Bürgernähe und Europa? Da sind
viele zuerst einmal skeptisch und verweisen auf die Institutionen
im fernen Brüssel. Dabei hat die Europäische Union
Bürgernähe zum Prinzip gemacht: Denn die EU wird nur
tätig, wenn bestimmte Ziele auf staatlicher oder kommunaler
Ebene nicht ausreichend verwirklicht werden können.
„Subsidiarität” heißt das Zauberwort. Damit
sie funktioniert und damit die Anliegen der nationalen Parlamente
in der EU zur Geltung kommen, haben sich die Volksvertretungen auf
EU-Ebene in der COSAC organisiert, der Konferenz der
Europaausschüsse. Jedes Halbjahr kommt sie im Land der
EU-Ratspräsidentschaft zusammen. Nun waren Bundestag und
Bundesrat Gastgeber — und der Plenarsaal im
Reichstagsgebäude an der ehemaligen Grenzlinie zwischen Ost
und West wurde für Parlamentarier aus 27 EU-Ländern, den
Beitrittskandidatenstaaten Kroatien und Mazedonien sowie der
Ukraine und der Republik Moldau umgebaut: zusätzliche
Tischreihen, Flaggen, Blumen — und Kabinen für die
Dolmetscher. Die Zukunft des Verfassungsvertrages und die Rolle der
EU beim Klimaschutz waren die beherrschenden Themen der
Agenda.
BLICKPUNKT BUNDESTAG war dabei. Und hat unter anderem einen
scheidenden Ausschussvorsitzenden getroffen und eine kleine
COSAC-Premiere beobachtet.
Der Name klingt exotisch, sie ist weniger
bekannt als andere EU-Einrichtungen und ihre politische Macht ist
begrenzt. Doch die Bundestagsabgeordneten unter den Delegierten
sind sich einig, dass sich die 1989 gegründete
„Konferenz der Ausschüsse für Gemeinschafts- und
Europaangelegenheiten der Parlamente der Europäischen
Union”, kurz COSAC, bewährt hat. Der Unionsabgeordnete
Gunther Krichbaum bringt es auf den Punkt: „Wenn?s die COSAC
nicht gäbe, müsste sie erfunden werden.”
COSAC-Neuling Alexander Ulrich von der Fraktion Die Linke. sieht
das ähnlich. Die COSAC sei wertvoll, um Kontakte herzustellen
und sich über die Sichtweise in anderen Parlamenten zu
informieren. Sein Kollege Kurt Bodewig (SPD) lobt ausdrücklich
die Atmosphäre unter den Teilnehmern, die Möglichkeit zu
vielen Zweiergesprächen am Rande. Man fühle sich ein
bisschen „wie auf einem europäischen Familientreffen
— bei dem es aber letztlich zum Beispiel um den
Verfassungsvertrag und damit um die Zukunft Europas
geht.”
Die erste Gelegenheit zum Austausch bietet sich den Teilnehmern am
Abend des Anreisetages bei einer Schiffstour auf der Havel. Neben
anregenden Gesprächen „bekommen sie auch etwas mit von
der Überwindung der Teilung Europas”, wie Matthias
Wissmann (CDU/CSU) am nächsten Tag bei der offiziellen
Begrüßung im Parlament sagt. Sie seien ja an einigen
Stellen vorbeigekommen, die die Teilung Deutschlands und Europas
symbolisierten, an der Glienicker Brücke oder an Schloss
Cecilienhof, wo 1945 die Potsdamer Konferenz stattgefunden hatte.
Ihre heutige Sitzung, an der nun auch die neuen EU-Mitglieder
Bulgarien und Rumänien teilnehmen, sei ein Zeichen dafür,
„dass wir die Teilung Europas überwunden haben und einer
guten Zukunft entgegengehen”.
Wissmann, der aus dem Bundestag scheidende Vorsitzende des
Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union, ist einer der beiden Vorsitzenden der XXXVII. Konferenz der
Europaausschüsse. Der andere Vorsitzende ist der
baden-württembergische „Europaminister” Willi
Stächele, der beim Bundesrat den Vorsitz des Ausschusses
für Fragen der Europäischen Union innehat. Die COSAC
richtet immer der EU-Mitgliedstaat aus, der turnusgemäß
den Vorsitz im Rat der Europäischen Union führt. Doch bei
der COSAC sind nicht die Staats- und Regierungschefs oder die
Fachminister die Akteure. Sie ist die einzige
regelmäßige und institutionalisierte Zusammenkunft auf
EU-Ebene, auf der die Parlamentarier aus den Parlamenten der
EU-Staaten die Hauptrolle spielen.
Simultan in 22 Sprachen
Für Deutschland hatte der Deutsche
Bundestag gemeinsam mit dem Bundesrat eingeladen. Die Länder
wirken in Angelegenheiten der EU durch den Bundesrat mit. Die
Mitwirkungsrechte der Bundesländer in EU-Fragen sind im Zuge
der europäischen Integration, die auch innerstaatliche
Kompetenzen der Länder berührt, inhaltlich und formal
gestärkt worden. Der wichtigste Schritt war die Einfügung
eines „Europa-Artikels” in das Grundgesetz (Artikel 23)
anlässlich der Ratifizierung des Vertrags von
Maastricht.
Zur COSAC hat sich der Plenarsaal des Bundestages verwandelt: So
wurden Dolmetscherkabinen aufgestellt, weitere Sitzreihen wurden
mit schwarzen Pulten ausgestattet, die sonst nur in den vorderen
Reihen stehen. Landesfähnchen und Schrifttafeln zeigen, wo die
einzelnen Delegationen ihre Plätze haben. Auf den Pulten
liegen orangefarbene Blätter, auf denen vermerkt ist, auf
welchem Kanal welche Landessprache zu empfangen ist: von 1 wie
„Deutsch” bis 22 wie „Romana”. Denn die
Konferenz wird nach der „Vollsprachenregelung” der EU
abgehalten: Jede Landessprache wird in jede andere simultan
übersetzt, eine Herkulesarbeit.
Neben den 27 Vollmitgliedern der EU sind auch die
Beitrittskandidaten Kroatien und Mazedonien sowie diesmal als
„andere Teilnehmer” die neuen EU-Nachbarstaaten
Moldawien und die Ukraine eingeladen. Hinzu kommen die Mitglieder
der Delegation des Europäischen Parlaments, die Vertreter der
Kommission und des Ratssekretariates sowie die Mitarbeiter —
insgesamt sind rund 240 Frauen und Männer der Einladung nach
Berlin gefolgt. Viele tragen hellblaue Taschen mit dem Logo der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit sich.
Die COSAC will die Mitsprache der Parlamente in der EU
stärken, sie fördert Transparenz der Brüsseler
Entscheidungen und Bürgernähe. Zu den halbjährlich
stattfindenden Treffen entsendet jedes Land bis zu sechs
Delegierte, Parlamente mit zwei Kammern können selbst
entscheiden, wie ihre Delegation zusammengesetzt ist. Die Deutschen
haben sich verständigt, dass ihre Delegation aus vier
Bundestagsabgeordneten und zwei Mitgliedern des Bundesrates
besteht.
COSAC und EU-Parlament
Die Sitzungen der COSAC laufen meist
geschäftsmäßig konzentriert ab, aber gleich zu
Anfang gibt es großen Beifall: Als Wissmann den Vorsitzenden
des Auswärtigen Ausschusses des norwegischen Parlaments, des
Storting, und dessen Stellvertreterin begrüßt, wird
herzlich applaudiert, vor allem als der Deutsche den Wunsch
äußert, dass sich Norwegen eines Tages dazu
entschließen möge, Mitglied der EU zu werden.
Einen ersten Erfolg kann Wissmann ebenfalls zum Auftakt verbuchen.
Es gelingt, die Vorbehalte der Italiener — und auch des
Europaparlaments — gegen ein ständiges COSAC-Sekretariat
zu überwinden. Bisher nur auf Zeit in Brüssel
eingerichtet, kann es jetzt in der Geschäftsordnung der COSAC
verankert werden, was formal bei der nächsten Tagung in
Lissabon geschehen wird. Bedenken waren mit der Sorge
begründet worden, dass sich die COSAC zu einer Art
„Dritten Kammer” neben nationalen Parlamenten und
Europaparlament entwickeln könne.
Auf EU-Ebene teilen sich Gesetzgebungskompetenz das Europaparlament
und der Rat der EU, die Vertretung der nationalen Regierungen auf
EU-Ebene. Das institutionelle Dreieck der EU komplettiert die
EU-Kommission, welche EU-Gesetzesvorlagen erarbeit und
vorschlägt. Die COSAC hingegen stellt seit dem Vertrag von
Amsterdam ein zentrales Gremium zur interparlamentarischen
Koordination und Kooperation dar und soll vor allem die
wechselseitige Information der nationalen Parlamente über
europäische Angelegenheiten fördern. Sie kann
Vorschläge und Initiativen im Zusammenhang mit der Errichtung
eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — vor
allem im Hinblick auf die Einhaltung des
Subsidiaritätsprinzips — prüfen und dazu jeden ihr
zweckmäßig erscheinenden Beitrag leisten. Die COSAC
bietet den Parlamenten der Mitgliedstaaten die Möglichkeit,
aktiv am Geschehen auf der EU-Ebene teilzunehmen.
Wissmann betont immer wieder die enge Zusammenarbeit der COSAC mit
dem Europaparlament: „Wir haben uns nie im Gegensatz zum
Europäischen Parlament gesehen, sondern sehen uns als
notwendige Ergänzung. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, dass
diese Europäische Union demokratisch kontrolliert wird, dass
sie transparent ist für den Bürger, dass sie so
bürgernah wie irgend möglich arbeitet und nicht
zentralistisch wird.”
Dabei gibt es einige Fortschritte: So leitet die Kommission seit
September 2006 ihre Rechtsetzungsvorschläge direkt an die
nationalen Parlamente, die die Initiativen darauf abklopfen
können, ob sie den Regeln der Subsidiarität und
Verhältnismäßigkeit entsprechen. Anders gesagt: ob
die Lösung bei der EU gut angesiedelt ist oder eher von den
nationalen Parlamenten oder Kommunen umgesetzt werden sollte. Ziel
ist höchstmögliche Bürgernähe. Die Prüfung
durch die nationalen Parlamente wird aber sehr unterschiedlich
gehandhabt. Deshalb will die COSAC mit Hilfe von Tests ein
wirksameres Verfahren entwickeln.
Zwei Kommissionsinitiativen, zur Liberalisierung von Postdiensten
und zur Harmonisierung des Eherechts, wurden bereits in den
Parlamenten der 27 Mitgliedstaaten geprüft. Im Plenarsaal
äußern sich viele dazu, fast alle sind
grundsätzlich zufrieden. Viele verlangen aber, dass die
Kommission ihnen die Texte rasch in der Landessprache schickt sowie
schneller und konkreter antwortet. Denn bei den Reaktionen aus
Brüssel läuft noch nicht alles rund: Von den etwa 85
Stellungnahmen der nationalen Parlamente seit September 2006 hat
die Kommission nur 39 formal beantwortet.
Wohin steuert Europa?
Vorteil der COSAC ist, dass hier ein
direkter Draht zur EU-Ratspräsidentschaft und zur Kommission
hergestellt wird. Hier werden die Volksvertreter aus erster Hand
über wichtige aktuelle Fragen der EU und das Arbeitsprogramm
der Kommission unterrichtet. Das übernimmt deren
Vizepräsidentin Margot Wallström. Sie betont auch, dass
die Kommission die Bemühungen der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft um eine Überwindung der
Verfassungskrisevoll unterstütze. „Wir müssen einen
neuen Konsens über unsere gemeinsame Zukunft schaffen und den
Bürgern der EU ein positives Signal rechtzeitig vor den
Europawahlen 2009 senden”, sagt sie.
Die Klimapolitik der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
erläutert der Parlamentarische Staatssekretär im
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit, Michael Müller (SPD). Die von ihm
vorgetragenen Ziele zur Begrenzung des Ausstoßes von
Kohlendioxid finden hier breite Unterstützung. Über die
Kernenergie sind die Meinungen jedoch geteilt. Während die
Österreicherin Ulrike Lunacek in der lebhaften Debatte die
Hoffnung äußert, die Deutschen mögen ihren Ausstieg
nicht rückgängig machen, meinen Abgeordnete aus Litauen
und Slowenien, die Kernenergie könne durchaus eine positive
Rolle in der Klimapolitik spielen.
Das Thema, das die Volksvertreter am meisten bewegt, ist die
Zukunft Europas und die Überwindung der Verfassungskrise.
EU-Ratspräsidentin Angela Merkel berichtet dazu. Wissmann
begrüßt die deutsche Kanzlerin mit den Worten:
„Auf Sie richten sich über Parteigrenzen hinweg viele
Hoffnungen, dass es Ihnen als Ratspräsidentin gelingen
möge, den entscheidenden Durchbruch zu erreichen.”
Angesichts verbreiteter Ängste vor einem „Europa als
Superstaat” erinnert Merkel die auch hier im Saal anwesenden
Verfassungsskeptiker daran, dass der gescheiterte Vertrag genau
diese Ängste berücksichtigt habe, indem er die nationalen
Parlamente, die Regionen und die Subsidiarität gestärkt
habe. Den Kritikern hält sie vor, dass etwa 18 bis 22
Mitgliedstaaten mit dem vorliegenden Vertrag einverstanden seien.
Es könnten ja nicht allein jene das Sagen haben, die
Veränderungen wollten, sondern es bedürfe eines fairen
Ausgleichs zwischen beiden Lagern. Deutschland strenge sich an, die
Dinge voranzubringen.
Wie es sich für ein Familientreffen gehört, wird ein
„Familienfoto” mit der Kanzlerin geschossen. Dabei sind
auch die Kroaten und Mazedonier, die zwar noch nicht zur Familie
gehören, aber immerhin ordentliche Beitrittskandidaten sind.
Das sind die Vertreter der neuen EU-Nachbarstaaten Ukraine und
Moldawien nicht. Sie wurden auf Wunsch der Balten, Polen und
Tschechen als Gäste eingeladen, was möglich ist, da die
Agenda dafür einen inhaltlichen Anknüpfungspunkt
bietet.
Dieser ergibt sich beim Thema „Die EU und ihre östlichen
Nachbarn — Russland, Osteuropa, Zentralasien”. Und so
darf mit Natalia Prokopowych erstmals eine Parlamentarierin aus der
Ukraine das Wort auf einer COSAC-Konferenz ergreifen. Die Zukunft
ihres Landes, so sagt sie, sei untrennbar mit der Europäischen
Union verbunden. Das bedeute aber nicht, dass ihr Land um jeden
Preis Mitglied werden wolle. Grigore Petrenko, Vorsitzender des
moldawischen „Ausschusses für Außenpolitik und
europäische Integration” ist nicht so
zurückhaltend. Er betont, seine Teilnahme an der Konferenz
habe für sein Land große Bedeutung. „Wir haben
lange darauf gewartet.” Auf lange Sicht wolle sich Moldawien
das Recht verdienen, der europäischen Familie beitreten zu
können.
Umstrittene Verfassung
Dann erlebt Matthias Wissmann zum Abschied
aus dem Bundestag als COSAC-Präsident noch eine kleine
Premiere: In der 18-jährigen Geschichte der Konferenz hatte
man sich über deren „Schlussfolgerungen” immer
einigen können. Das ist dieses Mal nicht möglich. Die
ungewisse Zukunft des Europäischen Verfassungsvertrages hat
die Fronten zwischen den vielen Befürwortern und den wenigen
Skeptikern so verhärtet, dass sie stundenlang nach einer
gemeinsamen Formel zum weiteren Verfassungsprozess suchen
müssen. Alles spitzt sich auf die Frage zu, ob Substanz und
Ziele des alten Vertragstextes „gesichert” oder nur
„respektiert” werden sollten. Schließlich kommt
ein Kompromiss zustande. Aber selbst der findet nicht die
ungeteilte Zustimmung. Eine kleine Revolution für die COSAC,
die in der Regel konsensfähige Ergebnisse hervorbringt. Aber
kaum ein europäisches Thema bewegt die Gemüter der
Menschen in den EU-Staaten — und damit eben auch bei den
Parlamentariern — so wie der Verfassungsvertrag. Und
schließlich machen Konflikte und der Streit um den besseren
Weg das Wesen demokratischer Politik aus.
Das Schlusswort hat Armando Franca aus der portugiesischen
Delegation, die im zweiten Halbjahr den COSAC-Vorsitz innehaben
wird. Er beglückwünscht die Deutschen zu der
ausgezeichneten Organisation und sagt: „Wir heißen Sie
schon jetzt herzlich willkommen zu unserer nächsten
COSAC-Sitzung in Lissabon.”
Text: Klaus Lantermann
Erschienen am 18. Juni 2007
Was ist die COSAC?
Die Konferenz der Europaausschüsse ist
ein parlamentarisches Gremium auf EU-Ebene. Die COSAC (Conference
of Community and European Affairs Committees of Parliaments of the
European Union) setzt sich aus Vertretern der Europaausschüsse
der nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und Vertretern des
Europäischen Parlaments (EP) zusammen. Ihr Entstehen ist das
Ergebnis einer Konferenz der Parlamentspräsidenten der
EU-Mitgliedstaaten und des EP 1989. Die COSAC tritt in der Regel
einmal pro Halbjahr zusammen. Zunächst informelles Forum,
wurde sie mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 aufgewertet: Das
„Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen
Parlamente in der Europäischen Union” legt fest, dass
die COSAC jeden ihr zweckmäßig erscheinenden Beitrag
für die Organe der EU leisten kann. Sie kann sowohl
Vorschläge im Zusammenhang mit der Errichtung eines Raums der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts prüfen als auch
Überlegungen zur Rechtsetzung, vor allem über die
Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, vorlegen.
www.cosac.eu