"DAS PARLAMENT": Barroso bleibt bei Klimaschutzvorgaben hart
Im Streit zwischen Berlin und Brüssel über die Klimaschutzvorgaben für deutsche Fabriken und Kraftwerke will EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nicht nachgeben. Im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 5. Februar) sagte Barroso: „Wir können unsere Kriterien nicht einfach auf die individuellen Wünsche einzelner Mitgliedstaaten zuschneiden. Das wäre unangemessen und unfair.“ Für Deutschland sei für den Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) dieselbe Berechnungsgrundlage angewandt worden wie für andere Mitgliedstaaten. In dem Streit geht es um die Obergrenze für den CO2-Ausstoß von Industrie und Energiewirtschaft für die Zeit zwischen 2008 und 2012. Brüssel will in Deutschland lediglich 453 Millionen Tonnen pro Jahr zulassen, die Bundesregierung will keinen Wert unter 467 Millionen Tonnen akzeptieren.
In dem Interview zeigte sich Barroso offen für ein europaweites Referendum zur EU-Verfassung. Der Kommissionspräsident sagte: „Ich persönlich hätte nichts dagegen. Es wäre ein interessantes Signal.“ Zugleich verwies er jedoch auf verfassungsrechtliche Probleme für ein Referendum etwa in Deutschland. Barroso machte sich dafür stark, „die Substanz“ des Entwurfs zu erhalten. Allerdings sei auch klar, dass die Verfassung nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden „nicht völlig unverändert in Kraft treten kann“.
Diese Vorabmeldung sowie Zitate aus der folgenden Wortlautfassung des Interviews mit José Manuel Barroso stehen den Medien bei Nennung der Quelle zur sofortigen Veröffentlichung frei.
Quelle: „Das Parlament“ Nr. 6/2007 vom 5. Februar 2007
Interview mit dem Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso
DAS PARLAMENT: Herr Präsident, nehmen die Deutschen die EU-Ratspräsidentschaft anders wahr als ihre Vorgänger die Finnen?
JOSÉ MANUEL BARROSO: Nein, die Herangehensweise ist – denke ich – eigentlich dieselbe. Was ich aber bemerkt habe, ist der große Enthusiasmus für die deutsche Präsidentschaft. Denn sie hat große Herausforderungen auf die Agenda gesetzt: den Verfassungsvertrag, die Energiefrage, den Klimaschutz und auch den Bürokratieabbau.
Apropos Verfassung. Brauchen wir eigentlich einen völlig neuen Verfassungsvertrag oder reicht es Ihrer Meinung nach aus, einfach einige Teile umzuschreiben?
Ich halte es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht für sinnvoll, bestimmte Präferenzen zum Ausdruck zu bringen. Sicher aber ist, dass wir als Kommission die Werte, Prinzipien und die Substanz des Vertrages unterstützen. Es ist klar, dass eine Lösung sowohl politische als auch juristische Kreativität erfordern wird.
Aber die Gefahr, dass auch ein neuer Verfassungsvertrag abgelehnt würde, zum Beispiel in Polen oder Großbritannien, besteht doch durchaus weiter.
Darüber will ich nicht spekulieren. Nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden wissen wir, dass die Verfassung nicht völlig unverändert in Kraft treten kann. Als Kommissionspräsident weiß ich aber wohl am besten, warum wir eine Lösung so nötig haben: Wir brauchen in der EU eine effizientere Entscheidungsfindung, mehr Demokratie und Transparenz und mehr Kohärenz für unser gemeinsames Handeln gegenüber Drittländern. Wir müssen für die Verfassung eine Lösung finden, die die Bedenken berücksichtigt, aber die Substanz erhält.
Wäre dafür nicht ein europaweites Referendum hilfreich?
Ich persönlich hätte nichts dagegen. Es wäre ein interessantes Signal. Aber schon in Deutschland ist ein solches Referendum – soweit ich weiß – verfassungsrechtlich nicht möglich.
War es ein taktischer Fehler, dem Vertrag den Namen „Verfassung“ zu geben?
Ich habe nichts gegen diesen Begriff. Ich mag ihn. Denn er drückt in guter europäischer Tradition die Idee der Gewaltenteilung aber auch der Bürgerrechte gegenüber der öffentlichen Gewalt aus. Kritiker argumentieren, dass dieser Name den Eindruck eines „Europäischer Superstaats“ erwecke, der die nationalen Identitäten in Frage stellen würde. Entscheidend ist für mich letzlich nicht der Name, sondern die Substanz.
In einer „Berliner Erklärung“, die am 25. März zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge feierlich verabschiedet werden wird, soll diese „Substanz“ festgeschrieben werden. Was gehört für Sie dazu?
Die Berliner Erklärung soll die großen Ziele der EU verdeutlichen und die Relevanz der EU für die Zukunft ihrer Bürger bekräftigen. Sie muss zeigen, dass wir die EU brauchen, um das Zeitalter der Globalisierung nach unseren europäischen Wertvorstellungen mit zu gestalten. Meiner Meinung nach sollten in der Erklärung deswegen Solidarität und sozialer Zusammenhalt angesprochen werden. Der zweite Punkt ist für mich die Nachhaltigkeit, da die Klimaveränderung eine der bedeutendsten Herausforderungen in unserem Jahrhundert ist. An dritter Stelle steht für mich eine Rechenschaftspflicht. Wir sind eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern auch eine politische, in der Kontrollmechanismen und Bürgerbeteiligung notwendiger sind als jemals zuvor.
Und was gehört für Sie noch dazu?
Als vierten Punkt sehe ich die Sicherheit an – in der Europäischen Union spielen Justiz- und Sicherheitsfragen einfach eine immer größere Rolle. Und der fünfte Aspekt ist für mich die Verpflichtung der Union, weltweit für ihre Werte einzutreten.
Warum gerade diese fünf Punkte?
Ich denke, sie sind wichtig, weil sie eine Ergänzung und Aktualisierung der Grundwerte darstellten – eine Art Update der Römischen Verträge für das 21. Jahrhundert. Sie nehmen Bezug auf die Sorgen und Bedenken der Menschen, beispielsweise was die soziale Ausrichtung der Gemeinschaft angeht. Nicht alle Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, konnten vor 50 Jahren schon vorhergesehen werden.
Und wie sieht die EU 2057 aus?
Ich glaube, dass die EU in 50 Jahren stärker sein wird als heute. Das ist kein naiver Optimismus, sondern ich stütze mich auf rationale Argumente: Die Kräfte der Globalisierung werden zu einer immer stärkeren Integration führen. Wir müssen in Zukunft noch stärker zusammenarbeiten – nicht nur bei Themen wie Energie und Klimawandel, sondern zum Beispiel auch beim Kampf gegen den Terrorismus. Und wir müssen eine Antwort auf die zunehmende Konkurrenz aus anderen aufstrebenden Wirtschaftsräumen finden. Ich glaube an die Zukunft der Union als ein politisches Projekt.
Mit der Türkei?
Die Verhandlungen mit der Türkei laufen weiter, aber wie sie ausgehen, kann nicht vorhergesagt werden. Die Türkei muss die Beitrittskriterien erfüllen. Ich kann Ihnen heute nicht vorhersagen, wann das der Fall sein wird. Außerdem ist hier auch unsere Fähigkeit gefragt, die europäischen Institutionen so zu reformieren, dass wir in Zukunft neue Mitglieder aufnehmen können. Auf jeden Fall wird es aber, ehrlich gesagt, ein langer und komplexer Prozess sein.
Deutschland und Frankreich haben Einwände zu den Vorschlägen für eine gemeinsamen Energie- und Klimapolitik erhoben. Wo sehen Sie einen Kompromiss?
Ich hoffe, dass ein Kompromiss sehr nah an unsere Vorschläge heranreichen wird. Es ist klar, dass die Kommission manchmal größere Ambitionen hat als die Mitgliedstaaten – das ist auch unsere Aufgabe. Bundeskanzlerin Merkel hat mir die Unterstützung unserer großen Linie versprochen – auch wenn das nicht heißt, dass 100-prozentige Übereinstimmung erzielt wird.
Aber Deutschland will den Ausstoß von CO2 weniger verringern als die Kommission fordert...?
In den nationalen Allokationsplänen sind unsere Kriterien ganz objektiv umgesetzt worden. Dabei haben wir für Deutschland dieselbe Berechnungsgrundlage wie für andere Mitgliedstaaten angewandt. Wir können unsere Kriterien nicht einfach auf die individuellen Wünsche einzelner Mitgliedstaaten zuschneiden. Das wäre unangemessen und unfair.
Der Deutsche Bundestag hat neuerdings ein eigenes Büro in Brüssel. Was macht eigentlich die Kommission, um nationale Parlamente in den europäischen Gesetzgebungsprozess einzubinden?
Ich habe vor einigen Monaten eine Initiative gestartet, die vorsieht, Dokumente, die früher nur an die Regierungen gingen, auch an die Parlamente aller Mitgliedstaaten weiterzuleiten. Daraufhin haben wir in den ersten drei Monaten mehr als 50 Vorschläge von nationalen Parlamenten bekommen. Außerdem suchen wir das direkte Gespräch mit den nationalen Parlamenten. Ich war zum Beispiel vor kurzem im Europaausschuss des Bundestages zu Gast und das war eine sehr gute Erfahrung für mich.
Aber können die Parlamentarier wirklich etwas beeinflussen?
Wenn der Deutsche Bundestag uns seine Meinung mitteilt, hat das natürlich einen Einfluss. Aber das kann nicht automatisch bedeuten, dass allen Meinungen in allen Punkten gefolgt werden kann. Jedes Parlament hat eine Meinung und es gibt in der EU noch 26 andere. Aber es ist in der Tat wichtig, bei endgültigen Entscheidungen so viele nationale Parlamente wie möglich mit an Bord zu haben. Vor allem unterliegen natürlich die Regierungen der Mitgliedstaaten, die im Rat entscheiden, der parlamentarischen Kontrolle ihrer Parlamente.
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