Otto Fricke schätzt Zahlen, da
sie Politik konkret machen
© DBT/Werner Schüring
Otto Fricke
Wenn im September die heißen
Haushaltswochen mit Debatten über den Etat für 2009
anstehen, haben Otto Fricke und seine Kollegen aus dem
Haushaltsausschuss bereits die Hauptarbeit hinter sich. Der
FDP-Abgeordnete ist Vorsitzender dieses größten aller
Bundestagsausschüsse und steht damit jenem Gremium vor, das
die Schlüsselfunktion bei der Budgetkontrolle innehat. Er
schätzt die Zahlen, denn sie machen Politik konkret. Auch wenn
es dann oft heißt: „Geht nicht, haben wir nicht,
können wir nicht.”
Wie viele es wohl sind? Gezählt hat Otto Fricke sie nicht,
die Dosen und Tüten voller Lakritze aus aller Welt, die sich
in seinen Büroräumen stapeln. Aber den Überblick
bewahrt er immer: Wird das Glas am runden Besuchertisch
beunruhigend leer, füllt er sofort nach. Überblick hat er
auch über weitaus größere Dimensionen: 288,4
Milliarden Euro an Einnahmen und Ausgaben — das ist der
Bundesetat für 2009. Über all die Posten und
Pöstchen, die hinter der riesigen Summe stecken, berät
der Haushaltsausschuss des Bundestages, dessen Vorsitzender Fricke
ist.
Auch wenn Fricke seine Position heute als „Traumjob”
bezeichnet: Als die Anfrage kam, war er nicht sofort hellauf
begeistert. „Wenn jemand mit 40 diesen Job bekommt, gibt ihm
das auch eine Prägung”, weiß der heute
42-Jährige. Natürlich nahm er die Chance trotzdem wahr
— und hat es nicht bereut, trotz aller Sisyphusarbeit:
„Klar bringt mir das Spaß, es sind doch Zahlen!”
Die schätzt der gebürtige Krefelder nicht in ihrer
Abstraktheit, sondern weil hinter ihnen Sachverhalte stehen,
Spielräume, um Politik zu gestalten. „Politik
beschäftigt sich meist mit Wünschen und Wollen. Der
Haushalt hingegen ist konkret, er setzt sich aus den realen Zahlen
zusammen.”
Der Vorsitz dieses Ausschusses wird stets an die Opposition
vergeben — Fricke arbeitet also indirekt daran, ihn wieder
loszuwerden, schließlich will er in die Regierung. Die
Aufgabe ist noch zeitaufwendiger als die Abgeordnetentätigkeit
generell, speziell ab dem Sommer, wenn die Prüfung des
Haushalts für das kommende Jahr ansteht. Vor Beginn der
sitzungsfreien Zeit hatte die Bundesregierung den von
Finanzminister Peer Steinbrück vorgelegten Haushalt 2009
beschlossen. Dann ging es für die Etatexperten los.
„Lesen, lesen, lesen”, fasst Fricke seine Arbeit
zusammen. Rund
„Als wir in die Sommerpause gingen, schien vielen
noch alles eitel Sonnenschein.”
2.500 Seiten mit Zahlen, die die Einzeletats der Ministerien
auflisten, werden auf Plausibilität geprüft. Gut, dass er
mit fünf Stunden Schlaf auskommt.
Nur für den Urlaub mit seiner Frau und den drei Kindern hat er
sich freigenommen, auch von den Akten. Nicht aber komplett von der
Politik: Diesen Sommer traf er an der Nordsee einen befreundeten
Haushälter samt Familie, Steffen Kampeter von der CDU. Sonst
zieht es Fricke häufig in die Niederlande. Krefeld liegt 35
Kilometer vor der holländischen Grenze, daher wuchs er mit dem
Fernsehprogramm in der fremden Sprache auf. Heute spricht er
fließend Holländisch, was ihm zuletzt zugutekam, als er
bei einem Staatsbankett am niederländischen Königshof
ungezwungen mit Prinzessin Máxima plaudern konnte. Ihn
fasziniert das Land: „So ziemlich alle gesellschaftlichen
Entwicklungen, die man dort beobachten kann, erfolgen, wenn auch
mit anderen Ergebnissen, einige Jahre später auch bei
uns.”
Die neueste Entwicklung für Deutschland ist das Ende des
Aufschwungs. „Als wir in die Sommerpause gingen, schien
vielen noch alles eitel Sonnenschein”, erzählt Fricke.
Dann kamen die schlechteren Zahlen. Wie sich die Finanzlage
angesichts der verlangsamten Konjunktur entwickeln wird, findet er
spannend. Die Abschwächung wird sich erst verzögert auf
die Steuereinnahmen auswirken, doch die wichtigen Fragen für
die nächste Zeit seien schon klar: „Sind wir bereit,
weitere Reformen zu machen? Und funktionieren die wenigen
übrig gebliebenen Teile der Agenda 2010 bei schlechterer
Konjunktur?”
Als Kind spielte Fricke zwar nicht mit einem Kaufmannsladen. Aber
die Bedeutung von Geld lernte er durch seine Eltern, die beide
selbstständig waren: „Sie haben mir sehr früh
klargemacht, dass ein eingenommener Euro lange kein Euro Gewinn
ist.” Das Handwerk im Umgang mit den Zahlen muss man
beherrschen, „sonst tricksen einen die Ausgabenpolitiker
aus”. Ausgabenpolitiker, das sind für ihn alle jene, die
sich über die Finanzierbarkeit ihrer Projekte keine Gedanken
machen.
Neues Haushaltssystem?
Etwa Ursula von der Leyen. „Sehr geschickt” sei die
Familienpolitikerin darin, ihre Forderungen durchzusetzen. Wenn es
nach Fricke ginge, würde sie auf andere Weise Rücksicht
auf Kinder nehmen: Indem sie ihnen kleinere Schuldenberge
hinterließe und einen ausgeglichenen Etat. Das
entspräche seiner Sicht einer Verpflichtung gegenüber den
nachfolgenden Generationen. Über zu wenig Freiraum bei der
Gestaltung mag Fricke nicht klagen. Obwohl allein 80 Milliarden
Euro für die Rente festgelegt sind, sieht der selbstbewusste
Politiker Spielräume: „Dann muss man eben langfristig an
der Rentenformel etwas ändern, das geht schon.”
Schätzungsweise fünf Prozent des Etats sind nicht von
vorneherein zweckgebunden, also etwa 14,4 Milliarden Euro. Um die
ringen die Ministerien mit aller Kraft.
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Der Jurist träumt davon, das gesamte Verfahren der
Haushaltsaufstellung zu verändern. „Wir haben ein
Bottom-up-System: Jedes Ministerium stellt seine Forderungen
auf.” Daraus entsteht dann der Gesamthaushalt — auch
wenn der natürlich mit den Einnahmen unter einen Hut gebracht
werden muss. Fricke wäre dafür, das System umzukehren:
Die Gesamtsumme des verfügbaren Geldes sollte Ausgangsbasis
für die Einzelhaushalte sein. Wer mehr für ein bestimmtes
Projekt ausgeben will, müsste in seinem Etat anderswo die
entsprechende Summe einsparen oder von einem Ministerkollegen etwas
bekommen. Dazu sollte mehr Transparenz kommen. „Heute
kämpft, wenn überhaupt, der Finanzminister allein gegen
die Ausgabenminister”, urteilt Fricke. Das müsste sich
ändern. Entsprechend gut gefiel ihm, dass Steinbrück im
Frühjahr tadelnde blaue Briefe an die Ressortchefs schickte,
die sich allzu maßlos gaben. Da habe sich die Wahrnehmung
verschoben: „Plötzlich waren die die bösen
Buben!” Sonst sind das nämlich häufig diejenigen,
die zum Sparen aufrufen.
Beliebt macht man sich nicht damit zu sagen, was alles nicht geht.
Das sei wie in einer Familie: Nicht die Mutter, die verbiete,
sondern der Vater, der gegen die Vernunft das Aufbleiben eine
Stunde länger erlaube, komme bei den Kindern gut an. In seinem
Wahlkreis versucht Fricke deshalb immer, den Leuten klarzumachen,
dass sie alle Ausgaben selbst bezahlen müssen.
„Politik beschäftigt sich meist mit
Wünschen und Wollen. Der Haushalt hingegen ist
konkret.”
„Auf Veranstaltungen sage ich den Bürgern oft:
‚Wenn Ihnen ein Politiker etwas verspricht, schauen Sie, wo
er es Ihnen aus der Tasche zieht.’”
Diese Sichtweise scheint ihm charakteristisch für
Haushälter. „Atypische Politiker” seien sie. Statt
das Blaue vom Himmel zu versprechen, seien ihre Leitsätze
„geht nicht, haben wir nicht, machen wir nicht”. Dass
es dafür keine Fanclubs gibt, gelte es auszuhalten. Wie auch
die neidischen Kommentare, Haushälter seien „Abgeordnete
zu Pferd”. Eine Bezeichnung aus der Bismarckzeit —
statt einfacher Parlamentarier seien sie etwas höhergestellt.
„Das ist Quatsch”, meint Fricke dazu. Ein paar
Privilegien erfordert die Aufgabe aber. Etwa, dass Anfragen der
Haushälter an Ministerien deutlich schneller beantwortet
werden als die „normaler” Abgeordneter. Alle wissen,
wie einflussreich die Haushälter sind —
„bloß nicht vergrätzen”, lautet das
ungeschriebene Gesetz in den Fachressorts. Oder dass sich die
Minister selbst einfinden, um zu Detailfragen ihrer Etats Stellung
zu nehmen.
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Ein weiteres Privileg scheint, dass der Ausschuss eine Kneipe sein
Eigen nennt: die „Papierkneipe”. Eigentlich handelt es
sich um das Sekretariat des Haushaltsausschusses, in dem sich
Stapel von Akten und Vorlagen türmen. Den Namen verdiente sich
der Raum, weil hier zum Abschluss des
Haushaltsaufstellungsverfahrens, meist tief in der Nacht, alle
Ausschussmitglieder gemeinsam ein Bier trinken. Auch eine
Kaffeemaschine gibt es: „Man muss doch den Ministern, die
hier ihren Etat vorstellen, etwas zu trinken anbieten können,
auch nach Mitternacht.” Die erste Maschine, ein Luxusmodell
für angeblich 1.000 D-Mark, hatte Helmut Kohl spendiert. Die
aktuelle stammt von Frank-Walter Steinmeier.
Der Umgangston zwischen den Haushältern ist entspannt. Allein
die langen gemeinsamen Sitzungen schweißen zusammen. Speziell
die abschließende Bereinigungssitzung, die leicht bis halb
drei Uhr morgens dauert. „Entweder man hasst sich, oder aber
man arbeitet gut miteinander”, so laute die Alternative. Da
die Sitzungen nicht öffentlich sind, kann sehr offen geredet
werden. Manches dringt trotzdem nach außen. Etwa der
Wutanfall von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
(SPD), als ihr vergangenes Jahr klar wurde, dass ihr Etat an einer
Stelle stark beschnitten wurde. Denn auch die Einhaltung des
Haushalts behalten die Rechnungsprüfer im Ausschuss im Blick.
Wer zu ungeniert Geld von einem Posten für einen anderen
ausgibt, dem droht Ungemach, wie die dienstälteste Ministerin
erfahren musste.
Seiner Rolle in der Demokratie ist sich Fricke sehr bewusst:
„Wir sind die Speerspitze der Parlamentskontrolle.”
Würden die Abgeordneten diese Kontrolle nicht mit viel Elan
und Pedanterie betreiben, könnte man sie auch gleich sein
lassen — auf einen Abnickverein könne die Republik
verzichten. Unter den Bedingungen der Großen Koalition sieht
er dabei vor allem ein praktisches Problem für die Opposition:
die fehlende Manpower. „Es gibt einfach weniger Leute, die
nachbohren können”, fragen, was hinter einem Projekt
steckt, woraus sich gestiegene Kosten ergeben, was für
Alternativen es gibt. Fricke setzt darauf, dass die FDP nach der
Wahl wieder an die Regierung kommt. Auch wenn er sich keinen
Illusionen hingibt: „Ich weiß, wie viel langsames,
beständiges Bohren von dicken Brettern Regieren
ist.”
Frühe Termine
Auch in der Opposition arbeitet Fricke häufig von morgens um
sieben bis abends um halb elf: „Ich mache gerne Termine um
7.30 Uhr, da lässt sich leicht erkennen, wie wichtig jemandem
sein Anliegen ist.” Familienersatz ist in solchen Zeiten
schon mal die Partei. Eine Art Klub sei die FDP, eine enge
Gemeinschaft von Menschen mit ähnlichen Interessen. So
zählt Fricke Liberale wie den Gesundheitspolitiker Daniel
Bahr, den Finanzfachmann Volker Wissing und die Innenpolitikerin
Gisela Piltz zu seinem Freundeskreis. Wenn es dann in einer
Sitzungswoche mal wieder spät geworden ist, er aber noch nicht
nach Hause möchte, schickt er eine SMS herum: Jemand Lust auf
ein Bier in der Parlamentarischen Gesellschaft? Zu mehr reicht die
Zeit selten.
Zu Hause in Krefeld genießt Fricke das Familienleben.
Natürlich würde er nicht Nein sagen, wenn ihm ein
Staatssekretärposten oder gar der eines Ministers angeboten
würde. Aber ein Wunschtraum ist es für ihn nicht —
dann gäbe es nämlich noch weniger Freizeit als jetzt
schon. „Wenn ich Ende nächsten Jahres einfaches Mitglied
im Haushaltsausschuss werde, werde ich auch daran Freude haben. Da
fällt mir kein Zacken aus der Krone.” Anders dürfte
es aussehen, wenn er nicht wieder in den Bundestag gewählt
würde: „Der Job als Parlamentarier macht mir
Spaß.” Ausschließlich Lakritze zu sammeln,
Rechtsanwalt zu sein und in der Kanzlei die Buchführung zu
erledigen, das wäre nichts für Otto Fricke.
Text: Christina Jäger
Erschienen am 24. September 2008
Zur Person:
Otto Fricke, (FDP) wurde am 21.
November 1965 als Sohn eines Rechtsanwaltspaares in Krefeld
geboren. Er ist Jurist in einer Sozietät in seiner
Heimatstadt. Der dreifache Familienvater nennt unter anderem
Wandern, Aquaristik und die Niederlande als Hobbys. Neben Lakritz
hat er ein Faible für amerikanische Karikaturen. Fricke ist
seit 2002 im Bundestag und seit 2005 Vorsitzender des
Haushaltsausschusses.
E-Mail:
otto.fricke@bundestag.de
WWW:
www.otto-fricke.de