Journalisten und Politiker – beide sind aufeinander angewiesen. Doch nicht immer ist das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen einfach. Denn politische Ideen sind von guten oder schlechten Schlagzeilen abhängig.
Matthias Weisheit ärgert sich noch heute über die Berichterstattung zu Unregelmäßigkeiten bei BSE-Tests im vergangenen Herbst. „Es ist doch normal, dass bei 2,5 Millionen Rinderschlachtungen im Jahr ein paar Zahlendreher durch Ablesefehler vorkommen“, sagt der SPD-Obmann im Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. „Trotzdem wurde darüber berichtet, als sei es ein großer Skandal.“ Dabei stört ihn nicht einmal, dass die Berichte auch Politiker in hektische Aktivität versetzt haben. Die wirklichen Leidtragende seien „vor allem die Bauern, die durch solche Berichte Einkommenseinbußen hinnehmen müssen“.
Auch Claudia Deeg kennt den Berliner Medienbetrieb. Zur Jahreswende wurde die Hauptstadtkorrespondentin des SWR-Hörfunks im Frühdienst fast täglich gebeten, diese oder jene Vorabmeldung einer Zeitung zur Praxisgebühr einzuordnen. Es war der Start der Gesundheitsreform und das Wirrwarr um die neue Abgabe beim Arzt war perfekt. „Vieles, was da geschrieben wurde, war schlicht falsch, aber nicht jedes Detail können wir morgens einschätzen. Und um sechs arbeitet in der Pressestelle im Gesundheitsministerium noch keiner, der eine solche Meldung dementieren könnte.” Die Folge: Die Journalistin weiß nicht, ob sie möglicherweise eine wichtige Nachricht ignoriert oder eine Falschmeldung, die eigentlich nicht der Rede wert ist, verbreitet. Wenn sie berichtet, kann das Thema über den Tag zum Selbstläufer werden und sich selbst in den TV-Abendnachrichten wiederfinden. „Vertreter der Bundesregierung haben Berichte zurückgewiesen ...“, heißt es dann. Obwohl hinter einer Sache vielleicht nicht mehr steht als eine falsche Zeitungsmeldung: Sie bekommt Aufmerksamkeit, wenn die Medienmaschine erst einmal angelaufen ist.
Zurück bleibt trotz Dementi ein schlechter Eindruck. Wenn eine Nachricht erst einmal auf dem Markt ist, dann müssen sich auch andere Medien mit ihr beschäftigen, egal ob sie frei erfunden ist. Medien können die Themen der Politik bestimmen. Die Kampagne der Bildzeitung um „Florida-Rolf“, den Sozialhilfebezieher unter Palmen, und die Reaktion der Politik ist das bekannteste Beispiel aus jüngster Zeit.
„Journalisten wollen immer schon druckreife Antworten, bevor Politiker überhaupt die Zeit haben, über das Problem und seine Lösungen nachzudenken“, sagt Franziska Eichstädt-Bohlig zur Schnelllebigkeit der Mediendemokratie. Die Haushaltspolitikerin von Bündnis 90/Die Grünen ist immer wieder enttäuscht, wie wenige Medienvertreter tatsächlich in der Lage sind, die Arbeit des Haushaltsausschusses einzuordnen. Dabei sei das Grundsätzliche ganz einfach: „Sie müssen sich das vorstellen wie bei jedem Privathaushalt. Wer mehr ausgibt als er einnimmt, bekommt irgendwann ein Problem.“ Dieser einfache Zusammenhang gehe bei der hektischen Berichterstattung über den EU-Stabilitätspakt und immer neue Versprechen für Steuersenkungen allerdings leicht verloren.
Nicht für alle Abgeordneten ist das Rampenlicht der Medien unbedingt erforderlich. „Wir können unsere Arbeit größtenteils gar nicht in die Öffentlichkeit tragen“, sagt Günter Baumann. Der Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion arbeitet im Petitionsausschuss und ist über die Details seiner Arbeit zum Schweigen verpflichtet. Über die Anträge von einzelnen Bürgern muss der Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandeln. Allenfalls bei Ortsterminen, die der Ausschuss gelegentlich veranstaltet, um sich selbst ein Bild von einem Sachverhalt zu machen, wird auch die Arbeit des Petitionsausschusses in den Medien wahrgenommen.
Eine todsichere Methode, auch als wenig bekannter Abgeordneter in die Medien zu kommen, weiß Robert Birnbaum. „Fang Krawall oder Streit mit der eigenen Partei und Fraktion an, dann ist dir die Aufmerksamkeit sicher“, sagt der lang gediente Parlamentskorrespondent des Berliner Tagesspiegels – berühmt zumindest für ein paar Tage, ehe sich die Medien wieder anderen Themen zuwenden. Wer es schafft, glaubwürdig zu sein, sachlich zu informieren und dabei interessante Ideen zu haben, werde aber auch wahrgenommen, ohne einen Streit vom Zaun zu brechen.
Informationen personalisieren
Was für die Zeitung noch gelten mag, im Fernsehen sind die Regeln andere. Sendezeit für Informationen ist zumindest in den großen Programmen ARD, ZDF und RTL knapp. Und ein einfacher Abgeordneter hat da selten eine Chance, mag sein Thema auch noch so interessant sein. „Fernsehen orientiert sich am politischen Führungspersonal, und diese Auswahl ist demokratisch legitimiert“, sagt Thomas Roth, der das ARD-Hauptstadtstudio in Berlin leitet. Auch Roth räumt ein, dass komplexe Themen den Rahmen seines Mediums häufig sprengen. Information transportiert sich im Fernsehen am besten, wenn man sie personalisiert. „Fernsehen ist ein emotionales Medium und kein analytisches“, sagt Roth. Der Fernsehmann ist dennoch sicher, dass zumindest in seinem Programm, der Tagesschau und den Tagesthemen, die wichtigen Meldungen des Tages präsentiert werden.
Um sich einen Überblick über die wichtigen Themen zu machen, haben Journalisten im politischen Berlin eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Da ist zunächst die Bundespressekonferenz (BPK) am Schiffbauerdamm, nicht weit vom Reichstagsgebäude. Drei Mal die Woche stehen in der so genannten Regierungspressekonferenz die Sprecher der Bundesregierung und der Ministerien Rede und Antwort. Jeweils mittwochs klärt der Regierungssprecher über die Themen und Beschlüsse der wöchentlichen Kabinettssitzung auf. Die Bundespressekonferenz ist eine Besonderheit der deutschen Demokratie. Wer hier spricht, ist Gast der Journalisten. Jede Pressekonferenz wird von einem Journalisten geleitet – wie lange sie dauert und wer wie oft Fragen stellen darf, bestimmen die Hausherren und nicht die Gäste. In der Regel steht der Bundeskanzler der BPK jedes Jahr vor der Sommerpause für eine lange Pressekonferenz zur Verfügung.
Für Politiker ist dieses Verfahren nicht immer gemütlich. Als vor der Bundestagswahl 2002 Herta Däubler-Gmelin zu ihren vermeintlichen Vergleichen zwischen Adolf Hitler und dem US-Präsidenten George W. Bush vor die Bundespressekonferenz trat, da dauerte die Befragung über zwei Stunden. „Da war die (damalige) Justizministerin mehrmals kurz davor zu gehen“, erinnert sich ein Teilnehmer. Und es kommt vor, dass selbst Minister ausgeladen werden, etwa wenn sie aus einer Pressekonferenz einen Public-Relations-Termin, also eine Art Werbeveranstaltung machen wollen. „Bei uns sind Beamer oder Diashows, wie sie PR-Agenturen gern verwenden, tabu. Wir wollen in der Bundespressekonferenz die Person und reine Information“, sagt Thomas Wittke aus dem Vorstand der BPK.
Auch für die Journalisten gelten in der Bundespressekonferenz strenge Regeln. Nur Mitglieder der BPK und des Vereins der Auslandspresse haben Zugang zu den Pressekonferenzen und dürfen Fragen stellen. Und wenn ein Pressesprecher oder ein Fachbeamter aus einem Ministerium Hintergrundinformationen gibt, dann kann er sich darauf verlassen, dass er damit anschließend auch nicht zitiert wird (siehe Infokasten). Die Übertragung der Pressekonferenz in die Redaktionen wird in einem solchen Fall ausgeschaltet.
Auch Isabella Pfaff soll für Medienpräsenz sorgen. Und das natürlich ohne Krawall. Ein mühsames Geschäft. „Als kleine Oppositionspartei ist es für uns besonders schwierig, die Medienaufmerksamkeit auf uns zu lenken“, sagt die Leiterin der Pressestelle der FDP-Bundestagsfraktion. Und sie wartet nicht nur auf Anfragen von Journalisten, sondern steht mit einem Team aus acht Mitarbeitern und fünf studentischen Hilfskräften ihren Abgeordneten bei der Medienarbeit aktiv zur Seite. „Wir beraten unsere Abgeordneten, wie man ein Thema spielen kann“, sagt sie. Die Pressestelle überlegt dann bei Themen wie der Gentechnik, die wichtig sind, aber selten wirklich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, ob die FDP-Position eher durch ein Pressegespräch, ein Interview mit einer Nachrichtenagentur oder durch einen Eigenartikel in einer Zeitung platziert werden kann.
Akkreditierung fürs Parlament
Neben den Fraktionen hat auch der Bundestag selbst ein eigenes „Pressezentrum“, wie die Abteilung im Hause heißt. Hans Hotter leitet die Pressestelle, eines von drei Referaten im Pressezentrum. Bei ihm und seinen Mitarbeitern rufen Journalisten an, wenn sie Fragen zum Ablauf der Parlamentsarbeit haben. Und er gibt auch sachliche Informationen, wenn es um Themen geht, bei denen der Bundestagspräsident eine besondere Zuständigkeit hat, etwa bei allen Fragen der Parteienfinanzierung. Und die Pressestelle organisiert auch den Zugang für Journalisten zum Parlament. Viele Medienvertreter, Journalisten, Kameraleute und Techniker von Hörfunk und Fernsehen haben eine ständige Akkreditierung für das Parlament – im vergangenen Jahr lag die Zahl bei etwa 3.500. Damit können sie sich in der Lobby des Plenarbereichs und in den Gängen vor den Ausschüssen bewegen. Wer als Journalist einen Abgeordneten in seinem Büro besuchen möchte, der muss sich wie jeder andere einen Termin geben lassen. Die Akkreditierung gewährt auch Zugang zur Pressetribüne des Plenarsaals. Doch abgesehen von Kamerateams finden sich hier Journalisten in großer Zahl nur zu besonderen Ereignissen ein. „Die Debatten im Plenum werden mit dem Parlamentsfernsehen in die Abgeordnetenbüros und in Redaktionsräume übertragen“, erklärt Hans Hotter die scheinbar geringe Präsenz. Und schließlich gibt es noch den Pressedienst „heute im bundestag“ (hib), der über Ausschusssitzungen und aktuelle Initiativen im Parlament informiert.
Die Bundespressekonferenz ist nicht der einzige Ort für Kontakte zwischen Politikern und Journalisten. Politiker organisieren ihre eigenen Pressekonferenzen und sie treffen Journalisten auch zu Gelegenheiten, von denen nicht berichtet werden soll. „Presseclub“, „Gelbe Karte“, „Unter 30“ oder „Eurotisch“ heißen einige der Gesprächskreise von Journalisten, die sich in der Regel abends in Hinterzimmern von Restaurants rund ums Parlamentsviertel mit Politikern treffen. „Das ist eine alte Tradition noch aus der Bonner Zeit“, erinnert sich Robert Birnbaum. In Bonn hätten die Parteistrategen in solchen Hintergrundkreisen einen politischen Kurswechsel angekündigt, worauf man dann entsprechende Analysen und Kommentare einige Tage später in den Blättern fand.
Doch die Bedeutung der journalistischen Kaffeekränzchen hat nachgelassen. In der Berliner Republik machen sich Journalisten viel mehr als früher selbst an die Recherche, so Birnbaum. Man versucht über Kontakte zu Beamten oder zu Abgeordneten an exklusive Informationen zu kommen. Falschmeldungen und Übertreibungen wie im Falle BSE sind dabei eben ein Nebenprodukt einer intensiver gewordenen Recherche. Doch die Fülle an Exklusivgeschichten führt aus Sicht Birnbaums auch zu Oberflächlichkeit, selbst bei den in den Medien so beliebten Skandalen. „Ein Skandal wie die Flick-Affäre, die die Bonner Politik in den Achtzigerjahren über Monate in Atem hielt, wäre hier in Berlin vielleicht schon nach ein paar Tagen vorbei.“
Text: Matthias Rumpf
Fotos: picture-alliance, studio kohlmeier
Die Spielregeln der Bundespressekonferenz Im Dialog mit der
Öffentlichkeit. |