Innere Sicherheit
Schäuble irritiert mit immer neuen Vorschlägen. Das ist Kalkül.
Gern erzählt Wolfgang Schäuble eine Anekdote aus vergangenen Tagen. Es war 1985, Schäuble war unter Helmut Kohl Chef des Kanzleramtes und Deutschland Gastgeber des Weltwirtschaftsgipfels. Auch damals gab es eine Sicherheitsdebatte, immerhin hatte die RAF die deutsche Innenpolitik jahrelang in Atem gehalten. Selbstverständlich war der Luftraum über der Hauptstadt Bonn gesperrt, per Rechtsverordnung. "Und was passiert, wenn ein Flugzeug sich nicht daran hält?", fragte der junge Kanzleramtschef. "Ganz einfach, der bekommt einen Bußgeldbescheid."
Meist nutzt der Bundesinnenminister die Geschichte, um schnurstracks zu seiner Mission zu kommen: Wir haben eine neue terroristische Bedrohungslage und die erfordert andere staatliche Mittel. Im Klartext heißt das, der Rechtsstaat steht vor den größten Umwälzungen seiner Geschichte. Immer neue Pläne mit weiteren Befugnissen für die staatlichen Ordnungshüter im Kampf gegen den weltweiten Terror zieht Schäuble aus der Schublade. Über allen Überlegungen steht die Angst, Deutschland könnte nach Spanien und Großbritannien das nächste Opfer eines Anschlages werden. "Es kann uns jederzeit treffen", warnt der Minister. Wie nah die Selbstmordattentäter sind, zeigten die Kofferbomber im Juli 2006. Nur durch Glück entging Deutschland damals einer Katastrophe.
Im Kampf gegen den Terror scheint jedes Mittel recht, allein ein Verdacht ausreichend. Laut dachte Schäuble jüngst über die gezielte Erschießung von möglichen Terroristen, vorsorgliche Internierung von "Gefährdern", Handy- und Internetverbot für Verdächtige und über einen neuen Straftatbestand der Verschwörung nach. Guantánamo in Deutschland? Legitimierter politischer Mord? "Wir dürfen die Freiheit nicht zu Tode schützen", warnt unter vielen anderen auch SPD-Chef Kurt Beck.
Prävention heißt das Stichwort. Normalerweise ist die Aufteilung in einem Rechtsstaat klar. Für die Ahndung von Gesetzesverstößen ist die Justiz zuständig, für die Verhinderung die Polizei. Doch bei der Abwehr des globalen Terrors greift dieses Aufgabensplitting aus Schäubles Sicht nicht mehr. "Was machen wir mit Menschen, die terroristische Straftaten vorbereiten?", fragt er.
Das Prinzip der Vorsorge ist juristisch schwer zu fassen. "Es lässt sich nicht alles mit Prävention regeln", warnt etwa der Verfassungsrechtler Matthias Rossi. "Es kommt immer auf die Konkretheit einer Gefahr an." Das Vorsorgeprinzip stamme juristisch aus dem Umweltrecht, erklärt er. Um mögliche Umweltverschmutzungen zu vermeiden, sei die Eingriffsschwelle für den Staat sehr weit nach vorn verlagert worden. Das werde jetzt auf die allgemeine Gefahrenabwehr übertragen. "Das ist überspannt. Da entsteht ein erhebliches freiheitsgefährdendes Potenzial", befürchtet der Jurist von der Berliner Humboldt-Universität.
"Allen Terroranschlägen geht Kommunikation voraus. Deshalb müssen wir in die Kommunikationsstrukturen eindringen", begründet Schäuble einen weiteren Vorstoß. Mit der Möglichkeit, heimliche Online-Durchsuchungen auf privaten Computern von Verdächtigen durchführen zu können, sollen Straftaten verhindert werden. Technisch ist das Andocken an fremde Computer kein Problem. Nur rechtlich und moralisch liegt die Hürde hoch. So muss unter anderem der Artikel 10 des Grundgesetzes über das Post- und Fernmeldegeheimnis geändert werden.
SPD und Union streiten seit Wochen über die Einführung von Online-Durchsuchungen. Die SPD will mehrheitlich aber erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über entsprechende Vorschriften für den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz abwarten. Das Urteil soll im März 2008 kommen. So viel Geduld haben weder Schäuble noch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch schon bei den nächsten Plänen des Ministers für ein Handy- und Internetverbot für potenzielle Straftäter winkt der Koalitionspartner ab. So etwas ließe sich nur in einem Überwachungsstaat durchsetzen, sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck.
In Deutschland gibt es weniger als 100 Personen, die von den Behörden als so genannte islamistische Gefährder eingestuft sind. Meist genügt aber der Kontakt zu solchen Extremisten, um ins Visier von Geheimdiensten und Polizei zu geraten. Diesen Personenkreis würden solche "Vorsorgemaßnahmen" betreffen. Auch für die "Vorsorge"-Internierung von potenziellen Straftätern ist eine parlamentarische Mehrheit nicht in Sicht. Dabei hinkt der Vergleich mit Hooligans, die beispielsweise vor der Fußball-WM an der Einreise nach Deutschland gehindert wurden. Denn diese Maßnahmen waren zeitlich und örtlich begrenzt.
Schäuble bricht Tabus. Eine Mischung aus Entsetzen und Überraschung löste er mit seinen "Gedankenspielen" über das gezielte Töten von mutmaßlichen Terroristen in weiten Teilen der Öffentlichkeit aus. Die Grenzüberschreitung, daran gibt es keinen Zweifel, war gewollt. Allein die Diskussion darüber ist Kalkül. Schon wird darüber spekuliert, ob Schäuble auch deshalb immer neue Vorschläge bringt, um zumindest einige, wie die Online-Durchsuchungen, rasch über die parlamentarischen Hürden zu bringen. Auszuschließen ist das nicht. Immerhin hatte mit dieser Strategie schon sein Amtsvorgänger Otto Schily (SPD) Erfolg. Der spekulierte etwa über den "äußersten Extremfall", bei dem die Tötung einer Person aus Notwehr zu rechtfertigen sei. In dieser Frage wurde Schily von seiner Partei in die Schranken verwiesen. Verabschiedet wurde aber das unter dem Titel "Otto-Katalog" bekannt gewordene umfangreiche Maßnahmenpaket zur Inneren Sicherheit.
Bereits heute gibt es im Übrigen in zwölf von 16 Bundesländern die gesetzliche Möglichkeit zum "finalen Rettungsschuss". Seine Anwendung bewegt sich in sehr engen Grenzen. Er kommt nur dann zum Einsatz, wenn ein Gewalttäter nur durch den Tod daran gehindert werden kann, einen anderen Menschen umzubringen. Als "Vorsorgemaßnahme" ist er aber nicht gedacht. Bei Schäuble gehe es darum, ein Urteil zu vollstrecken, das von keinem Gericht gesprochen wurde und nur auf Erkenntnissen von Geheimdiensten beruht, erklärt der international anerkannte Völkerrechtler Christian Tomuschat den Unterschied. "Damit sind die Grenzen des Rechtsstaates in jedem Fall überschritten."