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Auch die Autohersteller sollen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Brüssel will dafür neue Regelungen vorstellen. Und die Autolobby macht mobil.
Diese Auszeichnung hängt sich wohl niemand mit Stolz über den Schreibtisch: Mit dem "Worst Lobbying Award" werden in Brüssel Interessenvertreter bedacht, die nach Meinung der Initiative "Corporate Europe Observatory" allzu aggressiv und ungebührlich Einfluss auf EU-Beamte und Parlamente nehmen. In diesem Jahr hat es gleich drei deutsche Firmen getroffen: BMW, Daimler und Porsche. "Als die EU-Kommission verpflichtende CO2-Ziele vorschlug, reagierten die Autohersteller sofort mit einer schmutzigen Lobbykampagne, die Panikmache und übertriebene Drohungen beinhaltete", so die Begründung. Ob der Vorwurf nun berechtigt ist oder nicht: Zumindest haben sich die Autobauer offenbar Gehör für ihr Anliegen verschafft. Seit Monaten kämpft die Pkw-Industrie hinter den Brüsseler und Straßburger Kulissen dafür, dass die geplanten Klimaschutz-Vorgaben der Kommission für sie glimpflich ausfallen. Allem Anschein nach hat sich der Einsatz gelohnt.
Ein kleiner erster Erfolg war bereits im Februar gelungen. Europas höchste Behörde brachte zwar die Forderung auf den Tisch, dass Neuwagen in der EU bis 2012 pro Kilometer durchschnittlich höchstens noch 120 Gramm des Treibhausgases Kohlendioxid ausstoßen dürfen. Derzeit sind es rund 160 Gramm. Doch anders als zunächst vom griechischen Umweltkommissar Stavros Dimas gewünscht, sollen die Hersteller durch verbesserte Motorentechnik lediglich ein Limit von 130 Gramm einhalten müssen. Den Rest der Einsparung können andere Maßnahmen bringen - bessere Reifen, modernere Klimaanlagen, der Einsatz von Biosprit.
Im Oktober sprach sich dann das Europaparlament überraschend dafür aus, den Autokonzernen drei Jahre mehr Zeit zu lassen, ehe die verbindlichen Grenzwerte gelten sollen. Zwar ist die EU-Kommission in dieser Sache nicht an das Parlament gebunden. Doch lautstarke Signale aus Straßburg ignoriert Brüssel im Gegensatz zu früher in der Regel nicht mehr - zumal der Zeitplan für das Klima-Vorhaben ohnehin sehr ambitioniert ist. Gesetzesverfahren benötigen schließlich in der Regel mindestens ein Jahr, bis alle Institutionen durchlaufen sind. Selbst im günstigsten Fall blieben damit den Autobauern nur drei Jahre, um ihre komplette Modellflotte umzurüsten.
Die spannendsten Details der Verordnung sind allerdings noch nicht publik. Denn nach mehrfacher Verschiebung will Kommissionspräsident José Manuel Barroso möglichweise in dieser Woche darlegen, wie er die Last auf einzelne Hersteller und Modelle zu verteilen gedenkt. Dann erst ist klar, welcher Autokonzern und welche Modelle welchen Beitrag zu leisten haben.
Schwere, teure Wagen der Mittel- und Oberklasse, wie sie in Deutschland produziert werden, blasen naturgemäß mehr Kohlendioxid in die Luft als Klein- und Mittelklassewagen französischer und italienischer Hersteller. Deshalb gibt es nicht nur zwischen den Autobauern heftigen Zwist über die Verteilung, sondern auch zwischen den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Deutschland, die Heimstatt von Porsche, BMW, Audi und Mercedes, will über Bundeskanzlerin Angela Merkel Einfluss geltend machen, um die Premium-Marken zu schützen. Italiens Ministerpräsident Romano Prodi und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy hingegen haben genau das Gegenteil im Sinn: Mit Blick auf Fiat, Peugeot oder Renault forderten sie in Briefen an die EU-Kommission, hochgewichtige Karossen einen vergleichsweise größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten zu lassen als kleine Stadtautos. Matthias Wissmann, Chef des deutschen Automobilverbandes VDA, hält Frankreichs Vorstoß für "Industriepolitik durch die Hintertür", um die eigene schwächelnde Industrie zu schützen. Gleiches gelte für die jüngst von Paris getroffene Entscheidung, den Kauf großer Autos mit einer Umweltabgabe zu belasten. Damit würden vor allem deutsche Hersteller belastet, kritisierte Wissmann. Neuwagenkäufer sollen in Frankreich schon ab 2008 eine Sonderabgabe für Autos zahlen, die mehr als 160 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen. Damit verteuern sich Modelle wie Porsche 911, BMW 740i, Audi Q7 und Mercedes-S-Klasse 420 CDI um rund 2600 Euro, kalkulierte das Prognose-Institut B&D Forecast.
Doch möglicherweise kassiert Brüssel den Pariser Entscheid aus Wettbewerbsgründen wieder ein. Und auch bei der geplanten CO2-Verordnung deutet vieles daraufhin, dass die Kommission ein Nachsehen mit den Luxus-Autos haben wird. Dazu haben wohl vor allem wirtschaftliche Erwägungen beigetragen. Die deutsche Automobil- und Zuliefererindustrie mit ihren 290 Milliarden Euro Umsatz und 750.000 Beschäftigten ist nicht nur der mit Abstand wichtigste Industriezweig Deutschlands und damit von großer Bedeutung für die Wirtschaftskraft der gesamten EU. Im Premium-Segment haben die Deutschen auch einen Marktanteil von 80 Prozent. Besonders drastische Klima-Auflagen könnten den Wettbewerb verzerren.
Der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz warnt: "CO2-Reduktionen sollen Anreiz für Technologieführerschaft sein. Sie dürfen nicht die europäische und besonders die deutsche Wirtschaft schädigen." Diese Gefahr will Brüssel nicht eingehen.
Allerdings sind die Autohersteller zu einem guten Teil selbst Schuld an der Misere. Denn die europäische Pkw-Industrie hatte sich selbst verpflichtet, den Ausstoß bis zum Jahr 2008 auf 140 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer zu senken. Schließlich war aber absehbar, dass die Industrie weit an diesem Ziel vorbeirauschen würde: Derzeit pusten die Neuwagen im Schnitt 160 Gramm in die Luft. Brüssel sah sich zum Durchgreifen genötigt und verlangt nun einen verbindlichen Grenzwert.
Klar ist dabei: Alle Pkw-Modelle zusammen müssen künftig im Schnitt auf den Durchschnittswert von 130 Gramm je Kilometer kommen. Allerdings darf ein schwerer Wagen mehr Kohlendioxid ausstoßen als ein leichter. Geklärt werden muss nun die zentrale Frage, wie viel Treibhausgas denn pro Kilo Mehrgewicht erlaubt sein werden. Seit Monaten schon sitzen die Experten nun über verschiedenen Verteilungskurven, die den erlaubten CO2-Grenzwert für jedes Fahrzeuggewicht festlegen. Deutschland wünscht sich eine besonders steile Kurve, am liebsten mit einer Steigung um 80 Prozent, wie der Staatssekretär des Bundesumweltministeriums, Matthias Machnig (SPD) sagte. Das würde nämlich bedeuten, dass das erlaubte Kohlendioxid-Limit desto schneller in die Höhe klettert, je schwerer der Wagen ist. Franzosen und Italiener dagegen votieren für eine flache Steigung von allenfalls 30 Prozent. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert nun aus einem internen Bericht, nach dem die Kommission den Herstellern schwerer Autos entgegen kommen will. Sie dürfen demnach auch mit ihrer gesamten Flotte über dem Limit bleiben. Im Gegenzug werden die Hersteller von Kleinwagen stärker belastet.
Nur EU-weit soll bis 2012 der Durchschnitt von 130 Gramm erreicht werden. Allerdings soll der je Kilogramm gewährte Nachlass für schwere Autos kontinuierlich sinken, je schwerer ein Auto ist. So will die Kommission einen Anreiz zu technologischen Neuerungen und einer Abspeckkur für "dicke" Wagen geben.
Ein neuer interner Entwurf empfiehlt außerdem, dass sich Hersteller von Modellen mit hohen CO2-Werten weniger schmutzige Partner zum Ausgleich suchen.
Wer sich nicht an die Grenzwerte hält, wird bestraft, daran lässt EU-Kommissionspräsident Barroso keinen Zweifel. Der Portugiese, der sich mit seinem Engagement in Sachen Klimaschutz wohl nicht zuletzt für eine zweite Amtsperiode empfehlen möchte, kündigte harsche Sanktionen an. Über die Höhe wird derzeit in der Kommission noch gestritten. Die Vorschläge reichen von zehn bis 150 Euro je Gramm CO2, das zuviel ausgestoßen wird. Bei einem Mittelwert von 95 Euro - multipliziert mit der Anzahl der in Europa verkauften Wagen - könnten insgesamt 12,5 Milliarden Euro Strafe fällig werden, wenn Europas Neuwagen zehn Gramm Treibhausgas pro Kilometer zuviel ausstoßen. Die Sanktionen sollen aber erst schrittweise bis 2015 greifen. Unklar ist noch, wie teuer der Klimaschutz die Kunden zu stehen kommen wird. Die Industrie behauptet, die Entwicklung neuer, notwendiger Technologien treibe die Fahrzeugpreise um mehr als 3000 Euro hoch. Bei einer Anhörung im EU-Parlament hielten unabhängige Experten jedoch eher eine Größenordnung von 300 Euro für realistisch.