JAHRESGUTACHTEN
FDP einig mit den Wirtschaftsweisen
Stillstand nicht nur auf den Schienen, Stillstand auch in der Regierungspolitik: Der Bahnstreik lieferte dem FDP-Abgeordneten Rainer Brüderle am 15. November im Bundestag die passenden Metaphern für seine Kritik am Zustand der Großen Koalition. Er fühlte sich dabei in guter Gesellschaft. Vor kurzem hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sein Jahresgutachten 2007/08 mit der Mahnung vorgelegt, "das Erreichte nicht zu verspielen". Gemeint hatten die Wirtschaftsweisen, dass politische Handlungsspielräume, die durch die positive Wirtschaftsentwicklung entstanden sind, nicht ausreichend genutzt worden seien, um die Wachstumsbedingungen zu verbessern. Gerade in wirtschaftlich guten Zeiten sollten die Probleme nicht ausgeblendet, sondern gelöst werden: Abbau der Neuverschuldung des Bundes, Neuordnung des Niedriglohnsektors, Finanzierungsreform in der Kranken- und Pflegeversicherung.
Brüderle vermisste einen "klaren Kurs" der Koalition, die sich auf den nächsten Wirtschaftsabschwung vorbereiten müsse. In einem Antrag ( 16/7112 ), den der Bundestag an den Wirtschaftsausschuss überwies, warnte die FDP vor einem neuen Protektionismus, der von einer Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes ausgehen könnte, um das Engagement ausländischer Staatsfonds in Deutschland zu kontrollieren. Wenn man wolle, dass sich der deutsche Staat aus Unternehmen zurückziehe, hielt dem Laurenz Meyer (CDU/CSU) entgegen, dann müsse dies doch erst recht für ausländische Staaten gelten. Für Herbert Schui von der Linksfraktion besteht das Problem nicht darin, dass die Politik in der Wirtschaft Einfluss ausüben könnte, sondern dass die Wirtschaft Einfluss auf die Politik nimmt.
"Wir heißen ausländische Investoren willkommen", sagte Rainer Wend (SPD). Wenn sich aber Kapital ansammele, das erheblichen Einfluss auf Wirtschaft und Politik ausüben könnte, müsse man auch "Nein" sagen können, wenn strategische Interessen des Wirtschaftsstandorts berührt seien. Wend ging auch auf die Ablehnung des Post-Mindestlohnes durch die Union im Koalitionsausschuss ein. Er bot an, das Problem auf dem Weg über das Postgesetz zu lösen. Danach können Post-Lizenzen versagt werden, wenn wesentliche Arbeitsbedingungen "nicht unerheblich" unterschritten werden. In diesem Zusammenhang sprach Wend von einer "Bringschuld" der Kanzlerin. Christine Scheel (Grüne) begrüßte das Vorhaben, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu senken. Bei einem Satz von nur noch 3,3 Prozent werde aber mehr verteilt als im Hinblick auf die Haushaltssituation angemessen sei.