Der Begriff "Katechismus" meint seit der Reformation ein Lehrbuch für den christlichen Glaubensunterricht, das den Glaubensstoff auf seine Grundaussagen reduziert vorstellt, und zwar in Form von Fragen und sofort erteilten Antworten. Berühmt geworden sind Luthers "Großer Katechismus" für Prediger und sein "Kleiner Katechismus" für "die gemeinen Pfarrherrn und Prediger" und "Hausväter" (jeweils 1529). Beide sollten die Glaubensinhalte der erneuerten christlichen Lehre durch täglichen Gebrauch "im Herzen" verankern.
Auf Luthers Katechismen folgten protestantische und katholische Versionen gleichen Anliegens bis in die Gegenwart. Die Autoren des hier vorgelegten Werks wählten die didaktische Vermittlungsweise des Katechismus für ein säkulares Anliegen: die Vermittlung von Grundannahmen und -anliegen der Geschichtswissenschaft. Das Buch setzt ein mit der Aussage, dass Wissenschaft nichts anderes als Wissenschaft sei, ob von Physikern wie Niels Bohr betrieben oder einem Doktoranden, der das Silberflotten-Konvoisystem Spaniens im 16. und 17. Jahrhunderts und dessen Auswirkungen auf die internationale Politik der europäischen Mächte analysiert.
Nach Beck und Geus wird Wissenschaft nur dann betrieben, wenn jemand methodisch stringent (da gibt es viele Varianten je nach Material und Fragestellung) und jederzeit nachprüfbar über sein Objekt reflektiert: Geschichtswissenschaft unterscheidet sich in nichts von anderen Wissenschaften. Die Autoren weisen die Idee, es gäbe "harte" und "weiche" Wissenschaften, strikt zurück.
Ihnen geht es darum klarzumachen, was Geschichtswissenschaft leisten und nicht leisten kann, dass Geschichte ein Wahrnehmungskonstrukt ist, zu umreißen, was die Gegenstände des Historikers sind und in wie hohem Maße diese von den Erwartungen, Ängsten und Hoffnungen der Gesellschaft beeinflusst werden, welches ihre Methoden sind, wie die Geschichtswissenschaft mit Kausalität und Zufall umgeht, dass sie nicht mit apriorischen Definitionen arbeitet, sondern mit Umschreibungen, die immer "offene Ränder" haben, dass sie bei der vergleichenden Betrachtung von Phänomenen Typen entwickelt, die natürlich nur posteriorisch entstehen können, was Modelle in der Geschichtswissenschaft leisten und was vom Arbeiten "sine ira et studio" nach dem berühmten Wort des Tacitus zu halten sei (für die Autoren ist diese Vorstellung trivial). Gleichwohl fordern sie "Objektivität" ein; aber "nach unserer Ansicht müssen die vorgestellten Ergebnisse ‚nur' rational nachvollziehbaren und anerkannten Kriterien genügen. Das Gegenstück zu unserem Objektivitätsbegriff wäre also nicht wie früher die Subjektivität, sondern die Fiktionalität".
Es wird die Frage aufgeworfen, was Ethnien sind, ob es ein "kollektives Gedächtnis" gibt, was der Unterschied zwischen Theorie, Modell, Axiom und Theorem, ja was Wahrheit sei und im Unterschied dazu Wirklichkeit (der Rezensent hält allerdings das gebrachte Beispiel für eine Theorie, nämlich die ‚marxistische Stufentheorie', für nicht so treffend). Es folgen Fragen zu eher neueren Strömungen in der Historie: Was ist der Linguistic Turn, was sind strukuralistische und poststrukturalistische Ansätze, was leisten virtuelle Geschichtsschreibung, Mentalitätsgeschichte, Historische Semantik, Historische Anthropologie, Gender-Studies, was meint Mainstream, Historismus, Avantgarde? Dann kommt eher aus den "Einführungen in die Geschichtswissenschaft" Bekanntes: Erläuterungen, was Quellen sind, Dokumente, Urkunden und Akten, was meinen Empirie und Authentizität, Hermeneutik und Hermeneutischer Zirkel?
An den Begriffen "Kultur" und "Zivilisation" wird die Huntingtonsche Vorstellung eines "Clash of Civilizations" durchleuchtet, die eine ganze Politikerklasse verinnerlicht hat, wird Huntingtons Erfindung einer "islamischen Kultur" als Irrkonstruktion erkannt. Hier werden auch die historischen Defizite von Politikern (und man sollte hinzufügen: von Top-Managern) angesprochen: "Geschichtswissenschaft ist essentiell für Gesellschaft und Staat. Der Historiker ist Dienstleister von bisweilen lebenswichtigen Informationen. Milliardenschäden durch Fehleinschätzungen können durch Befragung von Historikern vermieden werden."
Das Buch ist gedacht für jeden historisch Interessierten. Und es sollte Pflichtlektüre für Lehrende der Geschichte und für Schulbuchautoren sein, soweit sie ihren Stoff nicht hinreichend zu strukturieren wissen und die Schüler mit Masse zuschütten statt ihnen Klasse zu vermitteln. Es geht um Einsichten in geschichtliche Zusammenhänge, mithin um Erkenntnisse statt gepaukten Wissens.
Thomas Beck / Klaus Geus
Katechismus der Geschichtswissenschaft.
Ein Lehrbuch in 100 Fragen und Antworten.
Hand- und Lehrbücher für Wissenschaft und Unterricht, Band 1.
Utopica Verlag, Oberhaid 2004; 89 S., 24,80 Euro