152. Sitzung
Berlin, Freitag, den 14. März 2008
Beginn: 09.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Am Montag dieser Woche ist unser ehemaliger Kollege Hans Engelhard im Alter von 73 Jahren nach langer, geduldig ertragener Krankheit verstorben.
Hans Engelhard wurde am 16. September 1934 in München geboren und studierte nach seinem Abitur Rechtswissenschaften an den Universitäten Erlangen und München. Nach der zweiten juristischen Staatsprüfung begann er seine Berufslaufbahn als Anwalt in München.
Bereits 1954 war er der Freien Demokratischen Partei beigetreten. 1970 wurde er Mitglied des Rats der Stadt München und bald auch Fraktionsvorsitzender sowie Vorsitzender der Münchner FDP. 1972 zog Hans Engelhard, der auch für das Amt des Münchner Oberbürgermeisters kandidiert hatte, erneut in den Stadtrat ein, wurde aber bereits im November desselben Jahres in den Bundestag gewählt und verzichtete im Dezember des gleichen Jahres auf sein kommunales Mandat.
Im Deutschen Bundestag, dem Hans Engelhard bis zum Ablauf der 12. Wahlperiode 1994 angehörte, war er Mitglied des Rechtsausschusses, des Innenausschusses und der Parlamentarischen Kontrollkommission. Ab Januar 1977 war Hans Engelhard auch stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion, ein Amt, das er bis zu seiner Berufung zum Bundesminister 1982 innehatte. Hans Engelhard, der 14. Bundesminister der Justiz, übte sein Amt bis zu seinem Verzicht auf das Amt aus gesundheitlichen Gründen Ende 1990 aus und damit länger als alle bisherigen deutschen Justizminister.
Engelhard, der sich eher als konservativer Liberaler verstand und stets darum bemüht war, einen Ausgleich zwischen den Sicherheitsinteressen und den Freiheitsrechten der Bürger herzustellen, hat sich bleibende Verdienste um die Erforschung der Rolle der Justiz in der Zeit des Nationalsozialismus erworben, unter anderem durch die von ihm angeregte Ausstellung ?Justiz und Nationalsozialismus?.
Hans Engelhard war als freundlich-zurückhaltender, bescheiden auftretender, aber äußerst sachkundiger Kollege über alle Fraktionsgrenzen hinweg anerkannt und geschätzt. Bleibende Verdienste hat er sich durch seine Rolle bei der verfassungsrechtlichen und justizpolitischen Bewältigung der deutschen Einheit erworben.
Bei den Wahlen zum 13. Deutschen Bundestag musste er aus gesundheitlichen Gründen auf eine erneute Kandidatur verzichten; er schied mit Ablauf der Legislaturperiode aus dem Bundestag aus.
Der Deutsche Bundestag wird sein Andenken in Ehren bewahren. Seiner Frau und seiner Familie sprechen wir unsere Anteilnahme aus.
Sie haben sich zu Ehren des verstorbenen Kollegen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Dr. Hans Georg Faust feiert heute seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich ihm herzlich und wünsche ihm alles Gute!
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b sowie den Zusatzpunkt 6 auf:
23 a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)
- Drucksachen 16/7439, 16/7486 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)
- Drucksache 16/8525 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Zylajew
Hilde Mattheis
Heinz Lanfermann
Dr. Ilja Seifert
Elisabeth Scharfenberg
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/8522 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ewald Schurer
Norbert Barthle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vierter Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung
- Drucksachen
16/7136,
16/7472,
16/7491,
16/7772,
16/8525 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Willi Zylajew
Hilde Mattheis
Heinz Lanfermann
Dr. Ilja Seifert
Elisabeth Scharfenberg
ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Birgit Homburger, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen
- Drucksachen 16/672, 16/6836 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Willi Zylajew
Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes liegen jeweils ein Änderungsantrag und jeweils ein Entschließungsantrag der Fraktionen FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort.
Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute anstehenden Beschluss dieses Gesetzes bringen wir eine Debatte zum Abschluss, die nicht immer einfach war, mit deren Ergebnis ich aber sehr zufrieden bin.
Wir stärken die Pflegeversicherung, die sich bewährt und die vieles geleistet hat. Vor Einführung der Pflegeversicherung fielen Hunderttausende Menschen, die auf Pflege angewiesen waren, in die Sozialhilfe. Heute bewahren die Leistungen der Pflegeversicherung viele vor diesem Schicksal.
Seit 1995 sind über 300 000 neue Arbeitsplätze im Bereich der Pflege entstanden. 2,1 Millionen Menschen erhalten Leistungen der Pflegeversicherung. Für mehr als 400 000 Menschen - es sind vor allen Dingen Frauen - zahlt die Pflegeversicherung in die Rentenversicherung ein. Trotzdem gibt es eine Reihe von Herausforderungen, auf die wir uns einstellen müssen.
Wer sich entschließt, einen Angehörigen zu pflegen, braucht dazu seine ganze Kraft und hat keine Zeit, zu Hinz und Kunz zu laufen, um die Papiere zusammenzubekommen. Er wendet viel Kraft und viel Zeit auf, nimmt Einschränkungen seines Lebens in Kauf. Lange Wege, bürokratische Anträge, Klärung der Zuständigkeit - das muss nicht sein. Hier werden wir die Menschen in Zukunft entlasten.
Mit den Pflegestützpunkten werden vernetzte, wohnortnahe Beratungsangebote entstehen. Fallmanager und Fallmanagerinnen werden den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen als verlässliche Partner zur Seite stehen. Sie werden nicht nur beraten, sondern den Pflegefall während des gesamten Verlaufs begleiten: von der Entlassung aus dem Krankenhaus über Rehabilitationsmaßnahmen bis hin zur Pflege zu Hause oder in einer stationären Einrichtung. In den Pflegestützpunkten können auch diejenigen Rat und Unterstützung finden, die die deutsche Sprache vielleicht nicht so gut beherrschen, die bei der Organisation der Pflege überfordert sind oder die ihre Rechte und Ansprüche nicht kennen. Für uns ist klar: Sprache, Herkunft und soziale Schicht dürfen kein Hindernis sein, seine Rechte als Versicherter wahrzunehmen.
Die Verantwortung für die Einführung der Pflegestützpunkte liegt bei den Ländern. Nun können und müssen die Länder zeigen, wie wichtig ihnen eine moderne Pflege ist.
Ich muss gestehen, dass mir bei der Diskussion über die Pflegestützpunkte ein Zitat von Schopenhauer eingefallen ist:
Gute Ideen werden zuerst verlacht, dann bekämpft und schließlich kopiert.
Ich bin sicher, dass wir erleben werden, wie sich die größten Kritiker der Pflegestützpunkte, wenn sich diese erst etabliert haben, zu Vätern und Müttern dieses Gedankens erklären werden.
Es ist ausdrücklich erwünscht, dass durch die Pflegestützpunkte die vorhandenen Strukturen weiterentwickelt werden, dass die ehrenamtlichen Mitarbeiter und die Selbsthilfegruppen eingebunden werden. Ich bin froh, dass wir es gemeinsam erreichen konnten, dass die Fördermittel für niedrigschwellige Pflege- und Betreuungsangebote von jetzt 20 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro erhöht werden. Dieses Geld soll eingesetzt werden, um das bürgerschaftliche Engagement und das Engagement der Selbsthilfe im Bereich der Pflege zu fördern und damit die Pflege zu stärken.
Nehmen Angehörige beruflich eine Auszeit, um zu pflegen, werden für sechs Monate Sozialbeiträge übernommen. Außerdem können sich Angehörige, wenn jemand in ihrer Familie zum Pflegefall wird, für zehn Tage freistellen lassen, um kurzfristig die nötigsten Dinge zu organisieren. Damit stärken wir die Pflege in der Familie.
Die Leistungen der Pflegeversicherung werden schrittweise erhöht und ab 2015 systematisch an die Preisentwicklung angepasst. Ein Aspekt ist mir dabei besonders wichtig: Der Betreuungsbedarf von demenzkranken, psychisch kranken und geistig behinderten Menschen wird erstmals als Leistung anerkannt.
Demenziell erkrankte und psychisch kranke Pflegebedürftige erhalten künftig einen monatlichen Betrag von 100 oder 200 Euro bei häuslicher Pflege - auch dann, wenn sie keine Pflegestufe haben -, um damit zusätzliche Hilfen finanzieren zu können.
Ich bin sehr froh, dass wir auch in der stationären Versorgung dazu eine praktikable Lösung gefunden haben. Eine Erhöhung der Leistungen alleine würde zwar die Sozialhilfe entlasten, aber sie hätte nicht bewirkt, dass mehr Pflegekräfte für die Betreuung zur Verfügung stehen. Deshalb gehen wir mit der Pflegereform einen völlig neuen Weg: Erstmals werden durch die Pflegeversicherung zusätzliche Betreuungsassistenten in den stationären Einrichtungen für Menschen mit erhöhtem Betreuungsaufwand finanziert. Das hilft diesen Menschen direkt, weil die Angebote ausgeweitet werden und sie besser aktiviert werden können. Es entlastet aber auch die Altenpflegerinnen und Altenpfleger, die tagtäglich unter sehr starker Verdichtung der Aufgaben ihre Arbeit in den Einrichtungen verrichten müssen, und gibt ihnen Zeit, das zu tun, wofür sie diesen Beruf gewählt haben, nämlich den von ihnen betreuten Menschen Zuwendung zu geben.
Wir stärken die häusliche Pflege und fördern alternative Wohnformen. Pflegebedürftige können in Zukunft in Wohn- und Lebensgemeinschaften und auch dann, wenn sie im selben Haus oder in der Nachbarschaft wohnen, ihre Leistungen bündeln und Pflegeangebote gemeinsam nutzen. Das bedeutet Zeitgewinn, und Zeitgewinn bedeutet Zuwendung. Davon profitieren die Pflegebedürftigen und die Pflegenden gleichermaßen.
Ich habe großen Respekt vor der Arbeit, die Frauen und Männer in Pflegeheimen leisten. Mehr als 90 Prozent von ihnen leisten gute und aufopferungsvolle Arbeit. Wenn etwas schiefläuft, dann liegt das in der Regel nicht an den Personen selber, sondern daran, wie eine Einrichtung organisiert und geführt ist.
Wir wollen die Missstände auf ein Minimum reduzieren. Niemand kann garantieren, dass es keine Missstände gibt, aber wir wollen dagegen angehen. Die Qualitätsprüfungen in den Pflegeeinrichtungen werden künftig jährlich und in der Regel unangemeldet stattfinden. Was dabei zählt, ist die Qualität der Ergebnisse. Entscheidend für die zukünftige Qualitätsentwicklung ist die Transparenz der Pflegeberichte. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können sich in Zukunft verlässlich darüber informieren, ob ein Heim etwas taugt, zum Beispiel durch die Einführung eines Ampel- oder Sternesystems und dadurch, dass wir alle Einrichtungen - ob ambulant oder stationär - dazu verpflichten, die Prüfberichte in verständlicher Form öffentlich zugänglich zu machen.
So können schwarze Schafe schneller gefunden werden. Die Menschen können dann schlechte Einrichtungen oder Pflegedienste meiden. Das ist, glaube ich, der beste Weg, um diejenigen zu unterstützen, die tagtäglich für die Verbesserung der Qualität kämpfen.
Jedes schwarze Schaf ist eines zu viel. Dagegen müssen wir angehen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass die allermeisten Pflegerinnen und Pfleger in den Einrichtungen eine großartige und verantwortungsvolle Arbeit leisten.
Deshalb ist die Gesellschaft ihnen zu Dank und Anerkennung verpflichtet. Ich glaube, ich spreche im Namen des gesamten Hauses, wenn ich diesen Menschen, die rund um die Uhr unermüdlich ihre Arbeit leisten, einen herzlichen Dank ausspreche.
Ich will nicht verschweigen, dass ich es gerne gesehen hätte, wenn die private Pflegeversicherung ihren Beitrag zur Finanzreform geleistet hätte.
Das bleibt für mich erst einmal unbefriedigend. Dennoch: Nennen Sie mir eine andere Reform in dieser Legislaturperiode, die so konkrete und spürbare Erleichterungen für die Menschen enthält, oder eine Reform, die Leistungsverbesserungen von insgesamt mehr als 15 Prozent mit sich bringt!
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, ist ein Erfolg für die Menschen in unserem Land, die Pflegebedürftigen, die Angehörigen und die Ehrenamtlichen sowie für die Beschäftigten in den Pflegeeinrichtungen. Für uns ist wichtig, dass wir auch in der Pflegeversicherung auf dem Weg der solidarischen Absicherung der großen Lebensrisiken bleiben. Das tut der Gesellschaft und ihrem Zusammenhalt gut.
Ich bedanke mich bei allen, die an den Diskussionen und Anhörungen in den Ausschüssen teilgenommen und daran mitgewirkt haben: bei den Koalitionsfraktionen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie insbesondere beim Kollegen Seehofer und der Kollegin von der Leyen, die an der Erarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt waren.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Heinz Lanfermann für die FDP-Fraktion.
Heinz Lanfermann (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Lob für alle, die in der Pflege tätig sind, können wir sehr wohl mittragen. Das sage ich für die FDP-Fraktion ausdrücklich.
Gleichwohl steht heute nicht die grundlegende oder sogar die große Pflegereform zur Abstimmung, die die Koalition vor zweieinhalb Jahren vollmundig angekündigt hat, sondern nur die wenigen Punkte, auf die sich Union und SPD als kleinster gemeinsamer Nenner mit Mühe und Not einigen konnten.
Da mag sich die Gesundheitsministerin noch so viel Mühe geben, jede Leistungsänderung großzureden und jede Beitragserhöhung kleinzureden, da mag sich gleich eine ganze Reihe von Koalitionsrednern bemühen, jedes kleinste Detail als weltbewegenden Fortschritt zu verkünden, die schlichte Wahrheit, der unumstößliche Fakt ist: Die von der Großen Koalition versprochene Reform ist in ihrem allerwichtigsten Punkt gescheitert. Die dringend notwendige Finanzreform findet nicht statt.
Die Koalition hat es nicht geschafft. Sie hat genau genommen vor sich selbst kapituliert. Noch schlimmer: Sie hat, die Kanzlerin vorneweg, ein Versprechen gebrochen. Am 7. Juli 2006 versprach Frau Merkel in der Bild-Zeitung:
Wir werden die Pflegeversicherung im nächsten Jahr reformieren, aber Beitragserhöhungen stehen nicht auf der Tagessordnung.
Das sieht heute anders aus. Wie sagt Frau Merkel immer: Versprochen, gebrochen.
Der Pflegeversicherungsbeitrag wird ab dem 1. Juli 2008 von 1,7 auf 1,95 Prozent, für Kinderlose sogar von 1,95 auf 2,2 Prozent erhöht. Beim durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen in Deutschland von gut 27 000 Euro sind das 34 Euro im Jahr. Von wegen, es koste immer nur so viel wie eine Tasse Kaffee, Frau Schmidt!
Auch die Arbeitgeber müssen 34 Euro drauflegen. Das ist nach dem ?Kinderlosenstrafbeitrag? und dem zusätzlichen dreizehnten Beitrag im Jahre 2006 schon die dritte Beitragserhöhung innerhalb von drei Jahren.
Es gibt noch ein weiteres gebrochenes Versprechen. Die jungen Abgeordneten der Unionsfraktion haben gegen ihre Überzeugung der vermurksten Gesundheitsreform nur zugestimmt, weil ihnen von ihrem Fraktionsvorsitzenden Herrn Kauder versprochen wurde, die Union werde nur dann eine Pflegereform mittragen, wenn zumindest ein Einstieg in eine Kapitaldeckung stattfindet. Heute aber soll ein Gesetz verabschiedet werden, mit dem das nicht stattfindet, mit dem sogar neue finanzielle Lasten aufgebaut und zulasten der jüngeren Generationen in die Zukunft verschoben werden. Nach dem Motto ?Augen zu und durch? und der sehr wackeligen Aussage, nun habe man Geld für die nächsten fünf, sechs Jahre, lässt man das Wichtigste liegen. So bleibt es beim Umlageverfahren, und so werden in der Zukunft massive Beitragssatzerhöhungen und/oder empfindliche Leistungskürzungen - je nach Wahl, wahrscheinlich beides - schon aufgrund des demografischen Wandels unvermeidbar sein.
Wir alle wissen es, und die Bürger sprechen uns darauf an: Bis 2050 gibt es dreimal so viele Pflegebedürftige, und die Zahl der Beitragszahler geht um ein Drittel zurück. Man kann das hochrechnen: Das bedeutet mindestens eine Verdopplung des Beitragssatzes auf über 4 Prozent, wahrscheinlich eher auf über 5 oder 6 Prozent. Das Forschungszentrum Generationenverträge der Uni Freiburg hat ausgerechnet, was die junge Generation jeder Tag kostet,
der vergeht, ohne dass die notwendige Umstellung vorgenommen wird: 29 Millionen Euro pro Tag, also - das ist leicht nachzurechnen - über 10 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn wir jetzt weitere zwei, drei Jahre brauchen, bis wir diese Umstellung mit einer neuen, besseren Regierung vornehmen können, dann sind es über 30 Milliarden Euro, Frau Schmidt, die in Ihrer Bilanz zulasten der jungen Generation stehen.
Die FDP will einen Umstieg in eine kapitalgedeckte Versicherung, bei der die Jungen ansparen können, damit sie im Alter als Generation für ihre eigenen Kosten aufkommen. Nur so entgeht man der demografischen Falle.
Meine Damen und Herren, die Regierung und die sie tragenden Fraktionen haben sehr viel Redezeit, die Opposition hat sehr wenig. Daher verweise ich auf den Antrag der FDP-Fraktion ?Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege? auf Drucksache 16/7491, der alle unsere Vorschläge zur Zukunft der Pflege enthält. Ebenso sehr zur Lektüre zu empfehlen ist unser Antrag ?Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen?, Drucksache 16/672. Wenn man diesem Antrag folgte, Frau Schmidt, behöbe man viele Missstände. Man würde mehr Transparenz schaffen, für weniger Bürokratie sorgen und den Pflegenden, die zum Teil 30 Prozent, oft sogar mehr ihrer Zeit für Bürokratie verbrauchen, die Gelegenheit geben, diese Zeit für die Zuwendung am Pflegebett einzusetzen.
Frau Schmidt hat wieder einmal viel zu den Pflegestützpunkten gesprochen. Das ist ein etwas martialischer Begriff; ich glaube, es ist so eine Art Basislager für die Eroberung der Pflege von Staats wegen.
Sie sind überflüssig, schädlich und teuer. Was für die Gesundheitsreform der Gesundheitsfonds ist, sind für die Pflegereform die Pflegestützpunkte.
Besonders perfide ist, was Frau Schmidt mit den bestehenden Angeboten vorhat. Unter den süßen Klängen der Melodie ?Allen wird geholfen, alles aus einer Hand, alle sind eingeladen, alle können mitmachen, bestehende Strukturen werden einbezogen? wird in Wirklichkeit mit berechnender Kälte allen, die schon in der Pflegeberatung tätig sind, nach und nach nur die Alternative angeboten:
Mach mit, und zwar unter unserer Aufsicht und Leitung, oder sieh zu, wo du bleibst, wenn wir hier eine eigene, alles abdeckende Struktur aufbauen.
Tatsache ist, dass die Pflegestützpunkte sehr umstritten waren und dass die Unionsfraktion sie nie gewollt hat. Es war nicht schön für Sie, dass Frau von der Leyen und Herr Seehofer dieser Sache erst einmal zugestimmt haben, auch wenn sie hinterher leichte Absetzbewegungen gemacht haben. Es gab eine Anhörung dazu hier im Bundestag; die allermeisten Experten und Betroffenen, bis auf ganz wenige Ausnahmen, haben gesagt: Das taugt nichts. Wir sind gegen die Pflegestützpunkte. Wir wollen sie nicht; sie sind wirklich schlecht. - Nur im Gesundheitsministerium und in der SPD-Fraktion haben es einige mit bemerkenswerter Autosuggestion geschafft, das Ergebnis dieser Anhörung umzudeuten.
Herr Zöller hat diese Vorgehensweise in der Welt vom 21. Januar 2008 - das muss ich heute hier zitieren - geschildert:
Das, was Frau Schmidt macht, hat mit kollegialer Zusammenarbeit nichts mehr zu tun. Sie trickst und täuscht, was das Zeug hält. Beispiel Pflegereform: Frau Schmidt weiß, dass wir die Pflegestützpunkte ablehnen, die ihr Gesetzentwurf vorsieht. Trotzdem schreibt sie in den Pflegebericht der Bundesregierung: Pflegestützpunkte werden begrüßt. Und dann veranlasst ihr Ministerium noch vor dem Kabinettsentscheid eine Pressemeldung, in der steht, dass das Kabinett Pflegestützpunkte begrüßt.
Vielleicht sollten Sie sich darüber noch einmal unterhalten.
Ich meine, die Union hat sich hier über den Tisch ziehen lassen. Sie glaubt, weil die Anschubfinanzierung dividiert durch die Summe pro Einheit 1 200 beträgt, es gäbe nur 1 200 Pflegestützpunkte. Sie waren in den Verhandlungen schon einmal weiter und wollten nur ein paar Versuchsstützpunkte pro Land zugestehen; das ist aber Vergangenheit. Nach einer Tickermeldung vom 7. März 2008 sagt Frau Schmidt, es werden wohl 2 500 bis 3 000.
Das ist ja auch ganz einfach. Die Anschubfinanzierung macht sowieso nur Peanuts aus gegenüber den Folgekosten, die über die Jahre entstehen und von den Pflegekassen, also den Beitragszahlern, den Kommunen und den Ländern gezahlt werden. Was Sie da erreicht haben, bringt nicht viel.
Dass Sie die Flasche Salzsäure nicht trinken wollten, kann ich verstehen; aber eine halbe Flasche macht Sie auch nicht glücklich.
Es ist aber noch schlimmer. Niemand weiß, was kommen soll. Was ist eigentlich ein Pflegestützpunkt? Wie sieht er aus? Wer und wie viele Personen sitzen da, und von wem wird das Ganze bezahlt?
Ist das öffentlich-rechtliches Kaffeekochen? Was soll das sein? Nirgendwo steht etwas dazu, weder im Gesetzentwurf noch in der Begründung. Auf welchen Strukturen in den Ländern soll aufgebaut werden? Hier soll vernetzt, aufgebaut und koordiniert werden. Ich habe die Ministerin zweimal angeschrieben und gefragt: Welche Institutionen gibt es in den Ländern, auf denen man aufbaut? Wann gibt man noch etwas hinzu? - Ich habe zweimal eine höchst lapidare Antwort von Frau Caspers-Merk bekommen.
Darin steht nichts zu den Inhalten. Sie wissen es auch nicht.
Natürlich wird es Länder geben, die Pflegestützpunkte einrichten. Man muss nur ein anderes Schild an einer Institution anbringen, um in den Genuss der Anschubfinanzierung zu kommen; das ist ganz einfach. Das gibt das Gesetz her. Dadurch, dass Sie dies den Ländern übertragen, geben Sie sogar die Kontrolle aus der Hand. Das wird nicht zu Ihrem Vorteil, sondern zu Ihrem Nachteil sein. Sie werden es erleben.
Sie haben gesagt, dass die Pflegestützpunkte 800 Millionen Euro kosten. 290 Millionen Euro sind für Pflegeberater vorgesehen. Wo steht denn, dass es so viele Pflegeberater gibt? Außerdem ist zu lesen, dass für je 25 Menschen in den Heimen eine Kraft bezahlt werde, die die aufwendige Betreuung von Altersverwirrten und psychisch Kranken in die Hand nimmt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege!
Heinz Lanfermann (FDP):
Das sind doch, wenn der Arbeitgeber brutto 57 000 Euro zahlt, bei 3 500 Stellen rund 200 Millionen Euro. Das müssen Sie alles einrechnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Lanfermann!
Heinz Lanfermann (FDP):
Danke, Herr Präsident, ich habe das Zeichen gesehen. - Ich will noch sagen: Dieses Gesetz ist auch technisch schlecht gemacht, weil jeder herauslesen kann, was er will, und weil man auf jede Zahl, mit der man etwas anfangen könnte, verzichtet hat.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Annette Widmann-Mauz ist die nächste Rednerin für die Fraktion CDU/CSU.
Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 1995 hat die damalige unionsgeführte Bundesregierung die Pflegeversicherung eingeführt. Das war ein Meilenstein in der Sozialversicherungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Heute, dreizehn Jahre später, wird diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben. Mit der Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs werden erstmals seit Einführung der Pflegeversicherung Leistungen angehoben und neue Leistungen eingeführt. Außerdem wird eine regelmäßige Anpassung der Leistungsbeträge verankert.
Auch wenn sich die Lebenserwartung der Menschen, der Altersaufbau der Gesellschaft und die familiären Strukturen ändern oder neue Krankheitsbilder entstehen: Das Leistungsversprechen, das die Pflegeversicherung gibt, hat auch in Zukunft Bestand; darauf können sich die Menschen verlassen.
Für die junge Generation ist dies auf Dauer nur möglich, wenn wir ein Mehr an Kapitaldeckung in dieses System einführen. Wir wissen, dass das mit dieser Koalition nicht möglich ist. Aber, lieber Kollege Lanfermann, im Gegensatz zu Ihnen verfahren wir nicht nach dem Motto, dass, wenn wir unser Ziel nicht erreichen können, die Menschen, die pflegebedürftig sind, darunter leiden müssen. Das ist mir uns nicht zu machen.
Dass wir heute in der abschließenden Lesung so weit gekommen sind, ist das Ergebnis intensiver, erfolgreicher parlamentarischer Beratungen; denn über den ursprünglichen Gesetzentwurf hinaus ist es gelungen, zahlreiche Leistungsverbesserungen zugunsten der Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen und der Pflegekräfte auf den Weg zu bringen. Im Zentrum dieser Verhandlungen standen für die Unionsfraktion, CDU und CSU, drei Grundsätze: mehr Qualität und Leistungsgerechtigkeit, so viel Transparenz wie möglich und so wenig Bürokratie wie nötig.
Warum? Bei dieser Reform geht es nämlich in allererster Linie um die Menschen, um die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen, die Pflegekräfte und diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die ehrenamtlich in diesem Bereich ganz Hervorragendes und Außergewöhnliches leisten.
Jeder Euro, der über höhere Beiträge von den Beitragszahlern aufgebracht wird, muss verantwortungsbewusst zu allererst genau bei diesen Menschen ankommen.
Die Pflegeversicherung ist gut, aber sie stößt seit geraumer Zeit an ihre Grenzen, finanziell und bezogen auf ihre Leistungen. Damit sie gut bleibt, handelt die Große Koalition. Sie schafft jetzt das, worüber Rot-Grün sieben lange Jahre nur diskutiert hat.
Alle wussten es, aber geschehen ist fast nichts: Ich denke an die Demenz als Altersrisiko, das ständig zunimmt. Denken wir zum Beispiel an eine ältere Frau, die auf einmal nicht mehr weiß, wie sie nach Hause kommt, die vergisst, dass der Herd noch angeschaltet ist, und die nahe Angehörige nicht mehr erkennt und damit nicht mehr von Fremden unterscheiden kann. Was will ich damit sagen? Demenzkranke brauchen weniger medizinische Pflege im engeren Sinn, sie brauchen vielmehr Betreuung und Hilfe im Alltag - und diese häufig rund um die Uhr. Das stellt insbesondere für die Angehörigen eine wahnsinnig große Belastung dar. Sie pflegen zum Teil unter kaum vorstellbaren körperlichen, aber auch seelischen Belastungen aufopferungsvoll ihre Angehörigen. Nicht selten muss ihr eigenes Leben auf die Bedürfnisse der Angehörigen ausgerichtet werden, oft auch noch nach oder neben der eigenen Erwerbstätigkeit und der Versorgung der Kinder. Das verdient unseren ganzen Respekt und unsere ganze Anerkennung. Genau diesen Menschen wollen wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf helfen. Wir wollen sie weiter entlasten und unterstützen.
Mit diesem Gesetzentwurf werden in Zukunft Demenzerkrankte, die noch nicht in der Pflegeversicherung eingestuft sind, zum ersten Mal Leistungen erhalten. Wir werden die Leistungen für die Demenzkranken insgesamt aufstocken. Waren es bislang im ambulanten Bereich maximal 460 Euro im Jahr, werden es in Zukunft bis zu 200 Euro im Monat und damit bis zu 2 400 Euro pro Jahr sein. 560 Millionen Euro mehr stehen allein im ambulanten Bereich dafür zur Verfügung. Die Angehörigen erhalten damit die Möglichkeit, zusätzliche Hilfen zu sich ins Haus zu holen. Das ist wichtig; denn wir wissen doch: Pflege ist weiblich. Pflegekräfte, die ehrenamtlich Engagierten, die pflegenden Angehörigen - es sind meist die Frauen, die diese Arbeit leisten. Gerade für sie, die häufig nebenbei so viel anderes zu leisten und zu meistern haben, ist dies ein wirklich wesentlicher und längst überfälliger Schritt.
Demenz macht nicht an der eigenen Haustür halt. Nach Schätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen weisen 50 Prozent der Heimbewohner mittlerweile die Diagnose Demenz auf. Auch für sie musste endlich etwas getan werden. Manchmal hört man zwar, die Heimbewohner seien rund um die Uhr untergebracht, sie seien versorgt und deshalb müsse man nichts mehr tun, doch ?versorgt? heißt eben nicht unbedingt ?angemessen betreut?. Wir als Union haben uns nicht damit zufrieden gegeben, dass die zusätzlichen Leistungen nur auf den ambulanten Bereich beschränkt bleiben. Wir wollten, dass auch Demenzerkrankte in den Heimen zusätzliche Betreuung erfahren können.
Deshalb sind wir sehr zufrieden, dass es in den Beratungen gelungen ist, auch noch zusätzliche Betreuungsangebote für Demenzkranke in den Heimen festzuschreiben. In Zukunft können zusätzliche Betreuungskräfte für Demenzkranke in den Heimen eingestellt werden. Damit wird das bisherige Pflegepersonal von diesen Aufgaben entlastet, und neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze können entstehen.
Wir wollten, dass das Geld nicht einfach in höheren Pflegesätzen versickert. Nein, wir wollten mit nachgewiesenem zusätzlichem Personal auch zusätzliche Betreuungsangebote schaffen. Dies ist wichtig. Jetzt können zum Beispiel Tätigkeiten wie das gemeinsame Tischdecken oder das gemeinsame Kartoffelschälen mit Betreuung für Demenzkranke angeboten werden. Das hilft diesen Menschen, das ist sinnvoll und gut und trägt zur Steigerung der Lebensqualität in den Heimen bei.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der Gang in ein Pflegeheim ist für jeden eine schwere Entscheidung. Natürlich wollen alle in der Regel nur das Beste für ihre Angehörigen. Aber was tun, wenn die Kinder oder die Enkel nicht mehr am Heimatort wohnen oder ihre Berufstätigkeit oder finanzielle Gründe es nicht erlauben, zu Hause zu pflegen, oder wenn es diese nahen Angehörigen nicht mehr gibt, die die Versorgung übernehmen könnten? Wenn es aus welchen Gründen auch immer zu einer Entscheidung für einen Umzug in ein Heim kommt, dann sollte diese Entscheidung - sie fällt schwer genug - wenigstens gut informiert und guten Gewissens getroffen werden können.
Deshalb tragen wir Mitverantwortung dafür, dass die größtmögliche Transparenz nicht nur über die Lage und die Ausstattung der Zimmer gewährleistet wird, sondern vor allen Dingen Informationen über die Pflegequalität und die Angebote der Heime zur Verfügung stehen. Deshalb wollen wir, dass die Ergebnisse von Qualitätsprüfungen zukünftig veröffentlicht werden und in verständlicher Art und Weise für jedermann einsehbar sind. Das kann auch im Internet geschehen. Aber auch im Pflegeheim selbst sind zukünftig eine Zusammenfassung dieser Prüfberichte des Medizinischen Dienstes und die zugrunde liegende Bewertungssystematik transparent und verständlich zugänglich zu machen.
Das kann je nach Qualitätsstandard mit Sternchen wie im Hotel geschehen. Was für uns zur Orientierung bei jeder Hotelbuchung selbstverständlich ist, was wir erwarten, das sollte doch bei der Auswahl eines Pflegeheims, das ja immerhin der Lebensmittelpunkt werden soll, nur billig sein. Deshalb wollen wir diese Transparenz. Es ist notwendig, dass sie umgesetzt wird.
Aber nur mit besserer Transparenz, die ohne Zweifel nötig ist, ist es nicht getan. Wir als Unionsfraktion konnten uns nicht damit abfinden, dass ein Pflegeheim nur alle fünf Jahre kontrolliert wird. Auch im Gesetzentwurf waren nur dreijährige Prüfungen vorgesehen. Wir wollten, dass jedes Jahr unangemeldet Kontrollen in die Heime kommen. Das ist wichtig und stärkt die Sicherheit und die Transparenz.
Mit dem jetzt zur Abstimmung vorliegenden Entwurf sind die Heime transparenter geworden. Die Transparenz ist nämlich der beste Schutz vor Missständen. Das sind wir den älteren Menschen in unserem Land schuldig.
Dieses Mehr an Transparenz darf umgekehrt nicht zu noch mehr Bürokratie für die Pflegekräfte vor Ort führen. Die haben nämlich schon genug davon.
Im Vordergrund der Prüfung werden deshalb in Zukunft die Pflegequalität und damit das Ergebnis der Pflege am Menschen stehen. Wichtig ist doch nicht in erster Linie das, was in den Bergen von Aktenordnern an Struktur- und Prozessqualität dokumentiert ist. Wichtig sind doch das körperliche und seelische Wohlbefinden und die Lebensqualität, die durch die Pflege beim Pflegebedürftigen ankommen.
Schließlich soll die Pflegekraft in ihrer Arbeit doch zuerst am Menschen und nicht am Schreibtisch tätig sein.
Der Umzug fürs Heim bringt häufig auch eine große Veränderung bei der ärztlichen Versorgung mit sich. Natürlich wünscht sich fast jeder, dass der vertraute langjährige Hausarzt, der so manchen ein Leben lang begleitet hat, nun auch in der neuen Umgebung die ärztliche Versorgung übernimmt. Aber wir wissen auch: Das ist nicht immer möglich. Deshalb ist es so notwendig, dass die ärztliche und gerade auch die fachärztliche Versorgung in Zukunft gewährleistet bleiben. Denn es ist notwendig, dass auch zum Beispiel ein Augenarzt oder ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt die Menschen im Alter, deren Sehkraft und Hörfähigkeit nachlassen, an der Gemeinschaft teilhaben lassen können, die auch im Pflegeheim stattfindet.
Uns als Union ist es sehr wichtig gewesen, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis, welches ein besonderes Vertrauensverhältnis ist, nicht gestört wird und die freie Arztwahl im Pflegeheim weiterhin möglich ist. Deshalb setzen wir auf Kooperationen mit niedergelassenen Ärzten oder Arztgruppen - ob selbstständig oder unterstützt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Erst wenn solche Kooperationen, die gut und notwendig sind, nicht funktionieren, kann auch ein angestellter Arzt im Heim Menschen versorgen. Eines muss aber ganz klar sein: Die freie Arztwahl muss erhalten bleiben. Kein Arzt darf zugewiesen werden. Darauf legen wir großen Wert, und dies ist jetzt mit diesem Gesetz gesichert.
Die Pflegebedürftigkeit kann jeden jederzeit treffen - direkt oder indirekt. Die Angehörigen spielen dann eine wirklich wichtige Rolle und leisten sehr viel. Deshalb haben wir uns mit vielen Veränderungen in diesem Gesetzentwurf ganz besonders für sie eingesetzt. Denken wir an die sechsmonatige Pflegezeit und an den Anspruch, wieder in den Beruf einsteigen zu können. Denken wir an den Freistellungsanspruch, der jetzt gewährt wird.
Wir verkürzen darüber hinaus die Wartezeit auf die Kurzzeitpflege oder die Verhinderungspflege für diejenigen, die neu in eine solche Situation kommen. In der Verhinderungspflege besteht häufig kein Rentenanspruch mehr, was den Angehörigen das Leben schwer macht. Wir wollen ihnen an dieser Stelle helfen, indem wir wichtige weitere Neuerungen für pflegende Angehörige schaffen.
Für die Pflegekräfte wollen wir die Attraktivität des Berufs steigern. Was von den professionellen Pflegekräften geleistet wird, ist wirklich herausragend. Körperlich und psychisch ist dieser Beruf schwer. Wir wollen, dass er gerade für junge Menschen attraktiver wird. Deshalb eröffnen wir die Möglichkeit, dass ausgewählte ärztliche Tätigkeiten nicht nur delegiert, sondern auch eigenverantwortlich von Pflegekräften durchgeführt werden können. Das stärkt die Verantwortung und damit die Attraktivität des Berufs.
Wir werden auch die Zukunftsperspektive für eine Tätigkeit als Einzelpflegekraft stärken. Man kann dann sozusagen sein eigener Herr oder seine eigene Frau sein. Damit entstehen neue, flexible Einsatzfelder für Pflegekräfte in der Praxis. Dies ist wichtig, um dem Beruf auch weitere Perspektiven zu eröffnen.
Der Gesetzentwurf hat im Parlament nochmals deutliche Verbesserungen erfahren. Damit werden allen Beteiligten - den Betroffenen, den Angehörigen und den Pflegekräften - neue Wege aufgezeigt. Deshalb geht mein Dank an diesem Tag nicht nur an die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, insbesondere meiner Fraktion, sondern auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen und des Ministeriums.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie können jetzt nicht mehr vollständig vortragen, wem im Einzelnen Dank gebührt.
Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU):
Den Dank habe ich jetzt schon allgemein zum Ausdruck gebracht; personenbezogen würde es in der Tat länger dauern. Aber es ist wichtig, diesen Dank zu sagen; denn ohne die tatkräftige Unterstützung wäre das Ergebnis nicht erreicht worden. Deshalb müssen wir uns die Zeit dafür nehmen.
Es ist ein guter Gesetzentwurf, der den Menschen in unserem Lande, denjenigen, die das Schicksal in die Lage gebracht hat, pflegebedürftig zu sein, weiterhilft. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Ilja Seifert, Fraktion Die Linke.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Obwohl der Grundansatz dieses Gesetzes zur ?Weiterverwirrung? der Pflegeversicherung völlig verquast ist, konnte die Bundesregierung es nicht verhindern, wenigstens ein paar positive Pünktchen einzubauen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich Menschen, die wirklich auf diese Hilfe angewiesen sind, ordentlich gewehrt haben. Es liegt auch daran, dass die Opposition - insbesondere die linke Opposition - immer wieder gesagt hat: Ihr müsst an die Menschen denken und nicht an die Strukturen.
Es lässt sich beispielsweise nicht leugnen, dass es vernünftig ist, dass die Menschen dann, wenn sie für ein halbes Jahr eine Pflegeauszeit nehmen, zumindest weiter sozialversichert sind.
- Das ist ein positiver Aspekt, den ich gar nicht leugnen will. Die Grundrichtung ist aber falsch.
Jeder Mensch weiß: Wenn ich eine neue Sozialleistung ordentlich gestalten will, dann muss ich zuerst das Ziel definieren. Das Ziel zu definieren heißt, einen vernünftigen Begriff dessen in das Gesetz zu schreiben, was eigentlich gemacht werden soll. Gemacht werden soll nicht etwa ?satt, sauber, trocken?. Gemacht werden soll vielmehr, dass Menschen auch dann, wenn sie inkontinent oder dement sind oder auch dann, wenn sie andere ständige Hilfe brauchen, am Leben der Gemeinschaft teilhaben können müssen.
Ob Teilhabe an der Gemeinschaft heißt, mit der Familie unterwegs zu sein, an großen Veranstaltungen teilzuhaben oder bei einer Sportveranstaltung dabei zu sein, sei dahingestellt. Sie haben aber nicht einmal den Ansatz einer Teilhabeermöglichung eingebaut. Sie haben nicht einmal einen Ansatz für Selbstbestimmung eingebaut. Sie haben nicht einmal einen Ansatz für den würdevollen Umgang mit Menschen in dieser schwierigen Situation eingefügt. Sie haben keinen vernünftigen Pflegebegriff.
Den wollen Sie irgendwann am Sankt-Nimmerleins-Tag kurz vor Weihnachten präsentieren, dann, wenn das Gesetz längst in Kraft ist. Das kann doch nicht vernünftig sein.
Sie wissen, dass man das Ziel erst einmal definieren muss, bevor man die Wege festlegt. Danach kann man fragen, was es kostet und woher das Geld kommt. Sie machen es gerade umgekehrt. Sie überlegen eine Erhöhung des Beitrags um 0,25 Prozentpunkte und wollen dann sehen, wie weit sie damit kommen.
Was haben Sie nun Tolles eingerichtet? Sie wollen jetzt Pflegestützpunkte einrichten. Sie haben uns hier ein Theaterstück vorgespielt, das vom Feinsten war. Als wenn das der Knackpunkt einer vernünftigen Pflegeorientierung wäre! Der Knackpunkt einer vernünftigen Pflegeorientierung ist nicht, dass ich mehr darüber beraten werde, was es alles nicht gibt. Der Knackpunkt einer vernünftigen Pflegeversicherung ist, dass ich die Hilfe dann bekomme, wenn ich sie brauche. Das ist ein Unterschied.
Über was sollen die Beraterinnen und Berater die Menschen denn beraten, wenn es vorn und hinten nicht reicht?
- Das kann ich auch sagen, ohne ausgebildeter Berater zu sein.
Sie haben tolle Sachen in das Gesetz hineingeschrieben. Sie wollen eine Dynamisierung der Leistungen einführen. Meine Damen und Herren, damit Sie wissen, wovon wir reden: Diese Dynamisierung soll in der übernächsten Wahlperiode in Kraft treten. Bis dahin gibt es noch so viele Möglichkeiten, das wieder zu verhindern, dass man gar nicht weiß, wie ernst man das nehmen soll.
Sie haben jetzt vorgeschlagen, eine kleine Erhöhung der Leistungen vorzunehmen. Diese gleicht nicht einmal die Inflationsverluste aus.
Sie wissen das so gut wie ich und reden daran vorbei. Die Leistungserhöhung reicht auf gar keinen Fall aus, um das immer wieder postulierte Motto ?ambulant vor stationär? umzusetzen. Was Sie stärken, sind wieder die Strukturen in Einrichtungen, in denen die Menschen mehr oder weniger verwahrt werden, in denen sie jedenfalls nicht selbstbestimmt leben. Die Selbstbestimmung hat ihre Grenzen beim Dienstplan des Personals. Im Zentrum stehen nicht die Bedürfnisse derjenigen, um die es eigentlich geht, die Pflegebedürftigen. Das Schlimme ist, dass Sie es ebenso gut wissen wie ich und es nicht richtig ändern. Das ist das, was ich Ihnen wirklich vorwerfe.
Hinter der Nebelwand dieser Riesendiskussion über die Pflegestützpunkte haben Sie geschickt versteckt, dass es ein paar richtige Sauereien gibt. Jetzt gibt es nach diesem Gesetz plötzlich Pflegekräfte; es gibt nicht Pflegefachkräfte, es gibt Pflegekräfte.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das das Einfallstor dafür sein wird, die sittenwidrigen Arbeitsbedingungen, die polnische Frauen in Deutschland schon jetzt haben, zu legalisieren,
dass es in Zukunft legal und geradezu vom Gesetz gestützt sein wird, dass Frauen für drei Monate hierher kommen und, getarnt als Haushaltshilfe, für 700 oder 800 Euro im Monat
- das ist doch jetzt schon so! - tätig sind, 24 Stunden am Tag, und zwar nicht als Haushaltshilfe, sondern als Pflegekraft par excellence. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die momentan keine andere Möglichkeit haben, ihre Pflegesituation zu verbessern. Aber das ist trotzdem sittenwidrig, und ich möchte, dass die Menschen, die diese Arbeit leisten, ordentlich bezahlt werden.
- Aber Sie machen es nicht.
Dann legen Sie einen Entschließungsantrag dazu vor! Wenn wir dem zustimmten, hieße das nicht gleich, dass er gut wäre. Er machte aber zumindest deutlich, dass Sie wissen, dass Ihr Gesetz nicht nur zu kurz gesprungen ist, sondern sogar in die falsche Richtung geht. Sie sagen immerhin, dass Sie wissen, in welche Richtung man springen müsste.
Erlauben Sie mir bitte noch ein Wort zur Finanzierung. Herr Lanfermann möchte immer, dass die Pflegeversicherung kapitalgedeckt ist. Jeder weiß, dass die Pflegeversicherung so etwas wie die kleine Schwester der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Deshalb hätten wir bei dieser kleinen Schwester der großen GKV die wunderbare Möglichkeit gehabt, über fünf Jahre einmal auszuprobieren, wie eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung funktionieren würde. Dann hätten wir hier alle Fehler, die sich beim Übergang in ein solches System natürlich einschleichen, testen und korrigieren können. Selbst Sie von der Union müssten eigentlich dafür sein. Denn wenn sich wirklich herausstellen sollte, dass dieses System nicht funktioniert, dann hätten Sie das auf diesem Wege bewiesen und es nicht nur aus ideologischen Gründen behauptet. Lassen Sie uns diesen Weg doch wirklich einmal gehen! Dieser Weg ist nicht zulasten der Bürgerinnen und Bürger, die Hilfe brauchen, nicht zulasten der Menschen, die Hilfe anbieten, und auch nicht zulasten derjenigen, die das bezahlen.
Letzter Satz. Ich wundere mich, dass Sie sich eine Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen leisten, dass Sie aber, wenn sie ein Konzept für einen teilhabeorientierten Pflegebegriff auf den Tisch legt, dieses sofort in den Papierkorb werfen. Pfui!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erhält die Kollegin Elisabeth Scharfenberg, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort, der ich vor Beginn ihrer Rede herzlich zu ihrem heutigen Geburtstag gratulieren möchte, verbunden mit allen guten Wünschen des ganzen Hauses.
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vorab vielen Dank für die guten Wünsche; die kann ich heute gut gebrauchen.
Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen heute am Ende eines langen Gesetzgebungsverfahrens zu einer kleinen Pflegereform. Die Große Koalition hat uns zu Beginn ihrer gemeinsamen Leidenszeit weitreichende Versprechungen gemacht. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist die Rede von einem ?Gesetz zur Sicherung einer nachhaltigen und gerechten Finanzierung der Pflegeversicherung?. Dieses Gesetz sollte bis zum Sommer 2006 vorgelegt werden.
Wir haben jetzt Mitte März 2008, also fast zwei Jahre später.
Wenn wir glauben, dass wir heute das uns angekündigte große Gesetz der Pflegereform verabschieden, dann täuschen wir uns.
Denn das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz enthält weder den versprochenen Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung, noch macht es die Pflegeversicherung auch nur ansatzweise nachhaltiger oder gerechter.
Beschämend für die Große Koalition ist es, dass auch in Ihrem Entschließungsantrag, der heute hier zur Abstimmung steht, jede Äußerung, wie es mit der Finanzierung der Pflegeversicherung weitergehen soll, fehlt - nichts, keine einzige Aussage.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, welche Schlüsse sollen wir denn daraus ziehen? Ich denke, es gibt nur einen Schluss: Eine gemeinsame nachhaltige Finanzreform ist in dieser politischen Konstellation einfach unmöglich.
Nicht einmal für eine gemeinsame Willensbekundung reicht es aus. Diese nicht stattfindende Finanzreform wird die Abgeordneten der nächsten Legislaturperiode noch schön beschäftigen, wissen wir doch alle, dass die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition hier auf Zeit und somit auf veränderte politische Mehrheiten spielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden heute das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, ein Gesetz, in das viele Menschen große Hoffnungen setzen. Auch wenn das, was wir als Reform nun in den Händen halten, weit hinter unseren Erwartungen zurückbleibt, ist für uns Grüne dennoch klar: Diese Reform enthält durchaus auch gute Seiten und Ansätze.
So begrüßen wir es etwa ausdrücklich, dass Einrichtungen künftig einmal pro Jahr und unangemeldet kontrolliert werden sollen. Wir begrüßen es auch, dass die Prüfberichte künftig veröffentlicht werden sollen. Das sind wichtige und absolut notwendige Schritte hin zu mehr Transparenz und Qualität für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Für uns Grüne ist auch klar, dass die Pflegestützpunkte und Pflegeberater wie auch die Pflegezeit im Grundsatz richtig sind. Ebenso ist aber auch klar, dass die Umsetzung dieser Punkte schlecht gemacht und eben nicht im Sinne der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen ist.
Leider wurde hier die Große Koalition zur großen Konfusion. Bei den Verhandlungen stand nämlich nicht etwa die Frage, was die Betroffenen brauchen, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben auch bei Pflegebedürftigkeit führen zu können, im Vordergrund.
Ich möchte an dieser Stelle nochmals in unser aller Gedächtnis rufen, dass dieses Gesetz für pflegebedürftige Menschen gemacht wird. Das rückt bei dieser Reform etwas in die zweite Reihe.
Denn im Vordergrund stand wie so oft bei den Entscheidungen der Großen Koalition, das jeweils eigene politische Profil zu behalten und sich so schon jetzt für die nächsten Wahlen gut aufzustellen.
Kompromisse weit und breit - auch bei den Pflegestützpunkten. Hier wird es nun besonders spannend. Die Länder sollen nunmehr die Entscheidungshoheit darüber haben, ob sie in ihrem Land solche Stützpunkte haben wollen oder ob sie sie nicht haben wollen, und wenn ja, dann sollen es die Kassen mal schön umsetzen. Es ist vom Grundsatz her gut, wenn die Länder bei den Stützpunkten stärker eingebunden werden. Aber dass sich die Länder auf Kosten des Solidarsystems einen schlanken Fuß machen können, das ist nicht in Ordnung.
Außerdem laufen wir - wie schon beim Heimrecht - Gefahr, dass es hier zu einer föderalen Zersplitterung kommen wird.
Es ist richtig und wichtig, vorhandene Hilfsangebote zu bündeln und zu vernetzen, Bürokratie abzubauen und doppelte Strukturen zu vermeiden. Aber - selbst Frau Caspers-Merk äußerte sich dazu schon kritisch - nur Rheinland-Pfalz bietet derzeit eine ausreichende, flächendeckende und damit wohnortnahe Beratungsstruktur.
Im Flächenland Baden-Württemberg zum Beispiel gibt es lediglich 50 Beratungsstellen. Originalton Frau Caspers-Merk - da bin ich ganz an ihrer Seite -: Es darf nicht sein, dass eine gute Pflegeberatung vom Wohnort abhängig ist.
Frau Ministerin, mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzes können wir uns auch gleich von diesem hehren Wunsch mit verabschieden. Es wird zukünftig vom Wohnort abhängen, ob ich im Falle einer Pflegebedürftigkeit Zugang zu einem Stützpunkt habe oder nicht.
Auch beginnt schon jetzt das Hauen und Stechen. In Nordrhein-Westfalen tun schon jetzt Ärzte kund, die Pflegestützpunkte seien eine klare Deprofessionalisierung ärztlicher Tätigkeit.
Die Hausärzte dort sehen sich als Case- und Care-Manager sowie Pflegestützpunkt in Personalunion. Ich kenne keinen Hausarzt, der zusätzlich als Pflegeberater diese umfassende Aufgabe, wie sie im Gesetz zu Recht vorgesehen ist, erfüllen könnte. Das bedingt allein schon der Mangel an Zeit.
Mal schauen, was uns hier an Diskussionen noch ins Haus stehen wird.
Auf Bundesebene können wir nun nichts mehr ändern, aber wir müssen alles daransetzen, auf Landesebene mitzugestalten.
Noch schlimmer ist allerdings, dass die neue Leistung der Pflegeberatung weiterhin allein in der Hand der Kassen liegen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie können es noch so oft beteuern: Fakt ist, diese Beratung wird nicht unabhängig sein. Unabhängigkeit aber wäre die wichtigste Voraussetzung, damit die Betroffenen wirkliches Vertrauen zu denen aufbauen können, die ihnen helfen sollen. Es handelt sich hier um eine Lebenssituation, in der die Betroffenen tiefe Einblicke in ihre Privatsphäre, ihr familiäres und auch finanzielles Umfeld geben.
Beim Thema Pflegezeit haben sich zwischen Union und SPD tiefe Gräben aufgetan. Die Pflegezeit, die heute beschlossen wird, wird ohne reale Bedeutung bleiben. Einen Lohnersatz wird es bei dieser Pflegezeit nicht geben. Die Pflegezeit kann nur in Betrieben mit mehr als 15 Mitarbeitern in Anspruch genommen werden, und sie bleibt auf nahe Angehörige beschränkt. Ich frage mich: Wer bleibt da eigentlich noch übrig? - Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Feigenblattprogramm für Besserverdienende.
Denn wer soll es sich leisten können, mal eben sechs Monate aus dem Beruf auszusteigen? - Ich prophezeie Ihnen, bereits nach zwei Wochen liegt ein Berg von Rechnungen auf dem Küchentisch; denn das ganz normale Leben mit allen finanziellen Verpflichtungen, die die Angehörigen haben, geht weiter. So geht es eben nicht. Ihr Modell der Pflegezeit geht an jeglichem realen Leben vorbei.
Lassen Sie mich noch einmal einen Blick in den Entschließungsantrag der Koalition werfen. Dort wird mit knappen Worten darauf verwiesen, dass die Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs natürlich sehr wichtig sei, aber dass erst einmal unterschiedliche Modelle erprobt werden müssten. Im Klartext heißt das für uns: Darauf können wir lange warten.
Weiter steht da, man würde gerne das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderungen so weiterentwickeln, dass sie auch Pflegeleistungen als Budget erhalten können. Aber man müsste dazu erst dieses und jenes prüfen und modellhaft erproben. Im Klartext: Auch darauf können wir lange warten.
Zu guter Letzt lese ich noch den Appell an alle Akteure in der Pflege, sie mögen doch die Neuregelungen zur Qualitätssicherung auch bitte umsetzen. Entschuldigung, aber haben Sie so wenig vertrauen in Ihre eigenen Gesetze, dass Sie um deren Einhaltung bitten müssen?
Lassen Sie mich abschließend sagen: Diese Reform trägt den Titel ?Weiterentwicklungsgesetz". Inhalt und Titel passen aber nicht zusammen. Thema leider verfehlt! Es ist nun einmal so: Ohne Mut zur Veränderung kann es keine Weiterentwicklung geben. Der Mut hat die Koalition aber auf halber Strecke verlassen. Es gibt viele gute Ansätze, aber die Umsetzung erfolgt leider sehr enttäuschend. Deshalb verdient diese kleine und für die betroffenen Menschen enttäuschende Reform diesen großen Namen nicht.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Elke Ferner ist die nächste Rednerin für die Fraktion der SPD.
Elke Ferner (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ich möchte zuallererst den vielen pflegenden Angehörigen danken, die unter wirklich schwierigen Bedingungen Tag und Nacht, häufig auch neben ihrem Beruf und der Verantwortung für die eigene Familie, für ihre pflegebedürftigen Angehörigen da sind.
Zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden in der Häuslichkeit gepflegt. Das zeigt, wie die Wünsche der Pflegebedürftigen aussehen.
Ich möchte aber auch dem Personal in den ambulanten und stationären Einrichtungen danken. Sie verrichten ihre Arbeit sehr verantwortungsvoll. In vielen Fällen werden sie leider schlecht bezahlt, aber trotzdem arbeiten sie mit viel Engagement, Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Mitmenschlichkeit. Sie sind für die pflegebedürftigen Menschen da. Es gibt nicht sehr viele, die dazu bereit sind, eine solche nicht nur körperlich, sondern auch psychisch anstrengende Arbeit zu leisten. Dafür sollten wir an dieser Stelle noch einmal Dankeschön sagen.
Die 13 Jahre Pflegeversicherung sind eine Erfolgsgeschichte. Ulla Schmidt hat zu Beginn ja schon einiges dazu gesagt. Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass mehr als 2 Millionen Pflegebedürftige jeden Monat pünktlich ihre Leistungen erhalten und mittlerweile fast 800 000 Menschen in der Pflege arbeiten und eine bezahlte - wenn auch nicht immer gut bezahlte - Beschäftigung in diesem Bereich haben. Ich glaube, dass wir darauf in Zukunft ein weiteres Augenmerk richten sollten.
Wir werden mit dieser Pflegereform die häusliche Pflege mit besseren Leistungen und besseren Möglichkeiten zur Entlastung der pflegenden Angehörigen stärken. Der besondere Betreuungsbedarf für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz wird durch zusätzliche Leistungen anerkannt.
Bei der Rede von Frau Widmann-Mauz ist mir sofort die Eingangsbemerkung von Ulla Schmidt eingefallen: Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Wer wollte etwas haben, und wer wollte das nicht? - Zum Schluss ist es dann ja oft so, dass diejenigen, die etwas zuerst nicht haben wollten, in erster Reihe stehen, wenn es darum geht, das Lob dafür einzuheimsen. Frau Reimann wird nachher noch näher darauf eingehen.
Wir stärken das Prinzip Reha vor Pflege. Wir verbessern die Schnittstellen zwischen Krankenhäusern, Rehaeinrichtungen und der Pflege. Wir führen eine Pflegezeit ein, die für nahe Angehörige bis zu sechs Monate betragen kann. Frau Scharfenberg, Sie hätten in Ihrem Redebeitrag fairerweise hinzufügen können, dass der Begriff der nahen Angehörigen hier nicht ausschließlich Ehepartner und direkte Verwandte umfasst, sondern das der Begriff schon zeitgemäß gefasst ist. Ich muss sagen: Die Voraussetzungen für die Pflegezeit sind keine anderen als beispielsweise die bei der Elternzeit. Hier hat Ihre Fraktion zugestimmt.
Man kann darüber diskutieren, ob die Pflege von Angehörigen möglicherweise eher wieder die Frauen trifft. Die Diskussion, die wir heute aufgrund der aktuellen Lage führen, sieht nun einmal so aus, dass insbesondere die Töchter oder Schwiegertöchter vor der Frage stehen: Muss ich meinen Angehörigen in eine stationäre Einrichtung geben, oder höre ich mit meinem Job komplett auf, um die häusliche Pflege zu ermöglichen? Wir haben eine Pflegezeit mit voller sozialer Absicherung und mit der Garantie, in den alten Beruf zurückzukehren, beschlossen. Ich glaube, das sollte man anerkennen. Das ist sicherlich nicht das Optimum, aber eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo.
Wir hätten uns gewünscht, dass die Union unserem Vorschlag, den wir auch im Gesetzgebungsverfahren eingebracht haben, zugestimmt hätte, eine kurzfristige bezahlte Freistellung einzuführen, damit eben die Angehörigen dann, wenn ein Pflegefall zu erwarten ist, die Zeit haben, um die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen. Wir alle wissen, dass in dieser Situation viele Angehörige das Gefühl haben, es werde nichts mehr so sein, wie es war. Sie wissen eben nicht, wo sie die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, damit sie ihren Angehörigen die Pflege zukommen lassen können, die sie sich selber wünschen.
Hier werden wir nicht nachlassen. Wir werden diesen Punkt 2009 noch einmal aufgreifen. Es ist zwar jetzt eine Chance vertan worden. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Wir wissen um die Sorgen und Ängste der Menschen in einer solch schwierigen Situation. Ich weiß, dass dieser Vorschlag in der Bevölkerung große Unterstützung erfährt.
Uns ist es nicht gelungen, für das Problem der dauerhaften Finanzierung eine Lösung zu finden. Das spiegelt im Prinzip die Diskussion wider, die wir auch bei der Gesundheitsreform geführt haben. Wir stehen nach wie vor für eine Bürgerversicherung Pflege, weil wir der Auffassung sind, dass nur so eine tragfähige und solidarische Finanzierung dauerhaft gesichert sein kann.
Ich bedauere es sehr, dass die Union von der Zusage, die sie im Koalitionsvertrag gegeben hat, leider wieder abgerückt ist.
- Nein, im Koalitionsvertrag steht nichts von einem Prüfauftrag. Frau Widmann-Mauz, manchmal hilft es, zu lesen.
- Im Koalitionsvertrag steht, dass ein Risikoausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung erfolgen soll.
Das haben Sie jetzt nicht mehr gewollt. Wir können das nicht erzwingen. Aber man darf zumindest daran erinnern, was Sie vor Regierungsbeginn zugesagt haben und was Sie in der Regierungszeit in der Koalition bereit sind, umzusetzen.
Mit dieser Reform konnten wir das Problem der ungerechten Verteilung der Risiken nicht lösen. Die soziale Pflegeversicherung muss pro 100 Versicherte Leistungen für 2,8 Pflegebedürftige finanzieren, während die private Pflegeversicherung Leistungen für nur 1,3 Pflegebedürftige bereitstellen muss. Daran sieht man, dass die Risiken unterschiedlich verteilt sind. Da es sich hier um einen Versicherungszweig handelt, der die absolut identischen Leistungen finanziert, macht es keinen Sinn, die Risiken so unterschiedlich zu verteilen.
Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Verbesserung der Pflegequalität. Auch da, Frau Widmann-Mauz, sollte man deutlich machen, dass dies eine gemeinsame Aktion war. Sie haben den Vorschlag eingebracht, aber auch wir haben diesen Vorschlag gemacht. Beide Vorschläge haben sich getroffen. Ich bin froh darüber, dass ab 2011 in den Pflegeeinrichtungen jährlich und grundsätzlich unangemeldet Regelprüfungen stattfinden.
Da, wo der Medizinische Dienst Mängel erkennt, wird nicht wie heute ein Prüfbericht vorgelegt, den keiner versteht, sondern dieser Bericht muss transparent sein und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sowie in verständlicher Form abgefasst sein. Vor allen Dingen ist neu, dass der Medizinische Dienst den Einrichtungen Empfehlungen geben wird, wie das, was falsch gelaufen ist, verbessert werden kann, damit bei der nächsten Prüfung die Qualität wieder in Ordnung ist.
Es gehören aber auch die Weiterentwicklung der Expertenstandards und eine gerechte Bezahlung des Personals dazu. Ich bin sehr froh, dass bereits im Regierungsentwurf als Voraussetzung dafür, dass zwischen Kassen und Einrichtungen überhaupt Verträge geschlossen werden können, die ortsübliche Bezahlung vorgesehen war.
Eben ist gesagt worden, Pflegestützpunkte brächten nichts. Herr Seifert, Frau Scharfenberg, man kann ja darüber streiten, wie diese nachher ausgestaltet werden sollen. Aber eines ist doch klar: Wenn ich in einer extrem schwierigen Situation, in der teilweise sehr schnell entschieden werden muss, nicht den völligen Überblick darüber habe, welche Hilfsangebote es gibt und wie ich die Häuslichkeit erhalten kann - auch wenn die Wohnung im Moment vielleicht noch nicht so umgebaut ist, wie es sein müsste -, dann brauche ich eine umfassende und unabhängige Beratung.
Jetzt kann man darüber streiten, wer unabhängig ist. Wirklich unabhängig sind auch die Kommunen nicht; denn spätestens dann, wenn SGB-XII-Leistungen gewährt werden sollen, können auch die Kommunen nicht mehr ganz unabhängig sein. Aber da wir in Zukunft alle Akteure, alle Leistungsträger unter einem Dach haben - sie erstellen dann gemeinsam einen Hilfeplan und schauen nach einem vernünftigen Ausgleich; es geht um maßgeschneiderte Hilfepläne für die Betroffenen -, wird meiner Meinung nach die Pflege besser organisiert und mehr an den Interessen und Bedürfnissen der Menschen - auch an dem Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe - orientiert sein, als das heute der Fall ist.
Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Pflegereform ein großer Erfolg für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ist. Wir lassen uns das nicht kleinreden, auch wenn man sich an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch mehr Leistungen vorstellen kann. Ich würde mir wünschen, dass auch die Dinge, die vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft jenseits der Pflegeversicherung notwendig sind, auf der kommunalen Ebene und der Landesebene befördert werden: dass Wohnumfelder geschaffen werden, die es ermöglichen, dass die Häuslichkeit weiterhin bestehen bleibt, dass eine soziale Infrastruktur geschaffen wird, die die Menschen darin unterstützt, in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können und gleichzeitig gesellschaftlich teilhaben zu können, dass sie im Alter menschenwürdig und liebevoll gepflegt werden und dass auch ein Sterben in Würde möglich ist. In diesem Sinne wird die Pflegereform ein großer Erfolg sein.
Auch ich möchte mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums und der Fraktionen bedanken, die uns darin unterstützt haben, diese Reform auf den Weg zu bringen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Daniel Bahr erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion.
Daniel Bahr (Münster) (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Pflegereform ist erneut ein Beispiel dafür, dass eine Große Koalition eben nicht die großen Probleme anpackt. Wie schon bei der Gesundheitsreform ist es Ihnen auch mit dieser Pflegereform nicht gelungen, die Probleme, die es vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung bei der Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme gibt, wirklich anzupacken. Im Gegenteil: Wie bei der Gesundheitsreform schieben Sie bei der Pflegereform erneut die Lasten auf kommende Generationen.
Der beste Beleg dafür, dass Sie schlechte Gesetze machen, ist die Pflegereform; denn in dieser Pflegereform müssen Sie die Dinge, die Sie in der Gesundheitsreform vereinbart haben, schon wieder korrigieren. Ich möchte etwas ansprechen, was bisher noch keine Rolle spielte, was aber in diesem Gesetzentwurf enthalten ist. Sie haben in der Gesundheitsreform vorgesehen, dass Ärzte bei selbstverschuldeten Krankheiten Behandlungen den Krankenkassen melden sollen; das ist der sogenannte Petzparagraf. Dieser Petzparagraf muss nun noch einmal in der Pflegereform geregelt werden. Er erschüttert das so schützenswerte Arzt-Patienten-Verhältnis.
Wir von der FDP-Fraktion, wir Liberalen im Deutschen Bundestag, lehnen diesen Petzparagrafen ab, weil wir glauben, dass er sich gegen die Grundrechte von Patienten und Ärzten richtet. Dies ist ein Angriff auf die ärztliche Schweigepflicht und das verfassungsrechtlich geschützte Patientengeheimnis.
Das so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten wird durch einen solchen Petzparagrafen untergraben, wenn die Ärzte quasi zu Meldern für die Krankenkassen werden. Ich glaube auch nicht, dass dies wirklich denen dient, die sich als Jugendliche vielleicht durch ein Piercing eine Infektion zugezogen haben und die dann Angst haben, zum Arzt zu gehen und sich behandeln zu lassen, weil sie die Konsequenzen befürchten, wenn der Arzt dies an die Krankenkasse meldet. Wir haben daher einen praktikablen Vorschlag vorgelegt, wie der Arzt etwas melden soll, wenn der Patient eingewilligt hat. Die entscheidende Voraussetzung muss sein, dass der Patient der Meldung an die Krankenkasse zustimmt. Wenn der Patient nicht einwilligt, kann der Arzt die Auskunft gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung verweigern. Dann müsste das privat behandelt, das heißt, privat bezahlt werden. Das ist ein praktikabler Weg. Damit schützen wir das Arzt-Patienten-Verhältnis.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spahn?
Daniel Bahr (Münster) (FDP):
Ja, die gestatte ich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte.
Jens Spahn (CDU/CSU):
Herr Kollege Bahr, können Sie mir erklären, warum die FDP an dieser Stelle die Meldepflicht für Ärzte ablehnt, während sie in einem Antrag zur Genitalverstümmelung, den wir in dieser Woche ebenfalls beraten haben, die Bundesregierung bittet, zu prüfen, ob eine Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte eingeführt werden kann? Wie kommt diese unterschiedliche Bewertung hinsichtlich der Abwägung von Schweige- und Meldepflicht zustande?
Daniel Bahr (Münster) (FDP):
Lieber Herr Kollege Spahn, wir haben schon im Ausschuss ausführlich darüber diskutiert. Ich habe Ihnen den Unterschied schon erklärt. Wenn Sie den Antrag richtig lesen, sehen Sie, dass wir lediglich eine Prüfung beantragt haben und außerdem selbst erhebliche Bedenken hinsichtlich einer Meldepflicht haben.
Zwischen diesen beiden Sachverhalten besteht ein erheblicher Unterschied: Bei der Genitalverstümmelung geht es möglicherweise um ein Verbrechen an einer Person. Es geht darum, die Person davor zu schützen. Bei Ihrem Vorschlag geht es dagegen um den Schutz der Solidargemeinschaft - das ist ein berechtigtes Anliegen - vor Kosten, die sie nicht zu verantworten hat. Eine Meldepflicht würde hier das wichtige Arzt-Patienten-Verhältnis erschüttern. Deshalb kann man diese beiden Sachverhalte überhaupt nicht miteinander vergleichen.
Ich will noch etwas zur Pflegereform sagen. Die Kollegin Widmann-Mauz hat gesagt, dass die Einführung der Pflegeversicherung 1994 ein Meilenstein war.
Die Pflegeversicherung, deren Einführung von Schwarz-Gelb und der SPD getragen wurde, hat Strukturen geschaffen, die den Pflegebedürftigen zugutekommen. Wir wollen gar nicht in Abrede stellen, dass damals etwas auf den Weg gebracht worden ist. Wir müssen heute aber erkennen - das wussten wir übrigens schon 1994 -, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung über eine Umlage - über die laufenden Einnahmen werden die laufenden Ausgaben gedeckt - ein Riesenfehler war.
Das höre ich sonst auch von Unionskollegen. Wir hätten jetzt die Zeit gehabt, diesen Fehler von 1994 zu korrigieren, anstatt ihn fortbestehen zu lassen, was Sie jetzt tun. Die Einführung der Pflegeversicherung war, was die Finanzierung betrifft, kein Meilenstein; im Gegenteil.
Diesen Fehler setzen Sie fort: Sie weiten die Leistungen aus, zum Beispiel auf den Bereich der Demenzerkrankungen. Sie machen eine Leistungsdynamisierung. All das ist nötig; ich will das gar nicht in Abrede stellen.
Da Sie die Finanzierungsfrage nicht gelöst haben, vergrößern Sie das Problem. Die Erhöhung der Beiträge um 0,25 Prozentpunkte wird allenfalls bis 2012 ausreichen. Das hat Ihr Kollege, Herr Zöller, selbst kritisiert. Die Finanzierungsprobleme werden durch Ihre Reform nicht gelöst, sondern der kommenden Generation aufgelastet und damit weiter verschärft.
In Richtung SPD möchte ich sagen: Man muss den Hut davor ziehen, dass Sie in der rot-grünen Koalition im Bereich der Altersversorgung einen historischen Schritt vollzogen haben. Der damalige Sozialminister, Walter Riester, hat den Bürgerinnen und Bürgern signalisiert, dass sie sich auf das umlagefinanzierte Rentensystem nicht verlassen können, weil wir eine alternde Bevölkerung haben, weil wir immer mehr Ältere und immer weniger Jüngere haben. Das Gleiche gilt doch aber auch für die Pflege: Wir wissen, dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen verdreifachen wird und die Zahl der jungen Beitragszahler auf zwei Drittel sinken wird. Das heißt, dass wir in dem Umlagesystem ?Pflege? die gleichen Probleme wie in dem Umlagesystem ?Rente? haben werden. Wenn Sie das, was Sie mit der Riester-Rente gemacht haben, konsequenterweise auch bei der Pflege gemacht hätten, hätten wir den Hut davor gezogen; denn die Riester-Rente war eine historische Leistung. Damit haben Sie eine Botschaft an die Bevölkerung gesendet. Jetzt hingegen täuschen Sie die Bevölkerung, weil Sie ihr suggerieren, die Pflege sei in Zukunft sicher. In Wahrheit kommen gewaltige Probleme auf uns zu.
Frau Ministerin Schmidt, deswegen werden Sie in den Geschichtsbüchern gemeinsam mit Herrn Blüm stehen.
Sie und Ihr Ministerium haben zwar genauso wie Herr Blüm die Probleme, die sich aus einer alternden Bevölkerung, erkannt, aber trotzdem die Augen davor verschlossen. Dieses Problem wird uns in einigen Jahren einholen,
und deswegen werden Sie, anstatt mit Herrn Riester in einem Kapitel zu stehen, in einem Kapitel mit Herrn Blüm stehen.
Frau Ferner und Frau Scharfenberg, Sie haben so viel dazu gesagt. Ich frage mich: Was haben Sie eigentlich in den sieben Jahren rot-grüner Regierung gemacht? Frau Ministerin Schmidt ist seit 2001 Gesundheitsministerin. Auch sie hatte sieben Jahre Zeit, um etwas auf den Weg zu bringen, legt aber erst jetzt einen schwachen Vorschlag zur Reform der Pflegeversicherung vor.
Durch die Bürgerversicherung, wie Sie sie nennen, letztlich also durch die ?Einheitskasse Pflege?, können die Probleme der alternden Bevölkerung nicht gelöst werden.
Im Gegenteil, dadurch werden die bestehenden Probleme noch verschärft. Als ob durch 10 Prozent mehr in einem System, das bereits heute Defizite produziert, in ein paar Jahren die Probleme von 100 Prozent der Bevölkerung gelöst werden könnten! Das kann doch wirklich niemand glauben.
Wir haben erlebt, dass in der privaten Pflegeversicherung als Vorsorgemaßnahme im Hinblick auf die Probleme der alternden Bevölkerung mittlerweile Altersrückstellungen in Höhe von 16 Milliarden Euro aufgebaut wurden. Gleichzeitig wurde der Beitragssatz zur umlagefinanzierten Pflegeversicherung erhöht. Dieser Beitragssatz wird übrigens noch weiter steigen. Ein Defizit jagt das andere.
Die Probleme der alternden Bevölkerung können durch Einführung einer ?Einheitskasse Pflege?, die die Linke hier im Parlament vorschlägt, nicht gelöst werden. Diese Probleme können nur durch einen Systemwechsel zur Kapitaldeckung, den die FDP vorschlägt, gelöst werden.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das wäre ja zu schön gewesen, aber Zwischenfragen kann ich nach Ablauf der Redezeit aus hoffentlich jedermann nachvollziehbaren Gründen nur schwerlich zulassen.
- Ja. Auch ich bin in einem leicht depressiven Zustand. Da müssen wir gemeinsam durch.
Nun hat die Kollegin Maria Eichhorn für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Reform der sozialen Pflegeversicherung ist eine gute Botschaft für Millionen von Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen in diesem Land. Mit den beschlossenen Verbesserungen des Leistungsspektrums erfüllt die Große Koalition eine zentrale Zusage. Die Leistungsfähigkeit der Pflegeversicherung wird erhalten und weiterentwickelt. Die beschlossenen Leistungsverbesserungen bedeuten vor allem eine Qualitätssteigerung im Bereich der Pflege. Mit unserem heutigen Beschluss wird einem Anliegen Rechnung getragen, das uns schon sehr lange bewegt: der Einbeziehung demenziell Erkrankter.
Sie hat neben den finanziellen Aspekten auch eine nicht zu unterschätzende gesellschaftspolitische Dimension.
Bisher löste die Diagnose Demenz zumeist ein unangebrachtes Schamgefühl und Schweigen aus. Durch die Pflegereform wird nunmehr ein Beitrag dazu geleistet, das Phänomen Demenz weiter zu enttabuisieren. Frau Ferner, ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist, mit unseren Änderungsanträgen dafür zu sorgen, dass Demenzkranke nicht nur im ambulanten Bereich, sondern auch im stationären Bereich einbezogen und unterstützt werden.
Das ist eine für alle Beteiligten besonders gute Botschaft.
Die Leistungsverbesserungen werden vor allem Frauen zugutekommen. 80 Prozent der pflegenden Angehörigen sind Töchter, Schwiegertöchter, Mütter oder dem Pflegebedürftigen sonst nahestehende Frauen. Ihnen und allen professionellen sowie ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen gilt unser Dank.
Ihre gesellschaftlich oftmals viel zu gering erachtete, aber aufopferungsvolle Arbeit verdient unseren vollen Respekt und unsere praktische Unterstützung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Eichhorn, nun möchte der Kollege Spieth gerne Ihre Redezeit durch eine Zwischenfrage verlängern.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Bitte schön.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Ich bedanke mich, dass Sie mir die Möglichkeit geben, eine Frage zu stellen.
Frau Eichhorn, Sie haben sich gerade bei den in den Pflegeeinrichtungen Tätigen bedankt; das unterstütze ich ausdrücklich. Bei aller Wertschätzung muss ich Sie aber fragen: Warum hat die Große Koalition darauf verzichtet, die Leistungsbeträge, die in den Pflegestufen I und II im stationären Bereich gewährt werden, zu erhöhen? Sie werden frühestens - ich betone: frühestens - im Jahre 2015 erhöht; jedenfalls steht das so im Gesetz. Halten Sie das angesichts Ihrer Dankesworte wirklich für angemessen? Denn unter dem Strich haben davon die im stationären Bereich Beschäftigten und auch die zu Pflegenden nichts.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Herr Kollege Spieth, Sie wissen genau, dass diese Reform der Pflegeversicherung unter dem Motto ?ambulant vor stationär? steht.
Wir wollten zunächst einmal und in erster Linie denjenigen, die im ambulanten Bereich tätig sind, helfen. Das heißt allerdings nicht, dass wir durch weitere Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung und Entbürokratisierung nicht auch im stationären Bereich erhebliche Anstrengungen unternehmen, die dazu beitragen, dass die Pflegekräfte entlastet werden.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf zwei Neuerungen: Zur weiteren Stärkung der häuslichen Pflege haben Pflegekräfte in Zukunft bereits nach sechs Monaten Anspruch auf Erholungsurlaub. Bisher betrug die Wartezeit für die erstmalige Inanspruchnahme einer Ersatzpflegekraft doppelt so lange, nämlich zwölf Monate. Das ist eine echte Hilfe.
Künftig werden pflegenden Angehörigen auch in der Urlaubszeit Rentenversicherungsbeiträge gutgeschrieben.
Diese Regelung kommt vor allem denjenigen zugute, die Angehörige über einen langen Zeitraum pflegen. Beide Neuerungen sind Ausdruck unserer Wertschätzung der Pflegepersonen.
Die Reform, Herr Spieth, wird den Grundsatz ?ambulant vor stationär? stärken.
Damit entsprechen wir dem Bedürfnis der Pflegebedürftigen, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung, im Kreis ihrer Verwandten und Freunde zu bleiben. Auch in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel: Die in den Schlussberatungen vereinbarte Erhöhung der Fördermittel für alternative Wohnformen sowie für ambulante und teilstationäre Hausgemeinschaften leistet einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen. Wenn sich durch passgenaue niedrigschwellige Betreuungsangebote die Verlagerung ins Pflegeheim vermeiden lässt, umso besser!
Die Reform verbessert auch die Voraussetzungen für Prävention und Rehabilitation in der Pflege. Bereits durch die Gesundheitsreform wurde mit der Rehabilitation auch die geriatrische Rehabilitation zur Pflichtleistung der Krankenkassen. Künftig drohen Sanktionen, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb einer gewissen Frist eine notwendige Rehabilitationsmaßnahme genehmigt und durchführen lässt. Der Betrag, den die Krankenkasse in diesem Fall an die Pflegekasse zu überweisen hat, wurde im Vergleich zum früheren Entwurf verdoppelt. Dies verbessert im Interesse der rehabedürftigen Patienten die Wirksamkeit der Regelung.
Mit der Pflegereform gehen wir einen Schritt weiter. Die stationären Pflegeeinrichtungen bekommen künftig eine Bonuszahlung, wenn sie mit aktivierender Pflege und Reha eine Verbesserung des Gesundheitszustands des Pflegebedürftigen erzielen.
In den meisten Heimen ist eine gute Pflege selbstverständlich, leisten die Pflegekräfte hervorragende Arbeit. In der Vergangenheit haben jedoch Meldungen über schlechte Zustände in Pflegeheimen zu erheblicher Verunsicherung geführt. Die Menschen müssen sich auf die Qualität der Pflegeleistungen in den Heimen verlassen können. Deshalb verkürzen wir die vorgegebenen Intervalle für die Qualitätssicherungsprüfung durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen. Es war vorgesehen, Qualitätsprüfungen alle drei Jahre und nach vorheriger Anmeldung durchzuführen. Wir haben nun beschlossen: Heime werden künftig jährlich und in der Regel unangemeldet geprüft. Die Prüfung - das ist mir ebenso wichtig - soll sich künftig auf den Zustand der Pflegebedürftigen konzentrieren, weniger auf die Dokumentations- und Aktenlage.
Im Vordergrund der Prüfung muss die Ergebnisqualität stehen; die Prozess- und Strukturqualität ist nachrangig. Wir wollen die Situation der Pflegebedürftigen im Betriebsalltag der Heime in den Blick nehmen.
Die intensive Diskussion zwischen den Koalitionsfraktionen über die Frage der Pflegeberatung hat sich aus unserer Sicht gelohnt.
Wenn nunmehr die Länder entscheiden, ob sie Pflegestützpunkte einrichten, so berücksichtigt dies, dass die vorhandenen Beratungsstrukturen bundesweit höchst unterschiedlich sind.
Dort, wo bereits heute auf bewährte Beratungsstrukturen zurückgegriffen werden kann, sind Pflegestützpunkte entbehrlich.
Dies ist mir von den Fachleuten vor Ort immer wieder bestätigt worden.
Es gibt bereits heute viele kirchliche, freigemeinnützige und kommunale Einrichtungen, in denen engagiert und kompetent beraten wird, und zwar - das ist besonders wichtig - in Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten.
Insbesondere denjenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, gilt unser besonders herzlicher Dank.
Eine Daueraufgabe bleibt die von den Pflegekräften und Heimleitungen immer wieder nachdrücklich geforderte Entbürokratisierung in der Pflege. Die Pflegedokumentation ist zwar eine wichtige Voraussetzung für das bestmögliche Wohlbefinden unserer Pflegebedürftigen; der zeitliche und inhaltliche Aufwand dieser Dokumentation muss aber mit Augenmaß auf das Sinnvolle und Notwendige begrenzt werden. Unnötige bürokratische Anforderungen, die Zeit für die Pflege rauben, sollten gestrichen werden. Notwendig sind also eine zielgenauere Koordination behördlicher Kontrollen, eine Reduzierung unnötiger Anzeigepflichten und eine Standardisierung der Pflegedokumentation. Die Bestimmungen sollten sich darauf beschränken, dem Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner zu dienen.
Die Familienpolitiker der CDU/CSU haben bereits in der letzten Legislaturperiode einen Antrag vorgelegt und Vorschläge zum Abbau der Bürokratie in Heimen formuliert. Dass es sich lohnt, in diesem Bereich etwas zu tun, zeigt das bayerische Projekt ?Entbürokratisierung der Pflegedokumentation?, mit dem es gelungen ist, die Bürokratielasten in Teilbereichen um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Das bedeutet nicht nur Einsparungen zugunsten von echten Pflegeleistungen, sondern vor allem, dass die bislang für eine überflüssige Bürokratie verschwendete Zeit endlich für die Pflege und Betreuung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger aufgebracht werden kann. Das ist ja dringend notwendig ist, denn sie haben mehr Fürsorge und Zuwendung verdient.
Ich bedanke mich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Martina Bunge ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag haben Sie die Pflegeversicherung als zentralen Baustein der sozialen Sicherungssysteme bezeichnet, der den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden muss. Was Sie uns heute vorstellen, ist eine zentrale Baustelle. Dabei ist eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung 15 Jahre nach ihrer Einführung überfällig.
In dieser grundlegenden Kritik stimmen wir mit der FDP überein, Kollege Lanfermann. Wir stellen uns allerdings eine völlig andere Zielrichtung vor.
Sie versuchen wieder einmal die Quadratur des Kreises. Dass das schief gehen muss, ist klar. Mit einem geringen finanziellen Mehraufwand wollen Sie große Versprechungen umsetzen.
Ja, Sie wollen die Leistungssätze anheben, aber die vorgesehenen Anhebungen sind völlig unzureichend. Einige Leistungen werden minimal angehoben, andere gar nicht. In keinem Fall wird der Realwertverlust ausgeglichen. Insofern gibt es keine Verbesserung gegenüber der Startposition Mitte der 90er-Jahre.
Ja, Sie kürzen zwar nicht die Leistungen für die Pflegestufen I und II in den Pflegeheimen, aber dass Sie das als Erfolg feiern, muss angesichts der erforderlichen stärkeren Qualitätssicherung in den Heimen wie Hohn klingen.
Ja, Sie wollen die Leistungssätze dynamisieren, aber erst ab 2015.
Bei einer durchschnittlichen Pflegedauer von acht bis zehn Jahren haben die derzeit Pflegebedürftigen und deren Helferinnen und Helfer nichts davon.
Ja, Sie wollen die Leistungen für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz von bisher 460 auf bis zu 2 400 Euro jährlich erhöhen. Aber das ist viel zu gering; denn trotz Verfünffachung des Höchstbetrages bedeutet das rechnerisch nur 6,57 Euro pro Tag, für viele nur die Hälfte, für manche gar nichts; denn die einkalkulierte Summe reicht nur für knapp die Hälfte der Erkrankten.
Ja, über einen Änderungsantrag haben Sie auch 200 Millionen Euro für die Demenzbetreuung in Pflegeheimen eingestellt. Aber drei Viertel der Betroffenen werden leer ausgehen; denn wenn jeder der 3 000 bis 4 000 Betreuungskräfte für jeweils 25 Betroffene zuständig sein sollen, werden nur 100 000 Betroffene erfasst. Wir haben aber 400 000, mit steigender Tendenz.
Ja, Sie wollen einen Pflegeurlaub von zehn Tagen einführen.
- Pflegeurlaub ist für diejenigen besser verständlich, die uns zuhören. - Aber der Pflegeurlaub ist unbezahlter Urlaub und kann nur in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten genommen werden. Also fällt das für den Osten, die neuen Bundesländer, fast vollständig aus.
Ja, Sie wollen die Besuchspraxis des Medizinischen Dienstes in Pflegeheimen transparenter gestalten und wollen deshalb häufigere unangemeldete Kontrollen. Aber das Problem der Qualität der Betreuung in Pflegeheimen ist nicht mit mehr Kontrollen zu lösen. Für gute Pflege bedarf es vielmehr Zeit und ausreichend qualifiziertes Personal. Bei der Pflege dürfte meines Erachtens nicht das Motto ?Zeit ist Geld?, sondern umgekehrt ?Geld ist Zeit? gelten.
Das Einzige, wo wir kein ?Ja, aber? anbringen, sind die Paragrafen, die im Omnibusverfahren in das SGB V, also in die gesetzliche Krankenversicherung, eingefügt wurden. Zum Petz-Paragrafen, den Herr Bahr angesprochen hat, sagen wir ein deutliches Nein. Wenn es aber darum geht, Bedingungen zu schaffen, damit das Modellprojekt ?Gemeindeschwester AGnES? besser in die Regelversorgung überführt werden kann, sagen wir natürlich Ja.
Kommen wir zum SGB XI, die Pflegeversicherung, zurück. Um nicht missverstanden zu werden, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Wir gönnen jeder und jedem jeden Euro, der draufgelegt wird. Ihre Vorschläge klingen gut. Aber die Enttäuschungen werden umso bitterer sein. Wir alle wissen, dass Pflegende im Minutentakt die einzelnen Hilfe- und Betreuungsleistungen abarbeiten müssen. Pflege ist eine schwere Arbeit. Sie ist aber vor allen Dingen auch Beziehungsarbeit zwischen Menschen. Nicht nur die Pflegebedürftigen, sondern auch die Pflegekräfte leiden darunter, dass keine Zeit für ein kleines Gespräch bleibt, dass keine Zeit für ein paar Streicheleinheiten ist. Eine hinwendungsbezogene, sprechende und ganzheitliche Pflege, die zudem gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, sieht unseres Erachtens anders aus.
Viele Pflegekräfte, sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich, sind so ausgepowert, dass sie als Fachkräfte nach rund zehn Jahren - physisch und psychisch fertig - aus dem Beruf gehen. Es trifft vor allen Dingen Frauen. Sie gewinnen nichts mit dieser Reform. Aber sie sind diejenigen, die zu rund zwei Dritteln Leistungsbeziehende sind und die den größten Teil der Pflegearbeit leisten. Insofern ist das mehr als ungerecht.
Wir wissen, dass durch den Wandel in der Arbeitswelt, durch veränderte Familienstrukturen und Erwerbsbiografien von Frauen familiäre Netzwerke künftig immer weniger zur Verfügung stehen. Wir wissen auch, dass die meisten Menschen wünschen, nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Aber das ist nicht unbedingt mit dem Wunsch gekoppelt, von Angehörigen gepflegt zu werden. Diese Tendenzen werden von der Bundesregierung und von den Koalitionsfraktionen völlig unzureichend beachtet. Wenn sie das nämlich wirklich täten, dann müssten sie Pflege und Assistenz als einen prosperierenden Beschäftigungszweig der Zukunft begreifen. Das setzte aber voraus, die Arbeit dort auch attraktiver zu machen, sie zum einen zu ?entschleunigen? und sie zum anderen gerechter, also angemessen zu bezahlen.
Zukunftsforscher sprechen von der ?weißen Revolution?, also davon, dass Gesundheit und Pflege als die Bereiche, in denen Arbeitsplätze entstehen, Wachstumsfaktoren für die Gesellschaft sein werden. Wir kritisieren, dass ganz überwiegend verschlafen wird - das hat sich ja auch in den Anhörungen gezeigt -, diese Chancen für die Zukunft wahrzunehmen. Dies ist einfach nicht hinzunehmen.
Daher werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.
Aber wir haben Alternativen.
Ich rate Ihnen, auch Herrn Bahr, der nur die Hälfte davon zitiert hat: Lesen Sie das einmal ausführlich nach. Das empfehle ich auch den Gästen und denjenigen, die uns im Fernsehen zusehen.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein merkwürdiges Schauspiel: Eine große Reform ist angekündigt, eine kleine vorgelegt.
Die CDU in Gestalt von Frau Widmann-Mauz erklärt: Wir haben lauter Erfolge errungen, alles ist ganz schön, aber die SPD ist ja blöd; wir haben leider keine Zukunftsvorsorge in Gestalt der Kapitaldeckung treffen können.
Frau Ferner tritt auf und stöhnt, die SPD habe lauter Niederlagen gegenüber der CDU erlitten
und habe so vieles nicht durchsetzen können. Die SPD hätte doch so gern die Solidarität in Gestalt der Bürgerversicherung erweitert, aber die CDU sei ja böse.
Meine Damen und Herren, diese gegenseitigen Bezichtigungen innerhalb einer Koalition mögen stimmungsmäßig bei Ihnen bedeuten, was immer sie bedeuten, aber politisch ist das doch unerträglicher Kinderkram.
Das folgt dem Motto: Gibst du mir deine Quietschente nicht, dann kriegst du meinen Schwimmring nicht.
Aber dabei säuft doch nicht die Koalition ab, sondern die nachwachsende Generation; denn ihr muten Sie eine Bugwelle von Pflegekosten in den kommenden Jahrzehnten zu, ohne dafür irgendeine Vorsorge zu treffen. Das ist unerträglich.
Es ist doch so: Ab dem Jahr 2020 werden wir sehr viel mehr hochbetagte Menschen haben, also auch mehr Pflegebedürftige. Dafür wäre eine finanzielle Vorsorge erforderlich, aber Sie tun nichts. Sie hätten sich aufeinander zubewegen sollen.
In concreto verschärfen Sie das Problem auch noch. Sie machen jetzt eine kleine Beitragserhöhung, und Sie versprechen bessere Leistungen. Sie wissen aber: Dieses Geld reicht für die verbesserten Leistungen genau oder höchstens bis zum Jahre 2015.
Ab 2015 - so steht es jetzt im Gesetz - sollen dann noch einmal bessere Leistungen kommen, die übrigens hochnotwendig sind, nämlich in Form einer regelmäßigen Anpassung der Pflegeleistungen an gestiegene Preise, also eine Dynamisierung. Das heißt, Sie versprechen bessere Leistungen genau für den Zeitpunkt, zu dem auch nach Ihren eigenen Angaben die Pflegekassen so leer sein werden wie der Kühlschrank vor der Fastenzeit. Das kann ja wohl nicht angehen.
Es kann nicht funktionieren, es wird nicht funktionieren. So kann ich nur sagen: Wenn es in der Politik für diejenigen, die sich am Wegducken vor der Zukunft beteiligen, finanzielle Sanktionen gäbe, dann hätten Ulla Schmidt ebenso wie die Abgeordneten der CDU nur noch die Hälfte ihrer Diäten verdient.
Ein anderer Punkt, meine Damen und Herren: Versteckt auf den hinteren Seiten dieser Pflegereform, die ihren Namen nicht wirklich verdient, ist der Petz-Paragraf; es war schon die Rede davon. Ärzte sollen in Zukunft ihre Patienten verpfeifen, wenn sie an den Folgen von Piercings oder Schönheitsoperationen leiden und deswegen behandelt werden müssten. Die Folge davon ist, dass die Kassen nicht zahlen müssen. Sie haben ja in Ihrer großartigen Weisheit schon mit der Gesundheitsreform ein Selbstverschuldensprinzip eingeführt, das bei diesen Indikationen, aber auch in anderen Fällen greifen soll. Was tun Sie jetzt? Sie machen Ärzte zu Denunzianten:
Sie wollen sie verpflichten, ihre Schweigepflicht zu brechen. Damit hebeln Sie das Zeugnisverweigerungsrecht aus. Dazu kann man nur sagen: Wehret den Anfängen!
Wir werden Ihnen Gelegenheit geben, diesen Petz-Paragrafen und das Selbstverschuldensprinzip aufzuheben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn man diesen Weg beschreitet, dann kommt es irgendwann dazu, dass man einem Zuckerkranken, der zum Arzt kommt, sagt: Dich wird niemand behandeln, denn du hättest dich ja beizeiten besser ernähren können; das petze ich jetzt der Kasse.
Das kann es nicht sein. Wir brauchen ein Solidarsystem. Es ist Aufgabe der Prävention - vor entsprechenden Regelungen haben Sie sich ja gerade wieder weggeduckt -, lebensstilbedingte Krankheiten zu verhindern.
Es ist keine Alternative, Patienten zu bestrafen und Ärzte zu Denunzianten zu machen; das wäre falsch.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Carola Reimann ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
Dr. Carola Reimann (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der 1. Juli dieses Jahres wird ein guter Tag für die rund 2 Millionen Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen.
Dann tritt nämlich die Pflegereform, die wir heute beraten und verabschieden werden, in Kraft. Wir reagieren damit zum einen auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung und zum anderen - das ist der entscheidende Punkt - auf veränderte Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Zahlreiche Leistungsverbesserungen werden zu einer spürbaren Verbesserung der Lebenssituation dieser Menschen führen. Deshalb kann man uneingeschränkt sagen: Es ist eine gute Reform. Sie ist gut, weil wir die Leistungsbeträge schrittweise erhöhen, und sie ist gut, weil wir eine Leistungsdynamisierung einführen. Damit stoppen wir den schleichenden Wertverfall der Leistungen.
Die ambulanten Sachleistungsbeträge werden bis 2012 in allen drei Pflegestufen schrittweise erhöht. Im stationären Bereich wird es zu Aufstockungen in der Pflegestufe III und bei den Härtefällen kommen. Auch das Pflegegeld für pflegende Angehörige wird erhöht. Damit stärken wir vor allem die ambulante Pflege und kommen so dem Wunsch vieler Pflegebedürftiger nach, die in ihrem gewohnten Umfeld, zu Hause, gepflegt werden wollen.
Immer mehr Menschen erreichen ein gesegnetes Alter. Das ist zweifellos eine positive Entwicklung. Sie bringt aber zugleich neue Herausforderungen für die häusliche wie für die stationäre Pflege mit sich. Angehörige und Pflegekräfte werden bei der Versorgung der Pflegebedürftigen zunehmend mit geistigen und psychischen Einschränkungen bis hin zu schweren Demenzerkrankungen konfrontiert, die oft zusätzlich zu den körperlichen Gebrechen auftreten. Darauf waren die Leistungen der Pflegeversicherung bislang nur unzureichend ausgerichtet. Dieser Missstand wird mit der Pflegereform beseitigt.
Die seit langem geforderten neuen Leistungen für demenziell erkrankte Menschen werden nun eingeführt. Im ambulanten Bereich wird es eine Staffelung geben: Menschen mit geringerem allgemeinen Betreuungsbedarf erhalten bis zu 100 Euro, diejenigen mit höherem Betreuungsbedarf bis zu 200 Euro im Monat. Demenziell Erkrankte erhalten somit dank dieser Reform bis zu 2 400 Euro pro Jahr. Wichtig ist, dass dieser Betrag zusätzlich zu den Pflegeleistungen und unabhängig von der Pflegestufe gezahlt wird.
Das bedeutet: Auch Menschen, die keine Pflege, sondern vor allem Betreuung und Assistenz benötigen, erhalten in Zukunft Unterstützung aus der Pflegeversicherung.
Auf Vorschlag der SPD wird es auch für demenzerkrankte Heimbewohner zusätzliche Hilfen geben. Die Pflegeversicherung finanziert zusätzliche Stellen für Betreuungskräfte, die sich in vollstationären Pflegeeinrichtungen um demenziell Erkrankte kümmern sollen. Sie sollen altersverwirrten Menschen im Heim helfen, ihren Tagesablauf besser zu bewältigen. Die Finanzierung der Stellen dieser Betreuungsassistentinnen und -assistenten durch die Pflegeversicherung ist an zwei wichtige Bedingungen geknüpft:
Erstens. Es muss sich um zusätzliche Betreuungskräfte handeln. Eine Reduzierung oder Anrechnung vorhandenen Personals ist also nicht zulässig.
Zweitens. Die Assistentinnen und Assistenten müssen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein.
Das ist unser Beitrag zur Steigerung des Beschäftigungspotenzials. Mit der Einstellung zusätzlicher Betreuungsassistenten in den stationären Einrichtungen und den neuen Leistungen im ambulanten Bereich erreichen wir eine substanzielle Verbesserung der Versorgung Demenzerkrankter und ermöglichen eine wirkliche Hilfe und Entlastung für die pflegenden Angehörigen, aber auch für die Pflegekräfte in den Heimen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Reimann, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieth beantworten?
Dr. Carola Reimann (SPD):
Bitte schön.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Wenn es hilft, dann sollte es so sein. - Ich möchte eine Frage stellen, weil Sie die Leistungen im stationären Bereich wieder locker überspringen. Es gibt in den Stufen I und II keine Anpassungen. Diese erfolgen frühestens im Jahr 2015. Im Durchschnitt müssen in der Stufe II im stationären Bereich 2 800 Euro gezahlt werden. Die Pflegeversicherung zahlt aber nur 1 279 Euro. Das hat zur Folge, dass jemand, der mit Pflegestufe II in den stationären Bereich muss, eine Differenz von round about 1 600 Euro zu decken hat.
Das heißt, die Rente ist futsch und die Angehörigen müssen mitzahlen. Warum haben Sie nicht auch in den Stufen I und II die Leistungsbeträge erhöht? Damit hätten Sie ein Stück dazu beigetragen, dass diejenigen, die in den Einrichtungen sind, nicht zu Taschengeldempfängern werden.
- Wurde aber nicht beantwortet.
Dr. Carola Reimann (SPD):
Herr Kollege Spieth, wir alle wissen, dass es sich bei der Pflegeversicherung nicht um eine Vollversicherung handelt. Das will ich als Allererstes einmal sagen.
Das kann man bekritteln, aber sie ist nun einmal so und nicht anders angelegt worden. Wir führen sie jetzt in der bisherigen Form fort.
Dann ist hier schon einmal gesagt worden, auch von der Kollegin Eichhorn, dass der Schwerpunkt auf der Verbesserung im ambulanten Bereich liegt. Das ist völlig richtig.
Schließlich sagten Sie, ich überspringe etwas, aber auch Sie überspringen etwas, nämlich dass die Leistungen für die Pflegestufe III im stationären Bereich aufgestockt wrden und dass es Verbesserungen für Härtefälle gibt.
Kolleginnen und Kollegen, die Pflege eines Angehörigen ist eine ungeheuer verantwortungsvolle Aufgabe, die ganz viel Kraft kostet. Neben der Pflege des Angehörigen kommen häufig Beruf, Kindererziehung und die ganz alltäglichen Verpflichtungen hinzu. Ich will an dieser Stelle noch einmal betonen, dass es zum weit überwiegenden Teil die Frauen sind, die diese Mehrfachbelastung schultern. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist alles andere als einfach. Die Grenze der Belastbarkeit ist dabei ganz schnell erreicht, meist wird sie sogar überschritten. Deshalb ist es unerlässlich, mit einer solchen Pflegereform pflegenden Angehörigen die Möglichkeiten zur Entlastung zu bieten.
Hierbei kommt den Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege eine wichtige Funktion zu. Sie bieten Angehörigen die Möglichkeit, ihre pflegebedürftigen Verwandten in gute, professionelle Betreuung zu geben, um dem Beruf und den alltäglichen Erledigungen nachzugehen oder einfach Zeit für sich und andere Familienmitglieder zu haben. Zugleich sind diese Einrichtungen aber auch unter dem Gesichtspunkt der Aktivierung von Pflegebedürftigen von großer Bedeutung. Leider wurden diese Angebote in der Vergangenheit nur in geringem Umfang genutzt. Hauptgrund dafür ist der damit verbundene geringere Anspruch auf Pflegegeld bzw. ambulante Sachleistungen für die verbleibende Zeit, die der Pflegebedürftige zuhause gepflegt werden muss. Deshalb werden wir das mit der Pflegereform ändern: Neben dem Anspruch auf Tages- und Nachtpflege wird es zusätzlich einen 50-prozentigen Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen bzw. Pflegegeld geben. Damit wird die Tages- und Nachtpflege attraktiver. Das heißt aber auch, die pflegenden Angehörigen haben die Chance auf spürbare Entlastung, und die Pflegebedürftigen selbst bekommen professionelle Unterstützung und Betreuung in den entsprechenden Einrichtungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Reform sieht nicht nur den Ausbau von Pflegeleistungen vor, sondern auch die Möglichkeit, diese künftig flexibler in Anspruch zu nehmen. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Poolen von Leistungsansprüchen. Das neue Gesetz ermöglicht, dass die Ansprüche mehrerer Leistungsberechtigter künftig in einen Pool eingebracht werden können, um hieraus selbstbestimmt Pflege-, Betreuungs- und hauswirtschaftliche Versorgungsleistungen zu finanzieren. Die hierdurch entstehenden Effizienzgewinne kommen den Pflegebedürftigen als zusätzliche Betreuungszeit zugute.
Das heißt konkret, dass sich Pflegebedürftige in einem Wohnquartier zusammenschließen und gemeinsam einen Pflegedienst beauftragen können. Es könnte beispielsweise ein Feld auch für Wohnungsbaugenossenschaften sein, dies vor Ort zu koordinieren. Zugleich werden durch diese Möglichkeiten Anreize zur Schaffung neuer Wohnformen wie Wohngemeinschaften gesetzt. Ich meine, das ist die richtige Antwort auf sozialstrukturelle Veränderungen wie zum Beispiel die wachsende Zahl von Singlehaushalten.
Die genannten Beispiele - Erhöhung der Leistungsbeiträge, neue Beiträge für Demenzerkrankte, Förderung der Tages- und Nachtpflege und das Poolen von Leistungen - bringen den Betroffenen spürbare Verbesserungen. Ich will aber an dieser Stelle nicht ganz verschweigen, dass ich mir an zwei Punkten mehr gewünscht hätte.
Zum einen betrifft das die Finanzierung. Hier hätten wir Sozialdemokraten gerne den im Koalitionsvertrag vereinbarten Finanzausgleich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung verwirklicht.
Zum anderen hätten wir berufstätigen Angehörigen gerne eine zehntägige bezahlte Freistellung zur Organisation der Pflege ihrer Angehörigen ermöglicht.
Wir hätten das im Interesse der Betroffenen gerne umgesetzt. Andere wollten das leider nicht. Beides, die Bürgerversicherung Pflege wie auch die zehntägige bezahlte Freistellung, bleiben aber Ziele, für die wir uns weiter einsetzen werden. Ich bin sicher, diese Themen kommen wieder.
Kolleginnen und Kollegen, trotz der Notwendigkeit von Kompromissen verabschieden wir heute eine Reform, die, wie ich mit Freude feststelle, vor allem sozialdemokratische Handschrift trägt
und die Verbesserungen und neue Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene wie Angehörige enthält. Deshalb wird - damit komme ich zum Anfang meiner Rede zurück - der 1. Juli dieses Jahres, an dem die Reform in Kraft tritt, ein guter Tag für alle Pflegenden und Pflegebedürftigen. Ich darf mich bei allen bedanken, die zu diesem Gesetz konstruktiv beigetragen haben.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Willi Zylajew ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Willi Zylajew (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist das, womit wir uns hier beschäftigen, wichtig, nämlich die Frage, wie wir die Pflege zukunftsfest machen. Wichtiger ist aber das, was 10 Millionen Menschen Tag für Tag - auch in diesem Moment - erleben, die unmittelbar mit der Pflege befasst sind. Es sind dies die Pflegebedürftigen selbst, es sind dies die Menschen mit Behinderungen, die auf Pflege angewiesen sind, es sind dies aber auch die etwa 1 Million Kräfte, die im ambulanten und im stationären Bereich Pflegeleistungen erbringen: Ehrenamtler, Menschen in Vereinen, in Pfarrgemeinden, in Wohlfahrtsverbänden, Angehörige, Nachbarn und Freunde. Tag für Tag und Nacht für Nacht erbringen sie diese Leistungen. Wir als Union haben die Chancen genutzt, die in dieser Koalition möglich sind, um exakt für diese Menschen Verbesserungen zu erreichen.
Die Kolleginnen und Kollegen Widmann-Mauz, Maria Eichhorn und andere haben die Leistungen schon im Einzelnen angesprochen. Wir gewähren den Pflegebedürftigen weitere materielle und personelle Hilfe, Hilfe zur Bewältigung des pflegebedingten Mehraufwands in ihrer Lebensführung. Unsere Gesellschaft bleibt weiterhin sozial. Wir belasten damit natürlich andere Menschen, das wissen wir: Auf der einen Seite profitieren über 10 Millionen, auf der anderen Seite belasten wir 60 Millionen Beitragszahler, bei denen wir den Nettoertrag aus selbstständiger Arbeit, aus abhängiger Arbeit oder aus Kapitalertrag schon ein Stück weit reduzieren.
Wir leiten einen Teil unseres Bruttoinlandsprodukts zu den Pflegebedürftigen.
- Natürlich ist das Solidarität. Aber, verehrte Frau Kollegin, wir als diejenigen, die politisch dafür die Verantwortung tragen,
sollten auch Respekt vor denen haben, die Leistungen erwirtschaften, Frau Ferner, und uns nicht nur ins Zeug legen, wenn wir Geld, das wir ihnen wegnehmen, anderen geben. Das ist Solidarität, die Respekt verdient.
Kollege Lanfermann, Sie haben davon gesprochen, dass wir demnächst ein Drittel weniger Beitragszahler hätten. Das stimmt nicht. Der Kollege Bahr hat es dann schon präziser gesagt: ein Drittel weniger junge Beitragszahler. - Man kann die Finanzierung der Pflegeversicherung nicht mit der Finanzierung der Rentenversicherung vergleichen,
weil auch die Rentnerinnen und Rentner bis ins hohe Alter Beiträge zahlen.
- Ich brauche das nicht zu wiederholen, Herr Bahr. - Insofern ist die Pflegeversicherung finanziell deutlich stabiler als irgendeines der anderen Systeme.
Holen Sie doch einmal die Zitate der FDP-Kollegen von 1994 hervor! Lambsdorff und andere Strategen haben gesagt, schon im Herbst werde die Versicherung pleite sein.
Also: Es gibt weniger junge Beitragszahler, aber die Rentnerinnen und Rentner zahlen auch. Insofern ist das schon in Ordnung.
Der ergänzende Kapitalstock ist aus unserer Sicht für die Jahre 2027 ff. wichtig.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Zylajew, würden Sie zwischendurch eine Frage des Kollegen Bahr gestatten?
Willi Zylajew (CDU/CSU):
Herr Präsident, sehr gern; dann kann ich ihn korrigieren.
Daniel Bahr (Münster) (FDP):
Das wollen wir einmal sehen! - Herr Kollege Zylajew, wenn Sie die Debatten von 1994 ansprechen, dann müssen Sie bitte auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Bereits 1994 haben zum Beispiel Graf Lambsdorff und andere Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion darauf hingewiesen, dass wir im Jahr 2008 und auch schon früher genau das erleben werden, was wir jetzt tatsächlich erleben, nämlich steigende Defizite in der Pflegeversicherung, und dass wir genau vor der Frage stehen werden, ob man das Umlagesystem so noch erhalten kann und ob die Beiträge weiter steigen müssen.
Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass sich die demografischen Probleme einer alternden Bevölkerung in einer Pflegeversicherung noch viel dramatischer auswirken werden als in der Rentenversicherung, weil die Lebenserwartung steigt, aber die Eintrittswahrscheinlichkeit von Demenz, von Altersverwirrung, bei 80-Jährigen mit etwa einem Drittel heute genauso hoch ist, wie sie vor 10 oder 20 Jahren war und voraussichtlich auch in 10 oder 20 Jahren sein wird,
sodass es immer mehr pflegebedürftige Menschen, aber immer weniger jüngere Menschen in unserer Gesellschaft geben wird?
Willi Zylajew (CDU/CSU):
Herr Bahr, ich bin bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir mehr ältere und weniger junge Menschen in unserer Gesellschaft haben werden. Das ist richtig. Sie haben das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern angesprochen. Es ist nicht so, dass nur die jungen Menschen Beiträge zahlen. Ich habe die herzliche Bitte, dass Sie dies zur Kenntnis nehmen. Wir sollten vor den Rentnerinnen und Rentnern hohen Respekt haben, denn sie zahlen ihren Beitrag klaglos.
Es ist daher nicht möglich, die Problematik der Rente auf die Problematik der Pflege zu übertragen. Die Rentner zahlen ordentlich und verlässlich,
und dafür haben wir ihnen zu danken. Wir brauchen ihre Beiträge, um die Leistungen auch in Zukunft ordentlich gewähren zu können.
Ich möchte noch einmal sehr deutlich sagen, dass wir den Menschen neue Möglichkeiten im Bereich der Betreuung und der Selbstbestimmung eröffnen. Wir als Union hatten den Ehrgeiz, möglichst jeden Euro und jeden Cent direkt an den Menschen zu bringen. Wir haben dann mit dem Ministerium und Teilen der SPD Probleme gehabt, weil sie das Geld lieber in neue Strukturen investiert hätten. Wir haben uns am Schluss auf etwas verständigt, was aus unserer Sicht tragbar ist.
Zu Rot-Grün beziehungsweise zu Grün direkt muss ich sagen: Das alles hättet ihr in den Jahren von 1998 bis 2005 machen können.
Ihr habt aber durch eine pflegepolitische Auszeit geglänzt.
Frau Bunge, in Bezug auf die Linken sind wir neugierig, was sie dort, wo sie Verantwortung in den Ländern trägt, so Besonderes tut. Ich habe noch nicht bemerkt, dass es dort, wo die Linken mitverantwortlich sind, einen Aufbruch im Bereich der Pflege gibt. Ein Abbruch in allen sozialen Systemen findet dort statt, wo sie Verantwortung trägt.
Sie ist wirklich nicht tauglich.
Wir haben in unserer Gesellschaft eine Reihe von wichtigen Problemen, mit denen wir uns auch nach dieser Reform beschäftigen müssen. Fakt ist, dass sich unsere Gesellschaft in folgender schwieriger Situation befindet: Wenn man eine nach Tarif bezahlte Stelle eines Pflegeberaters oder eines Fallmanagers ausschreibt, dann bekommt man 200 Bewerbungen. Schreibt man eine nach Tarif bezahlte Stelle einer examinierten Pflegekraft aus, dann hat man Glück, wenn man eine Bewerbung erhält.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Frau Kollegin Bunge würde gern eine Zwischenfrage stellen.
Willi Zylajew (CDU/CSU):
Auch dies gern.
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE):
Herr Kollege Zylajew, würden Sie mir zustimmen, dass die Länder ihren Spielraum in der Frage, was sie in der Pflege tun können, durch die Bundesgesetzgebung, nämlich durch das SGB XI, vorgegeben bekommen und einen ganz geringen eigenen Spielraum haben, den sie beispielsweise in Berlin mit Modellprojekten nutzen?
Willi Zylajew (CDU/CSU):
Ich bin nicht bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, weil es schlicht falsch ist. Die Länder haben eigene Gestaltungschancen und ein eigenes Profil. Mit den Landespflegegesetzen haben sie hervorragende Chancen, ein eigenes Profil für die Pflege zu entwickeln. Es gibt Länder, die das machen. Schauen Sie sich einmal an, was im Bereich Südbaden an Kreativität vorhanden ist. Schauen Sie, was Träger in anderen Ländern entwickeln. Ich komme gern, um mir das in Berlin anzusehen. Ich nehme aber das, was Sie sagen, nicht zur Kenntnis. Ich nehme zur Kenntnis, dass dort, wo die Linken politisch etwas zu sagen haben, kein Vorrang für Pflege vorhanden ist.
- Sind die Zwischenrufe beendet? Dann fahre ich fort.
Aus meiner Sicht ist deutlich, dass Fortschritte für zu Pflegende, für die Angehörigen und für Träger und Einrichtungen in der Geschichte der Bundesrepublik immer mit der Union verbunden waren. Sie waren in der Entstehungsphase mit Helmut Kohl und Norbert Blüm verbunden. Sie sind jetzt mit der Kanzlerin Angela Merkel verbunden. Alle, die hier mehr wollen, können dies anmelden. Verlassen aber können sich die Pflegebedürftigen im Endeffekt nur auf die Union.
Das war so, das ist so, und das wird so bleiben.
- Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie sich doch einmal an, wann Ihre Regierungsinitiativen gekommen sind. Das wird im deutschen Geschichtsunterricht niemand herausfinden können, denn Sie haben keine unternommen. Ich weiß, dass die Menschen hier auf die Union setzen und setzen können. Ich sage noch einmal: Wir haben das erreicht, was wir in dieser Koalition erreichen können. Dafür danken wir.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis, SPD-Fraktion.
Hilde Mattheis (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal freue ich mich sehr darüber, welchen Identifikationsgrad dieses Pflege-Weiterentwicklungsgesetz auch bei unserem Koalitionspartner in allen Teilen erfahren hat.
Ich freue mich sehr, dass die Teile des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes, die von Ihrer Seite aus in der Öffentlichkeit durchaus strittig diskutiert worden sind, jetzt hier verteidigt werden.
Ich bin auch der Überzeugung, dass die Oppositionsparteien in ein paar Wochen nicht mehr so gern darüber reden werden, wie sie hier abgestimmt haben, weil sie dann nämlich in Pflegeeinrichtungen und vor Angehörigen rechtfertigen müssen, dass sie einer Leistungsverbesserung nicht zugestimmt haben.
Ich bin auch der Überzeugung, dass viele, die die Pflegestützpunkte jetzt kritisieren, auf deren Verteilung schauen und feststellen werden, wie viele Pflegestützpunkte in ihrem eigenen Bundesland - womöglich in ihrem Wahlkreis - ankommen könnten. Dann wird es vor allem von denjenigen, die die Pflegestützpunkte bis jetzt nicht verteidigen, einen großen Run darauf geben. Es gibt dann sicherlich auch einen Run der Länder, weil es wirklich ein Erfolgsmodell ist.
Wer sagt, dass Pflegestützpunkte zu Doppelstrukturen führen würden, der hat das Gesetz nicht gelesen,
weder den ersten Entwurf noch das, was wir in der Kompromisslinie vereinbart haben und verabschieden werden. Denn da heißt es ausdrücklich, dass die Beratungs- und Vernetzungsstrukturen, die es bereits gibt, einzubeziehen bzw. zu ergänzen sind. Ich bin fast versucht, das mit der Initiative bei den Ganztagsschulen zu vergleichen.
Auch da gab es zunächst eine heftige Abwehrhaltung; aber dann ging es in den Ländern ganz schnell, und plötzlich waren es zum Teil die schwarzen Bürgermeister, die gefordert haben, dass in ihre Kommune eine Ganztagsschule und die entsprechenden Mittel kommen.
Genauso wird es bei den Pflegestützpunkten sein. Es gibt Länder, die es schon geschafft haben, Beratungs- und Vernetzungsstrukturen aufzubauen, zum Beispiel Rheinland-Pfalz. Andere haben versucht, die vernetzten Strukturen herunterzufahren, indem die Zuschussmittel versagt wurden, wie in Baden-Württemberg - dort wollen die Träger dieses Erfolgsmodell selber finanzieren -, und sie werden diese Chance ergreifen und Pflegestützpunkte aufbauen.
Da bin ich ganz sicher. Das werden wir in einem halben oder in einem Jahr sicher im Ausschuss bilanzieren können. Wir werden dann alle sehr stolz sein können, dass wir dieses Gesetz heute so verabschiedet haben.
Neben den Pflegestützpunkten - gute Dinge vertragen Wiederholung - gibt es die Verpflichtung zur Pflegeberatung und deren Ausbau. Diese ist zwar heute schon im SGB XI verankert; aber die Case-Management-Strukturen, die wir jetzt einziehen wollen, werden dazu beitragen, dass Menschen in einer schwierigen Lebenssituation begleitet werden, dass sie Unterstützung und Beratung bekommen.
Auch der Leistungsanspruch in Bezug auf Menschen mit Demenz, egal ob ambulant gepflegt wird oder in stationären Einrichtungen, wird eine unglaubliche Erleichterung sein. Jeder, der mit Angehörigen der Betroffenen im engen Kontakt ist, weiß, dass die kleinen Dinge des Lebens bei Demenz zu großen Hürden werden. Wenn zum Beispiel der Gang zum Arzt geplant werden muss und niemand beim Ehemann oder bei der Ehefrau ist, ist es wichtig, diese niedrigschwelligen Leistungen einfordern zu können und nicht von der Rente bezahlen zu müssen, sondern dies aus der Pflegeversicherung tun zu können.
Ich will mich aber im Folgenden noch auf einen Schwerpunkt konzentrieren, der uns von Anfang an immer sehr wichtig war,
nämlich die Unterstützung der Qualität und Transparenz in der Pflege. -
Der Finanzausgleich kommt noch, Herr Spieth; Sie können mich gerne dazu fragen. Sie wollen ja noch einmal reden, nehme ich an.
Über diese Qualität haben wir intensiv diskutiert, und in der Anhörung ist uns recht gegeben worden, dass Qualitätssicherung und Transparenz sehr eng zusammenhängen. Niemand von uns hat diesen Punkt diskutiert, ohne immer wieder zu betonen, dass selbstverständlich der überwiegende Teil des Pflegepersonals diesen Beruf mit großem Engagement, mit großer Liebe und Zuneigung ausübt
und dass es darum geht, diese Berufsgruppe davor zu schützen, dass sie durch Schlagzeilen von Pflegemängeln und wirklich schlimmen Verhältnissen in Pflegeheimen diskreditiert wird.
Deshalb ist es uns wichtig, hier noch einmal zu betonen, dass es jährlich eine unangemeldete Überprüfung durch den MDK gibt. Diese Überprüfungen sind zwingend. Zertifizierungen ersetzen keine Überprüfungen durch den MDK. Ergebnisqualität zu beurteilen, bedeutet, zu schauen, in welchem Maße die Hilfe bei den Pflegebedürftigen ankommt. Wo eine gute Ergebnisqualität zu finden ist, kann auf die Überprüfung der Prozess- und Strukturqualität verzichtet werden. Diese Teile werden ergänzend nur dann geprüft, wenn die Ergebnisqualität nicht stimmt.
Wir wollen dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen in stärkerem Maße eine beratende Funktion geben. Diese Funktion wird nicht nur, wie jetzt, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ausgeübt, sondern stellt eine Verpflichtung für den MDK dar. Pflegequalität und Transparenz hängen voneinander ab und bilden damit ein Paar.
Daher wollen wir, dass jeder, der ein Heim betritt, genau sehen kann, wie gut die Qualität in diesem Heim ist. Sie kann durch eine entsprechende Anzahl von Sternen oder durch eine Ampel angezeigt werden. So ist für alle auf den ersten Blick klar, wie der MDK die Qualität dieses Heimes einstuft.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, der Kollege Spieth würde jetzt gern seine Zwischenfrage stellen.
Hilde Mattheis (SPD):
Bitte, Herr Spieth.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Frau Kollegin Mattheis, da Sie mich so freundlich eingeladen haben, das Thema Finanzausgleich anzusprechen, und ich befürchte, dass Sie in Ihrem Beitrag nicht mehr darauf zu sprechen kommen, möchte ich Ihnen Gelegenheit geben, dazu noch etwas zu sagen.
Im Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und der SPD heißt es:
Zum Ausgleich der unterschiedlichen Risikostrukturen wird ein Finanzausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung eingeführt.
Dieser ist dringend erforderlich, um die unterschiedlichen Risiken auszugleichen, die zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung bestehen.
Mittlerweile ist es so, dass bei den privaten Pflegeversicherungen 15 Milliarden Euro auf der hohen Kante liegen, während die soziale Pflegeversicherung extreme Probleme hat.
Auch wenn es Ihnen nicht schmecken mag, frage ich Sie: Warum hat die Koalition diesen wichtigen Punkt außer Acht gelassen und um die private Pflegeversicherung erneut einen Schutzzaun gezogen?
Hilde Mattheis (SPD):
Ich möchte jetzt nicht in den Verdacht kommen, bei Ihnen, Herr Spieth, diese Frage bestellt zu haben.
Trotzdem möchte ich das Thema Ausgleich, das Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, aufgreifen. Ja, die Koalitionsvereinbarungen sehen diesen Ausgleich vor. Ja, in vielen Reden meiner Kolleginnen und Kollegen und auch von mir finden Sie die Aussage, dass wir diesen Ausgleich wollen. Er steht immer noch auf unserer politischen Agenda, Herr Spieth, und er hat bei den Verhandlungen selbstverständlich eine Rolle gespielt. Ich verweise hier auf die beschlossenen Eckpunkte, die, wie Sie wissen, schon zu vielen Diskussionen geführt haben.
Ich knüpfe jetzt aber an das an, was ich eingangs gesagt habe, und frage Sie allen Ernstes: Wie wollen Sie gegenüber Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen rechtfertigen, dass Sie diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen und damit gegen eine Leistungserweiterung sind? Denn im Gesetz finden Sie ausschließlich Punkte, die zur Leistungsverbesserung und zur Qualitätssicherung beitragen werden.
Erklären Sie mir also einmal, warum wir wegen eines strittigen Punktes das ganze Paket scheitern lassen sollten.
In Bezug auf Ihre Zwischenfrage sage ich an dieser Stelle:
Selbstverständlich bleiben viele Themen auf unserer politischen Agenda. Die Definition des Pflegebegriffs ist eines davon. Sie können uns nicht den Vorwurf machen, dass wir diesen Punkt vernachlässigen, Herr Seifert; das haben Sie in Ihrer Rede gesagt. Klar ist: Genau in diesem Bereich brauchen wir einen sehr intensiven und mit allen Fachverbänden organisierten Prozess. Das kann man wirklich nur mit Ruhe und Gründlichkeit machen.
- Das stimmt ja nicht, Herr Lanfermann.
Wenn Pflegestufen womöglich neu organisiert werden, spielt dabei doch vor allen Dingen das Instrument eine Rolle. Dieses Thema bleibt also auf unserer politischen Agenda. Auf der Agenda bleibt auch das Thema - -
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen, weil Sie Ihre Redezeit bereits überzogen haben. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.
Hilde Mattheis (SPD):
Mein letztes Wort: Auf der Tagesordnung bleibt auch die Bürgerversicherung.
Danke.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jens Spahn von der CDU/CSU-Fraktion.
Jens Spahn (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf einen Aspekt gern etwas vertiefter eingehen, aber vielleicht gibt mir der Kollege Spieth anschließend ja die Gelegenheit, noch auf weitere Aspekte einzugehen.
Ich bedauere zutiefst, dass mit dieser Pflegereform, mit dem vorgelegten Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen, der Einstieg in eine kapitalgedeckte Vorsorge in diesem Zweig der sozialen Versicherung nicht gelungen ist. Dieser Einstieg war im Koalitionsvertrag vorgesehen und wäre angesichts des Zustandes der Pflegeversicherung auch vonnöten gewesen.
Denn seit ihrer Einführung 1995 gab es bei der Pflegeversichtung in mehr Jahren eine Unterdeckung als eine Überdeckung.
Eine kapitalgedeckte Vorsorge ist besonders aus einem Grund notwendig: In dem Jahr, in dem ich 80 Jahre alt sein werde - nämlich 2060 -, wird im Vergleich zu heute ein wesentlich größerer Anteil der Deutschen ein Alter von über 80 Jahren erreicht haben. Schon jetzt nimmt der Anteil dieser Personen stark zu. Das Risiko - gerade ist schon darauf hingewiesen worden -, insbesondere demenziell zu erkranken, liegt bei über 80-Jährigen bei etwa einem Drittel - Tendenz dramatisch steigend.
Deswegen haben alle Sachverständigen - auch wenn sie sich über das Ausmaß nicht einig waren - in der Anhörung deutlich gemacht, dass eine Kapitalrücklage in der gesetzlichen Pflegeversicherung vonnöten wäre. Sie ist am Ende - das muss man ehrlich miteinander konstatieren -
an der Uneinsichtigkeit und Kurzsichtigkeit unseres Koalitionspartners gescheitert.
Liebe Frau Kollegin Bender, angesichts des Umstandes, dass Sie in sieben Jahren Rot-Grün in diesem Bereich gar nichts erreicht haben, ist Ihre Aufregung gerade zwar plakativ, am Ende aber doch etwas aufgesetzt gewesen.
Denn wie schwer es mit diesem Koalitionspartner bei diesem Thema ist, haben Sie damals ja auch schon erlebt.
So muss man feststellen, dass der Zeitverlust, der mit jedem Jahr, in dem der Umstieg zu einer kapitalgedeckten Vorsorge nicht erfolgt, größer wird, zumindest noch zwei Jahre auf das Konto unseres sozialdemokratischen Partners geht. Diesem Partner stelle ich anheim, den Gerechtigkeitsbegriff um eine Zukunftsdimension zu erweitern.
Klar ist aber auch, Herr Kollege Lanfermann: Der Einstieg in eine Kapitaldeckung würde im Moment - so ehrlich muss man im Umgang miteinander sein - eine Verteuerung für die Menschen bedeuten. Wenn Sie auf der einen Seite fordern, dass die sozialen Versicherungen günstiger werden müssen,
und auf der anderen Seite gleichzeitig eine Kapitalrücklage fordern, dann passt das nicht zusammen.
Wir müssen ehrlich zu den Menschen sein und ihnen klar sagen, dass - wenn wir für die Zukunft vorsorgen - es heute teurer wird, weil es für die zukünftigen Generationen günstiger sein soll.
Genau deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SED-Nachfolgepartei,
ist Ihr Antrag in der Argumentation so gefährlich. Denn er folgt dem bekannten Muster: Sie fordern mehr: 6 000 Euro für demenziell Erkrankte. Sie fordern Pflegegeld in der Höhe des Arbeitslosengeldes I. Sie fordern jährliche Dynamisierungen usw. Aber Sie verlieren, wie wir es von Ihnen gewohnt sind, kein Wort darüber, wie das finanziert werden soll.
llja, Frank und Martina im Wunderland, möchte man sagen. Etwas Konkretes findet sich in Ihrem Antrag nicht. Eines ist klar: Ihre populistischen Forderungen nach ?mehr" sind verwerflich; denn Sie geben keinen Hinweis darauf, wer das am Ende bezahlen soll, und suchen keinen vernünftigen Ausgleich zwischen den Beitragszahlern in diesem Land - insbesondere den künftigen - und denjenigen, die die Leistungen jetzt brauchen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte bei der Bewertung der Zukunft dieser Pflegereform kurz auf drei weitere Dinge eingehen.
Erstens. Die Pflegeversicherung ist - das ist gerade schon gesagt worden - per definitionem und von Anfang an immer nur eine Teilkostenversicherung gewesen. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit dieser Reform den Abschluss von Zusatzversicherungen im privaten Bereich auch in der Kooperation mit gesetzlichen Versicherungen erleichtern; denn die Zusatzversicherungen haben per se einen Vorteil: Sie sind kapitalgedeckt.
Zweitens. Es ist wichtig - das hat zwar mit dieser Pflegeversicherungsreform nicht direkt etwas zu tun, aber gerade in diesen Zeiten steht die Entscheidung an, das Forschungszentrum nach Bonn zu verlegen -,
im Bereich der demenziellen Erkrankungen nicht nur für die Betroffen mehr Geld zur Verfügung zu stellen - das ist richtig -, sondern auch mehr Geld für Forschung und Entwicklung auszugeben. So können wir mit Blick auf das, was 2050 oder 2060 kommt, schauen, wie wir hier vielleicht gewisse Entwicklungen im Sinne der Menschen verhindern können.
Drittens. Zu einer Zeit, zu der ich alt bin und ein Drittel der Menschen in diesem Land über 60 Jahre alt sein wird, werden wir uns auch - das ist mir persönlich sehr wichtig - über die Fragen des Zusammenlebens auseinandersetzen müssen. Es geht darum, wie wir das Zusammenleben in einer älteren Gesellschaft gestalten wollen und welche Formen es gibt. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir mit dieser Pflegereform das Poolen von Leistungen möglich machen, dass wir Modellprojekte realisieren, dass wir im Rahmen anderer Projekte nach Alternativen zwischen der rein ambulanten und der rein stationären Pflege suchen,
um solche neuen Formen des Zusammenlebens zu erproben.
Ich fasse zusammen: Wie viele andere Kollegen von der Unionsfraktion werde ich diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil wir die Verbesserung der Leistungen für demenziell Erkrankte und auch die Steigerung der Transparenz in den Pflegeheimen nicht davon abhängen lassen können, ob sich bei unserem Koalitionspartner endlich die notwendige Einsicht durchsetzt. Von daher gehe ich heute diesen wichtigen Schritt mit. Klar ist aber auch, dass noch wichtigere Schritte im Sinne der Zukunftsfähigkeit dieses Systems zu tun bleiben. Vielleicht gelingt es uns irgendwann - entweder durch Einsicht oder durch neue Mehrheiten in diesem Deutschen Bundestag -, diese Schritte zu tun.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8525, in Kenntnis des Vierten Berichts über die Entwicklung der Pflegeversicherung auf Drucksache 16/7772 den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7439 und 16/7486 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8532? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8530? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Linken abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8531? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Wir kommen damit zur Abstimmung über drei Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8528? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Gegenstimmen der FDP abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8527? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Linken abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8529? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ebenfalls mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 16/8525 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7136 mit dem Titel ?Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung?. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7472 mit dem Titel ?Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung?. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8525 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7491 mit dem Titel ?Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege?. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Gegenstimmen der FDP angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 6. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel ?Entbürokratisierung der Pflege vorantreiben - Qualität und Transparenz der stationären Pflege erhöhen?. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6836, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/672 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 a und 24 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Riester-Rente auf den Prüfstand stellen
- Drucksache 16/8495 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente
- Drucksachen 16/5903, 16/6921 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich würde jetzt gern die Aussprache eröffnen und bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche außerhalb des Saales zu führen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Klaus Ernst.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der Rentenpolitik der Bundesregierung verstehe ich, dass so viele Koalitionäre den Raum verlassen.
Die Ergebnisse dieser Politik sind leicht zusammenzufassen: 2003: Rentenerhöhung null; 2004: Rentenerhöhung null; 2005: Rentenerhöhung null; 2006: Rentenerhöhung null; 2007: plus 0,54 Prozent bei einer Preissteigerung von 2,8 Prozent; zu 2008 kann ich aufgrund der neuesten Pressemeldungen nur sagen: Schleuderkurs.
Die Rentner haben seit 2003 aufgrund der Preissteigerungen real 10 Prozent weniger. Sie haben viele zusätzlichen Belastungen zu verkraften gehabt: den allein zu finanzierenden zusätzlichen Krankenkassenbeitrag, unter anderem für Krankengeld, das ein Rentner per Definition gar nicht mehr beziehen kann, Zuzahlungen, die Praxisgebühr von 10 Euro pro Quartal usw. Das Ergebnis der Rentenpolitik der letzten Jahre lautet: Keine Regierung hat die Rentner so geschröpft wie Rot-Grün und Schwarz-Rot in den letzten Jahren. Keine Regierung hat sich das zuvor getraut.
Aber jetzt bekommen Sie kalte Füße. Heute vor fünf Jahren ist die Agenda 2010 verkündet worden. Jetzt, fünf Jahre später, wollen Sie die Dämpfung, die durch die sogenannte Riester-Reform verursacht wurde, aussetzen. Inzwischen haben Sie einen neuen Kürzungsfaktor eingeführt, den Nachhaltigkeitsfaktor. Fünf Jahre nach Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors wollen Sie den Riester-Faktor außer Kraft setzen. Bei diesem Grad an Verwirrung erscheint die Aufnahme der Demenzkranken in die Pflegeversicherung in einem ganz neuen Licht.
Die Aussetzung dieses Dämpfungsfaktors ist aber viel zu wenig. Wir wollen und beantragen, dass alle Dämpfungsfaktoren in der Rente abgeschafft werden. Wir wollen, dass die Renten wieder der Lohnentwicklung in diesem Land folgen, was Sie verhindert haben,
und wir wollen, dass die gesetzliche Rente wieder den Lebensstandard sichert. Man hatte immer den Eindruck, dass die Riester-Rente die Kürzung der gesetzlichen Rente ausgleichen soll. Dazu ein Zitat von Herrn Riester aus dem Jahr 2007:
Nein, bei mir ging es nie darum, Defizite der Sozialversicherungsrente auszugleichen. Ich habe die Sozialversicherungsrente nicht als eine Rente angesehen, die den Lebensstandard im Alter sichert, da habe ich mich völlig unterschieden von Norbert Blüm.
Inzwischen stehen wir Herrn Blüm näher als Sie.
Sie zweifeln an der Finanzierbarkeit unserer Anträge. Ich empfehle Ihnen, unsere Anträge bis zum Ende zu lesen; dann wissen Sie nämlich auch, wo das Geld herkommen soll. Sie formulieren ein Dogma: Die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung sollen nicht steigen. Sie behaupten, die Linke fordere einen Beitragssatz in Höhe von 28 Prozent, und tun so, als würde der Beitragssatz im Jahr 2030 anders aussehen, wenn man Ihrem Konzept folgen würde.
Dem wollen wir uns jetzt einmal mathematisch nähern, auch wenn ich weiß, dass es bei Ihnen mit der Mathematik schwierig ist; das sieht man ja an der Mehrwertsteuer.
Wir wollen es trotzdem einmal versuchen: Sie prognostizieren für 2030 einen Rentenbeitrag in Höhe von 22 Prozent. Paritätisch finanziert würde das bedeuten, dass der Arbeitnehmer 11 Prozent zahlt. Inzwischen weiß man aber, dass man von seiner Rente nicht wird leben können. Deshalb muss ein Arbeitnehmer, wenn er seinen Lebensstandard im Alter halten will, mit ungefähr 6 Prozent seines Einkommens privat vorsorgen. Sein Beitrag ist also überhaupt nicht stabil. Sein Beitrag liegt bei 11 plus 6 gleich 17 Prozent.
Wenn man den Beitragssatz, den die Arbeitgeber zahlen sollen - er beträgt 11 Prozentpunkte -, berücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis: Nach Ihren Vorstellungen würde der Beitragssatz zur Rentenversicherung im Jahr 2030 bei 28 Prozent liegen. Außerdem wäre er dann nicht mehr paritätisch finanziert. Die Arbeitgeber müssten einen Beitragssatz von 11 Prozentpunkten und die Arbeitnehmer einen Beitragssatz von 17 Prozentpunkten zahlen. Wir hingegen wollen, dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung, den die Arbeitnehmer zu zahlen haben, nicht in diesem Maße steigt. Außerdem wollen wir, dass er nach wie vor paritätisch finanziert wird.
Unser Vorschlag hätte zur Folge, dass der Beitragssatz, den die Arbeitnehmer zu zahlen hätten, um 3 Prozentpunkte geringer wäre, als er es nach Ihren Vorstellungen wäre. Das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, jetzt möchte ich mich noch ein wenig mit der Riester-Rente beschäftigen.
Es gibt folgendes Problem: Sie subventionieren mit vielen Milliarden Euro eine Reform, von der wir noch gar nicht wissen, wie sie wirkt. Welche Wirkungen sie für eine Verkäuferin, die 1 000 Euro verdient, hat, das wissen wir allerdings.
Wenn man die Situation zweier Verkäuferinnen, von denen eine riestert und eine nicht riestert, vergleicht, kommt man zu folgendem Ergebnis: Sagen wir, beide Frauen beziehen, wenn sie entsprechend wenig verdienen, eine gesetzliche Rente von 400 Euro. Diejenige, die geriestert hat, erhält 50 Euro mehr. Letztlich bekommen beide Verkäuferinnen eine Grundsicherung in Höhe von circa 650 Euro. Das bedeutet, dass die Frau, die geriestert hat, von ihrer Riester-Rente überhaupt nichts hat.
Weil Sie die Riester-Rente, obwohl Sie das wissen, fördern und den Leuten nicht sagen, dass sie davon nichts haben, stellen wir fest: Das, was Sie hier betreiben, ist organisierter Anlagebetrug.
Millionen von Menschen werden zu den privaten Versicherungskonzernen gedrängt, obwohl sie nicht wissen, was am Ende für sie herauskommt. Das Einzige, das wir schon heute wissen, ist, wer mit Sicherheit an der Riester-Rente verdient: die private Versicherungswirtschaft.
Diese Branche macht aufgrund der Riester-Rente große Gewinne. Im Jahre 2001 befanden sich die Versicherungsunternehmen noch in einer Krise. Inzwischen wissen sie gar nicht mehr, wohin mit ihrem Geld.
Meine Damen und Herren, mit der Aussetzung des Riester-Faktors für die Dauer von zwei Jahren sind Sie insofern auf dem richtigen Weg, als die Renten dadurch geringfügig steigen werden, allerdings so geringfügig, dass die Rentner im Jahre 2008 wieder weniger Geld bekommen werden als im Jahr zuvor.
Um das zu vermeiden, reicht es nicht aus, nur den Riester-Faktor auszusetzen.
Sie wissen ganz genau, dass die Bürger in diesem Lande das nicht länger hinnehmen. Die Aussetzung des Riester-Faktors für zwei Jahre ist nichts anderes als ein wahltaktisches Manöver,
das Sie betreiben, weil Sie merken, dass Sie bei Wahlen eins auf die Mütze kriegen. Das ist die Wahrheit.
Ich komme zum Schluss. Wir werden Sie in der Rentenpolitik weiter vor uns hertreiben. Ich garantiere Ihnen: Sie werden noch vieles machen, was in unserem Sinne ist, auch dann, wenn Sie es gar nicht wollen.
Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manch einer wird verwundert gewesen sein, welch toller Rechenkünstler gerade geredet hat.
Das war sagenhaft verwirrend. Daher will ich Ihnen sagen, was die Forderung der Linken im Ergebnis bedeuten würde:
Das, was hier vorgetragen und beantragt wurde, hätte zur Folge,
dass der Beitragssatz zur Rentenversicherung in einem Schritt auf 28 Prozentpunkte in die Höhe schnellen würde.
Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland würden dadurch 80 Milliarden Euro zusätzlich abgeknöpft,
und zwar mit steigender Tendenz.
Das ist das Ergebnis dessen, was hier gerade vorgetragen worden ist.
Diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die diesen sagenhaft hohen Beitragssatz zur Rentenversicherung - wie gesagt, mit steigender Tendenz - zahlen müssten, könnten sich noch nicht einmal sicher sein, dass sie dafür im Alter eine Rente in entsprechender Höhe bekommen.
Im Gegenteil, ihr Rentenanspruch würde sogar sinken. Deswegen sage ich Ihnen: Der Rentenklau hat einen Namen, und er sitzt in diesem Hause linksaußen.
Damit kein Rentenklau stattfindet, sondern auch in Zukunft der Lebensstandard im Alter gesichert ist, haben wir das Alterssicherungssystem in Deutschland vor einigen Jahren auf ein Dreisäulensystem umgestellt:
gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche Altersvorsorge und private, kapitalgedeckte Altersvorsorge.
Warum haben wir das gemacht? Wir stehen in Deutschland vor der riesigen Aufgabe, die demografische Veränderung zu bewältigen. Die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge - das sind die Leute, die heute zwischen 35 und 55 Jahre alt sind - wollen, wenn sie in zehn, zwanzig, dreißig Jahren in Rente gehen, eine anständige Rente bekommen.
Hinzu kommt, dass genau diese geburtenstarken Jahrgänge bis zu fünf Jahre länger als die heutigen Rentnerinnen und Rentner Rente beziehen werden, weil die Lebenserwartung - erfreulicherweise - deutlich steigt.
Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Der geburtenstärkste Jahrgang ist der Jahrgang 1964. Die im Jahr 1964 Geborenen werden 2029 65 Jahre alt sein. Dieser Jahrgang wird dann den Schätzungen nach 1,334 Millionen Menschen umfassen. Die im Jahr 2004 Geborenen, die dann 25 Jahre alt sein werden und die hoffentlich im Berufsleben stehen und Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen werden, werden nur 775 000 Menschen umfassen. 1,334 Millionen zu 775 000, dieser Vergleich zwischen nur zwei Geburtsjahrgängen zeigt überdeutlich, wie radikal sich die Altersstruktur unseres Landes verändern wird. Darauf muss man als Rentenpolitiker eine Antwort geben.
Die Antwort kann nur lauten: Unser Rentensystem muss einen gerechten Ausgleich finden zwischen dem, was wir den Älteren, die in Rente gehen, zugestehen wollen, und dem, was die Jungen in die Rentenkasse einzahlen müssen. Das bedeutet in einem umlagefinanzierten Rentensystem, in dem die Jungen für die Alten zahlen, dass das Niveau der Rente sinken muss, damit der Beitrag nicht in exorbitante Höhen wie 28 Prozent oder, wie es Prognos für das Jahr 2030 vorausgesagt hat, 36 Prozent oder gar 41 Prozent steigt. Das ist das Schreckgespenst, vor dem die Menschen in Deutschland stehen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Weiß, der Kollege Ernst würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Das darf er machen, und er darf mir auch seine neuen Rechenbeispiele vortragen.
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Danke, Herr Weiß. - Würden Sie mir zustimmen, dass der Mensch, der im Jahre 2030 seinen Lebensstandard mit gesetzlicher Rente und mit privater Vorsorge sichern will, auf einen Beitragssatz von insgesamt ungefähr 17 Prozent kommt?
Würden Sie mir zweitens zustimmen, dass das Problem der demografischen Entwicklung nicht nur die gesetzlich Versicherten, sondern auch die privat Versicherten betrifft?
Würden Sie mir drittens zustimmen, dass es angesichts dessen, dass das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung festgestellt hat, dass der Aufschwung nur bei den Unternehmen ankommt, sinnvoll wäre, die Unternehmen wieder paritätisch zur Finanzierung der Rente heranzuziehen?
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Herr Kollege Ernst, wenn Sie sich einmal die Mühe machen, den letzten Altersvorsorgebericht der Bundesregierung zu lesen,
werden Sie feststellen, dass die Experten sagen, dass derjenige, der das Dreisäulenmodell praktiziert, der gesetzliche Rente mit betrieblicher Altersvorsorge und mit privater, kapitalgedeckter Altersvorsorge, etwa einer Riester-Rente, kombiniert, davon ausgehen kann, dass er ein Versorgungsniveau wie die heutigen Rentnerinnen und Rentner erreicht. Die Geringverdienenden werden dieses Versorgungsniveau eher erreichen und es sogar übertreffen können. Das sind Aussagen des Altersvorsorgeberichts. Experten haben das durchgerechnet, nicht politische Schaumschläger wie Sie.
Es überfordert die Linke intellektuell, einzusehen - das ist der entscheidende Denkfehler -, dass die umlagefinanzierte Rente, bei der die Jungen in die Rentenkasse einzahlen, damit die Alten die Rente bekommen, auf die sie in ihrem Erwerbsleben einen Anspruch erworben haben, ein riesiges Demografieproblem hat, wenn viele Alte und wenige Junge da sind. Die kapitalgedeckte Altersvorsorge - die betriebliche Altersvorsorge genauso wie der Riester-Sparvertrag - bedeutet, dass ich, dass Sie, dass jeder von uns für sich, auf seinem Konto, etwas für seine Altersvorsorge anspart und später nicht die Jungen, die arbeiten, belastet. Deswegen sind die von uns vorgenommenen Umstellungen im Altersvorsorgesystem in Deutschland die richtige Antwort auf die demografischen Bedingungen. Ihr Vorhaben, alle Lasten auf die junge Generation zu verschieben, ist ein Betrug an dieser Generation.
Aber zurück zu meiner Rede:
Entscheidend ist, dass wir bei einer Umstellung unseres Altersvorsorgesystems die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht alleine lassen. Wir müssen ihnen mit konkreter staatlicher Hilfe helfen, damit private kapitalgedeckte Altersvorsorge für sie kein Fremdwort ist, sondern dass sie diese Chance nutzen können.
Dabei ist die Große Koalition, wie ich finde, einen sehr konsequenten Weg gegangen.
Erstens hat die Große Koalition die Entgeltumwandlung zur Altersvorsorge dauerhaft steuer- und sozialabgabenfrei gestellt. Davon profitiert der weitere notwendige Aufbau der betrieblichen Altersvorsorge. Schon heute haben 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einen Betriebsrentenanspruch. Wir tragen mit dieser Entscheidung konkret dazu bei, dass sich der Anteil weiter erhöht und diese Säule der Altersvorsorge entsprechend stabilisiert wird.
Zweitens hat diese Große Koalition die private kapitalgedeckte Altersvorsorge noch attraktiver gemacht. Gegenwärtig haben bereits 11 Millionen Menschen einen Riester-Sparvertrag, und es werden täglich mehr. Denn seit diesem Jahr steigt beim Riester-Sparvertrag der staatliche Förderbetrag pro Kind auf 300 Euro jährlich.
Als Neuerung planen wir, dass auch der Erwerb von Wohneigentum zur Altersvorsorge gefördert wird, dass junge Leute eine Einstiegsprämie von 100 Euro erhalten und dass Erwerbsgeminderte ebenfalls die staatliche Förderung für private Altersvorsorge erhalten können.
Herr Ernst hat auf die Parität der bisherigen jeweils hälftigen Finanzierung der Rentenversicherungsbeiträge durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber hingewiesen. Dem halte ich entgegen: Wenn wir für Niedrigverdiener bei der Riester-Rente eine staatliche Förderquote von bis zu 90 Prozent ermöglichen, dann ist das überparitätisch und kommt gerade denjenigen zugute, die es am nötigsten brauchen. Riester lohnt sich auch und erst recht für den, der wenig verdient.
Gleichzeitig stärken wir auch die gesetzliche Rente; denn sie wird auch in Zukunft die wichtigste Säule der Altersvorsorge bleiben. Die Rentnerinnen und Rentner fordern von uns zu Recht die Chance, auch am wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben, zumal zusätzliche Belastungen auf sie zukommen wie die soeben beschlossene Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags um 0,25 Prozentpunkte ab 1. Juli bei einer entsprechenden Ausweitung der Versicherungsleistungen.
Deshalb will die Große Koalition zusätzliche Leistungen für die Renterinnen und Rentner einführen. Wir wollen, dass die Rentnerinnen und Rentner am 1. Juli dieses Jahres eine angemessen Rentenerhöhung erhalten, damit auch sie am wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land partizipieren können.
Es ist interessant, dass ausgerechnet die Linke - wie Herr Ernst in seiner Rede - dies wieder verteufelt. Ich bin der Überzeugung, dass eine angemessene Rentenerhöhung zum 1. Juli 2008, die die Große Koalition jetzt auf den Weg bringt, damit die Rentnerinnen und Rentner am wirtschaftlichen Aufschwung partizipieren können, eine gute und richtige Entscheidung ist. Es ist ein positives Signal für die Rentnerinnen und Rentner in unsrem Land.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Weiß, der Kollege Dehm möchte auch eine Zwischenfrage stellen.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Auch der Herr Kollege Dehm möchte später eine Rente bekommen.
Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Herr Kollege, können Sie erklären, warum Herr Dr. Norbert Blüm in der Riester-Rente einen völligen Bruch mit dem Solidarprinzip sieht, oder gehört er auch zu denjenigen, die nur verteufeln?
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Ich kann Ihnen die Frage beantworten. Zuerst einmal gebührt Norbert Blüm Anerkennung dafür, dass er 1992 die größte Rentenreform, die es in Deutschland gegeben hat, was das finanzielle Ausmaß anbelangt, durchgeführt hat. Er hat Maßnahmen eingeleitet, die dazu geführt haben, dass der Rentenversicherungsbeitrag - entgegen dem, was die Linken wollen - nicht in astronomische Höhen steigt,
sondern dass der Anstieg gedämpft wird. Norbert Blüm hat 1987 bei Prognos in Basel eine Studie in Auftrag gegeben, die untersuchen sollte, was mit der gesetzlichen Rente passiert, wenn man alles, was damals gegolten hat, weiterlaufen lässt. Prognos hat ihm damals folgende Zahlen präsentiert: Wenn wir nichts tun
- darauf antworte ich gerade -, dann steigt der Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2030 auf mindestens 36 Prozent, wahrscheinlich sogar auf 41 Prozent. Als Konsequenz wurde in diesem Haus 1992 die von Norbert Blüm initiierte Rentenreform beschlossen, die dieses für die jungen Menschen, die arbeiten gehen und Geld verdienen, schreckliche Szenario verhindert hat. Norbert Blüm gebührt Dank dafür, dass er die bislang konsequenteste Rentenreform in Deutschland durchgeführt hat.
Zu Recht hat Norbert Blüm aber auch die Sorge, dass Menschen, die wenig verdient haben und lange Ausfallzeiten haben, bei sinkendem Rentenniveau eine Rente erhalten, die zum Leben nicht mehr reicht. Hier gebe ich ihm Recht. Wir werden sicherlich auch eine Form der Absicherung nach unten für künftige Generationen in unserem Rentensystem benötigen. Ein sinkendes Rentenniveau darf nicht zur Folge haben, dass Menschen in Altersarmut geraten.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Weiß, der Kollege Spieth würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin, ich beantworte gerne alle Fragen. Aber vielleicht sollten wir den Kollegen von der Linksfraktion ein Rentenseminar anbieten.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Es ist Ihnen unbenommen, ihnen das anzubieten.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Bitte schön, Herr Spieth.
Frank Spieth (DIE LINKE):
Da ich in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Rentenversicherung tätig war und Seminare im Rentenversicherungsrecht gemacht habe, könnten wir uns dann intensiv austauschen. - Herr Kollege Weiß, in der Tat wurde eine Rentenreform auf der Grundlage einer Prognos-Studie aus dem Jahre 1987 durchgeführt, und zwar am 9. November 1989, also an dem Tag, an dem die Mauer gefallen ist. Deshalb ist das leider weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Tatsache ist, dass damals gesagt wurde: Machten wir den Umbau von der bruttobezogenen Rente hin zur nettobezogenen Rente einschließlich weiterer Rentenkürzungen nicht, kämen wir auf die Beitragssätze, die Sie vorhin beschrieben haben, nämlich auf bis zu 36 Prozent. Aber Sie haben peinlichst verschwiegen, dass man damals bereit war - das wurde vom gesamten Haus festgelegt -, eine lebensstandardsichernde, nettobezogene Rente mit einem Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 28 Prozent zu finanzieren. Ist das zutreffend oder nicht?
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Herr Kollege Spieth, ich wiederhole, was ich vorhin vorgetragen habe: Das Hauptproblem bei einem Rentenversicherungsbeitrag in Höhe von 28 Prozent und mehr wäre, dass den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die einen solch astronomisch hohen Rentenversicherungsbeitrag zahlen müssten, angesichts der demografischen Entwicklung für ihren späteren Ruhestand kein Äquivalent, also eine diesem Beitrag entsprechende Rente, zugesagt werden kann. Deswegen war und bleibt es richtig, dass wir unser Rentensystem zu einem Dreisäulensystem umbauen, das die Umlagefinanzierung - die Jungen zahlen für die Alten - mit der kapitalgedeckten Altersvorsorge - die Jungen sparen für ihr Alter an - kombiniert. Das ist und bleibt die einzig richtige Antwort, auch wenn die Linke das nicht mag.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, um es zusammenzufassen: Was hier von links beantragt wird, ist nichts anderes als eine Rolle rückwärts in der Rentenpolitik.
Diese Rolle rückwärts bewirkt Folgendes: Erstens. Sie zerstört die Solidarität der Generationen. Was die Linken wollen, ist Kampf der Generationen gegeneinander und nicht solidarischer Ausgleich.
Zweitens. Was hier beantragt wird, schafft nicht soziale Gerechtigkeit, sondern zerstört sie.
Das Drei-Säulen-Modell der Altersvorsorge schafft Gerechtigkeit unter den Generationen; die Rolle rückwärts ist die Abschaffung dieser Gerechtigkeit. Eine Rolle rückwärts in der Rentenpolitik würde schlichtweg einen Betrug an der jungen Generation bedeuten, aber nicht nur an ihr, sondern letztlich auch an der älteren. Deswegen sage ich: Das Drei-Säulen-System der Altersvorsorge ist alternativlos, wenn wir der doppelten demografischen Herausforderung begegnen wollen, die auf uns zukommt und die die Linken gerne leugnen, so wie sie vieles gerne leugnen und den Leuten nicht die Wahrheit sagen.
- So ist es.
Das Dreisäulensystem ist die einzig richtige Antwort auf die demografische Herausforderung, die vor uns steht. Mit dem, was wir mit zusätzlicher staatlicher Hilfe für die private kapitalgedeckte Altersvorsorge auf den Weg gebracht haben und weiter auf den Weg bringen, also mit der Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge, verhindern wir Altersarmut, mit dem schaffen wir Sicherheit im Alter, auch für die Zukunft.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für bemerkenswert, was heute Morgen hier passiert. Am Ende dieser Sitzung wird sich der Deutsche Bundestag in die Osterpause verabschieden. Die Tickermeldungen überschlagen sich, die Bundesregierung wolle an der Rentenformel Veränderungen vornehmen. Aber hier wird bislang diese Tatsache mit keinem Wort angesprochen.
Ich halte es auch für ein Unding, dass der zuständige Minister, der für heute Mittag um 14.30 Uhr zu diesem Thema eine Pressekonferenz angesetzt hat, nicht die Gelegenheit nutzt, heute Morgen hier im Deutschen Bundestag seine Pläne vorzustellen und uns zu informieren. So geht das nicht.
Das muss man hier wirklich sehr deutlich sagen.
- Wenn der Kolb recht hat, hat er recht; das ist zweifellos der Fall. Und hier hat er recht.
Ich will es unmissverständlich sagen: Auch für uns ist nicht akzeptabel, dass die Rentner in diesem Lande in ihrer Einkommensentwicklung dauerhaft hinter der Kaufpreisentwicklung zurückbleiben, also real an Kaufkraft verlieren. Das ist nicht akzeptabel.
Aber Kaufkraftverlust hat zwei Seiten. Eine ist die in den letzten Jahren sicherlich in sehr geringem Maße vorgenommene Rentenanpassung, wenn es überhaupt eine gab. Auf der anderen Seite geht es aber auch um eine deutliche Kostensteigerung. Hierzu muss ich feststellen: Die Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande büßen für eine falsche Politik der Bundesregierung.
Die Bundesregierung hat die auch von den Rentnern zu zahlende Mehrwertsteuer drastisch erhöht und damit die Inflation hochgetrieben. Die Krankenkassenbeiträge steigen; die Pflegeversicherungsbeiträge werden zum 1. Juli dieses Jahres angehoben. Von der Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages profitieren die Rentner nicht. Die Energiekosten galoppieren davon und belasten auch die Rentnerhaushalte. Das ist nicht akzeptabel, und diese Entwicklung hat die Bundesregierung zu verantworten.
Angesichts dessen stellen Sie sich hier hin, Herr Weiß, und sagen: Wir wollen, dass sie jetzt eine angemessene Erhöhung bekommen. - Ich zitiere Ihren Fraktionsvorsitzenden Kauder: Eine Rentenerhöhung von 0,4 Prozent wäre für viele äußerst unbefriedigend, weil damit nicht einmal die Inflation ausgeglichen würde. - Wissen Sie denn, Herrn Weiß, wie hoch die Inflationsrate, prognostiziert durch die Bundesregierung im Januar, in diesem Jahr sein wird? 2,3 Prozent. Und jetzt kommt vielleicht eine Rentenanpassung von 1 Prozent heraus. Ist das angemessen, Herr Weiß, was Sie hier vorhaben? Das ist es doch keinesfalls.
- Ich lasse die Zwischenfrage des Kollegen natürlich zu.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kolb, ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie diese Zwischenfrage zulassen.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Ich freue mich darauf.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Da Sie, Herr Kollege Dr. Kolb, als ehemaliger Staatssekretär die Rentenformel exakt kennen und wissen, dass es in der Rentenanpassung keinen Inflationsausgleich gibt, so wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Inflationsausgleich haben, sondern in Tarifverhandlungen ihre Gehaltserhöhungen erkämpfen müssen, frage ich Sie erstens: Ist die FDP willens und bereit - und mit welcher Rentenformel und wie finanziert? -, den Rentnerinnen und Rentnern zum 1. Juli 2008 einen vollen Inflationsausgleich zu geben?
Zweitens: Warum machen Sie bei unserem Vorhaben, wenigstens eine einigermaßen angemessene Rentenerhöhung zum 1. Juli 2008 zu ermöglichen, nicht mit? Warum schließen Sie sich der Großen Koalition in dieser Frage nicht an?
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Erstens, Herr Kollege Weiß, das Muster, das Olaf Scholz offensichtlich jetzt zur Blaupause erhoben hat, geht nicht. Man kann nicht den Leuten ein Kotelett zurückgeben, nachdem man ihnen vorher die Sau vom Hof geholt hat, und dann noch Dankbarkeit erwarten. Das geht jedenfalls nicht.
Zweitens - ich komme auf Ihre Frage, Herr Kollege Weiß -: Das Herumbasteln an der Rentenformel verbietet sich aus unserer Sicht. Es ist nicht der richtige Weg, weil es das Vertrauen der Menschen in eine langfristig angelegte und verlässliche Rentenpolitik zerstört. Das geht also auch nicht.
Wenn es - so verstehe ich das befristete Aussetzen des Riester-Faktors - darum gehen soll, die Menschen in diesem Lande befristet zu entlasten - Menschen heißt hier ganz konkret: die Rentnerinnen und Rentner -, dann sollten Sie darüber nachdenken, wie man die Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande von Energie- und Verbrauchssteuern entlasten kann. Denn genau das sind Dinge, die die Menschen besonders treffen.
Hier könnten Sie nicht nur ein bisschen heilen, sondern auch bewirken, dass die Menschen das Gefühl haben: Es wird zwar alles teurer, aber die Bundesregierung hat uns punktuell an dieser Stelle so gestellt, dass wir davon nicht betroffen sind. - Das wäre faire Politik gegenüber den Rentnerinnen und Rentnern.
- Nein, Herr Kollege Weiß, das, was Sie hier machen, ist nicht ehrlich.
- Ich habe es Ihnen doch gesagt:
Wir wollen eine gezielte Entlastung der Rentnerinnen und Rentner bei den Energie- und Verbrauchssteuern, weil das wirklich bei denen ankommen würde, denen geholfen werden soll.
Wir wollen kein Herumbasteln an der Rentenformel. Das ist wirklich ein Ding.
Sie selbst, Herr Weiß, haben in der Vergangenheit eine Rente nach Kassenlage immer ausgeschlossen. Aber was wir jetzt erleben, ist eine Rente nach Umfragenlage.
Offensichtlich hat der Bundesarbeitsminister angesichts der abstürzenden Umfragewerte der SPD, Frau Kollegin Nahles, kalte Füße bekommen,
mit einer Rentenerhöhung von 0,5 Prozent vor die Menschen zu treten. Das ist doch der wahre Hintergrund. Das geht so nicht; das muss man wirklich sagen. Sie haben den Überblick verloren.
Im letzten Jahr, Herr Kollege Weiß, haben Sie die Rentenbeiträge erhöht, obwohl es vermeidbar gewesen wäre.
Sie haben zugunsten des Bundeshaushaltes die Beiträge der Empfängerinnen und Empfänger von ALG II künstlich um 2 Milliarden Euro reduziert. Wir hatten in 2007einen Überschuss in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Das heißt unter dem Strich: Wir hätten diese Rentenerhöhung von 19,5 auf 19,9 Prozent nicht gebraucht.
In der Rentenformel wirkt diese Erhöhung so, dass die Rentenanpassung reduziert wird. Deswegen wiederhole ich: Sie haben den Überblick verloren. Sie wissen nicht mehr, wie dieses komplizierte Räderwerk der Rentenformel ineinandergreift und wollen jetzt den Riester-Faktor für zwei Jahre aussetzen.
Ich sage noch einmal: Das ist Politik nach Umfragewerten. Mit einer seriösen und verlässlichen Rentenpolitik hat das nichts zu tun.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Gregor Amann, SPD.
Gregor Amann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge der Linken und den Redebeitrag von Kollegen Ernst kann man kurz mit einem Satz zusammenfassen: Riester-Rente taugt nichts - abschaffen!
Jetzt habe ich aber vor wenigen Tagen in Spiegel-Online gelesen, dass die Kollegin Kipping von den Linken ein Thesenpapier zur Rentenpolitik ihrer Partei verfasst hat. In diesem Thesenpapier steht - so Spiegel-Online -:
Kürzlich beschloss der Parteivorstand, das Thema Rente zu einem der zentralen Kampagnenschwerpunkte zu machen.
Das findet auch die Kollegin Kipping richtig. Aber, so schreibt sie in diesem Papier laut Spiegel-Online:
Dass dem Beschluss zur Rentenkampagne jedoch kein Beschluss über ein Rentenkonzept der Partei vorangegangen ist, ist mehr als nur ein Schönheitsfehler.
Auf der einen Seite sagen Sie, Sie wollten die Riester-Rente abschaffen, auf der anderen Seite sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende Ihrer Partei, ihre Partei verfüge überhaupt nicht über ein Rentenkonzept. Das kommt mir so vor, als wenn ich zum Arzt gehe und sage: ?Herr Doktor, ich habe Brustschmerzen? und der Arzt sagt: Ich habe zwar keine Ahnung, woher die Schmerzen kommen, aber wir amputieren auf jeden Fall mal den rechten Arm.
Im Gegensatz zu den Linken hat die SPD ein Rentenkonzept. Walter Riester war nicht der einzige sozialdemokratische Arbeitsminister, der sich um die Sicherung der Altersvorsorge verdient gemacht hat. Die Überwindung der Altersarmut gehört zu den großen Errungenschaften unseres Sozialstaats. Ältere haben in Deutschland heute ein viel niedrigeres Armutsrisiko als die meisten anderen gesellschaftlichen Gruppen. Natürlich gibt es auch in Deutschland ältere Menschen, die in Armut leben, aber die Quote der Senioren, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind - die Grundsicherung ist übrigens 2003 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführt worden; darauf bin ich stolz -, beträgt heute weniger als 3 Prozent. Noch in den 50er-Jahren, also vor Einführung der dynamischen Rente, war das Armutsrisiko der Älteren mehr als doppelt so hoch wie das der Gesamtbevölkerung.
Natürlich müssen wir darüber nachdenken, Herr Spieth, wie wir diesen Erfolg sichern können und auch zukünftig Altersarmut verhindern.
Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf eine Studie der OECD und stellen deren Aussagen auf den Kopf. Ja, das Rentenniveau wird in den nächsten Jahren absinken, aber die OECD-Studie wies gleichzeitig auch auf - Zitat - ?große Fortschritte? bei der deutschen Rentenpolitik hin
und lobte dabei ausdrücklich die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre; denn die Erhöhung des Renteneinstiegsalters verringere den Druck, das Rentenniveau abzusenken. Die Studie sagt darüber hinaus, dass die Kombination von gesetzlicher Rentenversicherung, Betriebsrente und privater Vorsorge sehr wohl dazu geeignet ist, Altersarmut zu verhindern.
Wenn das Rentenniveau für kommende Generationen absinkt, dann ist die wahre Ursache dafür die dramatische demografische Entwicklung in unserem Land, welche unser Umlageverfahren an seine Grenzen führt; denn das Zahlenverhältnis zwischen Rentenempfängern und Beitragszahlern verschlechtert sich kontinuierlich. Genau hier greift der von Ihnen kritisierte Nachhaltigkeitsfaktor. Er koppelt nämlich den Rentenanstieg an das Zahlenverhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsbeziehern, und das ist auch sinnvoll; denn Einnahmen und Ausgaben stehen nun einmal in diesem System in einem klaren Zusammenhang.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege, Herr Kollege Schneider möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gregor Amann (SPD):
Bitte.
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Herr Kollege Amann, Sie haben eben die OECD-Studie angesprochen. Nun enthält die OECD-Studie eine Reihe von Daten und unter anderem die Aussage - das haben Sie eingeräumt -, dass das Rentenniveau sinkt, und zwar so stark, dass wir in der Kategorie der Geringverdiener auf dem letzten Platz und in den anderen Kategorien immer jeweils im letzten Drittel liegen. Das sind die Fakten, die in diesem Bericht stehen. Wenn nun dieser Bericht angesichts dieser Fakten zu dem Ergebnis kommt, dass die Bundesrepublik Deutschland Fortschritte macht, können Sie dann verstehen, dass wir als Linke diese Wertung nicht als durch diese Fakten untermauert ansehen? Sie reden hier über eine Wertung der OECD. Wes Geistes Kind die OECD ist, will ich nicht weiter ausführen.
Gregor Amann (SPD):
Kollege Schneider, Sie haben die OECD-Studie sehr selektiv gelesen. Es ist in der Tat richtig, dass die OECD-Studie auf Risiken gerade bei Geringverdienern hinweist. Das ist vollkommen richtig und auch notwendig, aber sie sagt eben auch - das habe ich ausgeführt -, dass die Bundesregierung auf einem guten Weg ist und dass das Dreisäulenmodell sehr wohl dazu geeignet ist, Altersarmut zu verhindern.
Da ich gerade beim Nachhaltigkeitsfaktor war: Da im vergangenen Jahr aufgrund des Aufschwungs die Zahl der Beitragszahler durch den Rückgang der Arbeitslosigkeit stärker als die Zahl der Rentner angestiegen ist, hat der Nachhaltigkeitsfaktor dazu geführt, dass die Rentensteigerung im vergangenen Jahr sogar größer war, als sie ohne den Nachhaltigkeitsfaktor gewesen wäre,
auch wenn sie - das gebe ich zu - nur 0,54 Prozent betragen hat. Der Nachhaltigkeitsfaktor wirkt also in beide Richtungen.
Übrigens sind wir in Europa die letzten, bei denen die Selbstständigen noch nicht in das gesetzliche Rentensystem einbezogen sind.
Für eine Erwerbstätigenversicherung gibt es aber noch keinen fertigen Plan, der einfach nur umgesetzt zu werden braucht. Geklärt werden müssen noch viele Detailregelungen, Übergangsregelungen, die genauen Grundlagen der Beitragsbemessung, gerade auch bei stark schwankenden Einkommen, die Einkommenserfassung usw. Das sind einige der Dinge, über die wir noch nachdenken müssen.
Wir Sozialdemokraten sind bereit, an dieser Stelle in die Zukunft zu blicken, um auch weiterhin Altersarmut zu vermeiden. Die Linken dagegen wollen in ihren Anträgen einfach nur zurück in die Vergangenheit, die angeblich so viel besser war. In der Tat - ich komme auf den Anfang meiner Rede zurück -: Sie haben kein Rentenkonzept. Deshalb werden wir die beiden vorliegenden Anträge ablehnen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag ?Wiedereinführung der Lebensstandardsicherung in der gesetzlichen Rente? stellt die Linke den Kern ihres rentenpolitischen Programms vor.
So viel Nostalgie war noch nie. Getreu dem Motto ?Früher war alles besser? schlägt die Linke eine Rückkehr zur Rentenformel von Norbert Blüm vor.
- Ja. - Norbert Blüm brauchte bekanntlich nur auf die Leiter zu klettern und zu plakatieren: Die Rente ist sicher.
Schon glaubten es alle. Dieses Desaster haben wir heute auszubaden.
Sie, meine Damen und Herren von der Linken, streben zurück zu einem Nettorentenniveau von 70 Prozent des Erwerbseinkommens. Aber was heißt das?
- Das Rentenseminar ist abgeschlossen. - Sie schlagen einen Beitragssatz von 28 Prozent vor. Das heißt - das möchte ich Ihnen einmal ins Stammbuch schreiben -: Ein Durchschnittsverdiener oder eine Durchschnittsverdienerin hätte jährlich 1 700 Euro mehr an Beiträgen zu zahlen.
Da frage ich Sie von der Linken: Woher sollen die Beschäftigten dieses Geld nehmen?
Dazu schweigen Sie, und das ist das Schlimme.
Nach Ihrem Konzept müsste der Rentenbeitragssatz bis zum Jahr 2030 sogar auf 40 Prozent anwachsen. Eine Beschäftigte, die heute 28 Jahre alt ist und dann 50 Jahre alt sein wird, bezahlt den doppelten Rentenversicherungsbeitrag.
Sie, meine Damen und Herren von der Linken, negieren auch noch den Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen um circa 8 Millionen Menschen bis zum Jahr 2030. Sie verschweigen die Belastungen, die Sie den jüngeren Beitragszahlern aufbürden wollen.
Die jüngere Generation, die mittelständischen Betriebe, die heute die Arbeitsplätze schaffen, würden die Hauptlast Ihrer Vorschläge tragen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Kollegin, der Kollege Ernst hätte eine Zwischenfrage.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Kollege Ernst hat schon bei allen anderen nachgefragt.
Wenn man sich intensiv mit der Rentenpolitik auseinandersetzt, dann kann man das im Ausschuss klären und sollte nicht immer wieder die gleichen Fragen stellen.
Zusammen mit Ihren Vorschlägen zu den anderen Sozialversicherungszweigen erreichen Sie spielend ein Abgabenniveau von 60 Prozent: 40 Prozent Rentenversicherung, 16 Prozent Krankenversicherung, 4 Prozent Pflegeversicherung. Als Kronzeugin für diese unsägliche Politik, Herr Schneider, bemühen Sie die OECD-Studie. Diese Studie hat zu Recht auf die fehlende Armutssicherung im deutschen Rentenrecht aufmerksam gemacht und Korrekturen angemahnt. Sie, meine Damen und Herren von der Linken, erwähnen aber nicht - das finde ich unseriös - die übrigen Aussagen der OECD-Studie. Deshalb zitiere ich sie jetzt:
Deutschland hat mit den Reformen der vergangenen Jahre die finanzielle Nachhaltigkeit des Systems deutlich erhöht.
Die OECD hat mit der gesetzlichen Rente gerechnet, hat aber auch gesagt: Wenn die private und die betriebliche Rente hinzukommen, dann ist das Niveau erreicht. - Auch das verschweigen Sie wieder.
- Ich habe alles gelesen. - Sie wollen das Rad zurückdrehen. Um dieses Ziel zu erreichen, greifen Sie auf alles zurück, was Ihnen zu passen scheint.
Zu einer zweiten Sache. Hinsichtlich der Überprüfung der Riester-Förderung beziehen Sie sich in Ihrem Antrag mehrfach auf die Studie von Corneo und anderen. In dieser Studie wurde lediglich das Sparverhalten von Geringverdienern für die Jahre 2000 bis 2004 untersucht. Die Studie kommt zu dem einfachen Ergebnis, dass Geringverdiener im Jahr 2004 nicht mehr sparen konnten als im Jahr 2000. Das ist ein ganz erstaunliches Ergebnis. Wie sollten sie denn auch? Sie haben keine Lohnzuwächse gehabt. Wie sollten sie da mehr sparen? Die Studie hat auch nicht die Zulagen der Riester-Förderung berücksichtigt, obwohl sich die Vermögensbildung durch die Zulagen mehr als verdoppelt. Diese Studie, die Sie hier zitieren, ist wirklich vom Feinsten. Außerdem wird nicht zwischen allgemeiner Vermögensbildung und Altersvorsorge unterschieden. Das erklärte Ziel der Riester-Förderung war doch die gezielte Altersvorsorge und nicht das allgemeine Sparen. Gerade dadurch sollte die Lücke geschlossen werden. Dazu sagen Sie heute nichts.
So, wie Sie nun einmal sind, leiten Sie trotz der gravierenden Mängel dieser Studie daraus die voreilige Schlussfolgerung ab, die Riester-Förderung sei ineffizient und würde im Wesentlichen Mitnahmeeffekte erzeugen.
Ihre Forderung, eine Evaluation der Riester-Förderung vorzunehmen, unterstützen wir. Das finden wir sinnvoll und notwendig. Aber Ihr Antrag wirkt doch nicht glaubwürdig, wenn Sie sich schon darauf festgelegt haben, dass die Riester-Rente zurückgenommen werden müsse.
Wir Grünen stehen zu den Strukturreformen, die - im Unterschied zu der Lage in vielen anderen Staaten - die Nachhaltigkeit des Rentensystems wesentlich verbessert haben. Auch wir unterstützen die neuen Vorschläge von Arbeitsminister Scholz zu einer höheren Steigerung der Renten für die nächsten beiden Jahre, denn in der Tat ist es so, dass die Rentner und Rentnerinnen über die Maßen unter den Preissteigerungen zu leiden haben. Dass dieser Vorschlag nun gerade im Vorwahljahr kommt, hält uns Grüne nicht von einer Zustimmung ab, denn er ist richtig.
Die Strukturprobleme der Rente werden dadurch aber nicht gelöst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen zu einer Abkehr von der Frühverrentungspolitik. Wir stehen zu den Verbesserungen der Anrechnung der Kindererziehungszeiten. Wir stehen auch zu einer ergänzenden Riester-Förderung, die gerade für die unteren Einkommensgruppen attraktiv ist. Ich finde, es ist antiquiert, zur Rentenformel aus dem Jahr 1992 zurückkehren zu wollen. Nein, Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die Leute wollen nicht, dass ihnen Politik vorgegaukelt wird. Sie möchten, dass wir die Probleme ernst nehmen und entsprechende Lösungen vorschlagen. Hier sage ich: Erst existenzsichernde Löhne bieten die Voraussetzung für eine auskömmliche Rente. Auch darum setzen wir uns für Mindestlöhne ein.
Wir brauchen aber auch Strukturveränderungen in der Rentenpolitik. Hier nehmen wir die OECD-Studie auf. Wir möchten, dass geringverdienende Menschen eine Höherbewertung erfahren, damit es nicht dazu kommt, dass die Rente am Ende des Erwerbslebens nicht ausreicht und dass eine Grundsicherung beantragt werden muss. Wir brauchen auch - Herr Kollege Amann, da unterstütze ich Sie - eine obligatorische Alterssicherung für Solo-Selbstständige, die keine andere Alterssicherung haben.
Nun komme ich zur Linken. Wir brauchen eine Angleichung der Rentenwerte in Ost und West. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Schließlich wollen wir die eigenständige Alterssicherung von Frauen weiter ausbauen. Damit erreichen wir, dass wir das System Schritt für Schritt zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickeln. Von der Großen Koalition verlangen wir eine Rücknahme der halbierten Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose. 2,09 Euro Rente pro Monat für Langzeitarbeitslose ist in der Tat nicht akzeptabel. Auch die Zwangsverrentung mit 63 Jahren mit Abschlägen darf nicht erfolgen. Die Bundesregierung muss endlich auf die Armutsgefährdung bestimmter Bevölkerungsgruppen reagieren.
Zu den Anträgen der Linksfraktion fasse ich zusammen: Ihre Konzepte sind rückwärtsgewandt, nicht finanzierbar und unseriös. Sie nehmen auf die Zukunftsperspektive der jüngeren Generation keine Rücksicht. Die jungen Menschen müssten über steigende Sozialabgaben die Zeche zahlen, ohne dafür die Sicherheit zu haben, selbst in den Genuss einer existenzsichernden Rente zu gelangen. Ihre Vorschläge zur Evaluation der Riester-Förderung sind nicht glaubwürdig, wenn Sie bereits heute das Ergebnis vorwegnehmen. Das ist billiger Populismus und eine rückwärtsgewandte Politik, die wir so nicht akzeptieren.
Ich danke Ihnen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 152. Sitzung - wird am
Montag, den 17. März 2008,
an dieser Stelle veröffentlicht.]