PETER HARTZ ZIEHT BILANZ
Vom Erfolg und Scheitern des westdeutschen Sozialmodells
Peter Hartz ist im Januar dieses Jahres wegen Untreue und Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und einer Geldstrafe von 576.000 Euro verurteilt worden. Im Jahr 2002 hatte der frühere Personalvorstand des Volkswagenkonzerns an der Spitze einer von Bundeskanzler Schröder berufenen Kommission die größte Arbeitsmarktreform der bundesdeutschen Geschichte entworfen. Aus dem einstigen Vordenker wurde aufgrund seiner Verwicklung in den VW-Skandal binnen weniger Jahre ein Buhmann. Auf dem Tiefpunkt des eigenen Ansehens ein Buch auf den Markt zu bringen, mutet abenteuerlich an. Was kann einen da erwarten außer Rechtfertigungen und Selbstmitleid?
Dass es trotzdem ein lesenswertes Buch geworden ist, dürfte maßgeblich der Journa-listin Ingrid Kloepfer zu verdanken sein. Als Co-Autorin hat sie Hartz' Mitteilungsdrang eine Struktur gegeben und das ganze Buch in Form eines Gesprächs aufgebaut, eines Interviews über 300 Seiten. Wohltuend achtet sie darauf, dass die Antworten überschaubar bleiben, hakt energisch nach, wenn sie einen Widerspruch vermutet und nagelt Hartz fest, wenn er ausweichend oder mit wolkigen Phrasen antworten will.
Es ist nicht nur ein Buch über Hartz IV und über den VW-Skandal, sondern eine Art Autobiografie. Peter Hartz erzählt sein Leben, eine Karriere im Nachkriegsdeutschland. Mehrere Schwarzweißfotos dokumentieren wichtige Stationen auf diesem Weg. Die einzelnen Kapitel zeichnen diese Stationen nach: Zunächst Kindheit und Jugend im saarländischen Arbeitermilieu, dann der rasche berufliche Aufstieg in der dortigen Stahlindustrie. Es folgt ein Kapitel über das Erfolgsrezept des Personalmanagers Hartz: Konsens herzustellen zwischen Arbeitge- ber- und Arbeitnehmerinteressen. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Karrieresprung in den VW-Vorstand und der spektakulären Einführung der Vier-Tage-Woche, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Die beiden letzten Kapitel zeigen den Hartz, den man kennt: sein Ausflug in die Politik als Arbeitsmarktreformer und sein "Sturz" im Strudel der VW-Betriebsratsaffäre. Was macht Peter Hartz heute? Der 65-Jährige lebt wieder im Saarland, berät junge Unternehmen und kümmert sich um seine gemeinnützige Stiftung "Saarländer helfen Saarländern".
Der über das rein Biografische hinausgehende Wert des Buches liegt darin, dass man viel über das in der alten Bundesrepublik entwickelte und in die Ära der Globalisierung hinübergerettete Sozialmodell des Interessenausgleichs erfährt: über das Gewerkschafts- und Industriemilieu, über Denkstrukturen und Problemlösungsmuster. Hartz schildert, wie Staat und Wirtschaft in den 70er-Jahren die Stahlkrise gemanagt haben. Auf die Mitbestimmung lässt er nichts kommen, selbst wenn ihm vorgehalten wird, dies sei ein Lösungsansatz von gestern. Auch die Institution Betriebsrat lobt das SPD-Mitglied in höchsten Tönen. Und er hält das Modell für globalisierungstauglich, weil man dadurch die Produktivität erhöhen, also Geld verdienen könne.
Vor allem macht das Buch eines deutlich: Es ist für das eigene Fortkommen nicht hinderlich, wenn man sich frühzeitig an eine mächtige Organisation bindet. Peter Hartz ist mit 15 Jahren in die IG Metall eingetreten. Sie hat an seiner Karriere maßgeblich mitgestrickt. Als Vorstandsmitglied war er Arbeitgeberinteressen verpflichtet, durfte zugleich aber die Gewerkschaft nicht verprellen. Er sei die "personifizierte Beschäftigungssicherung", sagt Hartz über sich selbst. Bei VW hofierte er den Betriebsratsvorsitzenden Volkert derart, dass dieser Privilegien wie ein Vorstandsmitglied genoss und Bonuszahlungen kassierte. Dafür hielt Volkert eine Belegschaft von 433.000 Mitarbeitern zusammen, er sorgte dafür, dass sie Beschlüsse des Vorstands mittrug. Lange ging das gut. Am Schluss musste Hartz erkennen, dass Kontrolle besser gewesen wäre als blindes Vertrauen.
Macht und Ohnmacht. Ein Gespräch mit Inge Kloepfer.
Hoffmann u. Campe, Hamburg 2007; 315 S., 19,95 ¤