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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Ein Raum, geschaffen für den Dialog
Gültig ab: 17.09.2008 10:19
Autor: Sebastian Kreideweiß
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Ein Raum, geschaffen für den Dialog

Bilder lehnen in der Ausstellungshalle des Kunst-Raums nebeneinander an der Wand, davor drei Personen
Bilder einer Ausstellung: Andreas Kaernbach (Mitte) während der Aufbauarbeiten für 'The J. Street Project'
© DBT/studio kohlmeier

Kunst im Bundestag

Andreas Kaernbachs Anliegen ist es, den Austausch zwischen Kunst und Politik zu fördern.

E s ist ein Bild wie ein Gedicht. „wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng”. Ein Bild wie eine Trauer: weiß, in ungleiche Gevierte geteilt durch einen Mast und eine Straße. Das Straßenschild am Mast befestigt. Fast schneeverweht der Name „Jüdenhain”. „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends”. Der Dichter Paul Celan hat das Leichentuch mit Worten gewebt. Die Künstlerin Susan Hiller hat es abgebildet. Rund 300 Fotografien sind entstanden, auf denen Anwesenheit und Abwesenheit des jüdischen Lebens in Deutschland dokumentiert sind. Drei Bilder hat der Bundestag angekauft. Es sind die „Schneebilder”: Jüdenhain, Judengraben, Judengasse. Hier haben sie also gelebt. Und dann sind sie vernichtet worden. Fast alle. Die Fotos geben das nicht preis und lassen doch daran denken. Genau daran. Der Schnee deckt es nicht zu: „dein goldenes Haar Margarete dein aschenes Haar Sulamith”.

Die Ausstellung „The J. Street Project” ist seit dem 15. Oktober im Kunst-Raum des Marie-Elisabeth-Lüders- Hauses zu sehen. Dieser Ausstellungsraum wurde im September 2005 eröffnet. Er ist das Ergebnis guter Überlegungen und eines Konsenses, der sich aus dem Wunsch nährte, die allmähliche Annäherung des Parlaments an zeitgenössische Kunst zu fördern. Der Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages, Andreas Kaernbach, hat bei der Eröffnung des Kunst-Raumes gesagt, nun sei ein geistig und sinnlich erfahrbares Erscheinungsbild des Bundestages geschaffen worden, man habe sich eine Kunst-Agora im Parlamentsviertel geschaffen. Einen Ort des Dialoges. Es sei ein glückliches Konzept, das hier umgesetzt wird. Das war der Anfang, und so ist es geworden.

„Es schien mir unerlässlich, Susan Hiller in unserer Sammlung zu haben.”
Nun sind hier 303 Fotografien der britisch-amerikanischen Konzeptkünstlerin Susan Hiller zu sehen. Dazu eine Film- und Buchdokumentation, die das Alltagsleben in deutschen „Judenstraßen” in 170 Orten zeigt. Solche Ausstellungsprojekte haben einen Vorlauf. Der beginnt mit einer Idee, die auf Tauglichkeit geprüft wird.

Andreas Kaernbach, Kurator einer Sammlung und Sekretär eines Kunstbeirates des Deutschen Bundestages, in dem Abgeordnete aller Fraktionen sitzen, hatte vor einiger Zeit vorgeschlagen, Arbeiten der Künstlerin Susan Hiller anzukaufen. Es ist eine seiner Aufgaben, derartige Vorschläge zu unterbreiten. „Es schien mir unerlässlich zu sein, Susan Hiller in unserer Sammlung zu haben, denn ihre Arbeiten sind sehr politisch. Und natürlich gut.”

Bei der ersten Beratung gab es noch keine Entscheidung. Als Kaernbach das Thema zum zweiten Mal zur Sprache brachte, schlug er vor, darüber nachzudenken, eine Ausstellung über „The J.Street Project” zu machen. Es muss gute Gründe geben, wenn ein ganzer Beirat einer solchen Idee folgt. Warum Susan Hiller, warum diese Bilder, warum jetzt?

„Es ist für uns wichtig, mit den Ausstellungen, die keine hausinterne Angelegenheit sind, sondern ein Angebot an die Öffentlichkeit, eine Brücke zu unserer Sammlung zu schlagen. Wir kaufen nicht an und sammeln nicht zum Selbstzweck. Wir wollen bildende Kunst, Künstlerinnen und Künstler fördern.” In einem Kulturstaat ist Aufgeschlossenheit gegenüber dem Neuen in der Kunst oder der neuen Kunst geradezu Pflicht. Der Bundestag kommt dieser Verpflichtung nach und macht zugleich die Ergebnisse dieser Arbeit öffentlich: indem in allen Häusern Kunstwerke zu sehen sind, Ausstellungen konzipiert, Führungen angeboten, Bücher veröffentlicht werden und so ein Dialog stattfindet.

Kurator Andreas Kaernbach im Gespräch mit der Künstlerin Susan Hiller
Kurator Andreas Kaernbach im Gespräch mit der Künstlerin Susan Hiller
© DBT/studio kohlmeier
Es gab also ein Ja des Kunstbeirates zu dem Vorschlag, Susan Hillers Projekt auszustellen. Damit begann für Andreas Kaernbach die Arbeit an der Umsetzung des Vorhabens. Zuerst natürlich galt es, die Künstlerin zu fragen, ob sie will, was der Bundestag möchte. Ja, doch ja, sie will. Wunderbar. Danach war ein Termin zu finden. Klingt einfach, ist nicht ganz so einfach. Ausstellungen werden vom Bundestagspräsidenten eröffnet. Also Abstimmung mit seinem Büro. Und auch sonst muss es ein guter Tag sein, in ausreichender Ferne gelegen, um alles zu schaffen, aber doch nicht in allzu ferner Zukunft.

Dann die wichtigste aller Fragen: Wird es gelingen, alle 303 Fotos zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu haben? In diesem Falle noch eine vergleichsweise einfache Aufgabe, denn es waren nur zwei Galerien zu kontaktieren. Bei der vorhergehenden Ausstellung mit Bildern des Malers Hans Jürgen Kallmann beispielsweise mussten Leihgeber von München über Ismaning, Wiesbaden bis Köln und Berlin angesprochen und entsprechende Archivrecherchen unternommen werden. Vielleicht ist die schönste Arbeit von allen darum anschließend die, sich Gedanken darüber zu machen, wie die eigentliche Ausstellung aussehen soll. Was werden die Bilder mit dem Raum, was wird der Raum mit den Bildern machen? Susan Hiller kam, um mit Andreas Kaernbach und einem vom Bundestag beauftragten Ausstellungsarchitekten darüber zu reden. Dann traf sich Andreas Kaernbach mit einem Antiquitätenhändler, denn es sollte eine Installation der Künstlerin eingebunden werden ins Ausstellungskonzept. Die „Brandenburg-Suite” besteht aus Möbeln, aufgeklappten Koffern, Bildern aus der Serie und symbolisiert den hastigen Aufbruch, die Flucht ins Ungewisse, die Vertreibung.

„Wir wollen bildende Kunst, Künstlerinnen und Künstler fördern.”
Die Entscheidung für diesen Kunst- Raum, das erfährt der Kurator des Bundestages immer wieder, war eine glückliche. Viele Künstler und Künstlerinnen sind begeistert. Sie wollen ihre Werke nicht einfach hingestellt oder hingehängt haben, es soll sich zur Kunst eine Idee gesellen, davon, wie die Kunst dargeboten wird. Und der Raum im Marie- Elisabeth-Lüders-Haus signalisiert die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Er hat ein Gesicht, er ermöglicht Verschiedenheit.

Susan Hiller hat alle 303 Aufnahmen dicht an dicht an eine zehn Meter lange, weiße Wand gehängt. Jedem Bild ist eine Nummer zugeordnet, an der gegenüberliegenden Wand sind die zugehörigen Namen von Städten und Orten zu lesen.

„So wird das aussehen”, erklärte Andreas Kaernbach in einem Gespräch vor dem Aufbau der Ausstellung anhand eines Modells, das in seinem Arbeitszimmer auf dem Schrank stand und den Ausstellungsraum zeigt, wie er sich auf zwei Ebenen erstreckt, verbunden durch eine Treppe. „Auf der oberen Ebene werden die Bilder hängen, an der Seite wird das Buch auf einem Pult ausliegen, hier in dem fensterlosen Kabinettraum die Videoinstallation gezeigt.” Das weiße, leere Modell verlangte Fantasie ab, aber doch, es ging. So wird es aussehen. 303 Fotos für eine Annäherung an die Vergangenheit.

Ein gerahmtes Foto, auf dem ein Straßenschild mit der Aufschrift 'Judengasse' zu sehen ist

© DBT/studio kohlmeier
Vor einer Vernissage ist, wenn die grundlegenden Dinge einmal festgelegt werden konnten, noch sehr vieles zu bedenken. Ein Plakat muss entworfen und gedruckt werden, ein Flyer für die Einladungen. Andreas Kaernbach schreibt die Texte für alle Publikationen über die Ausstellungen des Bundestages selbst. Welche Musik soll zur Eröffnung der Ausstellung gespielt werden? Es kann passieren, es passiert, dass man eine Idee hat, und dann: „Ich hatte mir vorgestellt, Kantoralmusik aufführen zu lassen. Aber am 14. Oktober beginnt das jüdische Laubhüttenfest, das größte Freudenfest des jüdischen Jahres. Wir konnten also keine synagogale Musik auf unserer Vernissage spielen, weil alle Musikerinnen und Musiker bereits gebunden waren.”

Gespielt wurde dann ein Streichtrio des tschechischen Komponisten Gideon Klein. Er schrieb es im KZ Theresienstadt im Jahre 1944, neun Tage bevor er nach Auschwitz deportiert und dort am 27. Januar 1945 ermordet wurde. Andreas Kaernbach, der seine Arbeit im und für den Deutschen Bundestag übrigens am 9. November 1989 begann, denkt bereits über die nächsten Projekte nach.

„The J. Street Project” ist bis zum 11. Januar 2009 zu sehen. Bleiben werden drei „Schneebilder”, die dem Deutschen Bundestag gehören. Sie waren ja auch der Beginn von allem.

Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 19. November 2008

Weitere Informationen:

„The J. Street Project”
Ausstellung mit Werken von Susan Hiller
Ort:
Kunst-Raum im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Zugang über die Spreeuferpromenade (Schiffbauerdamm)
Öffnungszeiten:
bis zum 11. Januar 2009 täglich außer Montag von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

www.kunst-im-bundestag.de


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