Mit dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist nicht nur das Neubauensemble im Berliner Parlamentsviertel komplett geworden. Es kamen mit dem „Kunst-Raum“ auch ständige Ausstellungsräume dazu, mit denen der Bundestag Akzente in der brodelnden Kunstszene der Hauptstadt setzt: Mit wechselnden Ausstellungen unterstreicht er das Ziel, eine besonders attraktive und zum Nachdenken anregende Verbindung zwischen Kunst und Politik zu schaffen.
Mit seinem Umzug vom Rhein an die Spree ist der Bundestag nach Einschätzung von Andreas Kaernbach, dem Kurator der Bundestagskunstsammlung, „in die kulturell vielleicht lebendigste Stadt Europas gekommen“. Wo sich in der jungen Kunst, auch durch die Öffnung und die Nähe zu Osteuropa so unendlich viel entwickele, wäre es sehr schade gewesen, wenn das Parlament abseits gestanden hätte. Dank des Kunst-und-Bau-Programms und dank des „Kunst-Raums“ als ständigem Ausstellungsraum sei der Bundestag nun „mittendrin“.
Die ersten fünf Ausstellungen lassen das Konzept deutlich werden: Kunst und Politik zusammenzubringen. Brückenschläge zu ermöglichen, und zwar nicht nur solche über das Parlament hinaus in die Kunst, sondern auch solche in das Parlament hinein, also beispielsweise die Präsenz eines Künstlers aus dem Kunst-und-Bau-Programm temporär mit einer größeren Werkschau zu ergänzen. So wie bei Schau Nummer fünf mit Marino Marini. Dessen „L’idea di un’ immagine“ kann als Skulptur gewordener Angstschrei interpretiert werden: Hat der Reiter sein sich aufbäumendes Pferd noch im Griff? Entgleitet dem Menschen die Herrschaft über seine Mittel? Diese apokalyptische Beängstigung steht auf der großen Freitreppe des Marie- Elisabeth-Lüders-Hauses. Im September 2006 weist wenige Meter davon entfernt im Kunst-Raum eine Marino Marini gewidmete Sonderausstellung auf das Lebenswerk des 1980 gestorbenen Künstlers. Eine Idee, die in Berlin so viel Anklang findet, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz spontan ihr Mitwirken bekundet.
Zuvor geht der Bundestag auf das Ereignis ein, das Millionen Menschen in seinen Bann zieht: die Fußballweltmeisterschaft. Um das Parlament herum gibt es viel Andrang in einer Feiermeile, in einer Veranstaltungsarena, und der Bundestag bringt den Besuchern das Parlament in der „Bundestagsarena“ näher, einem Pavillon in Form der Reichstagskuppel neben dem Paul-Löbe-Haus. Dazu gesellt sich eine Ausstellung, wieder ein Brückenschlag, dieses Mal einer zwischen Fußball und Kunst.
Im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus sind Fußballplakate und ihr Entstehen aus den Originalentwürfen zu sehen. Der Clou: Zur Eröffnung steht erstmals auch ein deutscher „Kaiser“ im Deutschen Bundestag im Mittelpunkt – Fußball-„Kaiser“ Franz Beckenbauer enthüllt ein Porträt, das die Künstlerin ?Strba von ihm gefertigt hat.
Gesichter der Politik
Schon die Eröffnung des Kunst-Raums Ende September 2005 drückt Programmatik aus. Herlinde Koelbls fotokünstlerischer Längsschnitt durch die Entwicklung von Politikern, gewonnen anhand ihrer Porträts, ist im besten Sinne Dialog zwischen Politik und Kunst. Nicht von ungefähr heißt die erste Ausstellung „Wille, Macht und Wandel“ – ein genaues Studium der Gesichter von herausragenden Persönlichkeiten zeigt im Verlauf der Jahre die Willensstärke des einzelnen Menschen, der nur zu gern in Verantwortung drängt. Die Kameralinse verzeichnet im Verlauf der Jahre die Spuren der Macht und dokumentiert die Veränderungen in den Gesichtern, in den aufgefangenen Stimmungen, in den jeweiligen Mimiken.
Die in der ersten Schau Exponierten sind handelnde Politiker. Dagegen greift die zweite Ausstellung zurück, bildet eine Brücke in die Vergangenheit der Symbiose von Kunst und Politik. „Licht Bild Skulptur“ heißt sie, die bis Ende Februar 2006 läuft. Sie zeigt fotografische Impressionen der Skulpturen von Bernhard Heiliger (1919–1995), der bei näherem Hinsehen sehr viel mit der Politik im Allgemeinen und dem Bundestag im Besonderen zu tun hat. Er war gewissermaßen der „Staatsbildhauer“ der Bundesrepublik. Und über seine Plastik „Kosmos 70“, entstanden zwischen 1963 bis 1969, schuf er eine avantgardistische, gleichsam filigrane wie energiegeladene, optimistische wie aufwärtsstrebende Selbstpräsentation der Republik wenige Meter von der Mauer entfernt. Sie war im Westfoyer des Reichstagsgebäudes zwischen 1970 und 1994 aufgehängt, schwebte sozusagen über den Besuchern, wurde zum Symbol des Westens an der Nahtstelle von Ost und West. Wiewohl, wie alle anderen Plastiken Heiligers, in den Ausstellungsräumen eigentlich nur in Bildern präsent, holt sie der Bundestag für diese Schau live mit hinein – eine Webcam ist zum Gropius-Bau geschaltet, wo sie im Original zu dieser Zeit Teil einer Heiliger-Retrospektive ist.
Bei der Ausstellungseröffnung geht Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) auf die „besondere Gabe“ Heiligers ein, Skulpturen zu bildkräftigen Symbolen zu überhöhen für die Werte, die das demokratische Gemeinwesen auszeichnen, die Gesellschaft zusammenhalten, und er fügt hinzu: „Ich würde es gerne sehen, wenn dieses Symbol des Freiheitswillens und der demokratischen Gesinnung wieder einen herausgehobenen Platz in den Parlamentsbauten finden würde.“
Atelieratmosphäre
Die dritte Ausstellung kommt mit einem einzigen Wort aus: Strawalde. Unter diesem Namen ist der Filmemacher Jürgen Böttcher als Maler bekannt. Die Schau im Bundestag führt beide Talente zusammen. Und sie schlägt einen Bogen zu den drei Bildern Strawaldes, die als Bestandteil des Kunst-und-Bau-Programms im Arbeitsraum der Kanzlerin im Reichstagsgebäude hängen. Bundestagspräsident Norbert Lammert räumt dieser Hängung bei der Ausstellungseröffnung im Nachhinein „eine fast seherische Bedeutung“ ein: „Damals war noch nicht so ganz klar, dass ein paar Jahre später nicht nur die erste Frau ins Kanzleramt einziehen würde, sondern dass zum ersten Mal auch eine Repräsentantin aus den neuen Ländern dieses wichtige Amt übernehmen würde.“ Mit der Ausstellung lassen sich diese drei Bilder besser einordnen in das Gesamtschaffen Strawaldes, und mit der Ausstellung schlägt der Bundestag auch einen Bogen zu den Bedingungen von Kunst in einer Diktatur: Strawalde und sein Dresdner Künstlerkreis verweigerten sich den Reglementierungen des sozialistischen Realismus – und hatten die Folgen zu tragen. Zensur, Benachteiligungen in der Förderung, kaum Ausstellungen. Und parallel das Verbot von Dokumentarfilmen.
Und es ist eine Schau, die die ganzen Möglichkeiten der Ausstellungsräume im Marie-Elisabeth-Lüders- Haus nutzt. Ein kleiner, abgedunkelter Raum – ideal für Filmvorführungen oder Diapräsentationen, dazu zwei großzügige Flächen auf zwei Ebenen, die mit großen Fenstern geradezu eine lichtdurchflutete Atelieratmosphäre entstehen lassen. Zusammen mit einem einfachen Zugang: Kein Warten auf sitzungsfreie Zeiten, keine Beschränkung auf Besucherführungen.
Was kommt als Nächstes? Kurator Kaernbach hat, wie er verrät, „natürlich immer eine lange Liste im Kopf“. Darauf stehen die Ausstellungsthemen, die er sich für die Ausstellungsräume des Bundestages wünscht. Aber er handelt zusammen mit dem Kunstbeirat nach der Devise. „Lieber drei gut erarbeitete als vier mühsam durchgepeitschte Ausstellungen.“ Eines darf dabei auch nie vergessen werden: Die Parlamentarier selbst und die vielen Besucher haben große Freude an der Kunst in den Parlamentsräumen. Doch der Bundestag ist und bleibt der Gesetzgeber – und nicht die Nationalgalerie. Und das bedeutet auch, dass sich die Planungen an den Rhythmus der Legislaturperioden anlehnen, damit jeder Kunstbeirat verantwortlich über die Vorhaben in seiner Wirkungszeit entscheiden kann.
« Vorheriger Artikel Nächster Artikel »
<<!-- RIGHTS --> Text: Gregor MayntzKunst-Raum im Deutschen
Bundestag