Das Parlament: Frau Knobloch, wie lange verfolgen Sie schon die Idee eines neuen Gemeindezentrums?
Charlotte Knobloch: Seit meinem Amtsantritt 1985. Das war für mich - mit meiner Vergangenheit - eines der wichtigsten Anliegen. Ich wollte die ehemalige Hauptsynagoge wieder entstehen lassen. Auf dem ursprünglichen Platz war das unmöglich, weil darunter mittlerweile eine Tiefgarage mit einer langen Verpachtungszeit liegt.
Das Parlament: Die Hauptsynagoge sieht man in Ihrem Büro auf zwei Ölgemälden: Ein prächtiges neoromanisches Bauwerk vor dem Hintergrund der beiden Zwiebeltürme der Frauenkirche. Haben Sie noch Erinnerungen an diese Synagoge?
Charlotte Knobloch: Ja, selbstverständlich habe ich noch Erinnerungen, weil ich dort als Kind mit meinem Vater, mit meiner Familie war. Das war unsere Synagoge, und für mich als Kind war sie sehr beeindruckend und groß. Wenn man sie betrat, hatte man das Gefühl, man kommt in ein wirkliches Gotteshaus. Zu Simchat Tora (wörtlich ‚Tora-Freude', an diesem Tag geht der jährliche Tora-Lesezyklus zu Ende und beginnt sofort wieder, Igal Avidan) kamen alle Kinder mit ihren Äpfeln, in die Kerzen gesteckt wurden. Die Gottesdienste habe ich aber auf der Frauenempore nicht lange ausgehalten. Ich wollte unten bei den Männern sein. Das hat mir mehr zugesagt.
Das Parlament: Auf persönlichen Befehl Hitlers wurde die Hauptsynagoge im Juni 1938, also fünf Monate vor der so genannten Reichskristallnacht abgerissen, der erste grausame Akt dieser Art in Deutschland. Auf dem Areal wurde ein Parkplatz errichtet. Haben Sie die Zerstörung persönlich erlebt?
Charlotte Knobloch: Nein, das habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen. Der Abriss ist innerhalb von 48 Stunden geschehen, und meine Familie hat mich vermutlich davon ferngehalten. Mir wurde dann erzählt, dass wir keine Synagoge mehr haben und jetzt in die Herzog-Rudolf-Straße gehen müssen. Die Synagoge dort habe ich dann am 10. November qualmen sehen.
Das Parlament: Der Umzug an den St. Jakobsplatz ist das Ergebnis einer ungewöhnlich gelungenen Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude...
Charlotte Knobloch: Aufgrund der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion brauchten wir dringend ein neues Gemeindehaus. Auch Udes Vorgänger war unserem Projekt gegenüber aufgeschlossen und behandelte mich sehr freundlich. Aber die Gespräche endeten ohne Ergebnisse. Erst als Ude den Jakobsplatz zum Thema gemacht hat, begann die Realisierung des Projekts. Die neue Synagoge am Jakobsplatz, die am Jahrestag der "Reichskristallnacht" eingeweiht wurde, trägt den Namen der Synagoge, die am 9. November 1938 abgebrannt wurde: Ohel Jakob - Zelt Jakobs.
Das Parlament: Aus Ihrem neuen Büro im vierten Stock am Jakobsplatz können Sie sowohl die Synagoge als auch die Zwiebeltürme der Frauenkirche sehen. Zum ersten Mal werden ins Gemeindezentrum auch die jüdische Grundschule und Kindergarten einziehen. Manche Eltern sind sehr besorgt, dass das Zentrum ein Terrorziel sein könnte.
Charlotte Knobloch: Vor der NS-Zeit lagen die Hauptsynagoge und die Türme der Frauenkirche - ein Wahrzeichen Münchens - auf einer Sichtachse. Mir war es wichtig, diese optische Verbindung wiederherzustellen und damit zu zeigen, dass die jüdische Gemeinschaft zurück ist im Herzen der Stadt. Außerdem ist die Zentralisierung unserer Gemeindeeinrichtungen kostengünstiger als bisher - mit Institutionen, die über die ganze Stadt verstreut waren. Die Verpflegung der Kinder in der Ganztagesschule etwa kann das Restaurant übernehmen, denn es befindet sich im gleichen Haus. Die Synagoge ist zehn Schritte davon entfernt, sodass der Religionsunterricht viel anschaulicher gestaltet werden kann. Wir werden alle nötigen Voraussetzungen treffen, um absolute Sicherheit gewährleisten und gleichzeitig einen offenen Ort der Begegnung zwischen Juden und Nichtjuden schaffen zu können.
Das Parlament: Warum haben Sie sich für den Entwurf des Architektenbüros Wandel Hoefer Lorch aus Saarbrücken entschieden?
Charlotte Knobloch: Nur dieser Entwurf hat das Gemeindezentrum, die Synagoge und das Jüdische Museum als drei unabhängige Gebäude geplant, was die Gestaltung des St. Jakobsplatzes als Ort der Begegnung ermöglichte. Außerdem sollte die Synagoge an den Tempel in Jerusalem erinnern, was gut gelungen ist.
Das Parlament: War es Ihre Idee, die östliche Wand in der Synagoge mit dem Jerusalemstein verkleiden zu lassen?
Charlotte Knobloch: Das war ein Wunsch von mir. Unsere Verbindung zu Israel muss deutlich zu sehen sein. Wir müssen unseren Kindern beibringen, dass sie eine religiöse Heimat haben. Das ist Israel.
Das Parlament: Annähernd 90 Prozent der Finanzierung wurden durch die Stadt München, den Freistaat Bayern und den Verkauf des Grundstücks der ehemaligen Hauptsynagoge gedeckt. Bislang gelang es der Israelitischen Kultusgemeinde jedoch nur, 2,7 Millionen Euro Spenden zu sammeln, rund drei Millionen fehlen noch, sodass Sie Kredite aufnehmen müssen. Sind Sie mit dem Eingang der Spenden zufrieden?
Charlotte Knobloch: Wir sind vor allem mit den vielen kleinen Spenden zufrieden. Daran sieht man die Akzeptanz des Projekts durch die Bürger. Die Großindustrie wird sich nach der offiziellen Einweihung der Gebäude sicher auch bereit erklären, sich daran zu beteiligen.
Das Parlament: Sie haben die Shoah auf einem Bauernhof versteckt überlebt. Welche Bedeutung hat das neue Jüdische Zentrum als Ort der Erinnerung an den Holocaust?
Charlotte Knobloch: Es liegt mir viel daran, die nichtjüdischen Besucher an das ehemalige jüdische Leben in München zu erinnern. Die meisten Gebäude existieren nicht mehr, auch die meisten Menschen nicht. Wir haben deshalb die Namen der 4.300 ermordeten jüdischen Münchner - die ihre Stadt sehr geliebt haben - in alphabetischer Reihenfolge entlang des Verbindungsganges zwischen der Synagoge und dem Gemeindezentrum angebracht. Zwischen sechs beleuchteten Glasschichten sind diese Namen eingebrannt. So können wir täglich an sie erinnern.
Das Parlament: Waren auch Verwandte unter den Deportierten und Getöteten?
Charlotte Knobloch: Ja.
Das Parlament: Anlässlich der feierlichen Grundsteinlegung 2003 sagten Sie, dass Sie langsam damit beginnen, ihre gepackten Koffer auszupacken. Wie weit sind Sie damit?
Charlotte Knobloch: Nachdem wir endlich alles unter Dach und Fach hatten - Finanzierung, Grundstück, Wettbewerb, da habe ich gewusst, dass wir hier in München angekommen sind, dass genügend Akzeptanz vorhanden ist, um sich im Herzen der Stadt niederlassen zu dürfen. Und da habe ich gewusst, dass wir jetzt an die Zukunft denken müssen. Das können wir nicht auf gepackten Koffern.
Das Interview führte Igal Avidan