Der international preisgekrönte Kurzfilm „Was weiß der Tropfen davon” betrachtet den Bundestag mit den Augen des afrikanischen Putzmannes João Baroso.
Noch bevor die ersten Sonnenstrahlen die Spitzen der
Hochhäuser ertasten, eilt João Baroso durch die
verwaisten Straßen im Parlamentsviertel. Im
Paul-Löbe-Haus streift er seinen Blaumann über. Den Wagen
mit Reinigungsmitteln und Mülltrennungsbehältern schiebt
der Afrikaner in seinen Putzbereich, die unterirdische Passage
zwischen den Bundestagshäusern. Er kontrolliert die Uhr. Punkt
fünf ist Arbeitsbeginn, da muss er mit dem Schrubber in der
Hand antreten. Und dann fegt und wischt er, mit großer
Sorgfalt für jeden einzelnen Tropfen.
Stunden später strömen die Abgeordneten durch die
Unterführung in ihre Ausschussräume und den Plenarsaal,
wo sich die Mikrofone und Objektive auf sie richten. Eine Kamera
jedoch hat an diesem Tag nur Baroso im Visier. Der
dunkelhäutige Putzmann steht im Mittelpunkt eines Kurzfilms.
In „Was weiß der Tropfen davon” dokumentiert der
Filmemacher Jan Zabeil die Arbeit einer multinationalen Putzkolonne
im Herzen der deutschen Politik.
Zabeils poetischer Film beginnt mit einer Einstellung auf endlose
Korridore aus Glas und Beton. Dazu erklingt die Stimme Barosos:
„Das erste Mal war wie ein Schock.” Die Politiker, die
Räume, all das kannte er nur aus den Nachrichten. Jetzt
spricht er vom Putzen und Wählen, von Mülltrennung und
Fraktionen. Ein bisschen erzählt der Film auch seine
Geschichte. Dass der kräftige Mann mit den Sommersprossen und
dem breiten Lächeln einmal parlamentarischen Boden bohnern
würde, war nicht geplant. Deutschland war nicht geplant. Es
ist das Jahr 1990, in Angola im Südwesten Afrikas tobt der
Krieg, und ein Volksstamm bekämpft den anderen. Der
17-jährige João Baroso wird von Freunden in ein
Flugzeug gesteckt. Weit weg vom Blutvergießen bringt es ihn,
via Prag landet er in Berlin. Was er im Moment der Ankunft
fühlt, ist Ohnmacht und Betäubung: „Ich wurde
über der Stadt abgeworfen wie ein Stein.”
Gedicht auf dem Hallenboden
Alles wird plötzlich anders. In Berlin feiern die Deutschen
Wiedervereinigung und wählen ein freies, gesamtdeutsches
Parlament. Der erste Winter kommt. Baroso geht wochenlang nicht aus
dem Haus, aus Angst vor der Kälte. Doch er beginnt zu
verstehen, wie dieses Land funktioniert. Mit der Zeit erhält
sein Leben einen Rhythmus. Er weiß um die Pünktlichkeit
und Korrektheit, die seine Arbeitgeber auf dem Bau von ihm
verlangen. „In Deutschland ist alles nur Uhr”,
resümiert er im Film einmal.
Zehn Jahre später wohnt Baroso in einem Hochhaus in
Berlin-Friedrichshain, zusammen mit Ilola Canga, seiner Frau. Sie
stammt auch aus Angola, doch getroffen haben sie sich hier. Ihre
Kinder Henry und Saline gehen da bereits zur Schule. 2001 heuert
Baroso bei einer Reinigungsfirma an. Vor Sonnenaufgang kommt er am
ersten Arbeitstag zum Treffpunkt. Die Arbeiter werden in zwei Autos
geladen, keiner weiß, wohin. Baroso betritt ein dunkles
gläsernes Gebäude, bekommt einen Ausweis und
Instruktionen. Später erst realisiert er, dass er im Bundestag
gelandet ist. Ein Schock.
Und eine Chance. Im Bundestag ist er mittendrin in der deutschen
Politik. Er, der nie gelernt hat, der Politik zu vertrauen.
„Viele Politiker in Afrika haben eine halbe Armee um sich
herum, die offen ihre Waffen zeigt. In Deutschland haben sie, wenn
überhaupt, zwei Bodyguards, und deren Pistolen stecken unter
dem Jackett.”
Baroso kennt die Fraktionen und ihre Gesichter. Er muss immer
grüßen, so lautet die Regel. Manch einer schaut durch
ihn hindurch. Andere sagen Hallo. Angela Merkel zum Beispiel.
„Als ich sie das erste Mal im Fahrstuhl traf, war ich so
nervös, dass ich nicht mehr wusste, in welches Stockwerk ich
fahren wollte.” Zu dieser Zeit war sie bereits
CDU-Bundesvorsitzende. „Sie war immer sehr früh im
Büro, oft schon um 5.30 Uhr.”
Der Film als Ventil
Drei Jahre lang tritt er im Morgengrauen seinen Weg zum Bundestag
an, wo er Flure bohnert, Scheiben wischt und
vorschriftsgemäß den Müll trennt. „Ich sah
ihn dort. Jeden Morgen, zur selben Zeit, am selben Ort”,
berichtet Jan Zabeil, der 2004 im Bundestag nach Filmideen sucht.
Und er beobachtet einen Kollegen von Baroso, der auf den Knien
Metallbuchstaben poliert. Diese bilden auf dem Hallenboden ein
Gedicht, ein Kunstwerk von Joseph Kosuth: „Der Wind und das
Schicksal haben ihre unabänderlichen Gesetze, nach denen sie
sich bewegen. Aber was weiß der Tropfen davon, den sie vor
sich herfegen?” Worte der deutschen Dichterin Ricarda
Huch.
Zabeil will vom türkischen Putzmann wissen, ob er die
Sätze versteht. Immer mehr Fragen kommen auf. Es wird ein Film
daraus. Durch die Abwesenheit von Anzugträgern und die
durchkomponierten Bewegungsabläufe der Putzleute entsteht eine
eigene Weltstimmung. Die Texte sind spontan. „Mein Film
funktioniert nicht über die kurzfilmübliche
Dramaturgie”, sagt Zabeil, „sondern über
Wahrnehmung und Assoziation.” So entstehen ästhetische
wie skurrile Bilder: Fensterputzer, die in rhythmischen Bewegungen
die vom Sonnenaufgang violett eingefärbte Kuppel säubern.
Ein gelber Putzkran, der wie eine riesige Spinne zur Hallendecke
hochfährt.
„Beim Drehen habe ich die Angst der Leute gespürt, etwas
Falsches zu sagen. Jeder war in Sorge um seinen Job.” Aber
Jan Zabeil baut Vertrauen auf und hört zu. „Zwar
sprechen sie gebrochenes Deutsch und dürfen nicht wählen.
Aber sie stellten existenzielle Fragen.” Nach dem Sinn, dem
Selbstverständnis, der Integration. „Die vermeintlich
deutschen Tugenden der Pünktlichkeit und Sauberkeit werden von
multikulturellen Putztruppen ausgeführt”, stellt der
Regisseur fest. Und zwar mit schwarz-rot-goldenen Putzwedeln.
„Tropfen” findet international Beachtung, im Juni 2008
kassiert Zabeil einen Preis beim wichtigen amerikanischen
Dokumentarfilmfest „Silverdocs”: für seine
„globale Bedeutung”.
Vor der Kamera ist Baroso ganz er selbst. „Zu dieser Zeit war
mein Kopf voller Gedanken. Ich brauchte ein Ventil.” Der Film
kommt wie gerufen. Baroso ist angetan von der Arbeit des
Filmemachers. „Er lässt die Bilder auf sich wirken und
folgt seinem Gefühl.” Schließlich sieht er sich
selbst auf der Kinoleinwand, hört sich selbst zu.
Text: Lydia Harder
Erschienen am 24. September 2008
Jan Zabeil wurde 1981 in Berlin
geboren. Er studiert seit 2003 Kamera an der Hochschule für
Film und Fernsehen „Konrad Wolf” in
Potsdam-Babelsberg.
João Baroso, geboren 1973, floh mit 17 vor
dem Krieg in Angola nach Deutschland. Seitdem lebt er in Berlin,
ist verheiratet und hat zwei Kinder. 2001 fing er als
Reinigungskraft im Bundestag an.