Auch wenn es Anlass zur Hoffnung gibt, gibt es noch keinen Anlass zu Euphorie. Trotz der leichten Aufhellung am Arbeitsmarkt warnen die Protestanten davor, in den besseren konjunkturellen Prognosen eine Trendwende zu sehen. Man müsse weiter mit einer hohen Arbeitslosigkeit rechnen, erinnerte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte. Wirtschaftliche Aufschwünge hätten zwar zu einem mäßigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen geführt, doch sei der nicht abgebaute Sockel mit der Zeit dennoch gewachsen.
Nach Ansicht der Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), darf es nicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft von "Produktiven" und "Überflüssigen" kommen. Die bündnisgrüne Politikerin, vom Rat der EKD in das Kirchenparlament berufen, erklärte in ihrer Einbringungsrede, Christen hätten "der Aufteilung der Gesellschaft in die, die gebraucht werden, und die, die überflüssig sind", die Gleichheit der Menschen vor Gott entgegenzusetzen. "Die Gesellschaft muss das immaterielle Vermögen eines jeden schätzen und ihm die Möglichkeit geben, sich zu verwirklichen", so Göring-Eckardt.
Das seit längerem vorbereitete Motto "Gerechtigkeit erhöht ein Volk", unter dem sich die 120 Synodalen vergangene Woche in Würzburg mit den Beziehungen zwischen "Armut und Reichtum" befassten, hatte durch die vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck angestoßene Debatte über die wachsende "Unterschicht" in Deutschland eine aktuelle Brisanz. In seinem Bericht wies der EKD-Vorsitzende und Berliner Bischof Wolfgang Huber, den Begriff der Unterschicht zwar als "unangemessen", weil abschätzig, zurück. Doch sei es dringlicher denn je, die sich verbreiternde Kluft zwischen Armen und Reichen zu thematisieren. Diskriminierende Begriffe dürften nicht von der Aufgabe ablenken, "gerade Menschen in schwierigen Lebenssituationen den Zugang zu Arbeits- und Lebensmöglichkeiten zu eröffnen". Der Ratsvorsitzende rückte das Thema in den Zusammenhang von Freiheit und Menschenwürde. Sie sind für Huber eingeschränkt, wenn Teile der Gesellschaft durch Armut oder Arbeitslosigkeit ausgegrenzt und an den Rand gedrängt werden. Es gehöre zur "Freiheit und Würde jedes Menschen, die Chance zu haben, durch sein eigenes Bemühen Arbeit und Bildung zu erlangen".
Bundespräsident Horst Köhler ging in seinem Grußwort an die Synode ausdrücklich auf die kritische Analyse der Gesellschaft durch die Kirchen ein. Mit ihren Bildungs- und sozialen Einrichtungen wirkten Diakonie und Caritas in den Problemzonen und "an den Rändern der Gesellschaft" und kennten sich dort aus. Sie seien "oft die einzige Stimme derer, die selbst keine Stimme und erst recht keine Lobby haben". Daraus entsteht für den Bundespräsidenten die Sachkompetenz der Kirchen, wenn sie "konkrete Kritik an gesellschaftlichen Entwicklungen" äußern.
Immer wieder wurde in Würzburg ein Mangel an sozialer Verantwortung der Vermögenden angesprochen. Die Synode steht damit an der Seite der kirchlichen Sozialverbände, die seit langem von der Politik fordern, nicht nur Armuts-, sondern auch transparente Reichtumsberichte vorzulegen. Diese Seite der sozialen Medaille wird, so ließen die Diskussionen in der Synode erkennen, geradezu stiefmütterlich behandelt. Das reichste Zehntel der Bevölkerung verfüge mit weiterem Wachstum nahezu über die Hälfte der Vermögen. Dagegen sei jeder sechste Bundesbürger von Armut bedroht. Reichtum ist nach Meinung des Kirchenparlaments kein Selbstzweck, sondern habe heute und künftig dem Gemeinwohl zu dienen. Daher fordern die Synodalen, dass der Staat die Besitzer hoher Einkommen und Vermögen verpflichtet, "stärker als in den letzten Jahren Verantwortung für das Gemeinwesen" zu übernehmen. Zur Senkung der Arbeitslosigkeit verlangen die Repräsentanten der evangelischen Christen einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Sowohl mit Blick auf die soziale Lage im Innern wie als deutschen Beitrag zur gerechten Gestaltung der Globalisierung erwarten sie eine entschiedenere Armutsbekämpfung des Staates.
Weniger umstritten als erwartet war in der Synode das vom EKD-Rat eingebrachte Impulspapier "Kirche der Freiheit". Für die künftige Entwicklung geht die Vorlage davon aus, dass die Zahl der heute etwa 26 Millionen evangelischen Christen in Deutschland in den kommenden zwei Jahrzehnten um ein Drittel zurückgehen wird. Die Kirchensteuern, die bereits in den vergangenen Jahren unter vier Milliarden Euro gesunken sind, könnten sich um die Hälfte vermindern. Angesichts solch schlechter Aussichten konzentriert sich die evangelische Kirche auf ihre wesentlichen Aufgaben. Dabei soll gleichzeitig das evangelische Profil geschärft und die Qualität der kirchlichen Dienste für die eigenen Gläubigen wie für die Gesellschaft gesteigert werden. Waren sich die Synodalen in der Zielsetzung weitgehend einig, so konnte über den Vorschlag des EKD-Rates, die Zahl der heute 23 Landeskirchen um etwa zehn zu verringern, noch kein Konsens erzielt werden, sodass über die Zukunftsvision weiter beraten wird.
Zu den Aufgaben der EKD-Synode gehört es, den Haushalt des Zusammenschlusses der Landeskirchen zu beraten und zu beschließen. Die EKD verfügt über keine eigenen Kirchensteuereinnahmen, sondern finanziert sich im wesentlichen aus Umlagen der Mitgliedskirchen. Auch wenn sich die Lage der Kirchen mit den derzeit günstigen Steuerschätzungen etwas entspannt hat, will die EKD ausdrücklich an der inzwischen erarbeiteten Haushaltsdisziplin festhalten. Der Etat für das kommende Jahr beläuft sich auf rund 176 Millionen Euro. Nach wie vor setzt die EKD ein Zeichen, indem sie den Schwerpunkt ihrer Ausgaben mit fast 45 Millionen Euro zu weit mehr als einem Viertel bei der Entwicklungshilfe behält.