Darstellung der Notwendigkeiten nichts anderes als ungläubiges Kopfschütteln. Trotz der eben gehörten Meinung von Ihnen, Herr Kollege Schulz, kann man eines feststellen: Die Wissenschaftsszene braucht mehr Freiraum für fachliche Exzellenz; das will ich gerne begründen. Der Weg zu diesem Ziel ist aber mit unglaublich komplizierten und viel zu vielen Hürden verstellt. Der internationale Austausch im schriftlichen Verfahren ist ganz selbstverständlich geworden. Wer etwas mitzuteilen hat, bedient sich weltweit der englischen Sprache. Damit steht dem Wissensaustausch und der Verständigung im schriftlichen Verfahren nichts mehr im Wege.
Wehe aber, wenn Wissenschaftler und Hochschullehrer versuchen, ihre Nachwuchswissenschaftler in den Genuss der Mitarbeit bei hochanerkannten ausländischen Kapazitäten zu bringen, um ihnen eventuell Referenzen für ihre künftige Tätigkeit zu verschaffen. Diese Nachwuchswissenschaftler finden die Bedingungen im Ausland dann so prima, dass sie über Jahre für Deutschland verloren sind. Oder wehe den Wissenschaftsverantwortlichen, wenn sie versuchen, Kapazitäten aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, um in der Zusammenarbeit von Forschung und Lehre den internationalen Standard zu halten oder zu fördern. Da merken sie dann, dass Deutschland nicht nur von fachlicher Konkurrenz umzingelt ist. Sie merken auch, dass sie sich einem weiteren interessanten Wettbewerb zu stellen haben, nämlich dem weltweiten Wettbewerb der Arbeitgeber um hochinteressante Leistungsträger. Diesen Wettbewerb können sie unter den zurzeit gegebenen Umständen aber nur verlieren. Wenn Beamtenrecht und sonstige öffentliche Dienstvorschriften mit den Regelwerken ausländischer Mitbewerber in Konkurrenz treten, sind die Verhandlungen gelaufen, ehe sie begonnen haben.
Was ist zu tun? Wir müssen die Situation der wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen als Arbeitgeber dringend verändern. ?Verändern? heißt in diesem Fall nicht, verehrte Kollegen von der linken Seite, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir müssen der Realität ins Auge schauen. International beobachtete Forschungsfelder und veränderte Konkurrenzsituationen müssen mit neuen Instrumenten ausgestattet werden. Hierunter fallen Globalhaushalte mit Direktverantwortung gegenüber den Rechnungshöfen. Vor allem aber brauchen wir ein neues, modernes Tarifrecht mit flexiblen Elementen und Mut zur Lücke, insbesondere in den hohen Tarifstufen.
Was aber am allerdringendsten gebraucht wird, ist das Vertrauen der Legislative und der Exekutive in die Redlichkeit und das Können der Verantwortlichen in den Hochschulen und den anderen wissenschaftlichen Einrichtungen.
Wir trauen den Verantwortlichen hinsichtlich ihrer intellektuellen, fachlichen, wissenschaftlichen Arbeit sehr viel zu. Wir hoffen, dass sie drängende Fragen der Gesellschaft und der einzelnen Menschen lösen, und erwarten ganz selbstverständlich, dass sie fachlich im internationalen Vergleich nicht zurückfallen. Dass sie innerhalb der vorgegebenen Möglichkeiten den besten Weg zu einer verantwortlichen Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel finden, das trauen wir ihnen aber nicht zu.
Viele können sich ihrer fachlichen Arbeit nicht ausreichend widmen, weil sie viel Zeit für die streng vorgeschriebenen, detaillierten Einnahme-Ausgaben-Rechnungen aufbringen müssen. Wir degradieren sie zu überbezahlten Buchhaltern. Klar ist: Ich bin ein Fan ordnungsgemäßer Buchhaltung und schätze das Können und den Einsatz aller Verantwortlichen, vom Buchhalter bis zum Buch-, Wirtschafts- und Steuerprüfer. Die Wissenschaftler sind in der Regel aber nicht als Buchhalter angestellt.
Sie wollen nach einhelligem Bekunden den Großteil ihrer Zeit ihren fachlichen Aufgaben widmen. Wenn wir diese Erkenntnis zugrunde legen, kommen alle politisch Verantwortlichen, im Bund wie in den Ländern, sehr schnell zu der Auffassung, dass wir rasch ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz brauchen, wie Frau Bundesministerin Schavan eben gesagt hat.
Wenn alle an diesem Prozess Beteiligten ihre ganz persönliche ?Exzellenz? einbringen, gelingt uns sicher ein guter Wurf.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg Tauss von der SPD-Fraktion.
Jörg Tauss (SPD):
Herr Pinkwart freut sich schon.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! - In der Tat, Herr Minister Pinkwart, mit Ihnen möchte ich beginnen. Ihr Beispiel von dem Wissenschaftler, der vorzeitig in Rente gehen musste, um dann einen 400-Euro-Job angeboten zu bekommen, hat mich zutiefst beeindruckt. Nachdem Sie sich auf dieses Thema geschwungen haben wie ein blond gelockter Jüngling aus der Antike auf sein Pferd, muss man glauben, dass Sie in NRW auf diesem Gebiet Vorbildliches geleistet haben. Aber was haben Sie gemacht? Sie haben ein Experimentchen gestartet, das am 31. Dezember dieses Jahres ausläuft. So sieht mutige Politik nicht aus.
Lassen Sie die Älteren doch länger arbeiten; für das Dienstrecht seid ihr zuständig. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Stellen für Nachwuchswissenschaftler nicht besetzt werden. Wir brauchen Doppelberufungen und Ähnliches. So können wir miteinander etwas bewegen.
Kollege Schneider, Sie waren so unglaublich gesetzesbegeistert. Sie haben gesagt: Ein Gesetz ist immer gut. Nun gut, das ist Ihre Position. Vielleicht können wir uns darauf einigen: Wenn ein Gesetz nicht notwendig ist, dann ist es notwendig, dass das Gesetz nicht erlassen wird.
Das ist nicht von mir, sondern von Montesquieu. Dem können wir wohl parteiübergreifend zustimmen.
Richtig ist: Wir reden hier nicht über überflüssige gesetzliche Regelungen, sondern über Rahmenbedingungen, die verbessert werden müssen, und zwar vom öffentlichen Dienstrecht bis zu den vielen anderen Bereichen, die angesprochen worden sind. Ich glaube in der Tat, wir sollten diese Debatte klar beginnen mit der Aussage - sie ist an verschiedenen Stellen erfolgt -, dass wir in Deutschland selbstverständlich die Freiheit von Wissenschaft und Forschung grundgesetzlich geschützt und verankert haben
und dass wir heute darüber reden und es unser Ziel ist, zu einer weiteren Stärkung der Wissenschaft zu kommen. Ich glaube, das bringt es auf den Punkt.
Ich kann nicht nachvollziehen, was ich diese Woche im Spiegel gelesen habe. Man hat an der einen oder anderen Stelle den Eindruck, dass dem Schreiber die Fantasie durchgegangen ist. Die Forschung in Deutschland muss nicht vor imperialistischer Politik geschützt werden. Die Forschung in Deutschland ist nicht gefesselt und nicht bewegungsunfähig. Die anhaltenden und nachhaltigen Erfolge unserer deutschen Wissenschaft in einer globalisierten Welt beweisen das ein aufs andere Jahr. Von Gängelung durch die Politik kann keine Rede sein. Ich glaube, wir sollten mit Selbstbewusstsein sagen: Für kaum eine Gemeinschaft in Deutschland hat es in den vergangenen Jahren eine derartig gute Unterstützung durch die Politik im Bund und auch einigen Ländern - bei euch mache ich ein paar Abstriche, lieber Herr Pinkwart; aber wir reden hier in erster Linie über den Bund - gegeben wie für Wissenschaft und Forschung. Ich glaube, das sollten wir an dieser Stelle gegen alle möglichen Anwürfe von anderer Seite richtigstellen.
Dies ist natürlich nicht dem Zufall geschuldet, sondern der Tatsache, dass wir bis hin zum Bundesfinanzminister der Auffassung sind - und dies nicht erst seit gestern, sondern kontinuierlich in den letzten Jahren -, dass wir selbstverständlich nicht Forschungsnation sein können, dass wir nicht Exportnation Nummer eins sein können, wenn wir im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung Infrastrukturen vernachlässigen. Aus diesem Grunde, also auch im Interesse dieses ökonomischen Ziels, sind hier verstärkte Anstrengungen notwendig.
Deswegen bin ich über den Jubel in den Ländern über die PISA-Erfolge, dass wir von Platz was-weiß-ich auf Platz 13 gerückt sind, nicht glücklich. Wir wären über Platz 13 bei den Exportnationen nicht glücklich. Wir müssen im Bereich Bildung und Forschung anstreben, wie beim Export die Nation Nummer eins zu werden. Das muss unsere Zielssetzung sein; wir sollten nicht über das eine oder andere hintere Plätzchen jubeln.
Wir haben selbstverständlich schon versucht, einiges auf den Weg zu bringen. Ich erinnere an Debatten in früheren Jahren, bei denen man gesagt hat: Stellenpläne haben Verfassungsrang, und Budgets dürfen um Gottes willen nicht übertragen werden. Hier hat es Fortschritte gegeben, und es gibt sicherlich weitere Möglichkeiten. Wir haben auf die programmorientierte Förderung umgestellt. Wir haben sie wettbewerblich ausgerichtet. Weg von der Detailsteuerung und hin zur Globalsteuerung - diesen Trend wollen und können wir mit Sicherheit in den nächsten Jahren verfolgen.
Ich erinnere an den Pakt für Forschung und Innovation. Ich erinnere an die Exzellenzinitiative für Spitzenhochschulen und den Hochschulpakt, in dessen Rahmen wir über die DFG zusätzlich 700 Millionen Euro an die Hochschulen geben. Auch davon profitieren die Universitäten und die Studierenden unmittelbar.
Alle diese von mir genannten - im Übrigen vollständig wissenschaftsgesteuerten; auch dies sei noch einmal gesagt - Initiativen stehen zur Verlängerung an. Darüber werden wir reden. Ich glaube, auch hier werden wir Impulse setzen. Das heißt, es geht nicht um einen Teilaspekt, sondern um das ganze Bündel an Maßnahmen.
Auf gar keinen Fall wollen wir - lieber Herr Kollege Pinkwart, darüber müssen wir noch einmal reden, wenn wir Koalitionsverhandlungen führen;
da seid ihr noch nicht ganz auf dem richtigen Trip - die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland durch eine Fremdbestimmung durch Wirtschaftsvertreter in den Universitäten ersetzen. Das kann weiß Gott nicht unser Ziel sein. So verstehen wir den Freiheitsbegriff nicht. Da habt ihr in Nordrhein-Westfalen Korrekturbedarf.
Eine zweite Legende betrifft das viel zitierte Wort vom unternehmerischen Handeln im Forschungs- und Universitätsbereich. Selbstverständlich ist im Detail prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, aber können Universitäten und Forschungseinrichtungen es tatsächlich wollen, in jedem Aspekt wie ein Unternehmen behandelt zu werden? Sollen das unternehmerische Risiko, das Versagen am Markt und Insolvenzen wirklich Alltagserfahrung im Forschungssystem werden? Diese Fragen müssen von denen, die das fordern, beantwortet werden. Wie soll qua Definition hochriskante Grundlagenforschung in ein solches Verständnis unternehmerischen Handelns eingefügt werden? Forschung birgt - wie auch das wirtschaftliche Leben - stets das Risiko des Scheiterns. Aber das Risiko des Scheiterns muss in einer Wirtschaftsordnung anders betrachtet werden als das Scheitern eines Forschungsprojektes.
Die überwiegend steueralimentierten und abgesicherten Einrichtungen sollten bedenken, dass es nicht schon unternehmerisches Handeln ist, wenn man sich als Manager geriert. An diesem Punkt sollte semantisch abgerüstet werden. Ich glaube, das ist notwendig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Notwendigkeit der Stärkung der Wissenschaft und der Sicherung von Attraktivität und Forschungsfreundlichkeit stellen wir in den unterschiedlichen Bereichen fest. Ich sage nochmals: Das, was im Spiegel zu lesen war - dass ahnungslose Beamte in den Ministerien sachkundige Vorschläge von Forschern verwerfen und nach Gutsherrenart verfahren -, ist eine bösartige Unterstellung. Das sage ich auch an die Adresse der Mitarbeiter des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die gemeinsam mit den Projektträgern eine hervorragende und qualifizierte Arbeit im Sinne der Förderung von Wissenschaft und Forschung leisten.
Sie sind nicht diejenigen, die die Forscher von morgens bis abends schikanieren.
Wir haben weitere Impulse gesetzt. Ich erinnere an unseren Plan, ab Herbst 2008 hochdotierte Alexander-von-Humboldt-Professuren zu schaffen. Damit werden wir international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland locken.
Es gibt verschiedene Maßnahmen, um junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ins Ausland gegangen sind, zurückzuholen. Es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn sie sich den Wind um die Nase wehen lassen. Wir müssen uns allerdings darüber unterhalten, wie wir denjenigen, die zurückkommen wollen, um ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen, attraktive und lukrative Bedingungen bieten können. Hierfür gibt es zwar gute Beispiele, aber wir können noch zulegen. Einige Stichpunkte zu diesem Thema sind heute bereits gesagt worden.
- Ja, die meisten sind unter Rüttgers ins Ausland gegangen. Das kann man nicht leugnen. Da unser lieber Koalitionspartner das anders sieht, will ich mich jetzt aber ein bisschen zurückhalten. Diese Bemerkung ist allerdings richtig.
Am KIT, dem Karlsruhe Institute of Technology, machen wir wichtige Erfahrungen. Das ist eine tolle Geschichte. Es zeigt sich natürlich auch, welche Probleme es gibt. Hier können wir im Hinblick auf das Wissenschaftsfreiheitsgesetz noch etwas lernen.
Ein Problem, mit dem das KIT zu kämpfen hat, ist: Einerseits muss sich das KIT am teilweise inkompatiblen und bürokratischen Rechtsrahmen des Landes Baden-Württemberg orientieren; Stichwort: Universität. Andererseits muss es sich nach dem Rechtsrahmen des Bundes richten, Stichwort: 90-prozentige Finanzierung des Forschungszentrums Karlsruhe und wesentlich mehr Mitwirkung des wissenschaftlichen Personals. Das kann sich in der Folge, bei der Zusammenarbeit mit der Universität, durchaus als Problem erweisen. Dieses Problem müssen wir lösen.
Einen Teil dessen, was am KIT getan wird, kann nur auf der Basis rechtlicher Graubereiche geschehen. Daher müssen wir jetzt erst einmal eine öffentliche Körperschaft nach Landesrecht schaffen, um im Rahmen einer Umgehungskonstruktion die Kooperation zwischen Forschungszentrum und Universität zu ermöglichen. Das ist eine elegante Lösung. Sie zeigt aber auch, wie bürokratisch manche Hemmnisse sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem KIT haben wir einen Erfahrungsträger. Mit Blick auf die Kooperation der RWTH Aachen mit dem Forschungszentrum Jülich kann etwas Ähnliches geschehen. Dann könnten wir darüber reden, das Vorschriftendickicht von Bund und Ländern gemeinsam zu entrümpeln. Diese Gelegenheit wollen wir nutzen. Wenn zur Erreichung dieses Ziels gesetzliche Maßnahmen notwendig sind, dann werden wir handeln. Ich bin der Ministerin dankbar, dass sie auch untergesetzliche Regelungen angesprochen hat, durch die man in der einen oder anderen Frage viel schneller zu Lösungen kommen kann.
Da auch das Thema Tarifverträge erwähnt worden ist, möchte ich darauf hinweisen: Für Tarifverträge ist nicht die Politik zuständig; das muss klar sein. Tarifverträge, auch im Bereich der Hochschulen, werden von den Ländern geschlossen. Die Länder haben die Tarifgemeinschaft auf den Hund kommen lassen, Herr Pinkwart. Es wäre notwendig, dass Sie hier Impulse setzen. Der Bund ist bereit, hierzu seinen Beitrag zu leisten. Die letzten Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst waren, was die Stärkung der Wissenschaft und des Nachwuchspersonals angeht, nicht gerade ein Ruhmesblatt; das ist völlig klar. Deswegen unterstützen wir die Forderung der FDP nach einem Wissenschaftstarifvertrag. An dieser Stelle können wir aber nicht handeln. Handeln müssen andere.
Mit den Grünen sind wir uns einig, dass wir für Wissenschaft und Forschung ein modernes Urheberrecht brauchen. Ganz so grässlich, wie Sie es dargestellt haben, ist das, was wir getan haben, aber nicht. Wir haben SUBITO gestärkt und im Rahmen des zweiten Korbes weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht. Da ich gerade sehe, dass der Kollege Manzewski hier ist, möchte ich sagen: Wir haben in der Tat noch viel zu tun, um unser Urheberrecht wissenschaftsfreundlich zu gestalten. Wir haben gute Ideen, über die wir mit unseren Kolleginnen und Kollegen diskutieren werden.
Lieber Herr Präsident, ich will die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass ein Gewinner dieser Debatte schon feststeht: die Forschung in Deutschland. Wir werden sie weiterhin stärken. Dafür ist der heutige Tag ein gutes Zeichen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Tauss von unserem geschätzten Koalitionspartner hat vieles gesagt, was richtig ist.
- Vieles. Wir wollen es nicht übertreiben.
Ich will auf den Antrag der Grünen, der ebenfalls zur Diskussion steht, eingehen. Die Grünen haben in ihrem Antrag geschrieben:
Das Wissenschaftssystem in Deutschland ist besser als sein Ruf, weist aber einige Schwächen auf ?
Diese Feststellung ist richtig. Diese Schwächen zu beheben, ist Aufgabe der Großen Koalition. Wir freuen uns natürlich über jeden, der daran mitarbeitet. Aus freundlicher Rücksichtnahme auf die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen wegen der Gespräche in anderer Sache und an anderer Stelle will ich auf diesen Antrag nicht näher eingehen.
Ein weiterer Antrag liegt uns vor; er stammt von der FDP. Er ist interessant zu lesen, und einige Aspekte sind durchaus zu berücksichtigen. Aber ich glaube, es ist dem Ziel, das wir erreichen wollen, nicht dienlich, wenn das Wissenschaftsfreiheitsgesetz überfrachtet wird.
Ich darf auf das verweisen, was der Kollege Tauss eben zur Frage eines Wissenschaftstarifvertrages ausgeführt hat: Er hat zu Recht gesagt, dass wir eines nach dem anderen tun sollten.
Wir verfolgen mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz im Grundsatz zwei Ziele: Wir wollen weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung für die universitären und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Ich bin froh, dass Ministerin Annette Schavan diesem Anliegen Priorität gegeben hat.
Wir wollen praktikable, flexible Rahmenbedingungen, um die Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Wettbewerb um die besten Köpfe, um finanzielle Mittel und um Innovationen und Technologien zu unterstützen. Wir freuen uns natürlich darüber, dass Sie mitarbeiten wollen, Frau Pieper.
- Um zu treiben, hätten Sie ein halbes Jahr früher kommen müssen. Aber, wie gesagt: Wir freuen uns über jeden, der uns auf diesem Weg begleitet.
Das Vorfeld ist geschaffen; die Exzellenzinitiative ist ein Stichwort. Wir wollen, um Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft in Deutschland zu akkumulieren, mit diesem Gesetz auf die großen Herausforderungen reagieren, die sich schnell wie folgt zusammenfassen lassen: erhöhte Mobilität, Bekämpfung des Braindrain. Wir brauchen einen Braingain; Herr Kollege Gehring hat das ebenfalls aufgegriffen. Wir stehen in einem globalen Wettbewerb. Es gibt einen immer schneller werdenden Wettlauf um verwertbare Produkte.
Die nötige Flexibilität bei den Rahmenbedingungen ist genannt. Wissenschaft braucht Freiheit. Wir wollen dazu beitragen, dass Deutschland zu einem Magneten für Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt wird. Es gibt eine Menge zu tun. Wir haben in der vergangenen Woche lesen können, dass weniger als 500 Wissenschaftler aus Nicht-EU-Ländern zu uns gekommen sind. Das heißt, wir müssen zusehen, dass wir kurzfristig - ich bin optimistisch, dass uns das gelingt - mit den Freunden der Innenpolitik sinnvolle Lösungen finden. Wir können es nicht hinnehmen, wenn es hier eine Blockade gibt.
In vielen Reden sind gute Lösungen angeklungen. Ich will den Bereich des Urheberrechtes herausgreifen. Ich freue mich, dass sich der Kollege Manzewski von unserem Koalitionspartner die Gelegenheit nicht entgehen lässt, davon überzeugt zu werden, dass wir beim dritten Korb kurzfristig Veränderungen vornehmen müssen. Wir rechnen fest mit Ihrer Unterstützung, meine Damen und Herren.
Wir wollen, dass die Entscheidungswege in den Forschungseinrichtungen schnell und unbürokratisch werden. Sie alle wissen, wie viel Zeit zum Beispiel das Ausfüllen von Reisekostenanträgen einnimmt. Diese Zeit ist in Forschung und Entwicklung besser investiert.
Wir wollen in unserer Arbeit drei Schwerpunkte setzen: Wir wollen im Bereich Personal flexible und attraktive Vergütungskonditionen,
übrigens nicht nur für die, die absolute Spitzenleistungen erbringen, sondern durchweg. Das ist geboten.
Wir wollen Anreizsysteme schaffen. Das begünstigt natürlich diejenigen, die besonders leistungsfähig sind. Diejenigen, die nicht so leistungsfähig sind, bekommen etwas weniger. Im Bereich der Haushaltssystematik wollen wir die Gesichtspunkte der Überjährigkeit, der Übertragbarkeit und der Deckungsfähigkeit von Mitteln verfolgen.
Es geht uns auch um Kooperation und Vernetzung, um Beteiligungen und Ausgründungen. Wir wollen diese erleichtern. Das heißt - ich sage das ausdrücklich -: mehr Chancen, aber auch mehr Risiko. Dessen müssen wir uns bewusst sein, und das müssen wir in Kauf nehmen.
Ich glaube aber, dass die Rechnung unterm Strich aufgehen wird.
Der eine oder andere Redebeitrag heute hat mich nicht überzeugt. So erinnere ich mich nur sehr ungern an den Beitrag der Linksfraktion. Bei FDP und Grünen sehe ich Nachholbedarf, aber wenigstens stimmt die grobe Richtung.
Ich freue mich, diese Debatte mit der folgenden Feststellung beenden zu können: Mit Ministerin Annette Schavan und den Fraktionen der Großen Koalition werden wir im Bereich der Wissenschaftsfreiheit die wichtigen Ziele schnell erreichen.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/7858 und 16/8221 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Die Zukunft der Lehre und Forschung an Hochschulen mit Hilfe der Juniorprofessur stärken?. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8369, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3192 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 148. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 7. März 2008,
an dieser Stelle veröffentlicht.]