Lebensaufgabe
Diries Kampf gegen Genitalverstümmelung
Es geht um eine Art Folter. Und es geht um Liebe. Die zwei zentralen Themen in den Büchern Waris Diries spiegeln sich auch in ihrem vierten: "Brief an meine Mutter" ist eine entschlossene, aber auch verzweifelte Verteidigungsrede einer Tochter an ihre Mutter. Sie verteidigt ihren westlich geprägten Lebensstil gegen die traditionelle Haltung der Mutter, die in der Wüste lebt. Vor allem aber verteidigt sie ihren Kampf gegen Genitalverstümmelung an Frauen, den sie zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat.
"Mein Herz schreit nach Dir", heißt es darin und der Leser kann es gut verstehen. Seit rund zehn Jahren kämpft die Somalierin gegen die Verstümmelung von kleinen Mädchen, die in vielen Ländern Tradition ist und - wie Dirie in "Schmerzenskinder" (2005) belegt - auch in Deutschland praktiziert wird. Spätestens mit ihrer Biografie "Wüstenblume", die 1998 erschien, hat das ehemalige Model und die heutige UN-Sonderbotschafterin weltweit Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen. 2002 gründete sie die "Waris Dirie Foundation", um Opfern besser helfen zu können. Dirie erhält neben Anerkennung auch Kritik und Morddrohungen von religiösen Fundamentalisten. Doch es ist vor allem das Unverständnis der eigenen Mutter, das ihr zu schaffen macht. Die Schmerzen machen die Mädchen stark, sagt diese. Erst durch das Abschneiden von Klitoris und Schamlippen würden sie zu Frauen.
Jetzt hat Dirie ihre Mutter zu einer Operation nach Wien geholt und will sich mit ihr aussprechen. Denn bei ihrem letzten Treffen hörte sie immer nur den Vorwurf, sie würde sich gegen die Familie und ihre Traditionen stellen. Die Aussprache misslingt, Mutter und Tochter trennen sich im Streit.
Eindringlich beschreibt Dirie ihre Verzweiflung und ihre Wut. Vor allem als die Mutter sagt, sie sei stolz darauf, Diries Beschneiderin heute als Nachbarin zu haben. Offen beschreibt die Autorin die Folgen, die die immer wiederkehrenden Schmerzen der Verstümmelung, aber auch ihr Leben als Model und UN-Sonderbotschafterin hervor- gerufen haben: Dirie ist alkoholsüchtig und sucht noch immer nach einer Heimat. Packend schildert sie den Kampf gegen die Sucht, gegen ihre Einsamkeit und die Ansichten ihrer Mutter. Diese will nichts von der Arbeit ihrer Tochter und deren neuer Heimat wissen. Dirie schließt mit der Hoffnung, doch irgendwann mit ihrer Mutter zusammen zu kommen. Es wäre schön, wenn es ihr gelänge!
Brief an meine Mutter.
Ullstein Verlag, Berlin 2007; 212 S., 19,95 ¤