Rede des Vizepräsidenten Wolfgang Thierse zur Eröffnung der Robert-Blum-Ausstellung
Herr Professor Weber (Präsident Bundesarchiv),
Herr Professor Siemann (Historiker, LMU München),
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste,
es gibt kaum einen passenderen Ort, Robert Blum mit einer Ausstellung zu würdigen, als den Deutschen Bundestag. Denn Robert Blum ist ein Vorkämpfer und Wegbereiter unserer parlamentarischen Demokratie, mithin eine Symbolfigur der deutschen Freiheitsgeschichte.
Der vor 200 Jahren in Leipzig geborene Buchhändler und Publizist war ein begeisterter Vertreter organisierter Interessen, ein begnadeter homo politicus. Er konnte in seinen Reden - ob im Leipziger Schützenhaus vor 10.000 Menschen oder in der Frankfurter Paulskirche - überzeugen und mitreißen, seine Zuhörer für die Ideen der Freiheit und Gerechtigkeit gewinnen.
Als Wortführer der Linken und einer von vier Vizepräsidenten im Vorparlament und in der ersten Deutschen Nationalversammlung von 1848 formulierte Robert Blum als "Richtschnur" seines parlamentarischen Wirkens, (Zitat) "dass dieses Jahrhunderte lang zerrissene, zersplitterte und dadurch tief gesunkene Deutschland Eins werde; Eins auf der Grundlage der Freiheit". Er forderte die "Republik für den Gesamtstaat" und setzte sich dafür ein, parallele Verfassungsverhandlungen in Berlin, Wien und Frankfurt zu verhindern. Einzig die Nationalversammlung, so Robert Blum, beziehe ihre Legitimation direkt vom Volk.
Engagiert vertrat Blum die Einsicht, dass die Nationalstaatlichkeit Deutschlands ohne demokratische Kultur und Verfasstheit, ohne - wie wir heute sagen würden - europäische Einbindung keinen Sinn mache. Sein Wunsch war, dass sich (Zitat) "dereinst die Völker zu einer großen Familie verbinden, in welcher gegenseitige Feindseligkeiten und Kriege undenkbar sind". Heute klingt dies wie eine Selbstverständlichkeit, zu Blums Zeiten war es eine mutige politische Vision.
Wir wissen heute: Der Traum einer demokratisch legitimierten Republik war im Paulskirchenparlament nicht durchsetzbar, die konstitutionelle Monarchie bekam die Mehrheit. Robert Blum reiste im Oktober 1848 nach Wien, wo sich das Schicksal der Revolution zu entscheiden schien. Er wollte eine Solidaritätsbekundung seiner Fraktion überbringen, ließ sich aber von der Dynamik der Ereignisse mitreißen - und tat, was er bisher verweigert hatte, um seine politischen Ziele mit legitimen Mitteln durchzusetzen: Er kämpfte mit der Waffe in der Hand.
Der Kampf scheiterte. Robert Blum, der führende Repräsentant der Paulskirche, wurde in Wien standrechtlich erschossen - am 9. November 1848. Der 9. November ist ein historischer Kulminationspunkt, ein Datum, an dem sich die deutsche Tätergeschichte und Freiheitsgeschichte ablesen lässt. Robert Blum ist Teil ihres wechselvollen Verlaufs: Am 9. November 1918, also sechs Jahrzehnte nach Blums Ermordung, wurde in Berlin die Weimarer Republik ausgerufen, die unterging, weil es in Deutschland nicht genügend Demokraten gab, die sie gegen Rechts- und Linksextremisten verteidigten. Am 9. November 1938 entlud sich der Judenhass in der Reichspogromnacht. Am 9. November 1989 schließlich haben die DDR-Bürger die Mauer zu Fall gebracht.
Die friedliche Revolution in Ostdeutschland hat Wirklichkeit werden lassen, wofür Robert Blum 150 Jahre zuvor gekämpft hatte: für parlamentarische Demokratie, für die Einheit Deutschlands in Selbstbestimmung, in Freiheit und im Einklang mit unseren Nachbarn. Ich bin dankbar, dass die Ausstellung des Bundesarchivs uns Gelegenheit gibt, an diesen herausragenden linksliberalen Politiker und Parlamentarier zu erinnern. Wir haben das in der Vergangenheit viel zu selten getan, schlimmer noch: Robert Blum drohte langsam, aus unserem Gedächtnis zu verschwinden. Das wäre unverzeihlich, denn seine Reden über Frieden, Freiheit und Demokratie sind noch heute wichtige und durchaus lesenswerte Zeugnisse unserer eigenen politischen Geschichte.
Ich danke allen konzeptionell und inhaltlich Beteiligten für ihr Engagement für diese Ausstellung - ausdrücklich auch der Rastatter Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte! Ich wünsche mir, dass sich viele junge Menschen mit Robert Blums Biographie und mit seiner beispielhaften politischen Lebensleistung beschäftigen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!