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Otto Fricke vor Zahlen aus Schaumstoff im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Otto Fricke schätzt Zahlen, da sie Politik konkret machen
© DBT/Werner Schüring

Otto Fricke

Wenn im September die heißen Haushaltswochen mit Debatten über den Etat für 2009 anstehen, haben Otto Fricke und seine Kollegen aus dem Haushaltsausschuss bereits die Hauptarbeit hinter sich. Der FDP-Abgeordnete ist Vorsitzender dieses größten aller Bundestagsausschüsse und steht damit jenem Gremium vor, das die Schlüsselfunktion bei der Budgetkontrolle innehat. Er schätzt die Zahlen, denn sie machen Politik konkret. Auch wenn es dann oft heißt: „Geht nicht, haben wir nicht, können wir nicht.”

Wie viele es wohl sind? Gezählt hat Otto Fricke sie nicht, die Dosen und Tüten voller Lakritze aus aller Welt, die sich in seinen Büroräumen stapeln. Aber den Überblick bewahrt er immer: Wird das Glas am runden Besuchertisch beunruhigend leer, füllt er sofort nach. Überblick hat er auch über weitaus größere Dimensionen: 288,4 Milliarden Euro an Einnahmen und Ausgaben — das ist der Bundesetat für 2009. Über all die Posten und Pöstchen, die hinter der riesigen Summe stecken, berät der Haushaltsausschuss des Bundestages, dessen Vorsitzender Fricke ist.

Auch wenn Fricke seine Position heute als „Traumjob” bezeichnet: Als die Anfrage kam, war er nicht sofort hellauf begeistert. „Wenn jemand mit 40 diesen Job bekommt, gibt ihm das auch eine Prägung”, weiß der heute 42-Jährige. Natürlich nahm er die Chance trotzdem wahr — und hat es nicht bereut, trotz aller Sisyphusarbeit: „Klar bringt mir das Spaß, es sind doch Zahlen!” Die schätzt der gebürtige Krefelder nicht in ihrer Abstraktheit, sondern weil hinter ihnen Sachverhalte stehen, Spielräume, um Politik zu gestalten. „Politik beschäftigt sich meist mit Wünschen und Wollen. Der Haushalt hingegen ist konkret, er setzt sich aus den realen Zahlen zusammen.”

Der Vorsitz dieses Ausschusses wird stets an die Opposition vergeben — Fricke arbeitet also indirekt daran, ihn wieder loszuwerden, schließlich will er in die Regierung. Die Aufgabe ist noch zeitaufwendiger als die Abgeordnetentätigkeit generell, speziell ab dem Sommer, wenn die Prüfung des Haushalts für das kommende Jahr ansteht. Vor Beginn der sitzungsfreien Zeit hatte die Bundesregierung den von Finanzminister Peer Steinbrück vorgelegten Haushalt 2009 beschlossen. Dann ging es für die Etatexperten los. „Lesen, lesen, lesen”, fasst Fricke seine Arbeit zusammen. Rund

„Als wir in die Sommerpause gingen, schien vielen noch alles eitel Sonnenschein.”
2.500 Seiten mit Zahlen, die die Einzeletats der Ministerien auflisten, werden auf Plausibilität geprüft. Gut, dass er mit fünf Stunden Schlaf auskommt.

Nur für den Urlaub mit seiner Frau und den drei Kindern hat er sich freigenommen, auch von den Akten. Nicht aber komplett von der Politik: Diesen Sommer traf er an der Nordsee einen befreundeten Haushälter samt Familie, Steffen Kampeter von der CDU. Sonst zieht es Fricke häufig in die Niederlande. Krefeld liegt 35 Kilometer vor der holländischen Grenze, daher wuchs er mit dem Fernsehprogramm in der fremden Sprache auf. Heute spricht er fließend Holländisch, was ihm zuletzt zugutekam, als er bei einem Staatsbankett am niederländischen Königshof ungezwungen mit Prinzessin Máxima plaudern konnte. Ihn fasziniert das Land: „So ziemlich alle gesellschaftlichen Entwicklungen, die man dort beobachten kann, erfolgen, wenn auch mit anderen Ergebnissen, einige Jahre später auch bei uns.”

Die neueste Entwicklung für Deutschland ist das Ende des Aufschwungs. „Als wir in die Sommerpause gingen, schien vielen noch alles eitel Sonnenschein”, erzählt Fricke. Dann kamen die schlechteren Zahlen. Wie sich die Finanzlage angesichts der verlangsamten Konjunktur entwickeln wird, findet er spannend. Die Abschwächung wird sich erst verzögert auf die Steuereinnahmen auswirken, doch die wichtigen Fragen für die nächste Zeit seien schon klar: „Sind wir bereit, weitere Reformen zu machen? Und funktionieren die wenigen übrig gebliebenen Teile der Agenda 2010 bei schlechterer Konjunktur?”

Als Kind spielte Fricke zwar nicht mit einem Kaufmannsladen. Aber die Bedeutung von Geld lernte er durch seine Eltern, die beide selbstständig waren: „Sie haben mir sehr früh klargemacht, dass ein eingenommener Euro lange kein Euro Gewinn ist.” Das Handwerk im Umgang mit den Zahlen muss man beherrschen, „sonst tricksen einen die Ausgabenpolitiker aus”. Ausgabenpolitiker, das sind für ihn alle jene, die sich über die Finanzierbarkeit ihrer Projekte keine Gedanken machen.

Neues Haushaltssystem?

Etwa Ursula von der Leyen. „Sehr geschickt” sei die Familienpolitikerin darin, ihre Forderungen durchzusetzen. Wenn es nach Fricke ginge, würde sie auf andere Weise Rücksicht auf Kinder nehmen: Indem sie ihnen kleinere Schuldenberge hinterließe und einen ausgeglichenen Etat. Das entspräche seiner Sicht einer Verpflichtung gegenüber den nachfolgenden Generationen. Über zu wenig Freiraum bei der Gestaltung mag Fricke nicht klagen. Obwohl allein 80 Milliarden Euro für die Rente festgelegt sind, sieht der selbstbewusste Politiker Spielräume: „Dann muss man eben langfristig an der Rentenformel etwas ändern, das geht schon.” Schätzungsweise fünf Prozent des Etats sind nicht von vorneherein zweckgebunden, also etwa 14,4 Milliarden Euro. Um die ringen die Ministerien mit aller Kraft.

Otto Fricke jongliert eine Schaumstoffzahl auf seiner rechten Hand

© DBT/Werner Schüring
Der Jurist träumt davon, das gesamte Verfahren der Haushaltsaufstellung zu verändern. „Wir haben ein Bottom-up-System: Jedes Ministerium stellt seine Forderungen auf.” Daraus entsteht dann der Gesamthaushalt — auch wenn der natürlich mit den Einnahmen unter einen Hut gebracht werden muss. Fricke wäre dafür, das System umzukehren: Die Gesamtsumme des verfügbaren Geldes sollte Ausgangsbasis für die Einzelhaushalte sein. Wer mehr für ein bestimmtes Projekt ausgeben will, müsste in seinem Etat anderswo die entsprechende Summe einsparen oder von einem Ministerkollegen etwas bekommen. Dazu sollte mehr Transparenz kommen. „Heute kämpft, wenn überhaupt, der Finanzminister allein gegen die Ausgabenminister”, urteilt Fricke. Das müsste sich ändern. Entsprechend gut gefiel ihm, dass Steinbrück im Frühjahr tadelnde blaue Briefe an die Ressortchefs schickte, die sich allzu maßlos gaben. Da habe sich die Wahrnehmung verschoben: „Plötzlich waren die die bösen Buben!” Sonst sind das nämlich häufig diejenigen, die zum Sparen aufrufen.

Beliebt macht man sich nicht damit zu sagen, was alles nicht geht. Das sei wie in einer Familie: Nicht die Mutter, die verbiete, sondern der Vater, der gegen die Vernunft das Aufbleiben eine Stunde länger erlaube, komme bei den Kindern gut an. In seinem Wahlkreis versucht Fricke deshalb immer, den Leuten klarzumachen, dass sie alle Ausgaben selbst bezahlen müssen.
„Politik beschäftigt sich meist mit Wünschen und Wollen. Der Haushalt hingegen ist konkret.”
„Auf Veranstaltungen sage ich den Bürgern oft: ‚Wenn Ihnen ein Politiker etwas verspricht, schauen Sie, wo er es Ihnen aus der Tasche zieht.’”

Diese Sichtweise scheint ihm charakteristisch für Haushälter. „Atypische Politiker” seien sie. Statt das Blaue vom Himmel zu versprechen, seien ihre Leitsätze „geht nicht, haben wir nicht, machen wir nicht”. Dass es dafür keine Fanclubs gibt, gelte es auszuhalten. Wie auch die neidischen Kommentare, Haushälter seien „Abgeordnete zu Pferd”. Eine Bezeichnung aus der Bismarckzeit — statt einfacher Parlamentarier seien sie etwas höhergestellt. „Das ist Quatsch”, meint Fricke dazu. Ein paar Privilegien erfordert die Aufgabe aber. Etwa, dass Anfragen der Haushälter an Ministerien deutlich schneller beantwortet werden als die „normaler” Abgeordneter. Alle wissen, wie einflussreich die Haushälter sind — „bloß nicht vergrätzen”, lautet das ungeschriebene Gesetz in den Fachressorts. Oder dass sich die Minister selbst einfinden, um zu Detailfragen ihrer Etats Stellung zu nehmen.

Zahlen aus Schaumstoff in der Halle des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses

© DBT/Werner Schüring
Ein weiteres Privileg scheint, dass der Ausschuss eine Kneipe sein Eigen nennt: die „Papierkneipe”. Eigentlich handelt es sich um das Sekretariat des Haushaltsausschusses, in dem sich Stapel von Akten und Vorlagen türmen. Den Namen verdiente sich der Raum, weil hier zum Abschluss des Haushaltsaufstellungsverfahrens, meist tief in der Nacht, alle Ausschussmitglieder gemeinsam ein Bier trinken. Auch eine Kaffeemaschine gibt es: „Man muss doch den Ministern, die hier ihren Etat vorstellen, etwas zu trinken anbieten können, auch nach Mitternacht.” Die erste Maschine, ein Luxusmodell für angeblich 1.000 D-Mark, hatte Helmut Kohl spendiert. Die aktuelle stammt von Frank-Walter Steinmeier.

Der Umgangston zwischen den Haushältern ist entspannt. Allein die langen gemeinsamen Sitzungen schweißen zusammen. Speziell die abschließende Bereinigungssitzung, die leicht bis halb drei Uhr morgens dauert. „Entweder man hasst sich, oder aber man arbeitet gut miteinander”, so laute die Alternative. Da die Sitzungen nicht öffentlich sind, kann sehr offen geredet werden. Manches dringt trotzdem nach außen. Etwa der Wutanfall von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD), als ihr vergangenes Jahr klar wurde, dass ihr Etat an einer Stelle stark beschnitten wurde. Denn auch die Einhaltung des Haushalts behalten die Rechnungsprüfer im Ausschuss im Blick. Wer zu ungeniert Geld von einem Posten für einen anderen ausgibt, dem droht Ungemach, wie die dienstälteste Ministerin erfahren musste.

Seiner Rolle in der Demokratie ist sich Fricke sehr bewusst: „Wir sind die Speerspitze der Parlamentskontrolle.” Würden die Abgeordneten diese Kontrolle nicht mit viel Elan und Pedanterie betreiben, könnte man sie auch gleich sein lassen — auf einen Abnickverein könne die Republik verzichten. Unter den Bedingungen der Großen Koalition sieht er dabei vor allem ein praktisches Problem für die Opposition: die fehlende Manpower. „Es gibt einfach weniger Leute, die nachbohren können”, fragen, was hinter einem Projekt steckt, woraus sich gestiegene Kosten ergeben, was für Alternativen es gibt. Fricke setzt darauf, dass die FDP nach der Wahl wieder an die Regierung kommt. Auch wenn er sich keinen Illusionen hingibt: „Ich weiß, wie viel langsames, beständiges Bohren von dicken Brettern Regieren ist.”

Frühe Termine

Auch in der Opposition arbeitet Fricke häufig von morgens um sieben bis abends um halb elf: „Ich mache gerne Termine um 7.30 Uhr, da lässt sich leicht erkennen, wie wichtig jemandem sein Anliegen ist.” Familienersatz ist in solchen Zeiten schon mal die Partei. Eine Art Klub sei die FDP, eine enge Gemeinschaft von Menschen mit ähnlichen Interessen. So zählt Fricke Liberale wie den Gesundheitspolitiker Daniel Bahr, den Finanzfachmann Volker Wissing und die Innenpolitikerin Gisela Piltz zu seinem Freundeskreis. Wenn es dann in einer Sitzungswoche mal wieder spät geworden ist, er aber noch nicht nach Hause möchte, schickt er eine SMS herum: Jemand Lust auf ein Bier in der Parlamentarischen Gesellschaft? Zu mehr reicht die Zeit selten.

Zu Hause in Krefeld genießt Fricke das Familienleben. Natürlich würde er nicht Nein sagen, wenn ihm ein Staatssekretärposten oder gar der eines Ministers angeboten würde. Aber ein Wunschtraum ist es für ihn nicht — dann gäbe es nämlich noch weniger Freizeit als jetzt schon. „Wenn ich Ende nächsten Jahres einfaches Mitglied im Haushaltsausschuss werde, werde ich auch daran Freude haben. Da fällt mir kein Zacken aus der Krone.” Anders dürfte es aussehen, wenn er nicht wieder in den Bundestag gewählt würde: „Der Job als Parlamentarier macht mir Spaß.” Ausschließlich Lakritze zu sammeln, Rechtsanwalt zu sein und in der Kanzlei die Buchführung zu erledigen, das wäre nichts für Otto Fricke. 

Text: Christina Jäger
Erschienen am 24. September 2008

Zur Person:

Otto Fricke, (FDP) wurde am 21. November 1965 als Sohn eines Rechtsanwaltspaares in Krefeld geboren. Er ist Jurist in einer Sozietät in seiner Heimatstadt. Der dreifache Familienvater nennt unter anderem Wandern, Aquaristik und die Niederlande als Hobbys. Neben Lakritz hat er ein Faible für amerikanische Karikaturen. Fricke ist seit 2002 im Bundestag und seit 2005 Vorsitzender des Haushaltsausschusses.

E-Mail: otto.fricke@bundestag.de
WWW: www.otto-fricke.de


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