slowakei
Mit einer High-Tech-Offensive sichert das Land seine Grenzen und bereitet sich auf den Beitritt zum Schengen-Raum vor. Eine Reportage aus Sobrance und Kosice.
Sobald die mächtige Panzerglastüre ins Schloss fällt, herrscht angespannte Stille. An der weiß getünchten Wand hängen riesige Bildschirme, die Jalousien sind blickdicht zugezogen und die Männer an den fünf Arbeitstischen umgeben von Telefonen und Funkgeräten. Hier laufen alle Informationen von der slowakisch-ukrainischen Grenze zusammen, die Einsätze werden von hier aus zentral gesteuert. "So eine Technik", sagt Miroslav Uchnar stolz, "gibt es nicht einmal in Deutschland!" Uchnar ist Chef der slowakischen Grenzpolizei, sein Hauptquartier steht in Sobrance. Unter seinem Fenster rauscht die Fernstraße vorbei, die von der Slowakei in die Ukraine führt. Miroslav Uchnar ist der Mann, der die östlichste Grenze in der EU dicht gemacht und seinem Land damit erst den Weg in den Schengen-Raum geebnet hat. "Am meisten machen uns hier Schlepper, Schmuggler und illegale Einwanderer zu schaffen", sagt er. 800 Mitarbeiter wird seine Einheit zum Jahreswechsel zählen. Seine Leute führen einen Kampf gegen einen Gegner, der nach Zahlen haushoch überlegen ist: Zu Hunderten kommen die Kriminellen und Elendsflüchtlinge, die über die Ukraine und die Slowakei in die EU wollen. Russen sind unter ihnen, Moldawier, Inder und Pakistani, sie alle versuchen ihr Glück hier - am Rand der Europäischen Union.
Künftig werden sie es nicht mehr so leicht haben. Direkt auf dem Streifen Land, das die Slowakei von der Ukraine trennt, haben die slowakischen Polizisten mit EU-Unterstützung eine Kamerakette aufgebaut, die nach ihren stolzen Worten weltweit einmalig ist. Alle paar hundert Meter stehen an den unübersichtlichsten Stellen entlang der grünen Grenze hohe Kameratürme. In ihnen verbirgt sich die modernste Video- und Infrarottechnik.
Die Bilder der Kameras laufen in Sobrance auf, im gut gesicherten Nervenzentrum der Grenzschützer. Eine Handvoll Polizisten reicht aus, um alles unter Kontrolle zu behalten. Über die Flachbildschirme flimmert das Geschehen entlang der Grenze, per Satelliten-Navigation wird der Standort der Streifenfahrzeuge auf einer virtuellen Karte angezeigt. Sobald sich irgendwo jemand bewegt, schlägt der Computer von selbst Alarm. Im Zeitlupen-Modus können sich die Grenzschützer in ihrer Zentrale die Aufnahmen noch einmal anschauen und feststellen, wie viele Menschen über die grüne Grenze in die Slowakei eingedrungen sind und ob sie Waffen tragen. Den Rest erledigen dann die Kollegen vor Ort, zielsicher gelotst aus der Zentrale: "Nach höchstens sechs Minuten ist eine unserer Patrouillen an jeder beliebigen Stelle entlang der Grenze", sagt Stefan Novotny, der die schnelle Einsatztruppe vom Bildschirm aus koordiniert.
Die hochmoderne Kamerakette ist ein wichtiger Baustein im Konzept der slowakischen Grenzsicherung. "Wir haben vier Verteidigungslinien aufgebaut", sagt Polizeichef Miroslav Uchnar: Von der einfachen Passkontrolle über die Schleierfahndung im Hinterland bis hin zu den mächtigen Beobachtungstürmen mitten in der ostslowakischen Landschaft. "Selbst wenn es jemand schafft, durch den Wald über die Grenze zu kommen", sagt Uchnar, "muss er da irgendwann wieder raus. Und in dem Moment packen wir ihn!"
Der Polizeichef führt seine Truppen mit militärischem Drill. Seine Mitarbeiter stehen vor ihm stramm und salutieren, bevor sie ihm die Hand geben. Die vierzig Quadratmeter seines Chefbüros sind zur Kommandozentrale geworden. Für die Einrichtung hat er nicht viel Zeit verschwendet: Der Teppichboden ist beißend grün, der Schreibtisch eine einfache Spanplatten-Konstruktion. Bei der Sitzgruppe hat sich Uchnar für Sessel in Eiche-Rustikal-Optik entschieden. Das wichtigste Accessoire hängt ohnehin an der Wand. Es ist die Landkarte, mit roter Farbe ist darauf die Grenze zur Ukraine markiert. Exakt 97,9 Kilometer sind es, durchsetzt von Wäldern und massiven Felsbrocken. Die schwierigste Grenze im Osten der EU sei das hier, sagt Miroslav Uchnar.
Trotzdem stimmen die Quoten seiner Leute. In den vergangenen Monaten, sagen sie, sei ihnen kaum noch jemand durch die Lappen gegangen. Von der Zentrale in Sobrance aus führen die Grenzpolizisten eine Materialschlacht mit den Schleuser- und Schmugglerbanden. Weit mehr als 30 Millionen Euro haben sie innerhalb weniger Monate investiert: 60 neue Geländewagen sind entlang der grünen Grenze im Einsatz, dazu ein gutes Dutzend Cross-Motorräder und im Winter eine Armada von Motorschlitten. An den Grenzübergängen muss jeder Lastwagen auf einen Scanner fahren, der mit Magnetwellen-Technik nach Flüchtlingen in den Hohlräumen der Fahrzeuge fahndet.
Es werden viele Lastwagen sein, die von der Ukraine aus in Richtung Westen rollen. Schon jetzt ist die Slowakei ein beliebtes Transitland; auf der öden Landstraße vom ukrainischen Uzhorod ins slowakische Kosice herrscht Tag und Nacht reger Betrieb. 100 Kilometer trennen die beiden Städte - die westlichste Großstadt der Ukraine auf der einen Seite der Grenze und den letzten Außenposten der Europäischen Union auf der anderen Seite.
Gerade Kosice hat bislang an seiner Randlage gelitten. Die slowakische Hauptstadt Bratislava liegt gute fünf Autostunden weiter westlich von dem 230.000-Einwohner-Ort. Die Region um Kosice ist bitterarm, die Arbeitslosigkeit erreicht in fast allen Orten die 20-Prozent-Marke. Das Elend ist allgegenwärtig: Vom zentralen Platz in Kosice aus fällt der Blick auf einen dichten Riegel von halbverfallenen Plattenbauten, die sich rings um die Altstadt am Horizont drängen. Es sind so viele, dass sich niemand die Mühe gemacht hat, für die neuen Stadtviertel eigene Namen zu erfinden. Sie alle tragen den Kunstnamen Lunik und sind der Einfachheit halber von eins bis neun durchnummeriert.
Im Beitritt zum Schengen-Raum wittern die Menschen hier ihre große Chance. In einem millionenschweren Projekt will die Region jetzt aus ihrer östlichen Randlage einen Vorteil machen. Die Fäden zu dem Vorhaben laufen bei Zuzana Bobrikova zusammen, ihr Schreibtisch steht im prächtigen Jugendstil-Palast der Regionalregierung von Kosice. Auf 13 Seiten hat Bobrikova den Plan aufgeschrieben, der endlich wieder Schwung in die kollabierte Wirtschaft bringen soll. "Globalny logisticky industrialni park" steht auf den Papieren, es geht um ein Mammutprojekt. "Hier bei uns enden die Breitspur-Schienen der russischen Eisenbahn", sagt Bobrikova. Mit einem Logistikzentrum will sie Kosice zum wichtigen Umschlagplatz für den Güterverkehr machen. "Wir haben hier Anschluss an das Schienennetz von ganz Asien", verkündet sie und spricht von einem entscheidenden Zeitvorteil: Werden Container nach China, Korea oder Japan in Kosice auf die Schiene gesetzt, sind sie bis zu 20 Tage schneller am Ziel als per Schiffstransport. Auf einer großen Weltkarte hat Bobrikova schon einmal die Vebindungswege von Westeuropa nach Moskau, Kiew und dann weiter in Richtung Osten eingezeichne - alle führen durch Kosice.
Miroslav Uchnar von der Grenzpolizei ist auf einen Ansturm im Güterverkehr schon längst vorbereitet. Auch die Eisenbahnübergänge von der Slowakei in die Ukraine sind mit reichlich High-Tech aufgerüstet worden. Die Züge fahren über die gleichen Röntgengeräte wie die Lastwagen, bei jedem Hohlraum in den Waggons schlägt das System automatisch Alarm. Rings um die Kontrollstationen haben die Polizisten einen zwei Meter hohen Zaun aufgebaut. "Wenn hier ein Flüchtling zu Fuß weiter in Richtung Westen will, dann kommt er an dieser Sicherung unmöglich vorbei", sagt Uchnar.
Für ihn wird der 21. Dezember, wenn die Slowakei endgültig dem Schengen-Raum beitritt, ein Feiertag. "Als ich vor etwas mehr als einem Jahr hier meinen Dienst angetreten habe", räumt er schmunzelnd ein, "hätte ich selbst nicht gedacht, dass wir die Grenze noch rechtzeitig dicht kriegen." Geholfen hat am Ende vor allem die Motivation seiner Mitarbeiter. Die slowakischen Grenzschützer, erzählt Uchnar, sehen den Schengen-Beitritt als Frage der persönlichen Ehre: "Wir wollen der Welt endlich zeigen, dass wir keine zweit- oder drittklassigen Polizisten sind!"