Das Parlament: Herr Gaye, der ökonomische Aufstieg Chinas und sein Energiehunger treibt Firmen aus dem "Reich der Mitte" auf Suche nach Rohstoffquellen auch nach Afrika. Wie stellt sich das chinesische Engagement in Afrika aktuell dar?
Adama Gaye: Es ist äußerst vielschichtig. Chinesische Unternehmen fördern in Nigeria, Sudan und Angola Erdöl. China importiert Kupfer aus dem Kongo, Gold aus Guinea und Erze aus Simbabwe. Gleichzeitig hat sich Afrika zu einem Investitions- und Produktionsstandort, insbesondere für chinesische Textilien, und als willkommener Absatzmarkt für konkurrenzlos preiswerte chinesische Waren entwickelt. China ist aktuell dabei, Afrika ökonomisch zu erobern.
Das Parlament: Wie wird diese chinesische "Eroberung" in Afrika selbst wahrgenommen?
Adama Gaye: Erstaunlicherweise werden die ökonomischen Aktivitäten Chinas auf dem Kontinent überhaupt nicht öffentlich debattiert. Das ist um so erstaunlicher, da diese Aktivitäten sich inzwischen über den gesamten Kontinent erstrecken und selbst in so peripheren Staaten, wie beispielsweise auf den Kapverdischen Inseln, spürbar und sichtbar sind. Die chinesische Migration nach Afrika - meistens sind es Straßenhändler - hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verstärkt und ist unübersehbar. In den Straßen von Dakar , der Hauptstadt meiner Heimat Senegal, wird der Straßenverkauf inzwischen von chinesischen Familien dominiert und kontrolliert. Eine ähnliche Tendenz zeichnet sich beim Verkauf von Lebensmitteln ab. Mehr als eine halbe Millionen Chinesen sind in den vergangenen Jahren nach Afrika gekommen. Millionen von Chinesen warten inzwischen auf die Gelegenheit, ihren afrikanischen Traum in die Tat umzusetzen. Die politische Klasse Afrikas empfängt die Chinesen mit offenen Armen.
Das Parlament: Weshalb?
Adama Gaye: Nun, anders als die Kredite westlicher Geberländer, sind die chinesischen Finanzspritzen und Investitionen nicht an politische Konditionen geknüpft, wie beispielsweise Demokratie, Transparenz und die Einhaltung von Menschenrechten. Für Politiker vom Schlage Mugabes in Simbabwe besitzt das chinesische Modell viel mehr Anziehungskraft als das des Westens. Das gilt nicht nur für die Politiker. Auch die einfachen Menschen haben kein Vertrauen in die Demokratie und betrachten den Aufstieg Chinas als ein Vorbild. Sie hoffen, ein ähnliches Wirtschaftswunder zu erleben. Die chinesische Entwicklungshilfe und Investitionen sowie die wachsenden Süd-Süd-Handelsbeziehungen bieten eine Alternative zum bisher dominanten Westen und vergrößern die Handlungsspielräume afrikanischer Länder.
Das Parlament: Gibt es auf chinesischer Seite so etwas wie eine spezielle Afrikapolitik?
Adama Gaye: Ja. Anfang des Jahres hat die chinesische Regierung erstmals ihre Afrikapolitik explizit dargelegt, die offiziell auf den Prinzipien der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, Gleichheit und beiderseitigem Gewinn beruht. Jahrzehntelang waren die chinesisch-afrikanischen Beziehungen nicht erwähnenswert. Erst mit dem Amtsantritt Deng Xiao Pings und den ökonomischen Reformen in China haben sich diese Beziehungen zur heute erkennbaren Dynamik entwickelt. Vielen Regimen, beispielsweise im Sudan, kommt das zunehmende Engagement Chinas in Afrika sehr gelegen. Es festigt deren Strukturen und vermeidet unbequeme Kritik an der jeweiligen Menschenrechtspolitik, um die es in China selbst ja auch nicht allzu gut bestellt ist. Afrika steht auf der aktuellen chinesischen außenpolitischen Agenda ganz oben. Man merkt es beispielsweise an der gestiegenen Reisediplomatie und den Besuchen von führenden Politikern auf dem afrikanischen Kontinent. Afrika dient China nicht nur als Rohstofflager, Investitionsstandort und Absatzmarkt, sondern mittelfristig als außenpolitisches Übungsfeld auf dem Weg zur Supermacht.
Das Parlament: Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Adama Gaye: Ich bin besorgt. Zum Teil betrachte ich den wachsenden Einfluss Chinas als eine Art von Re-Kolonisierung. Afrika ist dabei, seine erst mühsam errungene Souveränität zu verlieren. Gleichzeitig schwindet der positive Einfluss des Westens auf dem Kontinent wie demokratische Prinzipien und Erhalt oder Etablierung von grundlegenden Menschenrechten. Diktatorische Regime werden gestützt und künstlich am Leben erhalten. Kurzfristig profitieren viele Afrikaner von dem chinesischen Engagement, beispielsweise durch die Entsendung von medizinischem Pflegepersonal. Ich befürchte allerdings, dass viele Afrikaner dem chinesischen Einfluss mit großer Naivität begegnen und eine weitere historische Enttäuschung erleben werden. Letztendlich ist diese Entwicklung auch auf das Versagen des Westens - seine Scheinheiligkeit und Ignoranz gegenüber Afrika - zurückzuführen. Es ist einfach nicht glaubwürdig, weltweit Globalisierung zu propagieren und gleichzeitig afrikanische Produkte von westlichen Märkten fern zu halten. Von den historischen Schattenseiten des europäischen Einflusses in Afrika ganz zu schweigen.
Das Interview führte Ramon Schack