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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Eine Sache der Ehre
Gültig ab: 26.06.2009 16:25
Autor: Klaus Lantermann
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Eine Sache der Ehre

Die 13. Bundesversammlung
Die 13. Bundesversammlung
© DBT/studio kohlmeier

Die Bundesversammlung

Die 13. Bundesversammlung ist Geschichte, die Wahlfrauen und -männer sind an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Ob sie Parlamentarier sind oder Wirtschaftsvertreter, Künstler und Sportler, sie verbindet der Stolz, am 23. Mai in Berlin eine wichtige Rolle bei der Wahl des Staatsoberhaupts der Bundesrepublik Deutschland gespielt zu haben.

Bei der Wiederwahl von Bundespräsident Horst Köhler bereits im ersten Wahlgang war buchstäblich eine einzige Stimme entscheidend. Köhler erreichte 613 Stimmen, ganz genau die in diesem Wahlgang nötige Zahl. Dieses Ergebnis zeigt den 1 223 in Berlin anwesenden Mitgliedern der Bundesversammlung, dass jedes einzelne von ihnen die Entscheidung in seiner Hand hatte. Einer der Wahlmänner, der Goldmedaillengewinner im Triathlon, Jan Frodeno, bringt es für sich persönlich auf den Punkt: „Es war meine Stimme, die gezählt hat.”

Jan Frodeno
Jan Frodeno
© DBT/Anke Jacob

Frodeno, der von der CDU berufen worden war, empfindet es als eine „persönliche Ehre”, den Bundespräsidenten mitwählen zu können. Mitglieder der anderen Fraktionen der Bundesversammlung sahen das genauso, etwa der international renommierte Cellist Thomas Beckmann oder die Professorin Havva Engin, die mit sechs Jahren als Tochter eines türkischen Arbeiters nach Deutschland kam. Auch Politprofis wie der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jürgen Koppelin, oder die sächsische Landtagsabgeordnete der Fraktion Die Linke, Regina Schulz, halten es für eine große Auszeichnung, Mitglieder der 13. Bundesversammlung gewesen zu sein.

Diese Ehre hatten sie den Müttern und Vätern des Grundgesetzes zu verdanken. Die legten 1949 fest, dass die Bundesversammlung aus den Bundestagsabgeordneten und einer „gleichen Anzahl von Mitgliedern” besteht, „die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden”. Einer der Schöpfer des Grundgesetzes, der damalige FDP-Vorsitzende Theodor Heuss, hatte angeregt, auch einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an der Wahl des Bundespräsidenten zu beteiligen. So halten es die Landtage bis heute.

Prominenz bei der Wahl

Jan Frodeno zum Beispiel wurde von der CDU-Fraktion des Saarlandes für die Bundesversammlung nominiert. Der 1981 in Köln geborene, in Kapstadt aufgewachsene und in Saarbrücken lebende, 1,94 Meter große Triathlet hatte bei der Olympiade 2008 überraschend die Goldmedaille gewonnen. Nach 1 500 Metern Schwimmen, 40 Kilometern auf dem Rad und zehn Kilometern Laufen hatte er im Endspurt drei Favoriten niedergerungen – sein erster großer internationaler Erfolg.

Frodeno, einer von 16 deutschen Goldmedaillengewinnern bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, ist eine der Sportgrößen, die als Volksvertreter für einen Tag in der Bundesversammlung mitwirkten. Dabei waren unter anderen der frühere Biathlet Sven Fischer, die ehemalige Boxerin Regina Halmich und Handballbundestrainer Heiner Brand. Der Triathlet berichtet, als er wegen dieses Amts angesprochen worden sei, habe er sich das gründlich überlegt. Aber er habe dann doch nicht lange gebraucht, „um für mich festzustellen, dass dies wirklich eine persönliche Ehre ist”. Er fügt hinzu: „Ich bin nach wie vor bewegt, in diese Position gewählt worden zu sein.” Das Wochenende in Berlin sei für ihn sehr spannend gewesen. „Weil ich in einer ganz anderen Umgebung war, konnte ich sehr viel dazulernen und viele neue Eindrücke gewinnen.” Außerdem habe er erkannt, „dass Spitzenpolitiker auch einiges mit Spitzensportlern gemeinsam haben”.

Thomas Beckmann
Thomas Beckmann
© DBT/Anke Jacob

Thomas Beckmann, der 1957 in Düsseldorf geborene Wahlmann, hat seine großen internationalen Triumphe auf ganz anderen Bühnen gefeiert. Etwa im Moskauer Kulturpalast, wo er nach Berichten der russischen Presse die Zuhörer mit seinem Cellospiel zu Tränen rührte. Oder in Paris, wo er und seine Frau, die Pianistin Kayoko Matsushita, ihr Konzert im Théâtre Mac Mahon nahe der Champs Élysées zwei Wochen lang mit je zwei Vorstellungen pro Tag wiederholen mussten.

Für seine Nominierung durch die SPD war aber nicht nur sein Ruf als Künstler, sondern auch sein soziales Engagement ausschlaggebend. Nachdem zwei Frauen in der Düsseldorfer Altstadt erfroren waren, hatte er 1993 in seiner Heimatstadt die Aktion „Schlafsack für Obdachlose” gegründet, die sich zum bundesweiten Projekt „Gemeinsam gegen Kälte” entwickelte.

„Es war ein Riesenerlebnis und für mich der Beweis, dass die Demokratie bei uns funktioniert.”
Thomas Beckmann

Sein Cello hilft Beckmann bei seinem Engagement: Als in Nordrhein-Westfalen die Mittel für ein Obdachlosen-Modellprojekt gestrichen werden sollten, protestierte er vor dem Landtag mit einem „Streichkonzert” – getreu seinem Motto „Mit künstlerischen Mitteln gesellschaftlich wirken”.

Der parteilose Künstler sagt, schon bei der Konstituierung der Bundesversammlung habe er das Gefühl gehabt, bei einem wichtigen Akt der Demokratie dabei sein zu dürfen. „Das war schon ein erhebendes Gefühl.” Und als er nach der Stimmabgabe inmitten der SPD-Fraktion auf das Ergebnis wartete, sei das „hochspannend” gewesen. „Es war ein Riesenerlebnis und für mich der Beweis, dass die Demokratie bei uns funktioniert und dass in den parlamentarischen Abläufen alles seine Richtigkeit hat.”

Jürgen Koppelin
Jürgen Koppelin
© DBT/Anke Jacob

Jürgen Koppelin war schon 1994 dabei, als die Bundesversammlung nach vier Tagungen in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn nach Berlin zurückkehrte. Er ist einer der 612 Bundestagsabgeordneten, die aufgrund ihres Mandats Mitglieder der Versammlung waren. Der 1945 in Dithmarschen geborene gelernte Bankkaufmann arbeitete vor seiner Zeit im Parlament in der Musikindustrie und beim Norddeutschen Rundfunk, wo er prominente Künstler wie Elton John oder Nana Mouskouri persönlich kennenlernte.

Koppelin ist Landesvorsitzender seiner Partei in Schleswig-Holstein. In der FDP-Bundestagsfraktion ist er einer der vier Parlamentarischen Geschäftsführer. Die sind vor und bei einer Bundesversammlung für die Betreuung der Delegierten ihrer Partei verantwortlich. Ihnen bot Koppelin, der als haushaltspolitischer Fraktionssprecher auch für den Kulturetat zuständig ist, eine Führung durch das wiederhergestellte Neue Museum an. Die Partner der Wahlmänner und -frauen waren dazu eingeladen. Auch sie sollten nach den Worten des FDP-Parlamentariers bei einem so großen Ereignis dabei sein können.

„Die Lehre, die man daraus für jede Wahl ziehen kann, lautet: Es kommt auf jede Stimme an.”
Jürgen Koppelin

Trotz seiner langen Politikerfahrung ist Koppelin immer noch stolz, das Staatsoberhaupt mitwählen zu dürfen. Er meint, die Bundesversammlung sei schon wegen ihrer Größe und ihrer Atmosphäre etwas Besonderes. Spannend sei sie ja auch. Denn alle hätten sich gefragt: „Klappt es schon im ersten Wahlgang?” Es klappte mit einer Punktlandung. Hätte nur eine Stimme gefehlt, wäre es zu einem zweiten Wahlgang gekommen, möglicherweise auch zu einem dritten, in dem eine einfache Mehrheit gereicht hätte. Koppelin meint: „Die Lehre, die man daraus für jede Wahl ziehen kann, lautet: Es kommt auf jede Stimme an.”

In der Geschichte der Bundesversammlungen ist es bisher erst zweimal zu einem dritten Wahlgang gekommen. Besonders spannend war das Rennen im Jahre 1969, als Gustav Heinemann mit Unterstützung der FDP als erster Sozialdemokrat Bundespräsident wurde. Koppelin, damals Mitarbeiter des FDP-Abgeordneten Walter Peters, hat in der Berliner Ostpreußenhalle die Entscheidung hautnah miterlebt. Er erzählt, sein Chef habe sich mit Vehemenz für Heinemann eingesetzt. Als dessen Sieg feststand, sei die Begeisterung groß gewesen.

Heinemann, in der Großen Koalition Bundesjustizminister, hatte im dritten Wahlgang gerade mal sechs Stimmen mehr als sein Kabinettskollege Gerhard Schröder von der CDU, damals Verteidigungsminister. Eine knappere Mehrheit hat es bis heute nicht gegeben. Die Wahl Heinemanns galt als Signal für eine Koalition aus SPD und FDP, die dann tatsächlich im Herbst 1969 zustande kam.

Schon vorher hatten sich neue Regierungskoalitionen durch eine Zusammenarbeit der Parteien bei der Bundesversammlung angekündigt. So 1949 bei der Wahl des FDP-Vorsitzenden Theodor Heuss, der von der CDU/CSU unterstützt wurde. Die Freien Demokraten revanchierten sich drei Tage später bei der Wahl von Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler. Auch die Wiederwahl von Bundespräsident Heinrich Lübke durch CDU/CSU und SPD im Jahre 1964 wurde von den Zeitgenossen als Vorgriff auf die erste Große Koalition interpretiert, die 1966 geschlossen wurde.

Havva Engin
Havva Engin
© DBT/Anke Jacob

1994 kam es erneut zu einem dritten Wahlgang. Wie Jürgen Koppelin war damals auch die Bielefelder Professorin Havva Engin Mitglied der ersten Bundesversammlung nach der deutschen Vereinigung. Damals war sie noch Studentin und von der SPD aufgestellt. Dieses Mal wurde sie von den Grünen in Baden-Württemberg nominiert. Auf die Frage, ob sie denn auch für die CDU zur Bundesversammlung gehen würde, antwortet sie: „Ja, selbstverständlich.” Sie sehe diese Aufgabe als überparteilich an und mache auch ihre Wahlentscheidung nicht von der Partei abhängig, die sie nominiert habe.

Als die Sechsjährige 1968 nach Deutschland kam, wurde sie in eine türkische Klasse gesteckt und lernte erst später unter großen Mühen Deutsch. Heute ist sie an der Fachhochschule Bielefeld zuständig für den Bereich „mehrsprachige Sprachentwicklung, Migration und interkulturelle Pädagogik”. Sie sagt, sie verdanke ihren Aufstieg der Motivation ihrer Eltern und dem Glück, alle Bildungsinstitutionen durchlaufen zu haben.

„Die Mitwirkung
von Nichtpolitikern
an der Wahl des
Staatsoberhaupts ist ein Votum für das Volk.”

Havva Engin

Engin berichtet, auf den beiden Bundesversammlungen habe sie Menschen mal aus der Nähe erlebt, die man sonst nur aus dem Fernsehen kenne. „Das sind ganz normale Menschen, mit denen man normal reden kann.” Wahlfrau gewesen zu sein, sei eine große Ehre. In der Mitwirkung von Nichtpolitikern an der Wahl des Staatsoberhaupts sieht sie ein „Votum für das Volk”. Es sei sehr wichtig, dass sich die Zusammensetzung der Bundesversammlung an der Zusammensetzung der Bevölkerung orientiere, also auch Menschen mit Migrationshintergrund umfasse. Wenn man in die Liste der Delegierten schaue, habe man den Eindruck, dass der Anteil von Menschen aus Zuwandererfamilien zugenommen habe. Das sei ein Signal, dass sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien. Engin freut sich besonders, dass Horst Köhler in seiner kurzen Dankesrede nach seiner Wiederwahl als eine seiner Aufgaben Bildung und Integration genannt habe.

1994 hatte sich im dritten Wahlgang der von der CDU/CSU nominierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Roman Herzog, mit deutlicher Mehrheit durchgesetzt, nachdem die FDP ihre Kandidatin Hildegard Hamm-Brücher zurückgezogen hatte. Ihr Parteifreund Koppelin meint, damals sei die Chance verpasst worden, erstmals eine Frau zum Staatsoberhaupt zu wählen. Die Kandidatin seiner Partei hätte durchaus eine Chance gehabt, wenn die SPD nicht an ihrem Bewerber Johannes Rau festgehalten hätte.

Rau erreichte aber sein Ziel fünf Jahre später, als sich die Mehrheitsverhältnisse verändert hatten und Herzog deshalb nicht wieder kandidierte. Auch Koppelin stimmte für den Sozialdemokraten, nachdem in der FDP-Fraktion der Bundesversammlung das Abstimmungsverhalten ausdrücklich freigegeben worden war. Auf die Frage, welche Rolle die Fraktionsdisziplin in der Bundesversammlung spiele, antwortet Koppelin, man bemühe sich zwar um Geschlossenheit. „Aber am Ende ist jeder frei.” Die Entscheidung jedes Einzelnen bleibe ja sein Geheimnis.

Treffpunkt Bundesversammlung

Regina Schulz, die Wahlfrau der Linken, gehörte wie Frodeno, Beckmann und Engin zu den insgesamt 612 Personen, die von den 16 deutschen Länderparlamenten in die Bundesversammlung geschickt wurden. Sie kommt aus Sachsen, dessen Landtag 33 Personen nach Berlin entsenden durfte. Wie viele Delegierte jedem Land zustehen, hängt von dessen Bevölkerungszahl ab. So standen in diesem Jahr dem bevölkerungsreichsten Land, Nordrhein-Westfalen, 131 Delegierte zu, dem kleinsten Bundesland, Bremen, nur fünf.

Regina Schulz
Regina Schulz
© DBT/Anke Jacob

Regina Schulz wurde 1948 in der thüringischen Kleinstadt Kahla geboren. Wie in der DDR üblich, verband sie ihr Abitur mit einer Berufsausbildung. Sie absolvierte eine Maurerlehre, studierte Berufspädagogik für Bauwesen, machte ihren Diplomingenieur und arbeitete anschließend als Lehrerin für Bauwesen. Sie hatte sich früh politisch engagiert und war als 19-Jährige in die SED eingetreten, wo sie später politische Mitarbeiterin der Kreisleitung wurde. Nach der Wende setzte sie ihre politische Laufbahn in der PDS fort, zunächst in der Kommunalpolitik, seit 1994 auch als Landtagsabgeordnete. Sie ist heute 1. Vizepräsidentin des Landesparlaments und gehörte damit zu der recht großen Gruppe der Wahlfrauen und -männer, die als führende Politiker ihrer Parteien in die Bundesversammlung geschickt wurden.

Wie alle Fraktionen der Bundesversammlung trafen sich auch die Linken am Vorabend der Entscheidung, um sich kennenzulernen oder alte Kontakte zu erneuern. Sie erlebte mit, wie sich zwei sehr unterschiedliche Delegationsmitglieder begegneten, der 46 Jahre alte Schauspieler und Kabarettist Uwe Steimle und der 84 Jahre alte Justin Sonder, ein jüdischer Überlebender von Auschwitz. Es sei für sie besonders eindrucksvoll gewesen, wie die beiden aufeinander zugegangen seien und im Gespräch gemeinsame Auffassungen entdeckt hätten.

Für Regina Schulz, die bei der Landtagswahl in Sachsen am 30. August nicht wieder kandidiert, war dieses Mandat eine „ehrenvolle Aufgabe” und einer der Höhepunkte ihrer politischen Laufbahn. Was empfindet eine gelernte DDR-Bürgerin und ehemaliges SED-Mitglied bei der Wahl des Staatsoberhaupts des vereinigten Deutschlands? Ihre Antwort lautet: Nach 20 Jahren ist man ja doch schon in diesem Staat verwurzelt. Allerdings wäre es ihr noch lieber, wenn der Bundespräsident direkt vom Volk gewählt würde.

Eine solche Volkswahl hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes 1949 – vier Jahre nach Kriegsende – verworfen. Ihnen war noch ganz frisch in Erinnerung, welche unheilvolle Rolle der vom Volk direkt gewählte Reichspräsident Paul von Hindenburg bei der Zerstörung der ersten deutschen Republik durch die Nationalsozialisten gespielt hatte. Und so hatten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates in langen Diskussionen die Bundesversammlung konstruiert – eine ganz ungewöhnliche Versammlung. Denn sie ist das größte deutsche Parlament, sie tagt normalerweise nur alle fünf Jahre, es werden keine Debatten geführt und die Sitzungen sind recht kurz. Auch die 13. Bundesversammlung nahm keine drei Stunden in Anspruch. Ihre Ergebnisse aber können sich sehen lassen. Mit all ihren Bundespräsidenten haben die Deutschen Staat machen können.

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Text: Klaus Lantermann 
Erschienen am 29. Juni 2009


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