Gerhart Baum und Wolfgang Bosbach
neben Dani Karavans Kunstwerk „Grundgesetz 49” im
Parlamentsviertel. In Artikel 13 des Grundgesetzes ist das
Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung formuliert
© Thomas Köhler/photothek.net
Streitgespräch: Gerhart Baum
und Wolfgang Bosbach
Was darf der Staat? Wo sind ihm Grenzen
gesetzt? BLICKPUNKT BUNDESTAG hat zwei prominente Politiker zum
Streitgespräch gebeten. Der stellvertretende Vorsitzende der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion Wolfgang Bosbach erklärt, warum er
die neuen Sicherheitsgesetze für unumgänglich hält.
Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum sagt, weshalb er
vor lauter Sicherheit die Freiheit gefährdet sieht.
Blickpunkt Bundestag: Herr
Baum, sind Sie ein Streithansel?
Gerhart Baum: Nein, ich bin kein
Streithansel, ich bin aber ein streitbarer Mensch und war als
Politiker ein umstrittener Mensch.
Blickpunkt: Wir fragen das,
weil Sie gegen das Luftsicherheitsgesetz, gegen den großen
Lauschangriff, gegen die Onlinedurchsuchung und gegen die
Vorratsdatenspeicherung beim Bundesverfassungsgericht geklagt
haben. Was treibt Sie an?
Baum: Meine Sorge, dass eine
langsame Erosion der Grundrechte stattfindet. Wobei die einzelne
Maßnahme unproblematisch sein kann, aber die Summe der
Maßnahmen mir wirklich große Sorgen macht. Ich habe die
Besorgnis, dass wir in der notwendigen Reaktion auf neue
Bedrohungen, die ich durchaus anerkenne, zu weit gehen. Und ich
freue mich, dass das Bundesverfassungsgericht dieses sehr
ähnlich sieht.
Blickpunkt: Herr Bosbach, Sie
haben allen bisherigen Sicherheitsgesetzen zugestimmt. Haben Sie
keine Ader für den freiheitlichen
Bürgerrechtsstaat?
Wolfgang Bosbach: Ich hätte
nicht zugestimmt, wenn ich, wie Herr Baum, der Überzeugung
wäre, dass die Grundfeste des Rechtsstaates beschädigt
werden. Ich bin sicher, dass das Vertrauen der Bürger in
diesen Staat vielmehr dann erschüttert wird, wenn er keine
geeigneten und rechtsstaatlichen Mittel gegen die neuen Bedrohungen
aufbietet. Dann bekämen extreme Kräfte Zulauf, denen wir
unsere Republik niemals anvertrauen sollten.
Baum: Das ist eine Sorge, die ich
durchaus teile. Aber ich sehe die Gefahr, dass die Menschen in
ihrem Vertrauen zum Grundgesetz erschüttert werden. Die
Erosion des Vertrauens kommt von der Überreaktion auf die
Bedrohung des Terrorismus.
Bosbach: Deshalb ist es auch eine
Bringschuld der Politik zu erläutern, dass und warum die
Sicherheitsgesetze notwendig sind, warum sie
verhältnismäßig sind und warum sie
rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Ich habe sogar
Verständnis für Herrn Baum, wenn er sagt, ob das alles in
der Summe nicht ein bisschen viel ist. Auf der anderen Seite: Wenn
vier Maßnahmen notwendig sind, können wir nicht auf die
vierte verzichten mit der Begründung, wir hätten ja schon
drei beschlossen.
Baum: Das Problem ist doch, dass die
Unverzichtbarkeit der Maßnahme nicht dargelegt wird. Es wird
nicht dargelegt, ob man nicht auch mit herkömmlichen Mitteln
das gleiche Ziel erreichen kann. Also bleibt unbeantwortet, ob der
Freiheitsverlust in erträglicher Relation zum
Sicherheitsgewinn steht. Den Menschen muss klar werden, was mit der
Maßnahme erreicht wird — positiv wie negativ.
Blickpunkt: Bislang ist
Deutschland — abgesehen von der RAF-Zeit — von schweren
Terroranschlägen verschont geblieben. Können wir deshalb
eher unbefangen über das Für und Wider neuer
Sicherheitsgesetze reden?
Bosbach: Wir sind keineswegs vom
islamistischen Terror verschont geblieben. In der RAF-Zeit haben 34
Deutsche ihr Leben verloren, dem internationalen Terror der letzten
Jahre sind 50 Deutsche zum Opfer gefallen. Es war eine Mischung aus
Ermittlungserfolg und Glück, dass in Deutschland nicht noch
Gravierenderes passiert ist. Aber machen wir uns nichts vor: Sollte
es in Deutschland einmal einen verheerenden Anschlag geben, wird
sich die öffentliche Meinung sofort drehen. Dann werden die
Menschen fragen, warum Politik und Polizei nicht in der Lage waren,
solche Anschläge zu verhindern.
Baum: Als früherer
Innenminister kenne ich das Spannungsverhältnis, für
Sicherheit zu sorgen, die Freiheit aber dabei nicht zu sehr
einzuschränken. Ich meine, wir müssen dieses
Spannungsverhältnis aushalten. Damals, in der RAF-Zeit, waren
70 Prozent der Deutschen dafür, die in Stammheim einsitzenden
Terroristen zu erschießen. Wir sind dem natürlich nicht
gefolgt. Wir müssen das Risiko mindern, aber wir können
es nicht auf null bringen. Der Preis wäre zu hoch.
Wolfgang Bosbach
© Picture-Alliance/Jan-Peter Kasper
Bosbach: Aber im Umkehrschluss kann
das nicht bedeuten, dass der Staat nicht offenkundige
Schutzlücken schließt. Wir können doch nicht die
Hände in den Schoß legen, weil wir unseren Bürgern
keinen absoluten Schutz vor Anschlägen garantieren
können. Dort, wo der Staat schützen kann, hat er auch die
Pflicht zu schützen. Es gibt zudem einen Unterschied: Die
RAF-Terroristen hatten die Spitzen von Staat und Wirtschaft im
Fadenkreuz, die Terroristen von heute haben „weiche
Ziele”, nämlich die gesamte Bevölkerung. 82
Millionen Menschen kann ich aber nicht so schützen wie
früher einzelne Politiker.
Baum: Das ist richtig. Aber ebenso
richtig ist: Nicht alles, was nützt, darf gemacht werden. Wir
haben kein Grundrecht auf innere Sicherheit. Alles ist
freiheitsbezogen. Die Zielsetzung richtet sich auf die Freiheit.
Wenn wir die Freiheit zu ihrer Sicherheit selbst abschaffen, ist
das absurd.
Blickpunkt: Lassen Sie uns
zum geplanten neuen BKA-Gesetz kommen. Umstrittenster Teil ist
dabei der Zugriff auf den privaten Computer per Onlinedurchsuchung.
Warum ist dies nötig?
Bosbach: Der internationale Terror
ist sowohl hochkommunikativ als auch -konspirativ, unter anderem
nutzt er hoch wirksame Verschlüsselungsprogramme. Hinzu kommt,
wer heute eine Anleitung zum Bombenbau aus dem Netz
herunterlädt, der heftet das nicht im Leitzordner ab, sondern
speichert das auf der Festplatte. Die Festplatte ersetzt also das,
was früher der Aktenordner war. Deshalb kann man auf den
Zugriff auf die Festplatte nicht verzichten. Aber diese
Maßnahme wird sich auf wenige Fälle
beschränken.
Baum: Daran glaube ich nicht. Wie
beim Telefonabhören wird es eine unaufhaltsame Dynamik geben.
Das Neue bei der Onlineüberwachung ist zudem, dass noch
niemals so viele Informationen, auch äußerst intime, mit
einem einzigen Zugriff erfasst werden konnten. Hier ist in einem
hohen Maße die Privatheit der Persönlichkeit betroffen,
denn es ist nahezu ausgeschlossen, die grundgesetzlich
geschützte Privatheit vom Ermittlungsziel zu trennen.
Bosbach: Das ist richtig. Die
sogenannten Sauerland-Bomber haben gleichzeitig in der Küche
gebetet und dort versucht, Sprengstoff herzustellen. Wer links
betet und rechts eine Bombe herstellt, kann sich nicht auf den
Schutz der Privatsphäre berufen. Wir haben uns in dem
BKAGesetz redlich bemüht, den Kernbereich des Privaten zu
respektieren. Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so.
Blickpunkt: Immerhin hat das
Verfassungsgericht aber so etwas wie ein „Grundrecht auf die
Festplatte” geschaffen ...
Baum: Und das war wichtig und
richtig. Und es hat festgestellt, dass eine allgemeine
Bedrohungslage noch nicht für eine Maßnahme ausreicht,
sondern sehr konkrete Tatsachen vorliegen müssen.
Blickpunkt: Karlsruhe hat
zudem untersagt, dass der Trojaner durch Einbruch in die Wohnung
gesetzt wird. Ist die Onlinerazzia überhaupt noch
praktikabel?
Bosbach: Ja. Es wird immer noch
Fälle geben, in denen die Onlinedurchsuchung ohne Betreten
einer Wohnung, also online, erfolgversprechend ist.
Baum: Es bleibt schon
merkwürdig, dass im Gesetz von Schutzvorkehrungen „nach
dem Stand der Technik” die Rede ist. Der Gesetzgeber
weiß offenbar selbst nicht, wie sich die Dinge weiter
entwickeln werden.
Blickpunkt: Terroristen legen
für einen Anschlag meist keine Dateien an. Sie konspirieren
über Internetcafés mit wechselnden Briefkästen.
Lohnt sich da die Onlinedurchsuchung überhaupt? Mit wie vielen
Eingriffen rechnen sie?
Bosbach: Viele Täter, die sich
für intelligent halten, werden gefasst, weil sie sich selber
überschätzen. Seit 140 Jahren nehmen wir weltweit
Fingerabdrücke; das müsste sich mittlerweile in
Ganovenkreisen herumgesprochen haben. Dennoch werden jeden Tag
Straftäter durch ihre Fingerabdrücke überführt.
Zur Anzahl: Alles was heute gegen die Onlinedurchsuchung ins Feld
geführt wird, ist Mitte der 90er-Jahre gegen die akustische
Wohnraumüberwachung polemisiert worden. In den ersten drei
Jahren hatten wir im Schnitt 27 Überwachungen pro Jahr, im
vorletzten sechs und im letzten Jahr nur zwei Überwachungen.
Etwa in dieser Größenordnung wird es auch
Onlinedurchsuchungen geben. Bei 47 Millionen Haushalten sind wir da
noch ein bisschen vom Überwachungsstaat entfernt.
Gerhart Baum
© Thomas Köhler/photothek.net
Baum: Es bleibt aber dabei, dass es
immer weniger beobachtungsfreie Zonen gibt. Die Grenze des
Präventivstaates wird immer weiter ausgelegt. Der Bürger
braucht aber die Gewissheit, dass es Bereiche gibt, in denen der
Staat nichts zu suchen hat. Der Staat darf gegen Menschen, die sich
anständig verhalten, nichts unternehmen. Das ist heute leider
nicht mehr der Fall.
Blickpunkt: Herr Bosbach,
Herr Baum, Sie haben sich vor Artikel 13 des Grundgesetzes, der die
Unverletzlichkeit der Wohnung garantiert, fotografieren lassen. Ist
dieser Artikel hohl geworden?
Bosbach: Nein, das sehe ich nicht.
Wir haben heute Gefährdungen in einer Dimension, die noch vor
15 Jahren unvorstellbar waren. Deshalb muss der Staat den
Bedrohungsszenarien Rechnung tragen. Es geht nicht an, dass der
Ganove mit dem Porsche vorneweg fährt und der Polizist im
Trabi hinterher. Das gilt nicht nur für Technik und Personal,
sondern auch für das Recht.
Blickpunkt:
Onlinedurchsuchung, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung,
Luftsicherheitsgesetz — die Liste scheint
unerschöpflich. Schützen wir uns um den Preis unserer
Freiheit?
Baum: Ich sage: Ja. Denn es
hört ja nicht auf. Nun will Schäuble auch noch eine
gemeinsame Abhörzentrale. Die Dynamik der Informationstechnik
wird sehr schnell zu einer weiteren Aufweichung des Trennungsgebots
von Polizei und Nachrichtendiensten führen. Andere wollen zu
einem Feindstrafrecht kommen und den Terroristen den Krieg
erklären, bei dem dann die Bundeswehr polizeiliche Aufgaben
übernähme. Das alles macht mir größte
Sorge.
Bosbach: Auch ich bin kein
Anhänger des Feindstrafrechts. Ein Guantanamo darf es bei uns
nicht geben.
Blickpunkt: Wo endet der
Schutz- und Sicherheitsanspruch der Bürger?
Baum: Dort, wo fundamentale
Prinzipien der Verfassung verletzt werden. Es gibt Situationen, wo
der Staat nicht wissen darf, was ihm möglicherweise helfen
würde.
Bosbach: Ein gutes Beispiel
dafür ist die sogenannte Rettungsfolter. Folter ist absolut
verboten, davon kann es keine Ausnahme geben. Ein Waterboarding wie
bei den Amerikanern muss bei uns unvorstellbar bleiben.
Blickpunkt: Seit 2002 hat das
Bundesverfassungsgericht zwölf Gesetze zur inneren Sicherheit
ganz oder teilweise verworfen. Funktioniert die parlamentarische
Kontrolle nicht mehr?
Bosbach: Doch, sie funktioniert.
Aber es liegt in der Natur der Sache, dass es bei wichtigen
Rechtsfragen unterschiedliche Einschätzungen gibt. Auch im
Verfassungsrecht gilt: Vor Gericht und auf hoher See bist du in
Gottes Hand. Gelegentlich interpretiert das
Bundesverfassungsgericht die eigene Rechtssprechung ziemlich
freihändig und damit überraschend.
Baum: Ich finde das alles für
unser Verfassungssystem etwas peinlich. Der erste Interpret der
Verfassung muss der Bundestag selbst sein.
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Das Gespräch führte
Sönke Petersen.
Erschienen am 18. Juni 2008
Zur Person:
Wolfgang Bosbach, Jahrgang 1952,
ist seit 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit dem Jahr
2000 ist der gelernte Rechtsanwalt stellvertretender Vorsitzender
der CDU/CSU-Fraktion. Seine Schwerpunktthemen sind unter anderem
die Rechts- und Innenpolitik.
E-Mail:
wolfgang.bosbach@bundestag.de
Website:
www.wobo.de
Gerhart Baum, Jahrgang 1932, war von 1972 bis 1994
Mitglied der FDPFraktion des Bundestages. Von 1972 bis 1978 war er
Parl. Staatssekretär im Bundesinnenministerium, von 1978 bis
1982 Bundesminister des Innern. Seit 1994 ist er wieder als
Rechtsanwalt tätig.
E-Mail:
info@gerhart-baum.de
Website:
www.gerhart-baum.de