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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Der Weg zum Parlamentarischen Rat
Gültig ab: 06.08.2008 10:19
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Der Weg zum Parlamentarischen Rat

Der hessische Ministerpräsident Christian Stock von der SPD am Rednerpult während des Festakts zur Eröffnung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948
Festakt zur Eröffnung des Parlamentarischen Rates im Bonner Museum Koenig am 1. September 1948. Am Rednerpult der hessische Ministerpräsident Christian Stock (SPD)
© Erna Wagner-Hehmke/HDG

Ein Grundgesetz für Deutschland

Der Start in eine neue Zukunft beginnt mit einer Vertreibung: Giraffen, Büffel und andere ausgestopfte Tiere im Bonner Zoologischen Museum Alexander Koenig werden hinter Säulen unter großen Vorhängen versteckt. Denn der große Museumssaal wird für Wichtiges benötigt: Am 1. September 1948, Punkt 13 Uhr, beginnt hier der Festakt zur Eröffnung des Parlamentarischen Rates. Neun Monate später wird dieser Rat das Grundgesetz vorlegen — die Verfassung des westdeutschen Teilstaates. Seine Verabschiedung ist die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Und der Grundstock für eine nun 60-jährige Erfolgsgeschichte.

Es ist eine illustre Versammlung, die auf den Holzstühlen Platz nimmt: ehemalige Abgeordnete des Reichstags, Oberbürgermeister, Professoren, Widerstandskämpfer, Gewerkschaftsführer. Die Männer und die — wenigen — Frauen sind festlich gekleidet. Aber vielen Gesichtern sind die Entbehrungen und inneren Verletzungen anzusehen, die die Zeit des Nationalsozialismus verursacht hat. Über dem Festakt liegt eine gespannte Erwartungshaltung. Denn jeder im Saal spürt die Größe und Bedeutung dieses Tages. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Karl Arnold (CDU), der die Festversammlung eröffnet, formuliert diese Erwartung so:

„Wir beginnen mit dieser Arbeit in der Absicht und dem festen Willen, einen Bau zu errichten, der am Ende ein gutes Haus für alle Deutschen werden soll. Dieses Haus soll sich in zäher und mühsamer Arbeit aus den Ruinen unserer zerstörten Städte und Dörfer erheben, wie sich deutsches Leben aus seinem Herzensgrund erheben muss zu neuem Leben und neuer Hoffnung.”

Ruinen, Zerstörung, Hunger, Vertreibung, Unsicherheit — das ist der Boden, auf dem das Neue entstehen soll. Gerade drei Jahre ist es her, dass Deutschland seinen tiefsten Fall erfahren, den Krieg und die Verbrechen des Nationalsozialismus mit der bedingungslosen Kapitulation und der Schmach bezahlt hat, sich mit Hitlers Völkermord an den Juden aus der zivilisierten Welt ausgeschlossen zu haben. Die meisten Menschen sind mit dem Kampf um das nackte Überleben beschäftigt. Und doch regt sich auch wieder politisches Leben. Vorsichtig, unsicher, zögernd zunächst, aber doch auch hoffnungsvoll und voller Ideale. Denn eines eint Sieger, die nun über das in vier Besatzungszonen geteilte Deutschland herrschen, und Besiegte: Dem Hitler-Staat darf und kann nur ein friedliches und demokratisches Deutschland folgen. So entstehen in allen Besatzungszonen wieder politische Parteien und ebenso Länder, in denen sich das staatliche Leben mit Landesparlamenten und Landesregierungen neu zu organisieren beginnt. In den Westzonen ist das Leitbild dieses Neuanfangs eine föderale, demokratisch-parlamentarische Ordnung. In der Ostzone hingegen bauen die Kommunisten immer rascher und konsequenter ein diktatorisches und zentralistisches System auf. Die Parteien werden bei nur formaler Selbstständigkeit zu einem sogenannten Demokratischen Block zusammengefasst, die fünf Länder später aufgelöst und durch Bezirke ersetzt.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold im Gespräch mit dem CDU-Angeordneten Theophil Kaufmann und dem Innenminister von Baden-Württemberg, Fritz Ulrich, von der SPD
Auftakt des Parlamentarischen Rates: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold (rechts), Eröffnungsredner auf der Festversammlung, im Gespräch mit dem CDU-Abgeordneten Theophil Kaufmann und mit Fritz Ulrich (SPD), Innenminister von Wür
© Erna Wagner-Hehmke/HDG
Komplizierte Gemengelage

Die eigentlichen Herren über das Nachkriegsdeutschland aber bleiben die Alliierten. Zunächst arbeiten die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion noch zusammen, doch schon bald bricht die Einigkeit auseinander. Zu groß sind die ideologischen, politischen und machtstrategischen Gegensätze unter den ehemaligen Verbündeten. Der Ost-West-Konflikt entsteht, später geht auf östlicher Seite ein „Eiserner Vorhang” nieder, der „Kalte Krieg” bricht aus. Was wird nun aus Deutschland, fragen sich viele Menschen im Westen wie im Osten des in Zonen aufgeteilten Landes. Die Spaltung wirft ihre ersten Schatten. Bis der Parlamentarische Rat in der beschaulichen Universitätsstadt Bonn am 1. September 1948 zu seiner konstituierenden Sitzung in der wenige Hundert Meter vom Museum Koenig entfernten Pädagogischen Akademie zusammentritt, ist es noch ein weiter Weg. Viele Hürden müssen genommen werden; zugleich verschärfen weitere wichtige Ereignisse die Gegensätze, die später zur Teilung Deutschlands führen:
  • Um Deutschland wirtschaftlich wieder auf eigene Beine zu stellen, legen die USA und Großbritannien im Januar 1947 ihre Besatzungszonen zur Bizone zusammen. Kurze Zeit später wird unter der Kontrolle dieser beiden Besatzungsmächte bereits der Frankfurter Wirtschaftsrat mit ersten gesetzgeberischen Befugnissen und einem Exekutivausschuss mit Direktoren gebildet, die regierungsähnliche Aufgaben wahrnehmen — erste Vorformen eines größeren Staatsgebildes. Zu den Direktoren gehört Ludwig Erhard, die spätere Verkörperung des „Wirtschaftswunders”.
  • Mitte 1948 verkünden und initiieren die Amerikaner den nach ihrem damaligen Außenminister benannten Marshallplan, der Europa wieder aufhelfen soll, besonders dem Westen Deutschlands. Der Osten muss sich dagegen auf Geheiß von Stalin, der die Vorherrschaft der Sowjetunion in Osteuropa gefährdet sieht, von dem milliardenschweren Hilfsprogramm selbst ausschließen.
  • Nahezu zeitgleich findet die Währungsreform statt. In den drei westlichen Besatzungszonen gilt ab dem 20. Juni 1948 statt der nahezu wertlosen Reichsmark nun die D-Mark. Jeder Bürger erhält 40 D-Mark „Kopfgeld”. Schon am Tag nach der Währungsreform sind die Schaufenster der Läden prall gefüllt. Drei Tage später folgt die Ostzone mit einer eigenen Währungsreform — allerdings ohne große Wirkung auf das Warenangebot.
  • Unmittelbar nach den Währungsreformen beginnt die Blockade Berlins durch die Sowjets. Nur mit Hilfe einer Luftbrücke und von täglich Hunderten „Rosinenbombern” können die Westalliierten die Versorgung Westberlins aufrechterhalten. Knapp ein Jahr — bis zum 12. Mai 1949 — dauert die Blockade, dann lenkt die Sowjetunion ein.
  • Im April 1949 erweitert sich die Bizone durch den Beitritt der französischen Zone zur Trizone. Zunächst nur aus rein wirtschaftlichen Interessen gegründet, werden Bizone und Trizone und ihre Institutionen jedoch am Beginn des Kalten Krieges zu Vorläufergebilden der Bundesrepublik Deutschland.

In dieser komplizierten Gemengelage ergreifen die drei Westalliierten die Initiative. Am 1. Juli 1948 übergeben sie im ehemaligen IG-Farben-Haus in Frankfurt, dem Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte, den elf Ministerpräsidenten der westdeutschen Besatzungszonen drei auf Schreibmaschine geschriebene Dokumente. Kernpunkt ist dabei der Auftrag, bis zum 1. September 1948 eine Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Sie soll „eine demokratische Verfassungausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.”

Freiheitskundgebung am 9. September 1948 vor dem Reichstagsgebäude mit dem Appell des Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter an die „Völker der Welt” — Ausdruck für den Durchhaltewillen

© Ullstein Bild/Henry Ries
Mit diesem Auftrag (den sogenannten Frankfurter Dokumenten) beginnt die Uhr der Staatswerdung der Bundesrepublik endgültig zu ticken. Nur noch zwei Monate sind es, bis der Parlamentarische Rat dafür die entscheidenden Weichen zu stellen hat. Und diese zwei Monate haben es in sich. Hektische Aktivitäten entfalten sich. Schon eine Woche nach der Übergabe der Frankfurter Dokumente treffen sich die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder auf dem Rittersturz, einem Aussichtspunkt bei Koblenz, um über die Konsequenzen der alliierten Initiative zu befinden. Schon dabei kristallisieren sich drei Kernpunkte heraus, die auch die späteren Beratungen — etwa im Jagdschloss Niederwald — dominieren werden:
  • Die Frankfurter Dokumente sollen grundsätzlich angenommen werden.
  • Die Schaffung eines westdeutschen Teilstaates erscheint wegen der damit verbundenen Vertiefung der Teilung Deutschlands problematisch.
  • Um die deutsche Einheit nicht zu gefährden, soll es keine Verfassunggebende Versammlung, sondern nur einen Parlamentarischen Rat, keine Verfassung, sondern höchstens ein Organisationsstatut oder Grundgesetz sowie kein Volksreferendum geben.
Was sind die Leitbilder?

Streitpunkte zwischen den Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder und den drei Westmächten sind auch die Festlegung von Ländergrenzen und das Besatzungsstatut mit weitgehenden Rechten, das die Alliierten für sich beanspruchen.

Viele weitere Fragen türmen sich im Vorfeld des Parlamentarischen Rates auf. Soll das geplante Grundgesetz ein lockeres Provisorium, eine ausgearbeitete Verfassung oder ein Mittelweg von beidem sein? An welchen Vorbildern, an welchen Werten orientiert man sich? Wie stark und eigenständig darf oder muss die angestrebte Demokratie werden?

Auf die eigene deutsche Geschichte zurückzugreifen, hilft nicht viel. Denn eine gewichtige demokratische Tradition hat Deutschland nicht zu bieten. So wie der berühmten Giebelinschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE am stark zerstörten Reichstagsgebäude einige Buchstaben fehlen, fehlt vielen Menschen eine klare Orientierung. Kein Wunder: Das kaiserliche Deutschland unter Wilhelm II. war ein monarchischer Obrigkeitsstaat; die kurzen 14 Jahre der anschließenden Weimarer Republik (1919 bis 1933) mit ihren permanent wechselnden Regierungen, ihren institutionellen Schwächen und ihrer mangelnden positiven Verankerungen im Bewusstsein der Bürger eigneten sich auch nicht so recht als Vorbild; schließlich die Katastrophe des nationalsozialistischen Regimes unter Adolf Hitler. Auf welche Leitbilder sollte da zurückgegriffen werden?

Vor dieser Frage steht auch der Sachverständigenausschuss, der zur Vorbereitung des Parlamentarischen Rates vom 10. bis 23. August 1948 im Kloster von Herrenchiemsee zusammentritt und später den Titel Verfassungskonvent erhält. In der Inselabgeschiedenheit erarbeiten elf Politiker und Sachverständige — unter ihnen Adolf Süsterhenn und Carlo Schmid — wichtige Prinzipien für das neue Grundgesetz, etwa die, dass die neue Republik eine „wehrhafte Demokratie” sein müsse, die Regierung von einer „arbeitsfähigen Mehrheit” im Parlament abhängig und das Staatsoberhaupt neutral sein müsse.

Umstritten ist zunächst, wie verbindlich die Herrenchiemseer Beschlüsse sein sollen. Vor allem die SPD sieht in ihnen höchstens „Vorarbeiten”, an die sich der Parlamentarische Rat nicht zu halten habe. Doch die Geschichte bestimmt anders: Viele Gedanken der Klosterrunde werden später im Grundgesetz aufgenommen. 

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Text: Sönke Petersen
Bildnachweis: Erna Wagner-Hehmke/Hehmke-Winterer,
Düsseldorf; Haus der Geschichte, Bonn
Erschienen am 13. August 2008

Weitere Informationen:

Frankfurter Dokumente
im Volltext unter:
www.bundestag.de/geschichte/parlhist/dokumente


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