Die Geschichte der Menschheit ließe sich - zumindest in großen Teilen - recht anschaulich mit Hilfe von Zitaten nacherzählen. Mal sind sie nur legenhaft überliefert, wie im Falle von Gaius Julius Caesar, als er im Jahre 49 v. Chr. mit seiner Armee das Flüsschen Rubikon überschritt und damit das Römische Reich in den Bürgerkrieg riss. Er soll dies mit den fatalistischen Worten "Die Würfel sind gefallen" quittiert haben. Manchmal geben diese Zitate einer bestimmten Hoffnung Ausdruck, beispielsweise als der englische General Wellington am 18. Juni 1815 beim Anblick der heranstürmenden Franzosen unter Napoleon auf dem Schlachtfeld von Waterloo ein flehentliches "Ich wollte es wäre Nacht und die Preußen kämen" gen Himmel schickte. Andere berühmt gewordene Sätze sollten bewusst täuschen, wie im Falle des DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht, als er am 15. Juni 1961 auf einer Pressekonferenz log: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen." Manchmal sind solch geschichtsträchtigen Sätze aber auch Ausdruck des Triumphs: So jubelte der Astronaut Neil A. Amstrong am 21. Juli 1969 "Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für die Menschheit" als er als erster Mensch den Mond betrat.
Nicht immer finden diese Zitate ihren Weg in die Geschichtsbücher und in das kollektive Gedächnis der Menschen, bringen aber trotzdem das mit ihnen verbundene historische Ereignis auf den Punkt: "Frau Präsidentin! Das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober beschlossen." Mit diesen Worten wandte sich der PDS-Volkskammerabgeordnete Gregor Gysi sichtlich enttäuscht an Sabine Bergmann-Pohl, die wenige Minuten zuvor - um Punkt 2:47 Uhr in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1990 - als Präsidentin der ersten frei gewählten Volkskammer das Ergebnis der Abstimmung über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland für den 3. Oktober bekannt gegeben hatte: Für den Kompromissantrag aus den Fraktionen von CDU/DA, DSU, FDP und SPD hatten 294 Abgeordnete gestimmt, 62 dagegen, sieben Parlamentarier hatten sich der Stimme enthalten. "Ich glaube", so Sabine Bergmann-Pohl, "das ist ein wirklich historisches Ereignis. Ich danke allen, die es im überparteilichen Konsens ermöglicht haben." In der Tat, historisch war dieser Augenblick in jedem Fall. Wann hatte ein Parlament jemals zuvor die Auflösung des eigenen Staates und den Beitritt zu einem anderen Staat beschlossen?
Begonnen hatte der Sitzungsmarathon der Volkskammer ganz regulär am Tag zuvor um 16 Uhr. Auf der Tagesordnung stand zunächst einmal die Verabschiedung für das erste gesamtdeutsche Wahlgesetz, das in der Volkskammersitzung 14 Tage zuvor in der Ersten Lesung an der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit wegen mangelnder Präsenz der Parlamentarier gescheitert war. Eine weitere Blamage wurde jedoch verhindert: 295 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, 74 dagegen, zwei enthielten sich der Stimme.
Dann trat Ministerpräsident Lothar de Maizière mit ernster Miene ans Pult. Seine Forderung: Eine Sondersitzung der Volkskammer noch am gleichen Abend. Sein Ziel: Einen Beschluss über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Seine Begründung: Der Bevölkerung ist meines Erachtens das Hin und Her nicht länger zuzumuten. Ich habe viele Anrufe, Briefe und ähnliches aus der Bevölkerung erhalten. Es wird Zeit, die quälende Diskussion zu beenden." Nach einer anderhalbstündigen Debatte im Parlamentspräsidium war man sich einig. Die vom Ministerpräsidenten geforderte Sondersitzung wurde für 21 Uhr anberaumt. Stunde um Stunde debattierten die Abgeordneten dann über verschiedene Anträge zur Vereinigung der Deutschen in einem souveränen Staat nach 45 Jahren der Trennung.
Für DDR-Verkehrsminister Horst Gibtner bot die Nachtsitzung der Volkskammer gleich einen doppelten Grund zum Feiern. Um Mitternacht konnte er sich zu seinem 50. Geburtstag gratulieren lassen. Und sichtlich bewegt vom "großen Geschenk" der Deutschen Einheit wandte er sich an das Parlament: "Vielleicht darf ich noch einen Geburtstagswunsch äußern, nicht gleich für das ganze neue Lebensjahr, sondern für die noch vor uns stehenden Tage gemeinsamer Arbeit. Ich glaube, dass mit dieser Entscheidung eine schwere Last von unseren Schultern gewichen ist; und ich wünsche mir, dass wir in der verbleibenden zu konstruktiver Arbeit zurückkehren, frei und souverän, so wie unsere Wähler dies von uns erwarten."