Ist Deutschland eher mit der sich selbst regulierenden Natur eines Biotops oder mit der gewachsenen und gestalteten Anlage eines Gartens vergleichbar? Es scheint eine Banalität, auf die herausragende Bedeutung kultureller Elemente für die Lebensführung der Einzelnen und der Gesellschaft hinzuweisen - und doch sehen sich Aufwendungen für kulturelle Aufgaben einem hohen Legitimationsdruck gegenüber. Nicht dass es keine Kulturförderung gäbe: vor allem die Kommunen ermöglichen in Deutschland ein kulturelles Leben, das sich auch im Vergleich sehen lassen kann.
Die Verfassungen der Länder weisen als Verantwortliche für die Kultur auf die Förderverpflichtung hin, die sich aus ihrer Selbstdefinition als Kulturstaaten ergibt. Anders ist es im Grundgesetz (GG): Hier fehlt ein Hinweis auf die Kulturförderung, was sich wohl eher aus der Vermeidung von Staatszielangaben in der deutschen Verfassungstradition ergibt als aus einer Abwertung kultureller Aufgaben, die doch vor allem in der Entstehungszeit des GG als lebensnotwendig für die Selbstfindung nach dem Ende des Krieges und des Nationalsozialismus erfahren wurden.
Artikel 5 Absatz 3 des GG formuliert die Freiheit der Kunst, woraus - in Verbindung mit der Rechtsprechung - manche eine Förderverpflichtung des Staates ableiten. Es ist aber ein wichtiger Unterschied, ob negativ der Kunst die nur durch die Verfassung eingeschränkte freie Entfaltung zugesichert wird, oder ob positiv eine in Deutschland praktizierte Förderung festgestellt und als Ziel genannt wird.
Den Bedenken einiger Ministerpräsidenten, eine Ergänzung des Artikel 20 GG würde die Kulturhoheit der Länder beeinträchtigen, ist zu entgegnen, dass die Formulierung eines für den gesamten Bundesstaat geltenden Zieles noch nichts über die Kompetenz zu seiner Ausgestaltung sagt. Es geht um die Frage, ob die Förderung der Kultur - nicht als einer Ereigniskultur, sondern als eine alltägliche und notwendige Lebensäußerung von der Breitenkultur bis zur Spitzenleistung - eine größere Verbindlichkeit erhält, als es bislang der Fall ist.
Kulturförderung wird nicht Pflichtaufgabe im verwaltungsjuristischen Sinn werden können, aber sie kann auch nicht ins völlige Belieben gestellt bleiben. Die Gemeinden würden in ihren hohen Aufwendungen für die Kulturförderung gestützt. Wenn sich die Vorstellung verbreitet, hier würden statt eine gesellschaftlich lebenswichtige Aufgabe zu erfüllen Partikularinteressen "bedient", dann bedarf es der Fixierung des gesellschaftlichen Konsenses über die Bedeutung der Kultur. Eine Staatszielbestimmung würde einen "Infrastrukturauftrag" des Staates für das kulturelle Leben formulieren.
Wäre das GG noch so "staatszielfern", wie es ursprünglich angelegt war, griffen die Argumente gegen die Aufnahme einer Staatszielbestimmung. Dies ist aber spätestens seit der Aufnahme des Umwelt- und Tierschutzes nicht mehr der Fall. Das GG hat seitdem eine Schlagseite: Die natürlichen Ressourcen des Landes werden als schutz- und förderungswürdig benannt, nicht aber die geistigen seiner Bevölkerung.
Der Autor ist Akademiedirektor i. K. der Katholisch-Sozialen
Akademie, Münster.