Sah man am vergangenen Wochenende im Deutschen Bundestag jauchzende Kinder über den Fußboden hüpfen, hörte man sie leise über ein Stück der Augsburger Puppenkiste tuscheln und spürte man die Ausgelassenheit, mit der sie mit herumliegenden Bällen und Reifen tobten - man konnte denken, Grönemeyers 90er-Jahre-Verheißung "Kinder an die Macht" stehe kurz vor ihrer Vollendung.
Grund dafür waren die "Tage der Ein- und Ausblicke" des Deutschen Bundestages (vergleiche Seite 24), in dessen Rahmen sich die "Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder" (Kinderkommission) an einem Stand im Paul-Löbe-Haus präsentierte. Die zum "Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend" gehörende Kommission hielt ein umfangreiches Programm für ihre kleinen und großen Besucher bereit.
Die Kinderbeauftrage der SPD, Marlene Rupprecht, wollte mit dem Stand Bürgernähe signalisieren. Im Gegensatz zu anderen Ausschüssen, die den Kontakt zur Bevölkerung weitgehend über ihre zuständigen Ministerien laufen lassen, sieht sich die Kinderkommission als eine Anlaufstelle für alle Angelegenheiten, die in irgendeiner Art und Weise mit Kindern zu tun haben. So können sich interessierte Eltern und neugierige Kinder gleichermaßen mit ihren Fragen und Problemen direkt an die Mitarbeiter der Kommission wenden, um dort mühelos einen Ansprechpartner zu finden.
Dass ein solches Konzept erfolgreich sein kann, zeigt sich an der Wissbegier von Lina aus Oranienburg. Die Zehnjährige, die wegen dauerhafter Anwesenheit leicht mit dem personellen Inventar des Standes verwechselt werden konnte, bewies einen ausgeprägten Sinn fürs Politische, auch wenn sie sich angeblich nur "ein bisschen" dafür interessiert. Die Arbeit der Kinderkommission hält sie für sehr wichtig,und wenn andere Kinder von dieser Einrichtung wüssten, würden sich auch mehr von ihnen für Politik interessieren, glaubt sie. Besonders das Thema "Gewalt in der Erziehung" liegt Lina am Herzen. Sie hofft, dass die Kommission den Mädchen und Jungen helfen kann, aus einer solchen Notsituation herauszufinden.
Dass diese Thematik eine große Rolle bei den Heranwachsenden spielt, erzählte auch Christel Riemann-Hanewinckel, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Den betroffenen Kindern müsse klargemacht werden, dass sie bei elterlicher Gewalt nicht abhängig seien und auch als Kinder Rechte hätten, die nicht verletzt werden dürfen. Eine wichtige Aufgabe der Kinderkommission bestehe vor allem darin, Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass sie eine Vertretung im deutschen Parlament haben, die sich für ihre Wünsche einsetzt und an die man sich wenden kann. So habe es in den vergangenen Jahren sehr engagierte Kinder gegeben, die direkten Kontakt mit den Mitarbeitern aufgenommen hatten, um ihre Anliegen mitzuteilen.
Beim Quiz für die jungen Besucher wurde deutlich, dass immerhin die Kinder weitestgehend immun sind gegenüber der politischen Miesepeter-Stimmung, die momentan das Land beherrscht: Egal, ob nach der Bezeichnung der deutschen Regierungsform oder dem Namen des Bundespräsidenten gefragt wurde, die Teilnehmer bewältigten leidenschaftlich die an sie gestellten Aufgaben. Einigen der umstehenden Erwachsenen stand die Verwunderung deutlich ins Gesicht geschrieben. Die wissbegierigen Kids wurden mit einem Buch und einer Videokassette aus der Reihe "Politbongo" für ihre Anstrengungen belohnt, um sich weiteres Know-how anzueignen.
Aber nicht nur geistig, sondern auch körperlich mussten die Kinder Hürden nehmen: Bei der Kinder-Olympiade, die vom Labyrinth Kindermuseum Berlin veranstaltet wurde, traten die Mädchen und Jungen in Disziplinen wie "Erste Hilfe-Sprint", "Knoten-Staffel" oder "Zehenball-Transport" an. Der neunjährige Fridolin fand im "Fußtast-Parcours" seine olympische Paraderolle. Mit verbundenen Augen stieg der Jungakrobat in verschiedene Kästen und erriet mit Hilfe der Füße den Korken-, Lego-, oder Kunststoffrasenuntergrund und zeigte bei der "Knoten-Staffel", was Füße so alles können. Mit ihnen verknotete er rote Seile. Nur mit dem Hula-Hoop-Reifen konnte Fridolin sich nicht anfreunden: Nur acht Mal gelang es ihm, den Reifen um seine Hüften kreisen zu lassen, ehe er auf den Boden fiel. Verdutzt schaute er Franziska zu, die es mühelos schaffte, den Reifen einige Minuten in Bewegung zu halten. Schließlich suchte er nach einer neuen Herausforderung und fand sie im "Säcke stemmen": In verschiedene Gewichtsklassen unterteilt, hielten die Mini-Sportler die entsprechenden farbigen Säcke möglichst lange mit seitlich ausgestreckten Armen. Konkurrent Kai startete im Fliegengewicht und hielt die dafür vorgesehenen orangenen Säcke vorbildlich im 90-Grad-Winkel. Das Erstaunliche war, dass man ihn nach achteinhalb Minuten noch immer in der selben Position antraf. Muskelkrämpfe, Ermüdungserscheinungen, zumindest steigende Langeweile? Fehlanzeige. Kai hat Ausdauer und ist ergriffen vom Geist von Olympia inklusive Weltrekord. Weitere sechseinhalb Minuten, vier hilflos wartende Kinder und unzählige Versuche des Schiedsrichters, ihn zum Aufhören zu bewegen später akzeptiert er seinen auf Lebenszeit ausgerufenen Sieg. Nun fehlt nur noch die Ehrenmedaille, die jedes Kind selber ausmalen, ausschneiden und sich um den Hals hängen darf.
Die achtjährige Clara hingegen hatte die Flyer der Kinderkommission, die extra für Kinder aufbereitet waren, am Stand gelesen. Sie hofft, dass deren Arbeit besonders Kindern aus anderen Ländern hilft, so dass jeder eine Schule besuchen darf. Was für die Kinder in Deutschland zu tun wäre? Da ist Clara ratlos: "Uns geht es ja ziemlich gut", sagt sie.
Hier kann Susanne Kastner weiterhelfen. Auch sie weiß, dass es für die in Deutschland lebenden Mädchen und Jungen gewisse Rechte und Möglichkeiten der Mitbestimmung gibt, die bedauerlicherweise nicht überall vorhanden sind. Gerade deswegen ist es wichtig, den Kindern hierzulande eben diese aufzuzeigen. Dazu gehört es auch, ihnen beizubringen, wie sie sich friedlich artikulieren können, so die Vizepräsidentin des Bundestages.
Vielleicht kann man sich mit diesem Anliegen hilfesuchend an Ewald F. Grunzke wenden. Der Zauberer hatte Zaubersprüche parat und schaffte es so, dass Cola-Gläser fliegen können und sich bunte Tücher in einer vorher leeren Tasche fanden. Die von seinen Zauberlehrlingen entwendete Unterhose fällt wohl unter das Berufsrisiko der Zauberzunft. Auch die fünfjährige Anastasia hat seine Show gesehen und war begeistert.
Nun möchte sie über das Reichstagsgebäude zu der Kuppel hochsteigen. Vielleicht sieht sie auf dem Weg nach oben noch Bundeskanzler Gerhard Schröder, von dem sie schon ein Autogramm zu Hause liegen hat. "Oder kommt jetzt der Sandmann?", fragt sie ihre Mutter. Es gibt eben Sachen, die sind noch wichtiger als Politik.