217. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 23. April 2009
Beginn: 09.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Wie meistens am Donnerstagvormittag, gibt es einige Mitteilungen zu machen, bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten.
Zunächst gibt es einige Glückwünsche zu übermitteln. Der Kollege Ludwig Stiegler hat am 9. April seinen 65.°Geburtstag gefeiert.
- Ja, aber bedeutende Ereignisse verdienen trotz eines zeitlichen Abstandes eine angemessene Würdigung.
Ihre 60. Geburtstage begingen die Kollegin Anke Eymer am 12. April und der Kollege Frank Hofmann am 21. April. Im Namen des ganzen Hauses übermittle ich ihnen alle guten Wünsche für die nächsten Jahre.
Der Kollege Dr. Rainer Wend hat mit Wirkung zum 1. April auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich herzlich die uns bereits aus früheren Wahlperioden bekannte Kollegin Hildegard Wester.
Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!
Als Nachfolger des ausgeschiedenen Kollegen Dr. Rainer Wend im Gremium gemäß § 23 c Abs. 8 des Zollfahndungsdienstgesetzes schlägt die SPD-Fraktion den Kollegen Rolf Hempelmann vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Hempelmann gewählt.
Die CDU/CSU-Fraktion hat vorgeschlagen, die Kollegin Julia Klöckner als Nachfolgerin des ebenfalls ausgeschiedenen Kollegen Ralf Göbel zum neuen stellvertretenden Mitglied im Kuratorium der Stiftung ?Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland? zu wählen. Darf ich auch hierzu Ihr Einvernehmen feststellen? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Kollegin Klöckner in diese Funktion gewählt.
Die Kollegin Karin Binder hat ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt. Als Nachfolgerin schlägt die Fraktion Die Linke die Kollegin Sabine Zimmermann vor. Gibt es auch dazu Einvernehmen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist die Kollegin Sabine Zimmermann zur Schriftführerin gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:
Konsequenzen aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg zur militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide vom 27.03.2009 (Bombodrom)
(siehe 216. Sitzung)
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neue Chancen für die berufliche Bildung
- Drucksache 16/12665 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
(Ergänzung zu TOP 38)
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Frank Schäffler, Carl-Ludwig Thiele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Korrektur der Unternehmensteuerreform
- Drucksache 16/12525 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Geschmacksmustergesetzes
- Drucksache 16/12586 -
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Christel Humme, Irmingard Schewe-Gerigk, Elke Ferner und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines ? Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
- Drucksache 16/12664 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Erhöhung des Schonvermögens im Alter für Bezieher von Arbeitslosengeld II
- Drucksache 16/5457 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ermäßigte Mehrwertsteuersätze für Hotellerie und Gastronomie in Deutschland einführen
- Drucksache 16/12287 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Tourismus
f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die Evaluierung des Verbraucherinformationsgesetzes muss so schnell wie möglich durchgeführt werden
- Drucksache 16/12669 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern
- Drucksache 16/12670 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Andreas Scheuer, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, Klaas Hübner, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Mobilität zukunftsfähig machen - Elektromobilität fördern
- Drucksache 16/12693 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Nicole Maisch, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Manipulierte Strompreise - Verbraucherinteressen wahren
- Drucksache 16/12692 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Federführung strittig
j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Vergaberecht konsequent sozial gestalten - Gemeinnützige Unternehmen nicht benachteiligen
- Drucksache 16/12694 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
(Ergänzung zu TOP 39)
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und kostenrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/11385 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/12717 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Carl-Christian Dressel
Christoph Strässer
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Ne¨kovic
Jerzy Montag
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im patentanwaltlichen Berufsrecht
- Drucksache 16/12061 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/12718 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andrea Astrid Voßhoff
Christoph Strässer
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Wolfgang Ne¨kovic
Jerzy Montag
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Carl-Ludwig Thiele, Rainer Brüderle und weiterer Abgeordneter der Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder und weiterer Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln) und weiterer Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- zu dem Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksachen 16/12480, 16/12130, 16/12690 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Kaster
Dr. Dieter Wiefelspütz
Jörg van Essen
Volker Schneider (Saarbrücken)
Wolfgang Wieland
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Meinungsverschiedenheiten in der Bundesregierung zum Anbauverbot des gentechnisch veränderten Mais MON810
ZP 6 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Förderung von Biokraftstoffen
- Drucksachen 16/11131, 16/11641 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)
- Drucksache 16/12465 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz)
Marko Mühlstein
Michael Kauch
Hans-Kurt Hill
Hans-Josef Fell
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/12466 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte
Andreas Weigel
Ulrike Flach
Michael Leutert
Anna Lührmann
ZP 7 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Stufenbesteuerung und Quotenpflicht bei Biokraftstoffen zurücknehmen - Nachhaltigkeitskriterien umgehend einführen
- Drucksachen 16/5679, 16/12699 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Schindler
Dr. Axel Troost
ZP 8 Erste Beratung des von den Abgeordneten Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes
- Drucksache 16/12663 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes
- Drucksache 16/7615 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
- Drucksache 16/12714 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Grosse-Brömer
Dirk Manzewski
Mechthild Dyckmans
Wolfgang Ne¨kovic
Jerzy Montag
ZP 10 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG)
- Drucksachen 16/10532, 16/10582 -
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Birgitt Bender, Volker Beck (Köln), Markus Kurth, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz - GenDG)
- Drucksache 16/3233 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)
- Drucksache 16/12713 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Elke Hoff, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für einen Abzug der in Deutschland noch verbliebenen US-Nuklearwaffen
- Drucksache 16/12667 -
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Die NPT-Überprüfungskonferenz im Jahre 2010 zum Erfolg führen - Für ein klares Bekenntnis zu dem Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt
- Drucksache 16/12666 -
ZP 13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Konkrete Schritte zur nuklearen Abrüstung jetzt einleiten - Nichtverbreitungsvertrag stärken
- Drucksache 16/12685 -
ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Initiative für eine atomwaffenfreie Welt unterstützen - Atomwaffen aus Deutschland abziehen
- Drucksache 16/12686 -
ZP 15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Jens Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Klarheit beim Konjunkturpaket II - Bildungspolitische Handlungsspielräume für Länder und Kommunen einräumen
- Drucksache 16/12668 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
ZP 16 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung eines Sondervermögens ?Investitions- und Tilgungsfonds?
- Drucksache 16/12662 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96
GO
ZP 17 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen
- Drucksache 16/12219 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss)
- Drucksache 16/12711 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kristina Köhler (Wiesbaden)
Maik Reichel
Gisela Piltz
Jan Korte
Silke Stokar von Neuforn
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/12712 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Michael Luther
Bettina Hagedorn
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Roland Claus
Omid Nouripour
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 27 wird abgesetzt.
Aufgrund der Auf- und Absetzung von Tagesordnungspunkten gibt es Änderungen in der Reihenfolge. Heute wird der Tagesordnungspunkt 8 nach dem Tagesordnungspunkt 11 aufgerufen, 12 nach 13, 14 nach 17, 16 nach 19, 18 nach 21, 20 nach 23, 22 nach 25, 24 nach 28 sowie 26 nach 29.
Mich überrascht, dass niemand mitschreibt.
- Herr Kollege Westerwelle, das Angebot des Präsidiums, dass das, was man nicht sofort begreift oder mitbekommt, auf gezielte Nachfrage hin erläutert wird, gilt selbstverständlich für Koalition und Opposition in gleicher Weise.
Morgen wird der Tagesordnungspunkt 32 nach dem Tagesordnungspunkt 34 aufgerufen.
Schließlich mache ich auf eine Reihe von nachträglichen Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Datenschutzaudits und zur Änderung datenschutzrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/12011 -
überwiesen:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und
Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze
- Drucksache 16/12255 -
überwiesen:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Der in der 211. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 16/12279 -
überwiesen:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Der in der 212. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Innenausschuss (4. Ausschuss) und dem Sportausschuss (5. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts
- Drucksache 16/12275 -
überwiesen:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
Der in der 215. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Auswärtigen Ausschuss (3. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer, Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Thomas Oppermann, Joachim Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Max Stadler, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes
- Drucksache 16/12411 -
überwiesen:
Innenausschuss (f)
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen unbeschadet der sofortigen kompletten Wahrnehmung einverstanden? -
Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen ist es genau zehn Jahre her, seit der Bundestag seine Arbeit in Berlin aufgenommen hat. Ich darf vielleicht daran erinnern, dass es nach der leidenschaftlichen Debatte und der denkbar knappen Entscheidung über den Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin eine erstaunlich schnelle und breite Übereinstimmung gegeben hat, das historische Reichstagsgebäude als Sitz des gesetzgebenden Verfassungsorgans zu nehmen. Heute sind beide Entscheidungen nahezu unumstritten. Nicht alle Erwartungen von damals mögen sich erfüllt haben, aber fast alle damaligen Besorgnisse oder Befürchtungen sind längst ausgeräumt. Berlin, die deutsche Hauptstadt, hat sich als Sitz von Regierung und Parlament ebenso bewährt wie der Reichstag als Parlamentsgebäude.
Das ist nicht ganz so selbstverständlich, wie es uns heute erscheint. Deswegen möchte ich all denen danken, die den Umzug vorbereitet und durchgeführt haben, allen, die ihren besonderen Beitrag zum Gelingen geleistet haben. Das gilt für Bonner wie für Berliner, für Parlamentarier wie für Regierungsmitglieder und vor allen Dingen für die vielen, meist unauffälligen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den beteiligten Verwaltungen.
Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie Zusatzpunkt 2 auf:
3. a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 2009
- Drucksache 16/12640 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Recht auf Ausbildung umsetzen - Ausbildungssystem reformieren, überbetriebliche Ausbildungsstätten ausbauen und Übergangsmaßnahmen anrechnen
- Drucksache 16/12680 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neue Chancen für die berufliche Bildung
- Drucksache 16/12665 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Frau Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jeder Jugendliche braucht ein Angebot zu Ausbildung und Qualifizierung. Das war und ist das Ziel unserer Berufsbildungspolitik in den vergangenen Jahren. Der Berufsbildungsbericht 2009 zeigt ermutigende Fortschritte. Jugendliche in Deutschland haben wieder mehr Chancen als noch vor einigen Jahren. Das will ich anhand der Zahlen in drei Bereichen deutlich machen.
Die erste und, wie ich finde, zentrale Zahl ist: Rund 619 000 Jugendliche waren im Jahre 2005 arbeitslos. Im Jahre 2008 waren es rund 340 000. Das sind 340 000 zu viel; aber es gab eine deutliche positive Veränderung in diesen drei Jahren.
Zweitens. Die Zahl der unvermittelten Bewerberinnen und Bewerber lag 2005 - Stichtag ist immer der 30. September - bei rund 40 000. Zum gleichen Zeitpunkt 2008 waren es rund 14 500. Das ist ein Rückgang um 64,5 Prozent.
Drittens. Die Zahl der Ausbildungsverträge stieg von 550 000 im Jahre 2005 auf rund 616 000 im Jahr 2008. Das ist eine Steigerung um 12 Prozent.
An dem Verhältnis zwischen den Zahlen unvermittelter Bewerber und geschaffener Ausbildungsplätze wird zugleich deutlich, dass wir schon längst die Konsequenzen der demografischen Entwicklung zu tragen haben: Die Zahl der Schulabsolventen geht zurück - im vergangenen Jahr bereits um 33 000 -, und diese Entwicklung wird sich fortsetzen.
Diese Zahlen für den Zeitraum zwischen 2005 und 2008 sind das Ergebnis gemeinsamer Bemühungen im Ausbildungspakt - in der Großen Koalition, vor allem in den Unternehmen in Deutschland, beim Bund und den Ländern.
Wir wissen aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der enge Zusammenhang zwischen Arbeitsmarkt und Ausbildungsmarkt gilt auch jetzt. Die Erfolge bleiben nur dann bestehen, wenn alle am Ball bleiben und jedem klar ist: Ausbildung hat Vorrang. Wer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht ausbildet, dem fehlen in wirtschaftlich guten Zeiten Fachkräfte. Das muss auch in diesem Jahr die Devise sein.
Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung, die heute veröffentlicht werden - befragt wurden rund 1 000 Unternehmen -, zeigen für 2009: 22 Prozent der Betriebe wollen ihr Ausbildungsplatzangebot im Vergleich zum letzten Ausbildungsjahr steigern; das ist die gute Nachricht. 32 Prozent der Betriebe geben an, ihr Engagement auf dem Niveau des Vorjahres halten zu wollen; auch das ist nicht schlecht. Aber immerhin 25 Prozent der Betriebe beabsichtigen, weniger Ausbildungsplätze anzubieten. Diese 25 Prozent begründen diesen Schritt, wie wir es aus der Vergangenheit kennen, mit der wirtschaftlich schwierigen Lage. Das gilt vor allen Dingen für Betriebe im Bereich Industrie und Handel und ganz besonders für Branchen, die in hohem Maße export- und konsumabhängig sind. Im Handwerk ist die Situation positiver.
Insbesondere an die Adresse dieser 25 Prozent der Betriebe sage ich: Alles, was wir auf den verschiedenen politischen Ebenen jetzt tun, ist darauf ausgerichtet, möglichst bald wieder bessere Wachstumsquoten zu erreichen. Wer sich auf die Zeit nach der Krise vorbereiten und daran mitwirken will, dass - wovon wir alle überzeugt sind - Deutschland nach der Krise stärker ist als vorher, der muss jetzt stark in Ausbildung investieren.
Es wird in den nächsten Wochen wichtig sein, dass wir alle Instrumente nutzen, um einem Abwärtstrend entgegenzusteuern. Dazu gehören Programme des Bundes wie Jobstarter, das Ausbildungsprogramm Ost, der Ausbildungsbonus und die Qualifizierungsmaßnahmen für jene Jugendliche, die noch nicht die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ausbildung erfüllen. Wichtig sind darüber hinaus auch die zahlreichen Instrumente unserer Qualifizierungsinitiative ?Aufstieg durch Bildung?. Dass all diese Maßnahmen helfen, zeigt die Bilanz der letzten drei Jahre. Im schwierigen Jahr 2009 sind sie umso bedeutender.
Wir - die Kollegen Scholz, zu Guttenberg und ich - werden mit unseren Partnern im Ausbildungspakt im Rahmen einer Sondersitzung im Juni dieses Jahres beraten: Welche Maßnahmen sind zusätzlich zu denen, die wir schon auf den Weg gebracht haben, von Bedeutung? Wo müssen zusätzliche Initiativen ergriffen werden? Was kann zum Beispiel getan werden, um für Unternehmen, die in Schwierigkeiten geraten sind oder die Unterstützung brauchen, um ihre Ausbildungskapazität erhöhen zu können, so etwas wie einen Schutzschirm für Ausbildungsplätze zu spannen?
An die Adresse des Deutschen Bundestages und der Ministerien sage ich: Auch wir sollten in dieser sensiblen Situation alles tun, um unsere Ausbildungsquoten zu erhöhen. Die Ausbildungsquote im Bundesbildungsministerium beträgt derzeit knapp 10 Prozent. Ich finde, das ist für alle öffentlichen Behörden eine gute Marke. Wir müssen in einer solchen Situation vorangehen, um deutlich zu machen, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: Jeder Jugendliche braucht eine Chance.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser besonderes Augenmerk muss den Jugendlichen mit Migrationshintergrund gelten. Wir wissen, dass der Anteil der Jugendlichen, der die Schule ohne Abschluss verlässt, unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund doppelt so hoch ist wie unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Wir wissen, dass ihr Anteil an der Berufsausbildung mit 24 Prozent niedrig ist und dass sie damit unterrepräsentiert sind. Deshalb war es gut, dass unter Federführung von Herrn Staatssekretär Storm und Frau Staatsministerin Böhmer Regionalkonferenzen stattgefunden haben mit Unternehmen und Unternehmern, die selbst, wie es immer heißt, Migrationshintergrund haben. Wir haben vereinbart, dass im Zeitraum 2005 bis 2010 10 000 zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Auch das ist ein wichtiger Schritt; doch auch da dürfen wir nicht nachlassen.
An die Adresse der Länder gerichtet füge ich hinzu: Entscheidend ist - vor jeder Vermittlung derer, die keinen Schulabschluss haben -, dass wir erreichen, dass jeder Jugendliche in Deutschland einen Schulabschluss macht und damit die Voraussetzungen mitbringt, eine Ausbildung erfolgreich durchlaufen zu können.
Richtig ist auch - ich habe es anfangs erwähnt -: Die Zahl der Schulabsolventen geht zurück. Die demografische Entwicklung hat dazu geführt, dass 2008 zwei Zahlen der Bundesagentur für Arbeit ganz anders als in den Jahren zuvor waren: Auf der einen Seite waren rund 19 000 Ausbildungsplätze unbesetzt, auf der anderen Seite hatten wir 14 479 unvermittelte Bewerber. Das heißt, aus der rechnerischen Lücke, über die wir in der Vergangenheit im Herbst oft gesprochen haben, ist ein sogenannter rechnerischer Überhang geworden. Ich sage aber ausdrücklich: Das ist nicht nur ein Erfolg der Ausbildungsbilanz, sondern das steht im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung, die uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Die Zahlen haben noch einmal gezeigt, wie sehr das Thema Fachkräftemangel mit Berufsbildung und Ausbildungsbilanzen verbunden ist.
Besonderes Augenmerk müssen wir auf die 82 000 Jugendlichen richten, die eigentlich eine Ausbildung wünschen, sich aber noch in Berufsvorbereitungsmaßnahmen und Praktika befinden. Dazu haben wir mit den Ländern beim Qualifizierungsgipfel zahlreiche Maßnahmen vereinbart. Es muss klar sein, dass nach Abschluss der Schule die Voraussetzungen für eine Ausbildung gegeben sind. Es dürfen nicht weitere Verzögerungen entstehen. Jugendliche, die so weit sind, müssen mit Vorrang ermutigt werden, indem man ihnen die Chance zu einer qualifizierten Ausbildung gibt. Es ist für sie von zentraler Bedeutung, dass sie im Anschluss an die Schule eine duale Ausbildung aufnehmen können. Schließlich sind da noch die sogenannten Altbewerber. Auch hier sage ich allerdings: Im Zeitraum von 2007 bis 2008 ist auch die Zahl der Altbewerber um fast 65 000 zurückgegangen.
Ich nenne diese wenigen Zahlen, weil sie deutlich machen: Das, was an Maßnahmen auf den Weg gebracht worden ist - übrigens mit großem Engagement der Unternehmen und mit einer neuen Konzeption der Berufsvorbereitung: mit mehr Erfahrung in der Praxis, mit mehr individueller Förderung -, wirkt. Wir müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass die Erfolge, die in den vergangenen drei Jahren erreicht worden sind und über die der Berufsbildungsbericht 2009 Rechenschaft ablegt, nicht aufs Spiel gesetzt werden. Gerade am Ende dieses Jahres müssen wir sagen können: Dieses Jahr ist genutzt worden, um Jugendliche in Deutschland zu ermutigen und ihnen die Chance zu geben, die sie brauchen und die sie erwarten können, und um damit zugleich das zu tun, was notwendig ist, damit der Fachkräftemangel in Deutschland in den nächsten Jahren nicht zu einer zentralen Wachstumsbremse wird.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Meinhardt für die FDP-Fraktion.
Patrick Meinhardt (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Man kann sich, man muss sich und man soll sich über gute Nachrichten freuen. In diesem Sinne ist es ein positives Zeichen, dass mehr offene Ausbildungsplätze als Bewerber zu verzeichnen waren. Die mittelständische Wirtschaft, das Handwerk, der Handel erfüllen ihre Pflicht, und das weit über Soll. Das ist das herausragende Ereignis in wirtschaftlich schweren Zeiten.
Machen wir uns aber bitte nichts vor, Frau Ministerin: Wenn Sie aufgrund der Tatsache, dass am 30. September des vergangenen Jahres rund 19 500 unbesetzte Ausbildungsplätze circa 14 500 unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern gegenüberstanden, am 1. April dieses Jahres in einer Presseerklärung davon sprechen, dass eine Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt geschafft sei, beschreibt das die Realität nun wirklich nicht richtig. Hier erwarte ich von einer Bundesregierung ein solideres Handeln. Es bedarf einer riesigen Kraftanstrengung, damit aus der Wirtschafts- und Finanzkrise in Deutschland nicht auch noch eine Ausbildungskrise wird.
Sie wissen genau, dass Ihr Glück bei der Ausbildungsbilanz die rückgängigen Schülerzahlen sind. Reden wir einmal Tacheles: 5 000 offene Stellen ?über den Durst? ist Ihr Argument. Demgegenüber stehen eine beträchtlich zurückgegangene Zahl von Schulabgängern - dies haben Sie selbst angeführt -, 29 000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze, die im Vorjahr zusätzlich geschaffen worden sind, 28 000 Plätze aus den Ländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen, die im Jahr zuvor mit dortigen Ausbildungsbonusregelungen geschaffen worden sind, und unversorgte Altbewerber im Berufsvorbereitungsjahr, von denen 4 000 in ein Praktikum gekommen sind und 16 000 in berufsvorbereitenden Maßnahmen geparkt werden. Mit diesen Zahlen müssen wir uns neben den von Ihnen genannten in der Realität beschäftigen. Deswegen, Frau Ministerin, darf sich die Bundesregierung nicht auf der demografischen Entwicklung ausruhen, auch nicht auf den Kraftanstrengungen des Mittelstandes, nicht auf der Arbeit von aktiven Landesregierungen und erst recht nicht auf statistischen Zahlen, die ausblenden, wie viele junge Menschen heute in der Bundesrepublik Deutschland leider immer noch in irgendwelchen Maßnahmen geparkt werden.
In wirtschaftlich guten Zeiten hätten wir eine Modernisierung der beruflichen Bildung gut vorbereiten können. Dass wir es nicht getan haben, holt uns nun ein. Spätestens jetzt erwarte ich von der Bundesregierung ein Handlungspaket Ausbildung, mit dem den jungen Menschen in Deutschland eine bildungspolitische und damit für ihr Leben sehr reale Perspektive gegeben wird. Um neue Chancen für eine berufliche Bildung aufzuzeigen, bedarf es eines umfangreichen Handlungspakets aus einem Guss. Ich greife einige Punkte heraus:
Wir brauchen unbedingt mehr Flexibilität. Module, wie sie die IHK und der ZDH vorschlagen, sind der richtige Weg. Die Zahl zweijähriger Ausbildungen stagniert und geht sogar zurück. Sie sind aber ein wichtiger Einstieg gerade für junge Menschen, die aufgrund ihrer Bildungsabschlüsse eine Perspektive in Form eines schnellen Einstiegs in Ausbildung brauchen.
Ferner brauchen wir ein besseres überbetriebliches Ausbildungsmanagement. Wir müssen jungen Menschen Chancen eröffnen, die mehr Zeit brauchen; wir müssen ihnen die Zeit geben, ihren Abschluss zu machen. Das ist eine wichtige Herausforderung in einer Krisenzeit.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen auch mehr Leistungsstärke. Gemeinsam mit dem ZDH haben wir als FDP die berechtigte Forderung nach einer Exzellenzinitiative für die Berufsbildung erhoben. Eine Ausbildung in einem Beruf spricht auch leistungsstarke Jugendliche an. Sich für eine Berufsausbildung oder eine Fortbildung zu entscheiden, bedeutet, in einem unternehmerischen Umfeld zu lernen und zu arbeiten, das vielfältige Karrierechancen, Selbstständigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten bietet. Auch diese Botschaft müssen wir immer wieder herausstellen: Eine Exzellenzinitiative ?Berufliche Bildung? würde dazu beitragen, dass die Kultur der Selbstständigkeit in der Bundesrepublik Deutschland ein stärkeres Fundament bekommt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade am heutigen Girls? Day muss man darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass Ausbildungsberatung verbessert wird und Stereotypen aufgebrochen werden. Immer noch bewerben sich 75 Prozent der jungen Frauen auf 25 Ausbildungsberufe, und immer noch bewerben sich junge Männer schwerpunktmäßig im Bereich der Fertigungsberufe. Wir müssen über eine intensive Ausbildungsberatung erreichen, dass solche stereotypen Vorgehensweisen aufgebrochen werden und so für junge Menschen die Perspektive geschaffen wird, in andere Ausbildungsbereiche hineinzugehen.
Der Erfolg bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels hängt maßgeblich davon ab, ob wir es schaffen, die Ausbildungsreife der Absolventen zu verbessern. Deswegen ist es enorm wichtig, dass hier Transparenz geschaffen wird. Ein angehender Auszubildender muss sich schon in seiner Schullaufbahn umfassend über Anforderungsprofile und Perspektiven informieren. Der Praxisbezug muss verstärkt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass Schulabgänger nicht von einer Berufsvorbereitungsmaßnahme zur nächsten geschickt werden. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir vom ersten Tag an eine praktische Berufsberatung in den Schulen.
Frau Ministerin, Sie haben es angesprochen: Gerade in der Krise muss gewährleistet werden, dass jeder Auszubildende die Sicherheit hat, seine Ausbildung auch dann fortsetzen zu können, wenn der Betrieb, in dem er ausgebildet wird, insolvent wird. Hier haben Sie, Frau Ministerin, und die Bundesregierung die Chance, mit einem guten Konzept der Ausbildungssicherheit eine breite Mehrheit dieses Parlamentes hinter sich zu bringen. Nutzen Sie diese Chance! Die jungen Menschen sollten sehen, dass die Ausbildungspolitik nicht zum Spielball der Politik wird, sondern dass uns der persönliche Weg des einzelnen Auszubildenden über die Fraktionsgrenzen hinweg am Herzen liegt. Hier ist die Chance gegeben, dass wir mit einem gemeinsamen Konzept dieses Deutschen Bundestages einen richtigen Weg gehen.
Vielen herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz.
Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren in Deutschland, was Fachkräfte und Qualifikationspotenziale betrifft, viel über die Anforderungen. Eine der Aussagen, die bei dieser Gelegenheit zu Recht immer wieder diskutiert werden, ist, dass wir in Deutschland mehr akademisch Qualifizierte brauchen.
Von der OECD und vielen anderen wird gesagt: Etwa ein Drittel aller jungen Leute eines Altersjahrgangs sollte studieren und ein Studium abschließen. Während wir das sagen, übersehen wir aber gerne - deshalb will ich darauf hinweisen -: Mit dieser Aussage ist verbunden, dass auch in Zukunft zwei Drittel aller jungen Leute in diesem Lande ihr ganzes Berufsleben auf der Basis einer klassischen Berufsausbildung, also einer Lehre, verbringen werden. Deshalb ist die Berufsausbildung auch in Zukunft die wichtigste Ausbildung in Deutschland.
Es ist deshalb wichtig, dass wir alles dafür tun, dass tatsächlich jeder eine Chance auf eine berufliche Qualifizierung bekommt. Das heißt, dass es in diesem Jahr, in dem die wirtschaftliche Lage schwerer und schwerer wird und in dem wir jeden Tag neue Meldungen darüber hören, wie die Wirtschaftsleistung zurückgeht, keine Konsequenzen für die Zahl der Ausbildungsverträge in Deutschland geben darf.
Die jungen Leute, die jetzt die Schule verlassen, können nichts dafür, dass sich einige anderswo auf der Welt an der Börse verspekuliert und mit Renditeerwartungen, die unrealistisch waren, die ganze Weltwirtschaft in eine Katastrophe geführt haben. Wir müssen dafür sorgen, dass genügend Ausbildungsverträge zur Verfügung stehen. Das heißt, die Zielmarke muss auch für dieses Jahr sein: Wir brauchen wieder über 600 000 Ausbildungsverträge.
Das geht nur mit gemeinsamer Anstrengung: der Wirtschaft, der Kammern, der Verbände, der Gewerkschaften, der Betriebsräte, der Unternehmensleitungen. Ich höre, dass viele zu dieser Anstrengung bereit sind. Ich unterhalte mich jetzt jeden Tag mit den Verantwortlichen. In den Gesprächen mit den Personalvorständen der DAX-30-Unternehmen haben alle zugesagt, dass sie ihre Ausbildungsleistungen in diesem Jahr nicht reduzieren werden.
Ich höre das auch aus dem Mittelstand und dem Handwerk. Wichtig ist, dass das am Ende auch stimmt und dass wir diese Zahlen tatsächlich erreichen, damit jeder diese Möglichkeit realisieren kann.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen, wenn wir über Ausbildung diskutieren, auch darüber diskutieren, was wir für diejenigen tun, die nicht so gut sind. Natürlich haben wir es uns in unserer Sprache angewöhnt, darüber zu reden, dass wir erreichen wollen, dass alle ausbildungsgeeigneten jungen Leute einen Ausbildungsplatz finden. Aber da sind ja auch noch die anderen. Das sind keineswegs hoffnungslose Fälle, wie der Begriff der ?Ausbildungsungeeigneten? manchmal suggeriert.
Darunter sind ganz viele, bei denen es mit einiger Anstrengung schnell gelingen kann, dass sie eine Berufsausbildung erhalten.
Wir haben viele gute Erfahrungen mit den Einstiegsqualifizierungen gemacht, die wir ausbauen und weiter fördern.
Wir haben aber auch viele gute Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen tariflichen und betrieblichen Modellen gemacht, in denen junge Leute, bei denen es mit der Ausbildung noch nicht gut hingehauen hat und die ein halbes Jahr, ein Dreivierteljahr oder ein Jahr lang ein Praktikum gemacht haben, hinterher erfolgreich die Berufsausbildung bestanden haben, und zwar mit Quoten von 90 bis 100 Prozent. Das zeigt: Niemand darf durch den Rost fallen; niemand darf aufgegeben werden.
Wir müssen uns natürlich mit den Konsequenzen der Bildungspolitik in Deutschland auseinandersetzen. Dass nach wie vor jedes Jahr 80 000 junge Leute die Schule verlassen, ohne einen Schulabschluss zu haben, das ist nicht naturgegeben, das ist Staatsversagen, und das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.
Der Zusammenhang zwischen beruflicher Qualifikation, Schulbildung und Chancen im Arbeitsleben ist so offensichtlich, dass man gar nicht oft genug darauf hinweisen kann. 500 000 der Arbeitslosen haben keinen Schulabschluss, und fast alle sind Langzeitarbeitslose. Von daher ist es von zentraler Bedeutung, dass wir an dieser Situation etwas ändern. Ich bin froh darüber, dass wir im letzten Jahr beschlossen und in diesem Jahr rechtlich verankert haben, dass jeder dieser 500 000 Arbeitslosen sein Leben lang das Recht hat, den Schulabschluss nachzuholen, um seine Arbeitsmarktchancen zu verbessern.
Es ist auch richtig, dass wir dafür gesorgt haben, dass diejenigen, die schon lange auf einen Ausbildungsplatz warten, bessere Chancen bekommen. Deshalb war es vernünftig, dass wir den Ausbildungsbonus auf den Weg gebracht haben. Über 13 000 junge Leute haben bereits von der Regelung profitiert, dass es gefördert wird, wenn für jemanden, der schon länger als ein Jahr auf einen Ausbildungsplatz wartet, ein neuer Ausbildungsplatz geschaffen wird. 13 000 junge Leute profitieren von einer Regelung, die erst seit Ende August gilt. Das ist ein großer Erfolg, und das ist ein guter Ansatzpunkt für dieses Jahr.
Wenn wir über Ausbildung reden, dann müssen wir auch darüber reden, dass wir denjenigen, die etwas können, die Talent haben, die Chance eröffnen, dass sie mehr aus dieser Berufsausbildung machen. Von daher ist es eine gute Entscheidung des Bildungsgipfels in Dresden gewesen, dass wir gesagt haben: Überall in Deutschland soll es neue Möglichkeiten des Zugangs zur Universität geben, ohne dass man eine Hochschulreife auf klassische Weise erworben hat.
Wie notwendig das Handeln in dieser Frage ist, sieht man an den Zahlen. In Deutschland studieren etwa 1,5 Prozent mit etwas anderem als der Hochschulreife. In anderen Ländern um uns herum sind es 10 bis 15 Prozent. Ein großer Teil derjenigen, die eine Berufsausbildung in der Schweiz beendet haben, geht direkt an die Universität. Das brauchen wir in Deutschland auch. Das wird auch den Ingenieurmangel in unserem Lande besser bekämpfen.
Wir müssen also etwas für diejenigen tun, die eine Berufsausbildung wollen. Ich will ein sehr ehrgeiziges Ziel für Deutschland, für unser Land und für unsere gemeinsamen Anstrengungen formulieren: Eigentlich müssen wir erreichen wollen, dass jeder, der Anfang 20 ist, entweder das Abitur oder einen Berufsschulabschluss hat. Das ist die Zielsetzung, die wir für Deutschland brauchen. Niemand sollte mit weniger als mit einer Berufsausbildung durch das lange Arbeitsleben gehen.
Das bedeutet auch, dass wir eine Garantie dafür brauchen, dass diejenigen, bei denen dies bis zum Alter von 20 Jahren nicht geklappt hat, notfalls ein staatliches Ausbildungsangebot bekommen, damit sie nicht weiter chancenlos versuchen müssen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Diese Garantie brauchen wir auch, und wir müssen dafür sorgen, dass das funktioniert.
Ein Angebot, das ich den Unternehmen machen will, soll an dieser Stelle formuliert sein - dazu brauchen wir nicht einmal neue Gesetze; das können wir mit unseren Förderinstrumentarien bereits jetzt verwirklichen -: Wer einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin hat, der oder die vielleicht schon 27 oder 31 Jahre alt ist und keine Ausbildung absolviert hat, jedoch will, dass das noch klappt, soll gefördert werden, weil man diese nicht mehr ganz so jungen Leute nicht auf das erste Lehrjahr mit den entsprechenden Ausbildungsvergütungen verweisen kann. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass es auch für diese Arbeitnehmer, die sich im Betrieb bewährt haben, die Chance gibt, in dem eigenen Unternehmen die Berufsausbildung nachzuholen, und zwar zu vertretbaren wirtschaftlichen Konditionen.
Wenn wir uns also dafür einsetzen, dass mehr qualifiziert wird, wenn wir dafür Sorge tragen, dass letztendlich jeder eine berufliche Qualifikation hat, dann tun wir auch das Richtige für die Zukunft unseres Landes. Ich werbe dafür, dass wir die Chance erkennen, die wir in Deutschland haben, und dass wir sie nicht an uns vorbeigehen lassen. Es gibt die einmalige Chance - vielleicht 10 bis 20 Jahre lang, das heißt im nächsten und übernächsten Jahrzehnt -, dass wir uns von der Massenarbeitslosigkeit der letzten drei Jahrzehnte verabschieden. Das hat etwas mit der Wirtschaftskraft dieses Landes, aber natürlich auch mit der demografischen Entwicklung zu tun, über die wir in den letzten Jahren immer wieder in der Form diskutiert haben, was es für Probleme macht, vor diesem Hintergrund die Finanzstabilität der Sozialversicherung zu organisieren.
Aber auch der umgekehrte Effekt tritt jetzt ein - alle haben darüber gesprochen -, nämlich dass es weniger Arbeitnehmer gibt, die auf dem Arbeitsmarkt nach Arbeitsplätzen suchen. Man merkt es jetzt schon: Es wird sehr schnell dazu kommen, dass nicht jeder Ausbildungsplatz besetzt werden kann. Schon im nächsten Jahrzehnt - es beginnt in Kürze, falls man den einen oder anderen noch darauf hinweisen muss - wird das in diesem Lande so sein.
Von daher sollten wir die Chance nutzen. Sie ist aber nur dann nutzbar, wenn wir sicherstellen, dass jeder über eine berufliche Qualifikation verfügt. Denn es gibt zwei Szenarien der künftigen Entwicklung. Ein Szenario ist, dass wir einen Fachkräftemangel haben, dass sich die Unternehmen um jeden Arbeitnehmer, der eine gute Ausbildung hat, balgen, und dass es gleichzeitig Millionen Arbeitslose gibt, weil wir nicht ausreichend qualifiziert und ausgebildet haben.
Das andere Szenario ist, dass wir jedem eine Ausbildung ermöglicht haben, über genügend Fachkräfte verfügen und deshalb die Arbeitslosigkeit sinkt, wie es in den letzten Jahrzehnten nicht möglich war. Wir dürfen nicht die Gelegenheit versäumen, dass das humane Interesse der Menschen und das wirtschaftliche Interesse der Unternehmen zusammenkommen. Das muss ausgenutzt werden.
Dass man für Bildung und Qualifizierung etwas tun muss, ist offensichtlich. Das zeigt sich auch im Etat des Bundesministers für Arbeit und Soziales und der BA; denn sie geben viel Geld für Bildung und Qualifizierung aus.
- Das war nicht die richtige Stelle.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Minister, Sie müssen es allerdings ertragen, dass ein Parlament selbstständig entscheidet, wann es der Regierung zustimmen will und wann nicht.
Olaf Scholz, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident, auch wenn es Sie überrascht: Über Beifall beschwere ich mich eigentlich nie.
Trotzdem will ich auf Folgendes hinweisen: Dass wir so viel Geld dafür ausgeben, hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass im Bildungssystem dieses Landes etwas im Argen liegt. Insofern sind es zwar stolze Zahlen, die zeigen, was wir unternehmen. Aber sie weisen auch darauf hin, dass man am Anfang mehr tun müsste, damit nicht hinterher so viel Geld ausgegeben werden muss.
Wir haben im Bereich SGB II und SGB III im letzten Jahr 330 000 junge Leute gefördert und dafür 2,73 Milliarden Euro ausgegeben. Insgesamt geben wir im Bereich SGB II und SGB III 9 Milliarden Euro für Bildung und Qualifizierung aus. Das beweist, dass wir den richtigen Trend unterstützen und etwas für die Qualifikation unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und damit für die Zukunft unseres Landes tun. Aber es ist auch ein Ansporn, dafür zu sorgen, dass es im Primärsystem der Ausbildung besser läuft. Das dürfen wir in diesem Zusammenhang niemals vergessen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass es gelingt. Auch in diesem Jahr muss jeder junge Mann und jede junge Frau einen Ausbildungsplatz finden. Wir wollen mehr als 600 000 Ausbildungsverträge auch im Jahr 2009.
Schönen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Cornelia Hirsch ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Cornelia Hirsch (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Herr Minister, im Appellieren und Halten von Sonntagsreden bekommen Sie von uns ganz gewiss eine Eins. Was aber die konkrete Politik betrifft, ist es eine glatte Sechs.
Frau Schavan, Sie haben von einem Schutzschirm für die Ausbildung gesprochen. Tatsächlich zeigt das, was Sie konkret anbieten und was Sie hier vorgeschlagen haben, aber, dass Sie tatenlos zusehen, wie die Wirtschaftskrise jetzt auch den ausbildungsplatzsuchenden Jugendlichen voll und ganz auf die Füße fällt. Die Linke sagt: Das darf nicht sein. Wir brauchen in der beruflichen Bildung endlich eine Politik, die Ernst damit macht, dass jeder Jugendliche das Recht auf eine Ausbildung hat.
Frau Schavan, Sie haben von ermutigenden Fortschritten gesprochen. Wir haben die übliche Behauptung gehört, dass alles in schönster und bester Ordnung sei. Damit lassen sich Jugendliche heutzutage aber nicht mehr abspeisen.
Ich beginne mit der ersten Behauptung, der Statistik. Im Berufsbildungsbericht ist nachzulesen, dass es 19 500 offene Stellen gibt und dass fast alle Jugendlichen versorgt sind. Man kann sich für diesen Befund selber auf die Schultern klopfen. Wenn man aber etwas genauer nachliest und sich anschaut, was sich in Ihrer Statistik hinter dem Terminus ?versorgte Jugendliche? verbirgt, dann stellt man fest, dass es sich zu einem ganz großen Prozentsatz um Jugendliche handelt, die in eine Berufsvorbereitungsmaßnahme abgeschoben wurden, eine Einstiegsqualifizierung absolvieren oder angefangen haben, zu jobben, und sich zunächst nicht zurückgemeldet haben. Es kann keine Rede davon sein, dass diese Jugendlichen versorgt sind, wenn sie in Wirklichkeit im Übergangssystem irgendwo in der Statistik verschwunden sind.
Um auf die Zahlen zurückzukommen: Wenn man sich anschaut, wie viele Jugendliche einfach ?verschwunden? sind, dann muss man davon ausgehen, dass es sich um mindestens 250 000 Jugendliche handelt. Demgegenüber steht Ihre Behauptung von 19 500 offenen Stellen. Man braucht wirklich kein Mathematikstudium absolviert zu haben, um festzustellen, dass hier ein krasses Missverhältnis besteht und dass nicht jeder Jugendliche eine Chance auf einen Ausbildungsplatz hat.
Die zweite Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird, lautet: Der Ausbildungspakt ist ein Erfolg. Sie selber sagen, der Ausbildungspakt solle dazu dienen, ein ausreichendes Ausbildungsplatzangebot für alle Jugendlichen zur Verfügung zu stellen. Nun haben wir erst gestern gehört, dass im letzten Jahr 2,1 Prozent weniger Ausbildungsverträge geschlossen wurden. Da frage ich mich: Wie passt das zusammen? Der Ausbildungspakt soll ein Erfolg sein? In Wirklichkeit führt er aber dazu, dass mehr Ausbildungsplätze abgebaut als geschaffen werden. Die Linke sagt deshalb: Der Ausbildungspakt ist kein Erfolg, sondern ein grandioser Misserfolg und gehört beendet.
Das Schlimmste ist: Die Auswirkungen der Krise werden wir erst noch zu spüren bekommen; Sie kennen die Prognosen genauso gut wie ich. Es wird davon ausgegangen, dass das Ausbildungsplatzangebot in diesem Jahr um bis zu 10 Prozent abnehmen wird. Im Berufsbildungsbildungsbericht 2009 der Bundesregierung lässt sich dazu die Bemerkung finden: Da sich die Zahl der Schulabsolventen verringern wird, wird die Situation ?für Jugendliche nicht schlechter werden?. Frau Ministerin, Herr Minister, an dieser Stelle möchte ich Sie fragen: Was sagt denn ein Hauptschulabsolvent dazu, der nun schon seit drei Jahren verzweifelt versucht, einen Ausbildungsplatz zu finden, oder eine Absolventin der Realschule, die im letzten Jahr nur eine Einstiegsqualifizierung bekommen hat, dann nicht übernommen wurde und weiterhin ohne einen Ausbildungsplatz dasteht? Zu diesen Jugendlichen sagen Sie nun: Keine Panik! Zumindest wird es nicht schlimmer. - Diese Politik, die angeblich für Jugendliche betrieben wird, ist ein Skandal. So etwas wird die Linke nicht mitmachen.
Es muss endlich eine verbindliche Vereinbarung geben, das heißt ein Ende des Ausbildungspaktes und die Einführung einer gesetzlichen Ausbildungsplatzumlage.
Die dritte Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird, lautet: Ihr Ausbildungsbonus unterstützt benachteiligte Jugendliche. In der Praxis wird dieser Bonus kaum genutzt, und es gibt viele Mitnahmeeffekte. Die Linke sagt: Das ist der falsche Ansatz. Wenn Sie wirklich Förderung betreiben wollten, dann müssten Sie ausbildungsbegleitende Hilfen stärken und ausbauen und als Rechtsanspruch verankern. Dann dürften Sie die Unternehmen für ihre jahrelange Ausbildungsverweigerung nicht noch belohnen. Das ist der falsche Weg. Ausbildung ist keine Wohltätigkeit der Unternehmen, sondern ihre Pflicht.
Ich fasse zusammen: Sie betreiben Ausbildungspolitik nach Konjunktur und Kassenlage. Das führt gerade in einer Krise zu einer Katastrophe. Die Linke will dagegen das Recht auf Ausbildung für alle Jugendlichen durchsetzen. Wir meinen es mit dem Schutzschirm für Ausbildung ernst.
Besten Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Priska Hinz, Bündnis 90/ Die Grünen.
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Scholz, vonseiten der Grünen waren wir doch etwas erstaunt, dass Sie die Studienanfängerquote in Deutschland jetzt auf 33 Prozent senken wollen.
Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bundesregierung Schwierigkeiten mit der Deutung von Zahlen hat.
Das zeigt sich auch im Umgang mit dem Berufsbildungsbericht. Die Regierung brüstet sich mit einem ausgeglichenen Ausbildungsmarkt; das haben wir heute Morgen auch von Frau Dr. Schavan gehört. Es stimmt: Rechnerisch war der Ausbildungsmarkt im letzten Jahr ausgeglichen. Aber was steckt dahinter? Es fanden nach wie vor 14 000 Jugendliche im Jahr 2008 keinen Ausbildungsplatz, und 82 000 Jugendliche wurden in sogenannten Übergangsmaßnahmen versorgt.
Das heißt: Fast 100 000 Jugendliche sind im letzten Jahr fehl- und unterversorgt gewesen - und das in einem konjunkturell guten Jahr. Da kann man doch nicht sagen: Eigentlich ist alles wunderbar. Wir brauchen gar nicht so viel zu ändern.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Hinz, lassen Sie Zwischenfragen zu?
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Im Moment nicht.
Wir haben im letzten Jahr 320 000 Altbewerber gehabt. Das sind junge Leute, die ein Jahr oder länger keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Das sind 51,7 Prozent gewesen. Im Jahr 2006 waren es 50,8 Prozent. Wie man da von einer Trendwende sprechen kann, erschließt sich mir nicht. Das müssen Sie schon einmal genauer erklären. Im Gegenteil: Es war ein Trend zum Schlechteren. Hier muss man doch überlegen, wie man das Ganze anders gestalten und das Berufsbildungssystem so umstrukturieren kann, dass wir keine Altbewerberinnen und Altbewerber mehr haben.
Wir leisten uns ein Übergangssystem, das selbst in wirtschaftlich besseren Zeiten 500 000 Jugendliche umfasst, die mit einer Summe von 3 bis 4 Milliarden Euro in Warteschleifen gehalten werden. Auf diese Summe kann man nicht stolz sein, Herr Scholz, sondern man muss darüber beschämt sein, dass so viel Geld für irgendwelche ineffektiven Maßnahmen verschwendet wird, in denen Jugendliche keine Qualifizierung in Form einer Ausbildung erhalten, die zu einem Abschluss führt. Das zu ändern, wäre wichtig, damit wir gute Fachkräfte bekommen, die auf dem Arbeitsmarkt unterkommen.
Wie begegnet die Bundesregierung dieser Situation? Mit immer neuen Einzelmaßnahmen. Auch das zeigt der Berufsbildungsbericht. Es gibt unendlich viele Maßnahmen, die zusammengestoppelt und nicht aufeinander bezogen sind. In diesem Berufsbildungsbericht breitet sich ein Flickenteppich aus. Die SPD hat in den letzten Jahren das Ihre dazu beigetragen, diesen Flickenteppich noch zu vergrößern, zum Beispiel mit dem Ausbildungsbonus, der bis 2010 100 000 Plätze schaffen soll. Bis jetzt sind 12 700 Anträge gestellt worden. Das ist nicht gerade der Bringer, würde ich sagen.
Die Berufsorientierung ist ein neues Programm neben einem alten Programm. Warum läuft das alte weiter? Wenn es schlecht war, dann könnte man es einstampfen. Wenn es gut war, dann hätte man es ausweiten können.
Die Berufseinstiegsbegleitung, die die Eingliederung in eine Ausbildung leider nur bis zu einem halben Jahr unterstützen soll - dies gilt aber nur für 1 000 Schulen -, soll im Jahr 2013 wieder enden. Ich frage mich: Haben wir im Jahr 2013 keine Altbewerber, keine Schulabbrecher, keine Abgänger mit einem schlechten Schulabschluss und keine Migranten mehr, die ein Problem mit dem Übergang in die Ausbildung haben? Das wäre schön; aber die Erfahrungen mit unserem Schulsystem und mit der beruflichen Ausbildung deuten auf etwas anderes hin.
Auch das Programm ?Jobstarter Connect? ist gut gemeint. Eine Einführung von Ausbildungsbausteinen fordern auch die Grünen. Aber Ihr Modell hat einen Geburtsfehler. Die Ausbildungsbausteine sollen nicht einzeln anerkannt werden. Ihr Programm soll nicht dazu führen, dass die Ausbildungsschritte jeweils anerkannt werden. Das brauchen wir aber. Wir müssen auf eine Modularisierung der Ausbildung und eine strukturelle Reform des Ausbildungssystems zusteuern.
Diese Maßnahmen sind alle gut gemeint und im Einzelnen mehr oder minder sinnvoll. Das Hauptproblem aber ist, dass die Konjunkturanfälligkeit des Berufsbildungssystems durch diese einzelnen Maßnahmen nicht beseitigt wird. Sie haben es in wirtschaftlich guten Zeiten nicht geschafft, die Zahl der Altbewerber zu senken. Sie haben es nicht geschafft, das Übergangssystem abzubauen. Sie haben es nicht geschafft, das Berufsbildungssystem auf neue Füße zu stellen. Das heißt, das Berufsbildungssystem dokumentiert das Scheitern der Bundesregierung in der Berufsbildungspolitik.
Wenn das duale System auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten bestehen soll, dann muss man es verändern. Wenn es in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht bestehen kann, dann ist es nichts wert. Die Umfragen des DIHK zeigen, dass es in diesen schwierigen Zeiten wieder weniger Ausbildungsangebote gibt. Deswegen schlagen wir Grünen vor, das Modell ?DualPlus? einzuführen. Das heißt, die berufliche Ausbildung wird nach dem dualen Prinzip, an dem wir festhalten, in Ausbildungsbausteinen absolviert. Damit werden alle Qualifizierungsschritte, auch die der Berufsvorbereitung, anerkannt und führen zu einem Ausbildungsabschluss. Das ist ganz wesentlich. Damit werden Warteschleifen zu Qualifizierungsketten. Die ineffiziente Zeitverschwendung für die Jugendlichen hat so ein Ende.
Die Ausbildungsdauer muss zukünftig flexibler gestaltet werden. Leistungsschwächere Jugendliche sollen eine Ausbildung von vier Jahren machen können, und zwar von Anfang an. Leistungsstärkere Jugendliche sollen weitere Module wählen können, die zur Fachhochschulreife führen. Beides soll im BBiG vorgesehen werden.
Wir wollen den Ausbau der überbetrieblichen Einrichtungen. Das heißt, alle Betriebe werden in die Berufsausbildung eines Kammerbezirkes einbezogen. Auch die Betriebe, die keine Ausbildungstradition haben und sehr spartenspezifisch arbeiten, können dann eine Ausbildung anbieten. Das heißt, wir erhalten eine größere Zahl von Ausbildungsplätzen. Diese überbetrieblichen Einrichtungen können von Kammern, von Berufsschulen und freien Trägern gestaltet werden. Sie bieten zusätzliche Ausbildungsplätze, und zwar konjunkturunabhängig. Das ist das Wesentliche dieses Modells.
Wir wollen die Einführung und Förderung von Produktionsklassen oder Produktionsschulen für Schulabbrecher. Die CDU macht genau das gemeinsam mit den Grünen in Hamburg. Die CDU kann also hier zustimmen. Hamburg ist ein gutes Vorbild für die Verzahnung von Berufsschulen mit Stadtteilschulen und für den Ausbau von Produktionsschulen, damit schulmüde junge Leute und solche, die die Schule abgebrochen haben, in eine Berufsausbildung einsteigen und damit den Schulabschluss nachholen können. Das Ganze kann mit den 4 Milliarden Euro aus dem Übergangssystem finanziert werden.
Wir Grünen sind der Meinung, dass man nicht nur über einen Rechtsanspruch auf Ausbildung reden, sondern ihn auch faktisch umsetzen soll. Dafür bietet unser Modell die Gelegenheit. Sie haben heute die Chance, dem zuzustimmen, damit wir endlich zu einer Reform des Ausbildungssystems kommen und nicht weiter an dem Flickenteppich, so wie er sich im Berufsbildungsbericht zeigt, herumdoktern.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Stefan Müller ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Das brauchen wir aber. Wir müssen auf eine Modularisierung der Ausbildung und eine strukturelle Reform des Ausbildungssystems zusteuern.
Diese Maßnahmen sind alle gut gemeint und im Einzelnen mehr oder minder sinnvoll. Das Hauptproblem aber ist, dass die Konjunkturanfälligkeit des Berufsbildungssystems durch diese einzelnen Maßnahmen nicht beseitigt wird. Sie haben es in wirtschaftlich guten Zeiten nicht geschafft, die Zahl der Altbewerber zu senken. Sie haben es nicht geschafft, das Übergangssystem abzubauen. Sie haben es nicht geschafft, das Berufsbildungssystem auf neue Füße zu stellen. Das heißt, das Berufsbildungssystem dokumentiert das Scheitern der Bundesregierung in der Berufsbildungspolitik.
Wenn das duale System auch in wirtschaftlichen Krisenzeiten bestehen soll, dann muss man es verändern. Wenn es in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht bestehen kann, dann ist es nichts wert. Die Umfragen des DIHK zeigen, dass es in diesen schwierigen Zeiten wieder weniger Ausbildungsangebote gibt. Deswegen schlagen wir Grünen vor, das Modell ?DualPlus? einzuführen. Das heißt, die berufliche Ausbildung wird nach dem dualen Prinzip, an dem wir festhalten, in Ausbildungsbausteinen absolviert. Damit werden alle Qualifizierungsschritte, auch die der Berufsvorbereitung, anerkannt und führen zu einem Ausbildungsabschluss. Das ist ganz wesentlich. Damit werden Warteschleifen zu Qualifizierungsketten. Die ineffiziente Zeitverschwendung für die Jugendlichen hat so ein Ende.
Die Ausbildungsdauer muss zukünftig flexibler gestaltet werden. Leistungsschwächere Jugendliche sollen eine Ausbildung von vier Jahren machen können, und zwar von Anfang an. Leistungsstärkere Jugendliche sollen weitere Module wählen können, die zur Fachhochschulreife führen. Beides soll im BBiG vorgesehen werden.
Wir wollen den Ausbau der überbetrieblichen Einrichtungen. Das heißt, alle Betriebe werden in die Berufsausbildung eines Kammerbezirkes einbezogen. Auch die Betriebe, die keine Ausbildungstradition haben und sehr spartenspezifisch arbeiten, können dann eine Ausbildung anbieten. Das heißt, wir erhalten eine größere Zahl von Ausbildungsplätzen. Diese überbetrieblichen Einrichtungen können von Kammern, von Berufsschulen und freien Trägern gestaltet werden. Sie bieten zusätzliche Ausbildungsplätze, und zwar konjunkturunabhängig. Das ist das Wesentliche dieses Modells.
Wir wollen die Einführung und Förderung von Produktionsklassen oder Produktionsschulen für Schulabbrecher. Die CDU macht genau das gemeinsam mit den Grünen in Hamburg. Die CDU kann also hier zustimmen. Hamburg ist ein gutes Vorbild für die Verzahnung von Berufsschulen mit Stadtteilschulen und für den Ausbau von Produktionsschulen, damit schulmüde junge Leute und solche, die die Schule abgebrochen haben, in eine Berufsausbildung einsteigen und damit den Schulabschluss nachholen können. Das Ganze kann mit den 4 Milliarden Euro aus dem Übergangssystem finanziert werden.
Wir Grünen sind der Meinung, dass man nicht nur über einen Rechtsanspruch auf Ausbildung reden, sondern ihn auch faktisch umsetzen soll. Dafür bietet unser Modell die Gelegenheit. Sie haben heute die Chance, dem zuzustimmen, damit wir endlich zu einer Reform des Ausbildungssystems kommen und nicht weiter an dem Flickenteppich, so wie er sich im Berufsbildungsbericht zeigt, herumdoktern.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Stefan Müller ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Erfreulich ist nicht nur der Umstand, dass viele Schulabgänger einen Ausbildungsplatz gefunden haben, sondern auch die Tatsache, dass es zahlreiche Altbewerber geschafft haben, eine berufliche Ausbildung zu finden.
Bis 2006 ist die Zahl der jungen Menschen, die sich in Warteschleifen befunden haben, immer weiter gestiegen. Erfreulich ist für mich daher ebenfalls, dass die Zahl derer, die sich in Warteschleifen befinden, 2008 erstmals reduziert werden konnte. Man kann diese Debatte zum Anlass nehmen, seiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass junge Menschen in diesem Land tatsächlich eine Lehrstelle gefunden haben.
Schließlich ist nichts schlimmer, als dass ein junger Mensch die Schule verlässt und sich unmittelbar nach seiner Schulzeit erfolglos um eine Lehrstelle bemüht und damit das Gefühl bekommt, dass er in dieser Gesellschaft nicht gebraucht wird.
Junge Menschen brauchen eine Perspektive. Es ist die vordringlichste Aufgabe der Gesellschaft und auch der Politik, dafür zu sorgen, dass junge Menschen eine solche Perspektive bekommen. Ich stelle fest, dass die Große Koalition in den vergangenen Jahren dementsprechend gehandelt hat. Ein Teil des Erfolges der letzten Jahre - gerade am Ausbildungsstellenmarkt - ist auch ein Erfolg dieser Großen Koalition.
Der Ausbildungspakt hat zu diesen positiven Entwicklungen ganz wesentlich beigetragen. Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Zugesagt waren von den Unternehmen 60 000 Ausbildungsstellen. Fast 87 000 sind von der Wirtschaft eingeworben worden. Ich halte das allein schon deswegen für bemerkenswert, weil zumindest im zweiten Halbjahr des Jahres 2008 die Auswirkungen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise sehr wohl spürbar waren. Ich will heute die Gelegenheit nutzen, mich ausdrücklich bei den Unternehmen in Deutschland zu bedanken, vor allem bei den kleinen und mittelständischen Betrieben, die immer noch - Gott sei Dank! - Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, die jungen Menschen eine Chance geben. Wir haben wirklich allen Grund, dafür dankzusagen.
Natürlich gilt es auch, den Blick nach vorne zu richten. Die Lage wird schwieriger; das wird angesichts der Zahlen und Prognosen, die wir jeden Tag zur Kenntnis nehmen müssen, niemand bestreiten wollen. Wir müssen leider davon ausgehen, dass diese Wirtschaftskrise den Arbeitsmarkt und auch den Lehrstellenmarkt erreichen wird. Viele Unternehmen sehen sich heute gezwungen, Kurzarbeit anzumelden. Die Befürchtung ist - wir alle hoffen, dass sie nicht eintritt -, dass bis zum Sommer aus Kurzarbeitern Arbeitslose werden.
Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass es Unternehmen gibt, die, wenn sie ihre Mitarbeiter heute nicht beschäftigen können, nicht über den Fachkräftemangel von morgen oder übermorgen nachdenken. Das Bundesinstitut für Berufsbildung prognostiziert uns einen Rückgang von etwa 56 000 Ausbildungsplätzen im Jahr 2009. Diese Prognose wird durch verschiedene Umfragen der Wirtschaft gestützt. Aber man muss schon zur Kenntnis nehmen, dass dem Rückgang der Zahl der Ausbildungsplätze ein Rückgang der Zahl derjenigen gegenübersteht, die überhaupt eine Lehrstelle suchen. Die Bewerbergruppe, die Zahl der jungen Menschen, die die Schule verlassen, wird nämlich allein aufgrund des demografischen Wandels kleiner. Man muss auch berücksichtigen, dass im vergangenen Jahr eine hohe Zahl von Altbewerbern vermittelt werden konnte. Wir haben allen Grund, davon auszugehen, dass in diesem Jahr wie in den Jahren 2007 und 2008 der überwiegende Teil der jungen Menschen, die eine Lehrstelle suchen, ohne staatliche Hilfe einen Ausbildungsplatz finden wird. Insofern besteht hier überhaupt kein Anlass zur Panikmache. Das, was hier teilweise abläuft - auch in dieser Debatte -, halte ich für unverantwortlich, weil es Ängste schürt, anstatt jungen Menschen Mut zu machen.
Frau Hinz, Sie tun so, als wäre die von Ihnen vorgeschlagene Modularisierung die Lösung aller Probleme. Das geht meines Erachtens am Kern vorbei.
Durch eine Debatte darüber wird nur der Eindruck erweckt wird, als wäre unser Erfolgsmodell der dualen Berufsausbildung nichts mehr wert. Es ist ein Modell, für das uns andere Länder beneiden und das in anderen Ländern kopiert wird. Ich finde, wir sollten mit Kritik daran sehr zurückhaltend sein. Die duale Berufsausbildung in Deutschland ist ein Erfolgsmodell, und sie wird es auch in Zukunft sein.
Natürlich brauchen bestimmte Gruppen von jungen Menschen Unterstützung, aber dafür gibt es kein Patentrezept. Es gibt strukturschwache Regionen, in denen selbst durchschnittliche Schulabgänger Hilfe benötigen. Dort können wir durchaus über außerbetriebliche Angebote oder Ausbildungsverbünde eine Lösung herbeiführen. Anderswo gibt es Ausbildungshemmnisse, die in der Person des Bewerbers oder in seinem familiären Umfeld liegen oder die allein darin begründet sind, dass jemand aus einem schwierigen sozialen Umfeld kommt. Migrationshintergrund spielt sehr oft eine große Rolle. Aber gerade dafür gibt es doch individuelle Maßnahmen, mit denen wir dafür sorgen, dass auch diejenigen eine Chance bekommen. Es reicht doch nicht ein Hammer, sondern wir brauchen einen ganzen Werkzeugkasten, um für differenzierte Ausbildungsangebote und passgenaue Unterstützungsangebote zu sorgen.
Genau deswegen haben wir in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Programmen und Maßnahmen auf den Weg gebracht.
Einige wurden schon angesprochen: der Ausbildungsbonus, den wir im vergangenen Jahr gemeinsam auf den Weg gebracht haben, das Projekt JOBSTARTER und vieles andere mehr. Ich muss das nicht weiter betonen. Es geht hier um individuelle Lösungen, mit denen Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen geholfen werden kann. Deswegen ist das, was wir an der Stelle gemacht haben, richtig.
Entscheidend sind aber nicht allein staatliche Unterstützungsmaßnahmen, sondern entscheidend ist auch die Bereitschaft der Unternehmen, auszubilden. Wir erwarten von keinem Unternehmen, dass es aus purer Selbstlosigkeit junge Menschen ausbildet. Darum geht es überhaupt nicht. Dass Unternehmen ausbilden, ist im Interesse der Wirtschaft und im Interesse der Unternehmen, um den Fachkräftebedarf auch in Zukunft zu decken. Bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der Schulabgänger um mehr als 20 Prozent, also deutlich sinken. Wer es sich also leisten kann, in diesem Jahr auszubilden, der sollte es auch tun.
Anders formuliert: Wer heute und morgen nicht ausbildet, braucht sich übermorgen auch nicht über einen Mangel an Fachkräften zu beklagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich fasse zusammen: Die Lage am Ausbildungsstellenmarkt hat sich im vergangenen Jahr verbessert. Wir haben trotz aller Krisenszenarien eine gute Ausgangslage für das Jahr 2009. Wir sind gemeinsam aufgerufen, alles zu tun, damit junge Menschen in diesem Land eine Perspektive und auch eine Chance auf eine Berufsausbildung bekommen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Uwe Barth, FDP-Fraktion.
Uwe Barth (FDP):
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der bemerkenswerte Satz ist schon öfter zitiert worden: Die Bundesregierung sieht eine Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt. - Nun zeigt ein Foto ja immer die Situation in dem Moment, in dem das Foto gemacht wird, und nicht in dem Moment, in dem man es betrachtet. So ähnlich verhält es sich natürlich auch mit Berichten. Sie beschreiben die Situation im Moment der Datenerhebung und eben nicht in dem Moment, in dem der Bericht gelesen wird. Deshalb kann das, was in einem Bericht steht, eben schon ein bisschen Schnee von gestern sein. Das ist gar nicht weiter verwunderlich.
Viel verwunderlicher ist es mit Blick auf den Berufsbildungsbericht, dass es selbst in dem Rekordwachstumsjahr 2008 nicht gelungen ist, die Zahl der Ausbildungsverträge auch auf ein Rekordniveau zu heben, sondern dass die Zahl 1,5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres lag. Das liegt vor allem daran, dass es zwar gelungen ist, in den alten Bundesländern die Zahl der Ausbildungsverträge um 0,3 Prozent erhöhen, dass aber zur gleichen Zeit in den neuen Bundesländern die Zahl der Ausbildungsverträge um dramatische neun Prozent gesunken ist. Da verwundert mich schon sehr, dass bisher nicht ein Redner, insbesondere von der Bundesregierung, an dieser Stelle auf diesen bemerkenswerten dramatischen Rückgang eingegangen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, drei Ursachen für den Rückgang will ich kurz benennen: Erstens die demografische Entwicklung. Gerade in den neuen Bundesländern wohnen immer weniger junge Menschen, und es wird deshalb immer schwieriger, die Ausbildungsplätze zu besetzen. Das zeigt, dass es eben nicht nur im universitären Bereich, im Bereich des wissenschaftlichen Nachwuchses, Probleme gibt, sondern dass auch und gerade bei den ganz normalen Ausbildungsberufen der Nachwuchs fehlt. Deshalb ist es aus meiner Sicht dringend erforderlich, dass wir analog zu den Bemühungen um wissenschaftlichen Nachwuchs, analog zu den Bemühungen um die Steigerung der Bekanntheit und der Attraktivität der Studienstandorte in den neuen Ländern eben auch klar machen müssen, dass man in den neuen Ländern eine ganz ausgezeichnete Berufsausbildung bekommen kann und dass man natürlich nach dieser Ausbildung mit einer Existenzgründung oder einer Anstellung im Osten eine Zukunft hat und vielleicht auch ein Zuhause finden kann.
Es ist doch absurd, dass wir uns abends in Fernsehsendungen anschauen, wie Menschen in die entlegensten Winkel dieser Welt auswandern, dass es aber unmöglich erscheint, seinen Wohnsitz von Gießen nach Gera zu verlegen. Das verstehe ich zumindest nicht.
Eine zweite wichtige Ursache beschränkt sich nicht auf die neuen Bundesländer. Eine Studie des DIHK zeigt, dass für zwei Drittel der ausbildenden Unternehmen die schulischen Defizite der Auszubildenden ein wesentlich größeres Ausbildungshemmnis darstellen als zum Beispiel die aktuelle wirtschaftliche Situation; nur - in Anführungszeichen - ein Drittel nennt diese Situation als größtes Hemmnis. Deswegen ist es von essenzieller Bedeutung, dass wir mit einem guten Bildungssystem, das im frühkindlichen und vorschulischen Bereich beginnt, jungen Menschen eine Grundlage geben, die sie in die Lage versetzt, eine berufliche Ausbildung erfolgreich zu bewältigen.
Die dritte Ursache, das sind Sie von der Großen Koalition, das ist Ihre Politik der letzten Jahre, die dazu geführt hat, dass gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen belastet werden. Das sind nämlich diejenigen, die die Hauptlast der Ausbildung tragen, und nicht, Herr Minister Scholz, die DAX-30-Unternehmen, die Sie hier erwähnt haben. Sie haben nicht einmal das Wort ?Mittelstand? verwendet.
Die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind bei Ihrer Politik immer die Dummen. Das Ergebnis ist, dass sie selbst in guten Jahren nicht mehr in der Lage sind, die Ausbildungslast zu tragen.
Ob Unternehmensteuerreform oder Gesundheitsreform, es sind immer die kleinen und mittleren Betriebe, die die Zeche Ihrer Politik bezahlen. Das gilt gerade im Osten, wo Ihre Politik verhindert hat, dass die Betriebe in den guten Jahren die viel zu geringe Eigenkapitalquote - das ist das größte Problem dieser Betriebe - erhöhen konnten, um die Ausbildungslast tragen zu können und in Zeiten der Krise noch etwas zuzusetzen zu haben. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Großen Koalition, diese Politik zulasten der kleinen und mittleren Betriebe nicht ändern, dann werden Sie auch in Zukunft ein Problem haben. Die Betriebe werden nicht ausbilden, und dann werden alle Rezepte nichts mehr helfen. Deshalb wollen wir von der FDP auch mit unserem Eintreten für ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem Politik zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe sowie zugunsten der Arbeits- und Ausbildungsplätze in diesen Unternehmen machen, damit die Menschen auch im Osten unserer Republik eine Zukunft haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion.
Dieter Grasedieck (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie, Frau Hinz, wollen das Rad in der Berufsbildung neu erfinden, obwohl das Profil dieses Rades eigentlich schon längst abgefahren ist. Das zeigt die historische Bedeutung dieses Modells. Seit 25 Jahren wird die duale Ausbildung zum Beispiel mit der Fachhochschulreife kombiniert. Lernschwächere, leistungsschwächere Jugendliche werden schon seit etlichen Jahren in vielfältiger Weise durch die Bundesregierung gefördert - übrigens auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition -; das wissen Sie ganz genau.
Der Mittelstand, Herr Barth, trägt die Hauptlast der Ausbildung.
Das Handwerk trägt die Hauptlast der Ausbildung; das war auch im Jahr 2008 so.
Jeder Auszubildende, jeder Jugendliche braucht in der Zukunft eine echte Chance. Minister Scholz wies darauf hin, dass niemand durchs Rost fallen darf. Das ist wichtig. Deshalb brauchen wir Ausbildung. Deshalb brauchen wir Hochschulausbildung. Auch die Technologieführerschaft in der Welt muss erhalten bleiben. Gerade in Zeiten der Krise ist es entscheidend, dass wir das weiter ausbauen.
Wenn Probleme auftauchen, müssen wir helfen. Konkrete Maßnahmen hat diese Koalition längst ergriffen. Die Erfolge sind im Berufsbildungsbericht aufgeführt. Natürlich zeigt der Bericht auch Herausforderungen und Probleme auf. Wir wollen Hilfen bei der Lösung anbieten - immer mit dem Ziel, einen Beruf zu finden. Der Jugendliche braucht eine berufliche Basis.
Für Altbewerber und für benachteiligte Jugendliche zum Beispiel haben wir den Ausbildungsbonus eingeführt. Damit haben fast 13 000 Jugendliche zusätzlich einen Ausbildungsplatz gefunden.
6 000 Euro stellen wir pro Ausbildungsplatz zur Verfügung. Ist das nichts, Frau Hinz? Ist es nichts, wenn wir benachteiligte Jugendliche durch betriebliche Einstiegsqualifizierung fördern? 24 000 Jugendliche sind aufgrund dieses Sonderprogramms vermittelt worden - immer mit dem Ziel, einen Beruf zu finden.
Schlechte Zeugnisse bedeuten häufig auch schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb haben wir vonseiten der Bundesregierung 200 neue Berater eingesetzt. Das ist auch entscheidend. Ist es nichts, wenn man Hilfen im Übergang zwischen Schule und Beruf bietet und Unterstützung leistet? Das ist wichtig.
Innerhalb der Wahlkreise können wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch selber aktiv werden. Ich habe zum Beispiel Patensysteme an den verschiedensten Schulen errichtet. In diesem Rahmen arbeiten drei bis fünf Paten wöchentlich an den Schulen und begleiten die Jugendlichen in den Beruf. Sie führen wichtige Beratungen sowohl für leistungsstarke als auch für leistungsschwächere Jugendliche sowie für Jugendliche mit Migrationshintergrund durch.
Jugendliche brauchen eine berufliche Basis - aus menschlichen Gründen. Das ist für mich ein entscheidender Grund.
Der zweite wichtige Grund ist die bereits angesprochene demografische Entwicklung. Heute suchen 640 000 bis 650 000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Im Jahre 2020 werden es 500 000 sein. Daran erkennt man schon die Dramatik. Die Jüngeren werden weniger und die Älteren mehr. Entsprechend brauchen wir eine langfristige Planung sowohl in den Betrieben als auch im öffentlichen Dienst. An vielen Stellen fehlt es daran, und zwar sowohl in den Betrieben als auch im öffentlichen Dienst. Das ist eine weitere Schwierigkeit.
Auf der einen Seite benötigen wir Facharbeiter, auf der anderen Seite aber natürlich auch Akademiker. Deshalb ist es entscheidend, dass wir vonseiten der Bundesregierung Begleitmaßnahmen ergriffen haben.
Beispielsweise Ingenieure werden dringend benötigt. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat darauf hingewiesen, dass die Quote der arbeitslosen Ingenieure im Jahre 2004 bei 1,5 Prozent lag und heute nur noch 0,7 Prozent beträgt. In der Krise fällt die Arbeitslosigkeit. Das ist ein Hinweis darauf, dass wir diese Ingenieure benötigen. Deshalb ist es wichtig, den Übergang zwischen Beruf und Universität zu erleichtern. Genau das will unsere Bundesregierung erreichen.
Dies kann man nur begrüßen und weiter unterstützen. Dort müssen wir weitermachen. In der Zukunft muss klar sein, dass der Fachwirt, der Meister und der Techniker an Deutschlands Universitäten studieren können. Das muss unser Ziel sein.
Auch bei der Anerkennung der beruflichen Leistung müssen wir in dieser Art und Weise weitermachen. Die berufliche Leistung muss in der kommenden Zeit an der Universität anerkannt werden. Dies ist zwingend erforderlich; denn die Universitäten im europäischen Ausland haben das längst erkannt. Teilweise wird der Abschluss als Techniker oder als medizinisch-technische Assistentin sogar als Bachelor anerkannt, sodass derjenige bzw. diejenige dort ein weiterführendes Studium aufnehmen kann. Diese Initiativen müssen wir fortsetzen.
Zusammenfassend kann man Folgendes feststellen: Unsere Koalition hat eine wirklich erfolgreiche Bildungsarbeit geleistet. Wir müssen damit verstärkt weitermachen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Volker Schneider ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Grasedieck, ich bin Ihnen dankbar, dass wenigstens aus Ihrer Rede deutlich geworden ist, dass berufliche Bildung mehr ist als nur berufliche Erstausbildung und dass gerade heute auch das lebenslange Lernen und die betriebliche Weiterbildung dazugehören.
Wer sich mit dem vorliegenden Berufsbildungsbericht unter dem Gesichtspunkt der Weiterbildung befasst, kann allerdings nur enttäuscht sein. Gerade einmal fünf Seiten widmet das Bildungsministerium reichlich uninspiriert einer belanglosen Aneinanderreihung der laufenden Projekte. Die substanziellste Information ist der erfreuliche Anstieg der Zahl der Geförderten im Sonderprogramm WeGebAU. Sie ist deshalb erfreulich, weil die wichtigen Zielgruppen der Älteren und Geringqualifizierten in den Unternehmen gefördert werden sollen.
Zwischenfazit: Die Würdigung der Weiterbildung durch das Bundesbildungsministerium - leider auch durch Ihre Rede, Herr Minister Scholz - steht im krassen Gegensatz zu den fortlaufenden Beteuerungen von der besonderen Bedeutung lebenslangen Lernens.
Wir als Linke stellen fest: Es reicht nicht, von der Bedeutung lebenslangen Lernens zu reden, sondern wir brauchen eine Politik, die dieser Wertschätzung entspricht.
Wesentlich länger und inhaltlich gehaltvoller fällt der Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung, BIBB, aus. Es ist allerdings auffallend, dass sich das Bildungsministerium in keiner Weise auf die Daten des BIBB bezieht. Wieso eigentlich nicht? Dass sich das Bundesinstitut auf unterschiedliche Studien bezieht - das räume ich ein -, macht es einem leider nicht leicht, die vorhandenen Daten zu interpretieren. So schwanken etwa die Angaben zu den weiterbildenden Betrieben zwischen 43, 69 und 84 Prozent. Man muss schon etwas genauer nachlesen, um festzustellen, dass 2007 nicht einmal die Hälfte der Betriebe im engeren Sinne als weiterbildungsaktiv anzusehen war. Ansonsten hätte das Bildungsministerium sehr wohl nachlesen können, dass, gerade was die zentralen Herausforderungen der Weiterbildungspolitik anbelangt, die Daten keinen Fortschritt, sondern leider oft nur das Gegenteil signalisieren.
Dazu nur einige unvollständige Hinweise: Die Zahl der Eintritte in Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung ist gestiegen. Aber noch immer liegen die Teilnehmerzahlen aufgrund von Veränderungen in der Förderpolitik weit unter den Zahlen der 90er-Jahre; und das angesichts der drohenden Krise.
Die soziale Selektion im Rahmen der Weiterbildung hat nicht abgenommen. Im Gegenteil: Die Weiterbildungsquote von Personen aus einfachen Tätigkeiten ist zurückgegangen, während die der Personen aus qualifizierten Tätigkeiten zugenommen hat. Wir können doch nicht weiter zusehen, wie sich die soziale Schere in diesem Bereich weiter öffnet.
Im Länderranking ist Deutschland zurückgefallen, weil Slowenien und Tschechien an uns vorbeigezogen sind. Die Besserplatzierung bei den Teilnehmerstunden erklärt sich nicht durch den Fortschritt in Deutschland, sondern durch Rückschritte in Großbritannien und Norwegen.
Weniger Unternehmen bieten ihren Beschäftigten betriebliche Weiterbildung an, und weniger Beschäftigte haben an betrieblicher Weiterbildung teilgenommen. Gleichzeitig geben die Unternehmen pro Teilnehmer weniger aus. Insgesamt - ich zitiere aus dem Bericht - ?deuten diese Ereignisse darauf hin, dass betriebliche Weiterbildung in Deutschland stagniert bzw. rückläufig ist.?
Kurz: Dieser Berufsbildungsbericht ist ein Dokument des Scheiterns Ihrer Weiterbildungspolitik.
- Das ist aber etwas wenig, lieber Kollege Rossmann.
Sie liefern weder Antworten, wie der im wirtschaftlichen Interesse liegende Qualifizierungsbedarf angemessen gedeckt werden soll, noch verfügen Sie über irgendein Mittel, um zu verhindern, dass sich soziale Benachteiligung auch in der Weiterbildung fortsetzt.
Schaffen Sie endlich einen vernünftigen Rahmen, in dem sich Weiterbildung für Anbieter und Teilnehmer kalkulierbar entwickeln kann. Für die Linke fordere ich zum wiederholten Male die Schaffung eines Erwachsenenbildungsförderungsgesetzes.
Eine letzte Bemerkung an die marktradikalen Freunde auf der rechten Seite des Parlaments: Ein solches Gesetz braucht nicht jedes kleine Detail zu regeln, aber es schafft notwendige Rahmenbedingungen, die auch der Markt der Weiterbildung zwingend benötigt; denn auch dieser Markt ist in seiner unregulierten Form grandios gescheitert.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Schummer für die CDU/CSU-Fraktion.
Uwe Schummer (CDU/CSU):
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Bei allen gesetzlichen Maßnahmen, die denkbar sind, werden wir das, was auch im Berufsbildungsbericht markiert ist, nicht außer Kraft setzen: Der Ausbildungsmarkt folgt dem Arbeitsmarkt. Wenn man zurückblickt, dann stellt man fest: Im Jahre 2005 lag die Zahl der Arbeitslosen bei 5,2 Millionen. Im Dezember letzten Jahres haben wir es durch die Arbeit der Großen Koalition erreicht, dass die Zahl der Arbeitslosen erstmals unter 3 Millionen, genauer: auf 2,98 Millionen Arbeitslose, gesunken ist. Ohne diese drei guten Jahre läge die Zahl der Arbeitslosen heute angesichts der Weltwirtschaftskrise nicht bei 3,6 Millionen, sondern bei 6 Millionen. Deshalb ist es gut, dass die Große Koalition den Arbeitsmarkt in diesen drei Jahren so hervorragend bedient hat und dafür gesorgt hat, dass Beschäftigung wieder möglich geworden ist.
Ein Unternehmer, der in einer globalwirtschaftlich schwierigen Zeit über seine Belegschaft und seine Personalstruktur nachdenkt - das ist klar -, denkt erst einmal an die befristet Beschäftigten. Im Zusammenhang mit der Sicherung der Arbeitsplätze der Stammbelegschaft stellt er dann die Frage: Kann ich mich noch einmal für drei Jahre Ausbildung an einen jungen Menschen binden? Kann ich das verantworten? Deswegen besteht in der jetzigen Zeit die Gefahr einer Erstarrung des Ausbildungsmarktes.
Es ist wichtig, dass wir eines nicht zulassen, nämlich die von Ihnen, Kollegin Hirsch, und Ihrer mehrfach umbenannten SED immer wieder zum Ausdruck gebrachte klammheimliche Freude darüber, dass es den Menschen dreckig geht.
Sie sind die Manager des Elends.
Sie leben davon, dass es Probleme gibt.
Wir hingegen wollen alles dafür tun, dass es den Menschen besser geht als vorher. Das ist eine Botschaft, die ganz entscheidend sein wird. Es gibt eine Interessenidentität zwischen den Menschen und den etablierten Parteien: Wir wollen, dass es den Menschen besser geht, und wir erfreuen uns nicht daran, Kollegin Hirsch, dass es Probleme gibt und es den Menschen schlecht geht.
Die Staatsradikalen, die vor 20 Jahren gescheitert sind, sind genauso wenig Teil der Lösung wie die Marktradikalen, die in diesen Monaten gescheitert sind. Soziale Marktwirtschaft ist ein dritter Weg, der sich immer von den Extremen auf der einen wie auf der anderen Seite unterschieden hat.
- Wer schreit, zeigt damit, dass ich recht habe. Er fühlt sich getroffen.
Für die Ausbildung ist originär die Wirtschaft zuständig und subsidiär der Staat.
Deshalb ist das duale System der Königsweg der Ausbildung. Zwei von drei Jugendlichen absolvieren eine duale Ausbildung. Das sind 1,5 Millionen junge Menschen in 500 000 Betrieben. Diese Unternehmen geben jedes Jahr 30 Milliarden Euro für die berufliche Qualifizierung aus. Was wäre, wenn diese 30 Milliarden Euro von der Privatwirtschaft für die Berufsausbildung nicht mehr mobilisiert würden? Handwerk und Mittelstand tragen 85 Prozent der Ausbildungsplätze. Deswegen ist die Förderung von Handwerksbetrieben und des Mittelstandes auch Ausbildungsförderung in unserem Lande.
Die Finanzkrise zeigt offenkundig, dass es wichtiger und nachhaltiger ist, in Menschen zu investieren als in irgendwelche kurzfristigen Börsenaktivitäten. Die Krise wird Schleifspuren auf dem Ausbildungsmarkt verursachen. In manchen Arbeitsagenturen, auch in Nordrhein-Westfalen, beträgt der Rückgang der Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze im ersten Quartal etwa 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Deshalb müssen die Instrumente, die wir gemeinsam entwickelt haben, überprüft und als Schutzschirm für die Ausbildung genutzt werden. Ein Beispiel ist die Einstiegsqualifizierung. Mehr als 75 Prozent derjenigen, die dieses halbjährige Praktikum im Rahmen einer solchen EQJ-Maßnahme absolvieren, können weitervermittelt werden. Wir nutzen betriebliche Ausbildungsstrukturen, die integrativ wirken. Auch der Ausbildungsbonus war nie ein Freund der Masse. Auch wenn wir dadurch nicht 100 000 oder 80 000 Jugendlichen, sondern nur 13 000 Jugendlichen helfen, ist das gut.
Die Befürchtung, die von einigen Kammern und Arbeitsagenturen formuliert wurde, es würde ein massenhafter Missbrauch stattfinden, hat sich nicht bewahrheitet. Es hat sich gezeigt, dass die Kammern, die Arbeitsagenturen und die Unternehmen mit diesem Instrument nach den Kriterien, die wir vorgegeben haben, sehr verantwortungsvoll umgehen.
Auch die ausbildungsbegleitenden Hilfen sind ein wichtiges Instrument. Wir müssen überlegen, ob wir sie nicht frühzeitiger einsetzen können. Wir müssen überlegen, ob es sinnvoll ist, sie nicht nur als Interventionsinstrument einzusetzen, wenn es in der Ausbildung kriselt. Vielleicht sollten wir schon zu Beginn der Ausbildung einen Gutschein für Sprachförderung oder andere Förderermaßnahmen ausgeben. Wir müssen das Ganze verbessern und entbürokratisieren.
Maßnahmen zur Förderung der frühzeitigen Berufsorientierung sind wichtige Instrumente. Dadurch konnte laut Berufsbildungsbericht die Abbrecherquote von 24,8 Prozent auf 19 Prozent verringert werden. Das sind etwa 40 000 Abbrecher weniger. Das sind 40 000 junge Menschen mehr, die einen Betrieb gefunden haben, in dem sie ihre Ausbildung bis zum Ende fortsetzen können.
Entscheidend wird sein, dass wir in diesen schwierigen Zeiten - Frau Ministerin Schavan hat es eben formuliert - auch für Auszubildende einen Schutzschirm spannen und dass wir dazu die vorhandenen Instrumente nutzen. Ein solcher Schutzschirm für die Berufsqualifizierung könnte drei Stufen haben. Als erste Stufe könnte es einen Bonus für Ausbildungsbetriebe geben, die offenkundig wirtschaftlich kränkeln und die Ausbildung vielleicht nicht zu Ende führen können. Als zweite Stufe könnte die Kammer beim Ausbildungspakt zusichern, bei Insolvenz eines Ausbildungsbetriebes einen alternativen Ausbildungsbetrieb zu suchen und zu finden.
Als dritte Stufe - wenn das alles nicht hilft - sollte die Möglichkeit bestehen, dass die Qualifizierung bis zur Kammerprüfung in einer Berufsbildungswerkstatt fortgesetzt werden kann.
Das kostet nicht mehr Geld; wir können das mit den nicht abgerufenen Mitteln aus dem Bonusprogramm hervorragend finanzieren. Deshalb glaube ich, dass ein solcher Schutzschirm für Auszubildende nicht nur im Falle der Insolvenz angesichts der jetzigen Schwierigkeiten notwendig ist, sondern wir mit dieser Debatte signalisieren müssen: Wir garantieren politisch subsidiär, dass jede Qualifizierung zu Ende geführt werden kann.
Meine lieben Freunde, seien Sie gegen alle Miesmacher dieser Welt und im Sinne des Berufsbildungsberichtes Mitmacher und Mutmacher für eine bessere Ausbildung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Willi Brase für die SPD-Fraktion.
Willi Brase (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute Morgen bei Eintritt in die Tagesordnung unsere beiden Minister Frau Schavan und Herrn Scholz gehört. Ich habe den Eindruck, dass hier zwei Bildungsminister zu diesem wichtigen Thema gesprochen haben.
Das zeigt, dass das Thema Bildung mittlerweile in der Bundesregierung ressortübergreifend angekommen ist. Ich finde, das ist heute Morgen ein gutes Signal.
Wir wissen, dass der Bericht gute Zahlen beinhaltet. Aber wir wissen genauso, dass sich in der Realität etwas entwickelt, aufgrund dessen wir mehr Gas geben müssen. Ich bin Uwe Schummer und anderen dankbar, die darauf hingewiesen haben, dass man fragen muss: Wie schaffen wir es, dass auch in diesem Ausbildungsjahr - also bis Ende September bzw. in der Nachvermittlung bis zum 31. Dezember - genügend Ausbildungsplätze angeboten werden? Ich will ausdrücklich die Aussage unseres Ministers Olaf Scholz unterstützen. Wir müssen heute klipp und klar sagen: Wir erwarten von den Unternehmen, dass sie insgesamt mindestens 600 000 Ausbildungsplätze für die jungen Leute in diesem Jahr zur Verfügung stellen.
Wir sind der Auffassung, dass es gelingen kann. Es gibt immer noch Unternehmen, die ausbildungsfähig sind und nicht ausbilden.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung legte 2007 eine Erhebung über die Kosten der dualen Ausbildung vor. Sie hatte mehrere Ergebnisse. Ein Ergebnis war, dass die Kosten für Unternehmen geringer geworden sind gegenüber denen, die in der Studie von 2000 genannt wurden. Die Nettokosten betragen durchschnittlich etwas über 3 500, fast 3 600 Euro. Natürlich sind die Kosten in bestimmten Bereichen im industriellen Sektor größer als zum Beispiel im Handwerk, wo eine Hochqualifizierung in Teilbereichen nicht notwendig ist. Das heißt, im Handwerk liegen die Nettokosten oft unter diesem Betrag.
Wenn das der Fall ist, ist es mit Blick auf den Ausbildungsbonus eigentlich kein Problem für kleine und mittlere Betriebe, zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten; denn der Ausbildungsbonus beträgt 4 000 bis 6 000 Euro. Wir erwarten, dass die Unternehmen, die bisher nicht ausbilden, endlich dieses Instrument nutzen und eine vernünftige Zahl betrieblicher Ausbildungsplätze erreicht wird.
Ein weiterer Bereich, der angesprochen werden muss - ein Kollege hat es eben gesagt -, betrifft die Weiterbildung. Ja, es ist richtig: Das Programm WeGebAU ist schleppend angelaufen. Aber in der Praxis erlebe ich, dass WeGebAU gerade im Zusammenhang mit Kurzarbeit sehr deutlich und sehr viel stärker auch in anderen Bereichen, die nicht alle vorgegebenen Kriterien erfüllen, genutzt wird. Ich glaube, wenn Weiterbildung Sinn macht, dann in Zeiten von Kurzarbeit. Man sollte dieses Instrument zur besseren Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nutzen.
Deshalb werden wir zukünftig sagen können: Dieses Instrument, WeGebAU, ist ein voller Erfolg.
Olaf Scholz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir den jungen Leuten eine Perspektive geben wollen und geben werden. Die SPD will, dass alle Jugendlichen einen Schul- bzw. Bildungsabschluss erhalten. Das Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses haben wir bereits auf den Weg gebracht. Außerdem wollen wir eine Berufsausbildungsgarantie für Jugendliche, die älter als 20 Jahre sind. Dieses Thema wird in Zukunft immer bedeutender.
Schon heute verzeichnen die zuständigen Stellen - sprich: die Kammern - Ausbildungsverträge von jungen Leuten, die erst mit 23, 24, 25 oder 26 Jahren mit einer Ausbildung angefangen haben. Angesichts der demografischen Entwicklung kann ich nur sagen: Wir sind gehalten, auch älteren jungen Erwachsenen, die keinen Berufsabschluss haben, den Weg zu einem Berufsabschluss zu ebenen. Das ist zwingend notwendig.
Lassen Sie mich noch etwas zum Übergangssystem sagen. Frau Hinz, eines verstehe ich nicht: Damals unter Rot-Grün haben wir den Versuch unternommen, durch die Schaffung eines neuen Instruments bestehende Instrumente in ihrer Vielfältigkeit zurückzudrängen. Wenn wir es schaffen, die Einstiegsqualifizierung, EQ, aus den Bereichen, in denen damit Missbrauch betrieben wird, wegzudrücken und die Qualifizierungsbausteine, die es dort schon gibt, ein Stück weit zu schärfen, dann kann mithilfe der Einstiegsqualifizierung - ein Jahr in einem Betrieb - den Jugendlichen, die noch nicht stark genug sind, der Weg in eine drei- oder dreieinhalbjährige Ausbildung, nicht unbedingt in eine zweijährige Ausbildung, geebnet werden.
Ich glaube, diese Entwicklung ist besser. Es wird sich zeigen - der Staatssekretär ist, wie ich sehe, hier -, dass wir dann auch weniger BvB-Maßnahmen nach SGB III brauchen. Daran lässt sich diese Entwicklung nämlich konkret messen, vor allen Dingen in der Praxis. Wir sind dafür, so vorzugehen.
Die Berufsorientierung in der Schule muss wesentlich gestärkt werden; das wissen wir. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir mit den Programmen des BMBF schon den richtigen Weg eingeschlagen haben. Wenn wir diese Maßnahmen ausweiten, werden wir es schaffen, die Berufsorientierung an den Schulen, auch wenn wir hier keine direkte Kompetenz haben, zu verbessern.
Das ist deshalb notwendig, weil die Ausbildungswünsche der Jugendlichen und die reale wirtschaftliche Lage bzw. die vorhandenen Arbeitsplätze in manchen Regionen nach wie vor nicht übereinstimmen. Es muss uns in Zukunft gelingen, beides miteinander zu verbinden. Die Jugendlichen müssen wissen, welche Branchen, Industrien und Handwerksbereiche es in ihrer Region gibt, und wir müssen uns bemühen, dieses Angebot mit ihren Ausbildungswünschen zu vereinbaren. Wir wollen die Berufsorientierung an allen Schulen verbessern.
Ausbildungsbegleitende Hilfen und Berufseinstiegsbegleitung werden, wie ich dem Votum des Hauptausschusses des BIBB und dem Minderheitenvotum der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer entnommen habe, begrüßt. Wir werden sogar aufgefordert, diese Hilfen auszuweiten. Wenn wir diese Instrumente zukünftig noch besser und geschickter anwenden, tun wir für die jungen Leute etwas sehr Gutes. Dann geben wir ihnen auch eine gute Perspektive.
Zum Schluss. Vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage werden in dieser Debatte auch vonseiten der Gewerkschaften einige berechtigte Forderungen erhoben, die ich ausdrücklich befürworten möchte. Die Gewerkschaften fragen zum Beispiel: Was passiert mit den jungen Leuten, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben? Wenn wir sagen, dass durch das Ausbilden von heute der Fachkräftebedarf von morgen gedeckt wird, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass diejenigen, die ihre Ausbildung in diesem oder im nächsten Jahr abschließen, eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.
Die SPD möchte eine Beschäftigungsbrücke bauen. Wir wollen die jungen Leute in den Arbeitsmarkt integrieren und denen, die kurz vor der Verrentung stehen, die Chance geben, im Rahmen einer vernünftigen Altersteilzeitregelung aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Eine solche Beschäftigungsbrücke werden wir in den nächsten Jahren brauchen. Daher werden wir sie auf den Weg bringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/12640, 16/12680 und 16/12665 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Es sieht so aus. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
500 000 Arbeitsplätze - Existenzsichernd und öffentlich gefördert
- Drucksache 16/12682 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Sicherheit und Zukunft - Initiative für ein sozial gerechtes Antikrisenprogramm
- Drucksachen 16/12292, 16/12485 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Gute Arbeit - Gutes Leben
Initiative für eine gerechte Arbeitswelt
- Drucksachen 16/6698, 16/12469 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Pothmer
Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinbarung die Aussprache 75 Minuten dauern. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Werner Dreibus für die Fraktion Die Linke.
Werner Dreibus (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! 6 Prozent minus drohen der Wirtschaft, Hunderttausende Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Die Menschen brauchen jetzt Schutz vor den Auswirkungen der Krise. Deshalb fordern wir einen Schutzschirm für Menschen.
Wir legen Ihnen dazu in drei Anträgen detaillierte konkrete Vorschläge vor.
Nach wie vor hilft die Große Koalition vor allem maroden Banken. Auch der Wirtschaftsgipfel vom gestrigen Tag ändert daran leider nichts. Allein einer einzigen Bank, der HRE, schieben Sie mehr Geld zu, als Sie für die Rettung von Arbeitsplätzen auszugeben bereit sind, Ihre Konjunkturprogramme inbegriffen. Sie reden davon, dass die Banken zu bedeutend für die Wirtschaft sind, als dass wir sie pleitegehen lassen können. Das mag so sein. Aber dann müssen Sie, dann müssen wir auch von den Arbeitsplätzen von Millionen Menschen sprechen, die noch bedeutender sind und deren Verlust wir ebenso wenig hinnehmen können.
Die Menschen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sind systemrelevant. Dazu hört man von Ihnen viel zu wenig. Sie bedienen vor allen Dingen die Interessen derjenigen, die uns die Krise eingebrockt haben. Diejenigen, die unter ihr leiden, speisen Sie mit warmen Worten ab. Beschäftigungsgarantien für die bei Opel Beschäftigten? Fehlanzeige. Hilfen für den Mittelstand, dem die Banken den Kredithahn zudrehen? Fehlanzeige. Investitionen für neue Arbeitsplätze? Fehlanzeige. Beschäftigungsprogramme für Langzeitarbeitslose? Fehlanzeige. Und so weiter.
Keinen einzigen Euro wollen Sie ausgeben, um die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I zu verlängern. Nach Ihrem Willen landen die meisten Menschen, die heute arbeitslos werden, spätestens nach einem Jahr bei Hartz IV.
Auch den Millionen, die schon heute Hartz IV beziehen, bieten Sie keine Perspektive. Sie sind nicht einmal bereit, das Arbeitslosengeld II zu erhöhen, sodass die Menschen würdevoll davon leben können.
Ich nenne nur die Zahl: 2,5 Millionen arme Kinder in Deutschlands Haushalten. Das ist und bleibt eine Schande für unser Land.
Die Koalition redet nur von der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie ignoriert, dass sich dahinter eine tiefgehende humanitäre Krise verbirgt. Angesichts dessen, wie SPD und Union auf die aktuellen Prognosen reagieren, stelle ich mir ernsthaft die Frage, ob die Koalition noch politisch zurechnungsfähig ist.
Sie sind bisher für 2009 von einem Minus von 2,25 Prozent ausgegangen und haben als Gegenmaßnahme Konjunkturhilfen in Höhe von 20 Milliarden Euro beschlossen. Jetzt wird von 6 Prozent minus und von bis zu 1 Million mehr Arbeitslosen ausgegangen. Was macht die Kanzlerin? Sie erklärt, die bisherigen Konjunkturprogramme müssten ausreichen. Genauso gut könnte man behaupten, dass ein Damm, der darauf ausgelegt ist, vor einer Flutwelle von 5 Metern Höhe zu schützen, auch vor einer Flutwelle von 15 Metern Höhe schützt. Doch ein Tsunami ist etwas anderes als das jährliche Frühjahrshochwasser.
Das alles ist realitätsfern, dreist und unverantwortlich.
Zu dieser Realitätsferne gehört auch, dass Sie wohlbegründete Warnungen regelmäßig in den Wind schreiben, selbst wenn sie von Ihnen nahestehenden Leuten kommen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank hat bereits im letzten Herbst einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von bis zu 4 Prozent für möglich gehalten. Sie und Ihre verantwortlichen Minister haben das damals im Bundestag als Panikmache abgetan. Jetzt wissen wir: Wir müssen mit einem Rückgang von 6 Prozent rechnen. Ebenfalls im Herbst 2008 hat der Chef der Bundesagentur für Arbeit davor gewarnt, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu kürzen. Ich habe in der damaligen Bundestagsdebatte gesagt: Nur Geisterfahrer oder Zyniker senken in der Krise die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. - ?Unsinn?, hieß es damals aus Ihren Reihen, ?das Geld reicht allemal, wir haben genug Rücklagen.? In diesem Herbst wird die Bundesagentur mit leeren Händen dastehen.
Die neue Steuerschätzung wird möglicherweise einen Fehlbetrag von 20 Milliarden Euro ausweisen. Bis 2013 werden nach den jetzt vorliegenden Berechnungen in den öffentlichen Kassen krisenbedingt bis zu 200 Milliarden Euro fehlen. Dennoch weigern Sie sich weiterhin beharrlich, die Reichen und Superreichen wenigstens in der Krise stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen: Die Steuern für Spitzenverdiener werden nicht erhöht, große Vermögen werden auch weiterhin nicht besteuert.
Wie wollen Sie denn die Kosten der Krise schultern? - Wir haben eine schlimme Befürchtung: Sie holen sich das Geld bei den Beschäftigten, bei den Arbeitslosen und bei den Rentnern,
selbstverständlich erst nach der Bundestagswahl.
Dann heißt es wieder, alle müssten jetzt den Gürtel enger schnallen. Aber Sie meinen immer nur diejenigen, die sowieso schon nicht viel haben. Das ist Politik gegen die Menschen.
Da kann die SPD noch so schöne Sachen in ihr Programm schreiben. Mit Ihrem Wunschpartner FDP - das werden wir gleich noch hören -, werden Sie davon nichts umsetzen können, und Sie wissen das. Trotzdem täuschen Sie die Wählerinnen und Wähler. Die nächste Umverteilung von unten nach oben hat Herr Steinbrück mit seinem Weg zu den Bad Banks schon eingeleitet. Der Finanzminister redet von einem ?Risiko für Steuerzahler, das bleibt?. Auf gut Deutsch heißt dies: Wenn sich die faulen Wertpapiere auf Dauer als unverkäuflich erweisen, dann zahlen halt die Steuerzahler die Zeche. Den Banken kann man das ja nicht zumuten.
Wir fordern die Bundesregierung auf, ihre Krisenpolitik zu ändern. Verteilen Sie die Kosten der Krise gerecht! Ein erster Schritt ist eine Millionärsabgabe.
Eine Abgabe von 5 Prozent auf hohe Vermögen für die Zeit der Krise bringt den öffentlichen Kassen 80 Milliarden Euro jährlich.
Zweitens fordern wir Sie auf, mit diesem Geld einen Schutzschirm für Menschen zu spannen: Verlängern Sie jetzt die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I und erhöhen Sie das Arbeitslosengeld II!
Legen Sie einen Zukunftsfonds auf, der Unternehmen bei der Umstellung der Produktion auf energie- und rohstoffeffiziente Verfahren und Produkte unterstützt und so bestehende Arbeitsplätze sichert und neue Arbeitsplätze schafft! Bauen Sie die sozialen Dienstleistungen in der Kinderbetreuung, der Altenpflege, der Bildung und anderswo aus und schaffen Sie dazu eine Million neuer Arbeitsplätze! Wann, wenn nicht jetzt?
Richten Sie 500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze für diejenigen ein, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben! Details finden Sie in unserem Antrag. Sichern Sie Beschäftigung, indem Sie anstelle von Leiharbeit, befristeten Verträgen und Minijobs gute Arbeit, also das unbefristete und tariflich entlohnte Beschäftigungsverhältnis, fördern! Dies hilft dem Einzelnen, aber auch der Nachfrage und damit tatsächlich der Konjunktur.
Die Krise hat auch etwas mit der Selbstherrlichkeit von Managern zu tun, die meinten und immer noch meinen, der Börsenkurs sei das Wichtigste. Das Wichtigste im Unternehmen sind und bleiben aber die Menschen, die in den Betrieben arbeiten und die Werte schaffen. Deshalb ist ein wichtiger Teil unseres Antikrisenprogramms der Ausbau, die Stärkung der Mitbestimmung und eine Beteiligung der Beschäftigten an den Unternehmen.
Nur so werden die Menschen in die Lage versetzt, ihre Interessen am Schutz von Arbeitsplätzen, an Löhnen und guten Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Die Grundlage unseres Sozialstaats bilden die Arbeitslosen-, die Gesundheits- und die Rentenversicherung. Deren Funktionsfähigkeit wurde durch Ihre Kürzungspolitik in den letzten zehn Jahren erheblich belastet und eingeschränkt.
Die Krise führt jetzt zu weiteren Belastungen. Deshalb - auch dies gehört zu unserem Thema - brauchen wir sofort so etwas wie eine Staatsgarantie für die Sozialkassen. In der Krise und danach müssen Kürzungen bei den Leistungen für Arbeitslose, Kranke und Rentner verbindlich ausgeschlossen werden.
Auch das ist Teil eines notwendigen Schutzschirms. Retten Sie nicht die Spekulanten, schützen Sie die Menschen! Das ist das Antikrisenprogramm der Linken, und es sollte ein Antikrisenprogramm des Deutschen Bundestages insgesamt werden.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nachdem der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe einen wesentlichen Teil seiner Bemerkungen den Vertretern eines Teils der Opposition jetzt gerade schon privat erläutert hat, verbleiben ihm 14 Minuten für eine Rede an das gesamte Haus. - Lieber Kollege Brauksiepe, Sie haben das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön.
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich untertänigst für die Maßregelung.
Ich will deutlich sagen: Herr Kollege Dreibus, es tut mir schon ein bisschen leid für Sie, dass Sie das alles heute hier vortragen mussten. Wenn die zweitkleinste Fraktion des Hauses
hier in der Kernzeit zu so wichtigen Themen Anträge stellt, dann hätte man ja vermuten können, dass jemand aus ihrer vordersten Führungsreihe etwas dazu sagt. Dass diese das nicht tun wollten, liegt aber wahrscheinlich daran, dass die Anträge, die Sie hier heute stellen, wirklich jenseits der Peinlichkeitsgrenze sind.
Man muss sich nur einmal die Titel anschauen. Sie schreiben zum Beispiel: ?500 000 Arbeitsplätze - Existenzsichernd und öffentlich gefördert?. Das ist wunderbar. Wo haben Sie damit angefangen? Was ist mit dem Arbeitsmarkt hier in Berlin? Was haben Sie davon in Mecklenburg-Vorpommern getan, als Sie dort etwas zu sagen hatten? Wo waren die Resultate dieser Arbeit?
Daneben schreiben Sie als Teil eines Titels: ?Gute Arbeit - Gutes Leben?. Nicht Sie persönlich, aber die Regierung, die Ihre Partei stellte, hat am 17. Juni 1953 die Arbeitsnorm erhöht.
1989 haben Sie sich mit einer Ostrente von 330 Ostmark von der Weltbühne verabschiedet.
20 Jahre später meinen Sie, einen Antrag, in dessen Titel ?Gute Arbeit - Gutes Leben? steht, als Beschlussvorlage vorlegen zu können. Wer soll Ihnen das eigentlich glauben? Das können Sie doch wohl selbst nicht ernsthaft glauben.
Sie tun so, als sei es eine Sache des politischen Willens, zu beschließen, dass alle ein gutes Leben führen wollen. Nein, Herr Kollege, das ist eben der Unterschied. Ihre Auffassung teilen Sie mit manchen Finanzmarktjongleuren, die weltweit agiert haben und auch glaubten, dass das Geld einfach so auf der Straße liegt. Das Geld liegt nicht auf der Straße. Renditen von 25 Prozent kann man nicht dauerhaft ehrlich erwirtschaften. Man kann das Geld auch nicht drucken, in der Hoffnung, dass man etwas dafür kaufen kann. ?Gute Arbeit - Gutes Leben? ist bei uns möglich, aber es muss hart erarbeitet werden und nicht durch Phrasendrescherei, wie Sie das hier tun. Das ist der Unterschied.
Die Situation, in der wir uns befinden, ist wirtschaftlich schwierig; jeder weiß das. Es wird ein Jahr der schlechten Nachrichten sein. Wir wissen, dass auch heute Prognosen für die Zukunft gestellt werden, die natürlich große Herausforderungen für uns bedeuten. Für uns als CDU/CSU-Fraktion heißt das, gerade in diesen schwierigen Zeiten den Kurs zu halten, den die Regierung unter Angela Merkel in den letzten Jahren mit großem Erfolg eingeschlagen hat.
Wir haben eben eine Wirtschaftskrise und keine Systemkrise. Es ist jetzt insbesondere nicht die Zeit, in der gescheiterte Ideologien von anno dazumal wieder aufkommen. Es ist eine Wirtschaftskrise, die wir durch eine gute Politik nach den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft wieder überwinden werden. Das werden Sie in den nächsten Jahren erleben.
Wenn man sich vor Augen führt, dass wir jetzt seit über einem halben Jahr mit dieser Krise zu tun haben, dann merkt man, dass wir es mit einer Situation auf dem Arbeitsmarkt zu tun haben, die vergleichsweise robust ist. Es hat sich gelohnt, dass auf dem Arbeitsmarkt Anstrengungen unternommen und wichtige Reformen durchgeführt worden sind. Nach drei Jahren haben wir fast 2 Millionen Arbeitslose weniger. Wir haben über 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geschaffen, und wir sind hinsichtlich der Arbeitslosigkeit jetzt noch immer fast auf dem Niveau des Vorjahres.
An dieser Stelle will ich auch noch einmal deutlich sagen: Wenn man Millionen zusätzliche Arbeitsplätze schafft, dann sind darunter immer schlechter und besser bezahlte Arbeitsplätze; das ist wohl wahr. Ich will aber auch in diesen Tagen noch einmal sagen: Obwohl es jetzt insgesamt wieder eine schwierigere Lage auf dem Arbeitsmarkt gibt, geht der Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland weiterhin voran. Wir haben heute weniger Langzeitarbeitslose als früher.
Was uns von denjenigen unterscheidet, die eine Systemkrise herbeireden wollen, ist folgende Erkenntnis: Wenn jemand beispielsweise nach einer Arbeitslosigkeit von drei Jahren für 9,60 Euro pro Stunde wieder eine Beschäftigung findet, dann ist das nach der amtlichen Statistik ein Niedriglohnjob, weil das weniger als zwei Drittel des Durchschnittslohns ist; denn zum Glück sind die Durchschnittslöhne in diesem Land hoch. Wenn jemand eine große Familie hat, dann muss er vielleicht noch aufstockende Leistungen erhalten. Dass das Wort dafür ?Arbeitslosengeld II? heißt, ist sicherlich keine ruhmreiche Erfindung.
So mag ein Aufstocker oder ein Niedriglohnbezieher mehr in der Statistik sein, vor allem aber ist das ein Langzeitarbeitsloser weniger. Der Trend der erfolgreichen Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit setzt sich fort. Darum geht es uns im Gegensatz zu Ihnen.
Auch wenn Sie in der Sache keine Erfolge vorzuweisen haben, haben Sie an der Propagandafront durchaus Erfolge erzielt, das will ich Ihnen zugestehen. Obwohl wir für den Kreis der ehemaligen Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfänger heute deutlich mehr Geld ausgeben, als das in der Zeit der getrennten Rechtskreise der Fall war, haben Sie es geschafft, den Eindruck zu erwecken, als wäre an dieser Stelle das große Elend ausgebrochen. Ich will im Zusammenhang mit den Leistungen gerade im Hinblick auf die Kinder sagen: Diese Regierung hat dafür gesorgt, dass diejenigen, die am wenigsten haben, eine Leistungsausweitung bekommen. Wir wissen, dass das zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendig ist.
Wir reden in diesen Tagen über vieles - über die Abwrackprämie, über das Kindergeld, über was auch immer -, was eigentlich anrechnungsfrei sein sollte. Die Einführung des Arbeitslosengelds II hat dazu geführt, dass heute die betroffenen Kinder aller Altersstufen deutlich besser dastehen als in der Zeit der getrennten Systeme. Der Abstand zwischen dem, was die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die die Kinderregelsätze erwirtschaften, als Kindergeld für ihre Kinder bekommen, und dem, was diejenigen, die nicht arbeiten, von dem bekommen, was andere erwirtschaften, ist in allen Gruppen größer geworden. In diesem Jahr wird es das Schulstarterpaket für alle Kinder geben, deren Familie vom Arbeitslosengeld-II-Bezug lebt, ferner sind die Regelsätze angehoben worden. Auch die Renten steigen in diesem Jahr. Diejenigen, die Kindergeld bekommen, erhalten 120 Euro mehr. Diejenigen, die für die 6- bis 13-jährigen Kinder einen erhöhten Regelsatz bekommen, bekommen 340 Euro mehr in diesem Jahr.
Wir stehen dazu, weil wir wissen, dass wir diejenigen, die am unteren Rand der Einkommensskala sind, nicht vergessen dürfen. Für uns ist im Gegensatz zu Ihnen aber auch klar: Jeder Euro, den einer bekommt, muss von einem anderen erwirtschaftet werden, und jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Das haben Sie über Jahrzehnte vergessen oder bis heute nicht begriffen. Jeder Euro, der einem Hilfebedürftigen gegeben wird, muss von jemandem erwirtschaftet werden, der dafür morgens aufsteht, zur Arbeit geht und somit diesen Sozialstaat finanziert. Das sollten Sie sich merken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Deshalb verstecken wir uns nicht mit dem, was wir für die bedürftigen Menschen geleistet haben. Mit der gleichen Deutlichkeit sagen wir: Es müssen sich auch diejenigen in der Politik aufgehoben fühlen, die jeden Tag zur Arbeit gehen. Auch diejenigen, die hart arbeiten und sich an die Regeln in diesem Land halten, müssen sich in der Politik wiederfinden. Diese Menschen spielen in Ihren Anträgen niemals eine Rolle, sie stehen aber im Mittelpunkt der Politik, die wir in der Großen Koalition machen und für die wir als CDU/CSU stehen. Genau dafür stehen wir.
- Ja, eine neue Regierung tut nach einigen Jahren gut. Herr Niebel, damit Sie da erfolgreich mitmachen können, müssen Sie sich ein bisschen anstrengen. Dann müssen Sie auf das zurückkommen, was wir früher einmal gemeinsam gemacht haben.
Die Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme haben wir nie gemeinsam betrieben. Solange Sie diese fordern, können Sie auch nicht wieder regieren, so einfach ist die Sache.
Wir werden denjenigen Menschen, die hart arbeiten und sich an die Regeln halten, nicht mit einer populistischen Reichensteuer und Ähnlichem antworten. Das ist leider auch das Problem unseres Koalitionspartners. Sie als Sozialdemokraten werden einen Wettlauf mit der Linkspartei um Linkspopulismus nie gewinnen. Mit einem Steuerkonzept, durch das Sie der Mittelschicht - den Leistungsträgern in unserem Land - überhaupt nichts zu bieten haben, werden Sie bei den Wählerinnen und Wählern nichts gewinnen. Wir stehen dafür, dass die Leistungsträger, dass die Bezieher der kleinen und mittleren Einkommen in diesem Land entlastet werden, damit sie wissen: Es lohnt sich, zu arbeiten.
Von ihnen wird Solidarität verlangt, aber sie haben auch etwas von der Leistung, die sie selbst erbringen. Das ist auch ein wichtiger Unterschied.
Wenn wir die Debatte über Mindestlöhne in diesen Zeiten sehen, dann wird klar, dass wir mit unserer Politik als CDU/CSU genau auf dem richtigen Weg sind.
Sie können als Linkspartei mehr Geld für alle versprechen. ?Mehr Geld für alle? - das ist Ihr Programm:
mehr Geld für diejenigen, die arbeiten, und mehr Geld für die, die nicht arbeiten. Wo es herkommt, bleibt Ihr Geheimnis. Es muss aber erarbeitet werden.
Man muss sich wundern, wenn von Sozialdemokraten heute zu hören ist, dass sie sich ärgern, weil die Linkspartei einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro fordert.
Das hält die SPD für eine Sauerei. Sie fordert nur 7,50 Euro und wird jetzt überboten. So was kommt von so was. Wenn man einmal anfängt zu fordern, der Staat solle die Löhne festsetzen, dann kommt man in einen Überbietungswettbewerb, aus dem man nicht mehr herausfindet.
Diesen Kampf können Sie nicht gewinnen. Sie hätten besser gar nicht damit angefangen. Wir hätten besser von vornherein gemeinsam auf die Tarifvertragsparteien und die Tarifautonomie gesetzt. Das ist der Weg, den wir eingeschlagen haben.
Was die Konjunkturpakete angeht, die wir in der Großen Koalition beschlossen haben, sind wir nach meiner festen Überzeugung auf dem richtigen Weg. Es geht darum, in dieser schwierigen Krise das Signal zu senden, dass es sich lohnt, wenn die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Betrieben diese schwierige Krise gemeinsam durchstehen, wenn sie beieinanderbleiben, wenn die Arbeitgeber die Beschäftigten weiterqualifizieren, statt sie in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, und wenn Kurzarbeit da, wo sie notwendig ist, auch durchgeführt wird, aber die Menschen nicht auf die Straße gesetzt werden. Das können wir arbeitsmarktpolitisch tun, um die Menschen auch in dieser schwierigen Zeit zu entlasten. Wir setzen darauf, dass Weiterbildung betrieben wird und der vorhandene gesetzliche Rahmen ausgeschöpft wird.
Wir haben in den guten Jahren der Regierung Merkel Reserven angehäuft. Das gilt für die Rentenkassen und die Arbeitslosenversicherung. Wir haben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Arbeitslosenversicherung keine Sparkasse ist. Deswegen nutzen wir jetzt die Reserven, um in dieser schwierigen konjunkturellen Phase gegenzusteuern. Aber auch hier gilt: Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um weitere kostenträchtige Programme draufzusetzen. Wir sollten nicht das, was wir selbst gemacht haben, schlechtreden, sondern es erst einmal wirken lassen. Es ist ein gutes Angebot, um die Menschen in Arbeit und Beschäftigung zu halten. Darum geht es in dieser Zeit.
Wir setzen auf einen Kurs, der wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet. Was die soziale Gerechtigkeit angeht, müssten Sie noch ein bisschen üben, Herr Kollege Niebel. Wenn Sie aber kräftig üben, dann können wir das gemeinsam hinkriegen.
Dies ist nicht die Zeit, um die Rezepte von anno Tobak wieder vorzulegen. Es geht vielmehr darum, mit einer Politik der sozialen Marktwirtschaft und der sozialen Gerechtigkeit Kurs zu halten.
Diese Politik werden wir auch in diesen schwierigen Zeiten weiterverfolgen. Gute Arbeit und gutes Leben müssen erwirtschaftet werden. Sie sind am besten unter den Rahmenbedingungen möglich, für die nicht Sie und alle anderen stehen, sondern die die CDU/CSU bietet.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dirk Niebel für die FDP-Fraktion.
Dirk Niebel (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann und muss den Linken normalerweise einiges vorwerfen, aber einen Vorwurf darf man ihnen heute nicht machen, nämlich dass sie die vorliegenden Anträge allein wegen der bevorstehenden 14 Wahlen eingebracht haben. Diesen Unsinn beantragen die Linken in diesem Hause schon seit mindestens drei Jahren regelmäßig, bloß nicht so komprimiert wie heute.
Heute beschäftigen wir uns mit Anträgen der Linken, die nicht neu sind, sich aber in der Populismusquote graduell von den bisherigen Anträgen unterscheiden. Allein im Bereich des Arbeitsmarktes wird eine bemerkenswerte Liste von Forderungen erhoben: die Einführung der paritätischen Mitbestimmung in allen Unternehmen ab 500 Beschäftigten, gleichzeitig die Zwangsbeteiligung der Beschäftigten an Unternehmen, ein mit 100 Milliarden Euro ausgestatteter Zukunftsfonds, 1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse in sozialen Diensten, 500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze, die Verlängerung des Arbeitslosengelds I, die Erhöhung des Arbeitslosengelds II, die Einführung des Mindestlohns, die Arbeitszeitverkürzung, die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, die Ausdehnung der Altersteilzeit und die Millionärsabgabe. Was noch fehlt, ist der von Oskar Lafontaine geforderte Spitzensteuersatz von 80 Prozent.
Das, was Sie hier fordern, könnte einen fast vermuten lassen, dass Sie absolut keine Ahnung haben, was vor 20 Jahren in diesem Land mit der Staatswirtschaft passiert ist. Das, was Sie hier fordern, führt mich zu der Schlussfolgerung, dass Sie versuchen, uns glauben zu machen, dass die DDR mit all dem, was dort in wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Hinsicht schiefgegangen ist, eine reine Simulation des Westens gewesen ist. Das ist der Grund, warum Sie und mancher bei der SPD versuchen, dieses elendige Unrechtsregime auf deutschem Boden nachträglich zu legitimieren.
Sie versuchen, den Menschen klarzumachen, dass alles geht. Ein ?Wünsch dir was?-Schlaraffenland! Dabei sind Sie auch noch unsozial. Sie fordern nur einen Mindestlohn in Höhe von 8,71 Euro.
Das geht gar nicht; denn wenn der Mindestlohn bei 10,50 Euro läge, dann hätte eine fünfköpfige Durchschnittsfamilie in Deutschland 1 829 Euro netto zur Verfügung. Auch ohne eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes II hat die gleiche Familie aber heute schon Transferleistungen in Höhe von 2 017 Euro zur Verfügung. Warum fordern Sie dann nicht so viel Mindestlohn, dass diejenigen, die arbeiten, wenigstens das bekommen, was diejenigen, die nicht arbeiten, schon heute bekommen? Ich finde, das ist in höchstem Maße unsozial.
Finanzieren sollen das die Reichen. Die Reichen sind nach Ihrem Verständnis die Facharbeiter, die arbeiten gehen und vielleicht mit Überstunden versuchen, sich und ihrer Familie nebenher noch irgendetwas zu ermöglichen. Diese Bundesregierung greift nämlich - wir haben Herrn Brauksiepe gehört, aber inhaltlich nicht wirklich verstanden - der Mitte der Gesellschaft in die Tasche. Diese Bundesregierung und Sie, die Kommunisten auf der linken Seite dieses Hauses, vergessen diejenigen, die den Laden in Deutschland überhaupt am Laufen halten.
Fordern Sie doch einmal ein Wachstumsprogramm für Deutschland, ohne einen Steuer-Cent in die Hand zu nehmen! Ein solches Wachstumsprogramm könnten Sie dadurch gestalten, dass Sie Investitionshemmnisse beseitigen und dafür sorgen, dass Privatleute freiwillig Geld für Dinge geben, die uns alle keinen Cent kosten.
Zwei Beispiele. Diese Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, sie wolle ein bundesweites Flughafenkonzept erstellen. Allein im Bereich des Ausbaus von Flughäfen, und zwar nicht nur der großen, sondern auch der kleinen, gibt es einen Investitionsstau mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro, nur weil diese Bundesregierung das nicht umsetzt, was sie im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, und sich nicht traut, sich zu einigen. Das Gleiche gilt für den konventionellen Kraftwerksbau. Dort gibt es einen Investitionsstau mit einem Volumen von ungefähr 40 Milliarden Euro, nur weil diese Bundesregierung nicht die politische Kraft und nicht den politischen Mut hat, dafür zu sorgen, dass Investitionshemmnisse durch ein einheitliches Energiekonzept - das müsste vereinbart werden - abgebaut werden.
Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Infrastrukturmaßnahmen im Gesundheitssystem. Hier könnte enorm viel privates Geld fließen, wenn man nicht mit dem Gesundheitsfonds Kassensozialismus betriebe, der zu dem führt, was Sie, die Linken, auf Umwegen wieder einführen wollen, nämlich die ?DDR-isierung? der Bundesrepublik.
Eines ist völlig klar: Im Jahre 20 nach dem Mauerfall werden Sie nicht mehr die Chance bekommen, auf Bundesebene politischen Einfluss auszuüben.
Wenn in über 80 Jahren in mehr als 70 Ländern der Welt das Ergebnis des Feldversuches Sozialismus immer das gleiche war, nämlich der Ruf der Menschen nach Freiheit und der Bankrott des Staates, dann liegt das nicht daran, dass die Idee ein wenig falsch umgesetzt wurde, sondern daran, dass Ihre Ideen falsch sind. Deswegen werden Sie auch in diesem Haus keine Mehrheiten bekommen.
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Grotthaus für die SPD-Fraktion.
Wolfgang Grotthaus (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Linken haben wieder drei Anträge vorgelegt - hier kann ich dem Kollegen Niebel nur beipflichten -, die letztendlich die Essenz dessen darstellen, was die Linken in den letzten drei Jahren uns immer wieder vorgelegt haben. Es handelt sich um Anträge, die man unter der Überschrift ?Für eine gerechtere Arbeitswelt? zusammenfassen kann. Tatsächlich wird aber nach dem Motto gehandelt: Schreiben wir noch einmal auf, was uns in all den Jahren eingefallen ist. - Dabei lassen sich auch Vorschläge finden, die falsch sind, Vorschläge, die die Tarifautonomie aushebeln, sowie Vorschläge oder Behauptungen, die schlicht Unsinn sind. Ich sage das so deutlich; denn anders kann ich Ihre Vorschläge nicht verstehen. Herr Dreibus, Sie haben gesagt, wir sollten die Menschen vor den Vorschlägen der Bundesregierung schützen. Ich sage Ihnen: Wir müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land vor Ihren Anträgen schützen, weil sie weltfremd sind und die Tarifautonomie im Wesentlichen aushebeln.
Die Linke stellt in einem ihrer Anträge fest, dass es in den letzten Jahren zu einer gravierenden Erosion bei den normalen Arbeitsverhältnissen gekommen sei und diese durch atypische Beschäftigungsverhältnisse zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ersetzt worden seien.
- Ja, da haben Sie recht. Dazu komme ich noch. - Sie zieht daraus den Schluss, dass es dadurch zu einer Destabilisierung des Sozialversicherungssystems gekommen sei. 1998, vor ungefähr zehn Jahren, waren die gesamten Sozialversicherungssysteme dicht vor dem Bankrott. Ich sage Ihnen mit aller Deutlichkeit: Erst die rot-grüne Regierung hat durch die Wiederbelebung des Arbeitsmarkts und durch die schnellere Vermittlung von arbeitslosen Menschen auf dem Arbeitsmarkt dafür gesorgt, dass sich auch die Sozialversicherungssysteme stabilisieren konnten.
Heute redet außer der Linken keiner mehr vom Bankrott des Rentenversicherungssystems, heute sind die Rentner froh, dass ihre Beiträge nicht in Rentenfonds - bei Lehman Brothers oder bei einer anderen Bank -, sondern in einem sicheren System investiert worden sind. Mit fast 28 Millionen Menschen im Herbst 2008 ist der höchste Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit Bestehen der Bundesrepublik erreicht worden. Dies hat sich zurzeit aufgrund der Wirtschaftskrise verkehrt. Ich will Ihnen die Zahlen trotzdem in Erinnerung rufen, weil man sie Ihnen nicht oft genug sagen kann, weil Sie nur schwarzmalen und weil Sie Ihre Politik letztendlich darauf begründen, Menschen in diesem Staat zu verunsichern. Die Zahl der Erwerbstätigen lag im Jahresdurchschnitt 2008 deutlich über 40 Millionen und damit auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. Es waren in der Mehrzahl nicht atypische Verhältnisse. Auch ich habe die Presse in den letzten Tagen verfolgt, in der zu lesen war, dass der Anteil der atypischen Verhältnisse seit 1997 beträchtlich gestiegen ist, und zwar von 17 auf 25 Prozent. Das ist richtig, und das ist bedauerlich, aber es sind nicht 4,6 Millionen atypische Arbeitsverhältnisse, wie Sie es aufzählen, sondern es waren tatsächlich 3,0 Millionen in 2007 und 3,1 Millionen in 2006.
- Das sind immer noch 3 Millionen zu viel. Da stimme ich mit Ihnen überein. Aber es sind 1,6 Millionen weniger, als Sie formulieren. - Damit wird deutlich, dass Sie mit getürkten Zahlen argumentieren
und dass Ihre Politik eine Politik der Verunsicherung, wie ich es gerade schon dargestellt habe, ist. Sie wollen mit dieser Verunsicherung Wählerstimmen gewinnen. Wir werden dafür sorgen, dass die Menschen in diesem Land Ihnen nicht auf den Leim gehen.
Auch die von Ihnen geforderte Genehmigung von Lohnsenkungen ist für mich nicht nachvollziehbar. Sie hebeln mit solchen Forderungen die Tarifautonomie aus; denn ob es Lohnsenkungen oder Lohnerhöhungen gibt, darüber entscheiden die Tarifvertragsparteien, nur sie. Ich warne davor, dass der Staat in Tarifverhandlungen eingreift. Es kann nicht angehen, dass wir das autonome Recht der Tarifvertragsparteien immer wieder in den Vordergrund stellen und sagen, daran wollten wir nicht rütteln, aber hier wollen Sie - -
- Bei der Zeitarbeit geht es um Mindestlöhne und nicht um die Tarifautonomie im Allgemeinen.
Die von Ihnen geforderten Verbesserungen im Kündigungsschutz sind für mich als ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden nicht nachvollziehbar. Möglicherweise liegt das daran, dass Sie sich von einigen Gewerkschaftern für die nächste Wahlperiode trennen. Sie hätten auf deren gute Ratschläge und auf deren Information nicht verzichten sollen; denn die Gewerkschafter aus den Betrieben hätten Ihnen erzählen können, dass bei Sozialplänen das Alter und die Betriebszugehörigkeit eine entscheidende Rolle spielen. Die hätten Ihnen erzählen können, dass in vielen Tarifverträgen der Schutz von über 55-Jährigen gewährleistet ist. Da frage ich mich: Was wollen Sie damit erreichen? Sie versuchen, die Menschen zu verunsichern, und das wird in Ihrem Antrag - das habe ich gerade schon gesagt - durch die Verfälschung von Zahlen ganz deutlich.
Sie müssen aus unserer Sicht einen anderen Ansatz, einen ganzheitlichen Ansatz suchen. Bedingt durch den demografischen Wandel werden wir in Zukunft die notwendige Wertschöpfung zunehmend mit älteren Beschäftigten erbringen müssen. Ihr Wissen und ihr Können sind unverzichtbar. Dem müssen wir in Zukunft Rechnung tragen. Wir brauchen alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze. Wir wissen, dass lebenslanges Lernen gefordert ist. Auch das ist in der Diskussion zum vorherigen Tagesordnungspunkt schon dargestellt worden. Wir sind der Auffassung, dass die Betriebe eine demografiefeste Personalpolitik betreiben müssen, dass die Gesundheitspolitik, insbesondere die Prävention, in den Betrieben verstärkt werden muss und Formen von intelligenter Arbeitsorganisation erforderlich sind. Das alles muss so gestaltet werden, dass Jung und Alt gemeinsam ihre Interessen in diesen Forderungen wiederfinden.
Eines will ich hier nicht außen vor lassen: Wir müssen uns in den Betrieben auch um die Frauen kümmern.
Wir müssen die Gleichberechtigung der Frauen bei der Bezahlung und bei der Besetzung von Funktionen umsetzen, insbesondere in den Aufsichtsräten und den Vorständen. Angesichts der Reaktionen der Kolleginnen kann ich nur sagen: Frau Kollegin Pothmer,
Ihnen scheint es nicht angenehm zu sein, wenn ein Mann, der Erfahrung im Betrieb gesammelt hat, über dieses Thema spricht.
Ich habe erlebt, wie Frauen im Betrieb niedergemacht werden, weil sie in dem Alter waren, Kinder zu bekommen, und wie mit gewerkschaftlicher und betriebsrätlicher Unterstützung dafür gesorgt wurde, dass Frauen genauso behandelt werden, wie die Männer behandelt worden sind.
Lassen Sie uns darüber nicht unterschiedlich diskutieren, sondern lassen Sie uns - Sie als Frauen und wir als Männer - den Schulterschluss finden, um die gemeinsamen Interessen durchzusetzen.
Fazit dessen, was ich gesagt habe, ist: Nicht die Diskussion - auch Sie haben das gesagt - über die Rente mit 67 ist vorrangig. Vorrangig stellt sich vielmehr die Frage: Wie kann ich eine zusätzliche Humanisierung von Arbeitsplätzen in der Form erreichen, dass die Menschen nach dem Eintritt in die gesetzliche Altersrente ihren Lebensabend gesund verbringen können? Darum geht es, nicht um die Diskussion, ob man ein oder zwei Jahre länger oder kürzer arbeitet.
Ein letzter Punkt. Beim Thema Mindestlohn liegen wir auf einer Linie. Ich sage Ihnen: Der Branchenmindestlohn ist ein Einstieg. Wir wollen einen flächendeckenden Mindestlohn. Dies ist mit unserem Koalitionspartner nicht möglich. Ich habe dem Kollegen Brauksiepe mit großem Interesse zugehört. Ich freue mich auf die Wahlkampfauseinandersetzung.
Wir haben dazu in unserem Wahlprogramm einiges formuliert, Herr Kollege Brauksiepe.
Das sollten Sie sich schon einmal zu Herzen nehmen, um Argumente zu sammeln. Wir warten gespannt auf Ihr Wahlprogramm, um zu sehen, wie Sie zu denen stehen, die nicht von ihrer Arbeit leben können. Es wird sehr interessant sein, ob Sie weiterhin eine staatliche Unterstützung auf Kosten der Steuerzahler vorschlagen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Grotthaus, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Wolfgang Grotthaus (SPD):
Ich komme zum Schluss. - Wir werden auch nicht dem Verlangen der Linken folgen, die mal einen Mindestlohn von 8,44 Euro, mal einen von 8,71 Euro und mal einen von 10 Euro nach dem Motto ?Wünsch dir was? fordern. Wir haben hier unsere klaren Vorstellungen.
Ich sage Ihnen: So, wie Sie es hier machen, kann man Politik nicht gestalten. Deswegen werden wir Ihre Anträge ablehnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Institute haben gerade einen Konjunktureinbruch von 6 Prozent und für das kommende Jahr eine Arbeitslosigkeit von bis zu 5 Millionen Menschen prognostiziert. Trotzdem stellt sich der Bundesarbeitsminister noch vor wenigen Monaten hier hin und stellt Vollbeschäftigung in Aussicht und wiederholt das genau an dem Tag, an dem diese Prognosen auf den Tisch gelegt werden. Das hat mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Das ist Wolkenkuckucksheim.
Ich sage Ihnen: Ein Bundesarbeitsminister, der sich in einer solchen Situation als Traumtänzer herausstellt, ist für unser Land wirklich hochgefährlich.
Wir sind keine Traumtänzer. Wir sagen ganz klar: Eine Krise in dieser Dimension kann allein mit arbeitsmarktpolitischen Instrumenten nicht ernsthaft abgefedert werden. Da muss tatsächlich ein anderes Rad gedreht werden. Wir brauchen ein ganz groß angelegtes ökologisches und soziales Investitionsprogramm, mit dem neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen werden. Alle Institute zeigen uns: Es ist möglich, in den nächsten Jahren 1 Million Arbeitsplätze zu schaffen, wenn wir vernünftig in Bildung und Forschung sowie Ressourceneffizienz investieren,
wenn wir die erneuerbaren Energien vorantreiben und wenn wir umweltfreundliche Technologien fördern. All das ist möglich. Aber Voraussetzung dafür ist, dass die Weichen richtig gestellt werden, und diese Regierung stellt die Weichen eben nicht richtig.
Sie tun so - Herr Brauksiepe hat uns das heute hier in aller Breite vorgetragen -, als handelte es sich um eine schlichte konjunkturelle Delle, die man irgendwie untertunneln müsste. Herr Brauksiepe, dementsprechend sehen Ihre Konjunkturprogramme aus. Diese Ansicht ist aber falsch. Wir haben es mit einer strukturellen, mit einer systemischen Krise zu tun. Es geht um etwas sehr Grundlegendes: Es geht um die Frage, wie wir arbeiten und wie wir wirtschaften. Es geht um die Frage, wie wir Ungleichheiten austarieren und wie wir Gerechtigkeiten herstellen. Weniger als 5 Euro die Stunde für 2 Millionen Menschen in diesem Land - verdammt noch mal, was hat das mit Gerechtigkeit, was hat das mit Austarieren zu tun?
Ihre Konjunkturprogramme - sie umfassen 80 Milliarden Euro! - sind kurzatmig und sind mit keinem ernsthaften Gestaltungsanspruch verbunden. In erster Linie sind sie eines: teuer. Durch sie wird die Neuverschuldung in atemberaubende Höhe getrieben.
Die Rechnung zahlen die nachfolgenden Generationen. Nicht umsonst steht im Grundgesetz, dass die Aufnahme von Schulden an die öffentlichen Investitionen gebunden werden muss, mit denen ein Mehrwert für die Zeit geschaffen wird, in der die Schulden abgetragen werden müssen. Können Sie mir einmal erklären, welcher Mehrwert für die nachfolgenden Generationen zum Beispiel durch die Abwrackprämie geschaffen wird? Mit dieser Abwrackprämie lösen Sie nicht ein einziges Problem. Sie verschieben dieses Problem maximal für ein Jahr; aber dann kommt es in einer größeren Dimension wieder auf uns alle zu.
Es ist doch klar wie Kloßbrühe:
Die Leute, die sich jetzt ein Auto gekauft haben, werden als Kunden in den Autohäusern bis auf Weiteres ausfallen. Klar ist auch, dass diejenigen, die ihr Erspartes für ein neues Auto ausgeben, keine Waschmaschine, keine Möbel und weniger neue Kleidung kaufen.
Mit anderen Worten: Mit der Subventionierung der Automobilindustrie bringen Sie andere Branchen in Schwierigkeiten und treiben da die Arbeitslosigkeit in die Höhe.
Wenn schon Schulden in dieser Dimension gemacht werden, um die Abwärtsspirale zu stoppen - das stellen wir grundsätzlich gar nicht infrage -, dann müssten wir jetzt aus der Not eine Tugend machen und die Weichen für die Zukunft stellen. Kredite zur Erhaltung des Status quo sind wirklich herausgeworfenes Geld. Das ist unverantwortlich mit Blick auf die nachfolgenden Generationen.
Aus der Not eine Tugend machen müssen wir auch in der Arbeitsmarktpolitik. Wir haben das Konzept des Kurzarbeitergeldes immer unterstützt. Das ist in dieser Situation richtig. Wir werden das auch weiter unterstützen; das sage ich hier ganz klar. Das Kurzarbeitergeld hat aber eine begrenzte Wirkung. Es leistet keinen Beitrag, die strukturellen Defizite, die wir seit Jahren auf dem Arbeitsmarkt haben, zu beheben. Einen solchen Beitrag zu leisten, bedeutet in allererster Linie, Qualifizierungsdefizite zu beheben. Sonst wird der Fachkräftemangel, über den heute Morgen schon so viel geredet worden ist, die Wachstumsbremse bei einer hoffentlich wieder ansteigenden Konjunktur. Das bedeutet vor allem, dass wir allen Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung geben müssen.
Wir haben immer noch fast 300 000 Altbewerber. Die Industrie- und Handelskammern gehen von einem Rückgang der Anzahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr von bis zu 10 Prozent aus. Diese Zahl ist heute Morgen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Das heißt doch nichts anderes, als dass diese strukturelle Krise wiederum dazu führen wird, dass weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Ich sage hier ganz deutlich: Das duale System ist gut; das duale System leistet eine qualitativ hochwertige Ausbildung.
Das Problem ist aber, dass es das nicht für alle tut, und das im Übrigen schon seit Jahren nicht. Unser Ausbildungssystem ist von konjunkturellen Schwankungen abhängig. Es ist aber falsch, eine solche Frage wie die Ausbildung, die wichtig für das Individuum, aber auch wichtig für die gesamte Gesellschaft ist, von strukturellen Schwankungen abhängig zu machen.
Die Jugendlichen, die in der jetzigen Krise nicht ausgebildet werden, werden wir brauchen, wenn die Krise vorbei ist. Diese Fachkräfte werden wir dann aber nicht haben.
Wir wollen erstens dafür sorgen, dass alle Jugendlichen eine Ausbildung bekommen. Deswegen haben wir das Konzept ?DualPlus? entwickelt. Wir wollen das duale System nicht ersetzen, sondern wir wollen das duale System unabhängig von Schwankungen machen. Wir brauchen etwas neben dem dualen System, und deshalb bitte ich Sie, unserem Vorschlag zuzustimmen. Wir brauchen hier wirklich eine ganz grundlegende Änderung.
Zweitens müssen wir in dieser Situation die Chance ergreifen, die heute Morgen schon beklagte exorbitant niedrige Akademikerquote in Deutschland anzuheben. Es ist doch klar, dass wir allen Abiturienten, die ein Studium beginnen wollen, einen Studienplatz zur Verfügung stellen. Aber wir müssen auch denjenigen, die jetzt in der Krise bereit sind, ihren Arbeitsplatz zeitlich befristet zu verlassen, um ein Studium zu beginnen, die Chance dazu geben, sodass die Betriebe diesen Arbeitsplatz einem Arbeitslosen zur Verfügung stellen können. Das ist doch die Chance, jetzt die Akademikerquote in Deutschland anzuheben. Die Schweden haben das in der Krise mit großem Erfolg getan.
Drittens müssen wir die Geringqualifizierten endlich für mehr Weiterbildung gewinnen.
Viertens - da haben die Linken nicht ganz unrecht - brauchen wir einen sozialen Arbeitsmarkt, der wirklich funktioniert.
Ich sage es jetzt noch einmal an die Adresse der Regierungskoalition: Ihre Murksprogramme wie ?Kommunal-Kombi? und ?JobPerspektive? funktionieren einfach nicht.
- Nein. Sie haben 100 000 pro Programm avisiert. Die Zahlen sind wirklich jämmerlich.
Deshalb kann ich Ihnen nur raten: Geben Sie Ihre Bockbeinigkeit auf, und stimmen Sie unserem Vorschlag zu, mit dem wir 400 000 Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt strukturell benachteiligt sind, eine Perspektive geben könnten.
Lassen Sie mich abschließend noch Folgendes sagen: Wir werden trotz Kurzarbeitergeld auf eine Massenarbeitslosigkeit zusteuern, und auch dafür brauchen wir Konzepte. Wir brauchen ein Angebot für diejenigen, die in die Arbeitslosigkeit kommen werden. Auch dafür haben wir Ihnen ein Modell vorgeschlagen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Pothmer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich kann Ihnen dieses Modell jetzt nicht mehr in Gänze vorstellen.
- Das ist wirklich traurig.
Es geht bei unserem Vorschlag um eine Transfergesellschaft einer ganz neuen Qualität. Ich verspreche Ihnen, dass wir dazu noch einmal eine Debatte führen werden.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die Unionsfraktion.
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zugegeben, Herr Dreibus: Die Titel Ihrer Anträge, sehr geehrte Kollegen von der Linkspartei, klingen irgendwie immer gut: ?500 000 Arbeitsplätze?, ?Initiative für ein sozial gerechtes Antikrisenprogramm? - zwar nicht mehr ganz frisch, aber immerhin frisch aufgewärmt -,
?Gute Arbeit - Gutes Leben?. - Kurz: Der Inhalt hält nicht, was die Titel versprechen.
Nähmen Sie es in Ihrer Partei mit dem guten Leben ernst, dann würden Sie nicht, wie in Sachsen kürzlich passiert, den Antrag einer Hartz-IV-Empfängerin in den Reihen Ihrer Partei auf kostenfreie Beteiligung an einem Stadtparteitag in Dresden ablehnen. So geht es nicht: Hier Anträge stellen, aber in den eigenen Reihen ganz anders handeln.
Es nützt nichts, Wasser zu predigen und selber Wein zu trinken bzw. mit den eigenen Mitgliedern anders umzugehen, als Sie es mit der gesamten deutschen Bevölkerung vorhaben. Fangen Sie in Ihrer Partei an! Fangen Sie da an, wo Sie Verantwortung tragen, dann kann man Ihnen vielleicht das eine oder andere in Zukunft glauben.
Ich kann gut nachvollziehen, sehr geehrte Kollegen von der Linken, dass Sie vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise ein eigenes Antikrisenprogramm vorlegen wollen; Sie versprechen sich davon ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Wie es ausschaut, leuchtet Ihr Rot im Schatten der Krise längst nicht so kräftig, wie Sie sich das zu Beginn der Krise vielleicht vorgestellt haben.
- Schwarz leuchtet auch nicht so stark, aber man erkennt es zumindest immer und an jeder Stelle.
Schlagzeilen wie ?Linkspartei kann von Krise nicht profitieren? und ?Linke auf dem Tiefststand in der Wählergunst? - das bezieht sich auf die Forsa-Umfrage vom 1. April - sprechen für sich. Die Leute sind nicht so dumm, Ihnen in diesen Zeiten hinterherzulaufen. Ihre Partei dümpelt bei etwa 10 Prozent, dem tiefsten Stand seit März 2007.
Ihre beiden Vortänzer Gregor Gysi und Oskar Lafontaine bekommen laut jüngstem ZDF-Politbarometer bei der Wertung deutscher Spitzenpolitiker Kopfnoten im Minusbereich.
Ihre neuen bzw. aus der Mottenkiste geholten Entwürfe sind reine Mogelpackungen und werden das Blatt auch nicht wenden. Wer hat schon Lust auf Überlebenstraining im sozialistischen Ideenpark und ein sozial ungerechtes Antikrisenprogramm? 75 Prozent der Deutschen finden es laut ZDF-Politbarometer nicht gut, wenn Sie, liebe Kollegen von der Linken, mehr Einfluss auf die Politik im Bund bekommen würden. Das sehe ich - und mit mir die große Mehrheit in diesem Hause - genauso.
Wenn wahr wird, was Sie wollen, sind Berufstätige und Arbeitslose von guter Arbeit in einer gerechten Welt so weit entfernt, wie Sie, liebe Kollegen von der Linken, es jetzt schon von der Regierungsfähigkeit sind. Sie zeigen uns mit Ihren Vorlagen, wie man eine Krise verschärft, anstatt sie zu bekämpfen, und zum Beispiel wirkungsvoll verhindert, dass sich ausländische Unternehmen in Deutschland ansiedeln möchten.
In Ihrem Antrag ?Sicherheit und Zukunft? geben Sie vor, Belegschaften stärken zu wollen, tatsächlich aber wollen Sie das freie Unternehmertum an die kurze Leine legen. Sie wollen zwingend die Zustimmung des Aufsichtsrats aus Anteilseignern und Beschäftigten zu wesentlichen Entscheidungen der Unternehmensführung wie Unternehmensübernahmen, Aktienkauf oder Schließungen. Bei Staatshilfen wollen Sie den Belegschaften Eigentumsrechte an ihren Unternehmen zugestehen.
Genauso ist es bei Ihrem sogenannten Zukunftsfonds. Unternehmen werden erst dann mit Krediten unterstützt, wenn sie Bedingungen zur Beschäftigungssicherung akzeptieren.
Beteiligungen sollen in Form von Belegschaftsbeteiligungen mit Einfluss auf die Geschäftspolitik erfolgen. Damit wäre es für Unternehmer nur schwer möglich, sich in Krisenzeiten zu behaupten. Die größeren Unternehmen im Inland werden sich unter solchen Bedingungen genau überlegen, ob sie es riskieren sollen, in Krisenzeiten ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit zu verlieren. Sie werden darüber nachdenken, ob es sich überhaupt noch lohnt, bei uns zu investieren, oder ob sie vielleicht doch gleich ins benachbarte Ausland wechseln sollten - ganz zu schweigen vom Engagement ausländischer Investoren bei uns.
Das alles erinnert sehr an die Überführung privater Unternehmen in Volkseigentum, wie es in der DDR praktiziert wurde. 20 Jahre nach der Maueröffnung sollten wir derartige Vorstellungen oder Wirtschaftsprinzipien ein Stück weit überwunden haben.
- Ich gebe Ihnen Zeit, ausreichend zu applaudieren, meine Kolleginnen und Kollegen.
- Das kommt schon noch von den Kollegen.
Das Schlimmste ist - Kollege Ernst, gerade Ihnen müsste das wehtun -: Das schwächt die Tarifparteien. In deren Kraft und damit auch in die Kraft der Gewerkschaften scheint die Linkspartei offensichtlich wenig Vertrauen zu haben. Die Tarifautonomie würde auch beschädigt, wenn Sie Ihre Vorstellungen zum staatlich festgesetzten Mindestlohn durchsetzen sollten.
Überhaupt, der Mindestlohn: Wie oft - einige Vorredner, darunter Kollege Niebel, haben das bereits erwähnt - haben wir hier im Deutschen Bundestag schon darüber debattiert? Dennoch betone ich noch einmal: Eine gesetzliche Lohnuntergrenze in der von Ihnen geforderten Höhe hat das Potenzial, weite Teile unseres Arbeitsmarktes von unten stillzulegen und die Tarifautonomie auszuhebeln. Der Staat kann und darf aber nicht Ersatz für die Tarifvertragsparteien sein.
Wohin die Reise geht, wenn die Festsetzung des Mindestlohns in Ihre Hände fallen sollte, kann man an den parlamentarischen Initiativen der Linken gut ablesen. Noch 2006 wollten Sie in Ihrem Antrag ?Mindestlohnregelung einführen? einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde. Im Antrag ?Gute Arbeit - Gutes Leben? von 2007 waren es dann schon 8,44 Euro. In Ihrem Antikrisenprogramm sprechen Sie, liebe Kollegen von der Linkspartei, von einem Mindestlohn von 8,71 Euro,
?wie in Frankreich? - danke, Herr Dreibus; Sie kennen meinen Text -, wo übrigens auch deshalb viele Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor vernichtet wurden. Das ist ein Zickzackkurs, den sogar der Kollege Grotthaus ein Stück weit nicht mitzugehen bereit ist, und das will was heißen.
Ihr Antikrisenprogramm ist überhaupt eine teure Angelegenheit. Da sollen ein Zukunftsfonds von 100 Milliarden Euro geschaffen und soziale Dienstleistungen wie Kinderbetreuung und Altenpflege deutlich ausgeweitet werden. Es sollen 1 Million zusätzliche tariflich entlohnte unbefristete Beschäftigungsverhältnisse sowie 500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze bei einem Bruttogehalt von 1 400 Euro und einer Bestandsgarantie von drei bis fünf Jahren geschaffen werden.
Außerdem wollen Sie den Bezug von Arbeitslosengeld I verlängern sowie das Arbeitslosengeld II auf 435 Euro und den Kinderregelsatz auf 276 Euro anheben.
Womit wollen Sie das bitte schön bezahlen? Mit einer Millionärsabgabe von 5 Prozent auf Vermögen, die 1 Million Euro übersteigen? Damit wären die aufgelisteten Vorhaben nicht einmal annähernd zu finanzieren. Tatsächlich haben sich die Kollegen von der Linken über eine echte Gegenfinanzierung ihrer Vorschläge überhaupt keine Gedanken gemacht und ihre Vorschläge noch nicht einmal ansatzweise durchgerechnet.
Es ist keine Rede davon, dass gerade jetzt Haushaltsdisziplin notwendig ist. Warum auch! Wir haben es hier mit reinen Schaufensteranträgen zu tun.
Wenn Sie nur einen Teil des von Ihnen hier wieder vorgetragenen Staatsradikalismus und dessen verwirklicht hätten, was in den letzten Jahren noch zusätzlich vorgelegt worden ist, dann wäre Deutschland heute längst bankrott. So aber hat die Große Koalition in den letzten Jahren die Weichen so gestellt, dass wir die gegenwärtige Krise einigermaßen gut überwinden können. Natürlich ist nicht alles perfekt oder sofort so angelaufen, wie wir es uns wünschen würden. Die beschlossenen Maßnahmen müssen aber erst einmal Wirkung entfalten, bevor man neue Maßnahmen beschließt. Gute Antikrisenpolitik ist Hilfe zur Selbsthilfe und nur im äußersten Notfall staatliche Intervention.
Liebe Kollegen von der Linken, Sie sehen das andersherum. Bei Ihnen richtet der Staat alles. Er nimmt den Reichen und gibt den Armen. Wir leben aber nicht mit Robin Hood im Sherwood Forest, sondern im Deutschland des Jahres 2009. Dort wollen Sie anscheinend aber gar nicht regieren. Ihr Präsidentschaftskandidat Sodann glaubt fest daran, dass das Experiment, das wir mit der DDR erlebt haben, irgendwann noch einmal von vorne losgeht. Man muss sich das einmal vorstellen.
Wir haben Ihre Anträge gelesen und sagen Ihnen schon jetzt: Das wird nach hinten losgehen. Ein einziges Experiment war da schon zu viel. Trial-and-Error-Sozialismus kann keine Lösung sein - und wird zum Glück keine Lösung sein.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Heinz-Peter Haustein für die FDP-Fraktion.
Heinz-Peter Haustein (FDP):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die drei Figuren Urmel aus dem Eis, Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, gehören alle in die Augsburger Puppenkiste. Diese drei Anträge der Linken gehören geschreddert in eine marxistisch-leninistische Mottenkiste.
Sie nehmen die Finanz- und Wirtschaftskrise zum Anlass, um mit populistischem Gefasel Stimmung zu machen. Ein Satz sei zitiert. Sie schreiben:
Die Regierung verschiebt Milliarden Euro an Steuergeldern an marode Banken ? Für den großen Teil der Menschen tut sie nichts.
Das haut dem Fass den Boden aus. Das Ganze war ein geordnetes parlamentarisches Verfahren. Trotzdem behaupten Sie, hier werde von der Regierung Geld verschoben. Das ist wirklich blanker Populismus,
was mich wiederum auch nicht wundert; denn im Parteiprogramm der Linken sind nach wie vor wesentliche Elemente des Kommunistischen Manifestes enthalten, das zu Stacheldraht, zur Mauer, zu Unrechtsprozessen und letztendlich zum Staatsbankrott geführt hat, liebe Freunde. So etwas nehmen Sie als Vorbild.
Sie wissen ganz genau, dass das Bankenrettungspaket notwendig war und nichts mit Arm und Reich zu tun hat. Wir als FDP, als Patrioten für Deutschland haben dem zugestimmt, damit die Spareinlagen sicher sind und sicher bleiben.
Das Bankenrettungspaket hilft allen, auch Ihnen.
Sie erheben im Weiteren die Forderung nach einem Sammelsurium von Maßnahmen, die bereits mehrfach aufgezählt wurden: paritätische Mitbestimmung, Verschärfung des Kündigungsschutzes usw. Das geht für mich in Richtung volkseigener Betriebe. Diese hatten wir schon einmal. 1972 hat die Vorgängerpartei SED in einer Nacht-und-Nebel-Aktion 11 400 Betriebe praktisch entschädigungslos enteignet. Danach ging es mit der Wirtschaft komplett bergab. Aber genau das fordern Sie letztendlich in Ihren Anträgen.
Das funktioniert nicht. Das weiß man, wenn man diesen Feldversuch erlebt hat.
Ich möchte einen Satz aus Ihrem Antrag aufgreifen. Sie schreiben:
Kleinen und mittelständischen Unternehmen wird jede Unterstützung vorenthalten.
Das stimmt nicht ganz, aber teilweise schon;
denn die Konzerne werden vom Wirtschaftsminister unterstützt, wenn sie Probleme haben, aber beim kleinen Bäckermeister um die Ecke kommt der Gerichtsvollzieher.
Das, was von dieser Großen Koalition als Krisenmanagement oder Ausrichtung insgesamt geleistet wird, ist nicht in Ordnung.
Ich gehe auf einige Punkte ein, die wir umsetzen werden, wenn wir in 147 Tagen gewählt und hier regieren werden: Wir brauchen ein einfaches, gerechtes und niedriges Steuersystem mit Steuersätzen von 10, 25 und 35 Prozent,
mit Freibeträgen, die bei Familien auch für die Kinder gelten, und die Abschaffung der Steuerklasse V zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger.
Des Weiteren brauchen wir eine richtige Unternehmensteuerreform; die Unternehmensteuerreform im vorigen Jahr wurde nur halbherzig durchgeführt. Wir brauchen eine Rücknahme der Zinsschranke. Die Zinsschranke ist Gift in dieser Wirtschaftskrise; sie muss wieder abgeschafft werden.
Pachten, Zinsen, Leasing- und Lizenzgebühren als Grundlage der Gewerbesteuer heranzuziehen, ist abenteuerlich, falsch und kontraproduktiv.
Wir dürfen auch nicht die Beschäftigten der Gastronomie und der Hotellerie vergessen, die sich an Feiertagen hinstellen und die Gäste bedienen, die zu Weihnachten Gänsebraten machen und dann noch dafür bestraft werden, indem sie 19 Prozent Mehrwertsteuer abführen müssen. Wir brauchen einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz für Gastronomie und Hotellerie.
Der Widerspruch ist ja haarsträubend: Auf Hundefutter wird 7 Prozent Mehrwertsteuer erhoben, aber in Gaststätten muss 19 Prozent Mehrwertsteuer bezahlt werden. Das kann nicht sein. Gehen Sie diese Problematik an, sonst machen wir es.
Die Gewerbesteuer muss abgeschafft und durch ein System der Kommunalfinanzierung ersetzt werden, das den Kommunen Sicherheit bringt und sie von Einnahmeschwankungen unabhängig macht.
Ein weiterer Punkt: Die Tarifautonomie muss geschützt werden. Sie ist ein staatliches Gut. Lohndiktate gehören aufgelöst. Mit Mindestlöhnen erreichen Sie nichts; sie sind verkehrt.
Wir müssen die Mittelschicht und den Mittelstand stärken; denn sie ziehen den Karren in diesem Land. Dann wird es mit diesem Land auch wieder aufwärts gehen. Wir haben die Chance. Ihre Anträge sind absolut untauglich.
In diesem Sinne ein freiheitliches Glückauf aus dem Erzgebirge.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme für die SPD-Fraktion.
Anette Kramme (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dreibus, haben Sie heute Abend schon was vor?
Das ist kein unmoralisches Angebot, sondern eher ein Vorschlag zur Weiterbildung.
Der Ullstein-Verlag bietet heute Abend auf einer Lesung einem Politiker eine Plattform, der Ihre Anträge an visionärer Kraft noch überbietet. Er ist CDU-Abgeordneter im Bundestag und Hoffnungsträger seiner Partei. Sein Name ist Dr. Udo Brömme. Von ihm stammt der wundervolle Slogan, der fast schon eine religiöse Wahrheit beinhaltet: Zukunft ist gut für alle. Falls Sie Dr. Udo Brömme nicht kennen: Vor einigen Jahren, als die Harald-Schmidt-Show noch Deutschlands wichtigste Fernsehsatire war, trieb er dort regelmäßig sein Unwesen und verblüffte im Straßenwahlkampf manch echten CDU-Politiker.
Er hatte wie Sie viele Ideen. Doch kurz nach der Bundestagswahl verschwand er sang- und klanglos von der Bildfläche, wie ..., aber lassen wir das.
Natürlich fällt es nicht leicht, den Antrag der Linken abzulehnen.
Mehr Sonnenschein für alle - kann man dagegen sein? Wir Sozialdemokraten sind nicht für schlechte Arbeitsbedingungen. Niemand ist für schlechte Arbeitsbedingungen. Das ist so absurd, dass ich es noch nicht einmal Herrn Kolb zutrauen würde.
Auch wir Sozialdemokraten wollen eine Stärkung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, aus der Ansprüche auf Renten, für Phasen der Arbeitslosigkeit usw. erwachsen. Wir haben dafür etwas getan. Allein zwischen 2006 und 2007 sind zusätzlich 550 000 sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden.
Auch wir wollen einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der Arbeitnehmer vor Ausbeutung schützt und den Staat nicht zwingt, Menschen durch ergänzende Sozialleistungen zu entwürdigen, weil deren Arbeitseinkünfte nicht zum Leben ausreichen.
Deshalb haben wir während der gesamten Legislaturperiode für diese Thematik gekämpft. Wir haben jetzt ein Arbeitnehmer-Entsendegesetz und ein Mindestarbeitsbedingungsgesetz, das mindestens 1,2 Millionen Menschen zusätzlich schützen wird. Das Schöne ist: Das Gesetz ist heute verkündet worden und tritt morgen in Kraft.
Auch wir wollen die Arbeitsbedingungen für die Zeitarbeit verbessern. Auch wir vertreten den Grundsatz von Equal Pay. In der Koalition haben wir ausgehandelt, dass eine verbindliche Lohnuntergrenze kommen soll.
Unser Arbeitsminister hat immerhin sechs Vorschläge unterbreitet.
Ich finde es sehr schade, dass sich die Union an diesbezügliche Absprachen nicht hält. Ich erinnere mich an manch unschöne Debatte über die Leiharbeit, in der einfach und platt gesagt worden ist, die Tarifbindung in der Leiharbeitsbranche sei doch sehr groß. Dabei wissen wir alle, dass die Arbeitsbedingungen in der Leiharbeitsbranche teilweise katastrophal sind: Es gibt Arbeitnehmer in Forchheim mit einem Stundenlohn von 3 Euro. Haustarifverträge, nach denen um 4,50 Euro pro Stunde gezahlt werden, wurden zwar gekündigt, aber sie wirken nach, weil auf sie Bezug genommen werden darf. Deswegen brauchen wir eine Lohnuntergrenze.
Auch wir wollen einen besseren Schutz für Praktikanten. Es kann nicht sein, dass Menschen in sinnlose Warteschleifen geschickt und finanziell ausgebeutet werden.
Auch wir halten eine Streichung der sachgrundlosen Befristung für sinnvoll. Wir haben das sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben. Auch davon hat die Union leider Abstand genommen. Es ist durchaus überlegenswert, einen befristet Beschäftigten zu übernehmen, sobald eine entsprechende unbefristete Stelle vorhanden ist. Wir haben Regelungen, die etwas Ähnliches schaffen - allerdings etwas weniger -, in das Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen.
Einige Punkte der Anträge der Linken sind schön. Sie denken ähnlich wie wir. In diesen Anträgen ist aber auch jede Menge Phrasendrescherei und Talkshowsozialismus enthalten. Das Ganze hat nicht einmal die notwendige Qualität, um in die gute Sagen- und Märchenwelt, die es in Deutschland gibt, aufgenommen zu werden. Selbst dafür ist das Ganze zu platt, zu dumm und an manchen Stellen zu dreist gemacht.
Ich will ein einziges Beispiel nennen.
Ist es wirklich sinnvoll, jegliche betriebsbedingte Kündigung auch in Kleinbetrieben auszuschließen? Das würde bedeuten, dass sich ein Betrieb dieser Arbeitnehmer erst im Falle einer Betriebsschließung entledigen kann. Ich sage: Das ist Unsinn. Arbeitnehmerschutz ist gut und wichtig. Arbeitsplätze zu haben, ist aber auch essenziell.
Dieser Tage verstehe ich vor allen Dingen eines nicht: Sie setzen sich stark mit Arbeitsbedingungen auseinander - das ist wichtig; das sehen wir nicht anders -, aber einen entscheidenden Punkt berücksichtigen Sie überhaupt nicht. Wir müssen in dieser Phase um jeden einzelnen Arbeitsplatz in Deutschland kämpfen.
Dabei geht es um ergänzende Maßnahmen. Wir wissen aus den Erfahrungen, die wir in den fünf neuen Bundesländern gesammelt haben, dass wahrscheinlich jeder industrielle Arbeitsplatz, der in Deutschland einmal abgebaut worden ist, nicht wieder entstehen wird. Deshalb finde ich das, was unser Arbeitsminister gemacht hat, mutig, weil es sehr viel Geld kosten wird, aber auch vom Ansatz her klug: die Ausdehnung des Bezugs von Kurzarbeitergeld.
Kurzarbeit war immer ein sehr teures Instrumentarium. Wir haben die Kurzarbeit für Arbeitgeber viel billiger gemacht. Aber es ist nicht nur ein Instrumentarium, das es Arbeitgebern ermöglicht, diese Krise zu überbrücken. Es ist vor allen Dingen ein Instrumentarium für Arbeitnehmer im Sinne momentaner Sicherheit, aber auch im Sinne des dauerhaften Erhalts von Arbeitsplätzen in der Industrie.
Ich will auch etwas zur Abwrackprämie sagen. Ich komme aus einer Region, die von der Automobilindustrie geprägt ist. Allein in der Region Hof - das hat mir der Landrat gesagt - gibt es 200 Betriebe der Automobilindustrie. Im Gebiet Kronach und Coburg befinden sich große Automobilzulieferer, allein drei Betriebe von Valeo und ein riesiger Betrieb von Brose. Die Industrie in Bamberg besteht fast nur aus Automobilzulieferung: Brose, Michelin, Bosch, Schaeffler und FTE. Wie gesagt: Die Abwrackprämie hat eine Menge Entlastung in meiner Region geschaffen.
Deshalb, denke ich, haben wir hier mehr als sinnvoll agiert. Dass ein gewisses Kaufvolumen abgeschöpft ist, ist klar.
Aber dieses Kaufvolumen der Zukunft vorzuziehen, hat seine Gründe. Wenn die Krise vorbei ist, gibt es auch für andere Marktpotenziale wieder Chancen. Deshalb ist dies jetzt die einzige Chance für den Bereich der Automobilzulieferer.
?Arbeit ist schwer, ist oft genug ein freudloses und mühseliges Stochern, aber Nichtarbeiten ist die Hölle.? Was Thomas Mann vor einhundert Jahren sagte, gilt noch heute.
Arbeit ist die Grundlage unseres Wohlstandes.
So steht es im SPD-Regierungsprogramm, das wir letzten Samstag in Berlin vorgestellt haben.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Kramme, achten Sie bitte auf die Zeit!
Anette Kramme (SPD):
Ich bin innerhalb einer Minute fertig. - Zu einem menschenwürdigen Leben gehört gute Arbeit. Daran glauben wir. Dafür werden wir uns einsetzen, und zwar zusammen mit den Gewerkschaften, den Betriebsräten, den Menschen vor Ort
und vor allen Dingen mit pragmatischer Politik, die Menschen tatsächlich hilft.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion.
Rolf Stöckel (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema der Debatte lautet: Sicherung von Arbeitsplätzen. Ich finde, dass das gerade in diesen Wochen und Monaten ein ernstes Thema ist. Herr Niebel, Sie hätten angesichts der Krise ruhig ein bisschen mehr Demut zeigen können, zumal Marktradikale im Wesentlichen das Zustandekommen der Krise befördert haben.
Ich habe von Ihnen hier zwar eine antikommunistische Rede gehört, aber kein Wort dazu - auch Sie wollen Banken retten und den Mittelstand stärken -, wie Sie Ihre Konzepte und Programme, die vor allen Dingen Staatsverarmung zur Folge hätten, finanzieren wollen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Stöckel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Rolf Stöckel (SPD):
Ich gehe jetzt auf die Vorredner ein, weil es sonst langweilig wäre. Dadurch habe ich schon wenig Zeit, meine Argumente vorzutragen.
Ich komme auch noch auf die anderen Redner zu sprechen. Sie alle könnten dann Zwischenfragen stellen; das geht nicht.
Herr Brauksiepe, Ihre Rede war im Wesentlichen eine Begründung unserer gemeinsamen Arbeitsmarktpolitik. Aber zu den Passagen, in denen Sie uns angegriffen haben, muss ich sagen: Da fehlt Ihnen ein Konzept. Ich hoffe, dass sich CDU und CSU auf ein Wahlprogramm und auch auf ein Programm zur Bewältigung der Krise einigen können. Vom Fehlen eines Konzeptes können Sie mit solchen Reden nicht ablenken.
Frau Pothmer, an dem, was Sie zur Abwrackprämie bzw. Umweltprämie gesagt haben, mag im Rahmen längerfristiger Überlegungen etwas dran sein, aber ich bitte Sie, diese Rede auch bei Opel in Bochum und in Rüsselsheim oder bei VW zu halten,
in den Geschäften und in den Werkstätten, wo im Moment Arbeitsplätze - darum geht es heute - gesichert werden, und zwar durch ein Konzept, das wir Sozialdemokraten vorgelegt haben.
Herr Haustein, eines muss ich - auch wenn es Sie wundern wird - zur Ehrenrettung des Kommunistischen Manifestes sagen. Darin beschreibt Marx die Globalisierung und die Gestaltung der Globalisierung aus seiner Sicht. Wenn die Linkspartei die Globalisierung akzeptieren und Vorschläge zur Gestaltung der Globalisierung machen würde, wären wir in dieser Debatte schon wesentlich weiter.
Das Schlimme ist, dass hier der Schein erweckt wird, die Linke würde im Sinne von Marx argumentieren. In Wirklichkeit ist es so, dass Karl Marx in Highgate in London in seinem Grab rotiert angesichts dieser kleinkarierten national ausgerichteten Wirtschafts- und Sozialpolitik der Linken.
Es ist bereits zu Recht festgestellt worden, dass die Anträge, über die wir heute diskutieren, nach demselben Strickmuster formuliert sind wie eigentlich alle Anträge der Linken: ?Die Lage ist katastrophal; die Regierung tut nichts.? Alle alten und neuen Anträge, die auf Gewerkschaftskongressen und von Verbänden jemals beschlossen worden sind, werden einfach untereinandergeschrieben. Nachhaltige Wirkungen auf die soziale und ökonomische Entwicklung und auf die öffentlichen Haushalte oder Finanzierungsvorschläge - Fehlanzeige! Das ist doch nicht das Problem der Linken. - Diese Form von populistischer Parteitaktik nenne ich verantwortungslos und zynisch gegenüber den Millionen Menschen, die heute aus nachvollziehbaren Gründen Ängste um ihre Zukunft und ihre Arbeitsplätze sowie um die Zukunft ihrer Familien haben.
Sie verbreiten den Irrglauben, die Regierung schenke den Banken und Großkonzernen in der Krise mir nichts, dir nichts Hunderte von Milliarden Euro, da könne man doch gleich überall voll hinlangen. Die Details und die Realisierbarkeit interessieren Sie dabei nicht. Obwohl sich unsere Wirtschaft in der bisher schwersten weltweiten Krise seit 80 Jahren befindet, malen Sie die Situation noch schwärzer und behaupten, der Staat könne mal eben - sozusagen von heute auf morgen - 1,5 Millionen Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst bzw. im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung schaffen. Nein, meine Damen und Herren, mit einer seriösen Analyse der Krise und mit seriöser antizyklischer Politik hat das nichts zu tun. Ich finde, Frank-Walter Steinmeier hatte recht, als er am Wochenende begründet hat, warum die SPD nicht mit den Linken zusammenarbeiten kann.
Er sagte: Unser Land braucht in der schwierigen Zeit, die vor uns liegt, Verantwortung, Stabilität und Erfahrung. Das alles lassen Sie vermissen.
Ich sage Ihnen: Diejenigen, die von manch unangenehmer Botschaft und Reform unter sozialdemokratischer Regierungsmitverantwortung enttäuscht waren, auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, haben Sie und Ihr demagogisches Spiel zunehmend durchschaut. Das Tohuwabohu bei Ihnen ist auch der Hauptgrund dafür, dass sich Ihr Landesverband in NRW gerade wieder in die alten Splittergruppen, aus denen er entstanden ist, zerlegt
und warum Ihr Wahlkampfmanager das Handtuch geworfen hat.
Meine Damen und Herren, zwischen Ihrem Täuschen und dem Ausbeuten der Krise und der Ängste der Menschen und unserem Ernstnehmen von Ängsten und dem Annehmen der Herausforderungen liegen Welten. All das bringt uns im Gegensatz zu allen anderslautenden Behauptungen nicht etwa näher zusammen, sondern immer weiter auseinander. Ich sage Ihnen auch, warum. So schön die Anträge, die Sie uns kurz vor dem 1. Mai dieses Jahres vorlegen, auch klingen
und so richtig wir manche Zielsetzung, die darin zu lesen ist, finden - allerdings nicht die von Ihnen vorgeschlagenen Instrumente; diese halten wir für weltfremd -, so können sie doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie überhaupt kein zusammenhängendes und zumindest in Ihrer eigenen Partei mehrheitsfähiges Programm zustande bringen.
Das hat auch einen Grund. Dann könnte die interessierte Öffentlichkeit Ihre Politikalternative und Ihre Regierungsfähigkeit nämlich kritisch überprüfen.
Das erfordert mehr als eine Sonthofen-Strategie und Fundamentalopposition.
Meine Damen und Herren, es geht nicht darum, die Krise und ihre möglichen Auswirkungen auf die Beschäftigung und die sozialen Lebenslagen schönzureden. Es ist aber kontraproduktiv - das ist mein Kommentar zu den aktuellen Meldungen des heutigen Tages -, wenn von verschiedenen Seiten, auch aus verhandlungstaktischen Gründen, soziale Ängste geschürt werden, indem apokalyptische Abgründe und das Entstehen sozialer Unruhen an die Wand gemalt werden oder gar damit gedroht wird.
Das ist der Situation und den Potenzialen unseres Landes nicht angemessen. Das werden alle demokratischen Kräfte, Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam zu verhindern wissen.
Wir Sozialdemokraten haben die Prioritäten in unserer Politik seit 1998 richtig gesetzt. Dies hat dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr merklich gesunken ist. Im Gegensatz zu dem, was Sie behaupten, haben wir die staatlichen Ebenen und die sozialen Systeme handlungsfähiger gemacht und die Wachstumskräfte vor allen Dingen im Bereich der Zukunftstechnologien gestärkt. Wir haben darüber hinaus dafür gesorgt, dass Mitbestimmung und Tarifautonomie gesichert und weiterentwickelt werden. Darauf können sich die Gewerkschaften auch in Zukunft verlassen. Hätten wir das nicht getan, wäre es heute viel schwieriger, mit der Krise umzugehen und Arbeitsplätze zu sichern.
Wir Sozialdemokraten haben ein Programm vorgelegt. Darüber wird jetzt öffentlich debattiert. Jetzt müssen Sie alle nachlegen. Ich sage Ihnen: Gute Arbeit gibt es nicht ohne Mindestlöhne, ohne Regulierung der Zeitarbeit und ohne dass wir dafür sorgen, dass Frauen und Männer für gleiche Arbeit gleiche Löhne bekommen.
Zu diesem Zweck haben wir verschiedene Instrumente vorgeschlagen, die vor allen Dingen für unsere Kinder und Jugendlichen die Zukunft des Landes garantieren sollen. Wir wollen durch ordentliche Qualifizierung dafür sorgen, dass wir auch in Zukunft im weltweiten Wettbewerb bestehen. Nur so können wir Arbeitsplätze sichern und die Wachstumsstärke Deutschlands erhalten. Ich sage noch einmal: Wir sind auf dem richtigen Weg.
Hier wird Populismus betrieben. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die kritischen und mündigen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wissen genau, wen sie wählen müssen, wenn sie in diesem Hause in der nächsten Wahlperiode eine sozial, ökologisch und ökonomisch fortschrittliche Regierung vorfinden wollen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Der Kollege Dirk Niebel hat das Wort zu einer Kurzintervention.
Dirk Niebel (FDP):
Wir wollen die Leidensfähigkeit der deutschen Sozialdemokratie schon ein wenig austesten, liebe Frau Pothmer.
Frau Präsidentin! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Kollege Stöckel mit Blick auf die FDP behauptet hat, die Marktradikalen - damit meint er offenkundig uns - seien schuld an der Krise. Der guten Ordnung halber ist es hilfreich, daran zu erinnern, dass der Finanzmarkt der am meisten regulierte Bereich des deutschen Wirtschaftssystems überhaupt ist. Es gibt sogar eine Staatsaufsicht. Übrigens war es Bundeskanzler Gerhard Schröders rot-grüne Bundesregierung, die diese Aufsicht, wie es heute der Fall ist, zweigeteilt hat. Da ist zum einen die BaFin mit ungefähr 6 000 Mitarbeitern und zum anderen die Deutsche Bundesbank. Diese Einrichtungen paralysieren einander.
Sie waren mit Ihren Prüfgruppen nicht in der Lage, Milliardenlöcher zu finden, die private Bankprüfgruppen innerhalb weniger Tage gefunden haben.
Ich möchte auch daran erinnern, dass in Zeiten der schwarz-gelben Bundesregierung Hedgefonds in Deutschland verboten waren. Ich anerkenne: Wahrscheinlich hätten auch wir die Hedgefonds zugelassen - weil sich die Finanzmärkte weltweit verändert haben -, aber nicht, wie unter Gerhard Schröder geschehen, ohne jedwede Transparenzrichtlinie.
Ich erlaube mir zu guter Letzt, darauf hinzuweisen, dass die Freien Demokraten in diesem Haus die einzige Oppositionspartei sind, die den Finanzmarktrettungsschirm mitgetragen hat - auch wenn wir im Detail einiges anders gemacht hätten -, weil wir die Notwendigkeit dessen für die Sparerinnen und Sparer und für das Wirtschaftssystem insgesamt erkannt haben.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Stöckel.
Rolf Stöckel (SPD):
Werter Kollege Niebel, ich kenne die Grenzen unserer Politik, ich kenne auch die Grenzen dessen, was von unseren Vorschlägen, Regeln für die Finanzmärkte einzuführen, national, europäisch und erst recht international durchsetzbar ist.
Ich habe vorhin nicht behauptet, dass Sie die Ursache der Finanzkrise seien. Ich habe gesagt, dass marktradikale Ideologie und Marktradikale die Ursachen dieser Krise wesentlich befördert haben. Das ist ein kleiner sachlicher, aber sehr treffender Unterschied.
Sie können mit Ihrer Kurzintervention nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie in der Öffentlichkeit bisher weder zu den Ursachen dieser Krise etwas gesagt haben noch sich in Selbstkritik dieser Ihrer markradikalen Ideologie geübt haben. Andere haben das auch noch nicht getan; selbst die Verantwortlichen haben es bisher nicht getan. Wir hätten von Ihnen gerne etwas zu einem Konzept gegen diese Krise gehört. Damit meine ich mehr als Ihren Vorschlag, die Steuern zu senken. So wären die Konjunkturprogramme, die Rettung der Banken und die Unterstützung und Förderung des Mittelstandes nicht finanzierbar.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/12682 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Sicherheit und Zukunft - Initiative für ein sozial gerechtes Antikrisenprogramm?. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12485, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12292 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
Tagesordnungspunkt 4 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel ?Gute Arbeit - Gutes Leben, Initiative für eine gerechte Arbeitswelt?. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12469, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6698 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, der FDP-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 217. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 24. April 2009,
auf der Website des Bundestages unter ?Aktuelles?, ?Plenarprotokolle?, ?Endgültige Fassungen? veröffentlicht.]