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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Kinderrepublik Deutschland
Gültig ab: 17.09.2008 10:19
Autor: Nils Grobmeier
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Kinderrepublik Deutschland

Toben im Bundestag: Kinder in der Halle des Paul-Löbe-Hauses
Toben im Bundestag: Kinder in der Halle des Paul-Löbe-Hauses
© DBT/Werner Schüring

Familienpolitik im Wandel

In der Familienpolitik hat sich innerhalb weniger Jahre ein Paradigmenwechsel vollzogen. Familienförderung zielt nicht länger vor allem darauf ab, Eltern finanziell zu stärken. Vielmehr legt die Große Koalition das Schwergewicht in der Familienpolitik heute auf eine verbesserte Vereinbarkeit von Kind und Karriere. Das Elterngeld, der Krippenausbau und das neue Unterhaltsrecht markieren den neuen Ansatz. Die Politik reagiert damit auf den gesellschaftlichen Wandel und beschleunigt ihn zugleich.

Die „Familien stehen im Zentrum der Politik der großen Koalition”, sagt die Bundeskanzlerin. Diese Feststellung Angela Merkels während der Haushaltsdebatte im Bundestag zeigt, dass die Zeiten, in denen ein Kanzler Familienpolitik noch abschätzig als „Gedöns” bezeichnen konnte, vorbei sind. Mit dem Elterngeld, dem Ausbau der Krippen und der Reform des Unterhaltsrechts haben Union und SPD auf den gesellschaftlichen Wandel in Deutschland reagiert und neue Akzente gesetzt. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das familienpolitische Leitmotiv der Koalitionäre. Denn hier, so wird Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen nicht müde zu erklären, habe Deutschland noch enormen Nachholbedarf.

Zu Beginn der „neuen Familienpolitik” stand die Erkenntnis, dass in Deutschland der Staat mit jährlich rund 185 Milliarden Euro zwar viel Geld für die Familienförderung ausgibt, aber dennoch Jahr für Jahr immer weniger Kinder geboren werden. Seit den 90er-Jahren dümpelt die Geburtenrate bei rund 1,3 Kindern pro Frau.

Ein weiterer Missstand: Viele junge, oft gut ausgebildete Frauen fühlen sich vor die Entscheidung gestellt, ob sie Karriere oder Kinder wollen. Denn vor allem in den alten Bundesländern mangelt es an Betreuungsplätzen. Wie eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zeigt, hätte jede zweite derzeit nicht berufstätige Mutter gern einen Broterwerb, vorzugsweise eine Teilzeitstelle. Doch vielerorts fehlt es an Krippenplätzen und Ganztagsschulen.

Nicht selten hapert es aber auch an der partnerschaftlichen Arbeitsteilung in der Familie. Denn selbst bei Doppelverdienereltern sind Erziehung und Betreuung der Kinder auch heute noch primär Frauensache, wie die Allensbach- Umfrage zeigt.

Die „neue Familienpolitik”, die schon von der früheren rot-grünen Regierung eingeleitet wurde und die CDUMinisterin von der Leyen mit Hochdruck und neuen Akzenten fortsetzt, bedeutet einen Paradigmenwechsel. Ging es früher in erster Linie darum, Familien finanziell unter die Arme zu greifen, ist jetzt das vorrangige Ziel, Eltern dabei zu unterstützen, selbst für den Unterhalt ihrer Kinder zu sorgen.

Das Elterngeld, das im vergangenen Jahr das bisherige Erziehungsgeld abgelöst hat, markiert diese veränderte Schwerpunktsetzung. Die neue Geldleistung, die in den ersten zwölf Monaten nach der Geburt gezahlt wird, setzt bei der Berufstätigkeit von Vater und Mutter an. Denn es handelt sich um eine Lohnersatzleistung. Wer von beiden Elternzeit beantragt, erhält 67 Prozent seines letzten Nettoeinkommens, maximal 1.800 Euro. Wer vor der Elternzeit nicht erwerbstätig war, also vor allem Arbeitslose, Studenten und Hausfrauen, bekommt den Sockelbetrag von 300 Euro. Zwei Monate länger zahlt der Staat, wenn beide Elternteile Elternzeit beantragen.

Die leise Revolution

Um die beiden „Vätermonate” wurde zu Beginn heftig gestritten. Vor allem innerhalb der CSU gab es Widerstand, von „Zwang zum Wickelvolontariat” war die Rede. Inzwischen sind die Partnermonate jedoch auch bei CDU und CSU akzeptiert.

In der Gesellschaft hätten die Vätermonate „eine leise Revolution ausgelöst”, meint Familienministerin von der Leyen. Und auch nach Einschätzung von Allensbach- Chefin Renate Köcher „hat sich bei den Vätern spürbar etwas getan”. Den Wandel belegt der im Oktober veröffentlichte Elternzeitbericht der Bundesregierung, der ein positives Gesamturteil der Bevölkerung und eine deutlich gestiegene Beteiligung der Väter an der Betreuung des Neugeborenen feststellt. Tatsächlich schnellte der Anteil der Väter, die wegen der Kindererziehung eine berufliche Auszeit nehmen, von 3,5 Prozent im Jahr 2006 auf 14 Prozent im laufenden Jahr in die Höhe. Den Männern fällt es offenbar leichter als früher, vor ihre Chefs zu treten und eine Babypause zu fordern – schließlich müssten sie ansonsten auf das staatliche Geld verzichten. „Mit den Partnermonaten schaffen wir eine Bewusstseinsänderung nicht nur bei den jungen Vätern, sondern auch in den Chefetagen der Unternehmen”, beobachtet die Vorsitzende des Familienausschusses des Bundestages, Kerstin Griese (SPD).

Allerdings beschränkt sich das Gros der männlichen Elternzeitler bisher auf die zwei Partnermonate, während die Mütter in der Regel zwölf Monate nehmen. Um diesen Unterschied zu verringern, will Familienministerin von der Leyen die Vätermonate weiter ausdehnen.

Nicht alle Familien haben indes von der Reform profitiert. Gut die Hälfte der Eltern bekommt nur den Sockelbetrag von 300 Euro, zum Teil ergänzt durch einen Geschwisterbonus. Vor allem Hausfrauen, Arbeitslose und Studenten sind die Verlierer der Umstellung. Denn das frühere Erziehungsgeld in gleicher Höhe wurde zwei Jahre lang gezahlt.

Mit dem Elterngeld will die Große Koalition erklärtermaßen erreichen, dass die Mütter schneller als bisher wieder in den Beruf zurückkehren. Zum einen braucht die Wirtschaft angesichts des Fachkräftemangels vor allem die qualifizierten Frauen. Zum anderen zeigt der im vergangenen Sommer von der Bundesregierung vorgelegte Armutsund Reichtumsbericht, dass Kinder nur selten in prekären Verhältnissen leben, wenn beide Eltern berufstätig sind. „Die beste Prävention von Kinderarmut ist die Erwerbstätigkeit der Eltern”, betont Familienausschussvorsitzende Griese.

Auch die von Familienministerin von der Leyen gestartete „Krippenoffensive” dient dem Ziel, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Bis 2013 soll sich die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige auf 750.000 verdreifacht haben. Bislang gibt es in den alten Bundesländern nicht einmal für jedes zehnte Kleinkind ein Angebot. In Ostdeutschland liegt die Quote dagegen schon heute bei rund einem Drittel. Diese Größenordnung soll in fünf Jahren bundesweit erreicht werden.

Die starke Ausrichtung der Familienförderung auf berufstätige Eltern ist in der Koalition nicht unumstritten. „Wir dürfen die Menschen nicht in ein bestimmtes Familienmodell drängen”, warnt der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Johannes Singhammer. „Die Eltern sollen echte Wahlfreiheit haben und selbst entscheiden, wie sie ihre Kinder betreuen.”

Die Union hat denn auch durchgesetzt, dass Eltern, die ihre Kinder in den ersten Jahren zu Hause selbst betreuen, ab 2013 ein Betreuungsgeld erhalten sollen. Die entsprechende Passage im „Kinderförderungsgesetz” ist allerdings vage gehalten. Eine spätere Regierung soll die Details und die Höhe der Leistung regeln. Im Gespräch sind 150 Euro im Monat. Doch ob die neue Geldleistung für Einverdienerfamilien wirklich kommt, steht in den Sternen. Denn nicht nur die SPD ist strikt dagegen, sondern auch FDP, Grüne und Die Linke. Die Kritiker des Betreuungsgeldes warnen, dass gerade bildungsferne Eltern lieber das Bargeld als den Krippenplatz nehmen würden – zum Nachteil ihrer Kinder.

Vorrang beim Unterhalt

Dass nicht mehr die Hausfrau, sondern die berufstätige Mutter im Zentrum der familienpolitischen Initiativen der Großen Koalition steht, zeigt noch eine weitere Reform, die von der Öffentlichkeit bislang wenig beachtet wird: die Novellierung des Unterhaltsrechts. Unter dem Motto „Vorrang für die Kinder” setzte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die tiefgreifende Änderung durch, die auf lange Sicht viel mehr noch als der Krippenausbau oder das Elterngeld die Familienwelt verändern wird. Der Gesetzgeber müsse auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren, argumentiert SPD-Ministerin Zypries unter Hinweis auf die hohe Scheidungsrate und die Zunahme von „Patchworkfamilien” und nicht ehelichen Lebensgemeinschaften mit Kindern. Immerhin sind laut Statistik bei jeder zweiten Scheidung Minderjährige betroffen. Und nur noch drei Viertel der Kinder wachsen heutzutage in einer klassischen Familie auf, bei der Vater und Mutter verheiratet sind. Dagegen leben 26 Prozent der Minderjährigen in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft oder bei einem alleinerziehenden Elternteil.

Die Unterhaltsrechtsreform sieht vor, dass die finanziellen Ansprüche von Kindern stets Vorrang vor denen der geschiedenen Expartner haben. Im zweiten Rang folgen die Ansprüche der Mütter von kleinen Kindern, unabhängig davon, ob sie mit dem Unterhaltspflichtigen verheiratet sind oder nicht. Erst dann kommt der Expartner dran, der keine minderjährigen Kinder zu versorgen hat.

Geschiedene müssen sich nach einer Erwerbstätigkeit umsehen, wenn ihr jüngstes Kind drei Jahre wird. Bisher dauerte die Schonfrist mindestens acht Jahre. Damit hat der Gesetzgeber eheliche und nicht eheliche Kinder nicht nur beim Unterhalt, sondern auch im Anspruch auf Betreuung durch die Mutter rechtlich gleichgestellt. Denn die Drei-Jahres-Frist galt in der Vergangenheit nur für ledige Mütter.

Die Reform erleichtert die Gründung einer Zweit- oder Drittfamilie. Reicht das Geld des Unterhaltspflichtigen nicht für alle, wird immer die jüngste Beziehung – wenn Kinder vorhanden sind – gegenüber den früheren begünstigt. Weil solche Mangelfälle nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind, zählt neben den Geschiedenen auch das Gros der Scheidungskinder zu den Verlierern der Reform: Wenn die Mutter – selten ist es der Vater – als Alleinerziehende weniger Unterstützung vom Expartner erhält und sie keinen oder nur einen schlecht bezahlten Job findet, steigen mit ihr auch die Kinder sozial ab.

Mit dem neuen Unterhaltsrecht hat die Koalition das klare Signal gegeben, dass Mütter durch eine Ehe nicht mehr abgesichert sind, sondern nur durch die eigene Berufstätigkeit. Vollzeitmütter dürften deshalb auch im Westen immer seltener werden. Und weit mehr Kinder als heute werden von klein auf bis ins Jugendalter ganztags betreut werden. Um diesen Trend auch durch entsprechende Angebote vor Ort zu fördern, stellt der Bund nicht nur für neue Krippen, sondern auch für zusätzliche Ganztagsschulen erhebliche Steuermittel zur Verfügung.

Kampf gegen Kinderarmut

Vor allem die SPD kämpft seit Langem dafür, einen größeren Anteil der staatlichen Familienförderung in den Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur zu stecken und dafür die finanzielle Unterstützung über das Kindergeld oder steuerliche Freibeträge einzufrieren oder gar zurückzuschrauben. Nur bei Sachleistungen, so argumentiert Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), sei sichergestellt, dass die Mittel tatsächlich bei den Kindern ankämen und deren frühkindliche Bildung förderten. Kindergeld könne dagegen auch von den Eltern für Dosenbier oder Flachbildschirme zweckentfremdet werden.

Tatsächlich gibt Deutschland mit 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im internationalen Vergleich relativ  

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Text: Dorothea Siems
Erschienen am 19. November 2008


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