Rede des Juryvorsitzenden Dr. Peter Frey, Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, anlässlich der Verleihung des Medienpreises des Deutschen Bundestages an Robert Birnbaum, 16. Januar 2007
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Vizepräsidenten, Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem aber lieber Robert Birnbaum!
Wie erkennt man an den Texten, die ein politisches Jahr beschreiben, den Preiswürdigen? Wie unter Berliner Parlamentsjournalisten, die ohnehin die Besten ihrer Zunft sind, den Herausragenden? Einen, der gleichermaßen von den Lesern, von den Kollegen, aber auch von denen geschätzt wird, die er beschreibt? Sie denken, das ist einfach - und sagen: an der klaren Analyse. Stimmt! Kunden und Mit-Korrespondentenkollegen schätzen an ihm, dass er außerdem ein lustiger Vogel ist - was sich im Text und bei der Arbeit erfreulich auswirkt. Außerdem ist er einfach fleißig, immer da. Zu seinen täglichen Freuden gehören Pressekonferenzen, Hintergrundgespräche - kaum dass er einmal fehlt. Er macht "die Drecksarbeit", die in einem Parlamentsbüro so anliegt. Edelfedern ohne Bodenhaftung sind ihm verdächtig. Beim weiß-blauen Stammtisch, Herr Ramsauer, hat er einen Stammplatz unter 80 Kollegen - er ist ihm mehr zugewachsen, als er ihn sich erkämpft hätte. Er fällt auf, obwohl er dort, ungewöhnlicherweise, gar nicht viel fragt, sondern vor allem zuhört.
Erkennt man daran den Preisträger dieses Jahres? Ja, aber nicht nur. Man erkennt ihn vor allem - auf Fotos mit Kohl, Merkel, oder letzte Woche jüngst im verschneiten Wildbad Kreuth - man erkennt ihn an der Pudelmütze. Der Mann hat nämlich nicht nur eine extravagante Schreibe. Er hat vor allem Mut. Mut zu sich selbst.
Robert Birnbaum wollte Journalist werden, weil er Kurt Tucholsky gelesen hatte. Vorne die Ostsee, hinten die Alpen und zwischendurch Worte drechseln, Menschen beschreiben. Dem Leser, ja, nicht nur etwas verständlich machen, sondern ihn auch unterhalten. Dass ihn sein Berufsweg auf den Spuren von Peter Panther einmal nach Berlin führen würde, das ahnte er wahrscheinlich nicht, als er sich entschloss, diesen Beruf zu ergreifen. Er war damals, und das bekennt er heute, halb zerknirscht, halb amüsiert, studierter Sozialwissenschaftler. Und er drückte noch einmal die Schulbank nach dem Studium - eine gute Schulbank - in Hamburg unter der Leitung von Wolf Schneider.
Doch das mit dem Schreiben wollte nicht so klappen. Birnbaum hatte Probleme. Und immer gleich am Anfang. Immer im ersten Satz. Die anderen Jungjournalisten hatten den Anfang ihrer Reportagen immer schon fertig - und er zerbiss sich immer noch die Fingernägel an diesem verdammten ersten Satz. Da gab Schneider ihm einen Ratschlag, der ihm bis heute nutzt und der unseren Mann von einer Seite zeigt, die wir ihm auf den ersten Blick gar nicht zutrauen oder die wir gar nicht wahrnehmen. Denn der erste Blick zeigt einen stets freundlichen, für einen Journalisten ungewöhnlich fröhlichen und ungewöhnlich zurückhaltenden Zeitgenossen. Aber dahinter lauert ein Selbstbewusstsein, das in jenen schweren Stunden geboren wurde, als der erste Satz nicht kommen wollte. Und sein Lehrer Wolf Schneider machte ihm klar, er könne entweder gleich das Handtuch hinwerfen oder sich was Anderes suchen, Sozialarbeiter oder so. Oder er müsse sich eine Haltung erarbeiten, seine Hemmungen ernst nehmen und hochmütig zu sich selber sein. Jawohl: Hochmütig! Denn das Ringen um den ersten Satz, das sei etwas Kostbares.
Und dazu hat sich Robert Birnbaum entschlossen. Und welche ersten Sätze können wir seither lesen:
Ich zitiere aus dem Tagesspiegel der letzten Woche unter der Überschrift "Seine Herrlichkeit":
"Glanz und Elend der CSU sind derzeit am treffendsten mit einem einzigen Satz beschrieben. Der Satz handelt, natürlich, vom Parteivorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten. Er ist in den letzten Tagen und Wochen so häufig zu hören, dass ein ahnungsloser Zuhörer ihn leicht für die Anfangszeile der Parteihymne halten könnte. Er ist aber der Auftakt zu einem Trauermarsch. Der Satz lautet nämlich: ‚Es gibt keinen Besseren als ihn.’ Das ist eine Woche alt: ‚Es gibt keinen Besseren als ihn.’"
Herr Birnbaum, ich will mir gar nicht vorstellen, was Sie aus dem Satz "Ich will, aber ich muss nicht!" gemacht hätten. Aber ich setze voraus, Herr Präsident, dass Herr Birnbaum mit seiner Anwesenheit heute hier in Berlin und dem Verzicht darauf, in Kreuth zu sein, ein echtes Opfer bringt.
Der Mann hat sein Handwerk gründlich gelernt. Das konnte man schon vor fünf Jahren studieren. Sein Lieblingssujet ist die bayerische Politik unter besonderer Beachtung des menschlichen Aspekts. Und noch einmal folgt ein Satz, oder sagen wir ehrlicherweise: ein paar Sätze mit der Überschrift "Schelm, Spötter, Strippenzieher" - und da wurde vor fünf Jahren einer beschrieben, der heute als Bundesminister erkennbar unter Humor-Entzug durch die Würde des hohen Amts leidet. Der erste Satz lautet:
"Neulich hat er darum gebeten, man möge doch, wenn man ihn anonym zitieren würde, die fraglichen Sätze nicht einem ‚Spötter aus der Union’ zuschreiben. ‚Dann’, sagt Michael Glos, ‚können Sie auch gleich meinen Namen dazuschreiben.’ Was für den Chef der CSU-Landesgruppe immerhin den Vorteil hätte, dass man ihm freche Sprüche nicht zurechnet, die ausnahmsweise gar nicht von ihm stammen."
Was für ein Auftakt für ein Porträt! Und wir erinnern uns noch einmal an den Ratschlag Wolf Schneiders, spazieren zu gehen, das war der Ratschlag an den jungen Journalisten-Schüler Robert Birnbaum, wenn der erste Satz nicht gleich kommt, sondern ihn gleichermaßen als Kostbarkeit zu betrachten.
So mag es auch gewesen sein beim Einstieg in den Text, der den Autor heute zum Preisträger macht. Es geht um eine ganze Essay-Seite im Tagesspiegel aus jenem sagenhaften Politik-Jahr 2005. Wer allerdings konnte schon an jenem 6. März, als dieses Essay erschien, ahnen, welche Dynamik die Ereignisse entfalten würden? Doch was Birnbaum beschreibt, wird quasi zum Auftakt für die Auflösung einer Koalition. Birnbaum geht es allerdings in seinem Essay nicht um das aktuelle Ereignis, sondern um einen Mechanismus im bundespolitischen Betrieb, bei dessen Beschreibung er den Leser wanken lässt zwischen aktueller Reportage, Johannes-Evangelium, Dante und Kafka.
Und noch ein erster Satz: "Am Anfang steht das Urteil, nicht die Unschuldungsvermutung, nicht der Zweifel, der im Fall des Falles für den Angeklagten zu gelten hat. Nein, das Urteil. Sonst würden sich die Ankläger gar nicht der Mühe eines Prozesses unterziehen. Der Hausmeister des Bundestags könnte also sehr gut über der Tür zum Eingang des Europasaals im Jakob-Kaiser-Haus, in dem das Tribunal tagt, eine Tafel mit den Worten aufhängen, die dereinst Dante über das Höllentor geschrieben hat: ‚Der du hier eintrittst, lasse alle Hoffnung fahren.’"
Was dann folgt, ist keineswegs nur die Aufarbeitung eines Untersuchungsausschusses, der den amtierenden Außenminister wie die über ihn verhandelnden Parlamentarier gleichermaßen Ansehen kostet - und Joschka Fischer am Ende womöglich das Amt. Aber das ist eine andere Geschichte. Robert Birnbaum lässt kalt und mit einigem Entsetzen eine Welt entstehen, in der es nicht um Wahrheit, sondern um Vorteil geht, um Medien, die Rache nehmen, um Fotografen, deren Bilder nicht die Wirklichkeit abbilden, sondern eine These illustrieren sollen, um einen Politskandal, der sich durch Stimmungen und Unterstellungen nährt, nur ein paar Wochen hält, aber die Machtverhältnisse erschüttert. Ein exemplarisches, wenn auch düsteres Stück über den Parlamentarismus und die, die von ihm leben, Politiker und Journalisten.
Robert Birnbaum ist einer, der in der Tiefe bohrt. Der, vom Agenturjournalismus kommend, sein Handwerk aus dem Eff-Eff versteht, es in Bonn gelernt hat. Der denkt an die, für die er schreibt - und er geht mit denen, über die er schreibt, fast liebevoll, jedenfalls fürsorglich um. Ein Kollege sagte mir über ihn: Birnbaum ist nie Richter, er verachtet die Menschen nicht. Birnbaum erhebt sich nicht - anders als viele andere - über die Politiker, was vielleicht auch mit der Erkenntnis zusammenhängt, dass zu Hochmut kein Anlass besteht, da wir sie doch gewählt haben - und dass sie, vor allem auch in ihren Schwächen, unser aller Abbild sind.
Wenn man ihn fragt, was sein Rezept für Distanz ist, dann sagt Birnbaum sehr schnell: Erstens: nicht duzen - und er hält sich auch daran. Und Zweitens - und das nach einigem Nachdenken: keinem einen Gefallen tun, auch wenn man ihn mag. Man muss dem auf die Finger hauen, auch dem, den man eigentlich schätzt, wenn es berechtigt ist, denn man muss fair bleiben.
Robert Birnbaum, nach 13 Jahren Agentur und fast zehn Jahren Tagesspiegel sind Sie nicht nur ein glänzender Kenner der politischen Materie. Vor allem leben Ihre Beobachtungen - und jetzt loben wir mal den Sozialarbeiter, der Sie - der Journalistenzunft zum Glück - nicht geworden sind. Sie leben von einem Gespür für das Menschliche in der Politik. Sie wollen nicht Politik machen, möglicherweise sie nicht einmal beeinflussen. Aber Sie haben die Gabe, das Gefüge von Parteien und die Prozesse in den Parteien, die Prozesse zwischen den Menschen so zu erkennen wie kaum ein anderer. Und wer würde bestreiten, dass gerade dies - das Machtstreben, der Ehrgeiz - die Menschen antreibt, auch in der Politik und in welche Abgründe das politische Konkurrenten, aber auch die Medien, führen kann. Das können wir heute erschaudernd miterleben.
Herr Birnbaum, Sie haben einen untrüglichen, sympathisierenden Blick und fallen dem allgemein herrschenden Zynismus nicht anheim. "Du weißt gar nicht, wie richtig Du liegst" - hätte Ihnen eine Gesprächspartnerin, eine, die für Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, in einer Partei oft gerne gesagt, wenn es nicht ihre Aufgabe gewesen wäre, die Dinge anders darzustellen, als Sie sie erfasst haben. Sie haben eine Leidenschaft, wenn auch eine stille, den Betrieb des Parlaments, für die Menschen, die damit beschäftigt sind und die sich durch die Zeitungen damit beschäftigen, zu beschreiben. Sie sind an der Sache und nicht an dem Jahrmarkt journalistischer Eitelkeit interessiert.
Mir erzählte gerade gestern ein Kollege von einem Ihrer Leser und der sagte: "Ein Birnbaum-Text ist wie ein alter Kognak. Den muss man still genießen." Also, unter der Pudelmütze sitzt ein Erzähler, der seine Politik, der seine Leser an die Politik fesselt. Ganz herzlichen Glückwunsch zu diesem Preis.