Heimliche Zugriffe auf PCs sind schwerwiegende Eingriffe des Staates in die Privatsphäre. Entsprechende Regelungen müssen an hohe rechtsstaatliche Hürden gebunden werden. Die notwendigen gesetzlichen Bedingungen, insbesondere zum verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, bedürfen intensiver Beratungen. Zum anderen muss gewährleistet sein, dass der praktische Einsatz der Maßnahme auf den Bereich begrenzt wird, in dem andere Ermittlungsmaßnahmen versagen.
Termine, Adressen von Freunden und Geschäftspartnern, private Briefe oder Tagebücher — Computer, Handys und andere IT-Geräte spiegeln das ganze Leben, die ganze Persönlichkeit von Menschen wider. Durchsuchungen, die dem Staat Zugriff auf so intime Details, ja ganze Persönlichkeitsprofile ermöglichen, dürfen nach unserer Ansicht nicht heimlich erfolgen. Aus gutem Grund müssen Hausdurchsuchungen auch offen durchgeführt werden.
Durch die Onlinedurchsuchung wird die Verfassung auf den Kopf
gestellt: Bisher haben Grundrechte die Funktion von Abwehrrechten,
also eines institutionalisierten Misstrauens gegenüber dem
Staat, erfüllt. Dies wird durch die
„Vorratsdatenspeicherung” ins Gegenteil verkehrt, also
in ein institutionalisiertes Misstrauen des Staates gegenüber
seinen Bürgern.
Wir lehnen die Onlinedurchsuchung ab. Es handelt sich um einen sehr schweren Eingriff in die Privatsphäre, ein wirksamer Schutz des Kernbereichs privater Lebensführung ist kaum möglich. Und die Notwendigkeit für diesen Eingriff kann die Bundesregierung nicht begründen. Wir teilen die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts und sind überzeugt, dass die vorgeschlagene Regelung den in Karlsruhe gesetzten Standards bei Weitem nicht genügt.
Die Sicherheitspolitik der SPD wahrt stets Augenmaß und beschränkt Eingriffe in Rechte der Bürger auf unabweisbar erforderliche und geeignete Maßnahmen. Die massenhafte Speicherung von Informationen über unverdächtige Bürger durch die Sicherheitsbehörden lehnen wir ab. Wir sind fest entschlossen, die die Freiheitsrechte der Bürger wahrende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jederzeit „millimetergenau” umzusetzen, um zu gewährleisten, dass die Grenze zum Überwachungsstaat gerade nicht überschritten wird.
Vorratsdatenspeicherung, Kfz-Kennzeichen-Scanning, Videoüberwachung, Rasterfahndung, Onlinedurchsuchung, Lausch- und Spähangriff, Anti-Terror-Datei, Steuer-ID, Passagierdatenübermittlung, TK-Überwachung, Bundesabhörzentrale, Aufhebung des Bankgeheimnisses. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen und beantwortet die Frage eigentlich schon ohne Kommentar. Politik für die innere Sicherheit dient der Sicherung der Freiheit. Derzeit wird aber die Freiheit aufgegeben, um vermeintlich mehr Sicherheit zu gewinnen. Damit rückt der Überwachungsstaat in greifbare Nähe.
Die Balance ist nicht nur in Gefahr, sie ist bereits gekippt: Spätestens mit dem BKA-Gesetz wurde der rechtsstaatliche Rubikon überschritten. Denn dank Onlinedurchsuchung und Vorratsdatenspeicherung können jetzt nicht nur Bürger bis in den allerprivatesten Bereich ausgespäht werden. Verletzt ist nun auch noch das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten — ein Gebot, dessen Beherzigung eine der großen Lehren aus dem dritten Reich war, in dem die Polizei allumfassende Befugnisse hatte. Und die wollte man ihr eigentlich nie wieder einräumen.
Wir leben in einem freiheitlichen Rechtsstaat, in dem die Menschen in Sicherheit leben wollen. Der Wunsch nach Sicherheit darf aber nicht die Grundrechte verdrängen. Das Primat der Freiheit gerät in Gefahr, wenn die individuelle Lebensführung ohne Anlass überwacht wird. Das passiert bei der Vorratsdatenspeicherung, nach deren Logik jedes Handeln eine mögliche Vorbereitung eines Verbrechens ist. Endpunkt dieser Logik ist der Überwachungsstaat.
Erschienen am 18. Juni 2008