Globalisierung
Aufhalten lässt sie sich nicht mehr, ihren Herausforderungen muss sich jeder stellen. Nur wie?
Der Optimismus unter den Wirtschaftsexperten und Wirtschaftskapitänen dieser Republik scheint ungebrochen. Alles Jammern und Fürchten hat keinen Zweck. Die Globalisierung ist spätestens seit Öffnung der ostasiatischen Märkte in vollem Gange und nicht mehr aufzuhalten. Höchstens noch in international konzertierten Aktionen zu steuern und durch nationale Reformen und individuelle Anstrengungen zu meistern. Können uns da die neueren Publikationen zu den weltwirtschaftlichen Umbrüchen Präzises und Positives mitteilen? So unsicher wie die Zukunft fällt auch die Antwort darauf aus: Ein klares Jein!
Es gibt provokante Bedrohungsanalysen wie die von Gabor Steingart oder allzu blauäugige Globalisierungsplädoyers wie die des New Yorker Starjournalisten Thomas L. Friedman. Aber selten gibt es Studien, die aus einer schlüssigen Analyse der ökonomischen Umbrüche ein einigermaßen systematisches und solides Gesamtkonzept zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen anbieten. Dem Sprecher des "Bundesverbands für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft" in Berlin, Peter Spiegel, ist mit seinem Buch "Eine humane Weltwirt-schaft" eine solche Synthese gelungen.
Die Autoren des Begleitbuchs zur dreiteiligen ZDF-Dokumentation "Wettlauf um die Welt" bieten hingegen leider nur einen Flickenteppich aus mehr oder minder informativen Beiträgen prominenter Unternehmer, Wissenschaftler und Gewerkschafter zur Globalisierungsdebatte. Doch blicken wir erst einmal auf die vielversprechenden Visionen von Peter Spiegel und sehen dann, wie innovativ und realistisch sein Konzept einer "humanen Weltwirtschaft" ist.
Sicherlich ist das, was der studierte Soziologe über den jetzigen Zustand der Weltwirtschaft zu sagen hat, nicht neu. Dass im Westen die Arbeitsmärkte überteuert und überreguliert und die im Fernen Osten flexibler und billiger sind, wissen wir schon lange. Auch dass die Reichen durch immer riskantere Spekulationsgewinne immer reicher werden und damit ganze Volkswirtschaften ruinieren können, ist ebenso bekannt wie das Prinzip des "High-tech-Transfers-plus-low-income", an dem sich westliche Wirtschaftsbosse orientieren, wenn sie sich als "global player" positionieren wollen. Und dass angesichts einer solch ungezügelten Globalisierungsdynamik die Einkommensschere zwischen den Oberen Zehntausend und dem Milliardenheer der Armen sich immer weiter öffnet, zeichnet sich genauso scharf ab wie die sich dadurch anbahnende ökologische und soziale Katastrophe.
Natürlich kennt der vernunftbegabte Optimist eine Lösung für all die richtig erkannten Probleme und Gefahren: Ein "gemeinsame humanes Weltwirtschaftswunder", das bis zum Jahr 2015 die Zahl der absolut Armen halbiere, sei möglich. Wenn sich die Menschen zu "Lern- und Lebensunternehmern" entwickelten und der in Fachkreisen schon länger diskutierte "Global Marshall Plan" von den Entscheidern in Politik und Wirtschaft nur realisiert werde. Hinter diesen Begriffen steckt ein ausgeklügeltes und ehrgeiziges Konzept, das Chancengleichheit für alle sowie "Teamgeist und soziale Kompetenz" einfordert. Nicht das zerstörerische und hemmende Gegeneinander, sondern ein produktives und innovatives Miteinander soll das globale Dorf beseelen. Win-Win-Situationen sollen die Folgen sein.
Spiegels Losungen für einen gerecht gesteuerten Kapitalismus klingen zu schön, um im Raubtierkapitalismus eine Chance auf Verwirklichung zu haben. Vor allem dann, wenn sie auf den "Erfolgsfaktor Mensch" setzen, der schon jetzt mit dem Tempo der wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen kaum Schritt zu halten bereit oder in der Lage ist. Und doch klingen seine konkreten Lösungsangebote auf den ersten Blick plausibel. An erfolgreichen Paradebeispielen aus aller Welt macht er deutlich, was passiert, wenn die Menschen in den Schulen nicht mehr Faktenwissen und Formeln pauken, sondern "ganzheitlich lernen". Dass heißt vor allem zu lernen, wie man sich jederzeit neues Wissen aneignen kann, wie man es effektiv mit anderen teilt und wie man damit seine kreativen Potenziale weckt. Entwicklungsschulen in Kolumbien oder aber die in der PISA-Studie hervorra-gend platzierte Helene-Lange-Schule in Wiesbaden haben messbare Erfolg mit einem Konzept, das lebensnahes und lebenslanges Lernen lehrt.
Wer auf diese Art lernt, für den soll der Schritt zum "Lebensunternehmer", der seine "eigenen besten Potenziale" entwickelt, nur ein Katzensprung sein. Vorausgesetzt, die staatlichen und unternehmerischen Rahmenbedingungen stimmen. Flache Hierarchien in Unternehmen, Kleinkredite ohne Wucherzinsen für die Ärmsten und für jeden ein freies Bürger- oder Grundeinkommen. All das soll die angeblich angeborenen Kreativität der Menschen wecken und im Rahmen des "Global Marshall Plan" zur Entfaltung bringen. Erfolgreiche Beispiele dafür gibt es auf regionaler Ebene einige; ob sie auch global funktionieren, ist zu bezweifeln.
Spiegels Vorschläge klingen zweifellos gut und gerecht. Doch sie basieren auf einem allzu optimistischen und akademischen Menschenbild und werden der Komplexität der Kulturen nur unzureichend gerecht. So träumt er von einer "anderen Art von Zivilisation", von einer "Revolution unseres Denkens". Das werden vermutlich Wunschträume bleiben. Denn Revolutionen brechen meist erst aus, wenn der Druck auf die Menschen unerträglich geworden ist. Trotz stetiger Massenentlassungen und anhaltendem Sozialabbau herrscht in den westlichen Gesellschaften weiterhin das Besitzstand- und Verteidigungsdenken vor. Der begrenzte Horizont des Einzelnen lässt sich nicht durch mittelfristige Horrorszenarien oder wohlmeinende Appelle an die kreative Vernunft in einen globalen verwandeln.
Eigentlich müssten die Angesprochenen selbst zur Reflektion und Diskussion angeregt werden, statt von Experten darüber belehrt zu werden, was im tiefen Westen wirtschaftlich schief und im Fernen Osten glatt läuft. Doch genau nach diesem Rezept ist auch das unter anderem von "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust herausgegebene Buch "Wettlauf um die Welt" gebacken. "Die Globalisierung und wir" heißt es im solidarisch anmutenden Untertitel. Zu Wort kommen aber nicht "wir", sondern etwa der Vorsitzende des DGB, der Vorstandsvorsitzende der Continental AG oder der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sie und andere Fachleute nehmen in fünf Kapiteln beispielsweise Stellung zur "Zukunft Deutschlands", zum "Aufstieg Asiens" oder zum "Rohstoff Bildung".
Mit Ausnahme des Gewerkschaftsfunktionärs zeichnen alle das Bild vom härter gewordenen Wettbewerb, von den beschleunigten Innovationsprozessen und der Notwendigkeit zur Neuordnung der Arbeitsmärkte und Bildungssysteme. Natürlich versäumen die befragten "global player" von SAP, Adidas oder BASF nicht, ihre für den Einzelnen kaum relevanten Erfolgstrategien zu loben. Dass lebenslange Leistung, Kreativität und Flexibilität für den Erfolg der Unternehmen und für das Überleben jedes Einzelnen unabdingbar geworden sind, wissen wir bereits.
Im Grunde strahlen sie bei aller Kritik an Fehlentwicklungen und Reformdefiziten eine gehörige Portion Optimismus aus. Mit erhobenem Zeigefinger allerdings. Denn wer die von ihnen angemahnten Zeichen der Zeit nicht erkenne, der lande zwangsläufig auf der Verliererstraße.
Ein so konkretes und hoffnungsvolles Konzept wie Peter Spiegel es vorgelegt hat, lässt sich aus diesen erfahrungsgesättigten Statements nicht destillieren. Die meisten der befragten Experten bewegen sich mit ihren Antworten auf Allgemeinplätzen. Doch genau diese gilt es zu verlassen, wenn man die Menschen wie Peter Spiegel für die Globalisierung motivieren möchte.
Eine humane Weltwirtschaft. Erfolgsfaktor Mensch.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2007; 230 S., 19,90 ¤
Wettlauf um die Welt.
Die Globalisierung und wir.
Piper Verlag,
München 2007;
304 S., 19,90 ¤