Bilder einer Ausstellung: Andreas
Kaernbach (Mitte) während der Aufbauarbeiten für 'The J.
Street Project'
© DBT/studio kohlmeier
Kunst im Bundestag
Andreas Kaernbachs Anliegen ist es, den
Austausch zwischen Kunst und Politik zu fördern.
E s ist ein Bild wie ein Gedicht. „wir schaufeln ein Grab
in den Lüften da liegt man nicht eng”. Ein Bild wie eine
Trauer: weiß, in ungleiche Gevierte geteilt durch einen Mast
und eine Straße. Das Straßenschild am Mast befestigt.
Fast schneeverweht der Name „Jüdenhain”.
„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends”.
Der Dichter Paul Celan hat das Leichentuch mit Worten gewebt. Die
Künstlerin Susan Hiller hat es abgebildet. Rund 300
Fotografien sind entstanden, auf denen Anwesenheit und Abwesenheit
des jüdischen Lebens in Deutschland dokumentiert sind. Drei
Bilder hat der Bundestag angekauft. Es sind die
„Schneebilder”: Jüdenhain, Judengraben,
Judengasse. Hier haben sie also gelebt. Und dann sind sie
vernichtet worden. Fast alle. Die Fotos geben das nicht preis und
lassen doch daran denken. Genau daran. Der Schnee deckt es nicht
zu: „dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar
Sulamith”.
Die Ausstellung „The J. Street Project” ist seit dem
15. Oktober im Kunst-Raum des Marie-Elisabeth-Lüders- Hauses
zu sehen. Dieser Ausstellungsraum wurde im September 2005
eröffnet. Er ist das Ergebnis guter Überlegungen und
eines Konsenses, der sich aus dem Wunsch nährte, die
allmähliche Annäherung des Parlaments an
zeitgenössische Kunst zu fördern. Der Kurator der
Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, Andreas Kaernbach, hat bei
der Eröffnung des Kunst-Raumes gesagt, nun sei ein geistig und
sinnlich erfahrbares Erscheinungsbild des Bundestages geschaffen
worden, man habe sich eine Kunst-Agora im Parlamentsviertel
geschaffen. Einen Ort des Dialoges. Es sei ein glückliches
Konzept, das hier umgesetzt wird. Das war der Anfang, und so ist es
geworden.
„Es schien mir unerlässlich, Susan Hiller in
unserer Sammlung zu haben.”
Nun sind hier 303 Fotografien der britisch-amerikanischen
Konzeptkünstlerin Susan Hiller zu sehen. Dazu eine Film- und
Buchdokumentation, die das Alltagsleben in deutschen
„Judenstraßen” in 170 Orten zeigt. Solche
Ausstellungsprojekte haben einen Vorlauf. Der beginnt mit einer
Idee, die auf Tauglichkeit geprüft wird.
Andreas Kaernbach, Kurator einer Sammlung und Sekretär eines
Kunstbeirates des Deutschen Bundestages, in dem Abgeordnete aller
Fraktionen sitzen, hatte vor einiger Zeit vorgeschlagen, Arbeiten
der Künstlerin Susan Hiller anzukaufen. Es ist eine seiner
Aufgaben, derartige Vorschläge zu unterbreiten. „Es
schien mir unerlässlich zu sein, Susan Hiller in unserer
Sammlung zu haben, denn ihre Arbeiten sind sehr politisch. Und
natürlich gut.”
Bei der ersten Beratung gab es noch keine Entscheidung. Als
Kaernbach das Thema zum zweiten Mal zur Sprache brachte, schlug er
vor, darüber nachzudenken, eine Ausstellung über
„The J.Street Project” zu machen. Es muss gute
Gründe geben, wenn ein ganzer Beirat einer solchen Idee folgt.
Warum Susan Hiller, warum diese Bilder, warum jetzt?
„Es ist für uns wichtig, mit den Ausstellungen, die
keine hausinterne Angelegenheit sind, sondern ein Angebot an die
Öffentlichkeit, eine Brücke zu unserer Sammlung zu
schlagen. Wir kaufen nicht an und sammeln nicht zum Selbstzweck.
Wir wollen bildende Kunst, Künstlerinnen und Künstler
fördern.” In einem Kulturstaat ist Aufgeschlossenheit
gegenüber dem Neuen in der Kunst oder der neuen Kunst geradezu
Pflicht. Der Bundestag kommt dieser Verpflichtung nach und macht
zugleich die Ergebnisse dieser Arbeit öffentlich: indem in
allen Häusern Kunstwerke zu sehen sind, Ausstellungen
konzipiert, Führungen angeboten, Bücher
veröffentlicht werden und so ein Dialog stattfindet.
Kurator Andreas Kaernbach im
Gespräch mit der Künstlerin Susan Hiller
© DBT/studio kohlmeier
Es gab also ein Ja des Kunstbeirates zu dem Vorschlag, Susan
Hillers Projekt auszustellen. Damit begann für Andreas
Kaernbach die Arbeit an der Umsetzung des Vorhabens. Zuerst
natürlich galt es, die Künstlerin zu fragen, ob sie will,
was der Bundestag möchte. Ja, doch ja, sie will. Wunderbar.
Danach war ein Termin zu finden. Klingt einfach, ist nicht ganz so
einfach. Ausstellungen werden vom Bundestagspräsidenten
eröffnet. Also Abstimmung mit seinem Büro. Und auch sonst
muss es ein guter Tag sein, in ausreichender Ferne gelegen, um
alles zu schaffen, aber doch nicht in allzu ferner Zukunft.
Dann die wichtigste aller Fragen: Wird es gelingen, alle 303 Fotos
zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu haben? In diesem Falle noch
eine vergleichsweise einfache Aufgabe, denn es waren nur zwei
Galerien zu kontaktieren. Bei der vorhergehenden Ausstellung mit
Bildern des Malers Hans Jürgen Kallmann beispielsweise mussten
Leihgeber von München über Ismaning, Wiesbaden bis
Köln und Berlin angesprochen und entsprechende
Archivrecherchen unternommen werden. Vielleicht ist die
schönste Arbeit von allen darum anschließend die, sich
Gedanken darüber zu machen, wie die eigentliche Ausstellung
aussehen soll. Was werden die Bilder mit dem Raum, was wird der
Raum mit den Bildern machen? Susan Hiller kam, um mit Andreas
Kaernbach und einem vom Bundestag beauftragten
Ausstellungsarchitekten darüber zu reden. Dann traf sich
Andreas Kaernbach mit einem Antiquitätenhändler, denn es
sollte eine Installation der Künstlerin eingebunden werden ins
Ausstellungskonzept. Die „Brandenburg-Suite” besteht
aus Möbeln, aufgeklappten Koffern, Bildern aus der Serie und
symbolisiert den hastigen Aufbruch, die Flucht ins Ungewisse, die
Vertreibung.
„Wir wollen bildende Kunst, Künstlerinnen und
Künstler fördern.”
Die Entscheidung für diesen Kunst- Raum, das erfährt der
Kurator des Bundestages immer wieder, war eine glückliche.
Viele Künstler und Künstlerinnen sind begeistert. Sie
wollen ihre Werke nicht einfach hingestellt oder hingehängt
haben, es soll sich zur Kunst eine Idee gesellen, davon, wie die
Kunst dargeboten wird. Und der Raum im Marie-
Elisabeth-Lüders-Haus signalisiert die Ernsthaftigkeit des
Anliegens. Er hat ein Gesicht, er ermöglicht
Verschiedenheit.
Susan Hiller hat alle 303 Aufnahmen dicht an dicht an eine zehn
Meter lange, weiße Wand gehängt. Jedem Bild ist eine
Nummer zugeordnet, an der gegenüberliegenden Wand sind die
zugehörigen Namen von Städten und Orten zu lesen.
„So wird das aussehen”, erklärte Andreas Kaernbach
in einem Gespräch vor dem Aufbau der Ausstellung anhand eines
Modells, das in seinem Arbeitszimmer auf dem Schrank stand und den
Ausstellungsraum zeigt, wie er sich auf zwei Ebenen erstreckt,
verbunden durch eine Treppe. „Auf der oberen Ebene werden die
Bilder hängen, an der Seite wird das Buch auf einem Pult
ausliegen, hier in dem fensterlosen Kabinettraum die
Videoinstallation gezeigt.” Das weiße, leere Modell
verlangte Fantasie ab, aber doch, es ging. So wird es aussehen. 303
Fotos für eine Annäherung an die Vergangenheit.
© DBT/studio kohlmeier
Vor einer Vernissage ist, wenn die grundlegenden Dinge einmal
festgelegt werden konnten, noch sehr vieles zu bedenken. Ein Plakat
muss entworfen und gedruckt werden, ein Flyer für die
Einladungen. Andreas Kaernbach schreibt die Texte für alle
Publikationen über die Ausstellungen des Bundestages selbst.
Welche Musik soll zur Eröffnung der Ausstellung gespielt
werden? Es kann passieren, es passiert, dass man eine Idee hat, und
dann: „Ich hatte mir vorgestellt, Kantoralmusik
aufführen zu lassen. Aber am 14. Oktober beginnt das
jüdische Laubhüttenfest, das größte
Freudenfest des jüdischen Jahres. Wir konnten also keine
synagogale Musik auf unserer Vernissage spielen, weil alle
Musikerinnen und Musiker bereits gebunden waren.”
Gespielt wurde dann ein Streichtrio des tschechischen Komponisten
Gideon Klein. Er schrieb es im KZ Theresienstadt im Jahre 1944,
neun Tage bevor er nach Auschwitz deportiert und dort am 27. Januar
1945 ermordet wurde. Andreas Kaernbach, der seine Arbeit im und
für den Deutschen Bundestag übrigens am 9. November 1989
begann, denkt bereits über die nächsten Projekte
nach.
„The J. Street Project” ist bis zum 11. Januar 2009 zu
sehen. Bleiben werden drei „Schneebilder”, die dem
Deutschen Bundestag gehören. Sie waren ja auch der Beginn von
allem.
Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 19. November 2008
Weitere Informationen:
„The J. Street
Project”
Ausstellung mit Werken von Susan Hiller
Ort:
Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Zugang über
die Spreeuferpromenade (Schiffbauerdamm)
Öffnungszeiten:
bis zum 11. Januar 2009 täglich außer Montag von 11 bis
17 Uhr. Der Eintritt ist frei.
www.kunst-im-bundestag.de