Blickt Bundeskanzlerin Angela Merkel von ihrer Wohnung auf die Berliner Museumsinsel, offenbart sich ihr ein Querschnitt europäischer Kulturgeschichte. Doch der Gang durch das neu eröffnete Bode-Museum, so Merkel auf einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), "gibt uns Auskunft, was Europa auch durchlitten hat". Auf die Frage, was die Europäische Union heute zusammenhält, sagte Angela Merkel in ihrer Grundsatzrede zur kommenden deutschen Ratspräsidentschaft:"Europa beruht vor allem auf gemeinsamen Werten, die die Mitgliedstaaten der Europäischen Union teilen: Auf Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte".
Doch hehre Worte und der Bezug zur Vergangenheit reichen vielen Bürgern als Begründung für eine immer stärkere europäische Zusammenarbeit nicht mehr aus. Das beweisen sinkende Zustimmungswerte zur Union oder die gescheiterten Referenden für den Verfassungsvertrag in Frankreich und in den Niederlangen.
Sechs Wochen vor Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft versuchte die Kanzlerin, mit den deutschen Schwerpunkten für diese Zeit, neue Antworten auf die europäische Sinnfrage zu finden. "Nur wenn Europa mit einer Stimme spricht, hat es die besten Chancen, Politik nach unseren Wertvorstellungen zu gestalten", sagte Merkel. Allein das mache Europa stark; zerstritten zu sein, bewirke das Gegenteil, so Merkel.
Wie dieses gemeinsame europäische Konzert aussehen könne, machte Merkel an vier verschiedenen Beispielen deutlich. An erster Stelle nannte sie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik als Schwerpunkt gemeinsamen Handelns. Hier zeige sich besonders deutlich, dass den so genannten "asymmetrischen Bedrohungen" wie Terrorismus, der Gefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder der Bedrohung durch regionale Konflikte kein Land alleine begegnen könne. Auf Europa würde eine Reihe von Aufgaben zukommen, "vor denen wir die Augen nicht verschließen können".
Hinsichtlich des Türkeibeitritts forderte sie Ankara unmissverständlich auf, Vertragsverpflichtungen bis Ende des Jahres nachzukommen. Ansonsten werde die EU, so die Kanzlerin, "angemessene Konsequenzen" ziehen. Grundlage für gemeinsames außen- und sicherheitspolitisches Handeln, so Merkel, sei eine gemeinsame Handelspolitik. Sie warnte vor nationalen Alleingängen und einem Scheitern der Welthandelsgespräche. Denn gerade Deutschland mit acht Millionen Arbeitsplätzen im Export profitiere besonders vom freien Welthandel. Eine einheitliche Wirtschaftpolitik und ein gemeinsamer Binnenmarkt benötigen aber vor allem eins: Energie. Zwar wolle man hier keine "vergemeinschaftete" Politik, aber eine gemeinsame Energiepolitik. Dabei müsse auch, so die frühere Umweltministerin, die Energieeffizienz verbessert und die Förderung erneuerbarer Energien gefördert werden - der dritte Schwerpunkt der kommenden Präsidentschaft. Auch in Sachen Klimapolitik, dem vierten Punkt, setzt Merkel ihre Hoffnung in die EU. Da 2012 das Kioto-Protokoll auslaufe, müsse hier ein Nachfolgeabkommen verhandelt werden. Nationale Anstrengungen zum Klimaschutz würden hier nicht helfen. Europa solle dabei, auch zum eigenen Nutzen, eine Vorreiterrolle einnehmen. Es könne "auch hier wieder mit einer Stimme sprechen und in die internationalen Verhandlungsprozesse wieder etwas Dynamik bringen". Inwieweit Merkel auch das EU-interne Klima verbessern kann, müssen die ersten sechs Monate 2007 der deutschen Ratspräsidentschaft aber erst noch zeigen.