Die Grenzen Europas werden eines Tages geografisch und inhaltlich dort auszumachen sein, wo die EU nicht mehr handlungsfähig sein kann, wo sie ihrem Charakter als „Einheit in Vielfalt“ selbst nicht mehr gerecht werden kann, oder schlichtweg dort, wo ein beiderseitiger Mehrwert nicht mehr gegeben ist.
Es wäre unverantwortlich, heutige Landesgrenzen als ultimative EU-Außengrenze zu definieren. Genauso falsch wäre es jedoch, die EU als „allgemeinen Mitgliederverein“ misszuverstehen. Wo auch immer die Grenzen liegen: ihren Charakter als Union der Freiheit, der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, organisiert nach den Prinzipien der Marktwirtschaft, der Subsidiarität und der gemeinsamen Verantwortung wird sich die EU in jedem Falle bewahren.
Leider hat die Bundesregierung selbst den Zeitdruck mit aufgebaut, unter dem zum Ende des Jahres über die Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei entschieden werden muss. Damit sind Erwartungen geweckt worden, hinter die die EU jetzt kaum mehr zurückgehen kann – vorausgesetzt, die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die Türkei die Kriterien für einen Verhandlungsbeginn erfüllt.
Die Türkei hat einen beachtlichen Reformprozess begonnen und ist der wichtigste Modellfall für die Vereinbarkeit von westlicher Demokratie und Islam. Die Türken einfach abzuweisen, könnte deshalb zu einem gefährlichen Rück-schlag führen. Ob am Ende der Verhandlungen die Vollmitgliedschaft steht oder doch eine enge Partnerschaft, wird vor allem davon abhängen, ob die Türkei die Voraussetzungen erfüllt, ob die EU sich durch mutige Reformen in die Lage versetzt, einen so großen und schwierigen Partner zu integrieren, und ob sich alle darüber im Klaren sind, dass die EU auf einen Prozess immer tieferer Integration ausgelegt ist, der am Tage des Beitritts nicht endet, sondern auch bei Wahrung des Subsidiaritätsprinzips die Bereitschaft zu weiteren Souveränitätsübertragungen voraussetzt.
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