Michael Roth trifft Gábor Tarkövi im Kammermusiksaal der Philharmonie am Potsdamer Platz
An diesem Samstagnachmittag bleibt nur Zeit für eine kurze Begegnung. Berlin steht ein wenig Kopf. Europa wird gefeiert und am Abend findet in der Philharmonie ein Festkonzert statt. Gábor Tarkövi, seit 2004 Solotrompeter der Berliner Philharmoniker, wird dabei sein, und am nächsten Morgen schon reist das Orchester für zwei Wochen nach Salzburg. Zwischen der Probe am Vormittag, den Vorbereitungen auf den Auftritt am Nachmittag, Kofferpacken, Konzentration und Kontemplation trifft der Musiker Tarkövi den Politiker Roth.
Der eine 1969 im ungarischen Esztergom geboren und aufgewachsen in Csolnok, einem Dorf unweit von Budapest. Der andere 1970 im osthessischen Heringen (Werra) und unweit der innerdeutschen Grenze zur Welt gekommen. Tarkövi ist ein Ungar deutscher Abstammung, die ungarische Sprache lernte er im Kindergarten. „Meine Vorfahren kamen im 18. Jahrhundert von Österreich nach Ungarn und hießen Hilbert und Quintz.” Der Großvater nahm, um Kapellmeister einer Brasskapelle werden zu können, den Namen Tarkövi an. Der Sohn führte die Tradition fort, und so war es nur logisch, dass der Enkel Gábor mit vier Jahren begann, Trompete zu spielen.
Gábor Tarkövis Leben ist von der Musik getaktet. Er wollte nie etwas anderes tun, es hat ihn immer ausgefüllt und erfüllt, Musik ist Leidenschaft und Broterwerb zugleich. Man kann sagen, dass sich Michael Roth mit ebensolcher Zielstrebigkeit und Leidenschaft früh auf den Weg in die Politik gemacht hat. Zwar ist er Mitglied im Volkschor Frohsinn, aber dies zur Unterstützung und nicht als Sänger. Der SPD-Abgeordnete sitzt seit 1998 im Deutschen Bundestag und macht schon einige Jahre Europapolitik. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe, hat in dem Partnerland viele Menschen kennengelernt, allerdings noch keinen Trompeter. Alle, die er in Ungarn kenne, sagt er, seien freundliche Menschen, und vielleicht ist es ja so, dass es nur freundliche Ungarn gebe. Gábor Tarkövi widerspricht nicht, natürlich sind Ungarn großartige und liebenswerte Menschen. Und Ungarn selbst, erzählt der Musiker, habe auf viele seiner Freunde eine beruhigende, entspannende Wirkung.
Michael Roth (Bild oben links) trifft
Gábor Tarkövi im Kammermusiksaal der Philharmonie am
Potsdamer Platz (© DBT/studio kohlmeier)
Im Kammermusiksaal der Philharmonie ist Probenpause. Die beiden Männer stehen in dem leeren Raum und Gábor Tarkövi spielt einige wenige Töne auf seiner Trompete. Man muss nicht vom Fach sein, um zu hören, dass hier einer spielt, der ein Könner ist. Er hat bei berühmten Musikern gelernt, war Solotrompeter beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und beim Berliner Sinfonie-Orchester (heute Konzerthausorchester). Er hat in vielen Ländern der Welt gespielt, war an Schallplattenproduktionen beteiligt, gibt Meisterkurse, um den Nachwuchs zu fördern. Und bei allem ist er ein freundlicher, zugewandter Mensch geblieben, einer, der den Eindruck macht, als ruhte er in und bliebe stets bei sich.
Gábor Tarkövi und Michael Roth reden über ihren jeweiligen Musikgeschmack, und da passt nicht viel zusammen. Aber das spielt auch keine Rolle. Man muss einfach Musik mögen, das ist wichtig.
Michael Roth ist da ein Wanderer zwischen den Welten, mag Klassik und hört genauso gern Depeche Mode. Gábor Tarkövi ist ein Musiker mit vielen Facetten. Natürlich klassische Musik. „Aber spielte ich nur Klassik”, sagt er, „wäre es langweilig.” Zu Hause stehen rund 60 CDs mit Musik von Miles Davis im Schrank. Und Gábor Tarkövi ist Teil einer Gruppe, einer fünfzehn Mann starken Freundschaft, die den Namen „Pro Brass” trägt. Dieses ausgesprochen kreative Blechbläserenensemble könnte Michael Roth gefallen. Die österreichisch-ungarische Band wird von vielen ob der Experimentierfreude, des Temperaments und der Leidenschaft, mit der gespielt wird, geliebt. Zeit dafür muss sein, sagt Tarkövi, der täglich mindestens drei Stunden übt, unzählige Auftritte hat, dessen Familie — Frau und zwei kleine Söhne — in Budapest lebt und der mit dieser Aufzählung den Eindruck erweckt, der Tag könnte doch mehr als 24 Stunden gebrauchen.
Zeit ist auch für einen Politiker kostbares Gut und oft genug durch viel zu viel Dinge, die man gleichzeitig tun oder mindestens nicht unterlassen möchte, gerastert. Die Tage sind zu kurz, die Woche könnte mehr Tage vertragen, das Jahr geht zu schnell vorbei, und manchmal hielte man gern inne, so wie vielleicht jetzt, und ist doch schon wieder auf dem Sprung.
Am Ende des kurzen Gesprächs kommt man auf den Begriff „Erwartungshaltung”. Mit großen Erwartungen sind Künstler wie Politiker immer konfrontiert. Sie nähren sie auch, denn aus gehaltenen Versprechen wachsen Erfolg und Zufriedenheit. Und doch birgt jede Erwartungshaltung auch immer Ungeduld und möglichen Misserfolg. In der Politik, sagt Roth, sei es besser, wenn die Menschen nicht nur auf ihre eigenen Erwartungen bauten, sondern sich einbrächten und mittäten.
Da hat es einer wie Gábor Tarkövi besser. Er muss zwar stets gut sein und immer besser werden, um die Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Aber mittun braucht das Publikum nicht.
Es darf sich einfach nur von ihm verzaubern lassen.
Fläche: 93.000
Quadratkilometer
Einwohner: rund 10,1 Millionen
Währung: Forint
Hauptstadt: Budapest
Amtssprachen: Ungarisch
Staatsform: Republik
Nationalhymne: Himnusz/„Isten áldd meg a magyart”
(„Gott segne die Ungarn”)
Kfz-Kennzeichen: H
Telefonvorwahl: +36
EU-Mitglied seit: 1. Mai 2004
Nationalfeiertag: 15. März (Gedenken an die
Revolution 1848/49), 20. August (Fest des Heiligen Stephan), 23.
Oktober (Volksaufstand 1956)
Interessant: Pro Kopf und Jahr verbrauchen die
Ungarn 10 Kilogramm Frischpaprika und 5 Kilogramm
Paprikapulver.
Fraktion: SPD
Geboren: 24. August 1970 in Heringen (Werra),
(Hessen)
Wohnort: Heringen (Werra)
Ausbildung: Studium der Politologie, des
Öffentlichen Rechts, der Germanistik und Soziologie
Beruf: Diplom-Politologe
Stv. Vorsitzender der Deutsch-Ungarischen
Parlamentariergruppe
michael.roth@bundestag.de
www.michael-roth.eu
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Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 11. Mai 2007