Susanne Kastner ist Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und seit 2002 Mitglied des Präsidiums. Sie baut darauf, dass gute Ideen sich auch verwirklichen lassen.
Auf dem Dach des Paul-Löbe-Hauses kann fast jede „Seh-Sucht“ befriedigt werden. Die Hauptstadt zeigt ihre schönsten Seiten. Wenn dann auch noch die Sonne scheint, sieht sie geradezu aufgerüscht aus. Beim Blick auf den neuen Hauptbahnhof gesellt sich zur „Seh-Sucht“ vielleicht auch die Sehnsucht. Dort hinten fahren Züge in die Welt und bringen die Welt in diese Stadt.
Susanne Kastner hat sich diesen Ort, an dem sie auf einem Barhocker von Max Bill sitzt, vielleicht ausgesucht, weil er Perspektiven aufmacht und den Blick weitet. Oder weil sie neugierig ist. Denn das ist sie auf jeden Fall: eine neugierige Politikerin. Erpicht darauf, Sachen auszuprobieren, Projekte zu wagen, zu schauen, wohin die Dinge laufen, wenn man sie anstößt und in Bewegung bringt.Susanne Kastner, Jahrgang 1946, von Beruf Religionspädagogin, sitzt und arbeitet seit 1989 im Deutschen Bundestag. Das ist eine lange Zeit und man könnte meinen, dass es nicht einfach ist, sich über so viele Jahre zu motivieren und — viel wichtiger noch — andere immer wieder mitzureißen. Oder einfach nur mitzunehmen, wenn man nicht gleich so hoch greifen möchte.Wer mit Susanne Kastner spricht, meint schnell zu spüren: Die Frau kann das. Sie kann lachen, dass es einer das Herz wärmt, sie kann Geschichten erzählen, sie wirkt und redet wie eine, die bei allem, was sie tut, bei sich bleibt.Nehmen wir die Sache mit der Jugend. Es ist ein Versprechen, das sich Susanne Kastner gegeben hat. Sie wollte und will jungen Menschen Politik nahebringen. Die interessieren sich nicht zwingend dafür, wie der Deutsche Bundestag arbeitet. „Es kommen viele Schulklassen in den Bundestag. Und wenn ich mit den Schülerinnen und Schülern rede, merke ich, dass viele nicht wissen, was Demokratie in der Praxis bedeutet und welche Möglichkeiten sie eröffnet. Also haben wir uns ein Projekt überlegt, mit dem wir rausgehen. In die Schulen.“„Wer Politik richtig und gut betreiben will, der verbringt damit die meiste Zeit. Aber ich habe durch meine Arbeit im Bundestag enorm dazu gewonnen. So viel erfahren, gelernt, bewegt, angestoßen, initiiert.“
Dort passiert dann Folgendes: Die Jugendlichen spielen Bundestag. Eine ernst zunehmende Angelegenheit. Sie schlüpfen in die Rollen von Abgeordneten, wählen, diskutieren, beschließen, gründen Fraktionen, machen Gesetze. Das erste Planspiel „Parlamentarische Demokratie spielerisch erfahren“ fand im Wahlkreis von Susanne Kastner statt, im unterfränkischen Hammelburg. Sie war dabei und hat beobachten können, welches Bild Jugendliche von Politik haben. Eine spannende Erfahrung.Susanne Kastner ist eine Initiatorin. 2006 fanden im Bundestag die Jugendmedientage statt. Unter ihrer Schirmherrschaft, vor allem aber mit ihrer engagierten Unterstützung. Rund 600 junge Medienmacherinnen und Medienmacher aus der ganzen Republik haben teilgenommen, die drei Tage waren ernstes Projekt, fröhliches Spektakel und harte Arbeit zugleich. Jetzt denkt die Politikerin darüber nach, was im Jahr 2007 sein könnte, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Da wäre doch ein europäischer Jugendmedienworkshop mit Menschen vor allem auch aus den neuen Beitrittsländern eine gute Idee. Es wäre nicht der erste Jugendmedienworkshop — der findet inzwischen jährlich im Bundestag statt —, aber eben ein ganz besonderer.Susanne Kastner hat in ihrem Leben schon viele Ideen gehabt, wie die mit den Medienwerkstätten für Jugendliche, und sie dann auch durchgesetzt. Das hat etwas mit Selbstbewusstsein, Erfahrung und sicher auch mit Mut zu tun. „Man muss den Mut haben, Dinge anzupacken.“1976 zum Beispiel wurde die damals 30-jährige Mutter von drei Kindern, verheiratet mit einem Theologen, Mitglied im Gemeinderat Maroldsweisach. Sie war die erste Frau in diesem Gremium und galt als ein wenig aufsässig. Weil sie viele Fragen stellte. Damals habe sie gelernt, sagt sie, dass man Koalitionen schmieden und hin und wieder über Grenzen gehen müsse. Sonst sei nicht viel zu bewegen.„Man muss den Mut haben, Dinge anzupacken.“
„Das wäre dann vielleicht auch die Befriedigung einer kleinen „Seh- Sucht“. Obwohl auf dem Dach des Paul-Löbe-Hauses bei strahlendem Sonnenschein kaum ein Wunsch offen bleibt. Höchstens, dass man gerne selbst in einem der Züge säße, die den Hauptbahnhof Richtung Welt verlassen.Koalitionen hat Susanne Kastner eigentlich schon in ihrer Familie geschmiedet. Ihr Vater, den sie ihr größtes Vorbild nennt, war Mitglied der CSU und Susanne fühlte sich eher zur SPD hingezogen. Streit, Auseinandersetzung, Kompromisse, Verständnis füreinander und die jeweils andere Position, all das gehört dazu, wenn man in einer solchen Familie groß wird. Und es hat sie geprägt.Unter veröffentlichungspflichtige Angaben stehen bei Susanne Kastner unter anderem als Ehrenämter: Vorsitzende des Deutsch-Rumänischen Forums e.V., Vorsitzende Rumänien- Soforthilfe e.V.Das rumänische Arad, das ist eine Geschichte. Ende 1989 erreichte Susanne Kastner der Hilferuf eines deutschen Arztes, der dort in einem Krankenhaus arbeitete. Die Abgeordnete sammelte in ihrem Wahlkreis sofort Hilfsgüter und machte sich damit auf den Weg nach Rumänien. Seitdem ist sie von diesem Land, in dem noch immer so viel Armut herrscht, nicht losgekommen. Sie gründete eine Hilfsorganisation und ein Patenschaftsprogramm. Sie warb um Spenden für Projekte. „Das ist keine einfache Sache, Geld für Rumänien zu bekommen. Harte Arbeit ist das.“ Von einem Teil des Geldes wurde ein Kinderhaus für Sozialwaisen gegründet. Und ein Appartement in Arad gekauft, in dem Jugendliche noch eine Zeit haben, bevor sie ins nicht einfache Leben ziehen und für sich selbst sorgen müssen. Auf das Kinderhaus ist die Parlamentarierin stolz. Es war ein lange gehegter Traum.Kurz nach der Revolution in Rumänien hatte Susanne Kastner ein Heim besucht, in dem 120 Kinder lebten. „Das war ein fürchterliches Erlebnis, diese Zustände sind kaum zu beschreiben. So viel Elend. Davon können sich die Menschen hier kaum eine Vorstellung machen.“Susanne Kastners Bindung an Rumänien ist eng und emotional. Auch wenn oder gerade weil all die Unterstützung, die sie organisiert, ganz und gar praktische Lebenshilfe ist. Die Abgeordnete Kastner steht zudem der deutsch-rumänischen Parlamentariergruppe vor. Und seit zwei Jahren wohnt die Tochter in Rumänien, mit Mann und zwei Kindern. Susanne Kastner hat den Jahreswechsel dort verbracht, in Hermannstadt alias Sibiu, das 2007 Europäische Kulturhauptstadt ist. Das war ein tolles, unvergessliches Erlebnis. Dieses Land, an dem ihr so viel liegt, macht Fortschritte und ist jetzt Mitglied der Europäischen Union.Susanne Kastner ist nicht nur leidenschaftliche Politikerin, sondern auch eine engagierte Botschafterin für die parlamentarische Demokratie. So war sie im November 2006 in Tansania und Südafrika, wo sie vor Repräsentanten aus 45 afrikanischen Ländern, im Panafrikanischen Parlament, gesprochen hat. Sie ist ein bisschen stolz darauf, dass sie dort von ihren Erfahrungen berichten konnte.„Wer Politik richtig und gut betreiben will, der verbringt damit die meiste Zeit. Aber ich habe durch meine Arbeit im Bundestag enorm dazugewonnen. So viel erfahren, gelernt, bewegt, angestoßen, initiiert. Dafür bin ich dankbar und dann stört es mich auch nicht, dass die freie Zeit so knapp bemessen ist.“In dieser Zeit findet wenigstens einmal im Jahr eine Fahrradtour mit Freunden statt. „Wir sind die Methusalemreisen, wir werden schließlich alle älter“, sagt Susanne Kastner und lacht. „Die Strecken sind deshalb aber keineswegs kürzer geworden. Mal sehen, vielleicht schaffen wir demnächst mal eine Tour durch die baltischen Staaten oder den Donauradweg.Susanne Kastner (SPD)
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Geboren
11. Dezember 1946 in Karlstadt/Main
Wohnort
Maroldsweisach
Ausbildung
Studium der Religionspädagogik an der
religionspädagogischen Hochschule in München
Ehrenpromotion
Dr. h.
c. der Aurel-Vlaicu-Universität in Arad,
Rumänien
Beruf
Religionspädagogin
Familie
verheiratet, drei erwachsene Kinder, fünf
Enkelkinder
Politischer
Werdegang
Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 31. Januar 2007