HAUSHALT
Verfassungsgericht weist Klage von Union und FDP zum Etat des Bundes für 2004 zurück
Karlsruhe hat den Ball zurückgespielt. Wer in Berlin erwartet hatte, das Bundesverfassungsgericht werde der Politik klare Vorgaben machen, wie die Neuverschuldung künftig zu begrenzen sei, sah sich getäuscht. Das Gericht wies am 9. Juli zwar erwartungsgemäß die Klage der damaligen Oppositionsfraktionen CDU/CSU und FDP gegen den Bundeshaushalt 2004 zurück, unterstrich dabei aber lediglich in seinem Urteil, dass an der "Revisionsbedürftigkeit der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen kaum noch zu zweifeln" sei. Strengere Vorgaben zum Beispiel zum Investitionsbegriff, wie sie sich der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP), erhofft hatte, blieben jedoch aus. Nun hat der Gesetzgeber wieder das Wort.
Union und FDP hielten in ihrer Normenkontrollklage den Etat 2004 des damaligen Finanzministers Hans Eichel (SPD) für nicht verfassungskonform. So hätten die neuen Schulden von insgesamt knapp 40 Milliarden Euro weit oberhalb der Investitionssumme von 24,6 Milliarden Euro gelegen. Dies hielten die Kläger für nicht vereinbar mit dem Artikel 115 des Grundgesetzes, wonach die neuen Kredite die Investitionen nicht überschreiten dürfen. Weiter sahen Union und FDP einen Verstoß gegen den Grundgesetzartikel 110, in dem es um die "Haushaltswahrheit" geht: Es sei schon Ende 2003 absehbar gewesen, dass die von der damaligen rot-grünen Regierung für 2004 vorgesehenen Spareffekte nicht greifen würden. Deshalb habe sich Eichel nicht auf die Ausnahmeklausel berufen können, wonach mehr Kredite zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts aufgenommen werden dürfen.
Diese Argumentation verwarf das Gericht. Nach Meinung der Mehrheit der Richter ist der ursprüngliche Etatansatz mit dem Gebot der Haushaltswahrheit vereinbar. Die Ansätze im Zusammenhang mit der zeitlichen Verschiebung von "Hartz IV" bargen keine politisch gewichtigen eigenständigen Entscheidungen und hätten keine bedeutenden Veränderungen der Gesamteinnahmen und -ausgaben verursacht. Haushaltspolitisch stärker ins Gewicht sei die Korrektur des Bundesbankgewinns in Höhe von mehr als 3 Milliarden Euro. Es bestehe zwar eine Pflicht zur Schätzgenauigkeit. Diese sei jedoch nur aus damaliger Sicht zu beurteilen.
Das Urteil wurde von den Fraktionen des Deutschen Bundestages zumeist begrüßt. So zeigte sich die CDU/CSU-Fraktion mit dem Urteil zufrieden. "Das Urteil ist eine Ohrfeige für die Schuldenmacher aller Parteien und ein klarer Auftrag an die Föderalismuskommission II, neue und wirksame Regelungen zur Schuldenbegrenzung zu erarbeiten", sagte Steffen Kampeter, der haushaltspolitische Sprecher der Union.
Sein Mitkläger in Karlsruhe, Jürgen Koppelin (FDP), betonte, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nochmals die Wirkungslosigkeit des Artikels 115 des Grundgesetzes hervorgehoben habe. "Die in der Vergangenheit immer wieder angewendete Formel ‚Haushaltsdefizit gleich Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts' hat ausgedient", so Koppelin. Anstehende Rechtsänderungen in der Haushaltsverfassung müssten eindeutig, unmissverständlich und nicht interpretationsfähig sein. Daher werde es die Aufgabe der Politik sein, restriktive Verschuldungsregelungen schnellstmöglich zu erarbeiten.
Die FDP sieht das Urteil als Auftrag für die Föderalismuskommission II an, im Sinne einer besseren Schuldenbegrenzung zu wirken. Die Nachhaltigkeit der Haushalts- und Finanzpolitik zugunsten nachfolgender Generationen stehe ganz oben auf der Tagesordnung, so der Liberale.
"Das Urteil bestätigt, dass die damalige Rechtsauffassung der Regierung verfassungskonform war", betonte Carsten Schneider (SPD). Er setzt sich für kein generelles Schuldenverbot ein, sondern spricht sich für ein "atmendes System" aus, bei dem in schlechten Zeiten nicht automatisch in eine Konjunkturdelle hineingespart wird. In guten Zeiten müssten Überschüsse angespart werden. Die Stabilitäts- und Wachstumspolitik müsse an die Veränderungen angepasst werden, die Deutschland seit mehreren Jahrzehnten durchmache. Im Mittelpunkt stehe eine strikte, gesamtstaatlich wirkende Schuldengrenze.
Nach Auffassung von Christine Lötzsch (Linksfraktion) lässt sich öffentliche Verschuldung nicht dadurch bekämpfen, dass die Verantwortung für aktive Gestaltung von Politik durch automatische Sparmechanismen ersetzt wird. Die Klage von Union und FDP blende die Ursachen des strukturellen Defizits des Bundeshaushalts aus.
Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen) spricht sich für eine Schuldenbremse aus. Dadurch würden die Ausgaben an die Einnahmen gekoppelt. Kredite seien lediglich zum Ausgleich von konjunkturellen Schwankungen für Nettoinvestitionen zulässig.
Überaus zufrieden mit dem Urteil zeigte sich auch der ehemalige Finanzminister Eichel. "Damit ist die Heuchelei der damaligen CDU/CSU-Opposition entlarvt worden, die im Bundesrat meine Vorschläge zur Verminderung der Schulden blockiert hat, mir anschließend die Folgen in die Schuhe schieben wollte und dann in Karlsruhe gegen den Haushalt klagte." Nach Auffassung Eichels ist es jetzt aber "mehr als dringlich", die öffentliche Verschuldung zurückzuführen und dafür auch wirksam verfassungsrechtliche Regeln aufzustellen.
Auch die Regierung begrüßte die Entscheidung. "Das Urteil bestätigt, dass die haushaltspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen damals im Einklang mit den von der Verfassung eröffneten Möglichkeiten standen und zu jeder Zeit transparent und offen gegenüber dem Parlament erfolgten", sagte Karl Diller (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Weiter kündigte Diller an, dass die Regierung für die Föderalismuskommission einen Vorschlag für eine wirksame Schuldengrenze vorlegen wolle. Dieser setzt, wie Gesetzentwürfe der Bündnisgrünen ( 16/5954 , 16/5955 ), am Konzept der Schweizer Schuldenbremse an, Schulden nur noch in Höhe der Nettoinvestitionen zuzulassen. Damit liegt der Ball also bei der Föderalismuskommission, die ihre Vorschläge bis Ende nächsten Jahres vorlegen will. Dann muss der Gesetzgeber ran.