Zett De Vau — wer wissen will, wie was in der Bundeswehr funktioniert, der schaut in die „Zentrale Dienstvorschrift” (ZDv). Und wer ergründen möchte, was die Bundes wehr von allen anderen Armeen der Welt unterscheidet, der kann 66 handliche Seiten als Sonderdruck der „ZDv 10/1” durcharbeiten oder sich vor allem zwei Wörter merken: „Innere Führung”.
Die „Innere Führung” ist der Oberbegriff, der
„Staatsbürger in Uniform” der Ausgangspunkt oder,
wie General Alois Bach zusammenfasst: „Das Konzept der
Inneren Führung ist die wichtigste geistige Grundlage für
den Dienst in der Bundeswehr — alle Soldatinnen und Soldaten,
vom Rekruten bis zum Generalinspekteur, sollen gemeinsame
Grundauffassungen über den Sinn ihrer Aufgaben und ihrer
Pflichten, über ihre Rechte und ihre Verantwortung
haben.”
General Bach ist Kommandeur des Zentrums Innere Führung, eine
Art „Trainerakademie” für das
Führungspersonal der Bundeswehr. Hier lernen die Vorgesetzten,
wie sie ihren Untergebenen die Werte des Grundgesetzes vorleben,
hier bekommt die Konstruktion vom „Primat der Politik”
konkrete Gestalt, und hier werden zu den zeitlosen Grundsätzen
der Inneren Führung praktische aktuelle Ergänzungen
entwickelt. So schicken Bach und seine Mitarbeiter auch Teams in
die Truppe, um das Führungsverhalten der Vorgesetzten zu
verbessern. Bach: „Zivilpopulär würde man das
,Coaching? nennen.” Viele Überlegungen zum
„Eigenbild” und „Fremdbild” der
Vorgesetzten lassen sich letztlich auf einen Satz reduzieren:
„Behandle deine Untergebenen so, wie du von deinen
Vorgesetzten behandelt werden willst.”
Statt Innerer Führung, dem mitunter zunächst nur schwer
mit konkreten Inhalten zu verbindenden Begriff, kann man auch von
einem inneren Kompass sprechen. Dieser bedeutet für jeden
Soldaten, dass er in jeder Sekunde seines Dienstes für das
Vaterland überprüfen muss, ob die „von oben”
vorgegebene Richtung auch wirklich dem entspricht, was seine innere
Richtungsanzeige bestätigt. Der Soldat darf sich nicht von
außen kritiklos führen lassen, er muss sich stets
bewusst machen, was ihm sein eigenes Gewissen sagt, dies mit seinem
Wissen über die geltende Rechtslage abgleichen und vor diesem
Hintergrund die Handlungssituation refl ektieren. Hier kommt das
Prinzip von Befehl und Gehorsam an die vom Bundestag gewollten
Grenzen.
Es ist der radikale Bruch mit den traditionellen und landläufi
gen Vorstellungen vom Militär. Das Parlament wollte keine
Armee, die als uniformes Instrument eines Machthabers einfach
„funktioniert”, zusammengesetzt aus dumpfen
Kämpfertypen, die alles tun, was man ihnen sagt, und von denen
im Zweifel niemand mehr für sein Handeln verantwortlich ist.
Nein, der Bundestag sah von Anfang an im selbstbewussten und
selbstverantwortlichen Menschen in Uniform eine wichtige Garantie
gegen einen Rückfall in alte Zeiten mit leidvollen
Erfahrungen.
Neue Herausforderungen
Deshalb steht auch Artikel 1 des Grund gesetzes im Zentrum
soldatischer Verpflichtungen nach dem Prinzip der Inneren
Führung: „Die Würde des Menschen ist
unantastbar.” Das ist, wie die Zentrale Dienstvorschrift
betont, „Staatszweck und Staatsziel der Bundesrepublik
Deutschland” — und damit bestimmend auch für den
Zweck und das Ziel aller soldatischen Handlungen. Die Grundrechte
insgesamt binden die Angehörigen der Bundeswehr „in
besonderer Weise”, wie die Vorschrift herausstellt, und zwar
„an jedem Ort und zu jeder Zeit”.
Zu jeder Zeit. Das bezieht sich nicht nur auf den Alltag des
Soldaten, sondern letztlich auch auf die Entwicklung der Bundeswehr
in einem wiedervereinigten Deutschland mit neuen Anforderungen. Der
Wandel von der Verteidigungs- zur weltweiten Einsatzarmee stellt
auch das Prinzip der Inneren Führung vor völlig neue
Herausforderungen. Bach: „Früher waren die
Bundeswehrsoldaten auf ihre Kämpferrolle fixiert, und
allenfalls die Kommandeure standen mit ihren Entscheidungen in der
Öffentlichkeit. Heute sind die Funktionen des Schützens,
des Helfens und des Rettens hinzugekommen, und jeder Leutnant,
jeder Hauptfeldwebel kann im Auslandseinsatz mit seinem Auftreten
in den Fokus geraten.”
Der Bundeswehrsoldat braucht heute ein besonderes Belastungs- und
Stressmanagement, seine Sprachkenntnisse sind mehr gefordert denn
je, ebenso seine interkulturelle Kompetenz. Bach bringt es als
Frage auf den Punkt: „Wie geht der Bundeswehrsoldat im
Einsatz sowohl mit Kameraden aus anderen Länden als auch mit
den Zivilisten anderer Kulturen und Nationen um?” Wie aus den
Einsatzgebieten zu hören ist, scheinen die Antworten immer
wieder zu überzeugen.
Und die Skandale? Bach verweist auf Verkehrsunfälle. Danach
gehe es auch nicht um die Straßenverkehrsordnung, sondern
darum, wer sich hier falsch verhalten hat. „Natürlich
werden auch Fehler gemacht. Aber die Grundsätze, die
stimmen.”
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Erschienen am 18. Juni 2008