Zwei Zahlen, die mehr sagen als viele Worte: Zwei Milliarden Euro Verlust mussten die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Halbjahr 2003 noch verbuchen. Im ersten Halbjahr dieses Jahres hatten die Kassen dagegen einen Überschuss von rund 2,5 Milliarden Euro. Ganz offensichtlich hat die Gesundheitsreform Wirkungen entfaltet. Der Trend scheint relativ verlässlich zu sein – auch wenn die nächsten geplanten Stufen der Gesundheitsreform derzeit nicht mehr so scharfe Konturen aufweisen, wie es noch vor einem Jahr in Sachen Zahnersatz, Krankengeld und versicherungsfremde Leistungen besprochen worden war.
Die Ausgaben sanken dort am meisten, wo sie in der Vergangenheit am stärksten gestiegen waren: Hilfsmittel minus 13,5 Prozent, Arzneimittel minus 12,5 Prozent, Krankengeld minus 10,3 Prozent, Fahrkosten minus 9,4 Prozent. Darin kommen Herstellerabschläge, Zuzahlungen und geringere Leistungsansprüche genauso zum Ausdruck wie der Umstand, dass der Krankenstand auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken ist. Die Einsparungen sind notwendig. Denn gleichzeitig sind die Ausgaben für die Früherkennung um 24,9 Prozent gestiegen.
Warum haben aber bisher nur einige Krankenkassen ihre Beiträge moderat gesenkt – und nicht alle spürbar auf breiter Front? Weil in einer Übergangszeit beträchtliche Schulden aufgebaut worden waren, die nun abgetragen werden müssen. Damit aber nicht alles nur in die Rückzahlung fließt und die Versicherten leer ausgehen, hat die Gesundheitsreform eine Entschuldung über drei Jahre vorgesehen. Doch selbst hier ist die Reform wirksamer als erwartet: Der Schuldenabbau schreitet schneller voran als geplant. Deshalb können die Beitragssenkungen in den nächsten Wochen und vor allem die zum Jahresende zu erwartenden nachhaltiger ausfallen. Gerechnet wird mit rund 0,6 Prozentpunkten – das sind rund sechs Milliarden Euro.
Zu einem Unsicherheitsfaktor hat sich indes das Verhalten der Raucher entwickelt. Sie leben nach der Steuererhöhung gesünder als erwartet, rauchen weniger und bringen somit auch weniger Geld in die Kassen des Staates, der damit den Krankenkassen Milliardenbeträge zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen überweisen wollte. An dieser Stelle sind möglicherweise Neuüberlegungen zu erwarten.
Längst im Gange sind diese Neueinschätzungen auf dem Feld von Zahnersatz und Krankengeld. Äußerungen aus der Regierung und der Opposition lassen die Voraussage zu, dass der „Countdown“ zur Umsetzung der Neuregelung noch einmal angehalten wird. Eigentlich sollten im Oktober die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen einen einheitlichen Pauschalbeitrag zur Versicherung von Zahnersatzleistungen festlegen, der dann ab Januar 2005 fällig geworden wäre. So war es mit überwältigender Mehrheit beschlossen worden. Doch in der Zwischenzeit ist die Debatte über die Entwicklung des Gesundheitssystems weitergegangen. Harte Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern einer Bürgerversicherung, bei der unter anderem der Kreis der Beitragszahler um Beamte und Selbstständige erweitert werden soll, und einer Gesundheitsprämie, die eine pauschale Prämie unabhängig von Einkommen und Familienstand vorsieht, zeichnen sich ab. Das hat die Blickrichtung auf die Zahnersatzregelung verändert.
Für die Anhänger einer Bürgerversicherung passt eine Zahnersatzversicherung mit Pauschalprämie nicht ins System einer weiter einkommensabhängigen Beitragsbemessung. Aber auch die Anhänger einer Gesundheitsprämie können über die Zahnersatzprämie nicht glücklich sein, da hier kein sozialer Ausgleich über die Steuerzahler hinzukommt, als überzeugendes Beispiel also wenig taugt. Das begründet die Erwartung, dass in neuen Verhandlungen bereits im September eine neue Lösung gefunden wird. Und zwar auf der Grundlage der ursprünglichen Absicht, den Arbeitsmarkt zu beflügeln, indem die Unternehmen von Lohnnebenkosten entlastet werden.
Bislang zahlten Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beiträge zur Krankenversicherung je zur Hälfte (paritätisch). Zahnersatz und Krankengeld sollen künftig allein von den Arbeitnehmern getragen werden. Da bislang für das Krankengeld 0,5 und für den Zahnersatz 0,4 Prozentpunkte fällig wurden, zusammen also 0,9, von denen der Arbeitgeber 0,45 Prozentpunkte trug, dürfte ein Kompromiss, mit welchen Details auch immer, darauf hinauslaufen, dass der Arbeitnehmer zusätzlich mit 0,45 Prozentpunkten belastet wird.
Die Neuregelung für den Zahnersatz sollte zum 1. Januar 2005 greifen, die für das Krankengeld zum 1. Januar 2006. Um genügend Zeit für die nochmaligen Neuerungen beim Zahnersatz zu bekommen, sieht es nun danach aus, dass das eine um ein halbes Jahr verschoben, das andere dafür um ein halbes Jahr vorgezogen wird. Dahinter steht auch die Erwartung, dass wegen des Greifens der Gesundheitsreform auch Mitte nächsten Jahres weitere Beitragssenkungen möglich wären und somit ein Zusammentreffen mit der zusätzlichen Belastung für Zahnersatz und Krankengeld unterm Strich für den Arbeitnehmer kaum zu spüren sein wird.
Text: Gregor Mayntz
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