Wortlaut der Reden
Dr. Liesel Hartenstein, SPD | Dr. Joseph-Theodor Blank, CDU/CSU >> |
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute wird eine wichtige Entscheidung gefällt, auf die Millionen Menschen in den alten Bundesländern und erst recht in den neuen Bundesländern mit Spannung blicken. Wir alle wissen, daß es nicht nur ein Tauziehen zwischen zwei Städten ist, sondern daß es um Hunderttausende von Menschen geht, um ihre Arbeitsplätze, um das Wohl und Wehe ganzer Regionen. Weil dies so ist, wäre mir wohler, wenn dem Deutschen Bundestag verläßlichere Entscheidungsgrundlagen vorliegen würden, damit wir die Konsequenzen unseres Handelns besser abwägen könnten. Das betrifft z. B. die Kostenschätzungen, das betrifft z. B. einen realistischen Zeitplan, der besagt, was vor dem Jahre 2000 noch geleistet werden könnte, wenn das Parlament tatsächlich nach Berlin umzöge. Das betrifft auch Entwicklungsprogramme für die betroffenen Regionen, falls sie nicht Parlaments- und Regierungssitz beherbergen werden. Auch ich mache mir Gedanken darüber, welche Auswirkungen eine große Metropole auf die Umwelt haben würde. Aber ich komme zu anderen Schlußfolgerungen als mein Kollege Harald Schäfer. (Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Dieter Wiefelspütz [SPD]: Unerhört!) Ich widerspreche ausdrücklich dem Horrorgemälde von der Megastadt. Denn jetzt haben wir die ungeheure Chance, gerade jene Fehler nicht zu wiederholen, die wir bei der Entwicklung der alten Bundesrepublik gemacht haben. Das heißt, wir sollten von vornherein breit gefächerte öffentliche Verkehrssysteme anlegen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verdichtetes Bauen realisieren, die Entfernungen zwischen Wohnungs- und Arbeitsplatz nicht verlängern, sondern verkürzen. Dies alles ist machbar; ich könnte mir vorstellen, daß wir aus dem Großraum Berlin ein Zukunftsmodell machen, das tatsächlich weiterführt und das uns auch hilft. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Lassen Sie mich kurz auf zwei Punkte eingehen, die hier in der Debatte aufgegriffen worden sind. Ich möchte den Einwand korrigieren, den Frau Adam-Schwaetzer vorgebracht hat, nämlich daß die Diskussion zu stark rückwärtsgewandt sei. Ich wehre mich dagegen. Es ist kein rückwärtsgewandtes Argument, wenn die Berlin-Befürworter daran erinnern, daß der Deutsche Bundestag mehrfach beschlossen und bekräftigt hat, daß Berlin Parlaments- und Regierungssitz sein soll, wenn die Chance der Vereinigung kommt, wenn freie Wahlen in ganz Berlin und in der ehemaligen DDR stattfinden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Zeitpunkt ist da. Wenn jetzt nicht mehr wahr sein soll, was 40 Jahre lang treuherzig verkündet worden ist, dann ist das keine Frage von Vergangenheit und Zukunft, sondern eine Frage der heute schon so oft beschworenen Glaubwürdigkeit. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Das Parlament -- ich bitte um ein bißchen Aufmerksamkeit -- läuft Gefahr, als Ganzes Schaden zu nehmen, wenn seine Glaubwürdigkeit ins Wanken gerät; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU -- Dr. Hans- Jochen Vogel [SPD]: Das haben wir ja bei der Steuer- geschichte gesehen!) denn die Bürger sind irritiert, sie sind zum Teil sogar empört. In den neuen Ländern sind sie abgrundtief enttäuscht. Sie fürchten, aufs neue ins Abseits zu geraten. Das geht an den Nerv der parlamentarischen Demokratie. Hier müßte das Warnlicht aufblinken. Bonn steht für eine gute, erfolgreiche Phase der deutschen Geschichte. Ich fühle mich wohl in Bonn; ich mache überhaupt keinen Hehl daraus. Ich denke aber, daß jetzt etwas Neues begonnen hat und daß wir uns den neuen Herausforderungen auch stellen müssen. In Berlin war die Wunde am deutlichsten spürbar. In Berlin wächst, wie ich meine, am sichtbarsten zusammen, was zusammengehört. Ich spreche deshalb für Berlin, weil ich an die Zukunft denke. Europa ist größer geworden. Wer das größere Europa will, muß sehen, daß Berlin eine Brückenfunktion einnimmt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/GRÜNE) Europa erweitert sich nach Osten. Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, auch die UdSSR fühlen sich wieder als europäische Länder. Das ist doch eine ungeheuer positive Perspektive. Wer wollte nicht mithelfen, den europäischen Frieden auch auf diese Weise zu sichern? Wir dürfen diesen Ländern nicht den Rücken zukehren, sondern wir müssen offen sein. Wir müssen offenen Herzens auf Osteuropa zugehen; übrigens auch, wie ich hoffe, mit offenen Händen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Berlin liegt künftig im Schnittpunkt dieses europäischen Kräftefeldes. Deswegen sollten wir uns dafür entscheiden. Ich füge hinzu, daß wir gleichzeitig unsere Verantwortung für Bonn nicht vergessen dürfen. Das darf keine Floskel sein. Wenn es heute möglich ist, alte Wunden zu schließen, dann dürfen wir keine neuen aufreißen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Abgeordnete Dr. Hartenstein, als erfahrene Parlamentarierin wissen Sie, daß Sie mich wegen der Redezeit in Verlegenheit bringen. Bitte, kommen Sie zum Schluß. Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Ich weiß, Herr Präsident. Ich bin auch am Schluß. Ich bitte Sie, Berlin seine alte Würde wiederzugeben (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Seine neue Würde!) und die Stadt nicht mit einem Trostpreis abzuspeisen, aber Bonn darüber nicht zu vergessen. (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Da wird ein Gedenkstein aufgestellt!) Helfen wir gemeinsam. Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank. |