196. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 18. Dezember 2008
Beginn: 9.02 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Kollegen Hans Peter Thul zu seinem 60. Geburtstag gratulieren, den er vor einigen Tagen gefeiert hat,
und ihm dazu alle guten Wünsche auch auf diesem Wege noch einmal übermitteln.
Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP:
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Pendlerpauschale
(siehe 195. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 33)
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Döring, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ausnahmeregelung für Fahrerlaubnisse von Angehörigen der Feuerwehren, des Rettungsdienstes und des Katastrophenschutzes schaffen
- Drucksache 16/10884 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Brähmig, Klaus Riegert, Jürgen Klimke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Dr. Reinhold Hemker, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Potentiale von Tourismus und Sport erkennen und fördern
- Drucksache 16/11402 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Annette Faße, Dr. Reinhold Hemker, Gregor Amann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Potentiale von Migranten für den internationalen Tourismus nutzen
- Drucksache 16/11403 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 34)
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur arbeitsmarktadäquaten Steuerung der Zuwanderung Hochqualifizierter und zur Änderung weiterer aufenthaltsrechtlicher Regelungen (Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz)
- Drucksachen 16/10288, 16/10722, 16/10914, 16/11166, 16/11390 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Röttgen
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt
- Drucksachen 16/9588, 16/10121, 16/10822, 16/11167, 16/11227, 16/11391 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Oppermann
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen (Familienleistungsgesetz - FamLeistG)
- Drucksachen 16/10809, 16/11001, 16/11172, 16/11191, 16/11329, 16/11392 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Michael Meister
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Ahrendt, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Notfinanzierungsmittel für EXIT-Deutschland zur Verfügung stellen
- Drucksache 16/11378 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 506 zu Petitionen
- Drucksache 16/11393 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 507 zu Petitionen
- Drucksache 16/11394 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 508 zu Petitionen
- Drucksache 16/11395 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 509 zu Petitionen
- Drucksache 16/11396 -
i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 510 zu Petitionen
- Drucksache 16/11397 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 511 zu Petitionen
- Drucksache 16/11398 -
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 512 zu Petitionen
- Drucksache 16/11399 -
l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 513 zu Petitionen
- Drucksache 16/11400 -
m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 514 zu Petitionen
- Drucksache 16/11401 -
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Rücknahmesystem für gebrauchte Energiesparlampen im Handel einrichten
- Drucksache 16/11387 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Petra Weis, Klaas Hübner, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die integrierte Stadtentwicklung weiter ausbauen
- Drucksache 16/11414 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Döring, Gisela Piltz, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Innenstädte stärken - Kooperationen fördern - Städtebauförderung weiter entwickeln
- Drucksache 16/8076 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik - Parlamentarische Kontrollmöglichkeiten verbessern
- Drucksache 16/11388 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts
- Drucksache 16/10117 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)
- Drucksache 16/11428 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz (Everswinkel)
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Novellierung des Vergaberechts für Bürokratieabbau nutzen - Bundesweit einheitliches Präqualifizierungssystem für Leistungen einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Werner Dreibus, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Tariftreue europarechtlich absichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vergaberecht reformieren - Rechtssicherheit schaffen - Eckpunkte für die Reform des Vergaberechts
- Drucksachen 16/9092, 16/6930, 16/9636, 16/6791, 16/8810, 16/11428 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Reinhard Schultz (Everswinkel)
ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Energieeinsparungsgesetzes
- Drucksachen 16/10290, 16/10331 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Ausschuss)
- Drucksache 16/11417 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Hettlich
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 32, der bisher als letzter Punkt am morgigen Freitag vorgesehen war, wird zusammen mit der gleich folgenden Regierungserklärung aufgerufen.
Die Tagesordnungspunkte 18, 31 und 34 b sollen abgesetzt werden.
Daraus ergeben sich einige Änderungen bei der Reihenfolge der Tagesordnung: Der Tagesordnungspunkt 19, bei dem im Übrigen eine namentliche Abstimmung verlangt wird, soll bereits nach dem Tagesordnungspunkt 9 aufgerufen werden, die nachfolgenden Tagesordnungspunkte 10 und 11 werden getauscht, die Tagesordnungspunkte 20 und 22 rücken aufgrund der Absetzung des Tagesordnungspunktes 18 entsprechend vor, und schließlich wird der Tagesordnungspunkt 13 erst nach dem Tagesordnungspunkt 20 aufgerufen.
Das hat sicher jeder jetzt sofort verstanden. - Jedenfalls gibt es keinen erkennbaren Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 und 32 auf:
4. Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen
zu den Ergebnissen des Europäischen Rats am 11./12. Dezember 2008
32. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon aussetzen - Ein Sozialprotokoll vereinbaren
- Drucksachen 16/8879, 16/10832 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth (Heringen)
Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Rainder Steenblock
Zu der Regierungserklärung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu kann ich Einvernehmen feststellen. Dann können wir so verfahren.
Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Hinter uns liegen in der Tat bewegte Monate. Unter der französischen Ratspräsidentschaft hatte Europa ganz außerordentliche Belastungen und Bewährungsproben zu bestehen. Ich glaube, wir dürfen heute mit Genugtuung und auch mit etwas Erleichterung sagen: Europa hat sich all diesen Krisen wirklich gewachsen gezeigt. ?Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch?, wurde Hölderlin am vergangenen Wochenende in einer großen deutschen Tageszeitung zitiert. Das hätte nicht gereicht, sage ich. Als es darauf ankam, haben wir als Europäer gemeinsam gehandelt. Wir haben einig und vor allen Dingen wirksam gehandelt.
Die Europäische Union hat die Waffen zum Schweigen gebracht, als im Sommer im Südkaukasus, gleich in unserer Nachbarschaft, der Krieg ausgebrochen war. Die EU hat eine neue Finanzarchitektur auf die internationale Tagesordnung gesetzt. Das war eine schnelle Reaktion auf die historische Krise auf den weltweiten Finanzmärkten.
In der vergangenen Woche - darüber diskutieren wir heute - hat sich die Europäische Union auf dem Europäischen Rat auf sehr konkrete zukunftsweisende Entscheidungen verständigt: erstens auf ein Konjunkturpaket von 200 Milliarden Euro, das ein deutliches Signal an die Wirtschaft bedeutet, zweitens auf einen zukunftsweisenden Durchbruch in der Klimapolitik mit - hoffentlich - Signalwirkung für unsere Partner weltweit, drittens auf ein eindeutiges Bekenntnis zum Vertrag von Lissabon, der Ende 2009 in Kraft treten soll.
Das ist eine gute Bilanz in wahrhaft schwieriger Zeit; darüber bin ich froh. Sie straft Gott sei Dank all jene Lügen, die der Europäischen Union schon wieder eine Eurosklerose bescheinigen wollten. Stattdessen haben sich in Europa die alten europäischen Tugenden - Berechenbarkeit, Nachhaltigkeit, auch Solidarität - erneut bewährt und Europa wieder handlungsfähig gemacht. Ich darf Ihnen sagen: Ohne die mutige Führung der französischen Ratspräsidentschaft wäre das nicht möglich gewesen. Unseren französischen Freunden sagen wir deshalb an dieser Stelle Dank für die Arbeit in schwierigstem Gelände. Ich finde, das verdient auch Anerkennung in diesem Hohen Hause.
Meine Damen und Herren, vom Europäischen Rat am 11. und 12. Dezember geht eine klare Botschaft aus. Mit der Verständigung auf ein europäisches Programm zur Belebung der Konjunktur hat Europa sich seiner Verantwortung für Wachstum und Beschäftigung gestellt. Wir haben früh darauf hingewiesen: Diese Verantwortung liegt bei den Mitgliedstaaten, aber gleichzeitig auch auf der europäischen Ebene. Das gehört zur Logik eines offenen europäischen Binnenmarktes. Abstimmung, Koordinierung und, wo immer möglich, gemeinsames Vorgehen liegen auch im Interesse der Mitgliedstaaten, gerade bei der Bekämpfung der Krise, in der wir uns zurzeit befinden.
Das Konjunkturprogramm in der Größenordnung von 1,5 Prozent des EU-weiten Bruttoinlandsproduktes ist aus meiner Sicht ein starkes Signal. Die Botschaft lautet: Die Staaten Europas werden sich gemeinsam mit aller Kraft gegen den Abschwung stemmen und Arbeit erhalten, wo immer das möglich ist. Es ist gut für uns, dass sich alle in Europa darüber einig sind.
Das Brüsseler Konjunkturprogramm enthält auf nationaler und auf europäischer Ebene Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen werden und sollen. Ich darf Ihnen nach den Diskussionen der vergangenen Woche sagen: Bei den nationalen Maßnahmen steht Deutschland in Europa bisher gut da. Noch nicht einmal die Hälfte der Mitgliedstaaten hat vergleichbare Maßnahmenpakete, wie wir sie in diesem Hohen Hause in den vergangenen Wochen beschlossen und verabschiedet haben, auf den Weg gebracht. Gleichwohl - das ist verständlich angesichts der Wirtschaftsdaten, denen wir entgegensehen - tobt natürlich auch in Deutschland eine Debatte darüber, ob in der Krise genügend nationale Gegenwehr gegeben ist. Die Zahl der Vorschläge - Sie erkennen das auch - wird nach und nach unüberschaubarer.
Wir wissen, meine Damen und Herren, wenn Konjunktur und Beschäftigung massiv einbrechen, dann werden wir gegebenenfalls neu entscheiden müssen, um Arbeitsplätze zu schützen und Jobs zu erhalten. Wir werden dabei kraftvoll und - so darf ich Ihnen versprechen - auch überlegt handeln. Wir werden wirksame Maßnahmen ergreifen, die konkret und langfristig zugleich sind. Darauf kommt es nämlich an.
Wirksam können Konjunkturprogramme nur dann sein, wenn wir in Europa gemeinsam handeln, wenn Europa und die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in dieselbe Richtung marschieren. Ich glaube, dass wir nur so eine Konjunkturkrise wirklich abfedern können. Deshalb müssen wir in Europa ein Dreifaches gemeinsam tun: Beschäftigung sichern, Infrastruktur ausbauen und Zukunftstechnologien fördern. Das Programm, das wir gerade in Brüssel beschlossen haben, greift viele unserer Vorschläge auf. Ich finde, das ist keine schlechte Auszeichnung für uns in Deutschland.
Ein wichtiger Punkt für mich ist: Wir müssen stärker in Energieeffizienz und auch in die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Gebiete investieren. Wir dürfen diese Gebiete nicht abhängen, auch nicht bei uns in Deutschland. Wir brauchen auch im ländlichen Raum eine technische Infrastruktur. Breitbandnetze sind Lebensadern für Modernisierung, Wachstum und Innovation in den ländlichen Räumen. Sie wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass das Vorhandensein von Breitbandnetzen mittlerweile auch ein Gesichtspunkt für mögliche Ansiedlungen ist. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir das auch von europäischer Ebene aus auf den Weg bringen, dass wir bürokratische Hemmnisse beseitigen und dass wir den Ausbau auch fördern.
Ein zweiter Punkt, den ich herausstellen möchte, ist die Ausweitung der Kredite der Europäischen Investitionsbank zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen. Auch das hatten wir von deutscher Seite bereits früher angeregt. In letzter Zeit haben wir auch in Deutschland oft gehört, dass Kredite so etwas wie der Blutkreislauf der Wirtschaft sind. Das ist ein gutes Bild. Wenn dies zutrifft, dann brauchen viele Betriebe gerade jetzt in der Krise eine Blutzufuhr, damit sie innovativ bleiben. Wir dürfen den Kreislaufkollaps nicht zulassen. Ich finde, die europäischen Beschlüsse, aus denen ich gerade zitiert habe, sind eine gute Hilfe, um genau dies zu verhindern. Deshalb sind es gute Beschlüsse.
Mehr Investitionen und Beschäftigung versprechen wir uns im Übrigen auch von einfacheren Beihilfe- und Ausschreibungsverfahren. Bisher werden Beihilfen ab 200 000 Euro in Brüssel geprüft. Künftig werden Beihilfen erst ab einem Betrag von 500 000 Euro geprüft. Das bedeutet mehr Planungssicherheit für viele Vorhaben, die in dem Umfang bisher nicht gegeben war. Hinzu kommt, dass die Ausschreibungsfrist bei Großprojekten von derzeit 87 auf künftig 30 Tage verkürzt wird. Auch damit gewinnen Unternehmen wertvolle Zeit. Deshalb ist dies ein guter Beschluss aus der vergangenen Woche.
Nicht zuletzt werden auch der Europäische Sozialfonds und andere europäische Instrumente - wie wir es gefordert haben - noch einmal daraufhin durchforstet, wie Beschäftigung gesichert und wie die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gefördert werden kann. Eine der Lösungen, die wir im Vorfeld diskutiert haben, war: Wenn kleine Unternehmen einen Arbeitslosen einstellen, dann können künftig Lohnnebenkosten unter Zurückgreifen auf europäische Mittel - auch ESF-Mittel - befristet übernommen werden. Ich finde, wenn Europa für die Menschen Gestalt annehmen soll, dann müssen wir an solchen lebensnahen Lösungen mehr arbeiten als bisher. Davon werden wir alle profitieren.
Alle diese Maßnahmen entsprechen einer Prämisse, die wir auch für uns gelten lassen: Vorfahrt für Arbeit. Darum geht es uns. Das müssen wir auf der nationalen und der europäischen Ebene umsetzen, damit wir die Rezession so gut wie nur irgend möglich abpuffern. Ich habe an anderer Stelle gesagt: 2009 darf kein Jahr der Entlassungen werden. Das müssen wir mit unseren Möglichkeiten so gut wie möglich verhindern.
Die Beschlüsse des Europäischen Rates - auch das haben Sie gesehen - geben den nationalen Mitgliedstaaten Möglichkeiten, je nach den unterschiedlichen Bedingungen ergänzende, weiter gehende Maßnahmen zu ergreifen. Man kann - das ist mittlerweile Allgemeingut - die Mitgliedstaaten der EU nicht über einen Kamm scheren. Die Volkswirtschaften haben eine unterschiedliche Struktur, und von dieser Vielfalt haben wir in Europa sogar ganz gut gelebt. Was zur Bewältigung der Krise etwa in der britischen Dienstleistungs- und Finanzdienstleistungswirtschaft hilft, das muss noch keine Hilfe für eine aus guten Gründen nach wie vor - wir sind froh darüber - industriell geprägte deutsche Volkswirtschaft sein. Deshalb war es klug, dass wir nicht alles über einen Kamm geschert haben, uns nicht auf einige wenige Instrumente verständigt haben, sondern weiterhin von der Anwendung eines Instrumentenkastens ausgehen.
Wo einheitliches Handeln nicht zwingend und sogar untauglich ist, da stimmen wir uns über den Rahmen nationalen Handelns gemeinsam ab. Das haben wir in der vergangenen Woche getan; das werden wir auch in Zukunft tun müssen. Warum? Weil zu dem Rahmen für nationales Handeln weiterhin natürlich auch zum Beispiel der Stabilitäts- und Wachstumspakt gehört. Wir haben uns in Brüssel vonseiten der deutschen Regierung dafür starkgemacht, dass dieser Pakt nicht komplett unterlaufen und nicht gänzlich ausgehebelt wird. Dieser Pakt bietet nämlich auch für die kommende Zeit Flexibilität. Er erlaubt, wie Sie wissen, ein zeitlich befristetes Überschreiten der 3-Prozent-Verschuldungsgrenze. Klar ist aber auch - auch das ist enthalten -: Alle sind gehalten, die Verschuldung unverzüglich zurückzuführen und für ausgeglichene Haushalte zu sorgen, sobald der nächste Aufschwung beginnt. Dabei bleibt es.
Das zweite große Thema neben der Finanz- und Wirtschaftskrise beim Gipfel war natürlich das Klimapaket. Auch bei der Klimakonferenz in Posen oder anderswo - überall zweifelte man, ob die Europäische Union ihre ehrgeizigen Klimaschutzziele bei der ersten Gelegenheit, wenn es denn passt, gleich wieder in die europäische Schublade zurücklegt. Es klingt in der Tat nicht ganz mutlos, was wir uns vorgenommen haben. Bis 2020 wollen wir in Europa 20 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 haben. Wir wollen den Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch auf 20 Prozent steigern.
Dann gab es tatsächlich welche - Unternehmen, Staaten und auch manche aus der Politik, wie ich Ihnen sagen kann -, die natürlich die Gunst der Stunde nutzen und den Klimaschutz von den vorderen Rängen der politischen Tagesordnung - auch der internationalen Tagesordnung - herunterziehen und von dort verdrängen wollten. Ich sage Ihnen offen: Auch aus meiner Sicht lag in den letzten Wochen vor dem Gipfel die Verschiebung des gesamten Paketes manchmal näher als die Möglichkeit, sich noch vor Weihnachten auf einen gemeinsamen Kompromiss zu verständigen.
Nach diesem Gipfel können wir aber sagen: Die EU hat Wort gehalten. Wir haben die Ziele bekräftigt und die Last konkret und verbindlich auf die EU-Staaten aufgeteilt. Ich finde, die Eckpunkte dieser Verständigung, die ich Ihnen jetzt vortragen werde, zeigen das knapp, aber auch ebenso klar:
Erstens. Wir werden einen gemeinsamen europäischen Emissionshandel einführen, der die bis dahin bestehenden nationalen Regelungen ablöst. Alle energieintensiven Unternehmen in Europa bekommen jetzt endlich - das war notwendig - gleiche Wettbewerbsbedingungen.
Zweitens. Kraftwerke, auch energieintensive Industriebetriebe dürfen jedes Jahr weniger Treibhausgase ausstoßen. Bis 2020 sinkt die Obergrenze schrittweise um 21 Prozent gegenüber 2005.
Drittens. Grundsätzlich bekommt kein Energieerzeuger in Europa Emissionsrechte geschenkt. Nur manchen Ländern in Osteuropa werden Übergangsregelungen eingeräumt, weil sie fast komplett von Strom aus alten Kohlekraftwerken abhängen.
Viertens. Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien haben sich die europäischen Mitgliedstaaten auf dem Rat zu verbindlichen Zielen verpflichtet. Wir Deutsche wollen bis 2020 18 Prozent der Energie aus erneuerbaren Energiequellen erzeugen. 2005 waren es noch 5,8 Prozent. Auf diesem Gebiet wartet viel Arbeit und vor allen Dingen viel kluge Politik auf uns. Die wollen wir miteinander machen.
Diese vier Punkte, die ich Ihnen kurz vorgetragen habe, sind aus meiner Sicht unter Klimaschutzgesichtspunkten ganz wichtige Schritte nach vorn. Zum ersten Mal werden in einem wirklich großen Wirtschaftsraum Ziele und Deklarationen, die bisher unverbindlich waren, in Regelungen und Maßnahmen umgesetzt. Das ist ein Erfolg, den wir hier im Hause und möglichst auch außerhalb dieses Hauses nicht kleinreden sollten. Das ist ein Erfolg.
Ich darf hinzufügen, dass damit den Erwartungen Rechnung getragen wurde, die uns der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages im Mai 2008 vorgetragen hat. Der Bundesumweltminister hat das in der gestrigen Sitzung des Umweltausschusses, wie ich gehört habe, ausführlich und überzeugend dargestellt. Ich danke ihm dafür.
Das Ergebnis beweist, dass man Klimaschutz und Arbeitsplatzschutz nicht gegeneinander ausspielen muss, sondern dass es sinnvolle Verknüpfungen gibt. Ich sage hier ganz klar: Wer eine breite Akzeptanz für den Klimaschutz will, der darf diese notwendige Anstrengung nicht auf dem Rücken von Arbeitnehmern durchsetzen. Nach dieser Überzeugung haben wir - ich zähle auf Ihr Verständnis - auch auf diesem EU-Gipfel gehandelt.
Zur Wahrheit gehört auch, dass Deutschland ein starkes Industrieland bleiben muss. Wir brauchen produzierende Betriebe. Mit Dienstleistungen allein - das wissen Sie - können wir unseren Wohlstand nicht sichern. Deshalb - das ist der Grund, meine Damen und Herren - haben wir Regeln vereinbart, die die energieintensiven Betriebe in Deutschland wettbewerbsfähig halten und nicht aus dem Land treiben. Das ist für mich und für die gesamte Bundesregierung verantwortungsvolle Politik. Dafür stehen wir. Dafür haben wir auch in Brüssel gestanden.
Wir kommen an den schwierigen Themen nicht vorbei; ich weiß das. Die Kohlekraft gehört dazu. Ich glaube aber, dass wir nur dann Standards setzen und in den noch problematischeren Regionen der Welt Vorbild bleiben können, wenn wir eine verantwortungsvolle Politik machen. Mit einem Verbot von Kohlekraftwerken, das manche fordern, werden wir in China niemanden überzeugen.
Wir werden eher Kopfschütteln hervorrufen, Herr Kuhn. Wenn Kohlekraft weltweit genutzt wird - das wird auf Sicht in vielen Regionen dieser Welt so sein -, dann dürfen gerade wir als Technologietreiber - hören Sie ruhig zu - uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Ein gutes Gewissen, das manche sich davon versprechen, macht noch kein gutes Klima. Deswegen war das, glaube ich, ein richtiger Kompromiss.
Mit Blick auf manche Debatten, die uns bei den Verhandlungen in Brüssel begleitet haben, muss ich sagen: Ich verstehe manches von dem, was an Vorwürfen öffentlich gehandelt worden ist, nicht. Wie kann man denn glauben, dass eine solche Debatte, die wir in Brüssel geführt haben, in einem völlig luftleeren Raum stattfindet? Wenn dort Regierungschefs aus 27 Staaten zusammensitzen, sprechen sie natürlich auch über alles andere, was uns gegenwärtig plagt und umgibt: über die wirtschaftliche Situation und auch über die Sicherung von Arbeitsplätzen. Was soll also der Vorwurf, dass das bei der Diskussion über Klimafragen eine Rolle spielt?
Entscheidend nach diesem Gipfel ist, dass Europa trotz dieser Diskussion - wir haben einen guten Kompromiss erzielt - weiterhin Vorreiter beim Klimaschutz bleibt. Die EU kann im nächsten Jahr die Verhandlungen über das Nachfolgeabkommen zum Kioto-Protokoll glaubwürdig beginnen. Ich sage Ihnen auch: Wir freuen uns über einen amerikanischen Präsidenten, der dem globalen Kampf gegen Erderwärmung einen wirklich neuen Schub gibt.
- Sie haben jetzt eine Sekunde zu früh geklatscht; ich wollte noch einen Satz hinzufügen.
Ich verfolge im Augenblick die inneramerikanische Diskussion. Die USA wollen - vorausgesetzt, Obama setzt sich mit seinen Vorstellungen durch - eine CO2-Reduzierung, eine Reduzierung der Treibhausgase auf den Stand von 1990 erreichen. Das ist vor dem Hintergrund der amerikanischen Diskussion sehr ehrgeizig; aber wir in Europa wollen weiter. Deshalb sage ich: Wir müssen uns angesichts dessen, was in Brüssel erreicht und bestätigt worden ist, nicht verstecken. Die Ziele bleiben. Wir sind aber weiter, weil wir sie jetzt mit Maßnahmen und konkreten Verabredungen unterlegt haben.
Ob im Kampf gegen die Rezession oder beim Klimaschutz - überall zeigt sich, dass wir in Europa gemeinsam mehr schaffen als jeder für sich allein. Aber Politik ist eben auch Organisation. Da haben manche recht und viele Erfahrung. Deshalb müssen wir Europas Handlungsfähigkeit auf Dauer sichern. Dafür steht der Vertrag von Lissabon, für den wir alle gemeinsam gekämpft haben. Ich glaube, wir haben beim Europäischen Rat einen Weg gefunden, wie der Vertrag im nächsten Jahr hoffentlich doch noch in Kraft treten kann. Das war nur möglich, weil die irische Regierung Mut gezeigt und ein weiteres Referendum im nächsten Jahr in Aussicht gestellt hat. Dies begrüße ich in der Tat sehr.
Wir jedenfalls wollen diesen Vertrag. Deshalb sind wir trotz mancher Kritik bereit, Irland entgegenzukommen. Wir werden das Prinzip ?Ein Land - ein EU-Kommissar? nicht im Jahre 2014 abschaffen. Das ist in der Tat eine bedeutsame Konzession, die uns nicht einfach gefallen ist. Aber wir sagen: Der Vertrag selbst muss in Kraft treten, und zwar wie geplant. Das heißt, Nachverhandlungen über den Vertrag darf es nicht geben. Das ist gesichert. Ich bin froh darüber, dass der Weg zur Ratifizierung jetzt auch in Irland beschritten wird.
Ich komme zum Schluss. Frieden in Europa gibt es nur, wenn auch Frieden um Europa herum herrscht. Wie schnell Situationen eskalieren, haben wir gerade in diesem Jahr mit einigem Schrecken im südlichen Kaukasus erlebt. Wir in Europa arbeiten gemeinsam dafür, dass sich diese oder ähnliche Situationen nicht wiederholen. Darum wollen wir Stabilität und Sicherheit in der östlichen Nachbarschaft der Europäischen Union stärken. Das ist eine unserer Antworten auf die Georgien-Krise. Das ist gelebte praktische Verantwortung. Das ist, wenn Sie so wollen, nachhaltige Politik im Bereich der Außenpolitik.
Konkret heißt das: Wir werden im März 2009 die europäische Nachbarschaftspolitik durch eine östliche Partnerschaft stärken. Erste Vorschläge dazu haben wir gemacht. Sie wurden von den Polen und Schweden aufgegriffen und sind in ein Konzept der Europäischen Kommission eingeflossen. Diese östliche Partnerschaft umfasst die Ukraine, Moldau und die Staaten des südlichen Kaukasus. Wenn sich die Entwicklung in Weißrussland positiv fortsetzt - ein paar Anzeichen dafür waren in den letzten Wochen zu sehen -, dann wird auch Weißrussland zu dieser östlichen Partnerschaftspolitik dazugehören können.
Die tschechische Präsidentschaft wird dies zu einem Schwerpunkt ihres Vorsitzes machen. Der tschechische Außenminister war gerade erst hier. Ich habe ihm versprochen, dass wir diesen Schwerpunkt von deutscher Seite aus nach Kräften unterstützen wollen.
Meine Damen und Herren, nächstes Jahr wird für die Europäische Union ein wichtiges Jahr, nicht nur, weil Europawahlen anstehen. Vor uns liegt eine Zeit der Veränderungen. Wir haben jetzt die Chance, auf die Globalisierung der Märkte mit kluger gemeinsamer Politik die politische Globalisierung folgen zu lassen. Die neue Architektur der Finanzmärkte wird dabei nur ein erster Schritt sein.
Es geht aber auch darum, wie wir die verschobenen Gewichte auf der internationalen Bühne neu austarieren, wie wir möglichst viele Akteure in eine internationale Verantwortungsgemeinschaft einbeziehen und integrieren. Das muss gelingen, und das kann nur gelingen, wenn wir in Europa gerade dabei eine gemeinsame Haltung entwickeln.
Die wichtigste Antwort auf die Globalisierung lautet für unser Land immer noch Europa, nicht nur ein Europa der Märkte, sondern auch ein Europa für alle Menschen, ein Europa, das nicht nur mit feierlichen Erklärungen und Dokumenten glänzt, sondern auch richtige Antworten auf die großen Zukunftsfragen gibt. Der Europäische Rat jedenfalls hat dafür in der vergangenen Woche aus meiner Sicht ein sehr ermutigendes Signal gegeben.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich die Gelegenheit nutzen, auch der Kollegin Renate Schmidt herzlich zu ihrem Geburtstag, den sie vor wenigen Tagen begangen hat, zu gratulieren und die guten Wünsche auf diesem Wege noch einmal öffentlich zu bekräftigen. Alles Gute!
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.
Dr. Werner Hoyer (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Noch vor zwei Monaten, im Zusammenhang mit dem Europäischen Rat im Oktober dieses Jahres, hat die Bundesregierung jede Regierungserklärung verweigert. Dieses Mal haben wir schon zwei Regierungserklärungen gehört: Vor 14 Tagen hat uns die Kanzlerin einen Ausblick auf den letzten Europäischen Rat gegeben, heute durfte der Außenminister zwecks koalitionspolitischer Ausbalancierung einen Rückblick wagen.
Wir sind froh darüber. Denn das gibt uns die Gelegenheit, Themen zu debattieren, die in Brüssel behandelt worden sind und die weiß Gott sehr, sehr wichtig sind. Die Lage ist in der Tat sehr ernst. Ich bin kein Schwarzmaler, sondern eher struktureller Optimist; aber ich weiß, dass die Politik ganz leicht Vertrauen verspielen kann, wenn der Eindruck entsteht, es werde Realitätsverweigerung betrieben.
Noch im September dieses Jahres hat die Bundesregierung alle Anzeichen für eine Finanz- und Wirtschaftskrise geleugnet, obwohl sich die Rezession schon damals deutlich abzeichnete. Selbst der Begriff ?Rezession? ist noch vor zwei Monaten bestritten worden. Wir können froh sein, dass die Stimmung im Lande zurzeit besser ist als die Lage; das ist übrigens ein Befund, der mit unserem Nationalcharakter eigentlich kaum in Einklang zu bringen ist. Die Konsumnachfrage ist gegenwärtig die Hauptstütze der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage; auch das ist in Deutschland nicht gerade oft der Fall.
Politik muss über den Tag hinaus denken und vorbereitet sein. Manchmal hat man allerdings den Eindruck, dass der eine Teil der Mannschaft des deutschen Kreuzfahrtschiffes noch auf dem Sonnendeck die Stühle sortiert, während der andere Teil unten bereits schuftet, um die größten Lecks abzudichten. In dieser Situation muss Europa handeln. Europa ist ja ebenso wie der Euro ein Pfund, mit dem wir heute wuchern können, im Gegensatz zur Situation vor 80 Jahren.
Wo aber steht Europa, wo steht die Europäische Union, und wo steht Deutschland in der Europäischen Union? Im Jahre 2009 wird es die EU nicht leicht haben. Die Kommission wird neu zu bestimmen sein; das Parlament wird gewählt; von der tschechischen Präsidentschaft erwarte ich, ehrlich gesagt, nicht unbedingt den ganz großen integrationspolitischen Elan, und die Zukunft des Lissabon-Vertrages steht in den Sternen. Ich hoffe, dass an Ihrem Optimismus bezüglich des zweiten Referendums in Irland mehr als nur Wunschdenken dran ist.
Es wird also ganz besonders auf die Mitgliedstaaten ankommen, und das heißt, ganz besonders auf die größte Volkswirtschaft, also auf Deutschland. Deutschland hat in der Geschichte der Europäischen Union stets die Lokomotive gemacht, und der deutsche Regierungschef war immer im Führerhaus dieser Lokomotive. Aber als sich zur Vorbereitung dieses Gipfels Premier Brown, Staatspräsident Sarkozy und Kommissionspräsident Barroso trafen, war die Bundeskanzlerin 800 Kilometer entfernt. Das ist ein ziemlich unglaublicher Vorgang.
Gleichzeitig hat es an Belehrungen und Beschimpfungen unserer Partner durch den Bundesfinanzminister nicht gefehlt. So muss man sich nicht wundern, wenn man auf der Bühne der Europapolitik plötzlich im Abseits steht oder sogar die Rolle des Buhmanns zugewiesen bekommt. Zumindest bei unseren Partnern ist der Eindruck eines unsolidarischen und kraftlosen Deutschland entstanden. Die Meinungsführerschaft haben längst andere übernommen.
Dabei stimme ich dem Finanzminister in einigen wesentlichen Punkten ja durchaus zu. Er warnt zum Beispiel davor, Geld zu sehr mit der Gießkanne zu verteilen. Das ist nie gut. Im Gegenteil: Wir sollten uns all denen entgegenstellen, die die Krise nutzen wollen, um endlich den Staatsanteil am Sozialprodukt wieder nach oben zu treiben. Wir sollten uns denen entgegenstellen, die das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes endgültig über Bord gehen lassen wollen, denen, die den Stabilitätspakt sowieso am liebsten loswerden wollen, denen, die der Meinung sind, Politiker und Beamte seien ohnehin die besseren Unternehmer und Banker, oder denen, denen angesichts der großen Krise der ordnungspolitische Kompass völlig abhanden zu kommen droht.
Nein, ein rationales und entschlossenes Handeln ist sowohl bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen - gewissermaßen der Leitplanken, mit deren Hilfe unsere soziale Marktwirtschaft wieder wetterfest gemacht werden muss -, als auch bei der Bekämpfung der Nachfrageschwäche gefragt, die im nächsten Jahr gefährliche Dimensionen annehmen wird.
Schauen wir uns die einzelnen Elemente der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage an:
Erstens. Die Auslandsnachfrage wird erheblich in Schwierigkeiten geraten. Das war immer die Stütze der deutschen Konjunktur. Hier besteht die Gefahr, dass die Lehren aus der Krise von vor 80 Jahren eben nicht gezogen werden und den Versuchungen des Protektionismus von einigen wieder nicht widerstanden wird. Hier müssen Berlin und Brüssel ohne Wenn und Aber in der Freihandelsspur bleiben. Niemand würde sonst so viel Schaden wie Deutschland nehmen.
Zweitens: Staatsnachfrage. Hier kann und muss der Staat handeln. Entscheidend ist dabei, dass damit zugleich Strukturschwächen entgegengewirkt und Zukunftsperspektiven eröffnet werden. Das heißt, neben der Verbesserung der Infrastruktur - übrigens nicht nur durch Geld, sondern auch durch Bürokratieabbau - geht es insbesondere auch darum, dass in den Bereichen Bildung, Forschung, Wissenschaft und Umwelt geklotzt werden muss.
Drittens: Investitionsnachfrage. Hier geht es darum, diese nicht völlig absaufen zu lassen. Das ist nicht gerade leicht, wenn man schon in der Keynes?schen Liquiditätsfalle angekommen ist. Durch die Geldmengensteuerung kann dann nicht mehr viel geholfen werden, vor allem dann nicht, wenn die Banken ihre Liquidität lieber über Nacht bei der Zentralbank parken und sogar Bilanzverkürzung betreiben als Mittelstandskredite zu vergeben.
Ich habe übrigens die Sorge, dass die Volkswirtschaft durchaus auch in Liquidität ersaufen kann. Das heißt, dass man die Liquidität eines Tages auch wieder wird abschöpfen müssen;
denn sonst wäre es geradezu vorprogrammiert, dass eines Tages auf die jetzt zu befürchtende Deflation später eine schwere Inflation folgen würde.
Hier zeigt sich, dass es ein Fehler gewesen ist, beim Bankenrettungsschirm nicht alle Institute in die Pflicht zu nehmen. Deswegen bleibt die steuerliche Entlastung des Mittelstandes die wichtigste Stellschraube.
Viertens: Konsumnachfrage. Hier gilt erst recht, dass eine steuerliche Entlastung das Gebot der Stunde ist. Noch wird konsumiert; Weihnachtsstimmung und jetzt zufließende Lohnerhöhungen tragen dazu bei. Aber vertun wir uns nicht: Anfang des neuen Jahres wird die Sorge um die Arbeitsplätze mehr und mehr um sich greifen, und die Leute werden mit Grausen feststellen, wie viel von dem Mehr an Brutto durch die kalte Progression und die Sozialabgaben weggefressen wird. Mehr Netto vom Brutto ist jetzt das Gebot der Stunde.
Natürlich kommen Sie jetzt mit dem Argument, dass all das die Verschuldungssituation verschärft. Stimmt! Anfang des nächsten Jahres wird diese Bundesregierung die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts feststellen, um überhaupt verfassungsrechtlich und europarechtlich noch über die Runden zu kommen. Es rächt sich eben jetzt, dass diese Regierung der Großen Koalition in ihren vier Jahren trotz 160 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen, also in den fetten Jahren, nichts auf die hohe Kante gelegt, sondern die Staatsverschuldung noch erhöht hat.
Deswegen kann es nicht sein, dass die Bundesregierung zögerlich handelt, dass sie die Abfolge ihrer Maßnahmen von wahltaktischen Erwägungen abhängig macht. Sie handelt nicht dann, wenn es erforderlich ist, sondern dann, wenn es wahltaktisch passt. Das ist unverantwortlich. Schnelle, breit angelegte Steuerentlastungen vor allem für kleinere und mittlere Einkommen sind jetzt in dieser Situation das richtige Signal und, nebenbei bemerkt, das richtige Signal an unsere Partner in der Europäischen Union.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Michael Stübgen ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Michael Stübgen (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns am Ende einer in jeder Beziehung bemerkenswerten Ratspräsidentschaft Frankreichs, bei der schon die Person des Ratspräsidenten Sarkozy versprochen hat, dass es eine spannende Zeit wird.
Diese Ratspräsidentschaft war allerdings auch noch durch äußere Einflüsse geprägt, die von uns nicht gesteuert werden konnten und sie in besonderer Weise schwierig machten, sodass sie über weite Zeiträume eine reine Krisenpräsidentschaft war. So hatte die französische Ratspräsidentschaft von Anfang an mit dem ungelösten Problem des gescheiterten irischen Referendums zu tun. Hinzu kamen die Georgien-Krise und die internationale Finanzkrise.
Ein Vorhaben der französischen Ratspräsidentschaft, das von uns unterstützt wurde, war, dass das, was unter der deutschen Ratspräsidentschaft als allgemeine Ziele für den Einstieg in die aktive Klimapolitik der Europäischen Union beschlossen worden ist, jetzt in den schwierigen Details mit klaren Vorgaben für die Industrie festgelegt und umgesetzt wird. All das sind extrem schwierige Dinge. Am Ende dieser Ratspräsidentschaft kann man feststellen, dass die französische Ratspräsidentschaft erfolgreich war. Der französischen Regierung gebührt dafür unser Dank.
Dabei ist gerade zum Ende dieser Präsidentschaft ein Phänomen für mich besonders bemerkenswert: Am Ende hat die französische Ratspräsidentschaft letztlich das umsetzen müssen, was die deutsche Ratspräsidentschaft vorgegeben hat. Ich will hier an die Frage des Lissabon-Vertrages erinnern. Nur durch das Agieren der deutschen Bundesregierung und von Bundeskanzlerin Angela Merkel war es möglich, den gescheiterten Verfassungsvertrag als Lissabon-Vertrag wieder auf die Schiene zu setzen.
Es war nicht geplant, dass wir uns noch damit beschäftigen. Aber es war Frankreich möglich, einen Zeitplan festzulegen, wie wir eine klare Chance eröffnen können, um am Ende des nächsten Jahres den Lissabon-Vertrag doch zu implementieren.
Es war auch die Fortführung der deutschen Ratspräsidentschaft, beim Klimapaket zu klaren Beschlüssen zu kommen. Hier war es - das muss man sagen - für Frankreich noch etwas schwieriger; denn allgemeine Ziele festzulegen, wie die dreimal 20 Prozent, ist in jedem Fall leichter, als zum Beispiel eine klare Umsetzung mit klaren Belastungen zu beschließen. Auch da sind wir zum Schluss zu einem vernünftigen Kompromiss gekommen. Auch der Europäische Rat in der vergangenen Woche am 11. und 12. Dezember ist insgesamt als Erfolg zu werten.
Drei Schwerpunkte gab es auf der Tagesordnung des Europäischen Rates, wobei ich nur auf einen in besonderer Weise eingehen will. Die Frage war: Wie geht es mit dem Lissabon-Vertrag weiter? Es ist vernünftig und richtig, dass sich die irische Regierung verpflichtet hat, bis zum 31. Oktober des nächsten Jahres die Ratifizierung in ihrem Land durchzuführen. Im Gegenzug haben die Staats- und Regierungschefs der irischen Regierung Garantien gegeben, um den irischen Bedenken Rechnung zu tragen. Ich glaube, es ist in der Tat nicht besonders gut, die Zahl der Kommissare letztlich doch wieder bei 27 bzw. 28 in der nächsten Legislaturperiode zu belassen. Sie alle wissen, dass wir richtigerweise die Forderung vertreten haben, die Zahl der Kommissare so zu reduzieren, dass die Kommission in Zukunft in der Lage ist, eine Art Regierung mit verschiedenen Ressorts zu bilden. Das ist nämlich mit 27, 28 oder mehr Kommissaren nur bedingt möglich. Wir haben zum Beispiel jetzt einen Kommissar, der für das bemerkenswerte Thema Sprachenvielfalt zuständig ist, aber letztlich in der Frage nichts erreicht hat.
Ich glaube, wir müssen dafür sorgen, dass die Europäische Kommission intern zu Strukturen kommt, in denen nicht wie bisher jeder Kommissar für bestimmte Bereiche zuständig ist; vielmehr müssen die Zuständigkeiten gestrafft werden, sodass wir auch bei Kommissaren, die keine direkte oder sozusagen eine untergeordnete Zuständigkeit haben, zu einer klaren Regierungsstruktur kommen.
Ich glaube auch, dass die Beschlüsse zum Konjunkturpaket der Europäischen Union sehr wichtig waren. Dabei ist in besonderer Weise hervorzuheben, dass es eine Reihe von Erleichterungen geben wird, zum Beispiel die Erweiterung der sogenannten De-minimis-Regelung, die Verkürzung der Ausschreibungsfristen für Infrastrukturprojekte und - das muss noch umgesetzt werden - die Erhöhung des Volumens, ab dem eine europaweite Ausschreibungspflicht für öffentliche Aufträge gegeben ist, und zwar von 5 Millionen auf 10 Millionen Euro.
Ich will ausdrücklich Bundeskanzlerin Angela Merkel danken: dass sie in dieser Frage trotz Kritik und Anfeindungen einen klaren Kurs gehalten und verhindert hat, dass der Europäische Rat in finanzpolitischem Aktionismus alles Mögliche beschließt, nur weil das vielleicht gerade populär ist, und dass die Finanzielle Vorausschau ausgeweitet wird. Angela Merkels Position war zwar über weite Strecken unpopulär, aber extrem wichtig. Ich glaube, es ist richtig - das ist der deutschen Bundesregierung zu verdanken -, dass sich der Europäische Rat darauf einigen konnte, den Umfang des Konjunkturpakets auf 1,5 Prozent des europäischen Bruttosozialproduktes zu begrenzen, dass der europäische Anteil daran knapp ein Siebtel beträgt und dass nicht von vornherein eine Ausweitung der Finanziellen Vorausschau angestrebt wird.
Am strittigsten - das war zu erwarten - war die Diskussion um das Klimapaket. Bei aller Kritik, die von allen Seiten vorgetragen wird, muss man einige grundsätzliche Punkte festhalten. Die Europäische Union ist in der Tat - das war unser Ziel, und es ist auch notwendig - die erste Völkergemeinschaft, die aktiv in den Klimaschutz einsteigt und dies auch umsetzt. Aber bei der konkreten Umsetzung musste von Anfang an beachtet werden, dass es in den europäischen Mitgliedsländern höchst unterschiedliche Industriestrukturen und Energieerzeugungsstrukturen gibt. Bedauerlicherweise haben die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Richtlinien zum Klimapaket darauf nicht ausreichend Rücksicht genommen und waren insofern untauglich.
Es bringt letztlich nichts, wenn wir Belastungen für die Industrie beschließen, die sie gar nicht bewältigen kann, selbst wenn sie dazu bereit ist, und das zum Zusammenbruch und zur Abwanderung industrieller Strukturen führt. Das schädigt Europa, und es nützt nicht einmal dem Klima. Denn wenn die Produktion in andere Länder verlagert wird, in denen es keine entsprechenden Auflagen gibt, dann schadet dies dem Klima.
Ich glaube, dass der gefundene Kompromiss vernünftig ist. Es war eine sehr schwierige Gratwanderung, und es war klar, dass Deutschland in dieser Diskussion gleich zweifach in einer schwierigen Situation ist. Zum einen haben wir eine Industriestruktur, die in der Europäischen Union ihresgleichen sucht. Sie ist obendrein noch stark exportabhängig. Das heißt, sie steht im internationalen Wettbewerb mit Ländern, in denen es noch keine Klimaschutzvorgaben gibt. Zum anderen haben wir in Deutschland eine Energieerzeugungsstruktur, die sehr stark - zu über 40 Prozent - auf der Verbrennung von fossilen Energieträgern beruht. Auch hierbei bringt es nichts - wenn wir zu Ergebnissen kommen wollen -, ab 2013 sozusagen einen Schnitt zu machen und zu einem Knockout der bisher sehr erfolgreichen und auch technisch sehr fortschrittlichen und innovativen Energieproduktion in Deutschland zu kommen.
Ich glaube, dass die Ausnahmen für exportabhängige Industrien, die durch die Einführung der Auktionierung besonders betroffen sind, richtig und ausreichend sind. Wichtig ist auch, dass die sogenannte indirekte Carbon Leakage auch durch die Kommission so berücksichtigt wird, dass wir auf nationaler Ebene in der Lage sind, Industriebetriebe, die zwar nicht direkt durch die Auktionierung von Emissionszertifikaten betroffen, aber durch einen im Verhältnis zu ihrer Bruttowertschöpfung hohen Stromverbrauch belastet sind, zu entlasten. Auch hier ist es wichtig, zu wissen: Es bringt niemandem etwas, wenn diese Industrie Deutschland verlässt und an das andere Ende der Welt geht.
Nun möchte ich noch ganz kurz auf die Frage der Energieerzeugung eingehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das wird allerdings schwierig.
Michael Stübgen (CDU/CSU):
Dann wird einer meiner nachfolgenden Redner noch ausreichend darauf eingehen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sehr schön. Ich habe übrigens den begründeten Eindruck, Herr Kollege, dass dieser Schluss den meisten Kollegen mindestens so gut wie das gefallen hat, was Sie eigentlich noch vortragen wollten.
Das Wort erhält nun der Kollege Oskar Lafontaine für die Fraktion die Linke.
Oskar Lafontaine (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich stimme dem Bundesminister des Auswärtigen zu: Europa stand in den letzten Monaten vor großen Herausforderungen. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ich stimme ihm auch darin zu, dass wir Veranlassung haben, dem französischen Präsidenten für seine Amtsführung in den letzten Monaten zu danken; denn er hat in dieser schwierigen Situation eines sofort erkannt: Auf diese Herausforderung kann man nicht durch nationalstaatliches Handeln reagieren, vielmehr muss man gemeinsame europäische Antworten finden. Dass er dies erkannt und durchzusetzen versucht hat, dafür gebührt ihm nach unserer Auffassung Dank.
Der Bundesaußenminister hat vorgetragen, es sei gut, dass sich in Europa alle einig sind. An dieser Aussage bestehen berechtigte Zweifel. Es wäre schön, wenn sich alle in Europa einig wären und man eine gemeinsame Antwort fände. Aber festzustellen ist, dass es in Europa sehr unterschiedliche Auffassungen gab und dass insbesondere die Bundesregierung diejenige war, die eine einheitliche europäische Antwort auf die Herausforderung eher hintertrieben denn befördert hat.
Dafür gibt es nun Gründe. Wenn beispielsweise die Bundeskanzlerin in Frankreich als ?Madame Non? bezeichnet wird, dann kommt dies nicht von ungefähr. Es kommt schlicht und einfach daher, dass sie am Anfang, als man versuchte, gemeinsame Antworten zu finden, nicht bereit war, die notwendigen Kompromisse einzugehen, und gewissermaßen zum Jagen getragen werden musste. Insofern wäre es redlich, auch dies einmal anzumerken. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa. Deutschland hätte eigentlich vorangehen müssen, um eine gemeinsame Antwort zu finden, und nicht als Blockierer dastehen dürfen.
Wenn irgendjemand Zweifel daran hat, dass diese Analyse richtig ist, dann erinnere ich daran, dass der Herr Bundeswirtschaftsminister zu Beginn der Krise sagen zu müssen meinte, ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Hätte in Europa wirklich jeder vor seiner eigenen Tür gekehrt, dann sähe die Situation jetzt noch viel schlechter aus. Insofern ist es gut, dass es von Anfang an europäische Staatsmänner gab, die erkannt hatten, dass wir gemeinsam handeln müssen, und nicht solche dummen Sprüche absonderten, wie es hier in Deutschland geschah.
An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass es nicht glücklich ist, wenn sich der Bundesfinanzminister so aufführt, wie er es auf europäischer Ebene getan hat. Wenn er beispielsweise meint, sich über Gordon Brown lustig machen zu müssen, dann ist demgegenüber festzuhalten, dass dieser schneller und konsequenter als diese Bundesregierung reagiert hat. Insofern besteht für solche Überheblichkeit überhaupt kein Anlass.
In diesem Zusammenhang hat der Bundesfinanzminister zum Ausdruck gebracht, die Mehrwertsteuersenkung in Großbritannien sei lächerlich, weil es schließlich keinen großen Unterschied mache, eine Ausgabe für 97,50 Euro anstatt für 100 Euro zu tätigen. Eine solche Auffassung kann man zwar vertreten; wenn man selbst aber vorher in Deutschland der Auffassung war, für ein paar hundert Euro Kraftfahrzeugsteuerermäßigung kauften sich alle Leute schnell ein Auto, befindet man sich nicht in einer günstigen Position, sondern dann fällt ein solcher Vorwurf zumindest auf einen selbst zurück.
Der französische Ratspräsident hat noch einmal den von Jacques Delors stammenden Vorschlag - ich sage dies ganz bewusst - einer europäischen Wirtschaftsregierung eingeführt. Für meine Fraktion erkläre ich, dass wir diesen Vorschlag nach wie vor für richtig halten, weil dies am Anfang der europäischen Wirtschaftsunion völlig unstreitig war. Diejenigen, die die Krönungstheorie vertraten, waren zugleich der Auffassung, man brauche zunächst gemeinsame politische Organe und erst dann eine gemeinsame Währung. Man kann eine ganze Reihe von Gründen anführen, um zu einer solchen Auffassung zu kommen. Wenn man sich aber schon für den umgekehrten Weg aus sachlichen und politischen Erwägungen heraus entschieden hat, zuerst eine gemeinsame Währung einzuführen, ist es umso logischer, zu sagen: Dann müssen auch die Wirtschafts- und die Finanzpolitik sowie nach Möglichkeit die Lohnpolitik im gesamteuropäischen Raum koordiniert werden, wenn man optimale makroökonomische Ergebnisse haben will.
Deshalb begrüße ich, dass dieser Delors-Vorschlag noch einmal vom französischen Staatspräsidenten auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Nun hat der Bundesaußenminister gesagt - ich bedauere, dass er sich vertieft unterhält; er hat sicherlich Gründe dafür -: Gut, dass sich alle in Europa einig sind. - Ich möchte hier für meine Fraktion erklären: Es wäre gut, wenn sich alle in der Bundesregierung einig wären. Dann wären wir ein ganz großes Stück weiter.
Was die Bundesregierung aufführt, ist nichts anderes als Affentheater. Jeder Minister hat irgendeinen anderen Vorschlag. Es ist ganz ungewöhnlich, dass eine Regierung zu einem Palaverklub denaturiert, in dem jeder andere Vorschläge in ökonomischen Fragen hat. Der eine ist für Steuersenkungen, der andere ist dagegen. Der eine ist für Konjunkturprogramme, der andere ist dagegen. Der eine sagt: Die Sozialabgaben müssen sinken. Der andere sagt etwas ganz anderes. Die entscheidende Frage ist doch: Wie will man denn auf europäischer Bühne eine überzeugende Figur abgeben, wenn alle Mitglieder des Bundeskabinetts unterschiedliche Auffassungen in den Kernfragen haben? Das ist nicht mehr nachvollziehbar.
Trotz der Angst, die Sie davor haben, das Wort ?Konjunkturprogramm? in den Mund zu nehmen, möchte ich sagen: Sie würden allen europäischen Ländern erheblich helfen, wenn Sie die Strukturdefizite Deutschlands beseitigten. Diese möchte ich für meine Fraktion benennen:
Erster Punkt. Jeder weiß, dass wir 1 Prozent, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, weniger für Bildung ausgeben als die anderen OECD-Staaten im Durchschnitt.
Daraus wäre der einfache Schluss zu ziehen: Jawohl, wir beseitigen dieses strukturelle Defizit und geben in Zukunft 1 Prozent mehr für Bildung, Forschung und Wissenschaft aus. Es ist doch nicht so schwer, zu einem solchen Ergebnis zu kommen.
Zweiter Punkt. Jeder in diesem Hause kann überprüfen, dass wir 1 Prozent weniger in die Infrastruktur investieren als die anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft im Durchschnitt. Angesichts dessen ist es doch nicht so schwer, zu dem Ergebnis zu kommen: Lasst uns in Zukunft dafür Sorge tragen, dass wir genauso viel in die Infrastruktur investieren wie die anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft im Durchschnitt!
Das sind, bezogen auf das Bruttosozialprodukt, saldiert die 50 Milliarden Euro, von denen immer die Rede ist. Man kann das für richtig oder für falsch halten, aber diese Vorschläge sind logisch und liegen vor.
Dritter Punkt. Ein weiteres strukturelles Defizit in Deutschland stellt - darüber herrscht sicherlich keine Übereinstimmung in diesem Haus - die Lohnentwicklung dar. Wir haben einen Abfall der Lohnquote zu verzeichnen, der zumindest für die deutsche Volkswirtschaft, wenn nicht sogar für Gesamteuropa von Bedeutung ist. Ich will die Zahlen nennen. Hätten wir noch die Lohnquote des Jahres 2000, dann hätten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland rund 140 Milliarden Euro mehr an Bruttolöhnen. Dieses strukturelle Defizit muss man beseitigen. Daher haben wir Vorschläge betreffend Hartz IV und den Mindestlohn gemacht; denn dieses Defizit können wir uns auf Dauer nicht leisten.
Das vierte strukturelle Defizit ist das, was der Wirtschaftsweise Bofinger als Entstaatlichung bezeichnet. Er hat die Entstaatlichung der letzten zehn Jahre beziffert. Die Bundesregierung hat uns dankenswerterweise die Auskunft gegeben, dass wir dann, wenn wir die gleiche Staatsquote wie im Jahr 2000 hätten, Mehrausgaben in Höhe von 118 Milliarden Euro pro Jahr hätten. Mit anderen Worten: Erklärte die Bundesregierung nur, sie beseitigte die strukturellen Defizite, die sich über Jahre bei Bildung, Infrastruktur, Löhnen und Staatsausgaben aufgebaut haben, würden wir massiv dazu beitragen, dass Europa die richtige Antwort auf die Krise fände.
Ich will noch etwas zu den infrage stehenden Programmen sagen. Natürlich muss man sich entscheiden. Wenn der Bundesfinanzminister richtigerweise sagt: ?Die Hälfte der Haushalte zahlt keine Steuern? - er meint natürlich die andere Hälfte der Haushalte, die Lohn- und Einkommensteuer zahlt -, dann ist das einfach nur eine statistische Feststellung. Natürlich kann man daraus die Konsequenz ziehen - wir halten das für die falsche Antwort -: Wir helfen der Hälfte der deutschen Haushalte, die Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Man kann zu diesem Ergebnis kommen. Dies ist aber rein makroökonomisch nicht so effizient, als wenn man der Hälfte der deutschen Haushalte hilft, die keine Lohn- und Einkommensteuer zahlen, indem man ihnen mehr Einnahmen verschafft; denn diese Haushalte tragen das Geld in die Kaufhäuser. Hier haben wir die höchste Konsumrate. Das ist die Antwort, die wir empfehlen.
Nun noch eine Bemerkung zur Umwelt. Natürlich ist es richtig - wer wollte das kritisieren -, dass Sie, Herr Bundesaußenminister, Kompromisse schließen müssen. Es wäre einfach naiv, zu sagen: Um Himmels willen, ihr dürft keine Kompromisse schließen! - Natürlich kann man darüber rechten, ob das weite Entgegenkommen gegenüber der Energiewirtschaft richtig war. Eines kann man auf jeden Fall sagen: Wenn Sie hier - nach unserer Auffassung richtigerweise - den technologischen Fortschritt reklamieren und sagen, wir müssten einen höheren Anteil an erneuerbaren Energien in der Zukunft erreichen, dann müssen wir im Inland die technischen und strukturellen Voraussetzungen dafür schaffen. Das heißt für uns: gesamtstaatliche Verantwortung für die Netze und Dezentralisierung der Energieversorgung; sonst werden wir die hehren Ziele, was die erneuerbaren Energien in Deutschland angeht, nicht realisieren.
Eine letzte Bemerkung, auch wenn Sie das immer wieder ärgert: Wir definieren Demokratie nicht nur vom Formalen, sondern auch vom Ergebnis her. Eine demokratische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit und nicht die Interessen der Minderheit durchsetzen. Das gilt nicht nur für Deutschland, das gilt auch für Gesamteuropa. Deshalb zitiere ich an dieser Stelle gern Karl Arnold: Formale politische Demokratie auf der einen Seite, aber Absolutismus in der Wirtschaft, das wird und kann auf Dauer nicht funktionieren. - Wir wollen zu einem demokratischen und sozialen Europa kommen. Wir wollen an die Stelle des Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte die Wirtschaftsdemokratie als gesamtgesellschaftliches Konzept setzen.
Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass hier begrüßt wird, dass die Iren noch einmal abstimmen müssen. Es wäre doch ganz schön, wenn man nicht immer nur auf der Ebene der Regierungen denken würde und der irischen Regierung Komplimente dafür machen würde, dass sie bereit ist, noch einmal abstimmen zu lassen. Wir sind der Auffassung, dass Demokratie ernst zu nehmen ist. Wir alle haben in den letzten Jahrzehnten die Bevölkerung viel zu wenig an dem Fortschritt der europäischen Einigung teilhaben lassen.
Deshalb plädieren wir für Volksabstimmungen. Wir halten es für einen Fehler, immer wieder zu sagen: Wenn ihr nicht so abstimmt, wie wir wollen, dann müsst ihr halt noch einmal abstimmen. - So werden wir das demokratische und soziale Europa nicht voranbringen.
Noch eine allerletzte Bemerkung: Wenn jetzt nach dem Deutschen Gewerkschaftsbund auch die Sozialdemokratische Partei den Vorschlag macht, den wir seit längerem machen, nämlich eine soziale Fortschrittsklausel in das europäische Vertragswerk aufzunehmen, dann sollte man versuchen, vor Verabschiedung eines Vertrages eine solche Fortschrittsklausel zu verankern, damit Europa nicht nur demokratisch, sondern auch sozial wird.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren für die SPD-Fraktion.
Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor zwei Wochen stand ich schon einmal hier. Damals stand die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin vor dem Gipfel auf der Tagesordnung. Wir haben hier vor allen Dingen unseren Hoffnungen Ausdruck verliehen, dass die Ergebnisse des Gipfels gute sein mögen und dass die deutsche Regierung erfolgreich verhandeln möge.
Der Erfolg, den wir erzielt haben, ist nicht selbstverständlich. Wir haben in der Tat der französischen Ratspräsidentschaft zu danken, die zukunftsweisende Beschlüsse zustande gebracht hat, die zufriedenstellende Beschlüsse erreicht hat und die Einigkeit erreicht hat. Gerade das ist in Krisen und vor großen Herausforderungen unabdingbar.
Lassen Sie mich auf nur einige wenige Punkte eingehen.
Gerade der Erfolg, was das Klimapaket angeht, ist keine Selbstverständlichkeit gewesen; denn viele haben versucht, sich von den ehrgeizigen Klimaschutzzielen zu verabschieden, übrigens auch in der deutschen Politik. Deswegen bin ich besonders froh, dass wir bei der 100-Prozent-Auktionierung geblieben sind.
Mein Kollege Uli Kelber wird das sicher genauer ausführen.
Ich möchte auf einen Punkt eingehen, nämlich die Tatsache, dass wir in dieser Hinsicht auch die mittel- und osteuropäischen Staaten haben mitnehmen können, die im Jahr 2020 bei einer 100-prozentigen Stromauktionierung landen werden. Sie wollten aufgrund ihrer Struktur - 95 Prozent der Stromerzeugung basiert auf Kohle - weitreichende Ausnahmeregelungen erreichen. Wer dieses Land gut kennt und weiß, vor welchen großen strukturellen Veränderungen es steht - wir haben unsere eigenen Erfahrungen mit Kohleregionen -, der kann diesen Wunsch nachvollziehen. Es ist wichtig, dass wir dieses Phasing-in erreicht haben und nun über den Solidaritätsmechanismus Hilfen für Modernisierung, für Investitionen in moderne Technologien gewähren können, damit auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern der Fortschritt im Bereich Klimaschutz bald sichtbar werden kann.
Auch in der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat sich die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gezeigt. Ich bin sehr froh, dass es bei den verabredeten Maßnahmen nicht dazu gekommen ist, dass Umwelt und Arbeit gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr haben wir mit Strategien zur Bekämpfung der Rezession sowohl den ?Vorrang für Arbeit? - so hat es Frank-Walter Steinmeier in seinen neun Punkten formuliert - als auch die ökologische Innovation auf die Tagesordnung gesetzt. Das kann man an dem Investitionsprogramm festmachen, an dem sich die Europäische Investitionsbank beteiligen wird. Profitieren werden davon insbesondere kleine und mittlere Unternehmen - das ist in der Tat sehr wichtig - und der Bereich ?saubere Mobilität?. Das passt hervorragend zu den Maßnahmen, die wir in unser deutsches Konjunkturprogramm aufgenommen haben, und zu den Maßnahmen, die wir darüber hinaus wahrscheinlich noch verabreden werden.
Das Gleiche gilt für die Investition, was die Breitbandverkabelung anbelangt. Ich freue mich, dass sogar die Formulierungen von Frank-Walter Steinmeier in dieses Investitionsprogramm aufgenommen wurden.
Unser Außenminister hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass wir in dieser Krise nicht allein nationale Maßnahmen ergreifen können, sondern dass es hier eines ergänzenden europäischen Impulses bedarf. Das scheint mir selbstverständlich zu sein in einer Gemeinschaft, in der der Export jedes einzelnen Landes und auch unseres Landes vor allen Dingen auf den europäischen Binnenmarkt ausgerichtet ist. Wenn wir weiterhin Maschinen exportieren wollen, ist es wichtig, dass auch unsere Handelspartner in der Europäischen Union gut dastehen. Deswegen brauchen wir diese verdichtete Koordinierung.
Herr Lafontaine, ich streite mich überhaupt nicht darüber, ob wir ?gouvernement économique? oder ?Wirtschaftsregierung? sagen. Sarkozy wird mit großer Sicherheit niemals gemeint haben, dass er staatliche Souveränität in einer Weise an die Europäische Union abgeben werde, dass dort eine Regierung für Wirtschaftsfragen im eigentlichen Sinne eingerichtet wird - aber es macht sehr wohl Sinn, sich hier abzustimmen und Arbeitsteilung durchzuführen -; denn ein industrielles Kernland wie Deutschland braucht andere Maßnahmen als eine überwiegend von Dienstleistungen geprägte Volkswirtschaft wie die des Vereinigten Königreiches.
Wir diskutieren jetzt über ein weiteres Konjunkturprogramm. Herr Hoyer, die Krise ist so ernst, wie Sie sie beschrieben haben; über die weiteren Entwicklungen können wir noch nicht sehr viel Genaues sagen. Ich erwarte - das sage ich insbesondere in Richtung der FDP -, dass sich die Opposition ebenfalls an der Lösung der Probleme beteiligt und nicht nur bei krittelndem Widerstand verbleibt.
Ich will an dieser Stelle einmal darauf hinweisen, wie widersprüchlich Ihre Argumentationen sind. Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass wir hier keine kurzfristigen Feuer entfachen dürfen, indem wir Sozialabgaben senken oder Sozialtransfers erhöhen. Gleichzeitig plädieren Sie aber für eine Steuersenkung, die vor allen Dingen den Gruppen zugutekommen würde, die eine relativ hohe Sparquote haben, weswegen vernünftigerweise gar nicht zu erwarten ist, dass die Entlastung in Konsum und Nachfrage umgemünzt wird. Insofern müssen wir in unserer Argumentation schon konsequent bleiben. Deswegen setze ich in erster Linie auf ein Investitionsprogramm, das die Kommunen darin bestärkt, ökologische Investitionen und Bildungsinvestitionen sowie solche Investitionen zu tätigen, die die Infrastruktur zum Stichwort ?saubere Mobilität? voranbringen.
Ein kurzes Wort zum Lissabonner Vertrag. Wir sind froh darüber, dass die Aussichten wieder besser geworden sind, auch wenn der Preis - die Anzahl der Kommissare - hoch ist. Aber das Referendum ist noch nicht gewonnen. Ich kann langsam nicht mehr hören, Herr Lafontaine, welche Äußerungen Sie im Hinblick auf den Lissabonner Vertrag machen und mit welchen Gruppen Sie sich ins Boot begeben.
Murdoch und Ganley, das ist eine feine Gesellschaft, mit der zusammen Sie gegen einen Vertrag vorgehen wollen, der schneller als die Verabredung einer sozialen Fortschrittsklausel, die wir wollen, Verbesserungen für ein soziales Europa bringt. Insofern widersprechen Sie sich hier selber.
Lassen Sie mich zum Abschluss noch ein paar Worte zur Rolle der französischen Ratspräsidentschaft sagen. Wenn wir die dynamische und kraftvolle Arbeit des französischen Staatspräsidenten positiv sehen, weil in einer Krise wie dem Krieg zwischen Georgien und Russland schnelles Handeln gefordert war, dürfen wir doch nicht außer Acht lassen, dass auch immer Integrationskraft nötig ist. Hier hat die deutsch-französische Zusammenarbeit eine ganz große Rolle gespielt. Das deutsch-französische Tandem hat Impulse gegeben. Das ist nicht nur in Bezug auf die Wirtschaftskrise der Fall gewesen; das ist zum Beispiel auch in der Frage der Beobachtermission in Georgien, in der Frage der Untersuchungskommission der Fall gewesen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, ich darf auch Sie bitten, auf die Uhr zu achten.
Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Deswegen, Herr Präsident, will ich zum Abschluss nur noch sagen:
Die Ratspräsidentschaft wie die Europäische Union sind ein ständiger Lernprozess. Dort hat sowohl Gordon Brown dazugelernt, nämlich dass man eine Finanzmarktregulierung braucht, wie auch Präsident Sarkozy, der Toleranz gelernt hat und gelernt hat, dass in der Europäischen Union Kompromisse am Ende zu Erfolgen führen.
Herzlichen Dank, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss ehrlich sagen: Ich wundere mich
über die Versuche, diesen europäischen Regierungsgipfel gesundzubeten. Ich habe viele Menschen getroffen, Herr Steinmeier, die von den Ergebnissen des europäischen Gipfels enttäuscht sind und die auch sagen, dass dieser Gipfel eine Blamage für die Bundesregierung ist.
Nun ja, Frau Schwall-Düren, auch wenn Sie jetzt lächeln,
Sie haben erklärt, man habe beschlossen - nehmen wir mal einen zentralen Punkt, das Thema Klimawandel -: 20 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2020. Dazu kann ich nur eines sagen: Was auf diesem Klimapaket draufsteht, ist gar nicht drin.
Es ist machtpolitisches Maulheldentum oder, unter Verbrauchergesichtspunkten - das versteht ja jeder -: Es ist eine Luftverpackung. So groß ist die Verpackung, und so klein ist der Inhalt.
Mit tatkräftiger deutscher Hilfe - das muss man ja sagen - sind große Löcher in den Emissionshandel gebohrt worden. 90 Prozent der Industrie werden ausgenommen, bekommen gar keine Anreize, in kohlestoffarme Technik zu investieren. Der notwendige Strukturwandel wird verschleppt. Hier haben einige, auch von der FDP, immer über Wettbewerb geredet. Sie machen aber Ausnahmen und diskutieren über Wettbewerb und Arbeitsplätze für Betriebsbereiche,
zum Beispiel die Produktion von Zement, die gar keinen Wettbewerb zu fürchten haben, meine Damen und Herren. Das ist doch kein mutiger Schritt, keine Brücke zu etwas Neuem, um Arbeitsplätze zu schaffen, sondern das ist schlicht und einfach die Unterstützung des Alten und die Päppelung einzelner Industriezweige.
Sie haben zwar die 100-Prozent-Versteigerung der Emissionsrechte an die Energieversorger in Deutschland erreicht, aber Sie haben auch eine Subvention für den Neubau von Kohlekraftwerken organisiert. Wieso sollen wir ihnen eigentlich, wenn wir vorwärts gehen sollen, noch bis zu 15 Prozent der Investitionssumme hinterher werfen? Das Geld brauchten wir an ganz anderer Stelle.
Sie haben an anderer Stelle diese 100-Prozent-Versteigerung wieder aufgehoben, indem Sie geregelt haben, dass Mittel- und Osteuropa Zertifikate noch lange umsonst vergeben können. Was wird dort passieren, meine Damen und Herren? Am Ende werden wieder die Energieversorger aus Deutschland profitieren, zum Beispiel RWE, die dann dort Gewinne einstreichen, ohne irgendeine Leistung für die Umwelt zu erbringen.
Am Rande sei erwähnt: Der Parlamentsbeschluss ?100-Prozent-Versteigerung im Energiesektor? ist von Ihnen an der Stelle missachtet worden. Dafür haben Sie sich in Europa nicht eindeutig eingesetzt.
Das ist nicht die Antwort auf die Klimakrise.
Frau Merkel, Herr Steinmeier, an der Stelle kann man auch nicht behaupten, Europa habe Wort gehalten. Im Gegenteil. Was wir da gesehen haben, ist ein Kniefall vor der alten Lobby. Bei der Automobilindustrie hat man voller Freude die Sektkorken knallen lassen, und Zetsche und Wiedeking haben geweint - vor Glück und vor Freude. Sie sagen, da sei Klimaschutz drin. Wahr ist: Die deutsche Automobilindustrie muss bis 2012 überhaupt nichts tun. - Das ist doch kein Klimapaket, meine Damen und Herren.
Ich möchte einmal den Klimachefberater von Angela Merkel zitieren, Herrn Schellnhuber aus Potsdam, Leiter eines der führenden Institute. Auch er hat diese EU-Beschlüsse scharf kritisiert. Er hat ganz klar gesagt: Die behaupteten Ziele Ihrer Beschlüsse werden Sie mit den vereinbarten Maßnahmen definitiv nicht erreichen. - Das ist die Wahrheit.
Weil immer alle so auf die USA schauen: Obama hat es anders gemacht.
Obama hätte so jemanden wie Schellnhuber, statt ihn zu düpieren, zu seinem Energieminister gemacht.
- ?Warten wir es ab!?, rufen Sie, Herr Kauder.
Wenn man, wie Obama es macht, so jemanden wie Herrn Chu, also einen, der die erneuerbaren Energien gedanklich, auch zusammen mit deutschen Wissenschaftlern, zum Beispiel Eicke Weber, entwickelt hat, zum Energieminister macht, dann ist das keine Düpierung, sondern vermittelt die Aussage: Wir folgen der modernen technologischen Entwicklung. - Das haben Sie mit den Beschlüssen nicht geschafft. Wir können nur sagen: Die Klimakanzlerin Merkel ist an der Stelle entzaubert.
- Gut, dass Sie das noch einmal sagen. Aber die deutsche Gesetzgebung zu erneuerbaren Energien, Herr Kelber, ist nicht von dieser Regierungskoalition verabschiedet worden.
Das waren doch wohl andere Konstellationen.
Unter Ihrer Regierungskonstellation hat die EU die Vorreiterrolle im weltweiten Klimaschutz aufgegeben, und ich finde es bedauerlich, dass es für Entwicklungs- und Schwellenländer nicht einmal mehr einen Anreiz für Modernisierungen in den Bereichen Kohle oder Energieverbrauch gibt.
Es gibt auch keinen Grund, diesen Gipfel zu loben, weil man einfach gemerkt hat, dass diese Bundesregierung regelmäßig planlos und zögerlich ist. Andere haben hier schon erwähnt, welch wundersame Mehrheiten Sie immer haben. Bei zehn Ministern haben Sie mindestens acht unterschiedliche Meinungen, und Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes kein Programm. Es kommt nicht von ungefähr, dass Frau Merkel in Brüssel ?Madame Non? heißt und mittlerweile alle in Europa diesen Namen übernommen haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass Sarkozy und Brown Merkel quasi zum Jagen tragen müssen. Ich frage mich ehrlich: Womit verbringen Sie die Zeit? Sie haben am letzten Wochenende einen Analysegipfel mit den Vertretern der gesellschaftlichen Beharrungskräfte durchgeführt. Das ist ja kein Vorreitertum. Was machen Sie danach? Sie schreiten nicht etwa zur Tat, sondern Sie machen jetzt vier bis fünf Wochen Weihnachtspause. Aber die Klima- und Konjunkturkrise wird keine Weihnachtspause machen.
Dann haben Sie noch die Chuzpe, Zufallstreffer in Ihr Konjunkturprogramm miteinzurechnen. Ich nenne zum Beispiel die Pendlerpauschale oder die Aussage, die Sie nach dem Treffen am Wochenende getroffen haben, dass man jetzt möglicherweise erreicht habe, dass keine betriebsbedingten Kündigungen mehr ausgesprochen werden. Wissen Sie was? Die Gewerkschaften haben längst eine über 2010 hinaus gültige Beschäftigungssicherung vereinbart. Das ist die Wahrheit. Um zu so einem Ergebnis zu kommen, hätten Sie Ihr Sonntagstreffen gar nicht gebraucht.
Sie könnten aber einmal etwas für die Leiharbeiter in dieser Gesellschaft tun.
Wo ist Ihr Programm, um Deutschland in den Industrien, die einmal unsere Leitindustrien waren - Maschinenbau, Automobilbranche, Umwelttechnologie -, wirklich nach vorne zu bringen? Da sehen wir bei Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes überhaupt nichts. Bei Ihnen bleibt alles in altem Denken stecken. Wir bräuchten jetzt ein ökologisch-soziales Investitionsprogramm, das, Frau Schwall-Düren, mehr beinhalten muss als nur das Vorziehen von Maßnahmen, die schon planfestgestellt sind. Wir brauchen ein ehrgeiziges Programm beim Energiesparfonds. Wir brauchen jetzt wirklich Geld für die Gebäudesanierung. Wir wollen nicht, dass die chemische Industrie abwandert. Wir wollen vielmehr, dass der chemischen Industrie, die wie zum Beispiel BASF jetzt so viele Standorte schließen will, Veranlassung dazu gegeben wird, etwas Neues zu produzieren -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin!
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
- sofort -, zum Beispiel in großen Mengen das Material für die Gebäudesanierung. So erhält man Arbeitsplätze in Deutschland, so erhält man Arbeitsplätze in Europa und nicht, indem man Ausnahmeregelungen organisiert und das Alte finanziert.
Was Sie in Europa erreicht haben, stellt keine Antwort auf die Klimakrise und auch keine Antwort auf die Konjunkturkrise dar.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Eduard Lintner ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Eduard Lintner (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Künast, dieser europäische Gipfel hat ja nicht im luftleeren Raum stattgefunden. Sie haben überhaupt nicht die Tatsache erwähnt, dass ein wahrlich nicht leichter Hintergrund gegeben war. Ich nenne die weltweite Finanzkrise, die Verhandlungen über das Weltklima in Posen und auch die Unsicherheit hinsichtlich des Vertrags von Lissabon. All das waren Rahmenbedingungen für diesen Gipfel, all das hat ihn im Vorfeld belastet und natürlich auch die Erwartungen an die zu erzielenden Ergebnisse gesteigert. Wenn wir heute das Ergebnis unter dieser Prämisse betrachten, so wird man sagen müssen: Es war trotz dieses schwierigen Umfelds ein erstaunlich erfolgreicher Gipfel.
Bei den Beschlüssen zum Klimaschutz und zur Energiepolitik gefällt mir vor allem, dass die EU ihrer weltweiten Vorreiterrolle treu geblieben ist - auch das haben Sie nicht erwähnt - und wichtige Prinzipien gewahrt worden sind. Die Süddeutsche Zeitung - man beachte: keinesfalls ein unionsfreundliches Blatt - schreibt dazu, dass die Bundeskanzlerin den Gipfel zu einem persönlichen Erfolg gemacht habe, und nennt das europäische Klimapaket ausdrücklich einen ?Quantensprung im globalen Lernprozess?.
Bemerkenswert ist auch, dass die Mitgliedstaaten zwar ihren nationalen Besonderheiten vernünftigerweise Rechnung tragen dürfen, auch wenn die damit verbundenen Belastungen letztlich gleichmäßig verteilt werden sollen. ?Letztlich? sage ich deshalb, weil bei den Stromerzeugern in Polen und anderen osteuropäischen Mitgliedstaaten noch nachgebessert werden muss; das ist ja anerkannt worden. Deutschland muss in Zukunft darauf drängen, dass spätestens ab 2020 tatsächlich die Energiewirtschaft in allen EU-Mitgliedsländern vollständig in den Zertifikatehandel einbezogen wird. Sonst drohen unserem Wirtschaftsstandort ernste und schwere Nachteile.
Positiv hervorzuheben ist auch, dass Sektoren des produzierenden Gewerbes, in denen ein besonderes Risiko von Arbeitsplatzverlusten durch Produktionsverlagerung besteht, ihre Zertifikate bis 2020 kostenlos erhalten. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag zum Erhalt vor allem deutscher Arbeitsplätze und insofern ein besonders lobenswerter Erfolg der Verhandlungsstrategie unserer Bundeskanzlerin.
Ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der europäischen Klima- und Energiepolitik ist die Stärkung der Energiesicherheit in Europa. Deshalb begrüße ich ausdrücklich, dass die künftige tschechische Ratspräsidentschaft am vergangenen Dienstag, also nach dem Gipfel, angekündigt hat, die Realisierung der Nabucco-Pipeline von Zentralasien nach Mitteleuropa zu einem Schwerpunkt ihres Handelns machen zu wollen. Das ist eine wichtige Entscheidung, und wir hoffen, dass sie erfolgreich umgesetzt wird.
Trotz der Finanzkrise und des aus diesem Grunde notwendigen EU-Konjunkturpakets wurden auf dem Gipfel die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bekräftigt. Den Mitgliedstaaten wurde aufgegeben, die bei der Bewältigung der Finanzkrise entstandenen Haushaltsdefizite mittelfristig wieder abzubauen. Auch dies entspricht der deutschen Position. Das gilt auch für den auf dem Gipfel sichtbar gewordenen Konsens, dass ein schnelles Gegensteuern und ein koordiniertes Vorgehen innerhalb der EU notwendig sind, um volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden oder zumindest zu minimieren. Damit ist im Übrigen auch jenen Kritikern der Wind aus den Segeln genommen worden, die in den letzten Wochen immer wieder behauptet haben, die Bundesregierung stehe mit ihrer Position bezüglich einer europäischen Antwort auf die Krise isoliert da und wirke gar als Bremser. Lassen Sie mich noch einmal die Süddeutsche Zeitung zitieren, die ausdrücklich feststellt, dass im Ratsgebäude zu Brüssel nichts davon zu merken gewesen sei, dass Deutschland isoliert sei. Das ist eine neutrale, unabhängige Stimme, die Sie, Frau Künast, offenbar nicht zur Kenntnis genommen haben.
Zugleich haben die Staats- und Regierungschefs durch ihren Verweis auf die uneingeschränkte Einhaltung der geltenden sogenannten finanziellen Vorausschau der Kommission ebendieser Kommission klargemacht, dass überschüssige Haushaltsmittel an die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden müssen und nicht durch Umschichtung in ein eigenes Konjunkturprogramm der Kommission umgewandelt werden dürfen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch einen weiteren Punkt aus der Masse der auf dem Gipfel behandelten Themen herausgreifen, der, wie ich meine, für die Zukunft der EU eine ganz entscheidende Bedeutung hat. Um die nachträgliche Zustimmung der irischen Bevölkerung zum Vertrag von Lissabon zu ermöglichen, wurden Irland Zugeständnisse gemacht. Damit ist man dem irischen Staat sehr weit entgegengekommen. Ich finde, das war ein notwendiger Schritt, um die dringend erforderliche Fortentwicklung der EU zu gewährleisten. Das darf aber am Ende nicht zulasten der Handlungsfähigkeit der EU gehen. In einem nächsten Schritt - das wird auch eine Aufgabe für die Bundesregierung sein - müssen daher kreative Lösungen für die künftige Struktur der Kommission gefunden werden, zum Beispiel durch die Reduzierung der Zahl der Ressorts und durch die Einführung von stellvertretenden Kommissaren mit Stimmrecht. Das ist vielleicht ein Ausweg aus der gegebenen Situation.
Als Fazit dieses Gipfels kann man, glaube ich, feststellen: Europa hat sich bei diesem Gipfel vor den Augen der ganzen Welt unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen als voll handlungsfähig und auch als prinzipientreu erwiesen. Wir können gemeinsam dankbar feststellen, dass die Bundesregierung dazu wichtige Beiträge geleistet hat.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Markus Löning für die FDP-Fraktion.
Markus Löning (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit dem Klimapaket beginnen. Die Freien Demokraten unterstützen die Ziele des europäischen Klimapaketes. Europa muss eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den Klimawandel einnehmen. Das sind wir uns, unseren Bürgern, aber auch unserer Verantwortung in der Welt schuldig.
Aber das, Frau Bundeskanzlerin, was Sie in Brüssel verhandelt haben, möchte ich unter den Stichpunkten Scheckbuch und Chips zusammenfassen. Wer bezahlt denn die Ausnahmen? Wer bezahlt denn die Modernisierung der polnischen Kraftwerke? Dies ist notwendig. Was ist aber vereinbart worden? Wer bezahlt am Ende des Tages die Modernisierung der polnischen Kraftwerke? Es wird doch darauf hinauslaufen, dass dies der deutsche Steuerzahler oder der deutsche Stromkunde bezahlt. Das ist die typische Politik, die wir in der Europäischen Union nicht brauchen, nämlich die Scheckbuchpolitik vergangener Tage.
Zu den Chips. Die Ziele sind gut und ambitioniert. Wir haben zudem ein Trainingsprogramm aufgestellt, um diese Ziele zu erreichen. Stellen Sie sich einmal vor, ein Marathonläufer nimmt sich vor, im Jahr 2020 einen Marathon zu gewinnen. Dann machen wir einen Gipfel und sagen: Das Trainingsprogramm streichen wir einmal. Wir machen Sonderregeln und Ausnahmen. Dann stellen wir die Ernährung um. Wir stellen die Ernährung auf Chips um. Wir behalten aber das Ziel bei, im Jahr 2020 die Ziele zu erreichen.
Meine Damen und Herren, es ist doch vollkommen unglaubwürdig, was passiert ist. Die ganzen Sonderregeln und Ausnahmen konterkarieren doch die Ziele, die richtigen Ziele, die gesteckt worden sind, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich ein paar Worte zum Vertrag von Lissabon sagen. Es ist richtig, und wir begrüßen es, dass ein erneuter Versuch unternommen wird, den Vertrag von Lissabon in Kraft zu setzen. Die politischen Erklärungen, die gegenüber den Iren im Hinblick auf die Neutralität und andere Punkte, bei denen die irische Wählerschaft empfindlich ist, abgegeben worden sind, sind zu begrüßen. Herr Außenminister, ich hätte aber auch gern eine Antwort auf die Frage gehört: Wie soll das in die Verträge hineingeschrieben werden? Sie haben doch Rechtsverbindlichkeit zugesagt. Wie soll das aber an dieser Stelle passieren?
Zu den Kommissaren. Ich glaube, dass Sie einen Fehler gemacht haben, als Sie gesagt haben, im Jahr 2014 solle es 27 Kommissare geben. Faktisch ist zugesagt worden, dass die Regel ?ein Kommissar pro Land? weiter gelten soll. Ehrlich gesagt kann man nur noch spotten über diese Art von europäischen Kompromissen, die die Große Koalition eingeht. Wir hängen die Fahne des Kampfes gegen die Bürokratie heraus. Wir schreiben uns auf die Fahnen, dass alles schlanker und schneller werden muss. Am Ende beschließen wir aber, dass dasselbe alte Lied weiter gespielt wird: 27 Kommissare, jedes Land bekommt einen Kommissar. Meine Damen und Herren, das war sicher kein Beitrag zu weniger Bürokratie und zu einer Verschlankung der Europäischen Union.
Herr Lafontaine, lassen Sie mich an dieser Stelle eine Bemerkung machen. Ihre bemerkenswerte Definition von Demokratie ist an dieser Stelle untergegangen. Demokratie definiert sich nicht durch formale Voraussetzungen, sondern vom Ergebnis her. Ich glaube, Sie befinden sich in ganz schlechter Gesellschaft, wenn Sie so etwas behaupten.
Es gibt andere Leute in der europäischen Geschichte, die meinten, sie müssten zunächst einmal die Ergebnisse festlegen. Wer wählt und wie dann gewählt wird, das sei alles egal. Es ist dekuvrierend, was Sie gesagt haben, Herr Lafontaine.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige Worte zu den Themen EZB und Euro sagen. Es ist wichtig, dass wir in den Debatten um die Finanz- und Konjunkturkrise klar herausstellen, dass die auf Geldwertstabilität ausgerichtete Politik der Europäischen Zentralbank die richtige Politik war und auch in Zukunft die richtige Politik ist. Es ist richtig, es ist gut für uns, und es hat uns in der Krise geschützt, dass wir den Euro haben. Gemeinsam sind wir dadurch stärker, dass wir den Euro haben, meine Damen und Herren.
Ich denke, es ist jetzt die richtige Zeit, insbesondere Dänemark und Schweden noch einmal einzuladen, sich der Eurozone anzuschließen. Je größer die Eurozone ist, je mehr stabile Volkswirtschaften der Eurozone angehören, umso besser für uns.
Eines darf in diesem Zusammenhang aber nicht passieren: Es darf keine Aufweichung der Maastricht-Kriterien geben. Dann ist es sofort vorbei mit der Stabilität. Es darf keine Aufweichung der Kriterien für den Beitritt zur Eurozone geben. Auch dann ist es nämlich sofort vorbei mit der Stabilität. Wir werden auch in Zukunft darauf achten müssen, dass der Euro eine stabile, solide Währung bleibt. Das heißt: keine Rabatte im Zusammenhang mit den Kriterien, keine Rabatte gegenüber denjenigen, die jetzt laut an die Tür klopfen. Lassen Sie uns den Euro auch in Zukunft stabil halten!
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ulrich Kelber ist der nächste Redner für die Fraktion der SPD.
Ulrich Kelber (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ergebnisse des europäischen Gipfels sind für den internationalen Klimaschutz eine Lebensversicherung. Die Ergebnisse dieses Gipfels machen möglich, dass die Weltklimakonferenz 2009 in Kopenhagen zu einem guten Ergebnis kommen kann. Europa hat gehandelt, Europa hat Einigungsfähigkeit bewiesen und hat damit erreicht, dass jetzt der Druck auf anderen Industriestaaten liegt, vor der Weltklimakonferenz ebenfalls klar zu sagen, was ihr Beitrag sein soll. Erst das europäische Handeln ermöglicht es dem neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama, in den USA zu handeln, weil er darauf verweisen kann, dass Europa zum Beispiel bei der Schaffung eines europäischen Handelssystems in Vorleistung getreten ist.
Die Europäische Union hat jetzt klar definiert: Wir werden die CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 20 Prozent senken, unabhängig davon, was andere tun. Handeln die anderen Industriestaaten auch, wird Europa die Emissionen um 30 Prozent senken. Ich erwarte allerdings von der Europäischen Union, dass sie in 2009 neben der jetzt beschlossenen Strategie zur 20-prozentigen Minderung auch sagt, wie sie diese 30 Prozent erreichen will, um damit in Kopenhagen eine noch bessere Ausgangsposition zu haben.
Wir in Deutschland sind ein Stückchen weitergegangen. Wir haben eine 40-prozentige Reduktion bis 2020 zugesagt. Wir haben dafür bereits über 30 Gesetze und Verordnungen in Kraft gesetzt und die Förderung in vielen Bereichen vervielfacht. Wir haben diese 40 Prozent noch nicht voll abgedeckt, aber einen großen Teil. Ein weiteres Beispiel: Die SPD-Fraktion hat in der letzten Woche einen Antrag zum Klimaschutz in der Landwirtschaft beschlossen, wodurch eine weitere Einsparung von 50 bis 60 Millionen Tonnen CO2 ermöglicht wird und damit die 40 Prozent weiter abgedeckt werden.
Ganz wichtig: Deutschland wird die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent senken. Wenn die Amerikaner dem Ziel von Obama folgen, würde diese die Emissionen weltweit stabilisieren. Wir sollten uns in Europa also nicht unnötig kleinreden. International wird unsere Führungsrolle im Klimaschutz nach wie vor anerkannt.
Wir streiten natürlich über einzelne Instrumente; das macht auch Sinn. Aber eine Sache muss von allen anerkannt werden - ich erwarte dies auch von der Opposition -: Europa hat sich eine feste Obergrenze für die CO2-Emissionen aus Energieversorgung und Industrieproduktion gesetzt.
Sie darf nicht überschritten werden, egal ob die CO2-Zertifikate gratis oder per Auktionierung zugeteilt werden. Es ist eine feste Obergrenze festgelegt worden.
Neben dieser festen Obergrenze wird selbst in den Bereichen, in denen es eine Gratiszuteilung der CO2-Zertifikate gibt, mit der Orientierung an der bestverfügbaren Technologie - sprich: wer eine veraltete Anlage hat, muss zukaufen; wer besonders modern ist, muss nicht zukaufen - ein Anreiz gesetzt. Dieser Anreiz ist nicht nur für den Klimaschutz gut, sondern auch für die Effizienz der entsprechenden Branchen und damit für die Wettbewerbsfähigkeit. Wir setzen es als ein Innovationsförderinstrument ein. Klimaschutz und Wachstum liegen in einer Hand.
Dazu passt natürlich, dass wir gesagt haben: Es bringt weder dem Klimaschutz noch den Arbeitsplätzen etwas, wenn wir denjenigen Branchen, die in einem starken internationalen Wettbewerb stehen, zumuten, dass sich ihre Kosten durch den Kauf von CO2-Zertifikaten erhöhen, und die Produktion dann an anderer Stelle stattfindet. Dass wir diesen Weg gegangen sind, war richtig. Dies war die Position der Großen Koalition. Dies war die Position der SPD von Anfang an. Ich hätte mir trotzdem gewünscht, dass einige in Deutschland nicht zu sehr auf die Lobbyisten gehört hätten; denn einige wenige Ausnahmen hätten gut funktioniert und hätten dieses Instrument noch handlungsfähiger gemacht.
Aber der Dreh- und Angelpunkt der Ergebnisse des europäischen Gipfels ist die Entscheidung, dass die Zertifikate für die Stromerzeugung zu 100 Prozent in Gesamtwesteuropa und bis 2020 aufwachsend dann auch in Osteuropa auktioniert werden. Diese Entscheidung schafft die große Möglichkeit, dass der bisher nur regional, nur in Teilen Nordamerikas stattfindende Emissionshandel auf die gesamten Vereinigten Staaten ausgedehnt wird. Allein dieses Ziel war es wert, so zu verhandeln. Damit kann die Energiewende konsequent fortgesetzt werden.
Man muss offen über Geld sprechen. Die Versteigerung der Emissionszertifikate liefert uns das Geld, das wir brauchen, um die dringend notwendigen internationalen Projekte, die wir zugesagt haben, durchführen zu können. Das ist erstens wichtig, um die Schwellen- und Entwicklungsländer in den Klimaschutzprozess einzubinden. Das ist eine Frage der Solidarität; denn in dieser Welt leiden bereits heute Menschen unter dem Klimawandel, zum Beispiel in Afrika und Teilen Asiens, die selbst überhaupt keinen Beitrag dazu geleistet haben, dass es zu einer Temperaturveränderung der Atmosphäre gekommen ist. Deswegen ist es unsere Pflicht, diesen Menschen bei der Anpassung zu helfen und ihnen die Technologien zu liefern, die sie benötigen, um selber eine saubere Entwicklung zu durchlaufen.
Die Versteigerung liefert uns zweitens Geld, das wir brauchen, um die nationalen Maßnahmen zur Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien verstärkt fortzusetzen. Seit zehn Jahren investieren wir in diesen Bereich. Das ist wichtig für die Volkswirtschaft. Dadurch wird Deutschland fit. So können neue Technologien entwickelt und die Energiekosten gesenkt werden.
Man muss aber auch darüber sprechen, dass es Emissionszertifikate bereits seit 2005 gibt. Sie werden von Kundinnen und Kunden der Energieversorger bezahlt. Bisher sind die Gewinne aber bei den großen Energiekonzernen wie Eon und RWE geblieben. Damit ist mit dem neuen Handel jetzt Schluss. Das Geld gehört den Menschen, den Kundinnen und Kunden und nicht den Besitzern einzelner Unternehmen. Deswegen war diese Entscheidung wichtig, und allein deswegen war der Klimagipfel in Brüssel ein Erfolg.
Um über die Rolle Deutschlands zu sprechen: Am Ende war es die klare Haltung Deutschlands, die diese Entscheidung möglich gemacht hat. Deswegen möchte ich mich bei der Bundeskanzlerin, beim Bundesaußenminister und beim Bundesumweltminister dafür bedanken, dass sie die Position ?100 Prozent Versteigerung? durchgehalten haben.
Frau Bundeskanzlerin, Sie wissen aber, dass am Ende nur die SPD Ihre Position in dieser Frage unterstützt hat,
nicht Ihre eigene Partei. Weil ich wusste, dass es an dieser Stelle Lachen geben würde, habe ich mir die Zitate und die Zeitpunkte herausgeschrieben. Wir haben am 28. Mai im Deutschen Bundestag gemeinsam, SPD und CDU/CSU, 100-Prozent-Auktionierung beschlossen. Danach waren es Herr Glos, Herr Kauder, Herr Ramsauer, Herr Wulff, Herr Rüttgers und Herr Seehofer, die gefordert haben, von dieser 100-Prozent-Auktionierung abzuweichen.
Ich hatte gehofft, dass wenigstens die Umweltpolitiker der CDU/CSU in der Debatte bei der 100-Prozent-Auktionierung bleiben. Nein, auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Frau Reiche, zuständig für Umwelt, hat sich dafür ausgesprochen, die 100-Prozent-Auktionierung aufzugeben.
Gott sei Dank hat der Druck von Nichtregierungsorganisationen und Medien geholfen, dass sich diese Neupositionierung nicht durchgesetzt hat, sondern die 100-Prozent-Auktionierung gekommen ist.
Europa hat gehandelt, als viele das der EU nicht mehr zugetraut haben. Europa hat gehandelt, als die Lobbyisten, die sich schon immer gegen Klimaschutzmaßnahmen ausgesprochen haben, die Finanzkrise als Ausrede missbrauchen wollten. Wir haben gehandelt, als es notwendig war, auf andere Druck auszuüben. Jetzt stellen wir fest, dass Investitionen in Klimaschutz eine doppelt so hohe Rendite erzielen. Sie bieten eine sichere Zukunft und ermöglichen eine schnellere Überwindung der Wirtschaftskrise. Zu diesem Weg gibt es keine Alternative. Es ist gut, dass wir ihn gegangen sind und weiter gehen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grünen.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kelber, sosehr ich Sie als Kollegen, der sich sehr für Umweltpolitik engagiert, schätze, muss ich doch sagen: Die Rede, die Sie heute zur Bewertung des Vertrages von Lissabon gehalten haben, ist nicht gerade Ihre stärkste Rede in diesem Zusammenhang gewesen. Sie wissen sehr genau, dass das Backing, die Beschlüsse, die Sie hier mitvertreten haben, alles andere als richtungsweisend sind. Die Bundesregierung - wir wollen ihre Rolle gar nicht kleinreden - hat eine große Rolle bei diesem Gipfel gespielt, allerdings als großer Bremser und Verhinderer einer zukunftsweisenden Energiepolitik.
Sie haben ja die Rolle der CDU/CSU richtig beschrieben. Aber man muss sehr deutlich sagen: Wir haben hier im Bundestag eine hundertprozentige Auktionierung beschlossen. Diesen Beschluss hat die Bundesregierung beim Gipfel nicht vertreten. Diese Vereinbarung ist gebrochen worden.
Man hat sich auch nicht an die Regeln gehalten, die wir in der Zusammenarbeitserklärung festgelegt haben. Für den Fall, dass der Bundestag etwas beschließt und die Bundesregierung sich nicht daran halten kann, haben wir ein Verfahren beschlossen. Auch dieses ist an dieser Stelle nicht eingehalten worden. Deshalb sage ich sehr deutlich: Hier ist die Bundesregierung dem Parlament mit dem, was sie ausgehandelt hat, in den Rücken gefallen.
Wenn ich das betrachte, was in Brüssel in der Sache und mit welcher Philosophie verhandelt worden ist und was in der Debatte hier in den letzten Wochen gesagt worden ist, in der es um das Verhältnis von ökonomischer und ökologischer Entwicklung und die Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz für die Politik einer Regierung ging, komme ich zu dem Ergebnis, dass wir leider wieder da sind, wo wir schon in den 90er-Jahren waren. Der Trend, der hier in der Argumentation aufgebaut wird, ist genau der gleiche, den wir mit der rot-grünen Bundesregierung glücklicherweise erfolgreich bekämpft haben. Wir haben deutlich gemacht: Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung sind keine Gegensätze. Eine vernünftige nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung braucht gerade in der Energiepolitik vernünftige ökologische Rahmenbedingungen.
Sie bauen durch das, was in Brüssel gerade unter Mitwirkung der deutschen Bundesregierung massiv vorangetrieben worden ist, eine Rückwärtsentwicklung in der Umwelt- und Klimapolitik, in der Automobilindustrie und in der Energiepolitik auf. Denn wenn wir nach vorne kommen wollen, brauchen wir vernünftige ökologische Rahmenbedingungen. Das, was Sie machen, ist genau das Gegenteil dessen. Sie wollen dafür sorgen, dass die deutsche Zementindustrie zukünftig nicht mit Zement aus Russland unsere Autobahnen beschicken soll. So ein Quatsch.
Was Sie sich dort als ökologische Rahmenbedingungen zusammengebastelt haben, macht uns leider nicht wettbewerbsfähig. Ökologie hat dafür gesorgt, dass wir in Deutschland als Modell für Europa und für die Welt Hunderttausende von Arbeitsplätzen in nachhaltiger Energiewirtschaft geschaffen haben. Umweltpolitik beinhaltet eine technologische Entwicklung; hier sind wir als Exportnation Weltmeister. Sie bauen hier wieder Gegensätze auf und behaupten, dass die wirtschaftliche Entwicklung durch Umweltschutz und durch anspruchsvolle Klimapolitik reduziert wird. Das ist auch im Interesse des Arbeitsplatzstandortes Deutschland der völlig falsche Weg.
Ich würde es jetzt gern dabei belassen, weil ich noch ein bisschen zu den anderen Ergebnissen des Gipfels sagen möchte.
Ich glaube, Folgendes bei der Klimapolitik ist richtig - da unterstütze ich den Außenminister, dem ich dies noch einmal sagen will -: Es ist keine Technologiepolitik, wenn man versucht, Kohlekraftwerke zu subventionieren, die einen Wirkungsgrad von maximal 44 Prozent haben, und dann sagt, das sei fortschrittliche Technologiepolitik, die man mit Klimazertifikatehandel noch unterstützen will. So ein Unfug. Wir müssen in eine andere Richtung gehen.
Herr Außenminister, das, was Sie zur Handlungsfähigkeit der Europäischen Union gesagt haben, ist wichtig und richtig. Da haben Sie unsere volle Unterstützung. In Irland über ein neues Referendum auf den Weg zu kommen und unter der tschechischen Präsidentschaft bei dem Vertrag, den wir alle wollen - Sie und die Bundesregierung haben sich dafür eingesetzt; Sie haben da unsere Unterstützung -, einige Schritte voranzukommen, halte ich für sehr wichtig. Ich glaube, dass die tschechische Präsidentschaft, vor der wir jetzt stehen, unsere ganze Unterstützung braucht. Denn dieses mitteleuropäische Land - es ist das zweite mitteleuropäische Land nach Slowenien, das diese Präsidentschaft neu übernimmt - kann all die Fragen, die neben der Klima- und Umweltpolitik anstehen, also Sicherheit, Verhandlungen mit Russland, Partnerschafts- und Kooperationsabkommen und Schwerpunkt Israel, -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Steenblock.
Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
- den sich die tschechische Präsidentschaft vorgenommen hat, nicht allein bewältigen. An all diesen Stellen, glaube ich, kommen wir gut nach vorne, wenn die Bundesregierung und das Parlament diese Ratspräsidentschaft unterstützen. Denn sie steht vor wichtigen Aufgaben.
Das Wichtigste ist, dass wir vorbereiten, dass der Vertrag von Lissabon, der uns eine handlungsfähige und demokratische Europäische Union beschert, durchgesetzt wird. Deshalb, glaube ich, sollten wir für die Zukunft, für das nächste Jahr darauf unseren Schwerpunkt legen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Marie-Luise Dött ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Marie-Luise Dött (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa bleibt mit seinen Beschlüssen zur Reduktion von Treibhausgasen internationaler Vorreiter beim Klimaschutz. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das Ziel, die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren, bestätigt und ein Maßnahmenpaket beschlossen, das den Führungsanspruch für alle sichtbar und sehr konkret unterlegt. Es ist ein wesentliches Signal für die Kioto-Nachfolgekonferenz 2009 in Kopenhagen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, auch wenn Sie nicht müde werden, das Erreichte in Ihren ständigen Wiederholungen zu zerreden, sage ich: Wir befinden uns weder in Deutschland noch in Europa in der klimapolitischen Sackgasse, sondern auf der Überholspur,
und hinter uns ist meilenweit niemand zu sehen. Das sollten Sie, vor allen Dingen Sie, Herr Steenblock, zur Kenntnis nehmen und auch einmal so sagen. Das gehört für mich zur redlichen und verantwortungsvollen parlamentarischen Arbeit.
Wir jedenfalls sind stolz, dass wir mit unserer Klimapolitik auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht nachlassen. Das, meine Damen und Herren, ist gerade unserer Bundeskanzlerin zu verdanken.
Sie hat in Brüssel ein Klimapaket verhandelt, mit dem klimapolitisch Kurs gehalten wird und das auch wirtschaftliche und soziale Fragen berücksichtigt.
Es ging in Brüssel um mehr als um die Minderung von Treibhausgasemissionen. Es ging dieses Mal um die Fortsetzung unserer gemeinsamen Klimapolitik in einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Gesamtsituation. Es ging darum, den Beweis anzutreten, dass der Klimaschutz nicht zu einer Schönwetterpolitik verkommt.
In diesem Zusammenhang finde ich es sehr eigenartig, dass sich gerade der ehemalige Bundesumweltminister Trittin - ich sehe ihn jetzt leider nicht mehr - bemüßigt fühlte, die Ergebnisse zum Emissionshandel dahin gehend zu kommentieren, 80 Prozent der deutschen Industrie seien von Klimaschutzauflagen befreit, da sie ihre Zertifikate kostenlos erhielten. Das ist doch Blödsinn.
An der Minderungsvorgabe von jährlich 1,74 Prozent wurde nicht gerüttelt. Wir haben allerdings dafür gesorgt, dass die betreffenden Unternehmen, die in einem zunehmend schwierigen internationalen Wettbewerb und noch dazu in einem zunehmend problematischen konjunkturellen Umfeld agieren, nicht mit zusätzlichen Kosten in Millionenhöhe belastet werden.
Wir haben dafür gesorgt, dass keine Standortverlagerungen einschließlich Arbeitsplatzverlagerungen dorthin erfolgen, wo es überhaupt keinen Klimaschutz gibt.
Wenn Sie an der Ausnahme für energieintensive Branchen im Hinblick auf die Auktionierung etwas kritisieren können, dann höchstens, dass der Staat auf Einnahmen aus dem Emissionshandel verzichtet. Es ist aber wirtschaftspolitisch nicht vertretbar, dass wir vormittags über konjunkturpolitische Maßnahmen zur Unterstützung dieser Unternehmen diskutieren, um am Nachmittag für die gleichen Unternehmen zusätzliche Kosten in Millionenhöhe zu generieren.
Meine Damen und Herren, insbesondere die Angriffe auf das EU-Klimapaket aus dem Lager der Grünen zeigen, dass es Ihnen noch immer nicht gelingt, die klaffende Lücke zwischen ideologischem Anspruchsdenken und tatsächlich Machbarem zu überbrücken.
Erstens. Fakt ist: Es gab einmal ein nationales Klimaschutzziel, die CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2005 zu reduzieren; Herr Steenblock, Sie erinnern sich.
Dieses Ziel wurde von den Grünen zunächst als zu wenig ambitioniert kritisiert und anschließend vom grünen Bundesumweltminister Trittin wegen Unerreichbarkeit klammheimlich unter den Tisch fallen gelassen.
Zweitens. Fakt ist: Trotz miserabler Konjunktur ist es in den sieben Jahren grüner Politik nicht gelungen, die CO2-Emissionen in Deutschland nennenswert zu senken oder zu stabilisieren.
Drittens. Fakt ist: Deutschland wurde unter Helmut Kohl zum Motor des weltweiten Klimaschutzes. Nicht zuletzt das große Engagement von Klaus Töpfer führte dazu, dass im Jahre 1992 über 150 Staaten die Klimarahmenkonvention von Rio unterzeichneten. Deutschland war auch auf der dritten Vertragsstaatenkonferenz 1997 in Kioto die treibende Kraft. Nicht zuletzt dank des Verhandlungsgeschicks von Angela Merkel einigte sich die Staatengemeinschaft auf das verbindliche Kioto-Protokoll. Dieses Engagement und dieses Verhandlungsgeschick wurden von Deutschland unter Bundesumweltminister Trittin nicht fortgeführt.
Die Vorreiterrolle bei der Überzeugungsarbeit ist verspielt worden. Lange sechs Jahre wurde es versäumt, Russland nachhaltig zu einer raschen Ratifizierung des Kioto-Protokolls zu drängen. Es bedurfte des Engagements der ehemaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel, unserer Bundeskanzlerin, um auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene der Klimapolitik wieder einen zukunftsweisenden Schub zu verschaffen.
Klimapolitik ist nicht konjunkturabhängig, aber bei klimapolitischen Maßnahmen müssen auch wirtschaftliche und soziale Fragen berücksichtigt werden. Sie machen Klimaschutz, wir machen einen wirtschaftlich und sozial kompetenten Klimaschutz. Das ist der Unterschied zwischen Ihren und unseren Ansätzen. Das verstehen zunehmend auch die Bürger.
Meine Damen und Herren, die Stromerzeuger müssen die Zertifikate ab 2013 vollständig ersteigern. Das ist eine sehr anspruchsvolle Vorgabe mit erheblichen Auswirkungen auf die Stromerzeugung in Deutschland, weil wir bei uns einen relativ hohen Anteil an Kohleverstromung haben. Wir müssen hier sehr genau beobachten, wie sich die Strompreise und die Erzeugungskapazitäten bei uns künftig entwickeln.
Deutschland liegt zwischen Frankreich, das einen hohen Anteil an Strom aus Kernenergie hat, und Polen, das zukünftig Standortvorteile wegen des beschlossenen Phasing-in für neue Kraftwerke haben wird.
Der Emissionshandel darf nicht dazu führen, dass wir unseren Strom künftig aus Frankreich oder Polen importieren und unsere eigene energetische Basis veraltet sowie Kapazitäten in nennenswertem Umfang abwandern. Wir müssen auch in Zukunft Energieproduzent sein.
Die Möglichkeit, dass in den Jahren 2013 bis 2015 für neue Kraftwerke Zuschüsse von bis zu 15 Prozent gezahlt werden dürfen, muss unbedingt genutzt werden. Das ist innovationspolitisch nur ein kleines Zeitfenster.
Ich appelliere deshalb an die Stromerzeuger, entsprechende Investitionen vorzubereiten.
In Brüssel ist ein klimapolitisch effektives, wirtschaftspolitisch verantwortliches und europäisch faires Maßnahmenpaket beschlossen worden. Mit der Bereitstellung von finanziellen Mitteln für CCS und erneuerbare Energien haben wir zudem eine gut ausgestattete Innovationskomponente im Paket. JI- und CDM-Projekte möchte ich nicht mehr ansprechen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Roth, SPD-Fraktion.
Michael Roth (Heringen) (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der EU verhält es sich so wie mit unseren Kirchen: Zu Weihnachten und in der Krisenzeit sind sie gefragt. Es ist gut, dass die EU unter Beweis gestellt hat, dass sie in Krisenzeiten funktioniert. Man mag es kaum glauben: Länder pochen an die Tür der EU, von denen man es vor wenigen Monaten und Jahren noch nicht erwartet hätte, Island beispielsweise.
Wir spannen Schutzschirme und schnüren Konjunkturprogramme bzw. -pakete. Noch wichtiger wäre es aber, wenn wir die EU in die Lage versetzen würden, präventiv auf mögliche Krisen zu reagieren bzw. in noch stärkerem Maße dazu beizutragen, dass Krisen erst gar nicht entstehen.
Hierfür brauchen wir entsprechende vertragliche Grundlagen; sie sind zwingend. Wir brauchen handlungsfähige Institutionen, sinnvolle Instrumente und klare Zuständigkeiten.
Deswegen ist es gut, dass der Gipfel dem Vertrag von Lissabon abermals eine neue Chance eröffnet hat. Es ist eine Brücke nach Dublin gebaut worden. Ob diese Brücke tragfähig ist, wird die Zukunft zeigen; denn - auch das muss man unter Partnern offen ansprechen - es geht hier nicht um eine Einbahnstraße nach Irland, sondern wir brauchen eine Zweibahnstraße.
Die Europäische Union hat jetzt entsprechende Beiträge geleistet. Sie hat Zusicherungen erteilt. Ich erwarte von den Iren aber auch mehr Mut, gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, was es heißt, wenn der Vertrag von Lissabon nicht in Kraft tritt. Auch seitens der irischen Regierung muss deutlich werden: Es geht eben nicht mehr alleine darum, ob ein neuer Vertrag in Kraft tritt, sondern auch darum, ob Irland unter den obwaltenden Bedingungen überhaupt noch Mitglied der Europäischen Union sein möchte.
Das sind klare Worte, die in schwierigen Zeiten auch einmal auf den Tisch gehören. Die EU hat gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist. Jetzt brauchen wir einen eindeutigen Beitrag von Irland.
Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf Erklärungen verständigt, um den Iren dabei zu helfen, ein weiteres Referendum erfolgreich durchzuführen. Ich will aber deutlich sagen, dass dies nicht zu Konsequenzen führen kann, die das gesamte Gemeinschaftsprojekt infrage stellen: Stichwort ?Steuerpolitik?. Eine steuerpolitische Erklärung kann kein Harmonisierungsverbot bedeuten. Sie kann keine Absage an eine engere Zusammenarbeit in Fragen der Steuer- und Finanzpolitik bedeuten. Wir müssen die Steueroasen in der Europäischen Union endlich austrocknen. Wir müssen den Kampf gegen unsolidarisches Steuerdumping endlich aufnehmen. Deswegen brauchen wir perspektivisch auch in der Steuerpolitik eine engere und vertrauensvollere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das darf durch eine neue Erklärung nicht verhindert werden.
Dies gilt genauso für die Sicherheitspolitik. Wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten jetzt der Europäischen Union die Hand zur kooperativen Zusammenarbeit reichen, dann müssen wir diese Hand ergreifen. Das heißt, die Europäische Union darf jetzt nicht abwehren und nicht wieder in nationale Egoismen verfallen. Wir müssen mit einer Stimme sprechen! Auch das darf durch eine Erklärung, in der man noch einmal die sicherheitspolitische Souveränität der Mitgliedstaaten unterstreicht, nicht infrage gestellt werden.
Wir müssen europäische Beiträge für mehr zivile Konfliktprävention, für mehr Abrüstung und für die Verhinderung von Konflikten weltweit leisten. Wir müssen die Entwicklungszusammenarbeit pflegen und noch weiter ausbauen. Dies darf nicht infrage gestellt werden. Dieses Signal darf von keinem europäischen Gipfel ausgehen. Das müssen wir den Partnern in Irland und anderswo deutlich sagen.
Die Zusammensetzung der Europäischen Kommission ist angesprochen worden. Wir alle müssen uns vor Augen halten: Es geht hier nicht darum, den Lissabon-Vertrag nicht in Kraft zu setzen. Es geht hier um ?Nizza minus?. In dem Vertrag von Nizza ist schon jetzt vorgesehen, dass in der neuen Kommission die Zahl der Kommissarinnen und Kommissare unter der Zahl der Mitgliedstaaten liegt. Wir brauchen weniger Kommissare.
Deswegen mahne ich, dass diejenigen, die dieses Zugeständnis in Richtung Irland auf den Weg gebracht haben, intelligente Lösungen finden, wie die Kommission handlungsfähig bleiben kann. Wir brauchen nämlich starke Gemeinschaftsinstitutionen und nicht mehr Intergouvernementalität. Wir brauchen nicht mehr nationales Regierungshandeln. Wir brauchen mehr gemeinsames Regierungshandeln in der Europäischen Union.
Die Kolleginnen und Kollegen, die eben von dem Kommissar für Sprachenvielfalt gesprochen haben, haben recht:
Wir brauchen schon jetzt keinen Kommissar für Sprachenvielfalt. Wir brauchen zukünftig auch keinen Kommissar für die Süßwasserfische und keinen Kommissar für die Meerwasserfische.
Wir brauchen eine starke und handlungsfähige Institution, die sich dem Gemeinwohl in der Europäischen Union verpflichtet fühlt.
Die Iren haben zu Recht deutlich gemacht: Wir brauchen ein soziales Europa. Wir brauchen ein Europa der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dann müssen aber auch die Iren vor ihrer eigenen Haustüre kehren; denn ein neoliberaler Dinosaurier erster Güte ist der irische Kommissar McCreevy. Er hat sich in den vergangenen Monaten nicht mit Ruhm bekleckert, indem er sich deutlich gegen Mindestlöhne im Postbereich in der Bundesrepublik Deutschland gewandt hat oder indem er einen Kampf gegen das VW-Gesetz führt. Es steht in keinem Vertrag und in keinem europäischen Gesetz, dass es kein VW-Gesetz und keine Mindestlöhne in der Europäischen Union und erst recht nicht in Deutschland geben darf.
Hier muss man handeln und nicht nur darüber reden. Da muss man für entsprechende politische Mehrheiten in der Europäischen Union kämpfen. Bei aller gerechtfertigter oder in Richtung Linkspartei auch ungerechtfertigter Kritik an dem Vertrag von Lissabon: Kein Vertrag allein sichert soziale Rechte.
Wir brauchen dafür gesellschaftliche und vor allem politische Mehrheiten. Deswegen wird das Jahr 2009 so spannend für uns. Am 7. Juni besteht eine Chance, deutlich zu machen, dass das soziale Europa - das Europa der Beschäftigten - eine reale Chance hat. Lassen Sie uns gemeinsam dafür arbeiten.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Hans Peter Thul für die CDU/CSU-Fraktion.
Hans Peter Thul (CDU/CSU):
Frau Präsidentin, gestatten Sie mir zunächst einmal, mich sehr herzlich dafür zu bedanken, dass Sie mir heute Morgen gute Wünsche zu meinem 60. Geburtstag ausgesprochen haben. Bei dieser Gelegenheit auch heftigen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die das in schriftlicher, mündlicher oder SMS-Form und in allen möglichen anderen Darbietungen getan haben.
- Sogar durch die Post. Herzlichen Dank!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Sache selber: Wer heute über die Europäische Union redet, der kommt nicht umhin, trotz der französischen Ratspräsidentschaft in ganz besonderer Weise die Verdienste unserer Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, zu loben.
Mehr noch: So, wie Helmut Kohl den europäischen Einigungsgedanken verkörpert hatte, personifiziert Angela Merkel ein gemeinsam handelndes Europa. Wer wollte bestreiten, dass in dieser Situation gemeinsames Handeln - möglicherweise auch auf gemeinsam vereinbarte Ziele abgestimmt - das Gebot der Stunde ist? Ich möchte das gerne anhand von einigen Punkten diskutieren.
- Herr Steenblock, Ihnen mag eine gewisse Feindlichkeit in Sachen Industriedarbietung immanent sein, aber sie bringt uns nicht weiter. Auch darauf werde ich noch eingehen.
Es war diese Bundesregierung, die unter Leitung der Kanzlerin die mutigen Meseberger Beschlüsse formuliert und während der eigenen Ratspräsidentschaft im Jahre 2007 bereits als Planziele für den gesamten EU-Raum definiert hat. Die jetzt als Bestandteile des Energie- und Klimaschutzpaketes bis 2020 verbindlich und voller Mut beschlossenen Ziele - die Minderung des CO2-Ausstoßes um 20 Prozent, die Steigerung der Energieeffizienz um 20 Prozent und der Anteil von 20 Prozent der erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch - sind unter deutscher Ratspräsidentschaft formuliert worden, und das bereits im März 2007.
Ich verstehe an dieser Stelle die Vorbehalte nicht, die von der linken Ecke dieses Hauses formuliert werden. In dieser Sache vorauszugehen, ist allemal besser, als sich davonzustehlen, Herr Lafontaine.
Dass diese Ziele in der vergangenen Woche von niemandem mehr infrage gestellt wurden, ist auf die vielen intensiven Gespräche zurückzuführen, die wiederum die Bundeskanzlerin mit Sarkozy, dem italienischen und dem polnischen Ministerpräsidenten und vielen anderen Staats- und Regierungschefs geführt hat. Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass fundierter Sachverstand und fundierte Kenntnisse der physikalischen Grundwahrheiten mit dazu beigetragen haben, die anderen EU-Partner zu überzeugen.
Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass diese Fragen eben nicht ideologisch zu lösen sind, sondern sehr viel besser technologisch begründet und pragmatisch angegangen werden können.
Es ist für unsere Volkswirtschaft und unseren Produktionsstandort Deutschland von geradezu existenzieller Bedeutung, dass wir auch in Zukunft über eine verlässliche, bezahlbare und gleichermaßen umwelt- und ressourcenschonende Energieversorgung verfügen. All den kritischen Stimmen, die jetzt lauthals ein Einknicken der Klimakanzlerin vor der Industrielobby beklagen, möchte ich mit einem Zitat begegnen. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:
Wenn Herr Töpfer, Herr Schellnhuber, die Umweltverbände diese Ausnahmen in der Industrie kritisieren, dann muss ich ganz offen sagen, dann dürfen wir diesen Vorschlägen dieser Leute nicht folgen, weil es im Zweifel für den Klimaschutz nichts bringt, aber wir hier in eine Situation geraten, wo wir die Unterstützung verlieren. Wir können nicht so tun, als ob die Menschen in der Stahlindustrie oder in der Autoindustrie nicht Angst um ihre Jobs hätten aktuell. Denen dann zu sagen, die gute Idee der Woche ist, wir packen euch noch ein bisschen was oben drauf, wissend, dass in China, Indien, USA, Japan das alles nicht passiert, und dann schauen wir mal, was passiert, das ist ziemlich naiv.
Und deswegen finde ich, dass gestern die Staats- und Regierungschefs etwas beschlossen haben, was wirklich verantwortungsbewusst in jede Richtung ist.
Dieses zugegebenermaßen etwas holprige wörtliche Zitat stammt von unserem Umweltminister, so von ihm im Deutschlandfunk am 13. Dezember dieses Jahres gesagt. Selten genug, aber an dieser Stelle teile ich die späte Einsicht des Umweltministers voll und ganz. An den EU-Klimazielen, den besten der Welt, ist nicht gerüttelt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, solange es kein internationales Klimaabkommen gibt, wäre es grob fahrlässig und klimapolitisch kontraproduktiv, das europäische produzierende Gewerbe einseitig zu belasten. Carbon Leakage bedeutet in diesem Zusammenhang doch nichts anderes als die Verlagerung von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und schädlichen Emissionen ins außereuropäische Ausland, und zwar für immer; da mache ich mir keine Illusionen.
Deutschland hat die Zielvorgaben des Kioto-Protokolls schon heute mehr als erfüllt. Dort, wo wir schon vor Verabschiedung eines international gültigen Nachfolgeprotokolls handeln können, tun wir es: Die beschlossene Auktionierung von Verschmutzungsrechten im stromproduzierenden Sektor trifft besonders Deutschland sehr hart, weil wir bei über 50 Prozent unserer Stromproduktion Braun- und Steinkohle einsetzen. Dennoch halte ich vor dem Hintergrund der klimapolitischen Herausforderungen die getroffene Vereinbarung für mehr als richtig.
Die Erlöse aus dem Zertifikatehandel werden uns ab 2013 die Möglichkeit geben, die dringend notwendigen Investitionen in neue Kraftwerke mit bis zu 15 Prozent der Investitionssumme zu unterstützen. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass wir einen größeren Teil dieser Erlöse in die Erforschung moderner und möglichst verlustarmer Speichertechnologien stecken sollten. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass wir in unserem Lande mehr erneuerbare Energien einsetzen können und so in 2020 den Anteil von 35 Prozent an erneuerbarer Energie im Stromsektor erreichen werden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einige wenige Worte zur aktuellen konjunkturellen Entwicklung sagen: Deutschland muss sich mit seiner bisherigen Antwort auf die Finanzkrise und die wirtschaftlichen Abschwünge nicht verstecken. Ich gebe all denen recht, die sagen, dass wir zurzeit alles daransetzen sollten, auf Sicht zu fahren; denn das ermöglicht uns, auf die jeweiligen Veränderungen flink zu reagieren. Wir sind bestens aufgestellt, was den Arbeitsmarkt und die Beschäftigungslage anbelangt. Es ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn die Finanzblase im Jahre 2005 geplatzt wäre.
Wenn wir in den nächsten Wochen und Monaten zusätzliches Geld in die Hand nehmen, dann nur, wenn sich zu dem kurzfristigen Konjunktur- und Beschäftigungsimpuls ein nachhaltiger Wertzuwachs gesellt, zum Beispiel bei der energetischen Sanierung von Schulen und öffentlichen Gebäuden. Dies hilft sowohl dem Handwerk - in der Regel dem örtlichen Handwerk - als auch der Umwelt.
Deutschland und die Europäische Union gehen gut aufgestellt in das kommende Jahr. Unser Dank sollte daher Angela Merkel, unserem Außenminister und natürlich auch dem französischen Präsidenten Sarkozy gelten.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und schöne Feiertage!
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Gert Weisskirchen für die SPD-Fraktion.
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was ist die eigentlich große Herausforderung, vor der die Europäische Union steht? Im Grunde genommen dreht es sich darum, drei Ziele aufeinander zu beziehen und, wenn es geht, diese drei Ziele gleichzeitig zu verfolgen.
Das erste zentrale Ziel ist, die industrielle Basis innerhalb der Europäischen Union so zu verändern, dass die Energieeffizienz erhöht wird und wir am Ende von den bisherigen Kohlendioxidemissionen Schritt für Schritt wegkommen. Wenn wir uns dieses Ziel vor Augen führen und es daraufhin prüfen, was der Europäische Rat erreicht hat, dann finde ich, dass wir einen Durchbruch erzielt haben, sicherlich nicht so, wie wir das am 28. Mai im Bundestag beschlossen haben, lieber Kollege Steenblock; das stimmt. Aber wir müssen sehen, dass wir hier einen ganz zentralen, strukturellen Fortschritt erreicht, eine fundamentale Reform durchgeführt haben. Allein die Tatsache, dass der Europäische Rat das beschlossen hat, ist wichtig.
Ein zweiter Punkt ist - das ist mindestens genauso wichtig -, dass der Europäische Rat der Gefahr, dass man angesichts der Finanzkrise die Umweltziele aus den Augen verliert, in der Tat begegnet ist. Nicht allein die ökonomischen Ziele im Hinblick auf die Bewältigung der Finanzkrise haben sich durchgesetzt. Vielmehr wurden diese Ziele mit den ökologischen Zielen in Zusammenhang gesetzt, nicht zuletzt in der Absicht, Arbeitsplätze zu sichern. Lieber Kollege Steenblock und Oskar Lafontaine, wenn man das, was der Europäische Rat beschlossen hat, fair beurteilt, wird man zu dem Ergebnis kommen, dass das ein wesentlicher Schritt ist. Wir werden 2009 in Kopenhagen deutlich machen: Die Europäische Union will an den Zielen des Kioto-Protokolls festhalten und wird dafür sorgen, dass konkrete Beschlüsse gefasst und diese Ziele real erreicht werden. Das ist das Signal, das die Europäische Union in ihrer globalen Verantwortung aussendet. Ich finde, dass das ein gutes, nach vorne weisendes Signal ist.
- Natürlich muss man auch über die Instrumente debattieren.
Eines der zentralen Instrumente wurde bereits installiert; der Kollege Kelber hat bereits darauf hingewiesen.
Der Emissionshandel wird so unverrückbar durchgesetzt, dass später das richtige Instrument eingesetzt werden kann, um die historische Chance zu nutzen. Daran müssen wir uns alle messen lassen. Die Europäische Union muss beweisen, dass sie an diesem Instrument nicht nur festhält, sondern es auch über das Kioto-Protokoll global durchsetzt, um die weitere Entwicklung positiv zu beeinflussen.
Wenn das gelingt, dann kann die Europäische Union - ich hoffe, dass mich Karl Schlögel für die Verwendung seines Begriffs nicht kritisieren wird - zu einem Laboratorium der Moderne werden. Sie kann dann die industrielle Basis revolutionieren und dafür sorgen, dass Energieeffizienz die höchste Priorität hat und ein fester Bestandteil unseres Modernisierungsbegriffs wird. Das wäre ein gewaltiger Fortschritt, übrigens einer, für den Erhard Eppler seit Jahrzehnten kämpft. Wenn das jetzt durchgesetzt werden könnte, wäre das historisch gesehen ein qualitativer Fortschritt. Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin und beim Bundesaußenminister dafür, dass dieser Durchbruch nun in der Europäischen Union gelungen ist.
Das Europaparlament hat im Übrigen die entsprechenden legislativen Akte durch seine Beschlüsse umgesetzt, und zwar mit großer, überwältigender Mehrheit. Ich weiß nicht, ob sich Herr Cohn-Bendit daran beteiligt hat. Ich wünsche mir aber, dass diejenigen, die seit Jahrzehnten in der Europäischen Union im Hinblick auf eine Verbindung von ökologischer und sozialer Reform und damit im Hinblick auf eine Veränderung der industriellen Basis zusammengearbeitet haben, diesen Fortschritt ernst nehmen, ihm zum Durchbruch verhelfen und 2009 dafür sorgen, dass das global realisiert werden kann.
Herzlichen Dank, Herr Außenminister.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/11404. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltung? - Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion - -
- Frau Kollegin Schewe-Gerigk, dann würde ich die Abstimmung gerne wiederholen; denn das Bild, das die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgegeben hat, war eindeutig das einer Enthaltung.
Dann wiederholen wir die Abstimmung. Wer ist für den Entschließungsantrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltung? - Der Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, den Stimmen der FDP-Fraktion und den Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 32: Dabei geht es um die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon aussetzen - Ein Sozialprotokoll vereinbaren?. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10832, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8879 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer ist dagegen? - Enthaltung? - Die Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Kauder, Renate Schmidt (Nürnberg), Johannes Singhammer und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ? Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
- Drucksache 16/11106 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christel Humme, Irmingard Schewe-Gerigk, Elke Ferner und weiterer Abgeordneter
Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft ausbauen - Volle Teilhabe für Menschen mit Behinderung sicherstellen
- Drucksache 16/11342 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Kerstin Griese, Katrin Göring-Eckardt, Andrea Nahles und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ? Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten
- Drucksache 16/11347 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Ulrike Flach und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ? Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
- Drucksache 16/11330 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Diana Golze, Elke Reinke und weiterer Abgeordneter
Späte Schwangerschaftsabbrüche - Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken
- Drucksache 16/11377 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Diese Zeit soll nach dem Stärkeverhältnis der Anzahl der Unterzeichner verteilt werden.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Johannes Singhammer das Wort.
Johannes Singhammer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor elf Jahren wurde das schreckliche Schicksal des Oldenburger Babys Tim bekannt. Seither ist klar: Die derzeitige Praxis und Regelung später Schwangerschaftsabbrüche bedarf dringend einer Änderung. Schwangere Frauen, die sich alleingelassen fühlen, Ärzte und Pflegepersonal, die sich überfordert fühlen, und der nicht ausreichende Schutz behinderter ungeborener Kinder verlangen von uns, dem Gesetzgeber, eine Entscheidung, eine Entscheidung in einem Grenzbereich der Politik, wobei sich die Politik gleichwohl nicht um eine Entscheidung drücken kann.
Die Kirchen, die Behindertenverbände, die Bundesärztekammer und viele andere fordern seit langem auf, zu handeln. Wir wollen Frauen, die sich in einer existenziellen Notlage befinden, nachhaltig helfen, und wir wollen mit unserem Vorschlag behindertes ungeborenes Leben besser schützen.
Seit 1995 ist die sogenannte embryopathische Indikation abgeschafft, weil sie eine Diskriminierung Behinderter bedeutet. Aber mit der erweiterten medizinischen Indikation werden nun neue Herausforderungen sichtbar. Im Jahr 2007 gab es laut Statistischem Bundesamt insgesamt 3 072 Schwangerschaftsabbrüche, die mit einer medizinischen Indikation gemeldet wurden, 631 davon ab der 20. Schwangerschaftswoche. Das ist der Zeitpunkt, ab dem ein Kind außerhalb des Mutterleibs lebensfähig sein kann.
Studien haben ergeben, dass neun von zehn Schwangerschaften mit Kindern, die das Downsyndrom haben, abgebrochen werden. Es gibt Hinweise auf ähnliche Konstellationen bei Spina Bifida, offener Rücken.
Wir wollen jeden Automatismus zwischen einer Eröffnung der Diagnose und einem Schwangerschaftsabbruch vermeiden. Keine Mutter und kein Vater dürfen in einen Rechtfertigungszwang geraten: Das behinderte Kind hätte vermieden werden können, und Belastungen der Gesellschaft und des Staates finanzieller Art hätten erst gar nicht entstehen müssen.
Mit Sorge hören wir die bittere Klage, beispielsweise der Bundesvereinigung Lebenshilfe, ?wie verletzend eine gesellschaftliche Praxis ist, die etwa Menschen mit Down-Syndrom gezielt sucht, um anschließend ihr Recht auf Leben infrage zu stellen?.
Wenn eine schwangere Frau die Nachricht erhält, dass ihr ungeborenes Kind behindert ist, bricht für sie eine Welt zusammen. Wer mit den betroffenen Frauen und ihren Angehörigen gesprochen hat, weiß, welche Belastungen mit einer solchen Nachricht verbunden sind. Wer erfahren hat, wie oft sich Schwangere in einer Notsituation dieser Art alleingelassen fühlen, der wird alles Denkbare tun, um ihnen die nötige Unterstützung zukommen zu lassen, und er wird auch alles tun, um jede betroffene Frau vor dem Vorwurf in Schutz zu nehmen, sie habe bei ihrer Entscheidung leichtfertig gehandelt.
Für viele Frauen und auch ihre Männer ist das Leben mit einem behinderten Kind zunächst kaum vorstellbar. Deshalb brauchen betroffene Frauen erst einmal alle wichtigen Informationen zum Leben mit behinderten Kindern - durch den Arzt, durch Aufklärungsmaterialien und durch psychosoziale Beratungsstellen. Jede Schwangere in dieser Krisensituation soll - so sieht es unser Entwurf vor - direkt mit Selbsthilfegruppen, aber auch mit betroffenen Familien Kontakt aufnehmen können, wenn sie es wünscht.
Es ist bekannt, dass ein später Schwangerschaftsabbruch für die Frau auch eine starke Belastung bedeuten kann, unter der sie möglicherweise lange zu leiden hat. Darüber sollte jede betroffene Frau ehrlich und frühzeitig aufgeklärt werden.
Unser Entwurf will die schwangeren Frauen in dieser Situation nicht zusätzlich beschweren, ihnen keine neuen Lasten aufbürden; es soll keinerlei Art von Sanktionierung geben. Wer sich nicht beraten lassen will, der kann darauf verzichten. Der Arzt aber wird verpflichtet, die umfassende Beratung über die medizinischen Aspekte hinaus zu gewährleisten. Unsere glasklare Regelung heißt deshalb: Beratungsrecht für die schwangere Frau, Beratungspflicht für den behandelnden Arzt.
Die Verarbeitung einer schockierenden Nachricht braucht Zeit. Soweit keine Gefahr für Leib und Leben der Frau besteht, ist eine mindestens dreitägige Bedenkzeit nach der ärztlichen Beratung notwendig. Wir wollen keinen zeitlichen Druck. Wir wollen nicht, dass Frauen vor einer Entscheidung mit großer Tragweite unter zeitlichen Druck gesetzt werden. Auch wir wissen, dass eine qualifizierte Beratung und ausreichend Zeit eines nicht können: Leid, schmerzliche Entscheidungsprozesse und auch qualvolles Abwägen vermeiden. Wohl aber wissen wir eines: dass damit dringend benötigte Hilfe angeboten wird, dass umfassende Informationen angeboten werden und dass wir Mut machen können.
Experten gehen von einer Dunkelziffer aus. Wir wollen die Dimension der Problematik besser erkennen, um besser helfen zu können. Wir wollen die Statistik aussagefähiger gestalten und haben mit dem Statistischen Bundesamt deshalb auch den Datenschutz intensiv besprochen. Mit unserer Regelung wird die Anonymität jeder betroffenen Frau gewährleistet.
Wir freuen uns, dass eine Reihe von Institutionen und Verbänden unser Vorhaben unterstützt: die Bundesärztekammer, die Bundesvereinigung Lebenshilfe, Donum Vitae ebenso wie viele andere. Wir haben mit allen Beteiligten gesprochen. Unser Weg ist ein ausgewogener Vorschlag für die Regelung nach Mitteilung eines Befundes. Das Gendiagnostikgesetz ist ein guter Ort, um insbesondere die ärztliche Beratung vor vorgeburtlicher Diagnostik zu regeln. Das Gendiagnostikgesetz kann aber eben nur einen Ausschnitt regeln. Beispielsweise Herzfehler und Ähnliches können mit Gendiagnostik nicht erkannt werden. Deshalb brauchen wir die Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Selbstverständlich sind Mutterschaftsrichtlinien und Mutterpass willkommene Möglichkeiten der Hilfe, aber wir sollten ein Risiko nicht in Kauf nehmen: dass wir am Schluss weiße Salbe anbieten. Wir brauchen echte Besserung.
Die Evangelisch-Lutherische Kirche Bayern hat in der Landessynode vor wenigen Tagen formuliert:
Menschliches Leben ist uns von Gott gegeben. Es ist in jeder Phase zu bewahren und zu schützen.
Ich meine deshalb, dass die Verpflichtung des Gesetzgebers noch weiter geht. Wir müssen alles daransetzen, dass ein Leben mit behinderten Kindern, ein Leben mit behinderten Menschen in jedem Lebensalter gelingen kann: mit ausreichenden finanziellen Rahmenbedingungen, mit Offenheit und Akzeptanz der Gesellschaft sowie mit der Achtung der Würde des Lebens am Anfang wie am Ende.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat die Kollegin Christel Humme.
Christel Humme (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Ja, Spätabbrüche sind schrecklich, am schrecklichsten für die betroffenen Frauen selbst, Herr Singhammer. Darüber reden wir heute. Wir reden über mögliche Abbrüche in einem fortgeschrittenen Stadium.
Die Schwangere und ihr Partner freuen sich auf das Kind; denn es ist in der Regel ein Wunschkind. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Keine Frau entscheidet sich in dieser Situation leichtfertig für einen Abbruch.
Deshalb dürfen wir hier im Deutschen Bundestag keine gesetzliche Änderung vornehmen, die den Frauen das unterstellt. Aber genau das ist Ihr Ansatz, Herr Singhammer. Mit diesem Frauenbild helfen Sie den betroffenen Frauen und Männern nicht.
Sie setzen sie in einer ohnehin schwierigen Notlage zusätzlich unter Druck.
- Keine Zwischenrufe!
Frauen brauchen auch keine staatlich verordnete Wartezeit von drei Tagen. Warum überhaupt drei Tage? Die Frist ist völlig willkürlich. Fragen Sie doch die Praktiker, die niedergelassenen Frauenärzte! Sie berichten uns, dass die Frauen sich von Beginn ihrer Schwangerschaft an mit dem Gedanken auseinandersetzen: Was passiert, wenn? Deshalb sind wir der Auffassung: Eine bessere Beratung für Schwangere muss viel früher ansetzen.
Wir stellen eines fest: Der technische Fortschritt bietet schwangeren Frauen eine Vielzahl von Untersuchungen an, die alle ein Ziel verfolgen, nämlich nach Abweichungen beim ungeborenen Leben zu suchen. Nimmt die Frau dieses Angebot wahr, so ist das oft der Beginn eines Untersuchungsmarathons, der zutiefst verunsichern kann.
Hier setzt unser Antrag an. Wir wollen zusätzlich die Qualität der Beratung vor solchen Untersuchungen verbessern. Der Arzt soll über die Chancen und Risiken informieren, und er muss schon zu diesem Zeitpunkt die Pflicht haben, auf die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung hinzuweisen. Ein schlüssiges Konzept, qualitativ gute Beratung vor einer pränatalen Untersuchung und auch danach - damit, glaube ich, geben wir den Frauen und ihren Partnern die notwendige Bedenkzeit, die wesentlich länger ist als die Dreitagesfrist, die nach Ihrem Entwurf gesetzlich vorgeschrieben werden soll.
Das ist die wirkungsvolle Hilfe, die wir meinen, wenn wir von dieser Konfliktsituation sprechen.
Mehr noch, meine Damen und Herren: Mit diesem Beratungsangebot geben wir den Frauen den Informationshintergrund, den sie brauchen, um zu den Untersuchungen, die wie selbstverständlich vorgenommen werden, auch einmal Nein sagen zu können. Das ist das, was wir meinen, wenn wir von dem Recht der Frau auf Nichtwissen sprechen.
Herr Singhammer, Sie wollen behindertes Leben schützen. Wir auch, das ist kein Zweifel. Sie meinen, das erreichen zu können, wenn Sie Spätabbrüche vermeiden. 80 Prozent der Spätabbrüche werden vorgenommen, weil das Ungeborene nicht lebensfähig ist. Diesen Kindern fehlt ein lebenswichtiges Organ. Sie haben kein Gehirn, es fehlen beide Nieren, oder das Herz ist schwer geschädigt. Die Kinder sind dem Tod geweiht. Niemand leidet darunter mehr als die betroffenen Eltern. Wie müssen sowohl Ihre gesetzliche Dreitagesfrist als auch Ihr gesetzlicher Hinweis auf eine bessere Information über das Leben mit einem behinderten Kind auf diese Eltern wirken?
Meine Damen und Herren, die unter anderem von der Union vorgeschlagenen staatlichen Einmischungen in höchstpersönliche Entscheidungen sind nicht geeignet, um Frauen und Männern in schwierigen Konfliktsituationen während der Schwangerschaft wirkungsvoll zu helfen. Was Frauen wirklich hilft, ist ein zusätzliches besseres und frühzeitiges Beratungs- und Unterstützungsangebot. Genau diesen Weg gehen wir mit unserem Antrag, und dabei sind wir fest davon überzeugt, dass Frauen sehr verantwortungsvoll mit ihrer Konfliktsituation umgehen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir alle wissen es sehr genau, und an dieser Stelle sollten wir uns nicht selbst belügen: Gesetzliche Regelungen, zusätzliche Dreitagefristen, Beratungspflicht und was auch immer werden nicht helfen, die gesellschaftliche Einstellung zu behindertem Leben positiv zu verändern.
Dazu gehören veränderte Rahmenbedingungen, wie wir sie in unserem Antrag fordern. Ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren, Sie hätten in den vergangenen Jahren gemeinsam mit uns ebenso viel Energie in die Frage gesteckt, wie wir die Bedingungen für ein Leben mit einem behinderten Kind verbessern können. Das wäre eine redliche und sinnvolle Arbeit gewesen, die dieses Hohen Hauses würdig gewesen wäre.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese.
Kerstin Griese (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein schwieriges Thema, das wir hier diskutieren, eine Gewissensfrage. Die Frage, wie wir Frauen in der schwierigsten Konfliktsituation in einer fortgeschrittenen Schwangerschaft sinnvoll helfen können, hat mich sehr bewegt, und - ich sage es offen - ich habe mich auch schwergetan, dazu eine Position zu finden. Nach vielen Gesprächen mit Betroffenen, mit Verbänden wie der Lebenshilfe und auch mit Beratungsstellen habe ich mich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen entschlossen, einen Gesetzentwurf zu formulieren. Wir wollen die Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes auf einen zentralen Punkt konzentrieren: auf die Vermittlung in psychosoziale Beratungsstellen.
Um immer wieder geäußerten Vorwürfen direkt vorzubeugen, will ich ausdrücklich sagen: Niemand will den § 218 ändern. Wir alle sind uns einig, dass keine Frau leichtfertig abtreibt. Im Gegenteil, das ist eine schwerwiegende Entscheidung mit vielen Nachwirkungen.
Wir sind uns sicherlich auch alle darin einig: Werdendes Leben kann nur mit der Mutter, nicht gegen sie geschützt werden.
Ich warne davor, aus dieser Debatte einen Kulturkampf zu machen. Es geht nicht um die Änderung der bisherigen Indikationsregelungen beim Schwangerschaftsabbruch, sondern es geht in unserem Gesetzentwurf allein um eine bessere Beratung in der fortgeschrittenen Schwangerschaft, in einer Phase, in der sich die Frau eindeutig für das Kind entschieden hat.
Ich will die drei wichtigsten Argumente für unseren Gesetzentwurf nennen:
Erstens. Wir haben in Deutschland die Regelung, dass bis zur zwölften Schwangerschaftswoche Abtreibung nach Pflichtberatung und nach drei Tagen Bedenkzeit straffrei ist. Wir werden demnächst nach dem Gendiagnostikgesetz die Regelung haben, dass vor und nach gendiagnostischen Untersuchungen Beratung erfolgt. Das ist gut und richtig. Aber im schwierigsten aller Fälle, im Schwangerschaftskonflikt nach der 13. Woche bis hin zur 22. oder 23. Woche, wenn das Kind schon lebensfähig ist, in der Phase, in der die Entscheidung für das Kind schon gefallen ist - es geht hier um Wunschkinder -, können wir uns nicht sicher sein, dass die Frau nach einer meist schockierenden Diagnose eine psychosoziale Beratung bekommt, und das wollen wir ändern.
Zum Beispiel führt auch die große Ultraschalluntersuchung zu der Diagnose einer eventuellen Behinderung. Diese Untersuchung ist vom Gendiagnostikgesetz nicht erfasst. Da gibt es eine Lücke. Warum wir diese Lücke nicht auch gesetzlich schließen sollen, leuchtet mir nicht ein. Das ist widersinnig.
Es geht zweitens darum, wie Frauen oder Paare damit umgehen, wenn sie die Diagnose bekommen, dass ihr Kind mit der Wahrscheinlichkeit eins zu hundert, eins zu zweihundert oder eins zu dreihundert behindert sein könnte. Wie gehen wir mit dem technischen Fortschritt um? Müssen wir alles wissen? Ich teile ausdrücklich all das, was zum Recht auf Nichtwissen und zu mehr Beratung vor der Diagnostik gesagt wurde. Aber - das weiß ich aus vielen Gesprächen - es gibt immer wieder den Fall, dass Ärzte bei der Diagnose einer eventuellen Behinderung sehr schnell zum Abbruch raten,
sei es offensichtlich - ich kenne Fälle, wo Ärzte gesagt haben, das lohne sich nicht mehr -, sei es unterschwellig, sei es aus Angst vor Haftungsklagen, was ich übrigens besonders perfide finde, sei es aus mangelnder Sensibilität, sei es aus reiner Konzentration auf die medizinisch-technische Seite, was ja beruflich bedingt ist, oder aus Hilflosigkeit. Ich mache diesen Vorwurf nicht allen Ärztinnen oder Ärzten,
aber ich bin nach reiflicher Überlegung mit den Kolleginnen und Kollegen, die mit mir diesen Antrag stellen, zu der Überzeugung gekommen, dass genau hier die Schwachstelle ist und dass wir genau hier etwas ändern müssen. Die Frauen sollen also nicht mit der medizinischen Diagnose alleingelassen werden, sondern auch eine psychosoziale Beratung bekommen.
Deshalb wird in unserem Gesetzentwurf der Arzt oder die Ärztin - ich sage ausdrücklich: ?der Arzt oder die Ärztin?, nicht: ?die Frau? - zu ergebnisoffener Beratung verpflichtet. Das ist uns wichtig, damit es nicht zu einem voreiligen Automatismus ?Behinderung gleich Abtreibung? kommt. Der Arzt oder die Ärztin werden also verpflichtet, in eine psychosoziale Beratung zu vermitteln. Hier wird keinerlei Zwang ausgeübt. Diese Beratung kann auch abgelehnt werden. Hier geht es um Hilfe und Unterstützung.
Ein drittes wichtiges Argument unseres Antrages: Wir wollen, dass die Ärzte Kontakte zu Selbsthilfegruppen und Behindertenverbänden vermitteln. Ein Gesetzgeber kann natürlich die gesellschaftliche Debatte beeinflussen, indem er in Gesetzen Werte und Normen setzt. Deshalb sagen wir auch hier: Behindertes Leben ist gelingendes und erfülltes Leben. Das können wir auch mit gesetzlichen Normen deutlich machen.
Mich haben die Zuschriften von Eltern behinderter Kinder sehr berührt, die mir erzählt haben, welch ein Schatz dieses Kind für ihr Leben ist, die aber auch davon berichtet haben, dass sie darauf angesprochen werden, ob das denn sein musste,
ob man das heute nicht hätte verhindern können. Das zeigt einfach, dass es den genannten Automatismus gibt. Auch wenn er rechtlich nicht in Ordnung ist - es gibt ihn. Das wollen wir ändern.
Unser Gruppenantrag formuliert die Vermittlung in psychosoziale Beratung noch deutlicher und verbindlicher als Ihr Antrag, Herr Kollege Singhammer. Unser Gruppenantrag geht auch über das hinaus, was Sie, Frau Kollegin Humme, fordern: Er sieht eben eine gesetzliche Regelung vor und beschränkt sich nicht auf Appelle. Wir wollen keine statistische Erfassung, wir wollen keine statistisch feine Aufschlüsselung der Abtreibungsgründe. Hier sehen wir die Gefahr, dass die Anonymität der Frauen nicht mehr gewahrt würde. Vielmehr konzentrieren wir uns tatsächlich auf Hilfen und Unterstützung.
Ich komme zum Schluss. Ich werbe für diesen Vorschlag, weil ich möchte, dass wir Frauen in der schwierigen Konfliktsituation, ob eventuell eine Spätabtreibung vorgenommen werden soll, direkt Hilfe und Unterstützung zukommen lassen. Ich werbe dafür, damit dieses Haus ein eindeutiges Zeichen setzt, dass Behinderung nicht der Grund für eine Abtreibung sein darf.
Es ist eine Frage, mit der sich - das weiß ich - viele schwertun. Ich glaube, es ist eine ethische Frage, über die nicht anhand von Partei- oder Fraktionsgrenzen entschieden werden darf. Jeder Einzelne von uns wird hier eine Entscheidung treffen müssen. Wir werden im März dazu eine Anhörung im Familienausschuss durchführen und im April hier wieder darüber beraten. Ich hoffe, dass wir über all die wichtigen Appelle hinaus - ich sage ausdrücklich, dass ich die alle unterstütze - auch eindeutige gesetzliche Zeichen setzen. Diese sind nötig, damit den betroffenen Frauen geholfen werden kann.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke.
Ina Lenke (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei Drittel der Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion legen Ihnen heute einen Gruppenantrag für einen Gesetzentwurf zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes vor. Wir wissen: Spätabtreibungen sind für alle Beteiligten mit großen Belastungen verbunden, besonders für Schwangere. Das haben alle Redner vor mir hier auch sehr deutlich gesagt.
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, die Zahl von Abbrüchen so gering wie möglich zu halten.
Notwendig sind deshalb Maßnahmen, die die Situation der betroffenen Frauen und der ungeborenen Kinder verbessern. Mit unseren Vorschlägen wollen wir voreilige Entscheidungen und überstürztes Handeln vermeiden helfen.
Unser Gesetzentwurf verpflichtet Ärzte, vor, während und nach der Pränataldiagnostik medizinisch zu beraten. Für die Eltern - das sagte schon Frau Griese - ist eine solche Diagnose ein schwerer Schock. Wir Frauen können uns das sicher persönlich sehr gut vorstellen. Deshalb soll der Arzt dafür sorgen, dass ein Angebot zur psychosozialen Beratung gemacht wird. Zusätzlich soll er darauf hinwirken, dass die Schwangere die Beratung auch wahrnimmt.
Diese Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Schwangeren. Dazu gehört natürlich auch das Angebot vielfältiger Hilfen für ein Leben mit einem Kind, das eine Behinderung hat. Die Beratung soll durch erfahrene und entsprechend ausgebildete Beraterinnen erfolgen. Dazu ist ausreichend Zeit erforderlich, die auch in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist.
Die Feststellung nach § 218 a Abs. 2 Strafgesetzbuch soll nicht vor Ablauf einer Frist von drei Tagen nach der Beratung durch den Arzt erfolgen. Wenn Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren besteht und ein sofortiger Abbruch vorgenommen werden muss, gilt diese Frist natürlich nicht.
In der Begründung unseres Gesetzentwurfes betonen wir, dass die werdende Mutter neben dem Recht auf Wissen auch ein Recht auf Nichtwissen hat. Das haben wir schon in einem Fraktionsantrag in der letzten Legislaturperiode dargelegt. Die werdende Mutter soll selbst entscheiden, ob sie sich dem heute medizinisch möglichen Untersuchungsmarathon unterziehen will. Frau Humme hat schon darauf hingewiesen. Wir haben Vertrauen in die umfassende medizinische Beratung des behandelnden und die Indikation feststellenden Arztes, in die psychosoziale Beratung durch dazu ausgebildete Beraterinnen und in die Entscheidungsfähigkeit der Schwangeren.
Deshalb sprechen wir uns gegen eine Beratungspflicht für die Frau aus.
Im Gesetzentwurf Singhammer ist unter anderem eine Verdoppelung der Strafe für Ärzte vorgesehen, wenn sie Dokumentationspflichten nicht nachkommen. Das halten wir für entbehrlich. Das würde auch das Problem nicht lösen.
Frau Humme, in Ihrem Antrag schlagen Sie eine untergesetzliche Regelung vor, nach der die 16 Ärztekammern der Länder Richtlinien für verbindliche Informationen schaffen sollen. Meines Erachtens ist das nicht praktikabel. Vielleicht können Sie da noch einen anderen Vorschlag entwickeln.
Am 16. März nächsten Jahres wird es im Bundestag eine Anhörung von Experten und Expertinnen zu den vorliegenden Anträgen und Gesetzentwürfen geben. Wir laden Sie alle, nicht nur die familien- und frauenpolitischen Sprecherinnen, ein, an dieser Anhörung teilzunehmen. Wir werden ausreichend Zeit haben, alle Vorschläge einer gewissenhaften Überprüfung zu unterziehen. Das haben wir auch in der Arbeitsgruppe, die den Gruppenantrag entwickelt hat, so verabredet und beschlossen. Ich hoffe auf gute und ernsthafte Beratungen. Angriffe persönlicher oder parteipolitischer Natur sollten wir bei den anstehenden Beratungen unterlassen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann.
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich spreche für den Gruppenantrag von 50 Abgeordneten der Linken. Er beruht auf der einstimmig beschlossenen Position des Frauenplenums meiner Fraktion. Natürlich wollen wir partnerschaftliche Entscheidungen. Aber in der Realität greift eine Schwangerschaft oder auch ihr Abbruch vor allem in das Leben von Frauen ein. Deshalb ist uns Linken ihr Votum in dieser sensiblen Frage besonders wichtig.
Der eigentliche Grundkonflikt der heutigen Debatte muss ehrlich benannt werden: Trauen wir als Gesetzgeber Schwangeren zu, mit Unterstützung ihrer Ärztinnen und Ärzte selbstbestimmt eine verantwortungsvolle Entscheidung zu fällen? Das bejaht unser Antrag und auch der Antrag von Kollegin Humme und Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern.
Die drei Gesetzentwürfe dagegen setzen Frauen und Ärzteschaft mehr oder weniger unter Generalverdacht und fordern eine Verschärfung der staatlichen Kontrolle bei Schwangerschaftsabbrüchen mit medizinischer Indikation. Dabei hat die Bundesrepublik bereits seit 1995 eine der EU-weit restriktivsten gesetzlichen Regelungen. Schwangerschaftsabbrüche sind grundsätzlich rechtswidrig und nur unter bestimmten Bedingungen nicht strafbar.
Das widerspricht übrigens internationalen Erfahrungen. So haben die Niederlande trotz liberaler Regelungen seit 20 Jahren deutlich weniger Schwangerschaftsabbrüche je Tausend Lebendgeborene als wir. Die Vorgängerinnen meiner Fraktion haben seit dem Jahr 1990 deshalb immer wieder die ersatzlose Streichung des § 218 gefordert. Es ist für mich als frauenpolitische Sprecherin bitter, diese restriktiven Regelungen heute gegen weitere Verschärfungen verteidigen zu müssen.
Das zeigt, dass wir in der gesellschaftlichen Debatte zum Selbstbestimmungsrecht von Frauen nicht weitergekommen sind, im Gegenteil.
Selbst im 1995er-Gesetzgebungsverfahren wurde bei Schwangerschaftsabbrüchen mit medizinischer Indikation ausdrücklich auf ein normiertes und formalisiertes Beratungserfordernis verzichtet. Diese Gesetzeslage soll mit diesen drei Gruppenanträgen jetzt korrigiert werden. Damit setzen sie genau an der Stelle auf gesetzgeberischen Druck, wo nach unserer Überzeugung Vertrauensbildung, Information und Unterstützung dringend erforderlich und auch erfolgreich sind.
Pro Familia schrieb dazu gestern:
Alle vorgeschlagenen Änderungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ? richten sich gegen Frauen und Paare und werden keinen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation verhindern, sie richten sich auch gegen die Ärzteschaft.
Interessant ist, womit sich die drei Gesetzentwürfe nicht befassen. Der Sinn vorgeburtlicher Untersuchungen und ihre Risiken spielen keine Rolle, aber die Verwendung der Information soll eingeschränkt werden. Die Defizite bei der Integration behinderter Menschen und ihrer Familien in die Gesellschaft werden ausgeblendet, aber diese Defizite sind Teil der seelischen Notsituation.
Genau an diesen Stellen setzt unser Antrag an. Wir fordern unter anderem einen Rechtsanspruch auf medizinische und psychosoziale Beratung, und zwar kostenfrei und flächendeckend erreichbar.
Vor jeder vorgeburtlichen Untersuchung muss das Recht auf informierte Einwilligung, auf Nichtwissen oder nur therapierelevante Informationen gesichert werden. Das steht übrigens auch im aktuellen Schattenbericht zur UN-Frauenrechtskonvention.
Nach einem Befund muss das Recht auf eine umfassende, vertrauensvolle und ergebnisoffene medizinische und psychosoziale Beratung gelten. Dies muss - was oft vergessen wird - auch nach einem Schwangerschaftsabbruch gelten. Ärztinnen und Ärzte, Krankenhauspersonal und Hebammen brauchen spezifische Fort- und Weiterbildung. Ferner fordern wir die wirkungsvolle und vollumfängliche Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind für uns unverzichtbare Bestandteile der Lösung von Schwangerschaftskonflikten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat die Kollegin Renate Schmidt.
Renate Schmidt (Nürnberg) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Eltern, bei deren Kind in der 20. Schwangerschaftswoche ein Downsyndrom festgestellt wurde, haben mir Folgendes geschrieben:
Der diagnostizierende leitende Oberarzt an der Uniklinik war sicher fachlich hochkompetent. Menschlich war er der Problematik nicht gewachsen und konnte uns auch nicht außer-medizinisch beraten. Es war eine Katastrophe. Gott sei Dank ließen wir uns von den mit der Diagnose einsetzenden Automatismen (?Jetzt muss alles schnell gehen?) und unseren Gefühlen nicht überrumpeln und durften glückliche Eltern werden. Leicht wird einem dies nach geltendem Recht nicht gemacht. Vielen hilft in der schweren Situation der Enttäuschung, Zukunftsangst und Trauer sicher schon ein Funken Hoffnung.
Das war ein Auszug aus einer der vielen Zuschriften, die mich erreicht haben.
Um diese Hoffnung geht es, wieder zu sich zu kommen - in einer Situation, in der die betroffenen Frauen und die Eltern außer sich sind. Es geht um Beratung und Hilfe im umfassenden Sinne. Es geht um ausreichend Zeit für die Entscheidungsfindung. Nur wenn sich die Frau, die Eltern gut informiert und unterstützt fühlen, können sie zu einer Entscheidung kommen, mit der sich auch langfristig gut leben lässt. Es geht darum, der Frau, den Eltern zu helfen, den für sie gangbaren Weg zu finden. Es geht darum, sich der schleichenden, verdeckten Wiederkehr der embryopathischen Indikation zu widersetzen. Es geht darum, dass Eltern mit Blick auf ihr behindertes Kind nicht mehr gefragt werden, ob das denn sein musste. Mit ?das? sind liebenswerte, lebensfrohe Kinder gemeint. Um sie, um ihre Väter und Mütter geht es.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ist medizinische, psychosoziale, das Leben mit Behinderten beinhaltende Beratung, auf die es schon heute einen Anspruch gibt, nicht eigentlich selbstverständlich? Leider nein. Dies zeigen Untersuchungen zum Beispiel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die zu dem Ergebnis kommen, dass die medizinische Information bei der Pränataldiagnostik überwiegend als gut, die umfassende psychosoziale Beratung mehrheitlich als schlecht bzw. als nicht vorhanden bewertet wird. Dies zeigen Schilderungen von Betroffenen, die in ihrer Not alleingelassen wurden. Dies zeigen mir auch die vielen positiven Reaktionen von Kirchen, Verbänden und einzelnen Betroffenen auf unsere Gesetzesinitiative. Denn dort, wo schwere psychische Beeinträchtigungen wegen der Erwartung eines behinderten Kindes eine medizinische Indikation rechtfertigen, ist heute guter Rat buchstäblich teuer. Dies heißt, er ist allzu häufig schlicht und einfach nicht vorhanden.
Es wird Zeitdruck erzeugt, wo es ihn nicht gibt. Es wird die Zeit, zu trauern, nicht gegeben, wenn es sich um ein nicht lebensfähiges Kind handelt. Zu selten wird in solchen Fällen überlegt, ob nicht das Fortsetzen der Schwangerschaft für die Mutter, für das Kind, für die Familie das Beste wäre. Aber es geht nicht nur um diese Spätabtreibungen, sondern auch um die mehreren Tausend zum Beispiel in der 16. Woche Schwangeren, bei deren Kind zuvor ein Downsyndrom festgestellt wurde.
Ich unterstütze - vielleicht etwas ungewöhnlich - zwei der Gruppengesetzentwürfe und werde auch dem Forderungsteil des Antrags von Christel Humme zustimmen, weil ich den im Mutterpass verankerten Beratungsanspruch für ebenso dringend notwendig halte wie, um nur zwei Dinge herauszugreifen, die Beratung vor der Pränataldiagnostik, wie sie im Entwurf des Gendiagnostikgesetzes vorgesehen ist. Ich unterstütze zwei Gesetzentwürfe, weil ich die Hoffnung habe, dass wir am Schluss nach der Anhörung doch noch zusammenkommen und einen gemeinsamen Gesetzentwurf verabschieden. Das wäre auch und gerade bei einem solchen Thema kein Umfallen, zumal wir bei unseren Zielen wahrhaftig nicht so weit entfernt voneinander sind: nämlich Müttern, Eltern in einer extremen Notsituation die bestmögliche Beratung und die Zeit zu bieten, um zu einer eigenen, selbstverantworteten Entscheidung zu kommen.
Um das zu erreichen, sollten wir mit gegenseitigen Unterstellungen aufhören. Weder wird im Gesetzentwurf von Johannes Singhammer Schwangeren in irgendeinem Punkt Leichtfertigkeit unterstellt, noch wird ihnen eine irgendwie geartete neue Pflicht aufgebürdet, noch wird gar § 218 StGB geändert. Im Gegenteil: Nicht die Schwangeren werden verpflichtet, sondern die Ärzte. Es ist auch kein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen geplant. Im Gegenteil: Durch Beratung wird das Fundament für das Selbstbestimmungsrecht überhaupt erst geschaffen.
Selbstverständlich soll und wird die Schwangere nach wie vor selbst entscheiden und kann nach diesem Gesetzentwurf jedwede Beratung ablehnen.
In meiner Rede kommt das Wort ?Hoffnung? häufig vor. Hoffnung hat mit unserem Thema sehr viel zu tun. Schwanger sein bedeutet, guter Hoffnung zu sein. Deshalb sollte manch unsinnige Pränataldiagnostik unterbleiben.
Ich wünsche mir ein sehr deutlich verankertes Recht auf Nichtwissen im Gendiagnostikgesetz.
Ich hoffe, dass wir diese Debatte zum Anlass nehmen, das Leben mit behinderten Kindern weiter zu erleichtern. Dazu gehören mehr Ansprechpartner und konkrete Hilfen für die betroffenen Familien. Dazu gehört das Einbeziehen statt des Ausgrenzens von Behinderten. Dazu gehört aber vor allem ein Klima in unserer Gesellschaft, das zeigt, dass wir nicht nur auf Leistung und Gewinnstreben setzen, sondern vor allen Dingen auf Menschlichkeit und Mitgefühl.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte zum Thema späte Schwangerschaftsabbrüche zeigt, dass sich dieses Thema nicht für laute Töne eignet. Es eignet sich aber auch nicht für Unterstellungen, nicht gegenüber den Frauen, die sich seit mehr als 20 Wochen auf ihr Kind freuen und eben nicht leichtfertig und verantwortungslos einen Abbruch durchführen lassen,
aber auch nicht für Unterstellungen gegenüber den Ärztinnen und Ärzten, die die Frauen angeblich zu einer schnellen Abtreibung drängen, sobald sie bei einem Embryo eine Behinderung erkennen, und die den Frauen angeblich eine Psychose bescheinigen, um die medizinische Indikation zu rechtfertigen, während das Klinikbett schon bereitsteht.
Ein Arzt, der einen Schwangerschaftsabbruch allein wegen einer Behinderung des Embryos vornimmt, macht sich strafbar, verehrte Kollegin Griese.
Sie wissen: Es gibt auf dieser Welt kein diesbezügliches Gesetz, gegen das nicht verstoßen wird. Hier ist die Strafverfolgung gefragt. Hier helfen keine neuen Gesetze, die eine Bedenkzeit vorsehen oder die Pflicht des Arztes, auf die psychosoziale Beratung hinzuweisen, wie es in dem Gesetzentwurf von Herrn Singhammer, Renate Schmidt und anderen steht.
Im Übrigen ist die Bedenkzeit längst Realität. Zwischen dem Befund, der psychosozialen Beratung und der vorgeschriebenen Zweitdiagnose entsteht Bedenkzeit, oft mehr als drei Tage. Ich frage mich auch, woher das große Misstrauen gegenüber den Ärzten und Ärztinnen kommt. Ihnen wird unterstellt, auch in dem Gesetzentwurf, sie würden einen Abbruch allein wegen eines pathologischen fetalen Befundes vornehmen und - noch schlimmer - sie würden die Statistik fälschen, indem sie den Abbruch durch einen Fetozid als Totgeburt und nicht als Schwangerschaftsabbruch dokumentieren. Was bedeutet es eigentlich für die ärztliche Schweigepflicht, wenn eine Pflicht zur Dokumentation von Inhalt und Umfang des Gesprächs sowie eine Offenlegung aller Daten vor einer noch zu bestimmenden Behörde unter Bußgeldandrohung beschlossen wird?
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Maßnahmen belasten die Frauen zusätzlich in ihrer schwierigen Situation, statt ihnen zu helfen, und sie zerstören das ärztliche Vertrauensverhältnis.
Nun wird vorgetragen, bei einem Abbruch vor der zwölften Woche gebe es doch auch eine Pflichtberatung, und das wolle man, was logisch sei, nur ausweiten. Wer so argumentiert, verkennt, dass in den ersten zwölf Wochen die Entscheidung über einen Abbruch allein bei der Frau liegt. Da geht es um das Selbstbestimmungsrecht. Die medizinische Indikation hingegen ist daran gebunden, dass das Leben der Mutter aus medizinischen oder psychosozialen Gründen gefährdet ist, und das ist nun wirklich keine Frage der Beratung.
Daher widerspricht die Beratungspflicht geradezu den Vorgaben für eine medizinische Indikation, über die in vielen Kliniken im Übrigen Ethikkommissionen entscheiden, manchmal auch gegen Entscheidungen, die vorgelegt worden sind.
Den Vorwurf, dass Kindern mit Behinderung das Lebensrecht abgesprochen wird, kann ich nicht teilen; denn viele Kinder wären außerhalb des Mutterleibes nicht lebensfähig; Frau Humme hat vorhin darauf hingewiesen. Laut einer Befragung von zwei Unikliniken trifft das auf 80 Prozent dieser Fälle zu.
Ich sehe bei der medizinischen Indikation keinen gesetzlichen Handlungsbedarf. Im Gendiagnostikgesetz, das die Grünen vor zwei Jahren vorgelegt haben, sind Beratungen vor und nach der pränatalen Diagnostik vorgesehen. Es ist notwendig, die Qualität der Beratung zu verbessern. Die Schwangeren haben schon heute einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung. Das muss deutlicher verankert werden. Das kann aber im Rahmen der Mutterschutzrichtlinien geschehen, wie es im Antrag von Christel Humme und anderen vorgesehen ist. Ich werbe um Zustimmung für diesen Antrag.
Ich komme zum Schluss. Der Schwangerschaftsabbruch ist, wenn es sich um ein Wunschkind handelt, zumal so spät, für jede Frau ein qualvoller Schritt. Das macht keine Frau leichtfertig. Diese Frauen haben während und nach der Entscheidung unseren Respekt verdient, genauso wie diejenigen, die sich für eine Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden. Diesen Respekt vermisse ich im Antrag der CDU/CSU.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! In der bestimmt unverdächtigen taz, die tageszeitung, steht heute in einem Artikel - ich zitiere -:
Die 36-jährige Leipzigerin hat gegoogelt, hat gelesen. Herzfehler, Organfehler, vergrößertes Kleinhirn, Fehlbildungen der Extremitäten. Viele Kinder sterben vor der Geburt, die meisten Überlebenden erreichen ihren ersten Geburtstag nicht. Die Gynäkologin sagte, dass es die Möglichkeit der Spätabtreibung gibt.
Etwas später:
Allein entscheiden. Dass es Beratungsstellen gibt, die einen auf diesem Weg begleiten, erwähnte die Frauenärztin erst, als Jutta Gelhaus sie fragte.
Das ist ganz offensichtlich Realität. Es ist Realität, auch wenn Gesetze und Richtlinien etwas anderes vorsehen. Heute geht es um die Frage, ob wir etwas anderes vorschreiben, ob wir deutlich machen, was wir wollen, und ob wir über die Gesellschaft, in der wir leben wollen, anders reden als bisher. Das hat nichts mit staatlicher Einmischung in höchst persönliche Fragen zu tun, sondern mit staatlicher Einmischung in eine zutiefst gesellschaftliche Frage.
Wir können heute entscheiden, ob wir den Familien, bei deren Kind Downsyndrom diagnostiziert wird, schon vor der Geburt sagen: Ja, wir wollen euch. Vor dieser Entscheidung stehen wir; sie können wir treffen. Ja, es geht um bessere Rahmenbedingungen und um mehr und qualifizierte Beratung. Darüber reden wir seit vielen Jahren in unterschiedlichen Regierungskonstellationen. Die Situation ist dennoch immer noch genau so, wie sie hier beschrieben ist.
Es geht nicht um Misstrauen gegenüber den Frauen. Herr Singhammer hat das hier ganz ausdrücklich gesagt. Wir können heute auch zum Ausdruck bringen, wie ernst wir uns eigentlich untereinander nehmen. Die Unterstellung gegenüber Herrn Singhammer bewirkt erst, dass Frauen etwas unterstellt wird. Ich finde das falsch; wir sollten das lassen.
Ja, es geht um Wunschkinder, und es geht nicht um Misstrauen gegenüber den Frauen. Es geht aber auch um die Situation, in der sich Ärztinnen und Ärzte befinden, die zutiefst verunsichert sind, die das Richtige tun wollen, die Sorge vor Klagen haben etc. Auch hier geht es um etwas, bei dem wir nicht sagen können, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern wir anschauen müssen, was ist. Es geht nicht allein um Zahlen, mit denen hier jongliert wird, sondern es geht vor allem um Menschen, denen wir wirkliche Unterstützung gewähren müssen. Es geht um die Gesellschaft, in der wir leben wollen.
Ich will in einer Gesellschaft leben, in der zukünftige Mütter und Väter, die eine so schwere Diagnose bekommen, gesagt bekommen können: Ihr habt jetzt Zeit, in aller Ruhe zu entscheiden. Ihr habt jetzt Zeit, diesen Weg zu gehen, der schwer für euch wird. Ich kann euch als Ärztin oder Arzt medizinisch beraten, es gibt eine Beratungsstelle, bei der ihr Hilfe findet; ich rufe dort für euch an und mache einen Termin aus. Ihr seid gerade in einer großen Notsituation, und das ist ein schwerer Weg. Lasst euch Zeit dafür. Wir werden alles dafür tun, dass ihr in Ruhe entscheiden könnt. Diese Gesellschaft wird alles dafür tun, dass ihr mit einem Kind, egal wie es ist, gut leben könnt. Darauf kommt es an.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk.
Sibylle Laurischk (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit einer Fragestellung, die immer wieder zu sehr grundsätzlichen Diskussionen führt und sich sicherlich nicht für eine kontroverse Diskussion eignet. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in seiner Entscheidung vom Mai 1993 aufgegeben, sich aus Gründen des Schutzes des ungeborenen Lebens um die weitere Entwicklung seines Konzepts zu kümmern, es im Auge zu behalten und gegebenenfalls Korrekturen daran vorzunehmen. Wir haben nicht vor, den § 218 zu ändern. Diese sehr grundsätzliche Aussage ist aus Sicht der FDP notwendig, und sie entspricht auch unserem Selbstverständnis.
Die Diskussionen über das Thema Spätabtreibungen erfordern allerdings auch eine Antwort des Bundestages. Ich möchte insbesondere darauf hinweisen, dass es sich bei sogenannten Spätabtreibungen, also bei Abtreibungen ab der 23. Schwangerschaftswoche, im Verhältnis zur Gesamtzahl der Abtreibungen glücklicherweise nur um wenige Fälle handelt; im letzten Jahr gab es wohl 229 solcher Fälle. Es handelt sich also um eine ganz spezielle Fragestellung.
Es geht um eine Situation, in der die Eltern, insbesondere aber die schwangeren Frauen, aufgrund der medizinischen Möglichkeiten vielleicht zum ersten Mal und auf sehr dramatische Weise mit der Frage konfrontiert werden, wie sie als Eltern und als Mütter mit dieser großen Belastung und mit dieser Konfliktlage umgehen. Hier ist ein schneller Prozess weder möglich noch sinnvoll. Es ist notwendig, dass eine Frau in dieser Situation nachdenken kann und dass sie die Zeit und die Möglichkeit hat, Beratung zu finden. Das ist das Anliegen, das wir, Abgeordnete der FDP-Fraktion, mit unserem Gesetzentwurf verfolgen.
Wir wollen, dass eine Frau, die nicht in der Situation einer Abtreibung ist, sondern vor einer Geburt steht - nichts anderes ist eine sogenannte Spätabtreibung -, weiß, worüber sie entscheidet, wie sie die weitere Entwicklung verkraften kann, wie sie Abschied nehmen kann, wie sie mit der Möglichkeit, dieses Kind zu bekommen, umgehen kann, wie sie vielleicht auch damit umgehen kann, ein Kind, das nicht lebensfähig sein wird, auszutragen und von ihm Abschied zu nehmen.
Bei dieser Frage geht es auch um eine Problematik, die vielleicht noch zu wenig bekannt ist: Wie geht es weiter, nachdem ein behindertes Kind, das lebensfähig ist, geboren wurde? Ist es für die Mutter vielleicht möglich, es nach der Geburt abzugeben? Ich weiß, dass es Pflegeeltern gibt, die schwerbehinderte Kinder aufnehmen. Sie stehen vor der Tatsache, dass sie eine geringere Vergütung bekommen als Pflegeeltern, die ein - in Anführungszeichen - ?nur? psychisch behindertes Kind zur Pflege haben. Wir müssen uns fragen: Wie soll mit behinderten Kindern, über die in einer Konfliktlage entschieden worden ist, umgegangen werden?
Wir brauchen eine gute psychosoziale Beratung. Ich glaube, es ist auch für Ärzte durchaus eine Entlastung, zu wissen, dass dann, wenn sie eine medizinische Indikation stellen, noch eine zusätzliche Beratung angeboten werden kann. Nichts anderes wollen die Abgeordneten der FDP, die diesen Gesetzentwurf vorlegen.
Wir werden eine Anhörung zu der sehr grundsätzlichen Frage durchführen, wie wir mit den verschiedenen Vorschlägen umgehen, und verschiedene Fachleute anhören. Ich hoffe, dass wir zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen werden, sowohl im Interesse der Frauen, der Kinder und der Ärzte als auch im Interesse einer humanen Gesellschaft.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Knoche.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Wir sprechen über eine Konfliktsituation in einer weit fortgeschrittenen Schwangerschaft. Was meine Vorrednerinnen deutlich zum Ausdruck gebracht haben, ist, dass sich die Frauen, um die es hier geht, bereits für dieses Kind entschieden haben und ein Leben mit dem Kind erwarten, das ihnen Glück, Zuversicht und Lebensfrohheit verspricht.
Die Tatsache, dass sie eine Diagnose erhalten haben, die beinhaltet, dass das Kind mit Behinderungen - vielleicht mit beträchtlichen und nicht mit dem Leben zu vereinbarenden Behinderungen - geboren werden soll, kann sie in tiefe Konflikte stürzen; das kann jeder Mensch nachvollziehen. Ich befasse mich schon sehr lange mit medizinischen, frauenrechtlichen und ethischen Fragen, und ich bin wirklich der Überzeugung, dass es der falsche Weg ist, die Rechtsposition der Frauen in einem späten Schwangerschaftskonflikt noch mehr einschränken zu wollen.
Die Beratungspflicht und eine weitere Bedenkzeit sind - das ist objektiv - ein juristisches Zwangsinstrument, durch das kein Problem, das die schwangere Frau hat, gelöst werden kann. Im Gegenteil: Dadurch wird ein Problem individualisiert, das aber in Wirklichkeit ein Problem aufgrund eines strukturell falschen Familienidylls und eines falschen Behindertenbildes ist. Hier möchte ich die Ausführungen von Frau Schmidt ausdrücklich unterstützen.
Im tatsächlichen Leben haftet die Frau für die Gesundheit und das Wohl des Kindes. Ihr werden die ganze Last und die Lebensleistung auferlegt, die durch das Leben mit einem Kind abverlangt werden. Wir haben keine frauen-, familien- und behindertenfreundliche Gesellschaft. Durch weitere Restriktionen kann man es überhaupt nicht leisten, dies aufzulösen. Das ist ein falsches Herangehen.
Es gibt den § 218 StGB in seiner sogenannten reformierten Form. Konnte dadurch aber wirklich dazu beigetragen werden, dass das allgemeine Menschenbild behindertenfreundlich geworden ist und dass von einem gewissen Nützlichkeitsbild abgegangen worden ist? Ich kann diese Beobachtung nicht machen. Die Abschaffung der embryopathischen Indikation hat dazu geführt, dass die medizinische Indikation sozusagen stellvertretend für sie in Kraft tritt.
Darüber hinaus bringt diese medizinische Indikation die Frau aber eben gerade nicht in die Position, dass sie nach bzw. mit Beratung eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen darf, sondern Tatsache ist, dass der Arzt alleine entscheidet, ob die Frau seelisch und körperlich in der Lage ist, diese Schwangerschaft fortzuführen oder nicht. Er kann sich - das beinhaltet jede medizinische Indikation - auch dagegen aussprechen. Ich kann nicht sehen, dass der Arzt besser darüber Bescheid wissen und entscheiden kann, was das Leben einer Frau mit einem Kind mit Behinderungen mit sich bringt, als die Frau selbst.
Die medizinische Indikation hat uns in dem Problembereich der Spätabtreibung keinen Fortschritt gebracht, sondern die Rechtsposition der Frauen wurde eingeschränkt. Das widerspricht meinem Verständnis vom Menschenrecht der Frauen in der Schwangerschaft und bei Fortführung der Schwangerschaft.
Es ist unverkennbar, dass die Diagnose über den Fötus ihr gesamtes Leben vor große und unlösbar erscheinende Probleme stellen kann. Was ich aber nicht unterstreichen kann, ist, den Gesundheitszustand des Fötus letztlich zum Krankheitsbild der Frau zu erklären. Das ist ein Problem, das wir anerkennen müssen und das durch die Reform des § 218 StGB entstanden ist.
Sehr unterstreichen möchte ich - das zeigt auch Lebenserfahrung -, dass es viel Glück und Zufriedenheit durch das Leben mit einem Kind geben kann, das anders ist und eine andere Art der Zuwendung und Fürsorge braucht als andere. Wir sollten alles daransetzen, das Bild zu vermitteln, dass Leben nicht normierbar ist, sondern anders und trotzdem erfüllt und glücklich sein kann - nicht nur für die Eltern, sondern auch für das Kind selbst.
Ich bin davon überzeugt, dass das eine Aufgabe ist, die mit den Anträgen, die hier vorliegen und mit denen weitere Restriktionen geschaffen werden, auf gar keinen Fall erfüllt werden kann.
Stützen wir Frauen! Verändern wir das Bild über das Leben von Behinderten! Realisieren wir, dass ein realistisches Bild über Familienglück besser ist als Kleinfamilien- und Reihenhausidylle wie aus einer Werbebroschüre. Sagen wir, wie das Leben ist und dass es ein Glück sein kann, mit einem Kind mit Behinderung zu leben.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat die Kollegin Ilse Falk.
Ilse Falk (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts dieser schwierigen Diskussion um alles, was sich hinter dem Begriff Spätabtreibung oder Spätabbrüche verbirgt, träume ich in der Tat manchmal von der guten alten Zeit und der Gnade des Nichtwissens. Als ich schwanger war - zugegebenermaßen ist das schon eine ganze Weile her -, gab es noch keine Ultraschalluntersuchungen und keine Pränataldiagnostik. Ich wusste weder, ob es ein Mädchen oder ein Junge würde, noch hatte uns irgendein Arzt vorher gesagt, dass das erste Kind zwei Kinder sein würden. Ich war einfach ?guter Hoffnung? - eigentlich ein wunderschöner altmodischer Ausdruck - und hatte neun Monate Zeit, Mutter zu werden, ohne dass mich Gedanken gequält hätten, dass das Kind vielleicht nicht vollkommen sein könnte.
Heute sind werdende Mütter und Väter mit Segen und Fluch moderner Diagnosemöglichkeiten konfrontiert. Einerseits kann ihnen mithilfe der Pränataldiagnostik Sicherheit gegeben werden, dass wohl alles in Ordnung ist. Andererseits kann sich aber auch ein Abgrund auftun, wenn die Untersuchungen ergeben, dass etwas mit dem Kind nicht stimmt. Hier kann sich die frühzeitige Diagnostik in Verbindung mit moderner Medizin dann als Segen erweisen, wenn solche Befunde eine bereits vorgeburtliche Behandlung ermöglichen. Was aber ist, wenn sich der Verdacht auf eine geistige oder körperliche Behinderung des Kindes bestätigt, kein medizinischer Eingriff helfen kann und die Schwangere und ihr Partner vor der Frage stehen: Bin ich, sind wir stark genug, dieses Kind willkommen zu heißen?
Eine weitere Frage, die sich aus den Möglichkeiten der Gendiagnostik ergibt, müssen wir unbedingt noch im Zusammenhang mit dem Gendiagnostikgesetz klären: Wollen wir wirklich, dass die Disposition für eine spätmanifestierende Krankheit bereits vorgeburtlich ermittelt wird,
wohl wissend, dass unweigerlich ein weiterer Abwägungsprozess darüber eröffnet würde, ob ein Kind eine Lebenschance bekommt, wenn bei ihm im Erwachsenenalter eine schwere Krankheit ausbrechen könnte?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich die Zeit weder zurückdrehen will noch kann, müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir verantwortungsvoll mit Wissen umgehen, Wissen, das den Blick auf ein zugedachtes Schicksal zulässt und damit zugleich die Möglichkeit eröffnet, es noch zu beeinflussen - das hat es so noch nie gegeben.
Angesichts dieses ungeheuren Konflikts, in den werdende Eltern gestürzt werden können, hält der Gesetzgeber eine vitale Bedrohung des Lebens der Mutter für realistisch und erkennt die vom Arzt festgestellte medizinische Indikation als Rechtfertigung für einen Schwangerschaftsabbruch nach der 12. bzw. sogar nach der 22. Woche an, wenn also das Kind bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre. Es geht also für die werdende Mutter, die werdenden Eltern nicht nur um eine Entscheidung über Leben und Tod, sondern auch um eine Entscheidung, die, egal wie sie getroffen wird, ihr zukünftiges Leben begleiten wird, zumal es sich im Unterschied zu einer Abtreibung vor der 12. Woche in aller Regel um ein Wunschkind handelt, das voller Freude erwartet wird.
Wie also können Eltern in dieser schwierigen Konfliktsituation so unterstützt werden, dass sie eine gute und verantwortungsvolle Entscheidung treffen können, die auch wirklich ein Leben lang trägt? Um Antworten auf diese Fragen ringen wir seit vielen Monaten, um nicht zu sagen Jahren. Ich denke, es ist wichtig und gut, dass die drei vorliegenden Gesetzentwürfe in ihrer Zielsetzung zum gleichen Ergebnis kommen: Frauen und ihren Partnern soll in einer psychischen Ausnahmesituation wirkungsvoller als bisher Beratung und Hilfe angeboten werden. Die Unterzeichner dieser Entwürfe sind sich einig, dass eine Gesetzesänderung dazu beitragen kann. Über den Weg hin zu diesem gemeinsamen Ziel diskutieren wir zwar noch, aber ich bin zuversichtlich, dass wir ihn finden werden.
Entscheidend für mich ist, dass die Schwangeren und ihre Partner in einer solchen existenziellen Konfliktsituation die Chance zum ausführlichen Gespräch mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin bekommen und Gelegenheit haben, Fragen zu stellen und Antworten zu finden. Das gilt sowohl in medizinischer als auch in psychosozialer Hinsicht. Das kann Gespräche mit Fachärzten, aber auch mit Beraterinnen in psychosozialen Beratungsstellen oder erfahrenen Eltern bedeuten.
Dazu bedarf es der Aufklärung über die vielseitigen Angebote an Beratung und konkreter Hilfe, die viel zu oft nicht bekannt sind. Hierzu soll nach unserer Meinung der Arzt oder die Ärztin, die die Diagnose stellen, verpflichtet und dafür auch mit umfassenden Materialien ausgestattet werden. Die Schwangere kann das Angebot annehmen, muss aber nicht.
Außerdem bedarf es einiger Zeit, um emotional und intellektuell zu erfassen, dass das ungeborene Wunschkind möglicherweise behindert oder schwer krank sein wird. Daher ist uns die Bedenkzeit von mindestens drei Tagen nach der ärztlichen Beratung und vor der schriftlichen Feststellung der Indikation so wichtig.
Ein weiterer Punkt, der schon verschiedentlich angesprochen worden ist, ist auch mir wichtig. Ob sich Eltern ein Leben mit einem behinderten Kind zutrauen, hängt ganz entscheidend auch von der Einstellung der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen ab. Ich denke, dabei haben wir in allen gesellschaftlichen Bereichen noch Nachholbedarf, damit volle Teilhabe möglich wird. Wir müssen ein Signal aussenden, dass auch oder gerade das Leben mit Kindern mit Behinderungen glücklich und erfüllt ist. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, das pflichtgemäß zu bekräftigen, sondern müssen dazu bereit sein, ganz konkret die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern.
Wenn es uns gelingt - was ich hoffe -, gemeinsam Verbesserungen zur Unterstützung werdender Eltern in schwierigster Konfliktsituation auf den Weg zu bringen, dann sollten wir umso mehr ihre gut bedachte Entscheidung akzeptieren, auch wenn sie sich am Ende gegen das Kind richtet.
Wie gesagt, ich selber bin dankbar, dass ich niemals vor einer solchen Situation gestanden habe, und bin mir mitnichten sicher, ob wir damals stark und lebensmutig genug gewesen wären, uns auf ein Leben mit einem behinderten Kind einzulassen. Ich bewundere alle, die das gegen eigene Zweifel und gegen Vorurteile anderer tun, und danke ihnen, dass sie damit unsere Gesellschaft ein Stück menschlicher machen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Karin Evers-Meyer.
Karin Evers-Meyer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Behindertenbeauftragte begrüße ich ausdrücklich die heutige Debatte über die sogenannten Spätabtreibungen. Jede Abtreibung - ob mit oder ohne diagnostizierte Behinderung - ist eine gesellschaftliche und persönliche Tragödie. Ich kenne keine Mutter, die eine solche Entscheidung leichtfertig trifft. Es ist eine sehr persönliche Entscheidung, die bei den Eltern Spuren hinterlässt. Es wäre nicht redlich, etwas anderes zu behaupten.
Die Zahl der Abtreibungen, auch die wegen medizinischer Indikation, sinkt seit Jahren. Werdende Eltern und werdende Kinder haben ein Recht darauf, geschützt zu werden. Deswegen gibt es diesen gesetzlichen Schutz. Ein Arzt, der eine Abtreibung wegen der Behinderung des Fötus vornimmt, macht sich strafbar. Die Rechtslage könnte nicht eindeutiger sein.
Neben Schutz brauchen Eltern und Kinder aber auch Beratung und Unterstützung. Die Ärzte haben auch die Pflicht, zu beraten und auf unabhängige Beratungsstellen hinzuweisen. Wer das nicht tut, macht sich strafbar. Verantwortungsvolle Ärzte kommen dieser Pflicht nach, weshalb sich hierbei aus meiner Sicht nicht die Frage nach der Frist zwischen Diagnose und Abbruch stellt. In der Regel vergehen mehrere Tage, zumal zwingend eine Zweitdiagnose durch einen zweiten Arzt erforderlich ist.
Das Problem sehe ich eher bei denjenigen, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Daher gibt es für mich nicht in erster Linie einen gesetzlichen Handlungsbedarf, sondern eher einen faktischen. Die bestehende Beratungspflicht muss ernster genommen werden.
Sie muss früher, besser und umfassender sein und bereits vor der Diagnostik stattfinden. Es gibt nämlich auch ein Recht auf Nichtdiagnose; das ist hier schon erwähnt worden.
Behinderungen schließen ein erfülltes Leben nicht aus. Das müssen Frauen wissen, und sie müssen die Hilfen kennen, die Medizin und Gesellschaft für dieses Ziel bereithalten. Diese Hilfen wollen wir ausbauen. Mir ist aber auch wichtig, dass wir an diesem Punkt der Debatte ehrlich bleiben: Wenn Eltern trotz Beratung und Unterstützung sagen, das könnten sie psychisch und physisch nicht, weil sie dazu die Kraft nicht hätten, dann dürfen diese Eltern nicht an den Pranger gestellt werden.
Dies halte ich für ebenso unerträglich wie die Fälle, in denen sich Familien geradezu dafür rechtfertigen müssen, wenn sie sich für ein behindertes Kind entschieden haben.
Ich bin der Ansicht, dass diejenigen, die wie ich aus eigener Erfahrung wissen, wie erfüllt ein Leben mit einem behinderten Kind sein kann, anderen Eltern Mut machen sollten. Dies funktioniert nicht, wenn man jemanden zwingt, gesellschaftlich bloßstellt oder sich aufschwingt, besser als andere sein zu wollen. Deswegen stehen für mich eine konsequente Umsetzung der bestehenden Beratungspflichten und eine Verbesserung der Inhalte dieser Beratungen absolut im Vordergrund.
Dazu wollen wir Änderungen im Gendiagnostikgesetz und in den Mutterschaftsrichtlinien vornehmen, die für die Ärzte verbindlich sind.
Was darüber hinaus die Qualität des Antrags der Kollegin Humme und anderer ausmacht, ist die Tatsache, dass er auch Antworten auf die Frage nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen liefert. Dies war mir besonders wichtig; denn wenn wir die Eltern erreichen wollen, die sich heute nicht vorstellen können, ein behindertes Kind großzuziehen, dann müssen wir die Rahmenbedingungen deutlich verbessern.
Behindert zu sein, bedeutet in Deutschland nach meiner Erfahrung als Behindertenbeauftragte immer noch einen mühsamen Kampf um Teilhabe sowie darum, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Dies beginnt mit der mangelnden Frühförderung und der Suche nach einem inklusiven Kindergarten. Es geht weiter mit behinderten Kindern, denen ein Platz in einer Regelschule verwehrt wird, wie es aktuell wieder in Baden-Württemberg der Fall ist, und reicht bis hin zu Diskriminierung in Alltag und Beruf. Mir liegen Berge von Eingaben vor. Die endlose Auseinandersetzung mit Behörden, Krankenkassen und Sozialhilfeträgern ist die Realität, und nicht zuletzt daran gehen die Familien kaputt. Übrigens gehen manche davon aus, dass rund 80 Prozent der Ehen mit behinderten Kindern geschieden werden.
Ich wünsche mir, dass wir diese sozialpolitischen Tatsachen mit der gleichen Energie und vielleicht auch mit der gleichen Teilnehmerzahl wie das Thema Spätabtreibung diskutieren.
Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, tun wir nach meiner Erfahrung eben auch nicht.
Der Antrag, für den ich mich entschieden habe, liefert eine Reihe sehr konkreter Antworten auf die sozialen Probleme von Menschen mit Behinderung. Ich hebe hier noch einmal die Frühförderung hervor, die mir ganz besonders am Herzen liegt. Nach der Geburt muss gleich die Frühförderung beginnen, was aber in diesem Land nicht funktioniert. Dazu führe ich viele Veranstaltungen gemeinsam mit meiner Kollegin Helga Kühn-Mengel, der Patientenbeauftragten, durch.
Ich hebe auch noch einmal den Anspruch auf Elternassistenz für behinderte Eltern hervor, den ich ebenfalls seit langem fordere und daher sehr begrüße.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Eltern Mut machen, sich für ihr Kind zu entscheiden. Deswegen will ich keine neuen Pflichten und keine neuen Fristen. Ich will nicht andere kritisieren oder anprangern, sondern auf die Eltern zugehen und sie fragen, wie wir ihnen in ihrer ganz persönlichen Situation während der Schwangerschaft, aber auch danach helfen können. Wir sollten in dieser Diskussion die Größe und die Kraft aufbringen, den Standpunkt des jeweils anderen zu akzeptieren. Dies wünsche ich mir zu Weihnachten gerade von Ihnen, lieber Herr Kollege Hüppe.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Marlies Volkmer.
Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer entscheidet, ob eine Frau körperlich und seelisch in der Lage ist, ein behindertes Kind auszutragen, anschließend mit ihm zu leben und für dieses zu sorgen? Das entscheidet in letzter Konsequenz die betroffene Frau. Das ist eine sehr schwierige Entscheidung, weil im Vorhinein eine Entscheidung für eine Situation getroffen werden muss, die man nicht beurteilen kann. Angesichts dessen darf es nicht sein, dass dann, wenn bei einer vorgeburtlichen Untersuchung eine Behinderung des Kindes festgestellt wird, quasi ein Automatismus in Kraft tritt, dem sich die Schwangere kaum entziehen kann.
Aus diesem Grund ist eine umfassende Information und Beratung der Schwangeren zwingend erforderlich. Ich gehöre zu denjenigen, die das gesetzlich regeln wollen. Ich unterstütze den Gesetzentwurf, den Kerstin Griese initiiert hat.
Dem Arzt oder der Ärztin obliegt die umfassende medizinische Beratung, die Vermittlung an eine psychosoziale Beratungsstelle und, wo immer das möglich ist, auch die Vermittlung an eine Selbsthilfegruppe; denn die betroffene Frau und idealerweise auch deren Partner sollen die Möglichkeit haben, sich zu informieren, wie ihr Leben durch eine Behinderung des Kindes verändert wird, welche Schwierigkeiten und Probleme, aber auch welche Hilfen es gibt. All das kostet Zeit. Aus diesem Grunde plädiere ich für die Pflicht zu einer dreitägigen Beratungsfrist. Sicherlich nehmen viele Frauen - das wurde schon gesagt - eine viel längere Überlegungszeit in Anspruch. Wichtig ist mir, festzustellen, dass die Beratungspflicht für den Arzt besteht. Beratung ist - das legt schon der Wortsinn nahe - ein Angebot. Dieses kann sicherlich abgelehnt werden, wird aber in der Regel angenommen, weil eine solche Beratung für die Frau, die sich in einer extremen Situation befindet, eine Entlastung darstellen kann und weil ohne Information und ohne Beratung eine selbstbestimmte Entscheidung gar nicht möglich ist.
Es ist richtig, dass sich die derzeit häufig unbefriedigende Praxis nicht allein mit einer gesetzlichen Regelung der Beratung verändern wird. Der Gesetzgeber sollte aber alles in seiner Macht Stehende tun, um die Situation für alle Beteiligten etwas erträglicher zu machen, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Fischbach.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über dieses Thema debattieren - ich sage: endlich; denn seit meinem Einzug in den Deutschen Bundestag vor nunmehr über zehn Jahren wollen wir über dieses Thema debattieren; deswegen bin ich froh und dankbar, dass wir heute die erste Chance haben, über Gesetzentwürfe und Anträge zu diskutieren -, dann wollen wir dem Problem der späten Schwangerschaftsabbrüche begegnen. Ich hoffe, dass wir gemeinsam das Ziel verfolgen, dem uneingeschränkten Lebensrecht ungeborener Kinder hinreichend gerecht zu werden; denn der Schutz des menschlichen Lebens, unabhängig von seinem Stadium und seiner individuellen Verfasstheit, ist die oberste Pflicht unseres Staates.
Wir wollen die Situation von betroffenen Eltern verbessern. Wir sprechen bei den Spätabtreibungen von schwangeren Frauen und ihren Partnern, die sich aufgrund eines auffälligen Befundes in der vorgeburtlichen Untersuchung plötzlich in einer existenziellen Krise befinden. Wir alle müssen uns vor Augen führen, dass wir von Eltern sprechen, die an sich gar keine Abtreibung in Erwägung gezogen haben, sondern die durch eine Pränataldiagnostik unerwartet in einen für sie unlösbaren Konflikt geraten sind, zutiefst verzweifelt sind und unter einem emotionalen Schock stehen. Diese beiden zentralen Bereiche, nämlich der Lebensschutz und die Nothilfe für betroffene Eltern - das sage ich gleich zu Beginn -, lassen sich nicht erreichen - das sage ich vorrangig an die Kollegin Humme und Unterstützer und Unterstützerinnen gerichtet -, ohne dass wir eine gesetzliche Änderung einfordern. Es reicht nicht, wenn Sie, Frau Humme, nur untergesetzliche Änderungen in den Mutterschaftsrichtlinien oder Eintragungen in den Mutterpass fordern. Das kann ein zusätzliches Angebot sein.
Das wird aber den hohen Gütern, über die wir hier zu entscheiden haben, in keiner Weise gerecht.
Ich möchte ein Weiteres zu Beginn betonen. Der Lebensschutz für das ungeborene Kind, und zwar unabhängig davon, ob es behindert ist oder nicht, und das Wohl und der Wille der Eltern dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, vielmehr müssen wir beide im Blick haben und die Entscheidung so treffen, dass wir beiden Komponenten gerecht werden. Wir wissen, dass Frauen und Paare es sich keineswegs leicht machen und leichtfertig, wie Sie sagten, ein Kind abtreiben, noch dazu zu einem so späten Zeitpunkt. Wir wissen, dass dann schon Bewegungen des Kindes im Mutterleib spürbar sind; die Eltern haben sich vielleicht schon Gedanken über den Namen des Kindes gemacht und ihre gemeinsame Zukunft geplant. Wie oft berichten Frauen im Nachhinein, dass sie nur schwer über den Abbruch hinwegkommen oder dass sie die Schuldgefühle ein ganzes Leben lang begleiten. Ich wünsche mir, dass wir in der angestrebten Anhörung dazu auch einmal Betroffene zu Wort bitten. Wir als Politiker, die in der Verantwortung stehen, die Rahmenbedingungen zu verbessern, können nicht nur die Meinung der ärztlichen Experten oder Humangenetiker anhören, sondern für mich sind es vor allem die Frauen, die berichten können, was es heißt, vor einer Entscheidung zu einer Spätabtreibung zu stehen. Uns geht es darum, dem zu begegnen, was die betroffenen Frauen in der Konfliktsituation wollen und brauchen. Wichtig ist dabei, auch einmal mit den Hebammen zu sprechen, die die Eltern, die Frauen begleiten - leider fast immer zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung schon getroffen worden ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch diese Berichte hören und nicht nur die Sicht der Ärzte.
Es geht nicht darum - das möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich unterstreichen -, Frauen oder Paare zu verurteilen, die für sich in der scheinbar ausweglosen Situation keine andere Alternative sehen, als eine Schwangerschaft, über die sie sich zu Beginn gefreut haben, abzubrechen. Es geht uns umgekehrt genau darum, diese Eltern zu unterstützen, aber es geht auch darum, den verunsicherten Eltern Mut zum Kind zu machen. Der späte Abbruch einer Schwangerschaft ist eben nicht die einzige Alternative nach einem positiven Befund in der pränatalen Diagnostik, sondern er ist nur dann als Ausnahme zugestanden, wenn die schwangere Frau nicht anders kann, weil die physische und psychische Belastung für sie zu hoch ist. Das bedeutet die medizinische Indikation. Was nicht sein darf, ist ein Automatismus, nach dem eine Diagnose über eine Behinderung eines Kindes nahezu zwangsläufig in eine Abtreibung mündet.
Unsere Gesellschaft muss Verantwortung übernehmen für Mütter und Väter, die einen positiven Befund in der pränatalen Diagnostik erhalten. Wir müssen erste Hilfestellungen anbieten. Wir müssen ihnen - das ist Inhalt unseres Gruppenantrags - das Angebot einer umfassenden Beratung nach der Pränataldiagnostik mitgeben. Es ist wichtig, die Betroffenen über alle Handlungsmöglichkeiten, Hilfsangebote und Unterstützungen zu informieren und gemeinsam mit ihnen nach möglichen Wegen zur Entscheidung zu suchen. Uns ist dabei das Recht auf Nichtwissen genauso wichtig. Deshalb ist es wichtig, dass das im neuen Gendiagnostikgesetz festgeschrieben wird.
Wir dürfen nicht zulassen, dass Eltern, dass Frauen Schwangerschaften abbrechen, weil sie Angst vor einem Leben mit einem Kind mit einer Behinderung haben, weil sie Angst haben, von unserer Gesellschaft alleingelassen zu werden, wenn sie sich bewusst für dieses Kind entscheiden, weil sie Angst haben, dass ein Kind mit Behinderungen in unserer Gesellschaft nicht erwünscht ist. Wir brauchen Menschlichkeit und Solidarität in unserer Gesellschaft.
Frau Humme und Frau Schewe-Gerigk, mit gegenseitigen Vorwürfen, die unhaltbar und unfair sind, kommen wir nicht weiter.
- Ich meine die Äußerungen von Ihnen beiden in Ihren Reden vorhin. Das war nicht fair.
Es ist wichtig, zu einer fairen Auseinandersetzung zu kommen und ein faires Gespräch zu führen. Ich glaube, wir anderen sind sehr nahe beieinander. Ich würde mir wünschen, dass wir endlich zu einem Ergebnis für die werdenden Eltern und vor allen Dingen für die Kinder kommen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Lambrecht.
Christine Lambrecht (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Fischbach, ich habe die heutige Debatte die ganze Zeit verfolgt. Trotz aller Gegensätzlichkeit der unterschiedlichen Vorlagen finde ich, dass sie von einer großen Sachlichkeit und gerade nicht davon geprägt ist, sich gegenseitig mit Vorwürfen zu überziehen. Ich denke, dabei sollten wir es belassen, und wir sollten uns wieder der Sache zuwenden.
Frau Göring-Eckardt, ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Sie uns aufgefordert haben, hier heute die Entscheidung zu treffen: Ja, Kinder mit Downsyndrom, wir wollen auch euch. Wir können diese Entscheidung hier heute leider nicht treffen: Es geht um ein anderes Thema.
Aber wir als Gesetzgeber können für die Akzeptanz eines behinderten Kindes in vielen anderen Bereichen sorgen, und das haben wir auch getan: Beispielsweise haben wir durch das Antidiskriminierungsgesetz klargestellt, dass Eltern, die mit einem behinderten Kind essen gehen wollen, vom Wirt nicht des Lokals verwiesen werden dürfen, weil andere Gäste sich gestört fühlen.
Außerdem konnten wir durch das Antidiskriminierungsgesetz regeln, dass die Genehmigung zum Bau eines Behindertenwohnheims nicht versagt werden darf, weil Anwohner sich durch behinderte Menschen gestört fühlen. Die Gesellschaft kann die grundsätzliche Akzeptanz eines Kindes mit Downsyndrom in vielen anderen Bereichen erlangen, aber nicht mit der hier zur Debatte stehenden Einführung einer Beratungspflicht.
Ich möchte mich ausdrücklich für den sogenannten Humme-Antrag aussprechen - er wird von einem Großteil der SPD unterstützt -, weil er in die richtige Richtung geht. Bei allem Verständnis für das, was Sie, insbesondere Sie, Herr Singhammer, mit Ihrem Gesetzentwurf erreichen wollen - er zielt darauf ab, dass die Anzahl der Spätabbrüche reduziert wird -, glaube ich nicht, dass Sie das mit der Einführung einer Pflicht zur psychosozialen Beratung erreichen.
Voraussetzung für eine solche Beratung könnte nur sein, dass die Entscheidung über einen solchen Abbruch allein im Belieben der jeweiligen Schwangeren liegt. Nur das könnte dazu führen, dass diese Schwangerschaft nicht abgebrochen wird. Das ist aber nicht so; denn der Arzt erstellt die medizinische Indikation. Nach Ihrem Gesetzentwurf könnte er zwar an eine Beratungsstelle verweisen, das hätte aber keinen Einfluss auf seine medizinische Indikation. Die medizinische Indikation ist nur möglich, solange eine Gefahr für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren besteht. Das ist seit 1995 Gesetz. Damals hat der Gesetzgeber bewusst die Gefahr für Leib und Leben der Schwangeren als Kriterium für den Ausnahmefall der Straffreiheit bei einem solchen Abbruch herangezogen.
Die alte und von Behindertenverbänden zu Recht kritisierte, als diskriminierend empfundene embryopathische Indikation wurde bereits 1995 gestrichen. Sie ließ als Grund für den Abbruch eine zu erwartende schwere Erkrankung oder Behinderung des Kindes gelten; das war bis dahin ausreichend. Das ist völlig zu Recht geändert worden. Es geht heute bei der medizinischen Indikation alleine um die Gesundheit der Schwangeren.
Jetzt soll eine weitere Beratungspflicht eingeführt werden. Da frage ich mich: Welchen Einfluss hat das auf die Entscheidung des Arztes? Der Arzt entscheidet aufgrund der Situation, die er vorfindet, und nicht aufgrund dessen, was die Schwangere, die in dieser unglaublich schwierigen Situation eine Entscheidung zu treffen hat, in einer weiteren Beratungsstelle gegebenenfalls erfahren würde. Deswegen hätte das keine Konsequenz für diese Möglichkeit der medizinischen Indikation.
Es ist auch kein Automatismus, der in dem Moment einsetzt, in dem ein entsprechender Befund erhoben wird. Selbstverständlich kann eine Frau, bei der die medizinische Indikation für einen Abbruch festgestellt wurde, sagen: Ich will weitere Beratung. - Ich gehe auch davon aus, dass alle Menschen, die sich in einer solchen Situation befinden und vor einer so weitreichenden, einschneidenden, für das ganze Leben entscheidenden Frage stehen, sich die entsprechende Unterstützung einholen und nicht einfach automatisch in den nächsten Raum des Krankenhauses gehen, um einen Spätabbruch vornehmen zu lassen. Abgesehen davon entspricht das auch wirklich nicht der Realität, was die Frage angeht, wie Ärzte mit dieser Situation umgehen.
Deswegen möchte ich an der Stelle noch einmal darum bitten, nicht zu unterstellen, dass Frauen, die einen Spätabbruch vornehmen lassen, die Entscheidung dafür aufgrund eines medizinischen Befundes automatisch treffen, sondern davon auszugehen, dass sie sehr wohl viele andere Aspekte in ihre Entscheidung einfließen lassen und dass Ärzte, die diese medizinische Indikation feststellen, dies nicht leichtfertig tun. Ich weiß, dass Rechtslage und Lebenswirklichkeit manchmal auseinanderfallen können, aber ich unterstelle allen Ärzten, dass sie in der von der Sache gebotenen Form handeln.
Deswegen brauchen wir keine weitere Hürde für Frauen, die sich in solch einer schwierigen Situation befinden. Wir brauchen Beratung. Wir brauchen diese Trias. Wir brauchen selbstverständlich auch Beratung darüber, was denn mit einer pränatalen Untersuchung auf die betroffene Frau zukommt. Das ist der richtige Weg. Deswegen unterstütze ich mit vielen anderen den sogenannten Humme-Antrag.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat die Kollegin Maria Eichhorn.
Maria Eichhorn (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1995 wurde die sogenannte embryopathische Indikation abgeschafft und bei der medizinischen Indikation aufgenommen. Vor allem die Behindertenverbände und die Kirchen haben uns gemahnt, mit der Diskriminierung von Behinderten durch die embryopathische Indikation endlich aufzuhören. Bei der Begründung zu der Neuformulierung der medizinischen Indikation haben wir deshalb klargestellt - ich zitiere -: ?daß eine Behinderung niemals zu einer Minderung des Lebensschutzes führen kann.?
Entgegen der gesetzgeberischen Erwartung aus dem Jahr 1995 hat sich jedoch gezeigt, dass Schwangerschaftsabbrüche allein wegen einer möglichen Behinderung eines Kindes erfolgen. Wir, die wir 1995 die Gesetzesänderung formuliert haben, haben auf die Fachleute vertraut. Diese hatten uns versichert, dass sich Abtreibungen nach Pränataldiagnostik auf eng begrenzbare Fälle beschränken würden.
Die Entwicklung ist jedoch völlig anders gelaufen. Bereits in den 90er-Jahren hatten Eltern einen Arzt verklagt, weil sie ein behindertes Kind bekamen. Das Gericht verurteilte den Arzt zu Schadensersatz. Er hätte nicht nur die Pflicht gehabt, so das Gericht, die entsprechenden Untersuchungen zu veranlassen, sondern auch die Pflicht, auf die Möglichkeit einer Abtreibung hinzuweisen. Das hatte zur Folge, dass mittlerweile etwa zwei Drittel der Schwangeren nach der zwölften Woche Pränataldiagnostik durchführen lassen und dass bei möglicher Behinderung zur Abtreibung geraten wird.
Die heute mehrmals getroffene Aussage, dass 80 Prozent aller spätabgetriebenen Kinder nicht lebensfähig seien, ist nirgendwo belegt.
Aber es gibt immer wieder lebende Beispiele dafür, dass trotz prognostizierter Behinderung ein gesundes Kind zur Welt gebracht wird.
Viele Schwangere meinen im Vertrauen auf den Arzt, alle Untersuchungsangebote wahrnehmen zu müssen. Es gibt jedoch auch das Recht auf Nichtwissen; denn im Zweifelsfall kommt es tatsächlich - das kann man nicht wegreden - zu dem Automatismus: Pränataldiagnostik, Befund einer möglichen Behinderung des Kindes, Schwangerschaftsabbruch.
Deswegen ist eine Beratung vor und nach der Pränataldiagnostik unerlässlich.
Aus Studien ist bekannt, dass viele Frauen das jetzt schon bestehende kostenlose Angebot einer psychosozialen Beratung im Rahmen einer medizinischen Indikation nicht kennen. Aber psychosoziale Beratung ist gerade in diesen Fällen dringend erforderlich und eine ganz große Hilfe für diese Schwangeren, für diese Eltern in großer Not, und deswegen muss sie besser verankert werden.
Studienbefunde zeigen, dass sich Frauen nach der Mitteilung über eine Erkrankung oder Behinderung eines ungeborenen Kindes häufig in einem Schockzustand befinden. Das ist klar. Wenn ich mit einem gesunden Kind rechne und eine solche Diagnose bekomme, dann weiß ich zunächst nicht, wie ich damit umgehen kann. Daher, Frau Lambrecht, ist genügend Zeit für psychosoziale Beratung und für einen Reflexionsprozess unbedingt erforderlich, und zwar für alle Beteiligten. Deswegen fordern die Ärzte schon seit längerem auch bei der medizinischen Indikation eine Bedenkzeit von drei Tagen. Ich denke, es ist richtig, dass wir das einführen.
Die Schwangere kann sich in dieser Zeit mit der Frage auseinandersetzen, ob für sie ein Leben mit dem Kind vorstellbar ist. Aber auch der Vater des Kindes - das möchte ich betonen - muss in diese Entscheidung mit einbezogen werden. Mutter und Vater müssen gemeinsam eine verantwortbare Entscheidung treffen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bereits 2001 und 2004 hatte die CDU/CSU-Fraktion Anträge zur Spätabtreibung in den Bundestag eingebracht, leider ohne Erfolg. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Union ist ein Ergebnis der Diskussion der letzten Jahre. Unser Ziel war, zusammen mit dem Koalitionspartner einen Gesetzentwurf vorlegen zu können. Ich bedauere sehr, dass das nicht möglich war. Die heutige Debatte gibt mir jedoch die Hoffnung, dass sich hier im Bundestag doch eine Mehrheit für eine bessere Regelung von Spätabtreibungen findet; denn auch behinderte ungeborene Kinder bedürfen unseres Schutzes. Ebenso brauchen Schwangere, die in einer ganz besonders schwierigen Lebenssituation sind, unsere besondere Hilfe und Unterstützung.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carola Reimann.
Dr. Carola Reimann (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Debatte zu den Spätabtreibungen und mit den hier vorliegenden Anträgen und Gesetzentwürfen verfolgen wir alle gemeinsam ein Ziel - das will ich hier einmal unterstellen -, nämlich das Ziel, den Schwangeren und ihren Lebenspartnern, die eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen haben, in dieser schwierigen und belastenden Situation zu helfen.
Hilfe und Unterstützung für die betroffenen Frauen ohne unnötige oder gar bevormundende Vorschriften - das ist der zentrale Aspekt des vorliegenden Antrags von Christel Humme und anderen, die ihn unterzeichnet haben. Diesen Antrag möchte auch ich unterstützen.
Ich will an dieser Stelle noch einmal ganz konkret deutlich machen, wovon wir hier reden. Kein Außenstehender kann diesen leidvollen inneren Konflikt, den die Betroffenen aushalten müssen, wirklich fassen. Führt man sich die konkrete Situation des Spätabbruchs einmal vor Augen, lässt sich aber erahnen, in welch schwieriger Situation sich diese Paare befinden. Der Begriff ?Spätabbruch? entspricht auch nicht der Schwere und der Bedeutung des Eingriffs. Die Begriffe ?Spätabbruch? oder ?Spätabtreibung? verschleiern es sogar. Zu solch einem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft, also nach der 22. Woche, handelt es sich ja um weit entwickelte Föten. Dieser Begriff verschleiert, dass es sich hier um Geburten - deutlicher gesagt: um Totgeburten - handelt. Niemand kann allen Ernstes glauben, dass Frauen eine solche Entscheidung leichtfertig treffen,
zumal es sich in der Regel um gewünschte Schwangerschaften handelt.
Die Zahl der Abbrüche in dem genannten Zeitraum ist rückläufig. Dieses Faktum haben wir heute mehrfach vernommen. Wer an dieser Stelle den Frauen eine gesetzliche Bedenkzeit von drei Tagen auferlegen will, stellt letztlich doch wieder den Vorwurf der Leichtfertigkeit ihres Handelns in den Raum.
Ich will es hier auch noch einmal sagen: Abbrüche zu diesem Zeitpunkt sind nur erlaubt, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft die physische oder psychische Gesundheit der Schwangeren gefährdet. Auch in diesem Zusammenhang wirft für mich die Einführung einer Frist eine ganz erhebliche Problematik auf. In Konsequenz würde das nämlich bedeuten, es gäbe medizinische Indikationen unterschiedlicher Art. Es würde dann eine gesetzliche Unterscheidung geben zwischen Gesundheitsgefährdungen, die ohne Frist einen sofortigen Eingriff erfordern, und Gesundheitsgefährdungen, bei denen man erst nach drei Tagen, also einer gesetzlich verordneten Bedenkzeit, eingreifen darf. Diese Unterscheidung halte ich für problematisch. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das in der Praxis funktionieren soll.
Kolleginnen und Kollegen, dieser schwere Eingriff erfordert nicht die Einführung von Fristen, sondern eine intensive Begleitung und Beratung sowie vor allen Dingen viel Unterstützung. Hier setzt unser Antrag an: Wir wollen die bislang im Gendiagnostikgesetz nicht erfassten Untersuchungen im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinie in analoger Weise mit ärztlicher Beratungspflicht vor und nach der Diagnostik, mit der Hinweispflicht auf psychosoziale Beratung und mit einer Qualitätssicherung - auch das wurde schon angesprochen - der Beratung verbinden.
Wir wollen auch, dass das in dieser schwierigen Situation wirklich wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Patientin und Arzt oder Ärztin erhalten bleibt. Die im Singhammer-Entwurf geforderte Dokumentationspflicht läuft dem komplett zuwider und würde dieses Vertrauensverhältnis untergraben.
Auf eine kurze Formel gebracht: Der vorliegende Antrag von Christel Humme wird dieser außerordentlich schwierigen Konfliktsituation gerecht, weil er für mehr Beratung, für mehr Hilfe und für mehr Unterstützung sorgt und keine unnötigen zusätzlichen Hürden, die von den betroffenen Frauen und ihren Partnern nur als weitere Belastung in dieser Situation empfunden werden können, aufbaut.
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Ulla Schmidt.
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorgeburtliche Diagnose ?Ihr Kind wird wahrscheinlich behindert sein? bedeutet für Paare oder für Frauen eine soziale Herausforderung. Viele reagieren reflexartig zunächst einmal mit dem Satz: Nein, das kann ich nicht, das will ich nicht. Sie fragen sich: Bin ich dieser Herausforderung gewachsen? Schaffe ich es, das Mehr an Betreuung zu organisieren? Werden wir isoliert oder bleiben wir integriert? Hat mein Kind in dieser Gesellschaft Chancen? Hat es das Recht auf Teilhabe? - All das sind Dinge, die den Eltern behinderter Kinder - das erzählen diese ja auch - durch den Kopf gehen.
In einer solchen Situation brauchen die Betroffenen zwei Dinge: Sie brauchen Beratung, wo Hilfen zu erwarten sind, und sie brauchen Zeit. Das Festlegen von Zeiträumen hat nichts damit zu tun, dass irgendjemandem Leichtfertigkeit unterstellt wird. Vielmehr braucht man in einer derart schwierigen Situation Zeit, um zur Ruhe zu kommen, abzuwägen und nachzudenken, ehe man sich entscheiden kann.
Ich habe heute gut zugehört. Alle sagen: Wir brauchen mehr Beratung. Das brauchten wir aber nicht, wenn die derzeitigen Beratungsangebote in Ordnung wären.
Dann müsste man darüber nicht so diskutieren. Alle wollen, dass die Beratungsangebote ausgebaut werden. Für mich ist ganz selbstverständlich, dass neben der ärztlichen Beratung das Angebot an psychosozialer Beratung ausgebaut werden muss. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Notwendig ist eine gesetzliche Verpflichtung des Arztes, eine ärztliche Beratung der Frau anzubieten,
auf psychosoziale Beratungsangebote hinzuweisen und an Selbsthilfeorganisationen und Behindertenorganisationen zu vermitteln. Nur so kann deutlich gemacht werden, wie breit das Angebot ist.
Viele Eltern behinderter Kinder sagen, dass sie zunächst Angst gehabt hätten vor dem, was auf sie zukommt, weil sie nicht gewusst hätten, wie sie mit einem behinderten Kind leben können bzw. wie lebenswert das Leben mit einem behinderten Kind sein kann. Das zeigt, dass die Beratung nicht immer die nötige Hilfe gebracht hat. Viele Eltern sagen: Ich hätte mir mehr Beratung gewünscht; es hätte mir das Leben leichter gemacht, und ich hätte von Anfang an gewusst, auf welche Hilfen ich nach der Geburt des Kindes zurückgreifen kann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich urteile über keine Frau, kein Elternteil, keine Eltern, die sich in einer Konfliktsituation, auch nach der zwölften Schwangerschaftswoche, für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, weil sie meinen, dass die psychische und physische Gesundheit der Frau gefährdet ist, und in einem Abbruch die einzige Lösung sehen. Diese Entscheidung kann nur die Frau treffen. Aber es ist gut, wenn wir sie bei dieser Entscheidung nicht allein lassen.
Dazu gehört für mich, dass nur die Betroffenen entscheiden können, ob sie die Beratung in Anspruch nehmen wollen. Ich kann niemanden zur Beratung zwingen. Aber ich kann auch keine Diskriminierung darin sehen, wenn eine Beratung angeboten wird, zu der eine Frau auch Nein sagen kann.
Die heutige Debatte spiegelt das Spannungsverhältnis, das es bei jedem Schwangerschaftsabbruch gibt, wider. Wir werden nie eine zufriedenstellende Lösung finden können, weil immer gegensätzliche Interessen abgewogen werden müssen. Auch die vorliegenden Anträge spiegeln die Breite der Diskussion über diese Frage wider, wie sie in der Gesellschaft stattfindet. Ich bin allerdings dafür, dass wir dabei ehrlich miteinander umgehen. Es geht hier nicht um eine medizinische Indikation in dem Sinne, dass eine schnelle Entscheidung für das Leben der Mutter oder das Leben des Kindes getroffen werden und der Arzt dementsprechend schnell eingreifen muss.
Vielmehr reden wir über eine medizinische Indikation in dem Sinne, dass die psychische Gesundheit der Frau infolge der Diagnose, dass ihr Kind wahrscheinlich behindert zur Welt kommen wird, gefährdet ist. Über nichts anderes reden wir hier.
Deshalb handelt es sich um eine schwierige Entscheidung. Ich kann hier nur meine Gründe dafür nennen, warum ich den Antrag von Kerstin Griese unterstütze. In dieser schwierigen Situation, in der es um die Abwägung zweier Rechtsgüter geht - das Recht des Kindes, das außerhalb des Mutterleibs in den meisten Fällen überlebensfähig ist, ob behindert oder nicht behindert, und das Recht der Mutter auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor psychischen und physischen Gesundheitsrisiken -, ist für mich der Respekt vor den behinderten Menschen, der Respekt vor den Eltern, die sich für ein Leben mit einem behinderten Kind entschieden haben, aber auch der Respekt vor den Frauen, die sich dagegen entschieden haben, entscheidend. Dieser Respekt gebietet es, die Beratungsangebote auszubauen.
Da sind wir nicht weit auseinander; daran können wir gemeinsam arbeiten. Wir sollten gemeinsam - das kommt hier auch zum Ausdruck - dafür sorgen, dass der Paradigmenwechsel von der Fürsorge zur Teilhabe, zum selbstbestimmten Leben behinderter und nicht behinderter Kinder sich durchsetzt. Ich glaube, wir vergeben uns nichts, wenn wir dem Wunsch der Eltern behinderter Kinder und auch dem Wunsch von vielen Menschen, die sich anders entschieden haben, entgegenkommen, indem wir sagen: Jawohl, wir wollen, dass ein Beratungsangebot verpflichtend wird. Jawohl, wir wollen auch verankern, dass es dazwischen eine Zeit gibt, in der man nachdenken kann. Dann werden wir die getroffene Entscheidung respektieren.
Das ist für mich der entscheidende Grund dafür, weshalb ich für den Antrag von Kerstin Griese bin und weshalb ich glaube, dass der Bundestag gut daran tut, diese Argumente hier zu diskutieren.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender.
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Singhammer, Sie haben zur Begründung Ihres Antrages zwei Ziele genannt. Das eine Ziel - ich sage es in meinen Worten - ist eine Gesellschaft, in der Menschen mit Behinderungen selbstverständlich dazugehören. Sie haben Ihre Sorge geäußert, dass insbesondere Menschen mit Downsyndrom ausgegrenzt werden. Ich glaube, das Ziel und diese Sorge teilen wir alle, die wir hier sitzen.
An dieser Stelle muss ich Ihnen, Herr Singhammer - das sage ich in aller Ruhe -, etwas sagen. Ich komme aus Baden-Württemberg. Sie wissen, dass Baden-Württemberg eine CDU-geführte Landesregierung hat und der Kultusminister der CDU angehört. Wenn Sie in der Sorge um die Rechte von Kindern mit Behinderungen nach Baden-Württemberg kommen, dann werden Sie auf Eltern treffen, die Kinder mit Downsyndrom haben und die einen verzweifelten Kampf darum führen, dass diese Kinder an einer baden-württembergischen Regelschule am Unterricht teilhaben dürfen.
Ich kann Ihnen nur raten und Sie nachdrücklich bitten, Herr Singhammer, die Waldorfschule in Emmendingen zu besuchen. Die Waldorfschule in Emmendingen hat mehrere Jahre lang Kinder mit Behinderungen im Grundschulalter gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung unterrichtet. Nun ist die Grundschulzeit vorbei, und es geht um den weiterführenden Unterricht. Was macht die baden-württembergische Kultusbürokratie? Sie versucht, diese Schule zu zwingen, wegen dieser Kinder einen eigenen Sonderschulbereich einzurichten. Widrigenfalls wird sie dazu gezwungen, diese Kinder mit Behinderung vor die Tür zu setzen.
Herr Singhammer, ist das wirklich das, was wir uns unter einer Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gemeinsam vorstellen? Ich würde mir wünschen, dass die CDU - Baden-Württemberg ist nicht das einzige Land, in dem es solche Probleme gibt - darüber nachdenkt und ihre Politik ändert.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein, im Moment nicht.
Ich habe ein weiteres Anliegen. Da bin ich etwas optimistischer, weil in Ihrer Rede das Stichwort Gendiagnostikgesetz fiel, Herr Singhammer, und weil Sie, Frau Falk, das Problem vorhin kurz angesprochen haben. Es liegt ein Regierungsentwurf für ein Gendiagnostikgesetz vor. Es ist gut und richtig, dass darin festgeschrieben ist, dass vor genetischen Untersuchungen eine Beratung erfolgen muss. Heute ist es aber technisch möglich, einen Embryo auch auf erblich bedingte Krankheiten hin zu untersuchen, die erst im Erwachsenenalter ausbrechen werden. Der Gesetzentwurf in der vorgelegten Form lässt dies ausdrücklich zu.
Frau Falk, Sie haben Ihr Unbehagen darüber geäußert. Ich schließe aus dem Beifall vonseiten der CDU/CSU und daraus, dass Renate Schmidt gesagt hat, es müsse nicht jede vorgeburtliche Untersuchung gemacht werden, dass die Bereitschaft besteht, über den Gesetzentwurf noch einmal nachzudenken. Wenn etwa - leider ist es nicht Science-Fiction, weil dies in Nachbarländern schon gemacht wird - bei einem weiblichen Embryo festgestellt wird, dass ein 60-prozentiges Risiko besteht, als erwachsene Frau Brustkrebs zu bekommen, dann kann nach Ansicht der Rechtsexperten des zuständigen Ministeriums mitnichten ausgeschlossen werden, dass eine medizinische Indikation ausgestellt wird, es also zu einer Abtreibung kommt. Aber wir müssen uns natürlich auch fragen, wie ein Mädchen eigentlich aufwachsen soll, dessen Eltern von diesem Risiko wissen und dem ja wohl das Recht auf Nichtwissen genommen wird. Ich setze darauf, dass wir nach der Anhörung den Entwurf des Gendiagnostikgesetzes entsprechend ergänzen werden.
Weil meine Redezeit zu Ende geht, will ich zum Abschluss sagen: Ich finde es wichtig, dass wir uns für das Teilhaberecht von Menschen mit Behinderungen einsetzen. Ob Beratungspflichten, Dokumentationspflichten und gesetzliche Fristen eine Unterstützung sind für Frauen, die ganz spät in der Schwangerschaft einen sogenannten auffälligen Befund erhalten - dabei geht es, Herr Singhammer, in der Regel nicht um das Downsyndrom -, wage ich zu bezweifeln. So werden Sie Ihr zweites Ziel - Hilfe für die einzelne Frau - nicht erreichen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss der Debatte noch eine Position, die sich von dem bisher Gesagten in einem Punkt unterscheidet. Ich rede für eine noch kleine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen aus vier Fraktionen, die sich für eine wirklich verbindliche psychosoziale Beratung durch Beratungsstellen einsetzen. Ich bitte Sie herzlich, alle alten Grabenkämpfe und auch völlig unpassende Rechts-Links-Einordnungen bei diesem Thema beiseitezuschieben und sich einmal vorurteilsfrei folgender Konfliktsituation zu stellen: Nach dem Befund ?behindertes Kind? gibt es kein Problem, wenn die betroffene Frau oder das betroffene Paar auf einen verständnisvollen, einfühlsamen, verantwortungsbewussten Arzt oder eine Ärztin trifft, der oder die auch wirklich gut berät und die Betroffenen begleitet. Es kann aber auch anders kommen, wie mir das von mehreren berichtet wurde, zum Beispiel von einer jungen Frau, die mir geschrieben hat: Der Arzt zeigte mir das Ultraschallbild und sagte als Erstes: Sind Sie wirklich sicher, dass Sie das noch austragen wollen?
Ich habe in der eigenen Verwandtschaft den Fall erlebt, dass eine Mutter nach einer entsprechenden Diagnose gar nicht erst gefragt wurde, wie es ihr damit geht, sondern dass ihr von zwei Ärztinnen der Abbruch nahegelegt wurde. Sie hat sich trotz großer Zweifel, trotz großer Verunsicherung gegen einen Abbruch entschieden und ein kerngesundes Kind zur Welt gebracht. Ich weiß nicht, wie oft so etwas geschieht. Möglicherweise ist das ein krasser Einzelfall. Aber wir wissen aus Untersuchungen, dass sich viele Frauen, viele Paare schlecht beraten und alleingelassen fühlen.
Jetzt möchte ich auf eine Schwachstelle der drei Gesetzentwürfe hinweisen, die wir grundsätzlich sehr begrüßen. Was passiert in einem solchen Fall? Der Arzt, der zu einer pränatalen Untersuchung geraten und eine Vielzahl solcher Untersuchungen durchgeführt hat, würde in die Pflicht genommen, psychosozial zu beraten
oder auf entsprechende Beratungsstellen hinzuweisen. Er ist dafür aber gar nicht ausgebildet. Unsere Befürchtung ist, dass diese gesetzliche Pflicht formal abgetan werden kann, indem ein Arzt ähnlich wie vor einer Untersuchung, vor einer Operation sagt: Aufgrund neuer gesetzlicher Vorschriften bin ich verpflichtet, Sie auf dieses und jenes hinzuweisen, Ihnen eine Broschüre zu überreichen und Sie auf das Angebot von Beratungsstellen aufmerksam zu machen. Dieses Angebot müssen Sie nicht annehmen. Sie können eine Verzichtserklärung unterschreiben und quittieren, dass ich meine Pflicht erfüllt habe. - Das Ganze ist dann ein Akt von wenigen Sekunden.
Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als das, was bereits im ?normalen? Schwangerschaftskonfliktfall gilt: dass eine psychosoziale Beratung in Anspruch genommen werden muss, bevor dann am Schluss die Indikation erstellt wird.
Ist man in dieser Debatte ehrlich, so erkennt man: Es gibt de facto eine Entscheidungsfreiheit. Ich glaube, es ist auch gut so, dass man keine Frau gegen ihren Willen zwingt, ein behindertes Kind auszutragen. Wenn das aber so ist, dann müssen wir wirklich alles dafür tun, dass diese Frauen, diese Paare optimal begleitet werden und nicht nur eine Beratung durch den Gynäkologen erhalten, sondern auch Unterstützung seitens einer Beratungsstelle, durch Berater/Beraterinnen, die dafür auch wirklich ausgebildet sind.
Das ist die Zielrichtung unseres Anliegens. Ich möchte Sie herzlich bitten, im Rahmen der Anhörung auch diese Vorschläge vorurteilsfrei zu prüfen.
Danke schön.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/11106, 16/11342, 16/11347, 16/11330 und 16/11377 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 196. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 19. Dezember 2008,
auf der Website des Bundestages unter ?Aktuelles?, ?Plenarprotokolle?, ?Endgültige Fassungen? veröffentlicht.]